Aiigewaudte Geogniphie.
Hefte zur Verbreitung geographischer
Kenntnisse in ihrer Beziehung zum Kultur-
und Wirtschaftsleben.
Redaktion : Professor Dr. Karl Dove, Jena.
V. Serie. S. Heft.
Moritz Schanz: Algerien, Tunesien, Tripolitanien.
Halle a. S.
Gebauer-Schwetschkc Druckerei und Verlag m. b. H
1905.
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Algerien
Tunesien
Tripolitanien.
Von
Moritz Schanz.
Halle a. S.
Gebauer-Schwetschke Druckerei und Verlag m. b. H.
1905.
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Algerien.
Das heutige Algerien entspricht ungefähr dem alten Geschichte.
„Numidien", unter welchem Namen man im Altertum,
ursprünglich ohne scharfe Grenzen, das ganze Hinterland
der nordwestafrikanischen Küste bezeichnete und zwar nach
seinen Bewohnern, den „Nomaden", d. h. unsteten Reiter-
völkern, die in den heutigen Berbern fortleben. Zur Zeit des
zweiten punischen Krieges finden wir, durch den Ampsaga
(Ued el Kebir) geschieden, zwei große Stämme, im Westen
bis zum Muluchat (Muluja) das an Mauretanien grenzende
Gebiet der Massäsylier, im Osten bis an den Tusca (jetzt
Ued es San) das an Karthagischen Besitz grenzende Gebiet
der Massylier, während im Süden das Atlasgebirge diese
Numidier von dem Lande der Gätuler und des inneren
Libyens trennte. Am Ausgang des 3. Jahrhunderts vor Chr.
stand das westliche Numidien, der weitaus größere Teil,
unter der Herrschaft des Syphax, der östliche unter Masi-
nissa, Sohn des Gala, der mit Hülfe der Karthager sich
des ihm widerrechtlich entzogenen Thrones bemächtigt hatte
und daher deren Verbündeter war, während Syphax, der in
Siga, nahe der Tafna, residierte, auf selten der Römer stand,
mit denen er 207 vor Chr. ein Bündnis schloß. Als er aber
infolge seiner Verheiratung mit Sophonisbe, der Tochter
Schanz, Algerien, Tunesien, Tripolitanien. 1
Hadrubals, auf die Seite Karthagos herübergezogen wurde
und Masinissa vertrieb, suchte dieser Hülfe bei den Römern,
welche 204 unter Scipio in Afrika landeten. Syphax wurde
wiederholt besiegt und endlich gefangen, sein Reich, als Dank
Roms, 201 an Masinissa, den Fürsten der Massylier, über-
tragen, welchem die Karthager alles herausgeben mußten,
was einst zu Numidien gehört hatte, d. h. das ganze, bislang
unter karthagischer Oberherrschaft stehende Küstengebiet bis
zur großen Syrte, sodaß von dieser bis zum Grenzfluß Mu-
luchat, mit Ausnahme des eigentlichen karthagischen Gebiets
zwischen dem Tusca und der kleinen Syrte, das ganze Land
an Masinissa kam. Dieser schuf zum ersten Male ein Reich
Numidien, dessen Hauptstadt zunächst Hippone, von den
Römern später Hippo regius genannt, nahe dem heutigen
Bone, seit Micipsa Kartha, von den Römern Cirta genannt,
das heutige Constantine war. Masinissas Grabmal ist
vermutlich das noch heute existierende, eigenartige Mauso-
leum der „Medrassen" nördlich von Batna.
Drei Söhne Masinissas teilten sich nach dessen 149
erfolgtem Tode in das Reich, das auch nach Karthagos Fall
146 bestehen blieb, und nach dem Tode zweier Brüder ver-
einigte Micipsa unter seinem Zepter wieder ganz Numidien,
welches er 119 unter zwei Söhne und seinen Neffen Jugurtha
teilte. Nach der Vernichtung des letzteren, welcher die
Alleinherrschaft an sich zu reißen trachtete, gaben die Römer
im Jahre 106 den Teil Numidiens westlich vom Nasavath
(Ued Sahel oder Sumam) an Mauretanien, Ost-Numidien bis
zum Tusca aber an zwei numidische Prinzen, während das
Syrtengebiet unter römische Herrschaft gestellt wurde. Juba I.,
ein Enkel Micipsas, hielt sich im Bürgerkrieg zwischen Pom-
pejus und Caesar treu zu ersterem, als er aber in der Schlacht
bei Thapsus besiegt wurde und sich darauf tötete, wurde
auch Numidien als Africa nova - im Gegensatz zu der
— 3 —
„alten" karthagischen Provinz At'rica vetus — dem Römischen
Reiche einverleibt und erhielt als Präfekten den Geschichts-
schreiber Sallustius, der das Land erbarmungslos plünderte.
Im Jahre 30 vor Chr. machte Augustus Numidien wieder zu
einem selbständigen Königreich unter Juba II., und als er
diesem im Jahre 26 auch Mauretanien zuteilte, beließ er ihm
Westnumidien bis zum Ampsaga, während der kleinere öst-
liche Teil Numidiens zwischen Ampsaga und Tusca mit
Africa vetus zusammen zu einer Provinz Africa verschmolzen
wurde. Jubas II. Grab ist wahrscheinlich der rätselhafte
Bau des sogenannten „tombeau de la Chretienne" nahe
Scherschel.
Bei der Einverleibung Mauretaniens in das Römische
Reich durch Claudius im Jahre 42 nach Chr. und der Teilung
in West- und Ost-Mauretanien umfaßte das letztere unter dem
Namen Mauretania Caesariensis mit der Hauptstadt Jol
Caesarea (heute Scherschel) das Gebiet zwischen Muluchat
und Ampsaga, während das Land zwischen Ampsaga und
Tusca, bis dahin Verwaltungsbezirk der Provinz Africa, unter
Septimus Severus um das Jahr 200 nach Chr. als selbständige
Provinz Nu midi a eingerichtet wurde und eine solche auch
unter der diocletianischen und constantinischen Monarchie
blieb. Mauretania Caesariensis dagegen wurde 297 unter
Diocletian in die größere westliche Hälfte unter dem bis-
herigen Namen und mit der Hauptstadt Jol, und in dem
östlichen Teil Mauretania Sitifensis mit dem Hafen Saldae
(jetzt Bougie) und der Hauptstadt Sitifi (jetzt Setif) getrennt.
Unter Kaiser Maxentius wurde Cirta 311 vollständig zerstört,
aber schon im folgenden Jahre von Konstantin dem Großen
wieder aufgebaut und nach ihm Constantine genannt.
Das Land befand sich während der Kaiserzeit, ebenso
wie Africa vetus, im blühendsten Zustand und hatte, als
das Christentum eindrang, viele völkerreiche Städte, im
r
- 4 -
4. Jahrhundert allein 123 Bischofssitze; neben den Residenzen
Jol, Sitifi und Constantine waren besonders wichtig Icosium,
das heutige Algier, Ruscurium, das heutige Dellis und
Hippo regius bei Bone; im Innern Lambesia (Lambessa)
und Theveste (Tebessa); die in neuester Zeit vorgenommenen
Ausgrabungen in Lambessa und dem nahen Timegad haben
prächtige Reste der Römerzeit zutage gefördert, und selbst
bis in die Sahara hinein war man vorgedrungen, z. B. nach
dem heutigen Biskra.
Bei der Teilung des Römischen Reiches im Jahre 395
kam Numidien mit ganz Nordwestafrika zusammen an das
weströmische Reich, aber bald darauf unter die Herrschaft
derVandalen, deren Führer Geiserich zunächst Saldae zur
Hauptstadt seines afrikanischen Reiches machte, das aller-
dings keinen langen Bestand haben sollte. Nachdem Nord-
afrika 534 in die Hände der Byzantiner gefallen war,
welche gegen die wieder erstarkenden Eingeborenen nicht
viel mehr als einige Küstenstädte zu halten vermochten, er-
oberten im Jahre 708 die Araber auch Numidien und zer-
störten den Rest der blühenden Kultur aus der Römerzeit,
den die Vandalen allenfalls noch übrig gelassen hatten.
Nachdem die Araber ihre Herrschaft befestigt, erhob sich
zwar auch das dem mittleren Maghreb zugeteilte Numidien
von neuem, aber doch nicht wieder zur früheren Blüte.
Den Emiren der arabischen Khalifen folgten die selb-
ständigen arabischen Dynastien der Edrisiden ab 790 in
Maghreb el Aska, welche auch Aghadir, das heutige Tlem-
sen, in West -Algerien beherrschten, und der Aglabiten ab
800 im mittleren Maghreb, welche 909 durch die Fatimiden
gestürzt wurden, die zeitweilig wieder ganz Nordafrika unter
ihrem Zepter vereinigten.
Im 10. Jahrhundert zerfällt Algerien in verschiedene
Teile. Etwa um 902 gründeten aus Spanien kommende
— D —
maurische Kaufleute unter der Ägide der Edrisiden von Tlem-
sen die Handelsstation Oran, die zunächst manche Kämpfe
mit den benachbarten Stämmen zu bestehen hatte. Unter
Zeiri (auch Ziri und Zori geschrieben) aus dem Stamme der
Beni Mesghanna, dem Gouverneur von Aschir, einer Provinz
des mittleren Maghreb, erhält dessen Sohn Bologgin um die
Mitte des Jahrhunderts die Erlaubnis, die drei Städte Miliana,
Lemdia (heute Medea) und, etwa im Jahre 940, AI Dschesair,
das heutige Algier zu gründen, und die Dynastie der Zei-
ri den gewinnt in verschiedenen ihrer Zweige ausgedehnte
Herrschaft in Nordafrika; so regieren in Constantine die
ihnen verwandten Hammadiden. Gleichfalls im 10. Jahr-
hundert faßte der Berberstamm der Bedschaia festen Fuß in
dem alten Saldae, das er nach seinem Stammnamen Bud-
schaia (Bugia, Bougie) benannte, und das bald eine so
hohe Bedeutung erlangte, daß man es als „Klein -Mekka"
bezeichnete; der Platz wurde ein wichtiges Entrepot im Ver-
kehr zwischen Nordafrika und der Christenheit. Seine alte
hohe Stellung im Maghreb behielt aber besonders Aghadir,
und zwar nicht nur unter den Ifreniden, welche hier von
954 — 1080 herrschten, sondern auch unter den Almoraviden
und den Almohaden, welch' letztere sogar um 1152 den
von da ab Tlemsen genannten Platz zur glänzenden Resi-
denz ihres großen afrikanischen Reiches machten.
Etwa um 1248 wurden die Almohaden in Tlemsen von
dem Statthalter Ghamarassan vom dort ansässigen Zenata-
stamm der Abd-el-Wad verdrängt, dem Stifter der Dynastie
der Zianiden oder Abdelwahiden, die, mit einem kurzen
Zwischenreich der Meriniden (1299—1307 und 1337—1359)
mit allmählich abnehmendem Machtgebiet und Glanz bis
1553 regierten und sich die jetzigen Provinzen Oran und
Algier unterwarfen, allerdings ausschließlich der Gebiete von
Oran, Tenes, Algier und Bugia, die sich zu unabhängigen
Staatsgebilden entwickelt hatten, in der Folge aber auch dem
Königreich TIemsen tributpflichtig wurden.
Die Stadt Algier entwickelte sich zunächst nur langsam;
als die Spanier 1302 mit vier Schiffen hier erschienen, fanden
sie nur eine befestigte Umwallung ohne jeden Handel vor,
und sie begnügten sich damit, die im Hafen liegende Fels-
insel des Penon in Besitz zu nehmen. Die 1342 aus Italien,
1380 aus Holland und die aus anderen Staaten vertriebenen
Juden, sowie die aus Spanien fliehenden Mauren mögen dazu
beigetragen haben, Algiers Handel zu entwickeln, und auch
der aufblühende Seeraub trug dazu bei, die Bedeutung des
Platzes zu heben.
Die Seeräuberei gab schließlich aber Spanien will-
kommenen Anlaß zum Eingreifen. Im Jahre 1505 ließ
Ferdinand der Katholische zunächst das nahe Oran liegende,
1477 von den Portugiesen aufgegebene Mersa el Kebir
besetzen, und 1509 erschien Kardinal Ximenez, der Anstifter
dieses neuen Kreuzzugs, persönlich in Afrika, um die Stadt
Oran zu belagern und im selben Jahre einzunehmen. An-
fang 1510 unterlag den Spaniern auch Bugia, und die
Städte Dellis, Mostaganem und TIemsen waren nicht in der
Lage, ernstlichen Widerstand zu leisten und wurden Spanien
tributpflichtig. Auch vor Algier erschien 1510 eine Truppen-
macht unter dem Gouverneur von Oran und zwang den
Emir der Metidscha, Selim Ben Teumi, in einem Vertrage
zu der Verpflichtung, die Christen auszuliefern, die Unter-
stützung der Piraterei aufzugeben und zehn Jahre lang Tribut
an Spanien zu bezahlen; zur Überwachung dieser Bedingungen
errichteten und besetzten die Spanier ein Fort auf der im
Hafen liegenden Insel, dem Peüon.
Selim aber rief dagegen 1516 die verhängnisvolle Hülfe
türkischer Korsaren an, welche etwa um 1510 begonnen
hatten, die nordafrikanische Küste zu plündern, 1514 den
— 7 -
Genuesen Dschidschelli wegnahmen und die Gelegenheit
gern ergriffen, unter ihrem Führer Horuk Barbarossa nach
Algier zu kommen, freihch nicht als Befreier. Horuk machte
sich vielmehr bald selbst zum Herrscher der Stadt, ließ
Selim erdrosseln und besetzte 1516-1517 auch Medea,
Tenes, Mostaganem und Tlemsen, während seine Flotten
die Küsten Spaniens und Italiens auf das grausamste brand-
schatzten und verwüsteten. Karl V. sandte deshalb Ver-
stärkungen nach Oran, und mit Hülfe dieser gelang es, Horuk
1518 zunächst aus Tlemsen zu vertreiben und dann auf
seiner Flucht zu töten.
Die Korsaren aber wählten als ihren Führer nunmehr
Horuks Bruder, Cheireddin, der, von Spaniern und Einge-
borenen gleichmäßig bedroht, Rückhalt an der Pforte suchte,
sich 1519 unter deren Lehnshoheit stellte und vom Sultan
Selim 1. als Beg oder Bei (- „Herr") von Algier eingesetzt
wurde. Mit Hülfe der von Konstantinopel gesandten Ver-
stärkungen von 2000 Mann bekämpfte er die Spanier er-
folgreich zur See und vertrieb sie 1530 auch aus ihrem
Inselfort im Hafen von Algier; diese Insel selbst ließ er
dann durch eine, aus den Trümmern der geschleiften
Festung hergestellten Mole, an welcher 30000 Christen-
sklaven drei Jahre lang arbeiteten, mit dem Festland ver-
binden nnd die Stadt umwallen. Nachdem Cheireddins Ein-
mischung in Tunis 1534 durch die Spanier vereiteU und er
selbst 1536 nach Konstantinopel zurückberufen wurde, folgte
ihm in Algier der Eunuch Mohammed Hassan Pascha, und
die algerischen Piratenschiffe bildeten mehr und mehr den
Schrecken der Christen am Mittelmeer. Kaiser Karl V. be-
schloß deshalb 1541 einen neuen Strafzug nach Afrika, an
dem er diesmal sogar persönlich teilnahm, begleitet von
370 Schiffen und 30000 Mann; am 30. Oktober landete die
Expedition bei Algier, mußte aber, nachdem ein furchtbares
Unwetter ihr Lager und viele Schiffe zerstörte, unter schweren
Verlusten abziehen. So dauerten die Raubzüge der alge-
rischen Korsaren lustig fort. Dem nächsten Pascha, Chei-
reddins Sohn Hassan, folgte 1552 ein Araber aus Egypten,
Salah Reis Pascha, welcher 1553 auch Tlemsen eroberte
und verwüstete und 1555 durch eine schmähliche Kapitulation
des Grafen Peralta das spanische Bugia gewann, sodaß in
Algerien nur noch Oran spanisch blieb. Nachdem 1561 ein
spanisches Heer im Westen von Algerien vernichtet worden
war, planten die Korsaren auch die Eroberung Marokkos
und die Gründung eines großen nordafrikanischen Reiches;
doch machten die Spanier den Sultan von Marokko auf die
Gefahr aufmerksam, und den Franzosen gelang es, den
Großherrn in Konstantinopel so eifersüchtig auf die Begler-
begs zu machen, daß er diese 1587 durch Paschas mit
nur dreijähriger Amtsdauer ersetzte. Die Janitscharen-Miliz
wirkte aber im Jahre 1600 das Recht aus, einen Agha oder
Dei (eigentlich „Oheim") aus ihrer Mitte zu erwählen, der
insbesondere ihr Befehlshaber sein und mit dem Pascha die
Gewalt teilen sollte. Je mehr die Säbelherrschaft in Algier
zur Blüte kam, umsomehr führte der vom Sultan ernannte
Pascha, der meist landfremd und einflußlos blieb, nur noch
eine Scheinherrschaft, und schon von 1659 ab machten sich
die Deis so unabhängig von der Gewalt der Paschas, daß
die Engländer 1662 mit dem Dei einen Vertrag abschlössen,
und der letzte Pascha wurde 1669 von den Janitscharen
verjagt.
Nachdem man mit den Eroberungen bis an die marok-
kanische Grenze und bis zur Wüste vorgerückt, wurde die
Regentschaft, deren Hauptstadt Algier blieb, in die drei
Beiliks Mascara, später Oran, Titeri mit dem Hauptort
Medea und Constantine eingeteilt. Die Begs, ebenso wie
später die Deis, folgten sich meist überaus schnell und ver-
— 9 —
blichen selten eines natürlichen Todes; ihre Geschichte ist
eine fast ununterbrochene Folge von Ermordungen, Kriegen,
Erpressungen und tyrannischen Handlungen aller Art, nach
außen wie nach innen.
Nur Frankreich, daß sich aus Gründen seiner euro-
päischen Politik mit der Pforte freundlich gestellt hatte, ver-
stand anfangs auch einigermaßen mit Algier auszukommen,
hatte durch Marseiller Kaufleute schon 1520 1560 gegen
jährliche Abgaben das ausschließliche Recht der Korallen-
fischerei bei La Calle, Kap Roux und später auch bei Collo
erworben, das bald zugunsten der Compagnie d' Afrique
erneuert wurde, und war auch schon seit 1557 durch einen
Konsul in Algier vertreten, während England damit erst
1580 folgte.
Aber da die algerische Raubflotte allmählich zu der
stattlichen Zahl von 300 Schiffen anwuchs, welche ihr Ge-
werbe nicht lässig betrieben, so folgten sich die Konflikte
mit fremden Mächten immer häufiger, und leider zogen letz-
tere dabei fast regelmäßig den kürzeren. Angriffe auf Algier
seitens der Holländer 1624 und der Engländer 1620,
1655, 1669, 1670 und 1675 blieben ohne jeden dauernden
Erfolg, und ebensowenig vermochten die Franzosen durch
drei Bombardements der Stadt in den Jahren 1682, 1683
und 1688 die Unterdrückung der Seeräuberei zu erreichen,
sodaß man sich allerseits zu dem schimpflichen Ausweg be-
quemte, Frieden und Ruhe von den Piraten zu erkaufen, und
zwar teilweise sogar durch Lieferung von Kanonen, Munition
und anderem Kriegsmaterial an die Seeräuber. Brauchte der
Dei aber Geld, so erklärte er einfach den Krieg an irgend
eine, ihm gerade passende Nation und zwang diese, ihm
unsinnige Abstandssummen zu zahlen, oder er veranlaßte
auch recht häufigen Wechsel in der Person der Konsuln,
damit sich die üblichen „Antrittsgeschenke" oft wiederholten.
— 10 —
Der Dei Ibrahim eroberte 1708 auch Oran von den Spaniern,
das diese 1732 allerdings noch einmal zurücknahmen und
stark befestigten.
Der Dei Baba Ali hatte sich inzwischen seit 1710,
bis auf einige nebensächliche Formalitäten, gänzlich unab-
hängig gemacht, bezahlte keinen Tribut mehr, und die Pforte
hörte auf, eigene Paschas für Algerien zu ernennen. Alge-
rien bildete seitdem einen reinen Soldatenstaat unter dem
von den Janitscharen gewählten und von der Pforte be-
stätigten und zum Pascha erhobenen Dei, dem ein Diwan
oder Staatsraat von 60 Beamten zur Seite stand.
Nachdem die Spanier 1775 ihre letzte große Expe-
dition unter General O'Reilly nach Algier, 1783 und 1784
ebenso vergeblich zwei Bombardements der Stadt unter-
nommen hatten, gaben sie Oran, welches 1790 durch ein
Erdbeben fast völlig zerstört worden war, 1792 endgültig in
friedlichem Vergleich auf, und"3as algerische Raubnest konnte
den christlichen Mächten nach wie vor Trotz bieten und
sich die schwächeren tributpflichtig machen; Tribut bezahlten
u. a. das Königreich beider Sizilien, Toskana, Sardinien,
Portugal, Dänemark und Schweden; Hannover und Bremen
gaben ansehnliche Gratifikationen, und selbst England be-
quemte sich bei jedem Konsulswechsel zu einem „Geschenk"
von 600 Pfund Sterling. Die gefangenen Seeleute und Pas-
sagiere aber verfielen der Sklaverei, aus der sie nur gegen
schwere Summen gelöst werden konnten, und alle Vor-
stellungen der christlichen Mächte blieben unbeachtet. Zwar
war die See- wie Landmacht Algiers im Laufe des 18. Jahr-
hunderts ganz wesentlich zurückgegangen, sodaß ein durch-
greifendes Vorgehen irgend einer Großmacht unschwer
Erfolg gehabt haben würde, aber man hatte in Europa
genug mit seinen Kämpfen untereinander zu tun, und wenn
man von Algier nur gerade selbst in Ruhe gelassen wurde,
— n —
war man gar nicht böse, wenn dieses den Handel des lieben
Nachbars schädigte.
Franivreichs Bruch mit der Türi<ei durch Napoleons
Zug nach Egypten veranlaßte auch den Dei von Algier
gegen in seinem Gebiet wohnende französische Konsuln,
Priester und Gewerbetreibende zu harten Maßregeln , die
Napoleon im Jahre 1800 zu dem Angebot eines Friedens-
geldes von 300000 Piastern bewogen. Da aber die Pforte
damit nicht einverstanden war, verwies der Dei 1801 alle
Franzosen des Landes und verjagte auch die französischen
Korallenfischer aus La Calle; dieses Fischereiprivileg pach-
teten 1807 für zehn Jahre gegen eine jährliche Summe von
11000 Pfund Sterling die Engländer, allerdings nicht, um es
selbst auszubeuten, sondern nur, um die Franzosen hier
fernzuhalten.
Auch die Amerikaner hatten sich, seitdem sie unab-
hängig geworden , eine Reihe von Unbilden und Kriegs-
erklärungen seitens der algerischen Machthaber gefallen
lassen und den Frieden ebenso erkaufen müssen, wie die
europäischen Staaten; schließlich empörte man sich in
Washington aber doch gegen weitere Tributzahlungen, der
amerikanische Kommodore Decatur schlug am 20. Juni 1815
bei Cartagena die algerische Flotte und erlangte in einem
Vertrag mit dem überraschten Dei die Unverletzlichkeit der
amerikanischen Flagge.
Als dann aber 1816 auch die Engländer eine Flotte
unter Lord Exmouth nach dem Mittelmeer schickten, um
den Seeraub der Barbareskenstaaten zu unterdrücken, lehnte
der Dei von Algier Unterhandlungen darüber ab und ließ
am 23. Mai 1816 die Mannschaft von 359 italienischen
Booten, welche die Korallenfischerei gepachtet hatten und
unter englischer Flagge in Bone lagen, überfallen und nieder-
metzeln. Lord Exmouth, dem sich auch ein niederländisches
— 12 —
Geschwader angeschlossen, bombardierte daraufhin am 27.
August 1816 Algier, verbrannte die gesamte dort befindliche
Piratenflotte und zwang den Dei am nächsten Tage zu dem
Versprechen, die Christensklaverei für immer abzuschaffen
und die zur Zeit in seinem Gebiet gefangen gehaltenen
1200 Christen zu befreien.
Aber schon 1817 wagten sich algerische Seeräuber
wieder bis in die Nordsee und nahmen Schiffe der Mächte
weg, welche ihnen weder Tribut, noch Geschenke bewilligt
hatten, der englische Konsul in Algier wurde nach wie vor
unwürdig behandelt, und der letzte, 1818 — 1830 herrschende
Dei Hussein bemühte sich, seine Piratenflotte wieder mög-
lichst zu vermehren.
Wiederholte Verletzungen der französischen Flagge und
1823 der Wohnung des französischen Konsularagenten hatten
auch die französische Regierung schon gegen den Dei
Hussein gereizt, als dieser von Frankreich eine hohe Summe
für Getreide forderte, welches zwei algerische Juden Bakri
und Busnah während der egyptischen Expedition geliefert
hatten. Sein hierauf bezüglicher Brief an den König von
Frankreich blieb ohne Antwort. Als nun zum Beiramfest,
am 27. April 1827, der Dei die Konsuln empfing, frug er
den französischen Vertreter nach der Ursache dieses Still-
schweigens, und als Deval recht taktlos erwiderte, ein König
von Frankreich könne sich nicht soweit herablassen, mit
einem Dei von Algier zu korrespondieren, schlug er ihm
mit dem Fliegenwedel ins Gesicht und erging sich in
Schmähungen gegen den König. Nun erschien ein franzö-
sisches Geschwader vor Algier, nahm den französischen
Konsul auf und begann, da der Dei das französische Ulti-
matum ablehnte, die Blockade am 12. Juni 1827; der Dei
ließ dagegen die zum Behuf der Korallenfischerei bei Bone
gegründeten französischen Niederlassungen zerstören. Nach-
— 13 —
dem die schwächliche Blockade drei Jahre lang nur den
Spott der Piraten herausgefordert hatte, entschloß sich die
französische Regierung, die einen auswärtigen Erfolg wünschte,
1830 endlich, eine große Unternehmung gegen Algier auszu-
rüsten und sandte unter dem Oberkommando des Generals
Bourmont, des Kriegsministers, eine Flotte von 75 Kriegs-
schiffen mit 37 500 Mann des Landheeres; die Expedition
wurde am 14. Juni in der Bucht von Sidi el Ferruch, west-
lich der Stadt Algier, ungehindert ausgeschifft und zwang
nach verschiedenen glücklichen Kämpfen am 5. Juli 1830 die
Stadt Algier zur Übergabe. Hussein Dei verzichtete auf die
Herrschaft; dafür wurde ihm sein Privatvermögen belassen
und die freie Wahl seines Wohnorts außerhalb Algeriens ge-
währt; er reiste mit seinem Harem und Gefolge bereits am
10. Juli ab, zunächst nach Neapel, dann nach Livorno, von
wo er sich später nach Egypten begab. Die türkischen
Janitscharen wurden, teils sofort, die verheirateten kurze Zeit
darauf, nach Smyrna transportiert, den übrigen Einwohnern
Achtung der Religion und des Eigentums, Freiheit des Han-
dels und der Gewerbe zugesichert, die Christensklaverei,
sämtliche Tribute der fremden Staaten und alle Monopole
für immer abgeschafft.
So war denn endlich mit geringer Mühe das Raubnest be-
zwungen, welches jahrhundertelang ganz Europa in Schrecken
gehalten hatte, und die 50 Millionen Francs, die man im
Staatsschatz vorfand, genügten reichlich, die Kosten der E.x-
pedition zu decken. Das Land freilich mußten die Franzosen
erst noch erobern, und das erwies sich als schwieriger, als an-
gesichts der elenden Lage eigentlich erwartet werden konnte.
War Algerien durch die lange Mißwirtschaft doch völlig ver-
armt, seine gesamte Handelsbewegung überstieg damals nicht
3^ _• Millionen Mark im Jahre, die einzigen Plätze von Be-
deutung waren Algier, Blidah, Bone und Scherschel, währen!
— 14 —
im Innern allgemein Mißtrauen und Streit untereinander
herrschten. Aber der islam bildete das Bindeglied zähen
Widerstandes, Araber und Berber vergaßen vorübergehend
ihren alten Rassenhaß, die während der Türkenherrschaft
fast vollständig unabhängig gebliebenen Berberstämme wehr-
ten sich gegen die neuen Eindringlinge, wie gegen die
früheren, und die endgültige Eroberung des Landes, dem ein
allgemein anerkannter Häuptling fehlte, forderte noch große
Opfer an Blut und Geld.
Das Schlimmste war, daß Frankreich während der
nächsten zehn Jahre überhaupt zu keinem festen Entschluß
darüber kam, ob es nur einige Küstenpunkte Algeriens be-
setzen, oder das ganze Land nehmen, und sodann, ob man
das Land durch Beis regieren lassen oder unter direkte fran-
zösische Verwaltung stellen solle. Der Dei von Algier war
zwar schnell genug entfernt worden , aber dessen drei Va-
sallen, die Beis von Oran, Tjteri und Constantine, waren
geblieben. Zunächst war man nicht abgeneigt, sich mit einer
Art Schutzherrschaft über die verschiedenen Beis begnügen
zu wollen, indem man sich teils mit den alten verständigte,
teils neue einsetzte. Der Bei Mustapha von Titeri ließ sich
von Prankreich belehnen, Hassan, Bei von Oran, bat selbst
um eine französische Besatzung, und nur der Bei Achmed
von Constantine zeigte eine feindliche Haltung. Mersa el
Kebir im Westen und Bone in Osten wurden vorläufig durch
französische Landtruppen besetzt. Bald sollte es zu Ver-
wicklungen kommen, und zwar veranlaßte Bourmonts Un-
geschick zunächst offene Feindseligkeit des Beis von Titeri.
Bereits am 23. Juli stießen die Franzosen bei Blidah auf
einen vom Bei veranlaßten Aufstand, als der Sturz Karls X.
durch die Ju li- Revolution eine Stockung in den franzö-
sischen Unternehmungen verursachte. Bourmont, der zu
den Bourbonen hielt, zog sämtliche französische Truppen-
- 15 —
teile, deren Disziplin eine sehr lockere geworden war, nach
der Stadt Algier zurück, wurde selbst aber, nachdem sich
Flotte und Heer für die neue Regierung erklärten, durch
Marschall Clauzel ersetzt. Am liebsten allerdings hätte die
Juli-Regierung die lästige und gefahrvolle Eroberung über-
haupt wieder aufgegeben, schon um mit England in guten
Beziehungen zu bleiben, das sie von Anfang an mit scheelen
Augen ansah, aber man wagte es nicht, weil die öffentliche
Meinung eine tatkräftige äußere Politik forderte. Immerhin
dachte man zunächst nur an eine beschränkte Besetzung
Algeriens.
Der energische Clauzel begann sofort mit Erweiterung
des Gebiets durch Streifzüge in das Innere, nahm persönlich
im November 1830 Blidah und verfolgte und schlug darauf
in den Bergen den Bei Mustapha von Titeri, an dessen
Stelle er in Medeah einen Bei seiner Wahl einsetzte,
während General Damremont im Dezember Oran besetzte
lind der Bei Achmed von Constantine durch ein Dekret
für abgesetzt erklärt wurde. Clauzel belehnte nun einen
Bruder des Beis von Tunis, Sidi Mustapha, mit den beiden
Provinzen Oran und Constantine gegen einen an Frankreich
zu zahlenden jährlichen Tribut von je einer Million Francs.
in Paris erblickte man aber darin eine Überschreitung seiner
Befugnisse, auch fand man dort das ganze Unternehmen wieder
einmal zu weit gehend und rief deshalb Clauzel schon 1831
ab; die Armee in Afrika wurde für aufgelöst erklärt, und
man beließ dort nur eine Besatzungsdivision unter Befehl
des Generals Berthezene, der mit den schwachen, ihm zur
Verfügung stehenden Mitteln nur notdürftig das wenige bisher
Erreichte sichern konnte und sich bald wieder nach Frank-
reich zurückzog.
Das Kabinett Casimir Pe'rier, das Ende 1831 ans Ruder
kam, erneuerte und verstärkte zwar die afrikanische Armee,
— 16 —
traf aber in dem Befehlshaber Savary, Herzog von Rovigo,
(lg31_33) die denkbar unglückhchste Wahl für eine Mission,
die neben Energie auch besondere Intelligenz, Takt und be-
rechnende Zurückhaltung erforderte. Unter dem alten Hau-
degen des Kaiserreichs wurde zwar 1832 Bone erobert und
1833 Arzeu, Mostaganem und Bougie besetzt, aber
gleichzeitig durch übereilte Neuerungen große Verwirrung
angerichtet, und zahlreiche Konfiskationen, militärische Ex-
zesse und brutale Behandlung reizten die verschiedenen Klas-
sen der Bevölkerung, die Araber, Berber und Kuluglis, statt
sie durch kluge Politik voneinander zu trennen, zu gemein-
samem Widerstand gegen die fremden Eindringlinge an.
Savarys Gewaltstreiche brachten bald ganz Algerien in Auf-
ruhr, und als ein besonders gefährlicher Feind erhob sich im
Westen der 1807 als Sprößling einer Priesterfamilie geborene
Abd el Kader, der sich durch seine Tüchtigkeit und sein
weitverbreitetes Ansehen zum Emir von Mascara empor-
geschwungen hatte, einen Rückhalt am Sultan von Marokko
fand und den „heiligen Krieg" gegen die Franzosen erklärte,
deren Herrschaft nicht weiter reichte, als ihre Kanonen.
Savary zog sich schon im März 1833 wegen schwerer
Krankheit zurück, und auf Veranlassung der Kammern wurde
eine Kommission eingesetzt, um die Zustände in der Kolonie
zu prüfen. Infolge dieser Untersuchung entschied man sich
für die fernere Behauptung Algeriens, und eine Ordonnanz
vom 22. Juli 1834 verordnete, das eroberte Gebiet solle
fortan „Französische Besitzungen im Norden Afrikas" heißen
und einem Generalgouverneur unterstellt werden, der
mit dem militärischen Oberkommando zugleich die Ver-
waltung führen und unter dem Kriegsministerium stehen
sollte. Für die Justiz wurden Tribunale in Algier, Bone und
Oran, ein Obertribunal und ein Handelsgericht in Algier ein-
gesetzt und ein Generalprokurator ernannt, welcher das ein-
— 17 —
heimische Recht prüfen und mit der neuen Justizverfassung
in Einklang bringen sollte.
Inzwischen hatte 1833 — 34 General Voirol in ge-
schickter und glücklicher Weise das Interim geführt, und es
schienen nun geordnetere Zustände eintreten zu sollen. Mit
Abd ei Kader war durch General Desmichels am 26. Februar
1834 der erste, allerdings schwächliche Friede zustande ge-
kommen, in welchem die Herrschaft des Emirs bis zum
Scheliff, mit Ausnahme der Häfen Orah, Arzeu und Mosta-
ganem, von Frankreich ausdrücklich anerkannt wurde.
Als erster Generaigouverneur kam der bereits 70jährige
und gänzlich haltlose Drouet d' Erlon, auch eine Reliquie
des Kaiserreichs, nach Afrika, dessen Schwäche aber bald
von den Eingeborenen erkannt wurde, und so war der Friede
nicht von langer Dauer. Trotz wiederholter französischer
Warnungen drang Abd el Kader in die Metidscha vor, be-
setzte Milianah und Medeah und schlug am 28. Juni 1835
in der Schlacht an der Makta Desmichels Nachfolger, Ge-
neral Tre'zel. Letzterer wurde ersetzt, aber gleichzeitig ent-
schloß man sich auch, den alten und unfähigen Drouet
d' Erlon abzuberufen und an dessen Stelle im August 1835 zum
zweiten Male Clauzel, diesmal als Generalgouverneur, nach
Algerien zu schicken mit der Mission, das französische
Prestige wieder herzustellen. Zwar nahm und verbrannte
dieser im Dezember 1835 Abd el Kaders Residenz Mascara,
und auch Tlemsen wurde besetzt, aber der Emir führte den
Kleinkrieg mit Erfolg weiter. Am 25. April 1836 errang er
einen Sieg über d' Arlanges an der Mündung der Tafna
und schloß dort die französischen Truppen ein, bis diese
durch den von Frankreich gesandten General Bugeaud, der
im Mai 1836 das Kommando in Oran übernahm, entsetzt
wurden. Bugeaud brachte dann am 6. Juli 1836 Abd el
Kader eine bedeutende Schlappe am Flusse Sikah und damit
Schanz, Algerien, Tunesien, Tripolitanien. 2
- 18 —
seine erste ernstliche Niederlage bei. Aber erst am 30. Mai
1837 schloß Bugeaud mit dem Emir den später viel getadelten
Vertrag von Tafna, in welchem Frankreich Abd el Kader als
Herrscher der Provinzen Oran und Titeri anerkannte und
sich mit den Plätzen Oran, Arzeu, Mazagran, Mostaganem
und Algier mit ihrer nächsten Umgebung und der Metidscha-
Ebene bei Algier begnügte.
Der Hauptgrund, der die Franzosen zu diesem wenig
rühmlichen zweiten Frieden bewegte, lag darin, freie Hand
gegen Constantine zu bekommen, wo noch immer der
grausame, bereits 1830 von den Franzosen als abgesetzt
erklärte Bei Achmed herrschte. La Calle, wo man einen
Zufluchtshafen für die Korallenfischer schaffen und die alten
Handelsbeziehungen zu den umliegenden Stämmen wieder
anknüpfen wollte, konnte man im Juli 1836 ohne Wider-
stand besetzen. Aber eine unvorsichtige Expedition Clauzels
gegen das von der Natur stark befestigte Constantine im
November 1836 mißlang gänzlich, und von den 8000 Mann
des französischen Heeres wurden gegen 5000 durch Hunger,
Kälte, Krankheit und die Waffen Achmeds aufgerieben. Clauzel
wurde daraufhin im Februar 1837 durch General Damremont
ersetzt, welcher seinen Instruktionen gemäß zunächst in Ver-
handlungen mit Achmed eintrat und ihn zu bewegen suchte,
in ein Vasallenverhältnis zu Frankreich zu treten. Als diese
Verhandlungen resultatlos blieben, führte Damremont selbst
das französische Heer gegen Constantine, vor dessen Mauern
er zwar am 12. Oktober 1837 fiel, aber am nächsten Tage
wurde die Felsenfestung von dem General Valee erstürmt,
und Achmed flüchtete nach Biskra, wo er von dem Vertreter
Abd el Kaders verjagt wurde.
Nach dem Falle von Constantine unterwarf der zum
Generalgouverneur avancierte Valee die Provinz Constantine
und begann damit, die Herrschaft über das Binnenland
überhaupt planmäßig und möglichst friedlich auszudehnen.
1838—39 wurden Blidah, Koleah, Stora und Milah be-
setzt, und V^alee zog im Oktober 1839 mit dem Herzog von
Nemours zusammen von dem, 'nahe dem alten Stora neu-
gegründeten Philippeville aus durch das gefährliche Fels-
defilee nach Constantine und eröffnete damit eine nähere
Verbindung vom Meere aus, als sie bislang durch den Hafen
Bone vermittelt worden war. Abd el Kader aber sprach
auf Grund des unklaren Wortlautes des Vertrags von Tafna
den Franzosen das Recht ab, sich östlich von der Metidscha
auszudehnen, kündigte am 20. November 1839 dieses ganze
Abkommen und predigte aufs neue den heiligen Krieg gegen
Frankreich. Der Fmir fiel nun in die Metidscha ein, zer-
störte die dortigen französischen Ansiedelungen, und die Un-
ruhen dehnten sich bald über das ganze Land aus. Aber
das Glück wurde dem Emir jetzt untreu, Scherschel, Medeah
und Milianah fielen 1840 an die Franzosen und General
ßugeaud, seit Februar 1841 Generalgouverneur, ermüdete
den Feind durch unaufhörliche Angriffe, machte ihm durch
Bestechung Anhänger abspenstig und erzielte dadurch be-
deutende Erfolge. Nachdem 1841 — 42 nach einander Mas-
_cara,_Saida und TIemsen gefallen waren, sah sich der Emir
im Frühjahr 1842 gezwungen, auf marokkanischem Gebiet
Zuflucht zu suchen. Aber schon im Sommer 1842 erschien
-er von neuem auf dem Kampfplatz, und wenn auch seine
Einfälle meist zurückgewiesen wurden und der Herzog von
Aumale 1843 seine Smalah ( - Lager) durch Überfall nahm,
so fand er doch in Marokko immer wieder Schutz und Ver-
stärkungen. Frankreich sah sich daher genötigt, 1844 auch
Marokko den Krieg zu erklären, und das marokkanische
Heer, dessen Vorhut Abd el Kader bildete, wurde am 14.
August 1844 am Flusse Isly, 10 km westlich von Udschda,
von ßugeaud entscheidend geschlagen. Da gleichzeitig ein
2*
- 20 —
französisches Geschwader unter dem Prinzen von Joinville
an der marokkanischen Küste erschienen war und Tanger
und Mogador bombardierte, so kam unter englischer Ver-
mittlung am 10. September 1844 der Friede von Tanger zu-
stande, worin sich Marokko verpflichtete, Abd el Kader keinen
Vorschub zu leisten. Zur Sicherung der Grenze gründeten
die Franzosen 1844 eine feste Stellung in Lalla Marnia.
Abd el Kader eröffnete bald wiederum den kleinen
Krieg in Algerien und suchte 1847 auch Marokko darein
zu verwickeln, wurde aber vom Sultan Abdur Rhaman am
11. Dezember geschlagen und zum Übertritt auf französisches
Gebiet gezwungen, wo er von den Franzosen umzingelt und
am 23. Dezember 1847 vom General Lamoriciere gefangen
genommen wurde. Bis 1852 in Frankreich zurückgehalten,
lebte er von da ab, gegen das Versprechen, die Franzosen
nie wieder zu bekämpfen, mit einer französischen Pension
von 100000 Francs zunächst in Brussa, nach dem Erdbeben
von 1855 bis zu seinem 1883 erfolgten Tode in Damaskus.
Der Krieg gegen die Eingeborenen hatte unterdessen
auch anderweit seinen fast ununterbrochenen Fortgang ge-
nommen; schon 1839 hatte man Dschidschelli, 1843 Collo
und 1844 Dellis besetzt, der Herzog von Aumale drang
1844 bis zur Oase Biskrah vor, und General Bugeaud
unterwarf 1847 die Bewohner der Dschurdschura und der
Großen Kabilie. 1851 erhoben sich aber fast alle Gebirgs-
stämme der östlich daran stoßenden Kleinen Kabilie
zwischen Philippeville, Dschidschelli und Milah. Auf einer
der kühnsten und gefahrvollsten Expeditionen besiegte
General St. Arnaud innerhalb 80 Tagen sämtliche empörte
Stämme in nicht weniger als 20 Treffen und 6 geordneten
Schlachten.
inzwischen war man aber in Algerien auch an die
wirtschaftliche Hebung des Landes herangetreten. 1840
— 21 -
bis 1846 wurden, mit Hülfe der Armee, die ersten Straßen,
zunächst in der Nähe der größeren Städte geschaffen und
die Pläne für den Ausbau der sieben Häfen Oran, Tenes,
Scherschel, Algier, Philippeville, Bone und La Calle und für
die Schaffung von Leuchttürmen festgestellt, 1843 erschien
das Programm für die Trockenlegung der Metidscha und
am 1. September 1845 richtete Bugeaud neben dem Militär-
regiment eine Zivilverwaltung ein. Die drei Provinzen
Oran, Algier und Constantine erhielten je einen Conseil mit
einem Direktor an der Spitze, und nach der Februar- Revo-
lution, welche Cavaignac als Generalgouverneur an die
Spitze der Kolonie brachte, bestimmte die französische
Nationalversammlung 1848, daß Algerien 4 Deputierte wählen
sollte, und schickte einige Arbeiterkolonien dahin, welche
aber nicht gedeihen wollten. Nach dem Staatsstreich vom
2. Dezember 1851 wurde Lambessa — aber nur bis 1854 —
zur Deportationskolonie für politische Verbrecher ausersehen,
und Napoleon III. entsandte als Generalgouverneur General
Randon, der sich 1852 — 58 um die Befestigung und Aus-
dehnung der französischen Herrschaft große Verdienste
erwarb.
im Dezember 1852 wurde die Oase El Aghuat in Süd-
algerien in Besitz genommen und der südlich davon wohnende
mächtige Stamm der Beni Mzab, deren Hauptoase Gardaja
ist, stellte sich unter französischen Schutz; 1853 — 54 wurden
die Oasenlandschaften von Tuggurt und Wadi Suf besetzt,
ferner die UIed Sidi Scheich im Südwesten, wo man
1852 die Militärstation Geryville anlegte, und die Oase
Wargia der französischen Herrschaft unterworfen. Die
Feldzüge von 1856 und 1857 vollendeten die Bezwingung
der Kabilen, sodaß seitdem die Grenze des französischen
Gebiets vom Mittelmeer bis an den Rand der Sahara vor-
geschoben war.
— 22 —
Schon damals leitete man auch wiederholte Versuche
ein, Karawanenverbindungen mit Timbuktu und dem Senegal
herzustellen.
1858 wurde die Kolonie unter ein „Ministerium für
Algerien und die Kolonien" gestellt, das aber bereits Ende
1860 wieder aufgehoben und durch ein Militärgouverne-
ment ersetzt wurde. Dieses erhielt Marschall Pelissier,
dem ein Vizegouverneur, ein General -Direktor für Zivrl-
geschäfte, ein Ministerium für Justiz-, Schul- und Kirchen-
wesen sowie ein Conseil zur Beratung des Budgets an die
Seite gestellt wurden. Nach dem Tode Pelissiers bekam
Mac Mahon das Generalgouvernement, und im April 1865
besuchte Napoleon III. selbst die Kolonie, deren Verhältnisse
sich noch immer nicht bessern wollten.
Die militärischen Obrigkeiten, die sogenannten bureaux
arabes, verstanden die Eingeborenen durchaus nicht zu
behandeln, und deren materielle, wie soziale Lage war eine
drückende; Mangel an Verkehrswegen, der französische
Schutzzoll auf Produkte der Kolonie, die Formalitäten und
Schreibereien, die zahlreichen Verordnungen und Gegenver-
ordnungen der Bureaukratie bewirkten, daß der Wohlstand
der algerischen Bevölkerung eher zurückging, als sich hob,
und die europäische Kultur ihr ebenso verhaßt und uner-
träglich war, wie ihre Vertreter. Durch freundlichen Verkehr
mit den Arabern und eine vielverheißende Proklamation
suchte der Kaiser der Unzufriedenheit zu begegnen. Aber
bei den Reformen kam man über Experimente und Anläufe
nicht hinaus, und die Jahre 1866 67 waren durch Erdbeben,
Trockenheit, Mißernte, Heuschreckenplage, Hungersnot und
Epidemien die traurigsten seit der französischen Eroberung.
Während des Deutsch-französischen Krieges mußte
die Regierung Algerien von Truppen fast entblößen; zum
Glück für Frankreich kamen aber die Eingeborenen zu spät
— 2Z —
zur Erkenntnis der für sie günstigen Umstände. Erst im
März 1871 nahm der Aufstand, unter Führung von Mokrani,
im Süden von Algerien größere Dimensionen an, breitete
sich schnell über das ganze Land aus und wurde 1872 vom
Generalgouverneur Gueydon unterdrückt; die aufständischen
Stämme wurden entwaffnet und durch Auferlegung einer
Kriegssteuer von 30 Millionen Francs und Landenteignung
bestraft. Unter diesen Umständen aber gab die Republik
ihre ursprüngliche Absicht, Algerien eine reine Zivil Ver-
waltung zu geben, einstweilen auf, und 1873 — 79 hatte Ge-
neral Chanzy das Generalgouvernement inne, dem 1875
ein aus Zivilbeamten bestehender Conseil superieur beige-
geben wurde. Erst 1879 wurde in des Präsidenten Bruder,
Albert Grevy, ein Zivilgouverneur eingesetzt, dessen Gewalt
sich aber nur auf den Küstenstrich beschränkte, da die
Stämme der Araber und Berber unter militärischer Gewalt
blieben und dessen Verwaltung sich als ganz unbefriedigend
erwies.
Ein 1879 in den Au res- Bergen ausgebrochener Auf-
stand wurde bald unterdrückt. Aber während der Besetzung
von Tunis erhob sich 1881 noch einmal in Südwesten,
nahe der Oase Figig, unter dem Stamme der UIed
Sidi Scheich ein fanatischer und kühner Häuptling, der
1840 geborene Bu Amema, und fügte durch Überfälle den
Franzosen und den europäischen Kolonisten Verluste zu,
sodaß man nach Niederwerfung des Aufstandes durch Ge-
neral Saussier noch im gleichen Jahre 1881 einen Posten
in AVn Sefra nahe der unruhigen marokkanischen Oase
Figig und 1882 die feste Stellung El Kreider am Schott
Schergi anlegte. Im November 1882 wurde auch das Gebiet
der unruhigen Beni Mzab einverleibt, und seitdem trat im
allgemeinen Ruhe ein.
Die nächsten Wirren betrafen soziale Fragen.
— 24 -
Die wachsende Mißstimmung gegen die algerischen
Juden, welche durch das übereilte Dekret Cremieux des
jüdischen Mitgliedes der nationalen Verteidigung am 24. Ok-
tober 1870 en bloc naturalisiert worden waren, führte 1897
und 1898 zu Unruhen, da die Araber diese Bevorzugung
nicht gerechtfertigt fanden, und die antisemitische Bewegung
in Algerien wuchs, als sich Max Regis, ein naturalisierter
Italiener, an ihre Spitze stellte und Drumont, das Haupt
der französischen Antisemiten, sich erfolgreich um das Depu-
tiertenmandat in Algier bewarb; auch Regis wurde als Maire
von Algier gewählt und übte als solcher eine derartige auf-
hetzende Tätigkeit aus, daß sich die französische Regierung
veranlaßt sah, den Generalgouverneur Lepine, welcher den
Unruhen energisch, wenn auch erfolglos entgegengetreten
war, abzuberufen und durch Laferriere zu ersetzen. Auch
dieser sah sich genötigt, gegen Regis einzuschreiten und ihn
schließlich abzusetzen, gleichzeitig aber auch öffentlich zu er-
klären, daß eine Revision des Naturalisationsgesetzes, be-
sonders des Dekrets Cremieux, wünschenswert sei, voraus-
gesetzt, daß sie ohne Haß und gewaltsamen Umsturz, sondern
mit reiflicher Überlegung durchgeführt und auf die politischen
Rechte beschränkt werde. Die französische Regierung veran-
laßte auch 1899 eine parlamentarische Enquete, die aber
nicht zu einer Einschränkung der Judenemanzipation führte.
Inzwischen hatten die Franzosen, nachdem das traurige
Ende der Mission Flatters 1881 eine Zeitlang abschreckend
gewirkt, und nachdem der englisch-französische Vertrag vom
5. August 1890 Frankreichs Einflußsphäre im Süden seiner
nordafrikanischen Besitzungen festgestellt hatte, auch dem
Vordringen nach Süden erneute Aufmerksamkeit gewidmet
und in der Sahara eine Reihe kleiner Befestigungen, soge-
nannter Forts angelegt; so entstanden 1892—93 deren vier
— 25 —
zwischen der Grenze gegen Tripolitanien und dem Ued Ig-
harghar, nämlich im Osten Tunesiens südhch von Gabes am
Rande der Wüste in Medenin, sodann am Bir Berresof nahe
der tunesischen Grenze an der Straße nach Ghadames, und
weiter westhch das Fort Hassi Mey und das südhch von
Wargia hegende Fort Lallemand (Hassi bei Heiram). Diese
Ostgruppe wurde 1894 noch durch die drei Forts bei Hassi
Inifei, Hassi Chelaba (Fort Miribel) und Hassi ei Hameur
(Fort Mac Mahon) südlich von Golea und 1899 durch das
nach Süden vorgeschobene Fort in Timassinin verstärkt, und
die große Lücke im Norden von Gurara zwischen El Golea
und Igli sollte durch fliegende Kolonnen gedeckt werden.
igli selbst, an der Vereinigung von Wad Ghir und Wad
Susfana gelegen, besitzt zwar kaum 4000 Angesessene, be-
herrscht aber eine der wichtigsten Straßen von Marokko nach
dem Tuat, jenem weitläufigen Oasengebiet, dessen Bevölkerung
von jeher der französischen Regierung den größten Wider-
stand entgegengesetzt und zu allen Zeiten die Sahara durch
weitausgreifende Raubzüge unsicher gemacht hatte. Diese
Erwägungen hatten seitens der Franzosen schon zu wieder-
holten Versuchen geführt, Igli zu nehmen, die aber teils an
den Schwierigkeiten der ungastlichen Gegend, teils wegen
Befürchtung englischer Einsprache unterblieben. Man be-
schränkte sich deshalb vorläufig mit dem Vorrücken der
Eisenbahn von Ain Sefra aus, begann damit 1893 und er-
öffnete den Verkehr 1900 bis Djenien-bou-Rezg und 1901
bis zu dem befestigten Soubia, welches man nach dem
Forscher Duveyrier benannte; von hier aus wird die Bahn
den Wad Susfana entlang nach Igli fortgesetzt. Bereits jetzt
werden von Paris aus regelmäßige „Vergnügungsreisen nach
der Oase Figig" arrangiert.
Inzwischen aber hatte man , wohl nicht ganz unbeein-
flußt durch das Engagement Englands in Südafrika, auch das
— 26 —
ganze Tuat-Gebiet selbst erobert und im Dezember 1899
In Salah, den Mittelpunkt Tidikelts, im März und April
1900 Figig und Igli, im Mai Timmimun, den Mittelpunkt
Guraras, und Anfang 1901 auch das eigentliche Tuat mit
Adghar und Kersas besetzt und einigte sich am 20. Juli 1901
mit Marokko über die Verwaltung der Grenzgebiete in der
bereits im Kapitel „Marokko" beschriebenen Weise. Frank-
reichs alter Gegner, Bu Amema, hatte auch bei dieser Ge-
legenheit eingegriffen und suchte schließlich in Figig Schutz
und Unterkommen. Die Besetzung des Archipels der Tuat-
Oasen ist aber nur als eine Vorbereitung des Durchbruchs
der Franzosen von Nordafrika nach dem Atlantischen Ozean
anzusehen.
Wie unbeliebt die Franzosen freilich auch heute noch
selbst im eigentlichen Algerien sind, beweisen wiederholte
Überfälle und Ermordungen von Europäern; der ernsteste
dieser Fälle fand im April 1901 in Margueritte bei Melianah,
ganz nahe bei Algier, statt. Der Aufsehen erregende Prozeß,
der sich an diesen plötzlichen Ausbruch des Franzosenhasses
anschloß, ergab die Tatsache, daß 300 Eingeborene auf
Wegen, die dem geltenden Gesetz nicht widersprachen, von
einem Besitz von über 1000 Hektar vertrieben worden waren,
ohne dafür eine andere Entschädigung als kaum drei Francs
auf den Kopf zu erhalten,*)
Land- Gehen wir nun zur Betrachtung von Land und Leuten
beschreibung.
Über.
Algerien, zwischen Marokko und Tunesien, im mittleren
Teil des nordafrikanischen Atlaslandes gelegen und im Süden
an das französische Saharagebiet stoßend, dessen Grenzen
*) Generalgouverneur seit Albert Grevy (1879 — 81), Tirman
81-91; Jules Cambon 91-97; Lepine 97-98; Laferriere 1898-1900;
Jonnart 1900-1; Revoil 1901—3; seitdem Jonnart.
— 27 -
gegen Marokko und Tripolitanien nur auf gewissen Strecken
festgelegt sind, umfaßt nach der heutigen Annahme.öQÖOOO qkm
mit 4800000 Einwohnern, wobei der südhch vom Karawanen-
weg Ghadames-Tidikelt liegende Teil der Sahara vorläufig
Französisch -Westafrika zugerechnet wird. Bewohnbar für
Europäer sind davon rund 3C0000 qkm, kulturfähig aber
nur gegen 150000 qkm.
Am Mittelmeer bildet die Grenze gegen Marokko nicht
der alte Grenzfluß Muluja, sondern laut Vertrag vom 18. März
1845 der 15 km östlich davon mündende Wad Kiß, und gegen
Tunis nicht, wie in früheren Zeiten, der Tusca -- Ued es San,
sondern das Kap Roux. Die in gerader Linie etwa 1070 km
lange Küste zeigt eine wenig gegliederte, steile und felsige
Linie mit einigen Kaps und verhältnismäßig wenig guten
Häfen, auf der 334 km langen Strecke zwischen Oran
und Algier entbehrt die Küste sogar jeder natürlichen Zu-
fluchtsstätte. Die nennenswertesten Küsteneinschnitte sind
die Golfe von Oran und Arzeu, die Bai von Algier und die
Golfe von Bougie, Collo, Stora und Bone.
Hinter der Küste erhebt sich, meist gebirgig, doch auch
von einzelnen Ebenen durchbrochen, das in drei gut geson-
derte Teile zerfallende Land: Im Norden finden wir das
gebirgige, mit fruchtbaren Tälern durchzogene Kulturland
des Teil- oder Kleinen Atlas; in der Mitte ein Hoch-
land mit Steppen und Salzsümpfen, deren größte von
West nach Ost die Schotts Schergi, Sahres Gharbi, Sahres
Schergi und Hodna sind; im Süden endlich die Sahara
mit ihren Oasen.
Der 80 — 200 km breite Teil, am schmälsten in
der Provinz Oran, umfaßt etwa 12 — 15 Millionen Hektar
und zerfällt in eine Reihe von kleinen, parallel mit der
Küste streichenden Gebirgsgruppen, von denen die eine
in der Landschaft Kabilien im Dschebel Lalla 2308 m.
— 28 —
die andere, das Setif- Gebirge, im Adrar Amellah 1995 m
erreicht; die herrliche Dschurdschura in Kabilien und die
Aures- Berge sind während sechs Monaten im Jahre, vom
November bis Mai, mit Schnee bedeckt. Zwischen die ein-
zelnen Gebirgszüge drängen sich meist fruchtbare und kulti-
vierte Ebenen wie die Metidscha bei Algier, eine 95 km
lange und durchschnittlich 15 km breite, etwas wellenförmige
Ebene, an deren Südseite der Atlas steil emporsteigt; der
Boden ist mit fetter fruchtbarer Dammerde bedeckt, der
nördliche Rand aber war, durch die Nachlässigkeit der tür-
kischen Regierung versumpft, eine Brutstätte zahlreicher
Moskitos und äußerst ungesund geworden. Die Arbeiten
der französischen Regierung haben diesen Übelstand be-
seitigt, und die Ebene, welche im 12. Jahrhundert 30 an-
sehnliche Städte zählte, hatte schon 1881 über 30000 euro-
päische Ansiedler.
Die Mittelzone der Schotts, etwa 11 Millionen Hektar
umfassend, ist ein Plateauland von 800 — 1000 m Höhe, in
der Provinz Oran 180 km, in der Provinz Constantine nur
80 km breit und ist teils von Gebirgen besetzt, teils eine
weite dürre Ebene, deren Salzsümpfe im Sommer von einer
blendenden Salzdecke überzogen sind, und die nur in Brunnen
süßes Wasser bietet. Hier ist die Region der Schafzucht
und stellenweise der Zerealien. Im Süden wird die Hoch-
ebene von dem Randgebirge des Großen Atlas überragt,
dessen Gipfel im Aures-Gebirge die Höhe von 2312 m er-
reichen. Auch die Steppenregion der Schotts, im allgemeinen
Weideland, weist einzelne Ackerbau-Oasen auf.
Nach dem Innern zu schließt sich an das Plateauland
und die Randgebirge eine fast völlig kahle, von zahlreichen
Schluchten durchfurchte Vorterrasse, welche bei Bresina 833,
bei E! Aghuat 780 m hoch ist und sich nach Süden und
Osten allmählich abdacht; es folgt die weite, heiße Tief-
— 29 —
ebene der algerischen Sahara, auch Angab genannt, bei
Biskra 125 m, bei Tuggurt 50 m über dem Meere, im Schott
Melrir 31 m unter den Meeresspiegel hinabreichend und
nur in vereinzelten Oasen Bodenanbau gestattend. Ist der
Ostteil der algerischen Sahara niedrig und sandig, so bildet
der westliche Teil bis nach Marokko hinein ein felsiges
Steppenhochland, das nur in seinen Depressionen mit Sand
angefüllt ist und nirgends unter 400 m Höhe herabgeht.
Die größeren Oasen der algerischen Sahara sind, von Ost
nach West zu aufgeführt, die folgenden: VVadi Suf, Wadi
Rhir (Tuggurt), Wadi Timassinin, Wargla, El Golea, die
Oasen der Beni Mzab und der Uled Sidi Scheich.
Fast alle Flüsse, welche vom Atlas in das Mittelmeer
fließen, haben bedeutende Krümmungen, trägen Lauf, sump-
fige Ufer und enge, öfters durch Sandbänke verstopfte Mün-
dungen; kein einziger derselben ist schiffbar, und dieser
Umstand, verbunden mit dem Mangel an guten Häfen, trug
dazu bei, dem Lande einen abgeschlossenen Charakter zu
verleihen. Die meisten Flußläufe gehen von Süd nach Nord,
nur der Scheliff macht eine bemerkenswerte Ausnahme.
Die bedeutendsten der zahlreichen, in das Mittelmeer mün-
denden Flüsse sind, von Ost nach West: Mafrag und Sebuse,
welche in den Golf von Bone münden; Wad el Kebir (Rum-
mel), der wiederholt unter Felsen verschwindet; der VVad es
Sahel oder Sumam, der einen der bedeutendsten Querrücken
des Atlas durchbricht und im Golf von Bougie mündet;
dann Buberak, Isser, Harrach und Mazafran; der durch eine
fruchtbare Ebene fließende, 650 km lange und nördlich von
Mostaganem mündende Scheliff; die Makta und endlich die
Tafna, der westlichste Fluß Algeriens. Die Flüsse Algeriens
haben eine ganz besondere Bedeutung gewonnen, seitdem
man angefangen hat, sie in großartigem Maßstab zur Be-
wässerung zu verwenden. Das System der riesigen Wehr-
- 30 —
bauten (Barrages), wahrscheinlich zuerst von den Karthagern
angewandt und von den Römern und Arabern fortgesetzt,
verfiel unter der Türkenherrschaft, wurde aber 1843 wieder
in Tätigkeit gesetzt. Die vom südlichen Abhang des Atlas
abfließenden Gewässer versiegen im Sande oder münden in
oft umfangreichen Salzsümpfen, deren bemerkenswertester
der Schott Melrir in der Fortsetzung der südtunesischen
Depression ist. Die in den Becken der Sahara lagernden
Sedimente sind in der Tiefe von Wasser durchdrungen,
welches, durch artesische Brunnen nach oben geleitet, zahl-
reiche fruchtbare Oasen ins Leben gerufen hat. Die Oasen
Algeriens werden teils durch aufgestaute und kanalisierte
Wasserläufe gebildet, wie im Ziban (Biskra), teils auf wasser-
haltigen Schichten angelegt, welche entweder durch gegrabene
Brunnen, wie z. B. im Ulad Dschellal, oder durch artesische
Brunnen wie in Tuggurt und Wargla, oder endlich dadurch
erschlossen werden, daß man die über ihnen liegende Gips-
decke abträgt und dadurch die „ausgegrabenen Oasen" wie
im Suf schafft.
Moräste finden sich nahe der Küste, namentlich um
Oran in der Tlelat- Ebene, bei Bone und im Süden von
La Calle.
Mineralquellen kennt man über 100, und die Ruinen
von Badebassins und Tempeln, welche man in der Nähe
dieser Quellen häufig antrifft, deuten darauf hin, daß schon
die Römer die Wirksamkeit derselben gekannt und sie be-
nutzt haben. Am berühmtesten sind im Departement Algier
die heißen Quellen von Hammam Meluan und des letzthin
sehr in Aufnahme gekommene Hammam Righa; im De-
partement Oran diejenigen von Bains de la Reine; vor allen
aber im Departement Constantine die heißesten (95 o C) von
Hammam Meskutin, deren Sinterterrassen ein kleines Gegen-
— 31 —
stück zum Yellovvstone-Park und zu Neuseelands Geiser-
gebiet bilden.
Erdbeben sind in Algerien verhältnismäßig häufig,
aber selten stark.
Das Klima vereinigt die Eigenschaften der gemäßigten ^lima.
und der heißen Zone und ist nach drei Gebieten zu unter-
scheiden. Das nördliche Gestade mit dem angrenzenden
Teil hat Mittelmeerklima mit verhältnismäßig trocknen Som-
mern und feuchten Wintern. Die mittlere Temperatur von
Algier beträgt 17'-" und weist Extreme von 1,6 und 40"
auf; die jährliche Regenmenge beträgt im Westen kaum
50 cm, übersteigt in der Kabilie 1 m und sinkt nach der
tunesischen Grenze zu wieder auf 70 — 80 cm. Am
trockensten ist also die Provinz Oran, und deshalb sind
gute Ernten hier seltener, man rechnet nur eine solche auf
vier; dagegen ist diese Provinz für Viehzucht gut geeignet.
Die Hochebenen weisen kontinentales Klima mit warmen
Sommern und sehr kalten Wintern auf, welche jedes Jahr
Schnee und nicht selten eine Kälte von — 10" C bringen,
mit stärkstem Regenfall im Frühjahr. Die Sahara endlich
hat sehr heißen Sommer und relativ kühle Winter, im allge-
meinen sehr große Trockenheit und die größte Regenmenge
im Mai. Die Steppenzone weist durchschnittlich 40 cm
auf, aber selbst am Südabhang des Atlas haben einzelne
Oasen (Biskra, Laghuat) noch 15 cm Regen, während der
durchschnittliche Regenfall im Sahara-Atlas kaum 10 cm
beträgt, allerdings über das ganze Jahr verteilt. Im allge-
meinen fällt die Regenzeit in die Monate November bis
April. Die Nordwest-Winde bringen die Feuchtigkeit, und
diesen ausgesetzte Gegenden sind deshalb die regenreicheren
und der Kultur günstigeren.
Der Gesundheitszustand der europäischen Be-
wohner ist am befriedigendsten im Frühjahr; im Juli beginnt
— 32 —
die große Hitze und Trockenlieit, währendder das Arbeiten
auf freiem Felde für Europäer gefährlich ist. Der Wüsten-
wind, welcher schwere Staub- und Sandwolken aufwirbelt,
übersteigt zuweilen die Temperatur von 50 ", und die Wärme-
schwankungen sind außerordentlich groß. Die Wasserarmut
des heutigen Algerien im Gegensatz zur römischen Zeit ist
übrigens wohl nicht nur auf den Verfall der künstlichen Be-
wässerung, sondern auch auf klimatische Änderungen zurück-
zuführen.
Die beste Besuchszeit für Algerien liegt zwischen No-
vember und Ende Mai, und besonders schön sind die Monate
April und Mai.
Flora. Die Pflanzenwelt Algeriens zeigt den Charakter der
Mittelmeerflora. Auf dem gut bewässerten, kulturfähigen
Teil, am Nordabhang des Kleinen Atlas, entwickelt sich
eine reiche einheimische Pflanzenwelt, welche lebhaft an die
des südlichen Spaniens erinnert. Unter den Kulturgewächsen
stehen obenan die überall angebaute Dattelpalme, deren
Früchte allerdings an der Küste nicht völlige Reife er-
reichen — die nördlichste Oase dafür ist El Kantara — die
Feige, der Ölbaum und der Feigenkaktus; auf den Feldern
Gerste, Weizen, Hirse, Mais, Hafer und Tabak, in den Gärten
Südfrüchte und mitteleuropäische Gemüse in üppiger Fülle.
Das Atlasgebirge bietet wenig eigentümliche Formen; die
durch das ganze Gebiet verbreiteten Nadelhölzer der atlan-
tischen Zeder, der Aleppokiefer und Juniperus, immergrüne
Eichen, Eschen und Kastanien bilden die Wälder, denen sich
ein Maquis grüner Büsche und Sträucher anschließt, während
alpine Formen europäischen Anklangs die Gipfel bedecken.
Auf dem Hochland der Schotts, zwischen dem Kleinen und
Großen Atlas, breitet sich eine wohlcharakterisierte Steppen-
flora aus; neben Salsolaceen, Atriplex, Artemisia und Thymian-
— 33 —
Arten und dem dornenreichen Zizyphus- Gestrüpp erreichen
hier die Gräser einen hohen Wuchs, besonders das wich-
tige Haifa-Gras (Stipa tenacissima), dessen Produktions- 1
gebiet in der Provinz Oran, welche weitaus den Haupt- 1
teil der Ausfuhr liefert, das Meer erreicht; auch Zwerg-
palmen sind hier noch vertreten. Die an die südliche Ab-
dachung des Großen Atlas sich anlehnende Steppe zeigt den
Vegetationscharakter des andalusischen Tafellands und geht
dann allmählich in das Florengebiet der Sahara über, aus
welchem inselförmig nur die Oasen hervortreten.
Unter den neuerdings eingeführten Pflanzen ist be-
sonders der australische Eukalyptus zu nennen, der mit-
geholfen hat, sumpfige Gegenden gesünder zu machen und
auch Nutzholz für Eisenbahnschwellen und Bergwerke liefert;
sodann der Talgbaum Stillingea sebifera, die Banane und
die japanische Mispel.
Was die Fauna betrifft, so finden sich in den Gebirgen Fauna.
des Teil und Atlas noch Löwen und Leoparden, häufiger sind
Panther, Hyänen, Schakale, Sumpfluchs, das wilde Mähnen-
schaf, der berberische Affe, eine Gazelle, das Ichneumon
und mehrere giftige Schlangen. Von Wildpret sind besonders
Wildschwein, Hasen und Rebhühner zu nennen. Heuschrecken
sind auch in Algerien häufig und die Küsten des Landes
sind reich an Fischen und Korallen.
Die Bevölkerungsziffer Algeriens wurde 1901 auf Bevölkerung
einem Gebiet von 478 971 qkm mit 4 739 000 Köpfen an-
gegeben und verteilte sich wie folgt: Araber und Berber
4072000, Franzosen in Frankreich geboren 121000, in
Algerien geboren 171000, naturalisierte Fremde 72 000,
naturalisierte Juden 57 000, Spanier 155 000, Italiener 39000,
Malteser 13 0()0. Marokkaner 24 000, Tunesier 2000, andere
Schanz, Algerien, Tunesien, Tripolitanien. 3
— 34 -
Fremde: Deutsche, Schweizer, Belgier, Engländer usw. 12 000.
Es entfielen dabei auf die einzelnen drei Departements Algier
1 641 000, Oran 1 107 000 und Constantine 1 991 000 Seelen.
Abgesehen von einigen kleineren Stämmen und Rassen
gehören die eigentlichen Eingeborenen den Arabern und
Berbern an, und zwar zählte man deren 1896 bei einer
Gesamtbevölkerung von 4 403 000 Köpfen 3 035 000 Araber
und 692 000 Berber.
Zu den Arabern rechnet man die Beduinen, die
Zeltbewohner des freien Landes, echte Nomaden, meist
Nachkommen der dritten arabischen Invasion aus dem 11.
Jahrhundert, die ihre Namen und Stammbäume erhalten und
sich teilweise, bis zum heutigen Tage, mit den Berbern ver-
mischt haben. Im Teil, den sie zum großen Teil bewohnen,
treiben die Beduinen Ackerbau und Viehzucht, in der Sahara
nur letztere, und zwar leben sie in Zelten oder Reiserhütten
(Gurbis). Die Araber leben in patriarchalisch zusammen-
gehaltenen Familien, mehrere Familiengruppen bilden das
Zeltdorf, Duar, mehrere Duars die Ferka, welche unter
einem, vom obersten Machthaber des Stammes ernannten
Scheich steht. Am wenigsten nomadisch ist die Bevölkerung
im Departement Constantine, dem fruchtbarsten und wald-
und erzreichsten.
Die seßhaften Eingeborenen in den Städten, die so-
genannten Mauren, etwa zwei Millionen an der Zahl, die
sich selbst Hadar, d. h. „Hausbewohner", im Gegensatz zu
den Hal-bid-etschaar d. h. „Zeltbewohnern" oder Beduinen
nennen, sind meist wohl Nachkommen der romanisierten
alten Mauretanier, also ursprünglich berberischer Rasse, aber
längst arabisiert, teils auch echte Araber und Nachkommen
der aus Spanien vertriebenen Mauren. Sie sind, mit Aus-
nahme der oberen Klassen, ein verarmtes und im Abnehmen
begriffenes Volk, das seinen Unterhalt im Kleinhandel,
— 35 —
besonders aber als Handwerker und Tagelöhner findet und
von der „europäischen Zivih'sation" nur die schlechten Seiten
angenommen hat. Ein Mittelstand ist unter den algerischen
Arabern kaum vertreten, es gibt unter ihnen vielmehr fast
nur Reiche und Proletariat.
Die Kabilen, wie man hier die Nachkommen der am
wenigsten vermischten alten Berber nennt, etwa 700000
Köpfe, bewohnen größtenteils die Provinz Constantine, das
alte Numidien, leben in Dörfern mit gemauerten Häusern
und treiben sorgsamen Ackerbau und ein wenig Industrie.
Die politische Einheit der Kabilen bildet nicht die Familie,
sondern das Dorf, die Dechra, unter einem Amin, der von
seinen Untergebenen gewählt wird ; im Gegensatz zu der
patriarchalisch-aristokratischen Verfassung der Araber ist die
der Kabilen mehr demokratisch. Die Kabilen sind arbeitsam
und sehr mäßig, den Fortschritten europäischer Kultur in
mancher Beziehung leichter zugänglich als die Araber, aber
anderseits fanatisch, barbarisch, schmutzig und geizig. Auch
die in den Aures-Bergen lebenden Zenati, die aus den Oasen
des Ziban stammenden Biskrih und die Leute vom Stamme
der Beni Mzab sind verhältnismäßig reine Berber.
Der wichtigste Berberstamm der Sahara sind die Tua-
regs, die Nachkommen der alten Gätuler und Garamanten,
fanatische und treulose Gesellen, welche in mehreren, meist
einander feindlichen Stämmen, zwischen Niger und Tibesti
hausen, hauptsächlich in den Oasen des Tuat und in den
Landschaften Asgar und Ahaggar, und raubend und V^ieh-
zucht treibend, die Wüste durchstreifen.
Die Tuat-Oasen besitzen in 350 Siedelungen gegen
200000 Bewohner, und daneben sind noch etwa ebensoviel
Nomaden zu rechnen.
Zum Glück für die Franzosen sind die Eingeborenen
Algeriens sehr verschiedener Abstammung, hassen sich unter-
— 36 —
einander und haben keine gemeinsame Vaterlandsliebe; nur
der Islam bildet ein mächtiges Bindeglied unter ihnen.
Eine Mischung von Türken und eingeborenen Weibern
sind die Kuluglis.
Die Juden, meist Nachkommen der 1492 gänzh"ch aus
Spanien vertriebenen Israeliten, die aber in Algerien schon
ältere Judengemeinden antrafen, wurden unter der Türken-
herrschaft mißhandelt und unterdrückt, durch die Franzosen
aber mit allen bürgerlichen Rechten ausgestattet und 1870
vollständig emanzipiert. Sie haben sich trotzdem aber keines-
wegs mit den Europäern verschmolzen, sondern sind auf
ihrer alten Kulturstufe geblieben, wenn sie im allgemeinen
auch höher stehen, als die tunesischen und besonders die
marokkanischen Juden. Trotz ihrer geringen Allgemein-
bildung den Mauren im Handel überlegen, erwerben sie teil-
weise schnell Reichtum, beuten die Bevölkerung vielfach
durch Wucher aus und werden von dieser bitter gehaßt.
Sie betreiben in Algerien übrigens auch die verschiedensten
Handwerke.
Die Landessprache der Eingeborenen ist bei den
Arabern und Juden ein korrumpiertes, mit den verschieden-
artigsten fremden Brocken vermischtes Arabisch, bei den
Kabilen ein Berberdialekt, stark mit arabischen und auch
schon mit einer Reihe französischer Worte durchsetzt.
Europäer. Zwischeu den Eingeborenen und den Europäern be-
steht eine tiefe Kluft; Sitte, Sprache, Religion, Geschichte
und Tradition, alles trennt den Moslim von dem verhaßten
Rumi oder Christen. Während die Zahl der 1831 in Algerien
lebenden Europäer nur 3228 betrug, worunter 600 Franzosen,
haben sich diese Zahlen seitdem wie folgt entwickelt:
1838 1851 1861 1872
Europäer 20 131 192 248 Tausend
davon Franzosen 8 66 112 1 30
- 37 -
1881 1886 1891 1896 1901
Europäer 400 500 477 530 584 Tausend
davon Franzosen 233 260 268 318 364
Das französische Element ist begreiflicherweise das
überwiegende, stammt aber nur zum Teile aus dem Mutterland
und umfaßt auch die zahlreichen naturalisierten Spanier und
Italiener, denen es gelungen ist, eine dauernde Existenz im
Lande zu finden, und die besonders seit dem neuen Natu-
ralisationsgesetz vom 26. Juni 1889 Aufnahme gefunden
haben; nach diesem jus soli sind alle auf französischem
Boden von Fremden geborenen Kinder französische Bürger.
Wenn der in Algier geborene Sohn eines Ausländers das
militärpflichtige Alter erreicht hat, so muß er sich entscheiden,
ob er unter der französischen Fahne dienen oder in seine
Heimat zurückkehren will; tritt er in die französische Armee
ein, was gewöhnlich geschieht, so ist seine Naturalisation
damit ohne weiteres beurkundet. Nicht weniger prompt
vollzieht sich die Naturalisation durch Verheiratung zwischen
Franzosen und anderen Eingewanderten, und die seit 1830
herangezogenen französischen Kolonisten -Familien werden
immer mehr von fremdem Blute durchsetzt. Die Naturali-
sierung in Algerien geschieht im übrigen nach Erlaß von
1865, wonach ein jeder, der drei Jahre in Algerien lebt, zu
sämtlichen Rechten eines französischen Bürgers zugelassen,
aber erst nach zehn Jahren in die repräsentativen Körper-
schaften gewählt werden kann. Um unerwünschte Bewerber
zurückzuhalten, verlangt man seit 1898 auch die Kenntnis
der französischen Sprache, und da man der waschechten
politischen Gesinnung der Übergetretenen vielfach nicht recht
traut, fordert man neuerdings von gewisser Seite, den
Nationalisierten politische Rechte überhaupt vorzuenthalten.
Es scheint, daß die meist aus Südfrankreich stammen-
den französischen Kolonisten und ihre Nachkommen nur
— 3S —
solange für eine systematische Arbeitsleistung in Frage
kommen, als sie sich im Besitz ihres Grundeigentums zu
erhalten wissen; ohne diese Grundlage erliegen sie rasch
dem Klima und der Konkurrenz der einheimischen oder der
widerstandsfähigeren spanischen, italienischen und Malteser
Arbeiter. In der Stadt Algerien bilden die verarmten Kolo-
nisten und ihre Nachkommen ein nicht gerade gutmütiges
Proletariat, dessen Bedenklichkeit bei den letzten antise-
mitischen Kundgebungen deutlich in Erscheinung trat. Die
Franzosen sind als Soldaten, Beamte, Kaufleute, Gewerbe-
treibende und Farmer tätig, für harte Lohnarbeit aber liefert
Frankreich nur ein wenig zahlreiches Material in den zur
Zwangsarbeit verurteilten Soldaten zweiter Klasse, den Straf-
bataillonen, die in ihrer beschränkten Zahl nicht als ein
nennenswerter wirtschaftlicher Faktor erscheinen.
Den Charakter als Ausländer scheinen im allgemeinen
nur die spanischen, italienischen und Malteser Arbeiter zu
bewahren, welche für bestimmte Zeit zu öffentlichen Bauten
nach Algerien kommen und sich selbst bei harten Erd-
arbeiten mit einem Tagelohn von 2V2 Francs begnügen;
der Araber ist allerdings schon mit 1 ^U Francs und weniger
zufrieden, leistet aber auch entsprechend weniger. Oran ist
zum Ärger der Franzosen fast eine spanische Provinz ge-
worden, die Spanier sind hier auch als Kaufleute, Klein-
händler und Handwerker tätig, und außerdem sind sie die
Hauptgemüseproduzenten. Die Zahl der Spanier ist von
114000 in 1881 auf 155000 in 1901 gestiegen, die Zahl der
Italiener schwankte in demselben Zeitraum zwischen 33000
und 44000, — 1901: 39000 — , diejenige der Malteser
zwischen 12 000 und 15 000, und von 1856—1896 hat sich
die Gesamtzahl der Spanier und Italiener verdreifacht. Die
große Zahl der Spanier ist den Franzosen keineswegs
angenehm, und so richtete sich denn auch der Erlaß des
— 39 —
Präfekten von Oran. der im Herbst 1904 in den Kirchen
seines Bezirks den Gebrauch einer anderen, als der fran-
zösischen Sprache verbot, natürhch in erster Linie gegen die
Spanier, welche dieses Vorgehen sehr abfällig beurteilten.
Deutsche, darunter Mitglieder der zur Eroberung
Algeriens errichteten „Fremdenlegion", stellten sich schon
mit den ersten Kolonisten ein, im Jahre 1871 bot Frank-
reich Elsaß-Lothringern, die sich zur Auswanderung ent-
schlossen, unter besonders günstigen Bedingungen Eigentum
in Algerien an, und das elsässische Element macht sich auch
heute noch hervorragend unter den französischen Kolonisten
bemerkbar. Nicht allzu selten trifft man noch Söhne und
Enkel der Eingewanderten im Besitz ihrer deutschen Mutter-
sprache an, so z. B. in der Preußen -Kolonie La Stidia bei
Mostaganem, welche 1846 von 90 armen Familien mit 467
Personen, meist aus der Gegend von Trier eingewandert,
gegründet wurde. Sonst sind Kolonisten deutscher Abkunft
besonders noch zu finden in Ste. Leonie bei Arzeu, in den
Dörfern _Prudon und Sidi Lahsen bei Sidi Bei Abbes, in dem
Städtchen Saida, in den Tälern der Kabilei (Menerville z. B.
ist fast ausschließlich von Elsaß -Lothringern bewohnt), in
Ued Tuta bei Bone, in Palestro, auf dem Steppenhochland
bei Batna, weiterhin am Fuße des Biban-Gebirges. Einzelne
sind wohlhabende Grundbesitzer geworden, andere, und
vielleicht die Mehrzahl, haben nach kurzem Glück Schiff-
bruch erlitten, wieder andere Familien sind ganz und gar
ausgestorben, und fast alle deutschen Niederlassungen in
Algerien sind im Laufe der Jahre französisch geworden;
haben doch in den Jahren 1865—1902 rund 10000 Deutsche
in Algerien die französische Staatsangehörigkeit erworben.
Das deutsche Reich unterhält ein Generalkonsulat in Algier.
Die Zahl der Deutschen in Algerien, im Jahre 1896:
5800, nimmt nur durch Zuwanderung, namentlich aus Elsaß-
— 40 -
Lothringen zu, da die Geburtsziffer bei ihnen noch immer
hinter der Zahl der Sterbefälle zurückbleibt, während bei den
Franzosen, wo früher auch in Algerien dasselbe der Fall
war, sich schon ein Geburtsüberschuß herausstellt. Am
besten gedeihen dort von Fremden die Spanier und Italiener,
vor allem aber die Juden (Geburten 45 — 47 "ou, Sterbefälle
2T— 28 " üo), und noch rascher wächst die einheimische mo-
hammedanische Bevölkerung. Hat sich die Zahl der Einge-
borenen von 1872 (2 125 000) bis heute doch verdoppelt,
und wenn es auch immerhin beachtenswert ist, daß es im
Laufe von 75 Jahren gelang, rund 600 000 Europäer in
Algerien ansässig zu machen, so darf doch dabei nicht außer
acht gelassen werden, daß diese Europäer unter sich keines-
wegs einig, sondern daß sie von nationalen Eifersüchteleien
erfüllt, von Parteihader zerrissen und im allgemeinen jeder
Autorität und deren Trägern gegenüber widerspenstig sind;
nur das gemeinsame Bedenken wegen der überlegenen Zahl
der Eingeborenen hält sie zusammen.
Verwaltung. Die Verwaltung Algeriens hat sehr verschiedene
Phasen durchlaufen, da jeder neue Vertreter Frankreichs
auch neue Ideen und Systeme mitbrachte, die er anstelle
der bisher geltenden einzuführen versuchte.
Die Kolonie zerfällt heute in der Richtung von Nord
nach Süd in ein Zivil- und in ein Militärgebiet, und in
der Richtung von West nach Ost in die drei Departements
Oran, Algier und Constantine, welch' letztere Trennung aber
keineswegs natürlichen Grenzen, sondern nur alter histo-
rischer Teilung entspricht. Die einzelnen Departements
zerfallen im Zivilgebiet in Arrondissements, im ganzen
17, und diese wieder in Kommunen; das Militärgebiet
wird in Subdivisio nen und Kreise eingeteilt.
— 41 -
Die X'erwaltung jedes Departements ist geteilt
zwischen einem Präfekten für das Zivilgebiet und einem
Divisionsgeneral für das Militärgebiet; beiden Gebieten ge-
meinsam ist der 1848 geschaffene conseil de prefecture
von je vier rechtskundigen Beamten. Seit 1875 ist dazu in
jedem Departement auch noch ein repräsentativer conseil
general getreten, und zwar setzt sich derselbe in den De-
partements Algier und Constantine aus je 36, in Oran aus
33 gewählten französischen Bürgern der Kolonie zusammen,
wozu in jedem Departement noch 6, von dem General-
gouverneur aus den Notabein des betreffenden Bezirks er-
nannte mohammedanische Beisitzer treten. Diese conseils
generau.x treten jährlich zweimal zusammen und haben die-
selben Befugnisse, wie die gleichen Beiräte in Frankreich.
An der Spitze jedes Arrondissements steht ein
Unter- Präfekt.
Für die Verwaltung der Eingeborenen-Gemeinden
waren frühzeitig die bureaux arabes geschaffen und 1843
von Bugeaud organisiert worden. Dieselben standen unter
einem politischen Bureau in Algier — heute das Zentral-
bureau für Eingeborenen -Angelegenheiten — , bei den Divi-
sionskommandanten jedes Departements bestanden Provinzial-
direktionen, bei den Subdivisionen Bureaus 1. Klasse und
bei den Kommandanten der Kreise solche 2. Klasse; das
Personal wies neben Militär Dolmetscher und Arzt auf.
Diese bureaux arabes, als Mittelglieder zwischen den Häupt-
lingen (Scheichs) der Eingeborenen und der Oberbehörde,
bearbeiteten sämtliche Eingeborenen -Angelegenheiten, ein-
schließlich des Steuer-, Rechts-, Polizei-, Unterrichts- und
Kultus-Wesens, hatten die Aufgabe, einerseits die religiösen
und bürgerlichen Interessen der Eingeborenen, anderseits
diejenigen der Kolonisten in ihren Beziehungen zu den Ein-
geborenen wahrzunehmen, und bildeten, im Gegensatz zu
— 42 —
den häufig wechselnden Oberbeamten, das bleibende
Element der Verwaltung und als solches ein sehr wichtiges
Bindeglied zwischen den Eingeborenen und den Eroberern.
Da sie aber ihre Machtfülle nicht selten auch mißbrauchten,
wurden sie am 12. Mai 1871 aufgehoben. Später wurden
sie allerdings wieder eingerichtet, aber in dem Maße, wie
sich das Zivilgebiet auf Kosten des' Militärgebiets ausdehnte,
verloren auch die schon seit 1868 nur noch in letzterem
wirkenden bureaux arabes an Zahl und Bedeutung.
Heute gibt es dafür neue Verwaltungsformen.
Die 334 Kommunen des Zivil-Distrikts zerfallen in
261 kleinere mit vollständiger Selbstverwaltung unter einem
gewählten Maire und einem nur von den Franzosen ge-
wählten Gemeinderat; und in 73 größere, sogenannte „ge-
mischte" , wo die Eingeborenen an Zahl stark überwiegen
und die Verwaltung Beamten der Zentralverwaltung über-
tragen ist, denen eine nur zum Teil gewählte Munizipal-
kommission zur Seite steht; dieselbe setzt sich aus gewählten
französischen und vom Generalgouverneur ernannten einge-
borenen Beisitzern zusammen. Die 73 „gemischten" Kom-
munen des Zivilgebiets umfassen ''V, desselben überhaupt
und weisen neben 2 600 000 Eingeborenen nur 75 000 Euro-
päer auf. In jeder selbständigen Kommune mit mindestens
100 Eingeborenen sind in dem gewählten Gemeinderat auch
2 — 6 Eingeborene vertreten, die aber nie mehr als ein
viertel der Gesamtmitglieder des Gemeinderats bilden und
höchstens sechs im ganzen zählen dürfen, ein System, das
von den Europäern oft zu Ungunsten der Eingeborenen aus-
genutzt wurde; außerdem wirkt der häufige Wechsel der
französischen Beamten und deren meist ungenügende Kenntnis
des Arabischen ungünstig. Daß die Fremden im Ge-
meinderat nirgends vertreten sind und auch das Wahlrecht
— 43 —
dafür nicht genießen, ist in Anbetracht der besonderen V^er-
hältnisse durchaus verständlich.
Von den 18 Kommunen des Mi! itärgebiets sind
6 sogenannte „gemischte" 1868 geschaffen und 12 „Ein-
geborenen-Kommunen" 1874 eingerichtet. Bei ersteren
funktioniert der Kreiskommandant als Maire und ihm zur
Seite steht eine Munizipalkommission, die sich aus dem Platz-
kommandanten, dem Friedensrichter, gewissen Verwaltungs-
beamten und fünf Beisitzern zusammensetzt, welch' letztere
teils gewählt, teils ernannt werden. Die .,Eingeborenen-
Gemeinde" besteht aus verschiedenen Duars und wird von
einer Munizipalkommission verwaltet, der als Chef der Kreis-
kommandant, ferner verschiedene Offiziere, der Vorstand des
bureau arabe und eingeborene Notable der verschiedenen
Duars angehören. Der Duar, die eigentliche Einheit, steht
unter einem Kaid und der Notablenversammlung der
Dschemaa.
.Außer Duars und Ferkas (Gemeinden) bildet die einge-
borene Bevölkerung noch Uls (Stämme) und Arraliks (Ver-
einigung von Stämmen).
Eingeborene dürfen ihren Wohnsitz nur mit einem
Reisepaß versehen verlassen, den die Ortsbehörden gratis
ausstellen, und der unterwegs und am Reiseziel visiert wird.
Durch fortschreitende Ansiedlungen nimmt natürlich
das territoire civil fortwährend auf Kosten des territoire mi-
litaire zu, und letzteres rückt immer weiter von der Küste
ab, sodaß es heute nur noch den größeren Teil der Hoch-
ebene und die Sahara umfaßt. Im Jahre 1901 stellte sich
das Verhältnis zwischen den beiden verschiedenen Ver-
waltungsgebieten wie folgt:
Territoire civil 131000 qkm mit 4 150 000 Einwohnern,
militaire 348 000 „ „ 589 000
während das Zivilgebiet im Jahre 1870 erst 493 000 und
— 44 —
noch IcSTT nur 1 316 000 Köpfe zählte. Nach der Eroberung
der Tuat- Oasen ist am 6. Dezember 1902 die algerische
Sahara als ein besonderes Mihtärgebiet der „territoires du
Sud" konstituiert worden, dem man am 24. Dezember 1902
auch eine besondere Verwaltungs- und Finanzorganisation gab.
Durch dieses Gesetz vom 24. Dezember 1902 wurde
das Generalgouvernement Algerien in zwei Teile mit ge-
trennter Verwaltung geschieden, nämlich in das eigent-
liche Algerien und in die Südterritorien, welch' letztere
gleichzeitig in das Gebiet der Sahara hinein erweitert wurden,
entsprechend der Ausdehnung der französischen Macht seit
1899. Nach dieser neuen Einteilung verteilen sich Areal und
Bevölkerung (laut Zählung von 1901) wie folgt auf:
1. Algerien.
36 900 qkm
23 800
31 900
21 800
Oran, Zivilgebiet
Militär- ,,
Algier, Zivil- ,,
Militär- „
Constantine Zivilgebiet 62 100
Militärgebiet 23 400
960 000 Einwohner
91 000
1 422 000
93 000
1 768 000
107 000
II.
Alte Gebietsteile
Neue
199 900 qkm 4 441 000 Einwohner
Süd-Territorien.
279 000 qkm 298 000 Einwohner
62 000
411000 „
690 000 qkm
Summa: 890 000 qkm
360 000 Einwohner
4 800 000 Einwohner.
An der Spitze der Kolonie steht ein in Algier resi-
dierender General-Gouverneur, der auf Vorschlag des
Ministers des Innern durch Dekret des Präsidenten der Re-
publik ernannt wird, jährlich 60 000 Francs Gehalt, dazu
40 000 Francs für Repräsentationskosten und 10 000 Francs
für Sekretariatsspesen bezieht und über allen Militär- und
— 45 -
Zivilbeamten der Kolonie steht; betreffs der Ernennung
aller oberen Beamten wird er konsultiert. Der General-
Kommandant des XIX. Armeekorps und der Kommandant
der algerischen Marine sind , soweit Sicherung der Landes-
grenzen und Besetzung und Organisation der „territoires de
commandement" in Frage kommen, durch ein Dekret vom
Juli 1901 dem Generalgouverneur unterstellt. Als Reprä-
sentant Frankreichs in Nordafrika korrespondiert er direkt
mit dem französischen Gesandten in Tanger, mit Frankreichs
Generalresidenten in Tunis und mit dem französischen Ge-
neralkonsul in Tripolis. Hinsichtlich der politischen Ver-
waltung untersteht der Generalgouverneur dem französischen
Minister des Innern, in allen anderen Angelegenheiten aber
war er bis vor kurzem von den betreffenden französischen
Ministerien abhängig, mit denen er direkt korrespondiert.
Diese nach dem Mutterland hin gravitierende Zentrali-
sation machte die Kolonie aber vielfach zum Spielball
parlamentarischer Einflüsse, und so hat man durch Organi-
sationsgesetze von 1896, 1898 und 1901 die Gewalt des
Generalgouverneurs mehr und mehr gestärkt und nur die
Departements der Justiz für Nichteingeborene, für Kultus,
Unterricht und Finanzen unter den entsprechenden franzö-
sischen Ministerien belassen.
Dem Generalgouverneur unmittelbar unterstellt sind ein
Zivilkabinet, ein Militärkabinet und ein Zentralbureau für Ein-
geborenen-Angelegenheiten und Militärpersonalien (das alte
,, politische Bureau"), sowie ein Generalsekretär, welcher die
Zivilangelegenheiten bearbeitet und den Generalgouverneur
im Bedarfsfall vertritt.
Sodann hat man im Dezember 1900 unter Jonnart für
die Zentral -Verwaltung der Kolonie drei Direktionen ein-
gerichtet, nämlich je eine für Finanzkontrolle; für öffentliche
Arbeiten und Bergbau; und für Ackerbau, Handel und In-
— 46 —
dustrie, denen Revoil 1901 auch noch eine Direktion für
Eingeborenen -Angelegenheiten zufügte. Gleichzeitig wurde,
um das Generalgouvernement zu entlasten und eine größere
Dezentralisation zu erzielen, den Departementspräfekten eine
weitergehende Zuständigkeit als bislang eingeräumt und in
jedem Departement ein Generalsekretär für die Departements-
und Gemeindeverwaltung und ein anderer Generalsekretär
für die Eingeborenen -Verwaltung und die allgemeine Polizei
angestellt.
Dem obersten Beamten Algeriens sind schon von 1830
an eine oder mehrere Beiräte zugeordnet worden, deren
Namen und Bedeutung wechselten. Das Dekret vom 10. De-
zember 1860 schuf den nur aus Oberbeamten bestehenden,
einmal wöchentlich zusammentretenden conseil de gou-
vernement, daneben aber den conseil superieur de
gouvernement, der außer Beamten auch Vertreter der
anderen Berufsklassen aufweist. Diese letztere ,,assemblee"
ist 1875 und zuletzt durch ein Dekret vom 23. August 1898
reorganisiert worden, welches gleichzeitig eine zweite as-
semblee, die drei delegations financieres, neu schuf.
Der conseil superieur umfaßt ex officio 22 hohe
Regierungsbeamte, zu denen der Gouverneur noch 4 weitere
Beamte und 3 notable Eingeborene ernennt, während als
Vertretung der Bevölkerung 16 Mitglieder der 3 Finanz-
delegationen — darunter 4 der Eingeborenen — und je
5 Vertreter der 3 Departementsräte dienen, sodaß also 29
ernannten 31 vom Volke gewählte Mitglieder gegenüber-
stehen. Die Hauptbefugnis dieses conseil superieur bildet
die Beratung des vom Generalgouverneur aufgestellten Bud-
getentwurfs und von Verwaltungsfragen. Der conseil supe-
rieur tritt jährlich einmal und zwar nach den delegations
financieres zusammen.
— 47 —
Die drei delegations financieres, denen die Be-
ratunji und Kontrolle der Finanzen der Kolonie zusteht,
werden von den drei Gruppen der Kolonisten, der Nicht-
kolonisten und der Eingeborenen auf sechs Jahre gewählt,
und zwar wählen die beiden ersten Gruppen in jedem De-
partement je 8 Mitglieder aus den in die Munizipallisten
eingeschriebenen Bürgern, welche mindestens 25 Jahre alt,
seit mindestens 12 Jahren Franzosen sein und mindestens
3 Jahre in Algerien wohnen müssen. Jede der beiden fran-
zösischen Gruppen wählt also 24 Mitglieder, während die
Eingeborenen-Delegation nur 21 Mitglieder umfaßt, nämlich
aus den drei Departements je drei Gewählte aus dem Zivil-
Gebiet und je zwei vom Gouverneur ernannte aus dem
Militärgebiet, wozu noch sechs von den Kabilen-Häuptlingen
gewählte Mitglieder treten. Jede der drei Delegationen berät
im allgemeinen für sich allein; durch besondere Verfügung
des Gouverneurs können sie aber zu gemeinsamer Beratung
von Fragen allgemeinen Interesses zusammentreten. Die
Einrichtung der Delegationen hat sich bislang im großen
ganzen recht gut bewährt und gibt der Bevölkerung, ohne
einen für Algerien unangebrachten Parlamentarismus einzu-
führen, Gelegenheit, ihre Meinung über Steuer- und anderen
Finanzfragen zum Ausdruck zu bringen.
Die Dauer der jährlichen Sessionen der beiden algeri-
schen assemblees, die man ungefähr mit einem Ober- und
Unterhause vergleichen kann, ist auf einen Monat beschränkt.
Nachdem Algerien bereits in den Jahren 1848-1852
eine Vertretung in den französischen Kammern hatte,
ist ihr dieselbe 1870 aufs neue eingeräumt worden; jedes
der drei Departements schickt heute zwei Deputierte und
einen Senator nach Paris, und zwar nehmen an den Wahlen
dafür nur die Franzosen, nicht aber die Moslims teil, da
— 48 —
man den Eingeborenen nur als französischen Untertan, nicht
aber als französischen Bürger betrachtet und behandelt.
Rechtswesen. Die Justizverwaltung zerfällt zunächst, jedoch nur
für einzelne Fälle, in zwei Abteilungen, deren eine alle die
Europäer betreffenden Angelegenheiten, die andere die
unter den Eingeborenen vorkommenden Rechtshändel
entscheidet. Im allgemeinen aber sind alle Bewohner, ohne
Unterschied der Nationalität und des Glaubens, den franzö-
sischen Gerichten unterstellt. Nur gewisse, nach dem Koran
straffällige Vergehen, welche in dem französischen Gesetz-
buch nicht vorgesehen sind, kommen vor die Kadis, deren
Rechtsprechung zuweilen grausamer ist, als die französische,
und laut Dekret von 1886 sind ihnen alle Streitigkeiten über
Personenstand, über Nachlaßrechte unter nichtnaturalisierten
Muselmanen und über nichtfranzösisierten Grundbesitz
vorbehalten. Im Straf recht ist auch der Eingeborene
dem französischen Gericht und nicht dem Kadi unterstellt;
sein Zivilrecht aber kann er nach eigener Wahl bei den
französischen oder den eingeborenen Richtern suchen. All-
gemein wird das mohammedanische Recht, mit Ausnahme
der vorstehend genannten drei besonderen Fälle, nur noch
in der Kabilei und im Militärbezirk angewandt.
Die für die europäische Bevölkerung bestehenden
Gerichte sind auf ganz ähnliche Weise wie im Mutterland
zusammengesetzt, über den 16 Gerichtsköfen erster Instanz
steht ein Appellhof in Algier, Schwur- und Handels-
gerichte bestehen in Algier, Oran, Constantine und Bone,
und außerdem gibt es in der Kolonie 118 Friedensrichter.
Was die rechtliche Stellung der Fremden in Algerien
anbelangt, so sind auch für sie, anstelle der abgeschafften
Konsulargerichtsbarkeit der früheren Kapitulationen, ohne
weiteres die französischen Gerichtshöfe getreten. Die Frem-
den unterstehen, wie in anderen französischen Gebieten, einer
— 49 —
gewissen polizeilichen Kontrolle, und der Generalgouverneur
hat ihnen gegenüber laut Bestimmungen von 1841 das Aus-
weisungsrecht.
Was das Kirchen wesen anbetrifft, so fand sich die Kirchenwesen,
französische Regierung, da der mohammedanische Kultus
aufs engste mit dem bürgerlichen Leben verknüpft ist, ver-
anlaßt, die vorhandenen religiösen Einrichtungen nicht nur
zu respektieren, sondern auch als Regierungsmittel zu be-
nutzen. Eine ihrer ersten Maßregeln war deshalb die, sämt-
liche Moscheengüter der eroberten Territorien für Staatsgut
zu erklären und alle Kosten des Kultus selbst zu über-
nehmen, während die geistlichen Angelegenheiten der Moslims
von zwei Muftis geleitet werden.
An der Spitze der katholischen Kirche steht der
Erzbischof von Algier, welchem zwei Bischöfe in Oran und
Constantine unterstellt sind; auch besteht in Algier ein großes
und ein kleines Priesterseminar. Besondere Verdienste um
die Organisation der katholischen Religion in Afrika und die
Ausbreitung des Christentums unter den Eingeborenen erwarb
sich der überaus eifrige Kardinal Lavigerie, der seit 1867 als
Erzbischof in Algier tätig war und unter anderem auch die
Kongregation der Peres Missionaires d' Afrique, der soge-
nannten Weißen Väter, gründete. Die Angelegenheiten der
protestantischen Kirche leitet das Konsistorium in Algier.
Hospitäler sind in allen Teilen der Kolonie einge-
richtet.
Für das Volksschulwesen ist insoweit gesorgt, daß Unterricht.
in jeder Gemeinde sich gegenwärtig mindestens eine Volks-
schule befindet, doch sind dieselben von den Eingeborenen
überaus schwach besucht; von 105 000 Kindern europäischer
und israelitischer Abkunft besuchten im Jahre 1901: 90 000
die Volks- und Privatschulen, dagegen von 676 000 Kindern
Schanz, Algerien, Tunesien, Tripolitanien. 4
— 50 —
im Alter zwischen 6 und 13 Jahren der Eingeborenen bloß
25 000. Nur der aristokratische oder vermögende Araber,
den die Erlangung eines Staatsamts oder Ordens reizt, ent-
schließt sich öfters, seinen ältesten Sohn in die französische
Schule zu schicken, damit er Jurist oder Offizier werde;
auch hat die Regierung französische Schulen mit moham-
medanischem Ritus in Tlemsen, Algier und Constantine ein-
gerichtet, in denen man tüchtige muselmännische Beamte
heranzubilden hofft. Neben den Volksschulen bestehen
Schulbibliotheken und für Erwachsene Abendkurse, von
höheren Lehranstalten drei Lizeen für Knaben in Oran,
Algier und Constantine, Seminare ebendaselbst und in Mi-
lianah, eine Schule der Medizin und Pharmazie, eine Rechts-
schule, eine naturwissenschaftliche und philosophische Schule
und eine Kunstschule in Algier, eine Ackerbauschule in
Philippeville; für Mädchen gibt es höhere Schulen in Oran
und Constantine.
Zeitungen sind in der Kolonie recht zahlreich ver-
treten, man zählt deren gegen hundert, darunter auch einige,
die in französischer und arabischer Sprache erscheinen.
Das französische „Journal officiel" wird auch für Algerien
benutzt; ein besonderes „Journal officiel de 1' Algerie" hat
nur 1872 — 73 bestanden.
Verteidigung. Die Streitkräfte der Kolonie, welche durch fort-
währenden Kleinkrieg und durch das Lagerleben auf einer
hohen Stufe der Kriegsbereitschaft stehen, setzen sich aus
französischen und eingeborenen Truppen zusammen, und
auch erstere liefert heutigen Tages zum großen Teile die
Kolonie selbst.
E^is 1875 waren die in Algerien ansässigen Franzosen
gänzlich vom Militärdienst befreit und wurden erst dann
unter gewissen Bedingungen dazu herangezogen; seit 1889
— 51 —
haben sie ein Jahr aktiven Heeresdienstes bei dem in
Algerien stationierten 19. Armeekorps zu leisten, soweit sie
dauernd oder wenigstens bis zu ihrer Überführung in die
Territorialarmee in der Kolonie leben. Im Interesse einer
lückenlosen Durchführung des Systems der zweijährigen
Dienstzeit haben die französischen Kammern Ende 1904
aber, gegen die Ansicht des Ministerpräsidenten, des Kriegs-
ministers und des Generalgouverneurs von Algerien, auch
für Algerien und Tunesien die Annahme des zweijährigen
Dienstes beantragt.
Dagegen sind die in Algerien lebenden Fremden auch
heute noch militärfrei, mit Ausnahme der auf französischem
Boden geborenen Spanier, welche laut Konvention von
1862 in französichen Regimentern dienen müssen, wenn sie
nicht militärische Diensterfüllung in Spanien nachweisen
können.
Auch die Eingeborenen sind, mit Ausnahme der
„Gums", der Rekrutierung nicht unterworfen; da man sie
nicht als französische Bürger betrachtet, haben sie auch
weder deren Rechte noch Pflichten; dagegen werden sie
auf freiwillige Meldung hin zu vierjährigem Dienste ein-
gestellt, und diesem ersten Engagement können zwei weitere
ä vier Jahre und schließlich ein viertes zu drei Jahren
folgen. Bis 1903 konnten die Eingeborenen nur in Spezial-
regimentern, bei den 1842 geschaffenen Tu r kos oder Ti-
railleurs indigenes und bei den reitenden Spahis dienen, die
bereits 1830 eingerichtet wurden; um dem europäischen
Militär in Südalgerien den dort sehr anstrengenden Dienst
zu erleichtern, dürfen Eingeborene seit 1903 aber auch bei
Artillerie, Genie, Train, Verwaltung und Krankendienst ein-
gestellt werden. Die Spahis sind teils wie die anderen Trup-
pen kaserniert, teils mit ihren Familien und Herden auf
AuBenposten in Smalahs angesiedelt, wo sie ein ihnen zu-
4»
— 52 -
gewiesenes Stück Land bebauen. In den Turkos- und Spahi-
Regimentern besteht die Hälfte der Korporale, Sergeanten,
Unteroffiziere und Leutnants aus Eingeborenen, die höheren
Offiziere sind aber auch in diesen Truppenteilen ausschließ-
lich Franzosen. Die „Gums", ein Aufgebot eingeborener
Reiter, bilden eine Art Miliz, die auf Befehl des französischen
Kommandanten von den Stammesoberhäuptern zu Expe-
ditionen zusammengezogen und zu Eskorten, Vorposten und
als Plänkler verwandt werden. Diese Gums, Angehörige
befreundeter Araberstämme, sind zur Bekämpfung anderer
Araber, Berber und Marokkaner fast noch besser, als die
Spahis zu verwenden, weil sie mit der Kampfart des Feindes
und dessen Schlupfwinkeln, sowie mit den Anstrengungen
des Wüstenlebens besonders vertraut sind.
Die aus Franzosen gebildeten algerischen Truppen
sind die auch bereits 1830 eingerichteten Zuaven- Infanterie-
regimenter, ferner die 1832 gebildete leichte afrikanische
Infanterie der sogenannten „Joyeux" oder ,,Zephyrs" und
sodann die 1831 gebildete und mit arabischen Pferden ver-
sehene Kavallerietruppe der Chasseurs d' Afrique, die
sich meist aus den schon recht zahlreichen Kolonistensöhnen
rekrutieren. Außerdem steht der größere Teil der beiden
Regimenter der Fremdenlegion in Algerien; letztere wurde
nach der Juli-Revolution gebildet, um sich der zweifelhaften
Elemente der Hauptstadt zu entledigen und 1831 in Toulon
nach Algerien eingeschifft. Diese Truppe zählte 1834 bereits
5600 Mann, meist Abenteurer, worunter leider -'3 Deutsche.
Das in Algerien stationierte und dem französischen
Kriegsministerium unterstehende 19. Armeekorps gehört in
Infanterie und Kavallerie ausschließlich Algerien an —
französische Regimenter sind in normalen Zeiten nicht in
Algerien stationiert , dagegen sind Artillerie, Train und
Genie von Truppen des Mutterlandes detachiert.
— 53 —
Die Gesamtstärke in Algerien beträgt etwa 55 000 Mann,
nämlich bei der Infanterie: je drei Regimenter Zuaven und
Turkos, den größten Teil der beiden Fremdenregimenter,
zwei Bataillone leichte afrikanische Infanterie und drei Straf-
kompanien; bei der Kavallerie: fünf Regimenter Chasseurs
d' Afrique und drei Regimenter Spahis; ferner neun Batterien
Artillerie, neun Train- und vier Genie-Kompanien.
Dazu treten noch für die Polizei des äußersten Südens
die aus verschiedenen Truppenarten — Infanterie, Artillerie,
Kavallerie und Kamelreitern zusammengesetzten, 1902
gebildeten drei Kompanien der Sahara -Oasen für Gurara,
Tuat und Tidikeld, denen 1904 eine vierte in Beni Abbes am
Wad Saura und eine fünfte in Colomb bei Beschar am Wad
Kherua zugefügt wurden.
Die sämtlichen Truppen sind übrigens in der Wirk-
lichkeit meist nur mit kleinen Teilen in ihren Garnisonen zu
finden; die meisten Einheiten stehen an der marokkanischen
Grenze bis tief nach dem Süden hinunter.
Zu den genannten Heeresteilen tritt in Algerien auch
noch eine Territorialarmee, bestehend aus zehn Batail-
lonen Zuaven, sechs Eskadronen Chasseurs d' Afrique und
zehn Batterien, und ferner weist Algerien 228 Brigaden
Gendarmerie auf, wovon 176 zu Pferde und 52 zu Fuß.
Die in Algerien stationierte Marine untersteht einem
Konteradmiral. Die für das algerische Marineheer Ein-
geschriebenen sind seit 1896 den gleichen Bedingungen wie
in Frankreich unterworfen, d. h. sie sind vom 18. — 50. Jahre
dienstpflichtig, haben aber nur ein Jahr aktiven Dienst. Die
Zahl der Eingeschriebenen belief sich 1903 auf 6560, wovon
540 geborene, 5440 naturalisierte Franzosen und 580 Ein-
geborene waren.
Dazu tritt seit 1903 noch eine, von eingeborenen Mos-
lims gebildete Baharia, deren Mitglieder zu mindestens drei
— 54 —
Jahren aktiven Dienstes bei der französischen Flotte ver-
pfhchtet sind.
Die Küstenbefestigungen Algeriens sind gewaltig
verstärkt worden und Rachgun an der Mündung der Tafna
soll als Kriegshafen ausgebaut werden.
Finanzen. Die Finanzlage der Kolonie ist bis heutigen Tages
eine wenig befriedigende, da das Mutterland, einschließlich
der Kosten für das Militär, noch immer große Zuschüsse zu
leisten hat, deren Gesamthöhe sich von 1830 bis 1901 auf
rund 4650 .Millionen Francs belief. Ein Spezial-Budget
für Algerien war zwar schon 1839 eingerichtet, 1845 aber
wieder aufgehoben und 1854 durch Generalgouverneur Ran-
don, 1861 durch Marschall Pe'lissier, 1870 durch Senator
Behic, 1887 durch Generalgouverneur Tirman, 1893 durch
Jonnart, 1898 durch das Kabinett Brisson vergebens an-
geregt worden, bis endlich das Gesetz vom 19. Dezember
1900 ein solches schuf und damit eine weitgehende finan-
zielle Selbstverwaltung der als Zivilpersönlichkeit anerkannten
Kolonie anbahnte. Nach diesem neuen Abkommen bean-
sprucht das Mutterland aus den Einnahmen Algeriens für
sich ausschließlich nur noch die Erträge der Staatsmonopole
— Post und Telegraph — und der Militärtaxe; dagegen be-
streitet Algerien ab 1. Januar 1901 die gesamten Spesen der
Zivilverwaltung, der Gendarmerie und die Pensionen der
Kolonialbeamten. Alle Militärausgaben — jährlich etwa
55 Millionen Francs — gehen für Rechnung des Mutter-
landes, ebenso die Zinsgarantien für die vor dem 1. Januar
1901 in Betrieb genommenen Eisenbahnen, jährlich rund
22 Millionen Francs, letztere aber nur bis zum 1. Januar
1926; alsdann soll Algerien für sein Eisenbahnwesen selbst
aufkommen. Sobald der projektierte Reservefonds 5 Mil-
lionen Francs übersteigt, soll auch schon vor 1926 ein
— :33 —
Drittel der jährlichen Überschüsse zur Deckung dieser Zins-
garantien beitragen.
Die Aufstellung der jährlichen Spezial- Budgets erfolgt
durch den Generalgouverneur unter der Kontrolle des Mi-
nisters des Innern; es wird sodann den vereinigten Finanz-
abteilungen der drei Delegationen und dem conseil superieur
de gouvernement zur Beratung vorgelegt und durch Dekret
des Präsidenten der Republik genehmigt; dem französischen
Parlament ist nur insoweit Stimmrecht für das Spezialbud-
get reserviert, als die Erhebung der Zölle und Einnahmen
durch das jährliche Finanzgesetz autorisiert wird.
Im Jahre 1902 wurde die Kolonie auch ermächtigt,
eine in spätestens 60 Jahren rückzahlbare Anleihe von 50
Millionen Francs für öffentliche Arbeiten, Kolonisation und
Aufforstung aufzunehmen; die 500 Francs-Stücke dieser
mit 3 "„ zu verzinsenden und zu 480 Francs ausgegebenen
Anleihe waren Anfang 1905 mit 460 Francs notiert.
Der Umfang des Budgets ist in der Letztzeit nur ge-
ringen Schwankungen unterworfen gewesen und wies auf in
1884 95 96 97 98 99
Einnahmen 43 48,3 52,3 53,8 53,4 54,1 Mill. Francs
Ausgaben 122,6 73,4 72,1 71 73,7 73
1900 Ol 02 03 04
Einnahmen 55,9 55,3 56,4 67,1 65 Mill. Francs
Ausgaben 71 55,2 54,3 65,4 65
Der Zurückgang in den Ausgaben ab 1900 erklärt sich
dadurch, daß die Zinsgarantien für die Eisenbahnen im
Betrage von rund 11 Millionen Francs seitdem direkt vom
Mutterland übernommen wurden. Die Budgets von 1903
und 1904 enthalten je 10 Millionen außerordentliche Ein-
nahmen und Ausgaben.
Die ordentlichen Einnahmen des Budgets 1904 weisen
an Hauptposten auf: Direkte Steuern 12,4 Millionen, davon
- 56 —
8.1 arabische Steuern; indirekte Steuern 28,8 Millionen,
davon 12,3 Zölle; Post und Telegraph 5,8; Domänen und
Forste 4,1 Millionen Francs.
Dagegen verteilten sich im gleichen Jahre die ordent-
lichen Ausgaben auf: Öffentliche Arbeiten 8,3, allgemeine
Verwaltung 7,2, Post und Telegraph 6,6, Erhebungskosten 6,
Unterrichtswesen 5,7, Strafwesen und Justiz 4,6, öffentliche
Sicherheit 3,2, Forste 3, Kolonisation 2 und öffentliche
Unterstützung 2,7 Millionen Francs.
Zu dem Budget von 65 Millionen für das eigentliche
Algerien kamen 1904 noch fernere 2,3 Millionen in Ein-
nahmen und Ausgaben für die Südterritorien.
Was die Steuern anbetrifft, so sind darin die Franzosen
bezw. Europäer in Algerien günstiger gestellt, als in Frank-
reich, ein Vorzug, der seine frühere Berechtigung heute
wohl kaum noch hat. Die Europäer bezahlen an direkten
Steuern nur eine Gewerbesteuer seit 1847, erst seit 1884
eine Grundsteuer und zwar nur auf bebaute Terrains, daneben
Uberschreibungs- und Stempelgebühren. Dagegen haben die
Eingeborenen neben den französischen Steuern auch noch
die sogenannten „Arabischen Steuern" zu entrichten, wie
diese seinerzeit von den Türken in natura erhoben, von
den Franzosen beibehalten, aber seit 1845 in bar erhoben
wurden. Es sind dies folgende vier korangemäße Abgaben :
Der Aschur, der Zehnte der Getreideernte, dessen
Berechnungseinheit die Dschebda bildet, d. h. das mit einem
Paare Rindern zu pflügende Land. Dazu tritt in der Provinz
Constantine als Zuschlag noch der von Abd el Kader in
den Provinzen Constantine und Algier abgeschaffte
Hockor, die alte Karadsch -Steuer auf die von dem
siegreichen Islam den ursprünglichen Eigentümern über-
lassenen Arch- Ländereien.
— 57 —
Der Zekkat oder die Viehsteuer, früher bei den ver-
schiedenen Tieren in verschiedenem Verhältnis in natura
erhoben, beträgt heute in bar 4 Francs für jedes Kamel,
3 Francs für das Rind, 25 Centimes für die Ziege, 20 Cen-
times für das Schaf; Pferde, Maultiere und Esel sind frei.
Die Lezma wird als Kopfsteuer in der Kabilei und
einigen anderen Gegenden Algeriens von solchen Ein-
geborenen entrichtet, welche weder Aschur noch Zekkat
zahlen, und teils nach Individuen, teils nach Feuerstellen,
teils nach Stämmen bemessen; dazu tritt im Süden der
Departements Algier und Constantine noch die Palmen-
Lezma von 25 — 50 Centimes auf jede Dattelpalme.
Diese arabischen Steuern werden von den Eingeborenen-
Chefs eingetrieben, welche davon 10 "„ für ihre Bemühungen
behalten; der Reinertrag fließt zur einen Hälfte dem Spezial-
Budget, zur andern Hälfte den Departements -Budgets zu.
Fraglos sind die von den Eingeborenen im Verhältnis i
zu den von den Europäern getragenen Steuern viel zu hochJ
Schätzte man doch 1891, daß von den für Staat, Departe-
ments und Kommunen aufgebrachten Einnahmen von 80
Millionen Francs etwas mehr als die Hälfte, 40,8 Millionen,
von den Eingeborenen geliefert wurden. Aber da die ara-
bischen Steuern auf den Bestimmungen des Koran beruhen,
fügt sich der Moslim in dessen Vorschriften.
Die Einnahmen der drei Departements, bestehend
aus der Hälfte der arabischen Steuern, Zuschlägen zur
Gebäude- und Gewerbesteuer und Beiträgen von Staat,
Gemeinden und Privaten zu Departementsarbeiten, beliefen
sich 1901 auf 19,4, die Ausgaben auf 15,2 Millionen, die
von den drei Departements aufgenommenen Anleihen auf
53 Millionen Francs.
Die Kommunen Algeriens, deren Einnahmen aus
dem Oktroi, Zuschlag zur arabischen Steuer, ' n. Über-
— 58 —
Weisung der Gewerbesteuer und einer Reihe städtischer
Abgaben fheßen, brachten im Jahre 1901 im ganzen 36-^4
Millionen Francs auf, und sie schuldeten an Anleihen 66-3
Millionen Francs.
Die ungünstigen finanziellen und anderen Resultate,
die Algerien bislang aufweist, sind nicht zum geringsten Teile
der französischen Regierungspolitik gegenüber den Einge-
borenen beizumessen, die planlos zwischen drei Systemen
schwankte: 1. Verdrängung der Eingeborenen über den
Atlas hinaus; 2. Assimilierung derselben mit den europäischen
Kolonisten; 3. vollständige Aufrechterhaltung ihrer Nationalität.
Das erste System ist ungerecht und schwer durchführbar,
das letzte wäre gleichbedeutend mit Verzichtleistung auf die
Kolonie. Die Assimilierung aber, welche natürlich nie eine
vollkommene sein kann, wird dadurch erleichtert, daß die
Eingeborenen keine homogene Nation sind. Von den Ka-
bilen trennt die Europäer nur die Religion, von dem Araber
und arabisierten Berber aber auch Stammesverfassung, Kollek-
tiveigentum und Polygamie. Eins der wichtigsten Werkzeuge
der Assimilation wäre der Unterricht, der aber seitens der
Regierung längst nicht die Förderung findet, die er verdiente,
während sich die französische Gerichtsbarkeit stetig auf
Kosten der muselmännischen ausbreitet. Sehr bedauerlich
und das gegenseitige Verstehen und Ineinanderfinden er-
schwerend ist auch der Umstand, daß nur wenige der in
Algier lebenden Kolonisten einigermaßen des Arabischen
mächtig sind; sowie ferner die geringe Stabilität der fran-
zösischen Beamten und das Fehlen eines besonderen
Korps algerischer Funktionäre.
Ehe wir nun auf Kolonisation und Erwerbszweige ein-
gehen, erscheint es angezeigt, einen Blick auf die wichtige
und viel ventilierte Landfrage zu werfen.
— 59 —
Zur Zeit der französischen Besitzergreifung im Jahre ^KSifluon"**
1830 gab es in Algerien hauptsächlich vier Arten von
Grundbesitz: Gemeinsamen und ungeteilten Landbesitz
der arabischen Stämme oder der arabisierten Berberstämme,
den sogenannten Arch oder Sabegha; Privatbesitz einzelner
Moslims. den Melk; die Domänen oder Beiliks im Besitz
der türkischen Regierung, und endlich das Stiftungs- oder
religiöses Ordens -Land, die Habus. in Ermangelung von
Landregistern und von Besitzdokumenten war der Umfang
des einzelnen Besitzes und dieser selbst damals sehr unsicher.
Der „Arch" war im Besitz von halb oder ganz
nomadischen Stämmen, überwiegend Hirten, welche 1830
den größten Teil Algeriens, besonders Mittel- und Süd-
algerien, besaßen.
Der „Melk" war überwiegend bei den östlich von
Algier wohnenden Kabilen anzutreffen, seßhaften Acker-
bauern und Kleingrundbesitzern, ausnahmsweise aber auch
bei arabischen und arabisierten Berber-Stämmen, bei diesen
allerdings vielfach im Besitz mehrerer Mitglieder einer
Familie und zwar Flächen von 50, 100 und mehreren
100 ha umfassend.
Als „Beiliks" oder Domänenländereien sollten laut
Erlaß von 1858 alle diejenigen Ländereien verstanden werden,
deren Einnahmen der Staat durch Verpachtung oder eigene
Verwaltung selbst einnahm; und sodann auch diejenigen,
welche die türkische Regierung den Eingeborenen gewaltsam
zur Anlage von Militärkolonien für die 15 — 20000 Kuluglis
genommen hatte, welche über das ganze Land verstreut an
strategisch wichtigen Punkten als Stütze der Regierung an-
gesiedelt wurden. Das gesamte Areal der Beiliks umfaßte
1 ' j Millionen ha.
Die „Habu"- Ländereien endlich, Stiftungen für die
heiligen Städte Mekka und Medina und Moscheengut, deren
— 60 —
Ertrag entweder zur Unterhaltung frommer oder wohltätiger
öffentlicher Einrichtungen oder zum Wohle der Nachkommen
des Stifters bestimmt ist, zerfielen in solche, welche Land-
besitz und Nutznießung einschlössen, und in solche, welche
nur den Landbesitz repräsentierten, deren Nutznießung aber
erst nach Aussterben der Stifterfamilie dem frommen Zwecke
zufließen sollte. Sämtliche Habus wurden bereits 1830 durch
Dekret zu Staatsdomänen erklärt, und der Staat übernahm
die bisher aus diesen Quellen bestrittenen Ausgaben, wie
z. B. die Kosten des Kultus und die Unterhaltung der öffent-
lichen Brunnen; man beabsichtigte damit besonders, den
Einfluß der mohammedanischen Geistlichkeit zu verringern.
Zu diesen vier Kategorien von Grundbesitz kamen
nun noch vier weitere Klassen, welche sich die Franzosen
aneigneten, nämlich:
a. Der konfiszierte Privatbesitz des Dei, der ihm
unterstehenden Beis und anderer ausgewiesener und
geflüchteter Türken ; dazu wurden später noch die
konfiszierten Ländereien der einheimischen Rebellen
geschlagen.
b. Ländereien ohne Erbberechtigte und das herren-
lose Land.
c. Die laut Dekret von 1851 als Staatseigentum er-
klärten Wälder, etwa 2^ i Millionen ha umfassend,
von denen sich 10 ••„ zu Ackerbau -Kolonisation
eignen sollen. Und endlich
d. Die von der französischen Regierung durch Kauf
und Expropriierung dem Domänenbesitz zugefügten
Ländereien.
Die französische Kolonisation konnte also auf zwei
Wegen einsetzen: Die Regierung konnte den Kolonisten die
ihr zustehenden Ländereien zur Verfügung stellen, oder die
Kolonisten konnten selbst Land von den Eingeborenen er-
— 61 —
werben. In der Regel begann man nicht mit Ansiedelung
einzelner Kolonisten, sondern mit Anlage sogenannter
„Zentren", und soweit dafür abgerundeter Landbesitz nicht
zur Verfügung der Regierung war, mußten die Eingeborenen
expropriiert werden, anfangs nicht immer friedlich und
gegen wirklich entsprechende Entschädigung.
Betrachten wir zunächst die Kolonisation auf Ein-
geborenen-Land. Es waren meist recht fragwürdige und
abenteuerliche Gesellen, welche als erste ,, Kolonisten" ins
Land kamen und von den Eingeborenen, welche nicht an
eine dauernde Besetzung des Landes durch die Franzosen
glaubten, Grundbesitz auf Spekulation zu sehr billigen Preisen
kauften und auf oft ganz phantastischen Unterlagen mit
Gewinn weiter verkauften. Daraus ergaben sich natürlich
endlose Verwicklungen, welche durch Ordonnanzen von
1844 und 1846 schließlich sehr glücklich dahin geregelt
wurden, daß alle seit Eroberung Algeriens von Fremden
gekauften Ländereien als Staatsdomänen erklärt und dem
Käufer ein dem gezahlten Kaufpreis entsprechendes Stück
Land definitiv überwiesen wurde. Aber auch den Ein-
geborenen war gleichzeitig die Beibringung von Besitztiteln
für ihre Ländereien auferlegt worden, und zwar sollten nur
die vor dem 5. Juli 1830 besessenen als gültig erklärt, der
Rest als Staatsdomäne betrachtet werden. Dieses Verlangen
erwies sich aber als ungerecht und umso schwerer durch-
führbar, je näher die Kolonisierung den Nomadenstämmen
rückte, und deshalb wurde das Gesetz 1850 abgeschafft.
Dagegen kam man nunmehr zu der Ansicht, daß die
einheimischen Stämme überhaupt mehr Land besäßen, als
sie bedürften, und im Interesse der Kolonisation beschloß
man, ihnen nur soviel Land zu belassen, als zu ihrem
Unterhalt notwendig sei, sie zu ,,kantonnieren", die ihnen
so zugewiesenen Ländereien aber als ihren festen und un-
— 62 —
veränderlichen Besitz zu erklären. Diese Maßnahmen konnten
aber nicht durchgeführt werden, und Napoleon III. erklärte
1863, nachdem er Algerien selbst besucht, die Ländereien
von 643 algerischen Stämmen als unveränderlichen Be-
sitz, der baldmöglichst abgegrenzt, den einzelnen Stämmen
und Dörfern überwiesen und wo angänglich auch unter
einzelnen Eingeborenen aufgeteilt werden sollte. Im Jahre
1870, als der Krieg diese schwierige Arbeit unterbrach, war
erst der Besitz von 374 Stämmen geregelt, und zwar hatte
man von den 7 Millionen ha, die dabei in Frage kamen,
1 Million den Staatsdomänen und fast 3 Millionen dem
,,Melk" überwiesen, während der Hauptteil ,,Arch", Stammes-
land, blieb, das weder veräußert noch mit Hypotheken be-
lastet werden konnte; sowohl Melk wie Arch unterstanden
dem muselmännischen Recht.
Um die Kolonisation zu begünstigen und den Verkauf
von Melk und Arch zu erleichtern bezw. überhaupt erst zu
ermöglichen, wurden beide Arten Grundbesitz durch Gesetze
von 1873 und 1887 vollständig unter das französische
Landgesetz gestellt. Damit waren freilich auch sehr kost-
spielige Vermessungsarbeiten und endlose Umständlichkeiten
verknüpft, und dabei hatte man erst einen Teil des Teil in
Angriff genommen, ausschließlich der Kabilei, wo das Land
von Eingeborenen so dicht besetzt, daß für Kolonisten über-
haupt kein Platz ist; aber auch anderwärts war dem Familien-
Kommunismus und den arabischen Gesetzen und Sitten
gegenüber Landerwerb schwer durchzuführen, und man
mußte endlich einsehen, daß man in dem Bestreben, alle
Einrichtungen in Algerien nach französischem Muster zu
gestalten, zu weit gegangen war. Das Gesetz vom 16. Fe-
bruar 1897 griff deshalb nach langen Beratungen darauf
zurück, daß der muselmännische Besitz nur auf ausdrück-
lichen Wunsch des Eigentümers selbst dem Landgesetz der
— 63 —
Kolonie zu unterstellen sei, in welches man auch Dispo-
sitionen anderer europäischer Staaten und der australischen
Torrens-Akte aufnahm. Für die Eingeborenen bedeutete
dieses neue Gesetz, nach Lage ihrer eigenartigen Verhält-
nisse, eine wesentliche Sicherung ihres Landbesitzes gegen
ungerechte Versteigerungen.
Die genaue Landesaufnahme mit Hülfe des militärischen
Spezialdienstes hat inzwischen große Fortschritte gemacht
und ist in trefflichen Karten niedergelegt worden.
Der Grundbegriff der Domäne in Algier ist durch
Gesetz vom 16. Juni 1851 geschaffen worden, welches von
National-, Departements- und Gemeinde- Domänen handelt
und eine ,,domaine public" und eine ,,domaine prive"
unterscheidet; erstere umfaßt alle ihrer Natur nach der All-
gemeinheit gehörigen und unveräußerlichen Ländereien und
Besitze aller Alt, darunter ausdrücklich alle Wasserläufe und
Quellen, Wege usw., mit Ausnahme der vor 1851 erworbenen
Besitz- und Nutzrechte; die ,,domaine prive" umfaßt die
Beiliks, die herrenlosen Ländereien und die Wälder; nur
letztere kann aufgeteilt und veräußert werden. Obgleich
Algerien seit 1900 die Rechte einer juristischen Person und
ein eigenes Budget besitzt, ist der Besitz seiner Domänen
doch noch immer dem französischen Staate vorbehalten,
und nur deren Einnahmen und Ausgaben figurieren im
algerischen Budget.
Die Kolonisation auf Domänen land konnte entweder
durch den Staat direkt oder durch Vermittlung von Kolo-
nisationsgesellschaften erfolgen, welche ihnen zuge-
wiesene größere Ländereien unter einzelne Ansiedler auf-
teilen sollten; der letztere Weg ist in Algerien nur selten
und ohne Erfolg betreten worden, verschiedene Kompanien
hielten es für sie dienlicher, ihr Konzessionsland an Ein-
geborene zu vermieten, statt es unter Kolonisten aufzuteilen.
— 64 —
und zudem waren ihre Verwaltungskosten viel zu hohe. So
hatte z. B. die Cie.-Franco-algerienne als Societe de 1' Habra
und de la Macta 1865 eine Landkonzession von 24 000 ha
zur Sanierung und Nutzbarmachung der Habra-Ebene in der
Provinz Oran erhalten, davon bis 1882 aber nur 1425 ha mit
Zerealien, Wein, Luzerne und Früchten bestellt und für
Einrichtungskosten 1 1 Millionen Francs und außerdem
1^/3 Millionen Francs für die Haifa -Gewinnung ausgegeben.
Ebenso erfolglos war die gleichfalls 1865 gegründete und mit
einer Konzession von 100 000 ha ausgestattete Societe gene-
rale algerienne, welche 1877 in Liquidation trat und ihre
Domäne an die Cie. algerienne überließ, welche sie an Ein-
geborene verpachtet. So hat denn der Staat in der Tat den
Hauptteil der Kolonisation selbst besorgt und von den 1 ^'2 Mil-
lionen ha Landes, welche gegen Ende des 19. Jahrhunderts
im Teil im Besitz von Europäern waren, sind 1 300000 ha von
Staatsdomänen und nur 200 000 ha von Privaten durch Kauf
von Eingeborenen erworben.
Jedes Kolonie-Zentrum erhielt eine Dorfanlage mit den
Gebäuden für Verwaltung, Schule, Kirche und Handwerker-
wohnungen, jedes Dorf- Los mit einem Hause daselbst um-
faßte 30 ha, jedes Farm -Los mit einem Hause auf dem
Lande 100 ha, und zwar wurde anfangs ein Los gratis über-
lassen und nur die Einhaltung gewisser Bedingungen vor-
geschrieben. Zwischen 1850 und 1860 ließ man die Kolo-
nisten, nachdem durch die Beruhigung des Landes eine
Bevormundung weniger nötig schien, selbständiger vorgehen
und im allgemeinen diejenigen Ländereien kaufen, die sie
wünschten. Der große Aufstand 1871 endete mit der Kon-
fiszierung von 300 000 ha Eingeborenen -Land, und die Re-
gierung ging von da ab mehr zu dem System der Land-
Konzessionen über, deren Bedingungen durch Gesetz von
1H78 definitiv geregelt wurden. Der Verkauf von Losen,
— 65 —
wie er meist für Farmen gewählt wird, erfolgt demgemäß
jährlich einmal in öffentlicher Versteigerung, nur an Euro-
päer und mit der Klausel, das Land, je nachdem es Dorf-
bezw. Farmland ist, während der nächsten 10 bezw. 20 Jahre
nicht an einen nichtnaturalisierten Eingeborenen zu verkaufen.
Der Kaufpreis ist in sechs gleichen Raten zu zahlen, die
erste beim Zuschlag, die zweite nach zwei Jahren und die
folgenden nach je einem Jahre, bei Berechnung von 5 ^\,
Verzugszinsen bei unpünktlicher Zahlung. Dagegen werden
Gratis-Landkonzessionen laut Dekret von 1878 nur
an in Frankreich geborene Franzosen und an naturalisierte
Europäer erteilt, welche für ein Dorf-Los von 25 bis 40 ha
mindestens 5000 Francs, für jeden Hektar Farmland, bis
höchstens 100 ha umfassend, wenigstens 150 Francs für
jeden Hektar Kapitalbesitz nachweisen können und sich
verpflichten, mindestens fünf Jahre auf dem überwiesenen
Lande zu wohnen; auch werden sogenannte Industrie-
parzellen von 2 — 4 ha gratis an solche Kolonisten ver-
geben, welche ein für das Dorfleben nötiges Gewerbe be-
treiben. Die Einhändigung des definitiven Besitztitels ist
noch abhängig von gewissen Bedingungen betr. Bewohnung
und Verbesserung des betr. Grundstücks. Gegen den Wort-
laut des Gesetzes ist übrigens etwa ^ :! der erteilten Kon-
zessionen an in Algier geborene Söhne französischer Kolo-
nisten gegeben worden. Sowohl die Käufer von Domänen-
land, wie die Erwerber von Gratis-Landkonzessionen genießen
bei der Übersiedelung nach der Kolonie auf Dampfern und
Eisenbahnen eine Ermäßigung von 50",, des Tarifs für
sich und ihr Ackerbaumaterial.
Neuerdings ist in Paris ein besonderes Auskunfts-
bureau für Auswanderung nach Algerien eingerichtet worden;
trotz aller von der französischen Regierung aufgewandten
Mühe, in erster Linie Landbauer in die Kolonie zu ziehen, ist
Schanz, .Algerien, Tunesien, Tripolitanicn 5
— 66 —
aber die bedenkliche Erscheinung zu verzeichnen, daß die euro-
päische Ackerbaubevölkerung in Algerien von 205000 Köpfen
im Jahre 1894 auf 189000 Ende 1901 zurückgegangen war.
Zwischen den Jahren 1830 und 1896 hat die Regierung
im ganzen 1 385 000 ha der Kolonisation überwiesen, und
sie verfügte Anfang 1902 noch über 782 000 ha Land im
Werte von 33 Millionen Francs; diese liegen allerdings über-
wiegend im Gebiet der Steppen und der Sahara; soweit der
Teil in Betracht kommt, sind die Ländereien teils bereits zu
öffentlichen Zwecken reserviert, teils steril, sodaß schon 1896
in Wahrheit nur noch 250 000 ha für die eigentliche Kolo-
nisation übrig blieben, und auch diese sind inzwischen sehr
reduziert, da jedes Jahr neue Kolonisationszentren entstehen
und die alten Zentren durch spontane Zuwanderung von
Ansiedlern erweitert werden. So schuf man allein 1900 — Ol
in den drei Departements 26 neue Zentren und vergrößerte
diese und andere durch 984 Konzessionen mit 52 000 ha.
Eine Dorfanlage mit 1500 ha seitens der Regierung kostet
durchschnittlich 200 000 Francs an Grundwert und 160 000
Francs für die ersten Einrichtungen.
Eine eigentliche französische Kolonisation setzte
erst 1844 ein dadurch, daß General Bugeaud Soldaten an-
siedelte, die allerdings schon nach Jahresfrist wieder ver-
schwanden. Nach der Revolution von 1848 bewilligte die
Nationalversammlung 25 Millionen Francs für Ackerbaukolo-
nien in Algerien zugunsten arbeitsloser Pariser Arbeiter, die
allerdings meist nichts von Landwirtschaft verstanden, immer-
hin aber Anlaß zur Gründung von 41 Kolonien gaben. Man
begann mit der Siedelung in der Nähe der Küste und an den
Hauptflüssen und drang dann durch die Nebentäler allmählich
bis zur Schott-Region hinauf vor.
1873 wurden sodann eine größere Anzahl meist mittel-
loser Familien aus Elsaß-Lothringen durch die Societe pro-
— 67 —
tectrice des Alsaciens- Lorraines zur Auswanderung nach Al-
gerien veranlaßt, wo man sie überwiegend auf den, 1871 den
Rebellen konfiszierten Ländereien ansiedelte. Inzwischen sind
Sümpfe drainiert. Bäume gepflanzt und dadurch ungesunde
Gegenden bewohnbar gemacht worden, Stauanlagen und
Bohrungen haben für Bewässerung gesorgt, und die Voll-
ziehung der ersten Arbeiten ist vielfach Sträflingen übertragen
worden.
Der Preis von Grund und Boden für den Hektar va-
riiert natürlich stark, ist in der Nähe von Städten etwa 400
bis 1000 Francs, steigt für gut bewässerte Striche nahe den
Küstenplätzen auf 5000 bis 10000 Francs und sinkt, je mehr
man nach dem Innern zu vordringt, für urbar gemachtes
gutes Land aber selten unter 200 Francs. In den von Euro-
päern noch wenig bewohnten Gegenden der gemischten Ge-
meinden sind noch große Domänen, wo der Hektar zu 100
Francs zu haben ist. Die Hypothekenzinsen, welche
französische Kapitalisten in Algerien berechnen, betragen
etwa 5 — 7 ",,.
Eine besondere Beachtung verdienen die Bewäs- Bewässerung,
serungsanlagen; muß die Wirtschaftspolitik in Al-
jerien in erster Linie doch eine Bewässerungspolitik
sein, da ungenügendes Wasser in allen Regionen die Haupt-
sorge der Kolonisten bildet, und so haben Fassung der
Quellen, Auffangen des Regenwassers, Anlage von Stau-
werken und Bohrung von Brunnen frühzeitig eine wichtige
Rolle im Lande gespielt. Primitive artesische Brunnen
waren schon in früher arabischer Zeit vorhanden, aber erst
die Franzosen begannen solche rationell anzulegen. Im
Jahre 1855 fing man längs des Abfalls des Atlasgebirges
nach der Sahara zu mit der Schaffung von artesischen
Brunnen an. Bohrungen nach Wasser in einer Gesamttiefe
5'
— 68 —
von 29400 m an 457 Stellen ausgeführt, wovon 308 allein auf
die Provinz Constantine kommen, liefern jährlich 182 Millionen
cbm Wasser. Besonders glücklich ist man mit Brunnenboh-
rungen in der 200 km langen, aber sehr schmalen Zone längs
des Ued Rhir, von den Oasen des Ziban nach Tuggurt, gewesen,
wo man zuerst 1856 zur lebhaften Freude der Eingeborenen
befriedigende Ergebnisse feststellte; 1889 gaben dort 434
arabische Brunnen 64 000 Liter in der Minute, dagegen 68
neugebohrte französische 113 000 1; mit 12 neu erbohrten
Brunnen, die 12 000 1 ergaben, wurde die verfügbare Wasser-
menge in der Minute auf 209 000 1 gebracht, aber, wie es
scheint, auch die Grenze erreicht. Eine große Ausdehnung
der Dattelkultur ist die Folge dieser, von dem französischen
Militär ausgeführten Wassererschließung gewesen. Die Oase
W^argla hat 353 Brunnen, die 54 000 1 in der Minute geben.
Außerdem hat man an mehreren geeigneten Punkten
gewaltige Sperrdämme aufgeführt und dadurch große
Wasserbecken geschaffen, mit denen man über 100 000 ha
bewässern kann, in der Ebene des Scheliff sind mehrere
Staudämme angelegt worden , darunter der bei Perregaux
von der Societe Des Brosses & Cohen gebaute von 478 m
Länge, der ein Wasserbecken mit 38 Millionen cbm Fassung
bildet, sodaß 36 000 ha bewässert werden können ; ein zweiter
Damm am Flusse Sig staut 17 — 18 Millionen cbm auf, und
ein dritter an einem Wadi des Atlas kann 18 000 ha in der
Metidscha-Ebene versorgen. Andere ähnlich große Anlagen
sind im Departement Constantine geplant. Freilich sind die
Erwartungen, die man an die zuerst aufgeführten sieben
großen Stauanlagen knüpfte, keineswegs erfüllt worden. Man
gab dafür 1 1 Millionen Francs aus und berechnete das Fas-
sungsvermögen auf 65 Millionen Kubikmeter. Aber die von
den Zuflüssen reichlich mitgeführten Senkstoffe verkleinerten
die Bassins bald, alle Gegenmittel versagten mehr oder
— 69 —
weniger, und man befürchtet, daß sie ganz verschlammen
werden; einige Staumauern sind auch geborsten.
Im allgemeinen sind die Bewässerungsarbeiten in der
Kolonie vom Staate angelegt unter einer gewissen Kosten-
beteiligung der Interessenten, und die Unterhaltung wird
von letzteren allem getragen. In den 10 Jahren von 1889
bis 1898 hat man jährlich durchschnittlich 773 000 Francs
für Wasserversorgung von Ortschaften ausgegeben, und
dazu trugen die Kommunen 469000, der Staat 304000 Francs
bei; die Ausgaben für Ackerbau- Bewässerungen aber
beliefen sich im gleichen Zeitraum auf durchschnittlich
729 000 Francs im Jahre, wovon 578 000 Francs auf den
Staat und 151000 Francs auf die Syndikate entfielen. Im
Jahre 1900 dienten 576 Bewässerungsanlagen für 200 000 ha
Land, ungerechnet der von zahlreichen Syndikaten ohne
Staatsbeihülfe ausgeführten Anlagen.
Betrachten wir nunmehr die Beschäftigungsarten Landwirt-
'^ - Schaft.
der Bevölkerung, so finden wir, daß die Mehrzahl davon
landwirtschaftliche Gewerbe, Ackerbau, Viehzucht und
Weinbau treibt, und zwar waren damit im Jahre 1901:
3 230 000 Eingeborene und 189 000 Europäer beschäftigt,
und die Kulturfläche umfaßte in runder Zahl 3' j Millionen
Hektar.
Obgleich von den vorhandenen 15 Millionen ha Kultur-
land bislang erst 2' « Millionen ha für den Getreidebau
benutzt sind und trotz der furchtbaren, jedes Jahr wieder-
kehrenden Heuschreckenplage, welche direkt und durch viel-
seitige Vertilgungsmaßregeln auch indirekt große Opfer er-
fordert und besonders stark war in den Jahren 1845, 1866,
1H74 und 18S9, ist Algerien doch bereits ein bedeutsamer
Konkurrent auf dem Getreidemarkt geworden, und zwar ver-
teilte sich die Produktion im Erntejahre 1897 98 wie folgt:
— 70
Gerste
Weizen
Hafer
Kulturen
Eingeborener
1 116 497
976 502
7 940 ha
Ertrag
7 705
5 047
87,6 1000 dz
Kulturen
V. Europäern
127 699
281 102
63 429 ha
Ertrag
1 273
2 332
786 1000 dz
Sorghun-
1 Mais
Roggen
Kulturen
Eingeborener
25 251
8 306
43 ha
Ertrag
125,7
42
0,3 1000 dz
Kulturen
V. Europäern
4 057
4 333
266 ha
Ertrag
21,8
46
2 1000 dz
Der Zerealienertrag der Ernte 1903 04 betrug von
2 800 000 ha Saatfläche 16^ :i Millionen Doppelzentner, ver-
teilt auf Gerste mit 8, Hartweizen 5V2, Weichweizen \^>,
Hafer 1 Million und ferner Bechna mit 124 000, Mais
104 000, Millet 7700 und Roggen 1 500 dz.
Versuche mit Anbau von Reis sind am Mazafran-
Fluß unternommen worden.
Die von Europäern kultivierten Flächen umfassen meist
nur 25 — 70 ha, und im Gegensatz zu den ausgedehnten Ein-
geborenenländereien sind große Domänen in europäischem
Besitz selten. Der Europäer bewirtschaftet sein Land teils
selbst, teils verpachtet er es an Europäer oder Eingeborene.
Der eingeborene Landbesitzer dagegen legt selten selbst Hand
an die Bewirtschaftung, sondern verpachtet sein Land an den
Khammes. Die Tagelöhne — ohne Beköstigung — betragen
für Eingeborene im allgemeinen IV2 — 2, zuweilen bis 2^2,
für Europäer 2^2 — 4 Francs.
Im allgemeinen wird der Ackerbau seitens der Einge-
borenen noch sehr primitiv und mit Ausnahme der Kabilei
nirgends intensiv betrieben, das Land nicht tief gepflügt und
nicht gedüngt, und dementsprechend ist auch der Ertrag ge-
ring; selbst europäische Kolonisten wenden Tiefkultur,
— 71 —
regelmäßiger reichlicher Düngung und Wechselwirtschaft
häufig nicht die erforderliche Beachtung zu, und die Ernten
leiden darunter in Höhe und Regelmäßigkeit. Besonders
schwankend sind die Erträge auf der Hochebene, welche
nach nassen Wintern das 150— 200 fache liefert, während bei
nicht gründlich durchweichtem Boden kaum das Saatkorn
zurückgewonnen wird. Man beginnt mit Pflügen nach den
ersten Herbstregen und fährt damit bis in den Februar hinein
fort. Spätfröste und die ausdörrenden Sciroccowinde werden
allen Kulturen zeitweilig verderblich, den Zerealien außerdem
häufig die Trockenheit der Monate April und Mai.
Wird der Landbau von Eingeborenen in Pacht betrieben,
meist auf Flächen von 10 ha, so entfallen ^ .-, des Ernte-
ertrags an den Besitzer, welcher Pflug, Ochsen, Saatkorn und
Geldvorschuß zum Lebensunterhalt bis zur Ernte liefert und
\':, der Ernte an den Pächter oder Khammes. Bei Pacht-
verträgen mit Europäern auf drei, sechs oder neun Jahre
erhält der Verpächter entweder bestimmte Pachtsummen in
bar, oder, je nach der Höhe seiner Leistungen, ^'2 — ^js vom
Ernteertrag; auch Erbpachtverträge auf die Dauer von
20 — 99 Jahren werden abgeschlossen.
Man sucht den Ackerbau der Eingeborenen durch Be-
lehrung und kostenlose Verteilung von Pflügen, welche für
den nordafrikanischen Boden besonders geeignet sind, mit
Erfolg zu heben; bislang liefert allerdings ein Hektar unter
Eingeborenen - Bebauung nur 6 dz Ertrag, gegen 9 dz
bei Bewirtschaftung durch Europäer. Auch englische Mäh-
und Dreschmaschinen und französische und amerikanische
Pflüge werden mehr und mehr eingeführt.
Algeriens Getreideüberschuß geht meist nach Frank-
reich, besonders Marseille und Dünkirchen, und zwar wurden
dahin im Jahre 1900 ausgeführt:
- 72 --
Gerste Weizen Hafer Mais
1773 1650 1188 21 Tausend Zentner
Die Ausfuhr von Zerealien und Gemüsen von Algerien
nach Frankreich begann erst 1871, heute hefern Algerien und
Tunesien etwa 96 "o der französischen Gesamteinfuhr von
Weizen und Gerste.
Gerste, früher nur als Viehfutter benutzt, ist erst in
neuerer Zeit in Algerien stärker angebaut worden, steht heute
aber bereits an erster Stelle; weicher Weizen, Mais und
Roggen sind überhaupt erst von den Kolonisten eingeführt
worden. Die Algier-Gerste ist in Frankreich für Brauzwecke
beliebt, und auch die von Hülsenfrüchten besonders stark
angebauten großen Bohnen gehen teilweise nach Frankreich,
wo ihr Mehl zur Herstellung eines besonders nahrhaften
Brotes mit Weizenmehl gemischt wird. Auch Heu bildet
einen Ausfuhrartikel Algeriens, der freilich unter der Zunahme
elektrischer Straßenbahnen in England gelitten hat, und der
Anbau von Leinsaat hat besonders in Oran zugenommen.
Flachs wird ebenfalls gebaut.
Jede Provinz hat ihre Ackerbaukammer.
Von außerordentlichem Erfolg ist, besonders in der
Metidscha, der Anbau von Kartoffeln und von Frühge-
müsen, wie Artischocken, Blumenkohl, Bohnen, Erbsen
und Tomaten, die hier im Dezember und Januar reifen und
während des Winters frisch nach allen Teilen Europas aus-
geführt werden. Im Jahre 1902 exportierte Algier 315 000
Zentner Kartoffeln und 218 000 Zentner Frühgemüse.
Noch bedeutender ist die Ausfuhr von frischen und ge-
trockneten Früchten, besonders Orangen, Mandarinen, Li-
monen, Trauben, grünen Mandeln und getrockneten Feigen,
die man in Österreich zur Herstellung von Feigen - Kaffee
verwendet. Eine 1901 ins Leben gerufene Dampferlinie
Mediterranee -Manche zwischen Algier, Nordfrankreich und
73 —
England hat ihre Dampfer mit Kühlräumen für frische Ge- :
müse und Obst eingerichtet, dagegen ist das Einkochen zu
Obstmus und das Fruchtdörren noch nicht eingeführt. Die
Früchte des Feigenkaktus, welcher überall und ohne Pflege
gedeiht und nach zwei oder drei Jahren reichlich und sicher
trägt, bilden die Nahrung des Armen, und nicht wenige Ein-
geborene leben fast ausschließlich von ihnen. Das Johan-
nisbrot liefert ein sehr geschätztes Viehfutter, sowohl für
den inländischen Bedarf, wie für die Ausfuhr — im Jahre
1900: 140 000 Zentner — und die Regierung sucht daher
die Anpflanzung des Baums durch Prämien zu fördern.
Am wichtigsten für die Ausfuhr aber ist der Weinbau
geworden, der überwiegend als Europäer-Kultur in allen drei
Departements, am ausgedehntesten in Oran, am schwächsten
in Constantine betrieben wird und sich im Jahre 1901 ver-
teilte auf
Oran Algier Constantine
Bepflanzt 85100 50 400 16 300 = 151 800 ha
Ertrag 2.6 2^ 0,7 = 5^ 2 Millionen hl.
Da der Koran den Genuß von Wein verbietet, so
wurden bis zum Jahre 1830 in Algerien nur die Trauben
gegessen; die Kolonisten fingen aber frühzeitig an, auch
Wein zu bereiten, allerdings während langer Jahrzehnte in
recht ungenügender Weise, und erst nach dem Auftreten der
Phylloxera im Mutterlande wandte man der Kultur und Zu-
bereitung des Weins in Algerien größere Aufmerksamkeit zu.
Im Jahre 1898 beschäftigte diese Kultur 16 800 Euro-
päer und 11 700 Eingeborene.
Der Algier-Wein, von Bordeaux- und Burgunderreben
stammend, ist im allgemeinen schwer, hat 10 14 "„ Alkohol,
aber wenig Bouquet, da Traubenreife und Gärung zu rasch
verlaufen, und geht hauptsächlich nach Bordeaux, wo er ajs
Verschnittwein geschätzt ist. Die besseren Sorten wachsen
— 74 —
in Lagen über 500 m Meereshöhe, und zwar ergibt der
Hektar in guten Gegenden und feuchten Jahren 80 — 100 hl.
Die weißen Weine sind im allgemeinen besser als die roten.
Da die französische Regierung, seit dem Auftreten der Reb-
laus im Mutterlande, zum Weinbau in der Kolonie ermunterte
und die Bank von Algerien zur Gewährung von Darlehen
veranlaßte, um die Anlage neuer Weinberge zu fördern, so
nahm die Weinproduktion unverhältnismäßig rasch zu, und
da auch der französische Weinbau seit 1894 sich wieder er-
holte, fingen die Preise für algerische Weine an, ganz be-
deutend zu fallen, und es kam infolge einer ganz ungewöhn-
lich großen Ernte im Jahre 1900 Ol zu einer scharfen Krisis,
die sich 1901 in einem Zurückgehen des Exports nach
Frankreich um 100 Millionen Francs gegen das Vorjahr
aussprach. Konnte man doch das Liter angenehmen und
kräftigen Tischweins im Detailhandel zu 10 — 20 Centimes
kaufen, das Hektoliter sank bis auf 2}k Francs herab, und
man mußte dazu verkaufen. Denn da gute Kelleranlagen
noch vielfach fehlen und der Wein auch oft unachtsam zu-
bereitet ist, hält er sich im Lande nicht lange, sondern er
muß schnellmöglichst exportiert werden, besonders der in
den niederen Lagen gewachsene. Eine Anzahl von Wein-
bauern gab deshalb 1901 diese Kultur auf, riß die Reben
aus und säte Weizen in die bisherigen Weingärten, anderseits
suchte man den Überschuß in Wein - Destillation zu ver-
werten. Seitdem hat die Anbaufläche aber doch wieder zu-
genommen, die Preise stiegen wesentlich durch die schlechte
Ernte in Frankreich, das Hektoliter ergab wieder 15 — 20 Francs,
und man schätzt das Ergebnis von 1903 auf 6^2 Millionen
Hektoliter. Der Weinversand nach Frankreich wird übrigens
durch kombinierte Frachttarife sehr begünstigt. Da die
Phylloxera seit 1883 auch in Algerien beobachtet wurde, er-
setzte man die ausgerodeten Reben durch die Widerstands-
- 75 —
kräftigeren amerikanischen und führte zur Bekämpfung der
Reblaus 1886 eine Weinbergsteuer ein, welche im Maximum
5 Francs für den Hektar beträgt.
Auch der Tabakbau, welcher erst 1844 durch die
Kolonisten eingeführt wurde und eine sehr gute Qualität
erzeugt, 1860 und 1861 durch die Preisfeststellung seitens
der Regie aber harte Schläge erlitt, liefert heute wieder
wichtige Ausfuhrwerte in Blättern, Schnupftabak und Ziga-
retten. 1898 beteiligten sich an dieser Kultur 1188 Euro-
päer und 5000 Eingeborene, welche 2500 bezw. 4500 ha
bepflanzten und davon 2180 bezw. 3145 Tons Blätter ern-
teten. Der Ertrag des Hektars an getrockneten Blättern
schwankt bei bewässertem Land zwischen 15 und 25, bei
trocknem Boden zwischen 8 und 15 Zentnern. Kultur, Ver-
kauf und Bearbeitung des Tabaks sind heute in Algerien durch
keinerlei Gesetz oder Staatsmonopol beschränkt. Die fran-
zösische Regie kauft jährlich drei Millionen Kilogramm
Tabak in Algerien, von der verbleibenden anderen Hälfte
wird ein Teil anderweitig exportiert, der größere Teil aber
im Lande selbst, besonders zu Zigaretten, verarbeitet, teil-
weise unter Mitverwendung von importiertem Tabak.
Was Textilpflanzen anbetrifft, so wurde schon unter
der Türkenherrschaft im Teil Baumwollbau betrieben,
die erzielte Qualität war eine gute und die französische
Regierung begann 1850 in der Provinz Oran mit einer
rationellen Kultur, die sie durch Gewährung von beträcht-
lichen Anbauprämien unterstützte, allerdings ohne nennens-
werte Erfolge. Die größte Jahresernte wurde 1866 mit
850 Tons Baumwolle erzielt, aber mit dem starken Preis-
rückgang des Produkts nach Beendigung des nordamerika-
nischen Bürgerkrieges und mit der Herabsetzung der Re-
gierungssubvention ging der Baumwollenbau in Algerien
mehr und mehr zurück, ergab ls76 nur noch 14 Tons und
— 76 —
verschwand dann ganz, da mangels genügenden Bewässerungs-
landes und billiger Arbeit schließlich andere Kulturen profi-
tabler waren. Erst ganz neuerdings hat man angesichts des
Baumwollmangels im Weltmarkt auch in Algerien wieder an-
gefangen, dem Baumwollanbau erneute Aufmerksamkeit zu
schenken und 1904 größere Flächen bei Relizane mit Baum-
wolle bepflanzt. Hanf und Flachs werden in ziemlichen
Mengen angebaut, und auch Ramje\wird angepflanzt.
Wichtig und noch sehr ausdehnungsfähig ist die
Ausbeute des Olivenbaumes, von dem etwa 6V2 Millionen
gepflegte und 4 Millionen wilde Bäume vorhanden, und
deren Hauptzentren Bougie, Tisi-Usu, Algier und Sidi bei
Abbes sind. Die Olivenzucht ist bei den Eingeborenen im
allgemeinen noch sehr vernachlässigt, und deshalb wird nur
etwa jedes zweite Jahr eine gute Ernte erzielt. Die Früchte
sind klein, liefern aber ein vorzügliches Öl, dessen Produktion
bislang das fast ausschließliche Monopol der Kabilen ist. im
übrigen sucht die Regierung die Anpflanzung und das Pfropfen
von Olivenbäumen und die Verbesserung der Ölbereitung zu
fördern. Der Olivenbaum gibt freilich erst vom 15. Jahre
ab einen nennenswerten Ertrag, aber die Bepflanzung einiger
Hektare mit solchen Bäumen ist trotzdem auch für den Ein-
geborenen eine gute Kapitalanlage und hilft, eventuelle Fehl-
schläge in anderen Kulturen leichter zu tragen. Im Jahre
1899 wurden von Europäern 17 250, von Eingeborenen
112 825 hl Olivenöl erzeugt.
Die Dattelkultur wird unter französischer Leitung
besonders von der Cie. Franco-Algerienne in Suf und von der
1878 gegründeten Ued Rhir Cie. in Biskra erfolgreich be-
trieben, aber die Hauptkultur liegt in den Händen der Ein-
geborenen; allein in den Tuat-Oasen sollen neben zahl-
reichen Ölbäumen gegen 8 Millionen Dattelpalmen existieren,
deren Jahresertrag man auf rund 3 Millionen Zentner schätzt,
— 77 —
während die Zahl der in Algerien selbst registrierten Dattel-
palmen nur 2 ' .-. Millionen beträgt. Auf sorgfältig gehaltenen
Pflanzungen ergibt die Dattelpalme von ihrem achten Jahre
an einen halben, vom 15.— 20. Jahre an vollen Ertrag. Die
Palme blüht in den Monaten März und April und reift ihre
Früchte im Oktober. Oliven, Datteln, Feigen, Opuntien und
Johannisbrot sind das Monopol der Eingeborenen, welche
andere Früchte, wenigstens für Handelsgewerbe, überhaupt
nicht anpflanzen.
Auch Geraniumöl (Produktion in 1903: 15 000 kg)
und Thymianöl werden exportiert.
Von Haifa kommen in Algerien beide Sorten, die Stipa
tenacissima und das Lygeum spartum häufig vor, und die
erstere bildet fast die einzige Vegetation der Hochebenen und
der sogenannten „Alfa -See", südlich vom Teil, zwischen
Marokko und der Hodna. Im Durchschnitt liefert der Hektar
etwa 20 Zentner getrockneten und sortierten Grases, wie es
für den Export in Frage kommt, und um unrationellen Betrieb
zu verhindern, hat man 1888 eine Verfügung erlassen, welche
Schnitt, Verkauf und Ausfuhr von Haifa limitiert. Im Jahre
1890 wurden auf 1':; .Willionen Hektar 105 000 Tons ge-
erntet und davon 73 000 Tons im Werte von 7^ 4 Millionen
Francs ins Ausland, besonders nach England, gesandt, wo
die Haifa zur Herstellung von Papier dient, im Jahre 1894
wurden 1 200 000 ha mit Haifa bestandene Flächen ausge-
nutzt, und davon kam über die Hälfte auf die Provinz Oran.
Die Ausfuhr dieser wichtigen Industriepflanze begann von
Algerien aus erst im Jahre 1862. jetzt liefert die Kolonie
ungefähr die Hälfte der auf den Weltmarkt gebrachten Ge-
samtmenge, während Spanien, Tunesien und Tripolis sich in
den Rest teilen.
Von zunehmender Bedeutung ist auch die Ausfuhr der
Fasern der Zwergpalme, des sogenannten crin vegetal
- 78 -
oder Pflanzenhaars, welches besonders in Deutschland als
Ersatz von Roßhaar zu Polstermaterial und auch zu Papier
verwandt wird. Algier exportierte davon im Jahre 1900:
63 600 Zentner.
Die Waldkultur Algeriens befindet sich trotz eines
bereits 1885 aufgestellten Aufforstungs - Programms bei
weitem nicht in dem Zustand, welchen die treffliche Natur-
beschaffenheit des Waldbodens erwarten ließe; es sind hieran
hauptsächlich die Waldbrände schuld, welche die Araber teils
aus Bosheit, teils um ihrem Vieh ein wenig Weide zu ver-
schaffen, anzünden, indem sie vor der Regenzeit ungeheure
Strecken Mittelwald in Brand stecken, damit das Gras dichter
und leichter zugänglich werde. Durch Gesetz von 1851
waren im Prinzip die Waldungen Algeriens als Staatseigentum
erklärt und dessen Nutzungsrecht den Eingeborenen über-
lassen worden, letzteres allerdings nicht nach dem landes-
üblichen muselmännischen Rechte, sondern nach xlen grund-
verschiedenen französischen Verhältnissen und Bestimmungen.
Es wurden wiederholt besondere Verordnungen für Algerien
erlassen, aber trotz drakonischer Strafmaßregeln zwischen
1891 und 1900 allein durch Eingeborenen - Verwüstung
932 000 ha Wald zerstört und dadurch Schaden im Werte
von 39 Millionen Francs verursacht. Im Jahre 1902
schätzte man die Zahl der durch die üblichen Brände zer-
störten und geschädigten Bäume auf nicht weniger als sechs
Millionen Stück. Ein Gesetz vom 21. Februar 1903 gibt
Algerien endlich, unter Aufhebung aller bisherigen Bestim-
mungen, einen vollständigen eigenen Forst-Kodex, der die
Interessen der Eingeborenen mit denen der Allgemeinheit in
Einklang zu bringen sucht. Im Jahre 1890 umfaßten die
mit Wäldern, Gehölz und Buschwerk bestandenen Forst-
reserven 2^ 4 Millionen Hektar und davon kamen auf:
— 79 —
Stein-, Kork-, Mirbel-. Zerr-Eichen,
554 483 96 46 Tausend ha
Aleppokiefern, Thuja, Zedern, Wilde Oliven.
693 54 31 30 Tausend ha
Ulmen und Eschen
3' 2 Tausend ha.
Im Jahre 1893 war der Waldbestand auf 2' - Millionen
Hektar gestiegen, wovon IS Millionen der Domäne, ''4 Mil-
lionen der Militärverwaltung und 76000 ha Gemeinden ge-
hörig waren , zu Anfang des 20. Jahrhunderts umfaßte der
Waldbestand 3 056 000 ha. Die Waldprodukte für die Aus-
fuhr bestehen in Korkrinde, Gerbrinde, Bauholz, Harz und
Haifa. Die Korkeiche (Quercus suber) wird nach einem
letzthin verbesserten V^erfahren alle 8 — 10 Jahre in den
Sommermonaten geschält und liefert 15 — 20 Ernten, die
beste nach der dritten; Steineiche (Qu. ilex) und Mir-
beleiche (Qu. mirbeckii) liefern wertvolles Bauholz, die
Aleppokiefern jährlich für eine Millionen Francs Harz,
daneben wird neuerdings auch ihr Holz zu Pflaster, Tele-
graphenstangen und Grubenholz benutzt. Die Korkeichen-
wälder befinden sich ganz überwiegend im Departement
Constantine.
Der V'iehstand Algeriens, welcher mit Ausnahme
der Schweine überwiegend im Besitz der Eingeborenen ist
und zeitweilig auch unter Dürre leidet, wies im Jahre 1901
folgende Zahlen auf:
Rinder, Schafe, Ziegen, Pferde, Esel, Maultiere,
1000 7638 3923 215 263 163 Tausend
Kamele, Schweine
200 88 Tausend,
- 80 —
ist also recht bedeutend und gestattet eine ansehnliche Aus-
fuhr von lebenden Schafen, Rindern, Wolle, Häuten und
Fellen nach Frankreich und den anderen Mittelmeerländern.
Freilich könnte der Viehstand bei rationeller Zucht und
Pflege ein weit größerer sein, wenn man für Beschaffung
künstlicher Weide, Trockenfütterung und Errichtung von
Ställen mehr als bislang tun wollte. Von Januar bis Juni
findet das Vieh auf den natürlichen Weiden reichliche
Nahrung, im Juli und August eben noch zur Not aus-
reichende vertrocknete Gräser und Kräuter, von September
bis Dezember aber ist die Nahrung so ungenügend, daß ein
guter Teil des Viehs mangels genügender Nahrung eingeht
und der Rest stark an Gewicht verliert. Es müßte also
mehr für Anpflanzung von Hafer, Futtergerste, Opuntien und
anderen Futterpflanzen gesorgt werden, um den Tieren in
Zeiten der Not damit aushelfen zu können. Bislang ist
Wiesenwirtschaft und Ausnutzung des natürlichen Düngers,
zum lebhaften Bedauern weitsichtigerer Fachleute, erst ganz
ungenügend entwickelt; erst nach der französischen Eroberung
eingeführt, hat sie seitdem nur sehr geringe Fortschritte ge-
macht und im Jahre 1901 umfaßten die künstlichen Wiesen
der ganzen Kolonie nur 8100 ha, meist Luzerne.
Die Rinder sind klein, fleisch- und milcharm, und das
Fleisch ist überdies oft zäh und wenig wohlschmeckend, so-
daß Fleisch, Milch und Butter auch von Europa eingeführt
werden; im Winter lassen sich gutsituierte Europäer und die
großen Hotels ihren Bedarf an Rind- und Kalbfleisch von
Marseille kommen. Im übrigen ist das einheimische Rind
widerstandsfähig und geeignet zur Kreuzung mit dem euro-
päischen, zu welchem Zweck man spanische und schweizer
Stiere eingeführt hat.
Die Schafherden machen den einzigen Reichtum der
südlichen, den äußersten Saum der Wüste bewohnenden
— 81 -
Stämme aus, und zwar sind auch hier die minderwertigen
Fettschwanzschafe und die wertvolleren und zahlreicheren
„arabischen" Schafe vertreten. Seit langer Zeit bereits hat
man versucht, die einheimischen Rassen zu verbessern, doch
sind die erzielten Erfolge bislang nur langsame und geringe
geblieben. Hauptmarkt für die ziemlich minderwertige Wolle
der Wüstenschafe ist Constantine. Auch die Ausfuhr von
Schafen via Marseille nach Frankreich — 1902 1 \':i Millionen
Stück — bildet einen sehr bedeutenden Erwerbszweig und
einen der wenigen, in denen Araber engagiert sind. Laut
Erlaß von 1902 dürfen allerdings in Frankreich, um An-
steckung auszuschließen, nur noch gegen Räude geimpfte
Schafe eingeführt werden.
Von den genügsamen Ziegen, die überall, am besten
in gebirgigen Gebieten gedeihen, sind neben der eigentlichen
arabischen Ziege auch die kleinen und milcharmen Kabilen-
Ziegen und die milchreichen Malteser vertreten.
Die algerischen Pferde sind schlank, leicht und nervig
und deshalb hauptsächlich als Renner und zu militärischen
Zwecken, aber nicht als Zug- und Arbeitstiere geeignet; die
Regierung unterhält drei Landesgestüte und hat seit 1852 an-
gefangen, auch die arabischen Stämme zur Verbesserung der
Pferdezucht zu veranlassen, da sich bei den Arabern im
allgemeinen nur minder edle Rassen von Pferden finden.
Das Kamel dient ebenso wie Esel und Maultier zu
Transportzwecken, und das trockene und heiße Klima be-
kommt ihm gut.
Schweine wurden erst nach der französischen Er-
oberung nach Algier verpflanzt, und ihre Produkte werden
von Moslims und Juden gleichmäßig verachtet.
Hühner und auch Tauben dagegen sind überall zahl-
reich vertreten und geschätzt, und die Eingeborenen treiben
Schanz, Algerien, Tunesien, Trlpolitanien. 6
— 82 —
auf den städtischen Märkten einen recht bedeutenden Handel
mit Geflügel und Eiern.
Für Straußenzucht wurde 1879 von Pariser Kauf-
leuten eine Gesellschaft gegründet, deren Resultate sehr be-
scheidene blieben.
Die einst bedeutende Seidenraupenzucht ist seit
1882 ganz zurückgegangen, soll aber laut Gesetz vom 2. April
1898 durch Gewährung von Prämien gefördert werden, wo-
mit freilich bislang wenig erreicht wurde; dagegen besaßen
im Jahre 1893 26 500 Bienenzüchter, worunter nur 1400
Europäer, zusammen 210000 Bienenstöcke.
Blutegel werden zahlreich in den Sümpfen der Pro-
vinz Oran gezüchtet.
Fischerei. ^je Seefischerei beschäftigte 1901 : 5400 Männer in
1200 Fahrzeugen von 3781 Tons, und der Ertrag an Fischen
und Korallen belief sich auf drei Millionen Francs. Die
Fischerei der edlen roten Koralle, deren Hauptsitz La Calle,
ist schon seit 1520 fast ununterbrochen an die Franzosen
verpachtet gewesen, in ihren Erträgen recht schwankend
und letzthin ständig zurückgegangen, sodaß man sie ab
1. Januar 1900 überhaupt durch gesetzliches Verbot ein-
stellte, um den Bänken Zeit zu geben, sich zu erholen. Der
Fischfang an der Küste ist seit 1888 nur noch Franzosen
und Einwohnern von Algerien gestattet, wird aber für deren
Rechnung vielfach von Italienern ausgeübt.
Bergbau. \j^^^ (jgp, ßergbau anbetrifft, der hier schon im
frühen Altertum betrieben wurde, aber seit dem Mittelalter
ganz zum Stillstand kam, so sind in Algerien, mit Ausnahme
von Gold, alle Metalle, namentlich Eisen, Blei, Silber, Kupfer
und Zink vertreten, doch wird deren ergiebiger Abbau er-
schwert durch die Unmöglichkeit der Verhüttung im Lande
selbst bei dem Mangel an Kohle, durch die hohen Aus-
— 83 —
beutungskosten und Transportspesen bis zum Küstenplatz
mangels genügender Verkehrsstraßen oder Kleinbahnen, und
endlich auch durch die hohe Seefracht für die gewonnenen
Erze. Dennoch sind seit 1845 seitens der Regierung eine
Reihe Konzessionen erteilt worden, noch immer werden
neue Fundorte erschlossen und zu Anfang des 20. Jahr-
hunderts brach unter den zahlreichen Prospektoren ein
wahres Minenfieber aus. im Jahre 1902 waren im ganzen
69 Minen - Konzessionen auf Eisen, Zink, Blei, Kupfer,
Antimon und Quecksilber erteilt, davon aber nur 26 mit
zusammen 6500 Arbeitern wirklich in Betrieb genommen ;
43 dieser Konzessionen sind für das Departement Constan-
tine erteilt, 19 für Algier und 7 für Oran ; daneben waren
249 Schürferlaubnisse in Kraft.
Das französische Bergrecht wird laut Dekreten von
1851 und 1852 auch in Algerien angewandt, dagegen sind
die als „Steinbrüche" angesehenen Phosphatlager in Al-
gerien und Tunesien 1898 einem besonderen Regime unter-
stellt worden.
Reiche Eisenerze sind nahe der Küste ungefähr dem
ganzen Litorale entlang vertreten und besonders stark in
den Bezirken Bone und Oran; in dem ersten liegen die be-
reits 1845 konzessionierten Gruben von Ain Mokra, deren
Lager jetzt bereits der Erschöpfung entgegengehen, in dem
anderen direkt am Meere die derselben Gesellschaft ge-
hörigen, im Tagebau abzuarbeitenden Lager von Beni Saf,
welche aus einem von der Kompanie eigens angelegten
Hafen im Jahre 1901 : 418 000 Tons verschifften; daneben die
erst kürzlich erschlossenen von Raz el Maden und Kristel
dicht bei der Stadt Oran selbst. Auch bei Tebessa liegen
große Eisenlager zutage und sind jüngst französischen und
belgischen Unternehmern zur Ausbeutung überlassen worden.
Die Gruben von Bone lieferten 1898: 116000 Tons, die
6*
— 84 —
von Oran 366 000 Tons Eisenerze, 1901 wurden in der
ganzen Kolonie 526 000 Tons Eisenerze im Werte von fünf
Millionen Francs gefördert. Die 500 Francs- Aktien der
Mokta el Hadid- Gesellschaft wurden im Mai 1904 bei einer
letztbezahlten Dividende von 40 Francs mit 879 Francs
notiert.
Zink wird aus den Gruben von Nador bei Gelma
und Morsott bei Tebessa gewonnen, und eine belgische Ge-
sellschaft mit einem Kapital von 4 ^'2 Millionen Francs beutet
die Galmeilager von Bu Dschaber bei Tebessa aus. Über-
haupt sind belgische und deutsche Werke, wie z. B. Krupp,
der Schalker Gruben- und Hüttenverein, die Gesellschaft
Vieille Montagne, Cockerill u. a. an der Erschließung des
Erzvorkommens in Algerien nennenswert beteiligt.
Blei gewinnt man aus den 1897 entdeckten Gruben
bei Tebessa, ferner in Nedroma bei Nemours und in der
Nähe von Suk Aras.
im Jahre 1901 wurden 39 000 Tons Zink- und Blei-
Erze im Werte von 1 Million Francs gefördert.
Kupfererze werden bereits in Tadergount gewonnen,
andere Minen sind in der Entwicklung begriffen; 1901 wurden
9500 Tons im Werte von 230 000 Francs gefördert.
1873 wurden bei Boghari, 1885 bei Tebessa auch
mächtige Phosphatlager mit wechselndem, an einzelnen
Stellen bis zu 83 '\, Gehalt, aufgefunden, die sich bis nach
Tunesien hinein erstrecken, wo besonders bei Gafsa ein
ungeheurer Phosphatreichtum entdeckt wurde. Die 1891
gebildeten englischen und französischen Gesellschaften haben
bereits ansehnliche Mengen davon verschifft, und das Departe-
ment Constantine führte an Phosphaten aus in
1897 98 99 1900
218 269 324 321 Tausend Tons,
die nach England, Frankreich, Italien und Deutschland gingen.
— 85 —
Im Jahre 1903 belief sich der Phosphatversand der Constan-
tine Phosphate Company auf 170 000," der Cie. des Phos-
phates du Dyr auf 76 000 und der Societe fran(^aise des
Phosphates de Tebessa auf 31000 Tons.
Salz wird aus den Salzseen und von Steinsalz ge-
wonnen, letzteres bei Milah, El Kantara und Wargla.
Letzthin sind am Salzsee Timmimun in der Oase Gu-
rara auch bedeutende Salpeterlager entdeckt worden, auf
Petroleum haben Im Jahre 1900 Konzessionen nach-
gesucht vier Bohrgesellchaften in Oran und fünf in Thiouanet.
und in St. Aime bei Relizane hat die Societe des Petroles
fran<;aises 1902 eine ausgedehnte Petroleumraffinerie angelegt.
Die Quecksilberminen von Taghit sind 1903 in
produktives Stadium eingetreten und ergaben 20 Tons
Quecksilber, man erwartet aber eine nennenswerte Zu-
nahme des Ertrags.
Marmor verschiedener Art, darunter der berühmte
giallo und rosso antico, schöner Onyx, Alabaster und
Gips werden ausgebeutet, auch Antimon, Nickel, Schwefel,
Magnesia und Porzellanerde sind vertreten.
Die gewerbliche Tätigkeit, welche im Mittelalter be- Industrie
deutender war, beschränkt sich jetzt bei der einheimischen
Bevölkerung im Teil und in den Küstenstädten fast aus-
schließlich auf Bereitung von Maroquin, Teppich-, Musselin-
und Seidenweberei. Die Kabilen der Gebirge treiben Acker-
bau und Viehzucht, daneben aber, industriöser als die Araber,
auch Wollweberei, Holzschnitzerei, Mattenflechten und sogar
etwas Bergbau, namentlich auf Eisen, welches sie zu Acker-
geräten, Schlössern, Gewehrläufen, Säbeln usw. verarbeiten.
Für die Bewohner der Sahara waren von altersher das
— 86 —
Weben wollener Burnuse, Haiks und Zeltdecken, die Kultur
der Dattelpalmen und der Vertrieb dieser Erzeugnisse die
Hauptquelle des Erwerbs. Fast bei allen Stämmen befinden
sich Mühlen und Ölpressen.
Bei der europäischen Bevölkerung hat sich eine
nennenswerte Industrie bislang noch nicht bilden können,
und die baldige Entwicklung einer solchen ist auch nicht
wahrscheinlich, da das Land alle Kräfte für den Ackerbau
nötig hat; auch das durch den Hochschutzzoll verteuerte
Leben und die hohen Eisenbahntarife wirken neben dem
Mangel an billigen und geschulten Arbeitskräften hinderlich,
und so wandern die Rohstoffe zu ihrer Bearbeitung meist
nach Frankreich. Die nennenswertesten, von Europäern in
Algerien betriebenen Industrien sind die Tabaks- und Zigarren-
fabrikation, Mahl-, Schneide- und Ölmühlen, Seidenspinnereien,
eine Papierfabrik, Ölsardinen- Packung für den Export und
Maccaroni- und Griesfabriken für den inländischen Bedarf.
Das im französischen Mutterland bestehende Monopol für
Tabak und Zündhölzer findet auf Algerien keine Anwendung;
dagegen ist aus Sicherheitsgründen Pulver in Algerien staat-
licher Monopolartikel.
Die Zollvereinigung Frankreichs und Algeriens hat für
beide Länder große Vorteile, aber doch auch manche kleine
Mißstände im Gefolge. Frankreich hat sein Schutzsystem
auf seine eigenen Bedürfnisse zugeschnitten, die sich natür-
lich nicht immer mit denjenigen einer jungen Kolonie decken ;
es steht besonders der Entwicklung der Tabak- und Papier-
industrie im Wege, die in Algerien ohne Zweifel sehr lebens-
fähig wären. In den Hafenstädten macht sich deshalb eine
lebhafte Bewegung für die Schaffung von Freihäfen geltend,
und die Regierung hat ihr insofern Rechnung getragen, als
sie seit kurzer Zeit einigen Tabaksfabrikanten zunächst schon
versuchsweise gestattet, den importierten Tabak zu verar-
— 87 —
beiten, vorbehaltlich der Verzollung bei der Einführung in
den inneren Konsum.
Schnellere Fortschritte als sämtliche übrigen Erwerbs- Handel.
zweige hat in Algerien der Handel gemacht. Der innere
Verkehr, vielfach noch Tauschhandel, beschränkt sich auf
gewisse Marktplätze, auf denen die Eingeborenen an be-
stimmten Wochentagen ihre Produkte gegen europäische
Waren austauschen, und zwar sind dies besonders folgende
Plätze. In der Provinz Oran: TIemsen, Mostaganem, Oran,
Mascara, Ain Temuschent und Tiaret; in der Provinz Algier:
Arba, Bufarik, Algier, Orleansville, Tenes, Medea, Arib und
Boghar; in der Provinz Constantine: Constantine, Gelma,
Bone und Setif; Hauptmarkt für Wolle ist Tiaret, für Rind-
vieh Gelma, für Getreide Arba.
Auch der Karawanenhandel ist ziemlich bedeutend.
Nachdem Biskra schon 1869—1884 eine Art „Freihafen" für
den Saharahandel gewesen, wurden durch Dekret des General-
gouverneurs Cambon 1896 vier Freihandelsniederlagen im
Süden Algeriens als eine Art Wüstenhäfen geschaffen,
nämlich in Tuggurt, Gardaia, Ain Sefra und Lalla Marnia.
Bis dahin bezahlten von Frankreich kommende und nach
dem Süden und nach Marokko gehende Waren in Algerien
einen hohen Durchgangszoll, der auf Zucker z. B. 60 Francs
für den Zentner betrug; infolge dessen konnte Südmarokko
seinen Zucker billiger von Osten her über Tripolis oder
von Westen her über Kap Dschubi beziehen. Nunmehr
aber wurde bestimmt, daß auf gewisse vom Ausland komniende
Waren — Zucker, Kaffee, Tee, Gewürze, Petroleum, Alkohol,
seit 1902 auch Baum woll waren — der an der algerischen
Küste erhobene Zoll zurückerstattet wird, sobald nachge-
wiesen werden kann, daß sie wirklich nach dem Süden
weitergingen und nicht nach algerischem Gebiet zurück-
geschmuggelt wurden. Infolge dieser Maßregel hat die Aus-
fuhr Algeriens über Figig nach Marokko denn auch rasch
zugenommen: Zucker stieg von 700 kg in 1896 auf 2027
Tons in 1901, Kaffee von 11500 kg in 1896 auf 71000 kg
in 1901, Tee von 0 in 1896 auf 12 700 kg in 1901 und
die Qesamtausfuhr Südalgeriens nach Marokko im Jahre 1902
wertete 749 000 Francs. Im Jahre 1904 glaubte man in
Beni Unif, dem Terminus der Süd-Oran-Bahn, einen Transit-
verkehr von fünf Millionen Francs zu erreichen.
Für den fremden Handel kommen hauptsächlich die
Hafenplätze Oran, Algier, Bougie, Bone, Philippeville, Tenes,
Mostaganem und Nemours in Betracht. Während des Jahr-
zehnts 1830 — 1840 wies die Einfuhr jährlich nur 3 — 4
Millionen Francs und noch 1850 erst fünf Millionen Francs
auf, während die Ausfuhr von sieben Millionen in 1830 be-
reits im Jahre 1840 auf 40 Millionen Francs gestiegen war.
Seitdem hat sich der Spezialhandel, ziemlich konstant in der
Einfuhr, je nach dem Ausfall der Ernten sehr schwankend
in der Ausfuhr, wie folgt entwickelt in Millionen Francs:
1877
88
90
91
92
Einfuhr
133
234
260
269
239
Ausfuhr
216
197
248
222
228
1893
94
95
96
97
Einfuhr
231
259
255
269
265
Ausfuhr
169
242
284
231
276
1898
99
1900
Ol
02
Einfuhr
290
309
323
318
325
Ausfuhr
265
325
242
262
299,
Zwischen Algerien und Frankreich besteht seit 1867,
mit Ausnahme von Tabak, Alkohol, Zündhölzchen, Zucker,
Kaffee und anderen Kolonialwaren keine Zollgrenze,
- 89 -
französische Waren, mit Ausnahme von Zucker, und in
Frankreich nationahsierte Waren gehen in Algerien zollfrei
ein und auch französischer Zucker und französischer Kolonial-
zucker sind vor fremdem begünstigt; anderseits werden
algerische Produkte, mit Ausnahme von Tabak und Zucker,
in Frankreich zollfrei eingelassen, und der algerische Über-
schuß sucht und findet infolge dessen sein erstes Absatzfeld
im Mutterland. So fällt denn der Löwenanteil von Algeriens
Außenhandel an Frankreich, und was man in Algerien da-
durch an Zolleinnahmen verliert, sucht man seit 1844 durch
Auferlegung einer Verbrauchssteuer, des octroi de mer.
wett zu machen, welcher eine Anzahl Konsumartikel fran
zösischer wie fremder Abstammung mit einem hohen Auf-
schlag belastet und wesentlich zur allgemeinen Verteurung
beiträgt.
Fremde Waren unterliegen dem französischen Zolltarif,
und nur an den Landgrenzen Algeriens besteht insofern ein
Unterschied, als eigene Produkte der Nachbarländer frei
eingehen, während fremde Waren auch hier dieselben Zölle,
wie in den Häfen bezahlen. So ließ Algerien seit 1867 alle
Waren marokkanischen Ursprungs für den algerischen
Konsum, soweit sie auf dem Landweg kommen, zollfrei ein,
unterwarf sie 1872-95 nur einer niedrigen statistischen Ab-
gabe und erhob dann nur noch 10 Centimes „droit sanitaire"
für jedes Stück eingeführten marokkanischen Viehs. Um die
algerischen Kolonisten und Eingeborenen aber gegen die
billige marokkanische Konkurrenz zu schützen, und um dem
algerischen Budget eine neue Einnahmequelle zu erschließen,
deren jährlichen Ertrag man auf 7 — 800000 Francs schätzt,
ist Anfang 1905 diese seit 1895 bestehende Zollfreiheit
wieder aufgehoben worden. An der langen, schlecht be-
wachten algerisch -marokkanischen Grenze findet übrigens
beiderseits ein lebhafter Schmuggel statt.
— 90 —
Die Verteilung des Spezialhandels im Jahre 1902
wies für die einzelnen Verkehrsländer folgende Summen auf.
in der Einfuhr: Frankreich 271, Marokko 10,6, Eng-
land 6,9, Brasilien 6, Tunis 5,3, Spanien 5,3, Italien 2,6,
Rußland 2,1, Österreich 2, Nordamerika 1,9, Portugal 1,8,
Deutschland 1,4, Belgien 1,3, Niederlande 0,7 Millionen Francs.
in der Ausfuhr: Frankreich 250, England 12, Belgien
9,1, Tunis 4,8, Italien 3,8, Deutschland 3,7, Niederlande 3,
Rußland 2,4, Österreich 1,8, Spanien 1,7, Nordamerika 0,8
Millionen Francs.
Die wichtigsten Ausfuhrwaren des Jahres 1902 bildeten:
Wein 92,9, Getreide 68, Tiere 40, Häute und Felle 7,6, Zink-
erze 7,1, Kork 7,1, Phosphate 7,1, Tafelobst 6,6, Eisenerze
5.8, Olivenöl 5,7, Tabak 5,6, Haifa 5,2, Wolle 3,5, Kar-
toffeln 3, Crin vegetal 3, Gemüse 2,4 Millionen Francs.
Der Einfuhrhandel liegt überwiegend in französischen
Händen, und zwar bestanden die aus Frankreich stammenden
Einfuhrwaren 1900 hauptsächlich in folgendem: Baum-
wollwaren 36,5, Wäsche und Kleider 16,6, Wollwaren 8,8,
Leder und Lederwaren 17,7, Werkzeuge und Metallwaren
9.9, Möbel und Holzwaren 9,1, Papierwaren 7,3, Kurzwaren
5,8, Maschinen 5,6, ordinäre Seifen 5,8, Zucker 5,6 Millionen
Francs, ferner Getreide und Mehl, während die französischen
Kolonien und das übrige Ausland folgende Hauptartikel
lieferten: Kohle 14,8, Vieh 10, Kaffee 5,3, Bauholz 4,8,
Tabak 2,1, Maschinen 1,7, Felle 1,7, vegetabilische Öle 1,2,
Wollwaren 1,2 und Baumwollwaren 1 Millionen Francs.
im gleichen Jahre 1900 gestaltete sich die Ausfuhr-
bewegung der einzelnen Warengattungen wie folgt. Es
gingen nach Frankreich: Wein 50 (gegen 141 im Jahre
1899), Getreide und Mehl 38, lebende Hammel 19, Wolle
1 1,4, Häute und Felle 7, Pferde 2,2, Ochsen 1,8, Schweine 1,1,
— 91 —
Fischwaren 1.2, Obst 4, Gemüse 1,7, Tabak 1.4, Olivenöl
3,2, Kork 2,5. Crin vegetal 1,6, Essenzen 1.5, Liqueure 1.1,
Phosphate 3,2 Millionen Francs, während das übrige Aus-
land und die französischen Kolonien bezogen: Phosphate 8,5,
Tabaksfabrikate 7.1, Haifa 7, Felle 5, Eisenerze 4,7, Kork 3,7,
Zerealien 3,4. Crin vegetal 1.5. Baumwollgewebe 0,7, Woll-
gewebe 0,6, Bleierze 0,4 Millionen Francs.
Es entfielen in Millionen Francs in der
Einfuhr
1899
1900 Ol
02
auf Frankreich
260
260 255
271
„ Ausland
59
64 63
Ausfuhr
54
1899
1900 Ol
02
auf Frankreich
279
173 211
250
.. Ausland
66
69 51
49.
Der große Rückgang in der Ausfuhr nach Frankreich von
1899 zu 1900 erklärt sich durch die bereits besprochene
Krisis im Wein band el. In der Einfuhr aber hat es Frank-
reich dank seiner Zollgesetzgebung erreicht, daß es den
Markt in Industrieerzeugnissen fast vollständig beherrscht
und in Algerien vom nichtfranzösischen Ausland überwiegend
nur solche Produkte eingeführt werden, welche das Mutter-
land überhaupt nicht erzeugt. So besteht denn auch die
Einfuhr aus England ganz überwiegend nur in Kohlen,
während seine Baumwollwaren durch den hohen Zoll aus-
geschlossen sind.
Auch der deutsche Handel ist fünfmal so stark an
Algeriens Ausfuhr, als an der Einfuhr beteiligt, und zwar gibt
die deutsche Reichsstatistik folgende Zahlen für das deutsche
Zollgebiet: Ausfuhr nach Algerien 1897: 78 000 Mark
und mit ständiger Steigerung 1901: 536000 Mark, 1902:
— 92 —
526000 Mark; 1903: 899 000 Mark. Einfuhr von Algerien
1897: 2,8, 1899:4,9, 1900: 8,3, 1901: 6,6, 1902: 8,6, 1903:
9,1 Millionen Mark. Im Jahre 1903 bestand unsere Einfuhr
aus den Hauptposten: Phosphate 2964, Eisenerz 1623,
Pflanzenhaar 875, Ziegen- und Schaffelle 751, Korkholz 717,
Wein 369, Zinkerz 331 Tausend Mark, sodann aus Tafel-
trauben, Kartoffeln, Weinhefe, Zigaretten, getrockneten Feigen
usw., während unsere kleine Ausfuhr nach Algerien 1903 in
erster Linie Kohlen mit 227, Maschinen mit 172, Rohtabak
mit 95 und ätherische Öle mit 85 Tausend Mark umfaßte
und angesichts der Zollschranken einer wirklich nennenswerten
Ausdehnung kaum fähig scheint. Tatsächlich ist die deutsche
Ausfuhr nach Algerien übrigens erheblicher, als die Reichs-
statistik annehmen läßt, da ein großer Teil deutscher Waren
wegen der seltenen Schiffsverbindung zwischen deutschen
und algerischen Plätzen zunächst nach anderen Ländern,
insbesondere nach Prankreich ging und durch deren Ver-
mittlung nach Algerien gelangte. Nachdem bis dahin nur
die deutsche Levantelinie regelmäßig algerische Häfen an-
gelaufen, nahm im Januar 1900 auch die adriatische Linie
der Hamburg-Südamerikanischen Dampfschiffahrtsgesellschaft
diesen Dienst auf.
Eine Handelsbörse besteht in Algier schon seit 1852,
Handelskammern gibt es in Algier, Oran, Constantine,
Bone, Philippeville und Bougie.
Geld-, Maß- und Qewichtssystem sind in Algerlen
französisch, und es bestehen in der Kolonie fünf französische
Banken mit Filialen an den Hauptorten, nämlich die Banque
d' Algerie, die Compagnie algerienne, der Credit foncier et
agricole d' Algerie, der Credit algerien und der Credit
Lyonnais. Die Banque d' Algerie wurde 1851 als Emissions-
bank mit einem Anfangskapital von drei Millionen Francs
— 93
zunächst für 20 Jahre privilegiert und die Konzession 1868
um 10 Jahre, 1880 um 16 Jahre, 1897 und 1899 zunächst
provisorisch verlängert, bis die Bank durch Gesetz vom
5. Juli 1900 reorganisiert wurde, nachdem sie sich durch
Lokalbeeinflussung und übermäßige Landbeleihungen seit 1892
in einer Art Liquidation befunden hatte. Das neue, für
20 Jahre erteilte Privileg gesteht der seit 1880 mit einem
voll eingezahlten Kapital von 20 Millionen Francs arbeitenden
Bank das Recht der Notenausgabe bis zu einer Maximal-
höhc von 150 Millionen Francs zu, welche aber jederzeit
bar eingelöst werden müssen. Als Gegenleistung hat die
Bank u. a. für die Dauer ihres Privilegs einen zinsfreien
Vorschuß von drei Millionen Francs zu gewähren, der dem
landwirtschaftlichen Kredit dienen soll. Man hatte zunächst
den Gedanken gehabt, das Bankprivileg für Algerien der
Banque de France zu übertragen, sah schließlich aber davon
ab, da die von diesem' Institut bei Diskontierungen unbedingt
geforderten drei Unterschriften für die Kolonie eine zu harte
Bedingung gebildet haben würden. Dagegen hat die Banque
d' Algerie 1900 die Verpflichtung übernommen, jedem
Reisenden in den Hafenplätzen kostenlos bis zu 1000 Francs
ihrer Noten gegen diejenigen der Bank von Frankreich um-
zuwechseln. Der Notenumlauf der Bank betrug im Jahre
1904 120 Millionen Francs, an Dividende wurden 1902 und
1903 je 6 "o verteilt.
Der Credit foncier et agricole d' Algerie arbeitet
mit einem Kapital von 30 Millionen Francs, wovon die
Hälfte eingezahlt ist, wurde 1880 durch den Credit foncier
de France gebildet, der schon seit 1860 in Algerien tätig
gewesen war und beschränkt sich heute fast nur auf Hypo-
theken- und gewöhnliche Bankgeschäfte, während er die
riskantere Bevorschussung von Ernten und landwirtschaft-
lichen V^orräten fast völlig aufgegeben hat. Die von ihm
— 94 —
für Privatleute berechneten Hypothekenzinsen betragen 4 bis
5% P- 3- ""<^ 2^^'^'* s'"^ ^^"^^ S'^^ ^"^ '"""'^ ^2^ Milhonen
Francs belaufenden Hypotheken etwa je zur Hälfte in
städtischem und in ländlichem Besitz angelegt.
Diese Zahl gibt natürlich nur ein unvollkommenes Bild
der Hypothekenverschuldung Algeriens, welche im ganzen
über 400 Millionen Francs beträgt, da heute viele Privat-
leute in Frankreich und Algerien den Kolonisten Geld leihen
oder sich als Kommanditäre an Ackerbau -Unternehmen
beteiligen.
Die mit einem Kapital von 25 Millionen Francs arbei-
tende Compagnie algerienne ist die Nachfolgerin der 1866
mit einem Kapital von 100 Millionen Francs gegründeten
Societe generale algerienne, welche außer Bankgeschäften
auch die Übernahme öffentlicher Arbeiten, Bergbau und
Fabrikbetrieb, Land- und Forstwirtschaft und Kolonisation
betreiben sollte und für letzteren Zweck 100000 ha Domänen-
land gegen eine jährliche Rente von nur 1 Franc für den
Hektar bekam. Durch unglückliche Spekulationen sah sich
aber die Bank, welche ihr vielseitiges Programm nur unvoll-
ständig erfüllt hatte, 1877 zur Liquidation gezwungen, und
ihre Nachfolgerin betreibt nur das gewöhnliche Bankgeschäft
und die bestmögliche Ausnutzung ihrer Domäne.
Der mit einem Kapital von acht Millionen Francs
arbeitende Credit algerien macht weder Diskontgeschäfte,
noch empfängt er Depositen, sondern er beschäftigt sich
überwiegend mit Anleihen von Städten, Departements und
Eisenbahnen.
Der bekannte Cre'dit Lyonnais hat seit 1878 Filialen
in Algier und Oran und betreibt alle Arten von Bank-
geschäften.
Die Notierungen für die Aktien im Januar 1905 und
die letztbezahlten Dividenden waren für die Banque d' Algerie
— 95 —
1500 (33,20), Compagnie algerienne 802 (37,50), Credit
foncier et agricole d' Algerie 500 (12 ' -), Credit alge'rien
1050 (37 ' o), Societe Immobiliere Alge'rienne 930 (25) Francs.
Der gesetzliche Zinsfuß, 1835 mit 10 '\i limitiert, ist
erst 1881 auf 6, 1898 auf 5"„ herabgesetzt. Bis 1898 gab
es volle Zinsfreiheit, das Maximum wurde dann aber mit
8 ®o festgesetzt. Der gewöhnliche Diskontsatz pflegt 7 bis
8 % zu betragen.
Die Landwirtschaft ist eines billigeren Kredits viel-
fach bedürftig, da besonders die Eingeborenen meist außer-
halb des direkten V^erkehrs mit den Banken bleiben und bei
Geldbedarf im allgemeinen auf den Wucherer angewiesen
sind, der sie oft in ruinöser Weise aussaugt. Der Jude
nimmt 50 — 150'^'o p. a., aber auch der reiche Moslim scheut
sich nicht, Getreide, welches nach der Ernte rückzahlbar
ist, mit einem Preisaufschlag von 50 " o für die Kreditfrist
von 4 — 8 Monaten zu verkaufen. Als recht wertvoll hat
sich deshalb die von der Regierung geförderte und durch
Gesetz von 1893 organisierte Einrichtung nur für Ein-
geborene bestimmter kommunaler Hülfskassen auf Gegen-
seitigkeit erwiesen, welche für Vorschüsse in bar 5"n p. a.,
für solche in Naturalien 10",, berechnen, und deren man
Ende 1902 in 172 verschiedenen Kommunen zählte.
Nachdem die Banque d' Algerie den landwirtschaft-
lichen Kredit nicht mehr pflegt, wurden 1901 regionale
landwirtschaftliche Kreditanstalten auf Gegenseitigkeit ge-
gründet, denen man unter gewissen Voraussetzungen auch
die von der Banque d' Algerie überwiesenen 3 Millionen
Francs zur Verfügung stellt, und die dem europäischen
Landwirt dienen sollen.
Neben den vorstehend aufgeführten Kreditinstituten gibt
es auch noch für Europäer bestimmte Hülfskassen und
staatliche und private Sparinstitute.
— 96 —
Verkehr. Was den Verkehr anbetrifft, so gab es 1830 im In-
nern der Kolonie nicht eine einzige Straße; man kannte im
Teil nur unfahrbare Stege, kaum breit genug für einen
Reiter, im Süden folgten die Karawanen den durch die
Wasserstellen vorgezeigten Richtungen. Sofort nach der
französischen Eroberung aber fing man, mit Hülfe der Truppen
und von Algier aus beginnend, mit dem Wegebau an, und
heute überzieht ein Netz vorzüglicher Straßen die ganze
Kolonie. Die Sorge für Bau und Unterhaltung der Land-
straßen liegt, wie in Frankreich, teils dem Staate, teils den
Departements, teils den Gemeinden ob. Die noch nicht
ganz beendigten zehn großen Nationalstraßen hatten im
Jahre 1900 eine Länge von 2920 km, die Departements-
straßen eine solche von 1311 km, die Gemeindestraßen
7600 km. Da die Unterhaltung der Straßen in Algerien
sehr kostspielig ist und einen großen Teil des Etats für
Wegebau beansprucht, wird die Herstellung neuer Wege
dadurch verzögert. Die wichtigsten Kunststraßen sind die,
welche Medea, Blida, Bufarik und Duera mit Algier, und
Bougie mit Setif verbinden. Diese und andere Straßen
haben auch einen regelmäßigen Diligence-Dienst. Straßen-
bahnen existierten Anfang dieses Jahrhunderts 177 km im
Betrieb. Die Hotels lassen, mit Ausnahme der vom
fashionablen Touristenverkehr berührten Punkte, mancherlei
zu wünschen übrig, doch ist die Verpflegung, dank der
ständig zirkulierenden Kundschaft zahlreicher französischer
Verwaltungsbeamter und Offiziere, durchschnittlich gut.
Die Eisenbahnen Algeriens, Ende 1901, im ganzen
3094 km und 234 km Trams und Lokalbahnen, die soge-
nannten chemins de fer sur routes, umfassend, sind in der
Hauptsache Küstenbahnen, nur die Linien von Arzeu nach
Figig und von Philippeville nach Biskra reichen tiefer in
das Land hinein, und zwar haben hier alle Bahnen einen
— 97 —
— teilweise ausschließlichen - strategischen Charakter
und bilden die beste Garantie für die Ruhe im Lande; viel-
fach ist daneben natürlich auch das wirtschaftliche Interesse
vertreten, und an einzelnen Stellen, wie z. B. zwischen Suk
Ahras und Tebessa nach Entdeckung der großen Phosphat-
lager, überwiegend geworden. Aber nur zwei Linien, Arzeu-
Sai'da für die Haifa -Ausbeute und Bone-AVn Mokra für den
Erzabbau bestimmt, entstammen der Privatinitiative, alle an-
deren sind auf offizielle Anregung zurückzuführen, erhielten
Staatszuschuß für ihre Baukosten und genießen eine auf
verschiedener Basis beruhende Zinsgarantie.
Ein erstes Eisenbahnprogramm für Algerien wurde 1857
vorgelegt und umfaßte im ganzen 1537 km, nämlich die der
Küste parallel laufende Linie Oran- Algier- Constantine und
die von den Haupthäfen ausgehenden Stichbahnen von Oran
nach Sidi bei Abbes und TIemsen; von Arzeu und Mosta-
ganem nach dem fruchtbaren Distrikt von Relizane; von
Tenes nach Orleansville; von Bougie nach Setif; von Phi-
lippeville nach Constantine; und von Bone nach Quelma und
Constantine. Von diesem Programm, das noch heute nicht
in allen Teilen durchgeführt ist, wurden durch Gesetz vom
Jahre 1860 zunächst drei Linien mit zusammen 178 km zur
Ausführung bestimmt, nämlich Philippeville- Constantine,
Algier- Blida und Oran -St. Denis, und die Regierung be-
willigte dafür eine Bausubvention von sechs Millionen Francs
und eine Zinsgarantie von 5 " o auf ein Maximalkapital von
55 Millionen Francs. Die 51 km lange Strecke Algier-Blida
wurde 1862 eröffnet, aber bereits im nächsten Jahre trat der
Privatunternehmer Rostand zugunsten der großen franzö-
sischen Eisenbahngesellschaft Cie. du chemin de fer Paris-
Lyon-Mediterranee zurück, welche die Konzessionen für die
Linien Oran -Algier (421 km) und Philippeville -Constantine
(87 km) erhielt; letztere wurde 1863—1870 gebaut, erstere
Schanz, Algerien, Tunesien, Tripolitanien. 7
- 98 —
1871 eröffnet. Die gewählte Normalspur von 1,44 m erwies
sich allerdings als unnötig breit und verteuerte Bau und
Betrieb ohne Not. Man ging deshalb in der Folge vielfach
zur Spur von 1 m über, und zwar begann damit die Privat-
gesellschaft Mokta-EI Hadid, welcher 1863 ohne Subvention
und Zinsgarantie die Anlage einer 33 km langen Bahn vom
Hafen Bone nach ihren Eisengruben bei A'i'n Mokta konzes-
sioniert wurde, die dem öffentlichen \' erkehr allerdings erst
seit 1885 dient; diese Bahn kostete 4.4 .Millionen Francs.
Dieselbe Schmalspur adoptierte auch die Cie. Franco-Al-
gerienne, welche durch Debrousse & Cie. die Konzession
für die 171 km lange Strecke Arzeu-Saida erhielt und zwar
gleichfalls ohne Bausubvention und ohne Zinsgarantie, aber
mit dem ausschließlichen Privileg, 300 000 Hektar Haifa-
ländereien in den Hochplateaus bei Saida, in dem soge-
nannten Haifameer, ausbeuten zu dürfen; diese Bahn wurde
1871 eröffnet, im Jahre 1872 wurde der bekannten Cie. des
Batignolles auf 99 Jahre die Konzession der 89 km langen
Linie Bone-Guelma übertragen, die 1877 eröffnet wurde, und
diese Cie. Bone-Guelma erhielt 1877 auch die Konzession
für den Bau von Guelma-Khroub (114 km) zum .Anschluß
an die Algier-Constantine-Linie. 1879 eröffnet; Duvivier-Souk
.■\hras (52 km) zur östlichen Fortsetzung der Hauptlinie, 1881
eröffnet; und die weitere Fortsetzung letzterer von Souk Ahras
bis zum tunesischen Grenzort Ghardimaou (58 km), 1884
vollendet. 1875 wurde an Joret die Konzession der 155 km
langen Linie Constantine-Setif vergeben, welche von der Cie.
de l'Est Algerien gebaut und 1879 eröffnet, aber erst 1886
bis Algier vollendet wurde. Anstelle der Einzelunternehmer
traten überall bald Gesellschaften.
Im Jahre 1879 wurde nun ein neues großes Programm
aufgestellt, welches strategische Linien, Stichbahnen von den
Haupthäfen nach dem Innern mit X'erlängerung nach den
— 99 -
Grenzen Tunesiens und Marokkos und endlich Vormarsch-
bahnen nach dem Süden, im ganzen 1741 km neuer Linien
vorsah.
Die Vormarschhnie im Osten wurde 1879 — 1888 von
der Cie. de l'Est Algerien 201 km weit von El Guerra durch
die berühmte Schlucht von Kantara nach der Oase Biskra
gebaut; ihre projektierte, 380 km lange Fortsetzung nach
Tuggurt undWargIa bildet einen Teil der geplanten Saharabahn.
Im Westen vollzog sich das Vordringen langsamer. Zu-
nächst wurde die Hauptlinie der Cie. Franco Algerienne mit
Regierungsunterstützung 1881 82 von Mosba bis Mescheria
(114 km) weitergebaut und nachdem die Gesellschaft 1884
in Schwierigkeiten kam, die 102 km lange Fortsetzung der
Bahn nach AVn Sefra vom Staate selbst in die Hand ge-
nommen und 1S87 beendet. 1892 begann man dann mit
den Vorstudien und 1893 mit dem Bau der 84 km langen
Linie AVn Sefra- Djenien bu Rezg des Chemin de fer Sud-
Oranais, eröffnete den V^erkehr bis Bu Rezg, 538 km von
Arzeu entfernt, im Februar 1900 und erreichte, durch die
Eroberung der Tuat-Oasen stimuliert, Soubia, jetzt Duveyrier
genannt, 1901. Von hier aus wird die Bahn, welche von
Mecheria ab durch befestigte Bahnhöfe und Blockhäuser in
Entfernungen von je 12 km gesichert ist, durch den Ued
Susfana nach Igli und von da aus vielleicht den Ued Saura
entlang weitergeführt.
Diese Süd-Bahn überschreitet das nördliche Randgebirge
des Atlas bei 1109 m Höhe, das südliche Randgebirge bei
1323 m und senkt sich dann hinab zu dem nur noch 320 m
hoch liegenden Ain Sefra. Das 572 km von Oran entfernte
Duveyrier wird vom Hafen aus erst in drei Tagen erreicht,
da die Züge langsam und nur am Tage fahren.
Nachdem es den Franzosen 1903 gelungen ist, durch
Vertrag in den Besitz der Oase Beni Unif zu kommen,
7*
— 100 -
welche bereits zur Gruppe von Figig gehört, ist auch diese
durch eine Zweigbahn mit Duveyrier verbunden worden, und
1905 beschloß man die 56 km lange Fortsetzung nach Ben
Zireg, 677 km von Oran.
iVlit Ausnahme dieser Süd-Oran-Linie und von 234 km
Lokalbahnen und Departementstrams, die zwischen 1892 und
1902 gebaut wurden, ist seit 1892 keine Hauptlinie mehr
eröffnet worden.
Auf die Entstehungsgeschichte der kleineren Bahnen
hier näher einzugehen, dürfte erübrigen, vielmehr eine Auf-
führung der verschiedenen Bahnsysteme genügen.
Die Compagnie P. L. M. besitzt und betreibt die
beiden, ohne eigenen Zusammenhang untereinander stehenden
Strecken Oran-Algier, 421 km, und Philippeville-Constantine,
87 km.
Die Cie. de FE st Algerien die Linien Algier-Con-
stantine, 464 km; El Guerra-Biskra, 201 km; Menerville-Tisi
Usu, 1888 eröffnet, 53 km; Bougie-Beni-Mansur an der Bahn
Algier-Constantine, 89 km; Uled Rahmun-AVn Beida, 1887—89
gebaut, 92 km.
Noch weiter östlich liegt das Konzessionsgebiet der
Cie. Böne-Guelma, welche die Linien Böne-Khrub (an
der Bahn Algier-Constantine) 203 km, und davon in Duvivier
abzweigend die Linie nach Ghardimaou, 111 km, betreibt,
seit 1890 auch die 1885 konzessionierte, 128 km lange
Strecke Suk Ahras-Tebessa, welche nur Meterspur besitzt.
Die Cie. Böne-Guelma besaß anfangs nur eine Zinsgarantie
seitens des Departements Constantine, und erst nach Über-
nahme des tunesischen Bahnbaues seitens der Gesellschaft
trat die französische Regierung als Garant ein.
Im Westen finden wir die Bahnen von zwei Gesell-
schaften gebaut, zunächst die bereits erwähnte ältere, un-
glückliche
— 101 —
Cie. Franco Algeriennc, welche die Strecke Arzeu-
Ain Sefra, 454 km. mit der 13 km langen Abzweigung
von Tisi nach Mascara und die 1889 fertig gestellte Strecke
von Mostaganem nach Tiaret auf dem Schott - Hochland,
197 km, baute, alle mit Meterspur, und im Jahre 1900 vom
Staate übernommen ; und sodann die jüngere
Cie. Ouest Algerien, mit den Strecken von Sainte
Barbe de TIelat, an dei' Bahn Oran -Algier nach Ras el Ma,
152 km, 1875 — 77 von einem Herrn Haring in Paris zur
Erschließung von Haifa- Distrikten erbaut und später von
der Compagnie übernommen; eine 64 km lange Zweiglinie
von Tabia nach Tlemsen wurde erst 1891 eröffnet; ferner
Oran-Ain Temuschent, 76 km; und endlich die 1888 — 94
gebaute 83 km lange und schmalspurige Bahn Blida-Ber-
ruaghia, deren 314 km lange Fortsetzung über Boghari nach
El Ahguat eventuell eine mittlere Vormarschlinie bilden
würde; bislang verkehrt nach El Aghuat jeden zweiten Tag
eine Diligence in drei Tagen. Die Mittelprovinz Algier ist
bislang überhaupt weitaus am schwächsten mit Eisenbahnen
bedacht.
Von den verschiedenen Industriebahnen dient nur
die 33 km lange Linie Böne - AVn Mokra auch dem öffent-
lichen Verkehr, nicht aber die 28 km, welche zu der algeri-
schen Salzwerken (21 km) und nach den Minen von
Kef-um-Thebul (7 km) führen.
Sämtliche Bahnen sind nur eingleisig, von den 2905 km
Bahnen, welche sich im Jahre 1900 im Betrieb befanden,
waren 972 km schmalspurig, und zwar wurden zum Bau
meist Europäer zugezogen, Einheimische nur als Erdarbeiter
und Handlanger verwandt. Das Wagenmaterial ist — mit
Ausnahme bei der Cie. Böne-Guelma — meist den alten
Beständen der französischen Kontinentalbahnen entnommen
und auch an Zahl nicht immer genügend. Ausschließliche
— 102 —
Personenzüge verkehren nur auf den Hauptstrecken, aber
auch hier ist der Lokalverkehr weitaus bedeutender, als der
Fernverkehr; die meisten Züge sind zugleich mit Güterverkehr
belastet und der dadurch veranlaßte Aufenthalt auf den
Stationen verlängert die Reise sehr empfindlich. Die Fahr-
geschwindigkeit übersteigt nicht 35 — 40 km in der Stunde,
die Fahrpreise für 1., 2. und 3. Klasse sind 12, 9 und 6 Cen-
times für das Kilometer. Die Frachttarife sind mit 12 Cen-
times für das Tonnenkilometer gerade doppelt so hoch, als
in Frankreich und geben den Kolonisten Anlaß zu steten
Klagen. Auf den größeren Strecken sind Speisewagen ein-
gestellt, und seit 1901 verkehrt im Winter einmal wöchentlich
auch ein Luxuszug mit guten Schlafwagen in 40 Stunden
zwischen Oran und Tunis. Der Schnellzug zwischen Oran
und Algier, 421 km, braucht 10^ o, der zwischen Algier und
Constantine, 464 km, \3^2, und zwischen Constantine und
Tunis, 464 km, 15 Stunden.
Aus der vorstehenden Skizze der Entwicklung des alge-
rischen Bahnnetzes geht hervor, daß mit Ende der achtziger
Jahre im allgemeinen ein Stillstand eintrat, und der erklärt
sich einmal daraus, daß die dringendsten Linien damals be-
endet waren, hauptsächlich aber aus den großen Kosten von
Bau und Betrieb. Waren die Konstruktionskosten für
das Kilometer doch folgende gewesen bei : Cie. Franco Alge-
rienne, alles schmalspurig, 102 000 Francs; bei der Cie.
P. L. M., alles Normalspur, 168 000 Francs; bei der Cie.
de l'Est Algerien, zu 90 "o Normalspur, 215 000 Francs,
bei der Cie. de l'Ouest Algerien, wovon VV, schmalspurig,
und bei der Cie. Böne-Guelma, wovon V» schmalspurig,
222 000 Francs; im Durchschnitt des ganzen Eisenbahn-
netzes kam das Kilometer in der ersten Einrichtung auf
180 000 Francs zu stehen.
— 103 —
Aber auch der Betrieb erwies sich bei sämtlichen
Linien so wenig lohnend, daß die fünf Gesellschaften Ende
1900 dem Staate 543 Millionen Francs schuldeten, und der
Betrieb der Linie der Franco - Algerien vom Staate über-
nommen werden mußte, und zwar stellte sich damals das
Bild irh einzelnen wie folgt:
Kilometer
Kosten erster
Einrichtung
Grundkapital
Est Algerien 898
190.9
25 Mill. Francs
Franco-Alge'rien 668
68,2
30 „
P. L. M. 513
86,7
n "
Böne-Guelma 436
97,2
30 „
Ouest Algerien 379
82,1
17..
2894 km
525.1
102 Mill. Francs
Obligationen.
Schuld an
den Staat, einschließlich
Zinsen auf Leihkapital
Est Algerien 175
183,1 Mill. Francs
Franco-Alge'rien 52
33.8
..
P. L. M. —
58.9
" n
Böne-Guelma 106
215.9
11 t»
Ouest Algerien 66
51,7
,.
399
543,4 Mill. Francs.
Kapital und Obligationen der P. L. M. sind dabei nicht
aufgeführt, weil sie für ihre französischen und algerischen
Linien nicht getrennt sind.
Die Notierung der 500 Francs- Aktien im Dezember
1904 und die letztbezahlte Dividende betrug bei der Cie.
Böne-Guelma 714 (30), bei der Est Algerien 710 (30) und
bei der Ouest Algerien 640 (23), während die 3% Obli-
gationen der drei Gesellschaften mit 440—444 notiert waren.
Die erzielten Einnahmen für 1903 betrugen auf dem
algerischen Netz der P. L. M. 9.8. bei der Est -Algerien 8.6,
— 104 —
bei der Böne-Guelma, altes und neues Netz, 10,2, bei der
Ouest-Algerien 3,9, bei der Franco-Algerien 4,2 und bei der
Linie Oran-Arzeu 0,3 Millionen Francs.
Auch heute noch zahlt der Staat an die Bahnver-
waltungen in Form von Garantiegeldern jährlich etwa 22 Mil-
lionen Francs Zuschuß, und wenn derselbe auch vielleicht
allmählich kleiner wird, so dürfte er doch kaum jemals ganz
verschwinden; die Rückzahlungsmöglichkeit der Schulden
aber scheint gänzlich ausgeschlossen. Die schlechte Ren-
tabilität ist begründet sowohl in dem kostspieligen Bau und
der mangelhaften Ausgestaltung des Bahnnetzes, wie auch in
der falschen Form der Zuschußleistung des Staates und un-
praktischer Tarifpolitik: Sind doch die Eisenbahntarife so
hoch, daß primitive Transportmittel wie Lasttiere und Last-
wagen dagegen konkurrieren. Die Anlage von billigen Zu-
bringer-Bahnen mit nur 60 cm Spur würde den Hauptbahnen
eine lohnende Verkehrssteigerung einbringen.
Man hat vorgeschlagen, die Hauptbahnen Algeriens zu
verstaatlichen, und es wären auf Grund der bestehenden
Verträge rückkaufbar die Linien der P. L. M. bereits seit
1875, die Ouest seit 1898, der Franco - Alge'rien seit 1899
und der Böne-Guelma seit 1902, die Est wird es 1906; aber
es bliebe dann noch immer die heikle Frage, wer den Be-
trieb übernehmen solle, der Staat oder Betriebsgesellschaften.
Inzwischen ist bestimmt worden, daß vom Jahre 1926 ab
die Kolonie selbst die Zinsgarantien zu zahlen haben wird,
und mit dem Bau der 14 000 km, die geplant sind, wird es
noch gute Weile haben, soweit nicht politische und strate-
gische Zwecke dabei mitsprechen.
So hat der Staat im Dezember 1903 der Westalgerischen
Eisenbahngesellschaft die längt beschlossene Fortsetzung ihrer
Normalspurlinie von Tlemsen nach der 70 km entfernten
marokkanischen Grenze konzessioniert und übernimmt die
— 105 —
Zinsgaranlie auf 21 Millionen Francs Baukapital. Diese
Bahn soll vorläufig in Lalla Marnia östlich von Uschda
enden, später aber, um den jetzigen Karawanenverkehr zu
ersetzen, über Tesa nach Fes fortgeführt werden und eine
Hauptlinie bilden, an welche lokale Nebenlinien angeschlossen
werden könnten ; man veranschlagt die Kosten der Bahn bis
Fes auf etwa 80 Millionen Francs.
Daß bei dem besonders regen Interesse, welches gerade
in Frankreich von Anfang an für den Aütomobilismus ge-
herrscht hat, auch in Algerien die Einführung von Kraft-
wagen in die Wege geleitet wurde, ist nur natürlich, be-
sonders in Süd-Oran wird der Automobildienst gepflegt und
ermutigt.
Auch Post und Telegraph arbeiten in Algerien noch
mit Defizit. Letzterer besaß im Jahre 1902: 11756 km
Linien und 33 926 km Drahtlänge; alle Hauptorte der Unter-
divisionen sind mit der Divisionshauptstadt und diese wieder
mit Algier verbunden; die Militärverwaltung arbeitet auch in
ausgedehntem Maße mit optischem Telegraph, besonders im
Süden.
Ein Lieblingsplan der französischen Kolonialpartei geht
dahin, von Algerien quer durch die Sahara eine Tele-
graphenlinie nach den westafrikanischen Besitzungen
Frankreichs zu legen. Diese vom Hauptmann Non geplante,
2256 km lange Verbindung ist kürzlich durch zwei Militär-
missionen begutachtet worden, die unter Hauptmann Laper-
rine von Insalah und unter Hauptmann Theveniaut von Tim-
buktu ausgingen und sich im April 1904 am Brunnen Timissao
etwa unter dem 22" n. Br. trafen, nachdem sie seitens der
einheimischen Bevölkerung freundliche Aufnahme gefunden
hatten. Damit ist die terra incognita der westlichen Sahara
zwischen Niger und Algerien, seit Oberst Laing 1826 bei
Timbuktu ermordet wurde, zum ersten Male wieder gekreuzt
— 106 —
worden. Da längs der Telegraphenleitung quer durch die
Sahara, deren Kosten auf 2^ j Millionen Francs veranschlagt
sind, Militärposten zu deren Überwachung eingerichtet werden
sollen, so könnte sich hier mit der Zeit eine Karawanen-
straße entwickeln, die nicht nur militärischen Schutz, sondern
auch Proviant und namentlich Trinkwasser vorfinden würde.
Die reiche Oase Arauan, nordwestlich von Timbuktu, hat
sich im August 1904 unter französischen Schutz gestellt.
Seit 1870 ist Algerien durch Kabel mit Frankreich
verbunden, und zwar besitzt der Staat seit 1879 drei Kabel
zwischen Marseille und Algier, eins zwischen Marseille und Oran
und seit 1902 auch ein solches zwischen Oran und Tanger;
älter sind zwei Kabel der englischen Eastern Telegraph Cie.,
welche seit 1870 Marseille mit Böne und dieses wieder mit
Malta verbinden.
Die früher so berüchtigte Küste Algeriens ist heute
} durch nicht weniger als 46 Leuchtfeuer gesichert.
Schiffahrt. Die eigene Handelsflotte Algeriens nimmt zwar regel-
mäßig zu, umfaßte im Jahre 1903 aber in 841 Fahrzeugen
nur rund 24 000 Tons.
Dagegen wies der eingehende Schiffsverkehr im
Jahre 1902 auf:
2240 französische Schiffe mit 1 666 000 Tons Gehalt
1019 andere „ „ 773 000 „
3259 Schiffe mit 2 439 000 Tons,
im Jahre 1901 war die Zahl der einkommenden Schiffe
auf 3830 gestiegen mit 2 763 800 Tons Gehalt, und zwar
verteilten sich dieselben wie folgt;
Algier Oran Böne Philippeville Beni Saf
1200 1069 686 318 132 Schiffe
951 738 412 216 ISOTausd. Tons
— 107 —
Bougie Arzeu Mostaganem Andere
98 57 44 226 Schiffe
66 43 31 124 Tausd. Tons
Die Schiffahrt zwischen Frankreich und algerischen
Häfen wurde anfangs durch staatliche Schiffe zwischen
Toulon und Algier, mit Abzweigungen nach Oran und Böne
unterhalten, der Transport von Post und Passagieren ab
1842 aber subventionierten Gesellschaften übertragen,
während der algerische Küstendienst noch bis 1866 von der
Marine und erst dann von der Handelsschiffahrt besorgt
wurde. Auch nachdem man 1861 die Schiffahrt zwischen
Frankreich und seinen Kolonien freigab, blieb der Verkehr
zwischen Algerien und dem Mutterland ausschließlich
französischen Fahrzeugen vorbehalten, und das Gesetz von
1889 hat diesen Zustand neuerdings bestätigt. Es kommen von
den sieben französischen Dampferlinien, welche nach Al-
gerien fahren, besonders drei in Betracht, welche unter staat-
licher Subvention von jährlich 1600000 Francs und Schnellig-
keitsprämien bis zur Höhe von 400 000 Francs den Postdienst
besorgen und unter sich ein Kartell haben, welches ihnen
erlaubt, ohne Konkurrenzfurcht Personen- und Gütertarife
möglichst hochzuschrauben, worüber man sich in den be-
teiligten Kreisen schon längst stark beklagt; es sind dies die
Cie. Generale Transatiantique, die Cie. de Navigation mixte
(Cie. Touache in Marseille) und die Societe generale des
transports maritimes ä vapeur. Die Transatiantique, welche
über die besten Postdampfer verfügt, fährt von Marseille aus
viermal in der Woche nach Algier (417 Seemeilen in 25 bis
26 Stunden, 1. Klasse 120 Francs, 4. Klasse 22 Francs), und
je zweimal wöchentlich nach Oran, Bougie, Philippeville,
Böne und Tunis; die Dampfer der beiden übrigen Gesell-
schaften brauchen von Marseille nach Algier, je nach Wetter
30 40 Stunden, und berechnen in 1. Klasse 70 und 7.S Francs
— 108 —
Passagegeld. Billiger sind die Passagen auf den Schiffen der
wöchentlich einmal von Marseille nach Algier fahrenden
Societe Caillot & Saintpierre und von Prosper Durand,
welche 50 bezw. 40 Francs berechnen. Die wöchentlich von
Marseille fahrenden Dampfer der Cie. Franco-Tunisienne de
Navigation laufen Algier ebenfalls an. Auch die Häfen von
Arzeu, Mostaganem, Bougie und Böne haben direkte Dampfer-
verbindung mit Marseille, und neben diesem kommen von
französischen Häfen noch Port Vendres, Cette, Bordeaux,
St. Nazaire, Havre und Dünkirchen in Betracht.
Die Zahl sämtlicher Algerien anlaufender Dampfer-
linien ist gegen 40. Die seit 1890 tätige Deutsche Le-
vantelinie läßt monatlich 1 — 2 Dampfer von Malta, Algier
und Oran direkt nach Hamburg laufen, auch ihre Exkursions-
dampfer berühren Algier; sodann kommen von deutschen
Linien noch die dreimal monatlich nach Oran und Algier
laufenden Freitas- und die Bremer Argo-Dampfer in Betracht,
und auch die Societe franc^aise d' Armement hat einen regel-
mäßigen Dienst zwischen Oran und Stettin eingerichtet. Die
Schiffe der ungarischen „Seeschiffahrts-Aktiengesellschaft
Adria" laufen jede zweite Woche von Fiume über Messina,
Malta und Tunis nach Algier, Oran und Tanger. Von den
englischen Dampferlinien kommen besonders die Papayanni
Line, Holt's Ocean Line und die Schiffe von J. Moß & Co.
ab Liverpool in Betracht.
, Verkehr betreffend, sei noch beiläufig erwähnt, daß
die Polizei Algeriens in der Kontrolle Fremder übertrieben
ängstlich ist und auf den Meldezetteln die Beantwortung von
etwa 20 Fragen verlangt.
Hauptorte. Werfen wir schließlich einen Blick auf die Hauptorte
der Kolonie, so finden wir dieselben auch heute noch
sämtlich umwallt und zwar nicht nur die berühmten alten
!1
— 109 —
Plätze an der Küste und im Innern, die schon eine lange
Kriegsgeschichte hinter sich haben, sondern auch die erst
von den Franzosen angelegten Garnisonstädte, die innerhalb
ihrer Mauern gerade, sich rechtwinklig schneidende Straßen
mit Schaltenbäumen, große Plätze und ganz europäischen
Zuschnitt aufweisen. Außer Algier und Oran gibt es in der
ganzen Kolonie kaum ein Dutzend Städte von mittlerer Be-
deutung.
Die Hauptstadt Algier zählt heute, . mit der 1904 mit
ihr vereinigten Vorstadt Mustapha zusammen, 135 000 Ein-
wohner und ist in ihren unteren Teilen und an der ganzen
Peripherie durchaus französisch. Von den 98000 Einwohnern
der eigentlichen Stadt .Algier im Jahre 1901 waren 39 500
Franzosen, 12 500 Spanier, 5 700 Italiener, 2 000 andere
Europäer, 27 000 Mohammedaner und 1 1 000 Juden. Herr-
lich gelegen, zieht sich hinter dem Hafen der weißen Stadt
zunächst eine zwei Kilometer lange stattliche Terrasse mit
glänzenden Häusern, Restaurants und Cafes im Pariser Stil;
Pariser Banken und Warenhäuser haben hier ebenso ihre
Filialen, wie die großen Münchner Brauereien, und elektrische
Straßenbahnen vermitteln den V^erkehr. Über der Unterstadt
baut sich den Bergabhang hinauf die Eingeborenenstadt mit
ihren malerischen, engen Gassen und gekrönt von der 1516
begonnenen alten Kasbah der Deis, jetzt Kaserne; aber selbst
hier wohnen Europäer bunt durcheinander mit Arabern und
Juden. Die Stadt ist stark befestigt, Sitz der Regierung und
eines bedeutenden Handels, den man durch Erweiterung und
Verbesserung der Hafenanlagen zu heben sucht; besonders
bestrebt man sich, Algier zur Hauptkohlenstation der .Mittel-
meer-Schiffahrt zu gestalten, und infolge der hohen englischen
Kohlenpreise erfolgte vor einigen Jahren auch die Einrichtung
eines deutschen Kohlenlagers in Algier. Die bezaubernde
Umgebung weist blühende Ortschaften, reizende Gärten und
— 110 —
Villen auf, und die Stadt bietet allen Komfort für eine an-
genehme und interessante Winterstation.
Die zweitgrößte Stadt der Kolonie und der wichtigste
Handelsplatz der ganzen nordwestafrikanischen Küste über-
haupt ist 0_r.an, mit 88 000 Einwohnern, eine überaus rege
Geschäftsstadt, deren äußere Erscheinung letzthin durch eine
sehr lebhafte Bautätigkeit auch in den alten Teilen sehr
modernisiert worden ist. 55 ^ (, der Gesamtausfuhr von
ganz Algerien gehen über Oran, und nachdem man den
Platz auch als Hauptmarinestation Algeriens bestimmte, ist
der oft ventilierte und wieder aufgegebene Plan, einen Außen-
hafen zu bauen, endlich angenommen und mit seiner Aus-
führung 1902 begonnen worden. Im Gegensatz zu Algier
leben Rassen und Nationalitäten hier ziemlich getrennt neben-
einander, und besonders halten die sehr zahlreich vertretenen
Spanier, selbst wenn sie naturalisierte Franzosen geworden
sind, fest an ihrem nationalen Leben.
Die Hauptstadt des dritten Departements, das von den
alten arabischen Geographen als einer der festesten Plätze
der Erde gepriesene Constantjne, das phönikische Kartha
und frührömische Cirta, liegt nicht an der Küste, sondern
87 km von dieser entfernt auf einem isolierten Kalkstein-
felsen, der neben und unter der Stadt von der Felsschlucht
des Rummel schroff durchbrochen wird; 80 mal ist Con-
stantine seit der Phönikerzeit belagert und im Sturm ge-
nommen worden, und jedesmal stürzten die neuen Herren
ihre Vorgänger über die Felsen hinab in die Schlucht des
Rummel. Jetzt erhebt sich am Rand dieser grausigen Todes-
schlucht das weiße Araberviertel und daran schließt sich die
Europäerstadt, das Ganze heute eine aufblühende lebhafte
Handels- und Industriestadt mit 41000 Einwohnern, deren
Völker und Rassen intim nebeneinander leben; nur die
jüdische Bevölkerung hält sich etwas abseits. Constantine
gilt als die gewerbfleißigste Stadt des Arabertums, und hervor-
ragend unter den Gewerben sind besonders die Leder- und
die Webindustrie.
Der Hafen Constantines ist Phj^iippeville — das alte
phönikische Tapsus, das römische Rusicado — erst 1838
von den Franzosen angelegt, als es sich nach der Einnahme
Constantines darum handelte, eine möglichst nahe Ver-
bindung mit dem Meere zu schaffen. Die durchaus moderne
Stadt zählt 14 000 Einwohner und ist von den Franzosen
mit trefflichen Hafenanlagen ausgerüstet worden. Auch das
östlich davon gelegene alte Böne mit 32 000 Einwohnern,
welches früher als Hafen für Constantine diente, macht
einen ganz europäischen Eindruck; man plant auch hier
jetzt Kaianlagen. Am malerischsten von den Häfen der
Provinz Constantine aber ist der westlichste, Bougie, mit
etwa 10 000 Einwohnern, dessen Umgebung eine der land-
schaftlichen Perlen des ganzen Mittelmeers bildet. Eine
großartige Kunststraße führt von hier durch die wilde
„Todesschlucht" Schabet el Akhira nach Setif, 10 000 Ein-
wohner, von wo aus man eine interressante Eisenbahnfahrt
nach dem Süden antreten kann. Von Bat na aus, 1844 von
Bugeaud als Militärstation angelegt, wird man mit Genuß die
vielfach noch wohl erhaltenen Ruinen der alten Römerstadt
Timegad, des „algerischen Pompeji" besuchen, welche in
jetzt verödeter Gegend liegen, aber noch immer einen groß-
artigen Eindruck machen, und sodann weiter durch das Sa-
harator El Kantara nach der am bequemsten zu erreichenden
Oase Biskra fahren. Dieser auf alter römischer Siedelung
angelegte Ort bildet heute eine elegante Winterstation für
Brustkranke, zählt mit dem anstoßenden Alt- Biskra zu-
sammen 20 000 Einwohner und bietet lehrreiche Ausflüge
in die nach allen Seiten sich anschließende Wüste. Ganz im
Osten der Provinz Constantine führt von der Station Suk
— 112 —
Ahras, dem alten Tagaste und jetzt einem lebhaften Markt-
flecken an der Bahn nach Tunis, eine Zweigbahn südlich
nach Tebessa, dem alten Theveste, jetzt eine Stadt von
7000 Einwohnern mit 700 Europäern, in fruchtbarer und
mineralreicher Umgebung und günstiger Verkehrslage.
Von Algier aus führt nach Osten eine Bahn nach der
27 000 Einwohner zählenden Gemeinde Tisi Usu, der Ein-
gangspforte zur Kabilei; nach Westen zu aber geht es zu-
nächst durch die fruchtbare Metidscha-Ebene mit dem Haupt-
ort BJ[da, welcher 1_6000 Einwohner zählt und eine blühende
Orangen- und Tabakkultur treibt, durch die Affenschlucht der
Schiffa, dann weiter in das Tal des Scheliff mit der von
Bugeaud angelegten Garnisonstadt Orleansville (12 000
Einwohner) und über den Eisenbahnknotenpunkt St. Denis
du Sig — mit Abzweigungen nach dem Hafen Arzeu und
nach dem Tuat — nach Oran.
Eine 165 km lange Bahn von Oran aus führt über die
26 000 Einwohner zählende, 1843 angelegte Garnisonstadt
Sidi bei Abbes, wo ein Regiment der Fremdenlegion steht,
nach dem altberühmten, etwa 800 m über dem Meere
liegenden Tlemsen, dem alten römischen Pomaria, der
einst glänzenden Residenz einer Reihe von maurischen
Khalifen. Die Stadt mit 22 000 Einwohnern trägt auch
heute noch überwiegend arabischen Charakter und besitzt in
mehreren Moscheen Reste der alten Pracht.
Die bereits kurz beschriebene algerische Südbahn führt
an Mascara vorbei, der Residenz von Abd el Kader, heute
eine rein französische Stadt mit 18 000 Einwohnern.
Die Häfen von Nemours, Beni Saf, Arzeu, Mostaganem,
(17 000 Einwohner) und Tenes (das alte Cortenna) haben
überwiegend lokale Bedeutung; einen erfreulichen Aufschwung
nimmt das im Jahre 1900 von dem früheren Schiffsleutnant
und Afrikaforscher Louis Say als Handelsstation zwecks
— 113 —
Förderung friedlichen Verkehrs mit Marokko an der Mün-
dung des Grenzflusses Wad Kiß oder Adscherud angelegte
Port Say, trotz mannigfacher Proteste und Intriguen, welche
besonders von dem auf seine bisherige Stellung als west-
lichstem Hafen eifersüchtigen Nemours ausgingen. 1903
wurde auch hier eine Zollstelle eröffnet, und z. Z. arbeitet
man an einer Hafenanlage mit zwei Steinmolen.
Fraglos sind in Algerien mannigfach große Fortschritte
zu verzeichnen; aber die Eingeborenen -Frage bildet noch
immer eine furchtbare Schwierigkeit.
Mehr und mehr sehen die .Eingeborenen ihren Land-
besitz in die Hände der Fremden übergehen, und sie fühlen
sich immer mehr rechtlos, unterdrückt und ausgebeutet;
während ihre Zahl ständig gestiegen ist, hat ihr Besitz und
Wohlstand derart abgenommen, daß dieselben Abgaben,
welche im Jahre 1890 noch 18 Millionen Francs ergaben,
1901 nur noch 13 Millionen abwarfen. Selbst wenn die
Regierung den besten Willen hat, den Eingeborenen gerecht
zu werden, schüren die einzelnen Kolonisten durch unge-
rechte Behandlung den Haß und die Rachgier derselben
immer aufs neue an und erhalten bei ihnen die Hoffnung
aufrecht, doch noch einmal das Joch der Christen ab-
schütteln zu können.
Andrerseits ist wohl fraglos, daß das Land bald in
einen ähnlich kulturlosen Zustand zurückverfallen würde,
wie ihn noch heute Marokko zeigt, wenn Frankreich sich
gegenwärtig aus Afrika zurückziehen wollte. ,
Schanz, Algerien, Tunesien, Tripolitanien.
Tunesien.
Geschichte. Nach den Berichten von Herodot und anderen alten
Geographen saßen im Süden der kleinen Syrte die Trog-
loditen; auf der Insel Meninx (heute Dscherba) und dem
benachbarten Festland die Lothophagen, am Gestade bis
zum Schottbecken die Machyler, und im Norden derselben
die Maxyer, Aasen, Ghyzanten und Zaneken.
Etwa im 12. Jahrhundert vor Chr. ließen sich nun an
den so günstig gelegenen Küsten Tunesiens, wo sich Afrika
dem ihm gegenüber liegenden Sizilien bis auf nur 140 km
Entfernung nähert, auch die seefahrenden Phöniker
nieder und gründeten hier Kolonien, die bald große wirt-
schaftliche Bedeutung erlangten, wie Hippo Zarytus (heute
Biserta), Utika (Bu Schater), Karthago, Hadrumetum
(Susa) und Leptis parva nahe dem heutigen Monastir.
Am bedeutendsten darunter war anfangs Utika, welches
zwar nicht unmittelbar am Meere lag, aber auch späterhin
immer eine gewisse Unabhängigkeit behauptete, als sich das
nahe Karthago so glänzend entwickelte und schließlich ein
Gebiet umfaßte, welches ziemlich genau dem heutigen Tu-
nesien entsprach.
Der Ort Tunes, das heutige Tunis, eine sehr alte
afrikanische Siedelung, erscheint in der Geschichte zum
— 115 —
ersten Male, als Agathokles, der Tyrann von Syrakus, im
Jahre 310 vor Chr. heschloß, die Karthager in ihrem
Lande anzugreifen und im Golfe von Tunis seine eigene
Flotte verbrannte, um sein Heer zum Siege zu zwingen.
Anfangs erfolgreich, eroberte er zahlreiche Ortschaften,
mußte dieselben später aber wegen seiner bedrängten Lage
in Sizilien selbst aufgeben.
Als das unglückliche Karthago, dessen Geschichte kurz
in der Einleitung berührt, im Jahre 146 vor Chr. durch die
Römer zerstört worden war, trat denn auch an dessen
Stelle, als Hauptstadt der römischen Provinz Afrika sowohl,
wie auch in handelspolitischer Beziehung, zunächst Utika,
welches an Reichtum und Handelsverkehr eine Zeitlang sogar
mit Rhodos und Alexandria wetteifern konnte. Aber auch
Karthago erhob sich später wieder aus seinen Trümmern.
Zwar scheiterte 122 vor Chr. der Versuch des Cajus Gracchus,
eine Kolonie auf der historischen Stelle anzulegen, Julius
Caesar dagegen und nach ihm Augustus, der Karthago 29
vor Chr. zur Hauptstadt der Prokonsularprovinz Afrika erhob,
führten das Unternehmen mit Erfolg durch, und trotz des
Fluches, den einst Scipio über die rauchenden Trümmer der
Phönikerstadt ausgesprochen, erfreute sich die neue römische
Pflanzstadt an ihrer Stelle jahrhundertelang einer so schönen
Blüte, daß sie nebst Alexandria die zweite Stelle im Reiche
neben Rom einnahm. Bildete doch die Provinz Afrika eine
der reichsten Kornkammern Italiens, das seinerseits Ströme
von Gold und seine Kultur zurückfließen ließ. Das Land
war damals wald- und quellenreicher als jetzt, und alle
Wässer wurden geschickt für den Ackerbau ausgenutzt. Die
persönlichen Besuche Hadrians in Afrika 122 und 125 nach
Chr. veranlaßten den Bau des 132 km langen Aquädukts
von Karthago und einer Heerstraße von da nach Theveste
(Tebessa); aber auch an vielen anderen Orten geben zahl-
st
— 116 —
reiche Ruinen schöner Tempel, Paläste, Amphitheater und
Wasserleitungen noch heute Zeugnis für eine blühende Kultur
unter Römerzeit; am eindruckvollsten darunter ist wohl das
großartige Amphitheater zu El Dschemm, dem alten Tysdrus,
halbwegs zwischen Sfax und Susa. In Karthago mündeten
die wichtigsten Straßen des Landes, und zwar führten deren
zwei nach Hippo Regius, die eine dem Meere, die andere
dem Medscherda entlang, ferner die schon genannte, 275 km
lange, im Jahre 123 beendete wichtige Militärstraße nach
Theveste und eine 823 km lange Straße von Karthago nach
Leptis Maior; dazu traten zwischen den einzelnen Haupt-
plätzen zahlreiche weitere Straßen, welche die allgemeine
Sicherheit und die pax romana wesentlich förderten. Stein-
platten und Ruinen von Brücken und Dämmen finden sich
heute noch vielfach als Reste der alten römischen Kunst-
straßen. Der Handel ging schon damals hauptsächlich in
die Hände der Juden über. Die Provinz Afrika propria
umfaßte das nach dem Stamme der Zaneken benannte
Zeugitana mit dem Hauptort Zeugis (heute Saghuan), und
das südlich davon gelegene, nach den Ghyzanten benannte
Bysacea oder Emporia mit dem Hauptort Hadrumetum
(Susa),
Als das Christentum seinen Siegeszug durch Nord-
afrika antrat, fand es auch in Tunesien eine gute Stätte, und
Karthago war einer der berühmtesten Bischofssitze Afrikas.
439 von den Vandalen unter Geiserich erstürmt,
bildete Karthago dann fast ein Jahrhundert hindurch die
Hauptstadt des Vandalenreichs, bis sie 533 durch Belisar
in das oströmische Reich einverleibt und von dem sieg-
reichen Feldherrn seinem Kaiser zu Ehren Justiniana ge-
nannt wurde. Aber auch die Herrschaft der Byzantiner sollte
nicht lange währen. Zunächst warf sich der Statthalter von
Kaiser Heraklius in Nordafrika, der Patrizier Gregorius,
— 117 —
mit Hülfe der Eingeborenen als Selbstherrscher auf und
residierte zu Suffetula (jetzt Sbeitia) in Süd-Tunesien; als
aber der erste Ansturm der Araber von Osten her erfolgte,
unterlag Gregorius 648, trotz seines Heeres von 120 000
Mann, nahe seiner Hauptstadt dem Feldherrn Abdallah Ben
Saad, der mit ungeheurer Beute noch einmal nach Ägypten
zurück zog. Ein zweiter Einbruch der Araber unter Okba
führte 670 zur Eroberung von Biserta und zur Gründung
der neuen Hauptstadt Kairuan im Hinterland von Susa, und
nachdem die vereinigten Berber noch einmal mit Zusammen-
fassung aller Kräfte die Araber bis in die Cyrenaika zurück-
geworfen, unterlagen sie schließlich dem Heerführer Hassan
Ihn Noman, der 697 auch das bislang noch von den Byzan-
tinern gehaltene Karthago einnahm, und dessen Nachfolger,
Musa, die Unterwerfung Nordafrikas vollendete, um es als-
dann als Statthalter des Khalifen von Kairuan aus zu ver-
walten. Anstelle des zunächst 200 Jahre öde liegenden
Karthagos aber trat für Handel und Verkehr das bisher un-
bedeutende Tunis.
Kairuan, bis in das 19. Jahrhundert hinein immer
eine der angesehensten Städte des ganzen afrikanischen
Westens und der mohammedanischen Welt überhaupt, blieb
nicht nur unter den Statthaltern der Khalifen Hauptstadt
Ifrikijas, sondern zunächst auch noch unter den, im Jahre
800 zur selbständigen Herrschaft gekommenen Aglabiden,
deren letzter die Residenz allerdings nach Tunis verlegte.
Auch Obeid Allah, der sich selbst Mahdi, d. h. „Führer" der
Gläubigen nannte und 909 die Dynastie der Fatimiden
gründete, welche ganz Nordafrika unter ihre Herrschaft
brachte, beließ die Residenz in dem zentral gelegenen
tunesischen Gebiet, verlegte sie aber nach dem von ihm
gegründeten Mahadi, dem alten römischen Aphrodisium,
etwas südlich von Tunis. Auch die Stelle des alten Kar-
— 118 —
thagos erfuhr unter dem ersten Fatimiden ein kurzes
Wiederaufleben.
Die massenhaften Einfälle der arabischen Hiladiden
Mitte des 11. Jahrhunderts brachten in den zentralen und
südlichen Teil Tunesiens anstelle einer teilweise seßhaften
Bevölkerung ein räuberisches Hirtenvolk, welches die frucht-
baren Felder und reichen Olivenhaine in Weiden umwandelte
und erst nach jahrhundertelangen Kämpfen von den Herr-
schern Tunesiens unterworfen werden konnte. Diese dritte
arabische Einwanderung führte mehr, als die beiden ersten,
fast rein militärischen, zur Verschmelzung mit den ein-
heimischen berberischen Nomaden, derart, daß Stämme rein
arabischen Blutes in Tunesien heute selten sind.
Seit Mitte des 12. Jahrhunderts war auch Tunesien
von der marokkanischen Dynastie der Almohaden be-
herrscht, und unter ihnen wurde Tunis die Hauptstadt von
Ifrikija, aber bereits 1206 wurden sie hier durch den Berber
Abu Hafis verdrängt, welcher die bis 1574 dauernde Dy-
nastie der Hafiden begründete; auch Ostalgerien wurde
1240 mit Tunesien vereinigt. In der allgemeinen Geschichte
tritt Tunesien während der nächsten Jahrhunderte nur noch
einmal hervor, als König Ludwig IX. von Frankreich im
Jahre 1270 den letzten Kreuzzug gegen Tunis unternahm,
aber bei dessen Belagerung im gleichen Jahre starb, ifri-
kija mit Kairuan und Tunis aber wurde durch die Mauren
zu einem Horte morgenländischer Kunst und Wissenschaft
und war das blühendste der nordafrikanischen Reiche. Daß
es dem Seeraub nicht fremd blieb, verstand sich damals
von selbst.
Als die türkischen Korsaren unter Horuk Bar-
barossa um 1510 im Mittelmeer erschienen, gelang es
ihnen durch reiche Geschenke von Schätzen und Sklaven
aus dem erbeuteten Raub Mulei Mohammed, den damaligen
— 119 -
Herrscher Tunesiens, für sich zu gewinnen, und dieser ge-
stattete ihnen sogar, sein Land als Stützpunkt für ihre Raub-
fahrten zu benutzen; freihch hatte er sich damit gefährliche
Gäste geladen. Nachdem die Korsaren sich einmal in Algier
festgesetzt, kam die Reihe auch an das Nachbarland. 1534
bemächtigte sich Cheireddin, indem er zunächst geschickt
Thronstreitigkeiten in der Hafiden- Familie ausnutzte, ver-
räterischerweise selbst der Herrschaft, besetzte und verstärkte
Tunis und Goletta, welch letzteres er als Hauptarsenal und
Flottenstation einrichtete, legte eine türkische Garnison nach
der heiligen Stadt Kairuan und verleibte Tunesien namens
der Türkei seinem Paschalik Algerien ein. \^on Mulei Hassan,
dem vertriebenen, seit 1525 herrschenden Hafiden -Fürsten
zu Hülfe gerufen, erschien 1535 Kaiser Karl V. selbst mit
einer stattlichen Flotte von 500 Schiffen und 30000 Mann,
landete bei Karthago, nahm im Juli 1535 Tunis und Goletta
ein und befreite dabei 20000 Christenklaven. Mulei Hassan
wurde, als spanischer Vasall, wieder in Tunis eingesetzt,
unter der Bedingung, in seinem Gebiete die Christensklaverei
abzuschaffen, freie Religionsübung zu gestatten, alle seine
Häfen den Piraten zu verschließen und den Spaniern das
alleinige Recht der Korallenfischerei zu überlassen. Spanien
behielt die Zitadelle von Tunis und Goletta besetzt, die
Flotte nahm auf ihrem Rückweg auch noch Biserta und
Böne ein, und Karthago wurde von den Spaniern end-
gültig zerstört.
Der bei seinen eigenen Untertanen verhaßte Mulei
Hassan aber konnte wiederholte Aufstände der größeren
Küstenstädte Kelibia, Susa, Monastir und Sfax, die sich
1540 41 unter den Schutz von Dragut, einem ehemaligen
Unterbefehlshaber Cheireddins gestellt, nur mit Hülfe der
Spanier unterdrücken, und schließlich von seinem eigenen
Sohn Mulei Hamid bekämpft und 1542 geblendet, starb
- 120 —
er bald darauf in Europa, wohin er sich zurückgezogen
hatte.
Nachdem die Türken im Jahre 1570 von Algerien aus
Tunis besetzt hatten und der letzte Hafide, Mulei Hamid,
wiederum spanische Hülfe anrief, wurde Tunis 1573 aller-
dings noch einmal von Don Juan d' Austria genommen,
der sich hier ein eigenes Königreich gründen wollte, aber
sein Halbbruder, der mißtrauische Philipp II. von Spanien,
rief ihn ab und ließ es ruhig geschehen, daß der türkische
Admiral Sinan Pascha, der im September 1573 die Zitadelle
von Tunis nahm, in Tunesien eine Verwaltung im Namen
der Pforte organisierte und das ganze Land im Jahre 1574
als Lehnsmann der Pforte in Besitz nahm. Die türkische
Miliz wählte von jetzt ab als Inhaber der höchsten Gewalt
einen Dei. Schon unter dem dritten, Kara Osman, be-
mächtigte sich der Bei (= Herr, anfangs nur ein mit Ein-
treibung der Steuern und des Tributs beauftragter Beamter)
Murad der öffentlichen Gewalt und machte dann dieselbe
in seiner Familie erblich, den wählbaren Dei in gänzlicher
Abhängigkeit haltend.
Murad Beis Nachkommen regierten über 100 Jahre
und vergrößerten ihre Macht durch Eroberungen auf dem
Festland und durch Seeraub. Doch mußten sie die Ober-
herrschaft des Deis von Algier durch Tributzahlung aner-
kennen. Um eine lange Schuldrechnung mit den tunesischen
Piraten zu begleichen, verbrannte der englische Admiral Blake
1665 in dem jetzt ganz versandeten Hafen von Porto Farina
9 große Raubschiffe, und seine Kanonen zerstörten die Be-
festigungen des Ortes; da die Operationen aber nicht fort-
gesetzt wurden, hinterließen sie keine Besserung der Zu-
stände. Die offiziellen Beziehungen mit Frankreich waren
meist gute, und ein 1685 mit diesem auf 100 Jahre abge-
schlossener Vertrag räumte dem französischen Konsul in
d
— 121 —
Tunis den X'orrang vor allen anderen ein. 1689 bemächtigte
sich Schaban. Dei von Algier, Tunesiens, und die bis zu
Anfang des IS. Jahrhunderts dauernden Feindseligkeiten
zwischen den beiden Nachbarländern wurden erst auf Ver-
anlassung der Pforte eingestellt.
Die jetzige Dynastie von Tunis begann 1705 mit
Hussein Ben Ali, dem Sohn eines Korsen und einer Maurin,
dem Lieblingskapitän der türkischen Miliz, und ihre Geschichte
bildet eine Reihe von Palastrevolutionen, Janitscharenauf-
ständen und Hofintriguen. Das Verhältnis zwischen Algerien
und Tunesien war auch jetzt noch oft unfreundlich, Dei
Baba Ali von Algier ließ 1757 sogar Tunis einnehmen und
plündern, und unter Hammuda Bei (1782—1814) gab es
endlose Streitigkeiten mit den europäischen Staaten und mit
Nordamerika, die man gleichmäßig zu brandschatzen trachtete.
Die neue Zeit begann auch für Tunesien damit, daß
1815 der amerikanische Kommodore Decatur und 1816
Lord Exmouth die Abschaffung der Christensklaverei und
des Seeraubs erzwangen, was freilich nicht hinderte, daß
tunesische Piraten noch 1817 ein Bremer Schiff im Ärmel-
kanal nahmen. Aber auch mit Frankreich sollte es Tu-
nesien nach der Eroberung Algeriens durch die Franzosen
bald zu tun bekommen, da es anfangs Abd el Kader unter-
stützte. Schon am 8. August 1830 wurde Tunis zu einem
Vertrag gezwungen, in dem es die Abschaffung des See-
raubs und der Christensklaverei, die Abtretung der Insel
Tabarka und die Zahlung einer Summe von 800000 Francs
an Frankreich zugestand. Allerdings hatte der Bei dabei die
geheime, von französischer Seite genährte Hoffnung, daß
man ein Mitglied seines Hauses als Dei von Algerien ein-
setzen werde.
Sidi Mustafa Bei, der 1835 37 seinem Bruder Sidi
Hussein (1824—35) folgte, verwendete beträchtliche Summen
— 122 —
auf die Erweiterung seiner Militärmacht, ward aber von der
Pforte durch Intervention der Großmächte gezwungen, sein
Heer von 25 000 auf 15 000 Mann zu reduzieren und jähr-
hch einen Rechenschaftsbericht über den Stand der Finanzen
abzulegen.
Sein Sohn und Nachfolger Sidi Achmed (1837 — 55)
dagegen lehnte sich, als die Pforte ihre Oberherrschaft wirk-
samer zu machen suchte, enger an Frankreich an, schickte
den 1845 von Konstantinopel gesandten Statthalter einfach
zurück und reiste 1846 selbst nach Frankreich, dessen
Kultur er dann in Äußerlichkeiten daheim einzuführen suchte.
Mit Hülfe seines Ministers, des italienischen Chevaliers Ruffo,
suchte er Hofstaat und Land zu europäisieren, und nachdem
er schon 1842 der Sklaverei ein Ende bereitet, hob er 1846
auch den Sklavenhandel auf. Während des Orientkrieges
verstand er sich 1854 zu bedeutenden Hülfsleistungen an
die Pforte.
Ihm folgte 1855 — 59 sein Vetter, Husseins ältester
Sohn Sidi Mohammed, mit dem Beinamen „der Präch-
tige", ein Herrscher mit einem Harem, wie es wohl seit
Salomons Tagen nicht mehr erlebt wurde, und einer Ver-
schwendungssucht, die den von Achmed hinterlassenen Staats-
schatz von 120 Millionen Francs bald aufbrauchte. Eine
im Juni 1857 ausbrechende Judenverfolgung veranlaßte die
europäischen Konsule zur Intervention, und es kam hierauf
am 9. September 1857 unter dem Beistand des englischen
und des französischen Generalkonsuls, deren Rivalität immer
deutlicher in Erscheinung trat, eine liberale Gesetzgebung und
Verwaltungsorganisation zustande. Am 23. September 1859
starb Sidi Mohammed und sein Bruder und Nachfolger
Mohammed es Sadok (1859—82) gab im April 1861
dem Lande sogar eine konstitutionelle Verfassung. Diese
Neuerungen fanden allerdings nur bei den Christen und
- 123 —
Juden gute Aufnahme, während die Araber, die Mauren und
die Kabilen der Gebirge sich dagegen erklärten und sich
empörten, als der Bei die Kopfsteuer auf das doppelte, von
36 auf 12 Piaster, erhöhte. Sadok sah sich deshalb im
April 1864 genötigt, die Verfassung aufzuheben und die
Kopfsteuer wieder herabzusetzen. Als Tunis Angst vor
seinem westlichen Nachbar bekam, sich deshalb mehr an
die Pforte anschließen und diese 1864 einem Statthalter mit
Leibgarde schicken wollte, protestierte Frankreich mit der
Drohung, jede Einmischung der Türkei in Tunis als Friedens-
bruch zu betrachten. Der neue Bei entfaltete inzwischen
einen übermäßigen Glanz, ahmte ohne Anlaß die Ein-
richtungen der Großstaaten nach und machte seinen Hof
geradezu zu einem Dorado für zweideutige europäische
Existenzen: Abenteurer, Intriganten und Schmarotzer aller
Art. Die großen Kosten seiner Regierung, die er habgierigen
Günstlingen überließ, beschaffte er durch Anleihen, deren
Erträge nur zum geringsten Teil in die Staatskasse flössen,
deren Verzinsung aber einen verderblichen Steuerdruck not-
wendig machte. Hatte man doch 1862 zunächst den Weg
inländischer, 1863 aber den bedenklichen Weg der euro-
päischen Anleihen betreten, indem man die ersten
1400 000 C zu nur 12 "„ p. a. durch die Bankhäuser
Oppenheim und Erlanger aufnahm, und schon 1865 folgte
eine zweite, 1867 eine dritte Anleihe. Dabei wurde das
schlechtverwaltete Land in den Jahren 1864-68 noch durch
Dürren, Cholera und Hungertyphus schwer heimgesucht.
Der Bei mußte endlich die Zinszahlung der von 1 1 Millionen
in 1860 auf 169 Millionen Francs in 1869 angewachsenen
Staatsschulden einstellen, und dies gab 1869 den Anlaß zu
einer Einmischung, welche die ganze Verwaltung Tunesiens
und namentlich deren finanziellen Teil in vollkommene
Abhängigkeit von Frankreich zu bringen strebte, das die
— 124 —
Mehrzahl der Schuldtitel in seinen Besitz gebracht hatte.
Unter Mitwirkung der ebenfalls dort interessierten Mächte
England, Italien und Preußen kam dann eine Art von euro-
päischer Kontrolle über die tunesischen Finanzen zustande,
und es wurde durch Abtretung der Zolleinnahmen für die
Verzinsung der auf 125 Millionen Francs reduzierten Staats-
schuld Sorge getragen; die Zinsrate selbst wurde auf 5 %
herabgesetzt, die freilich meist nicht voll bezahlt wurden.
Das Verhältnis von Tunis zur Pforte aber ward auf
Betreiben des Ministers Mustapha Khasnadar während Frank-
reichs Ohnmacht nach dem deutsch - französischen Kriege
durch Ferman vom 25. Oktober 1871 so geregelt, daß der Sultan
auf den Tribut ganz verzichtete und der Familie des Bei
erbliche Regierung mit Erstgeburtrecht zugestand, der Bei
dagegen die Oberhoheit der Pforte anerkannte und sich ver-
pflichtete, ohne deren Erlaubnis keinen Krieg zu führen und
in keine diplomatischen Verhandlungen mit dem Ausland
einzutreten. Frankreich erhob gegen dieses Abkommen
formellen Protest und erkannte die Oberhoheit der Türkei
über Tunesien nicht an , dagegen wußte der Bei England
und Italien gegen Frankreich einzunehmen und die Rivalität
unter diesen drei Großmächten geschickt in seinem eigenen
Interesse auszunutzen. 1877 schickte der Bei dem Sultan
ansehnliche Hülfsmittel an Truppen und Geld für den Krieg
gegen Rußland, während die Mißwirtschaft im Innern unter
den Ministern Cheireddin und Mustapha ben Ismail immer
ärger wurde.
Unter den Ausländern hatten inzwischen die Italiener
immer größere Bedeutung erlangt, und selbst die italienische
Regierung suchte sich, wenn auch verschleiert, in Tunis fest-
zusetzen, dadurch daß sie 1880 die italienische Dampfer-
gesellschaft Rubattino bewog, die 1871 konzessionierte,
ursprünglich englische Eisenbahnlinie tunis-Goletta in hartem
— 125 —
Wettbewerb mit der französischen Eisenbahngesellschaft Böne-
Quelma zu erwerben. Befürchtungen, daß Italien auch po-
litisch den Franzosen in Tunis zuvorkommen könnte, veran-
laßten das Kabinett Ferry 1881, einen Einfall der räuberischen
Krumirs in algerisches Gebiet zum erwünschten V'orwand zu
nehmen, um in Tunesien einzurücken und das Land, wie es
in einer an die Großmächte gerichteten Note hieß, zu „pazi-
fizieren". Am 24. April 1881 überschritt ein franzö-
sisches Heer von 30 000 Mann ohne Kriegserklärung und
trotz des Protestes des Beis und der Pforte die Grenze,
zwang die mit Hülfe der Flotte eingeschlossenen Krumirs
zur Ergebung, besetzte den strategisch wichtigen Hauptpunkt
A'in Draham und rückte gegen Tunis vor, wo General
Bre'art dem machtlosen Bei nur zwei Stunden Zeit gab, um
sich zu unterwerfen. In diesem, unter dem Drucke der
Gewalt im Schlosse Kassar Said im V'illenvorort La Manuba
geschlossenen, sogenannten Bardo-Vertrag vom 12. Mai 1881
übertrug der Bei seine Regierungsgewalt auf die Franzosen
und verzichtete auf das Recht, mit den Vertretern fremder
Staaten Verträge abzuschließen, wogegen seiner Familie die
Nachfolge in der Herrschaft verbürgt wurde. Das bedeutete
also, wenn auch nicht mit nackten Worten, so doch tatsäch-
lich die Erklärung der französischen Schutzherrschaft über
Tunesien und einen ersten großen Erfolg der auswärtigen
Politik nach den schweren Niederlagen von 187071. Freilich
nahm man diese Besitzergreifung nicht überall im Lande
ruhig hin, sondern, entflammt durch die Erfolge Bu Amemas
in Algerien, erhob sich auch der ganze Süden Tunesiens
gegen die Fremdherrschaft, ein Aufstand , der durch die Er-
oberung von Susa, Sfax, Gabes und Kairuan seitens der
Franzosen allerdings sehr bald und ohne große Mühe nieder-
geschlagen wurde. Hatte Frankreich bei Beginn der Expe-
dition erklärt, daß es die Besetzung nur vorübergehend
— 126 —
und im Interesse der Sicherheit der algerischen Grenze vor-
nehme, so war nun ein „Grund" mehr zum Bleiben geliefert,
die Verwaltung des Landes wurde durch Dekret vom 22. April
1882 nach französischem Muster organisiert, die Hauptämter
wurden mit Franzosen besetzt, und der seit 1875 amtierende
französische Generalresident Theodor Roustan, der eigent-
liche Organisator des Staatsstreichs, war als Präses des
Ministerrats und gleichzeitiger Minister des Äußern der
wirkliche Herr des Landes.
Am 28. Oktober 1882 starb Sidi Sadok und ihm folgte
sein Bruder Sidi Ali Pascha (1882 — 1902), der in einem
Ergänzungsvertrag vom 8. Juni 1883 der französischen Re-
gierung Vollmacht zu allen Reformen und zur Regelung der
Finanzen gab; in diesem Vertrage von La Marsa ist zum
ersten Male auch offiziell das Wort „Protektorat" gebraucht.
Der Bei behielt eine jährliche Zivilliste von fast 1 ^ 4 Millionen
Francs. Durch eine kluge Verwaltung verstanden die Fran-
zosen Vertrauen bei den Eingeborenen zu gewinnen, und
die über 100 000 Moslims, welche mit ihren Herden nach
der französischen Eroberung Süd -Tunesiens vor den „Feinden
ihres Glaubens und ihrer Rasse" nach Tripolitanien geflohen
waren, kamen fast ausnahmslos zurück und unterwarfen sich.
Tunesien aber entwickelte sich unter französischer Führung
rasch zu einem blühenden Schutzgebiet, da mit Aufschließung
des Landes tatkräftig und zielbewußt vorgegangen wurde und
sich französisches Kapital für zivilisatorische Arbeiten nicht
zurückhielt. Man begann mit dem Bau von Straßen und
Eisenbahnen, dem Ausbau der Häfen, besonders des wich-
tigen Flottenstützpunktes Biserta, der Anlage von artesischen
Brunnen und Schaffung von Oasen in Süd -Tunesien, be-
sonders im Gebiet von Gabes, der Einrichtung von Acker-
bauschulen usw.
d
— 127 —
Die Kapitulationen und die Konsulargerichts-
barkeit wurden zwar schon 1883 — 1884 abgeschafft, aber
die Handelsverträge mit den fremden Staaten waren
noch in Geltung, und mit Ungeduld wartete Frankreich auf
deren Ablaufen, um seine handelspolitische Lage im Schutz-
gebiet auf eine Vorzugsbasis bringen zu können. Nach
langen Unterhandlungen gelangte Frankreich denn auch zu
Spezialverträ.iJen mit 10 Staaten, zunächst mit Öster-
reich-Ungarn am 20. Juli 1896, dann mit Italien, das
von Frankreichs Eingriff in Tunesien am peinlichsten berührt
worden war, am 2S. September 1896, mit Deutschland am
18. November 1896, mit England am 18. September 1897.
Letzteres verzichtete auf sein „ewiges" Meistbegünstigungs-
recht und begnügte sich mit einer 40jährigen Verlängerung
desselben, das es Frankreich gegenüber überhaupt fallen ließ
und empfing als Entgeld eine Zollbegünstigung seiner Baum-
wollwaaren, des wichtigsten aller Einfuhrartikel, die bis zum
Ende des Jahres 1912 mit keinem höheren Zoll als 5 %
vom Werte im Landungshafen belegt werden dürfen. Auch
Italien erhielt kleine Vergünstigungen, deren wichtigste be-
stimmt, daß die Italiener in Tunesien dieselben Rechte, wie
Franzosen und Eingeborene genießen, und daß die in Tu-
nesien einzuführenden Zölle bis zum 1. Oktober 1905 den
französischen Minimaltarif nicht übersteigen sollen.
Die mit dem 1. Januar 1898 in Kraft tretenden neuen
Konventionen bedeuteten eine wichtige Wandlung, da
Frankreichs besondere politische und handelspolitische
Stellung als Schutzmacht Tunesiens nunmehr erst allgemein
anerkannt war. Frankreich hat das Meistbegünstigungsrecht
sämtlichen anderen fremden Mächten gegenüber, doch kann
eine Zollunion der Regentschaft mit Frankreich solange
nicht zustande kommen, als die Regentschaft ihr eigenes
Budget besitzt und ihre wirtschaftlichen und politischen
- 128 —
Verhältnisse auf Grundlage der bestehenden Verträge von
jenen Frankreichs verschieden sind.
Ein Abkommen zwischen Frankreich und Nord-
amerika, worin letzteres auf die Geltendmachung seiner
Verträge von 1797 und 1824 mit dem Bei von Tunis ver-
zichtete und keine anderen Rechte in Anspruch nimmt, als
die in seinen Verträgen mit Frankreich begründeten, wurde
erst im Mai 1904 abgeschlossen.
Sidi Ali starb am 11. Juni 1902, und sein 1855 ge-
borener Sohn und Nachfolger, Sidi Mohammed, ist als
„regierender Bei und Besitzer des Königreichs Tunis", auch
nichts anderes als eine lebende Dekoration, ein Werkzeug
der Kunst, die Eingeborenen durch ihre natürlichen Chefs
zu regieren, damit die muselmännische Bevölkerung wenig-
stens dem Scheine nach einem Glaubensgenossen Untertan
bleibe, im Unterschied zu dem System Algeriens, aber zum
großen Vorteil Frankreichs.
Wurde Ferry als „Tonkinese und Tunese" von seinen
Zeitgenossen scharf angegriffen, so hat der Verlauf der
Dinge seine Unternehmungen gerechtfertigt, und als Präsi-
dent Loubet 1903 Tunesien besuchte, wurde er dort freund-
lich und glänzend aufgenommen. Der Bei erwiderte den
Besuch im Juli 1904 in Paris.
K \,^^t . Sehen wir uns nun Land und Leute etwas näher an.
beschreibung.
Tunesien, zwischen Algerien und Tripolitanien gelegen
und die Nordwestecke des charakteristischen Landeinschnitts
inmitten der Nordküste Afrikas bildend, umfaßt ein Gebiet,
welches man, je nachdem man die unsichere Sahara-Grenze
zieht, recht verschieden, nach neueren Karten mit 167 400 qkm
berechnet.
Die nichts weniger als natürliche Grenze gegen Algerien
beginnt am Mittelmcer bei Kap Roux, umzieht den Schott
— 129 —
el Dscherid und geht dann in gerader Linie nach der tripo-
h'tanischen Grenzfestung Ghadames, von wo aus sie sich,
nach einem stillschweigenden Übereinkommen mit der tür-
kischen Regierung, in gebrochener Linie dem trocknen Fluß-
bett des JJed Mogta entlang nach dem Ras Adschir am Golf
von Gabes zieht; 1886 ist die Grenze gegen Tripolis
wenigstens an der Küste geordnet worden.
Die rund 1300 km lange Küste hat zwei Fronten nach
dem Mittelmeer und ist also der Erschließung des Landes
günstiger, als dies bei Algerien der Fall ist. Der verhältnis-
mäßig hafenarme Nordrand ist fast überall hoch, steil und
felsig und mit zahlreichen wilden und schroffen Vorgebirgen
besetzt, deren wichtigste das Kap Blanco oder Ras Abiad
— etwas westlich davon das niedrigere Ras Engeiah, das
Nordkap Afrikas - und sodann die 400 m hohe Wasser-
scheide des Kap Bon oder Ras Addar bilden, während der
flachgerandete, wichtige Golf von Biserta und die Einbuch-
tung des Golfs von Tunis die wesentlichen Landeinschnitte
bilden. Die Ostküste dagegen ist sandig, flach und kleineren
Fahrzeugen fast überall zugänglich, wenn auch hafenarm;
der Golf von Hammamet und der von Lagunen umsäumte
Golf von Gabes oder die Kleine Syrte mit ihrem unfrucht-
baren und dünn bevölkerten Hinterland bieten nur beständig
der Versandung ausgesetzte Reeden, und die Franzosen haben
deshalb künstliche Häfen in Susa und Sfax angelegt. Östlich
von Sfax liegen die zehn niedrigen Kerkena- Inseln, an der
südlichen Einfahrt des Golfs von Gabes finden wir das Lo-
tophagen-Land der Alten, die fruchtbare Insel Dscherba; der
zwischen letzterer und dem tunesischen Festland gelegene
Binnensee, ein großer, von zahlreichen römischen Ruinen
umsäumter Naturhafen, ist wahrscheinlich der sagenhafte
„Tritonsee" des Altertums, den man anderseits aber auch
in die Schottregion verlegt.
Schanz, Algerien, Tunesien, Tripolitanien. Q
— 130 —
Von der Nordküste aus, an den Kaps Bon und Blanco
beginnend, erstreckt sich nach Südwesten hin der Atlas in
zwei Ketten ; beide ziehen in Form stark verästelter Zweige,
sich mehr und mehr voneinander entfernend, zur algerischen
Grenze und erreichen im Mittel 600 m im Norden, 800 m
im Süden, in ihren höchsten Gipfeln aber nur 1375 m.
Waldreiche Gebirgsmassen mit guten Beständen an Kork-
eichen bilden zwischen dem Medscherda und der Nordküste
eine maritime Gebirgszone, die am besten bewässert ist;
das nach Süden zu anstoßende Hochland ist meist plateau-
artig und von einzelnen Zügen des Atlas unterbrochen;
weiterhin geht das Land zur Steppe über, die nur nach
reichlichen Niederschlägen mehr oder weniger fruchtbar ist,
und an die sich alsdann die Sahara mit berühmten Dattel-
oasen anschließt, während das östliche Küstengebiet der
Sahel noch einzelne recht ertragreiche Striche aufweist.
Am Wüstenrand liegen, teilweise in einer Depression, hinter
dem 22 km breiten Isthmus von Gabes die großen Schotts
El Dscherid (+ 20 m) und Gharsa ( — 20 m), welche,
nur durch die 9 km breite Landenge von Toser getrennt,
ganz Tunesien quer durchziehen, und auch sonst fehlt es im
Osten und Süden des Landes nicht an größeren und kleineren
Sebchas.
Die meisten der von den quellenreichen Bergen herab-
kommenden Bäche und Flüßchen verlieren sich im Sande
oder erreichen als Küstenflüsse nach kurzem Laufe das Meer,
und auch in Tunesien ist kein einziger Fluß schiffbar. Der
bedeutendste ist der Medscherda im Norden, der in Al-
gerien entspringt und früher als Bagradas der Römer wenige
Kilometer nördlich von Karthago, jetzt südlich der kleinen
versandenden Bucht von Porto Farina in das Mittelmeer
mündet und während der Regenzeit die Uferlandschaften
durch seine ausgedehnten Schlammablagerungen befruchtet;
— 131 —
nächst ihm sind der Wadi el Kebir und der Wadi el Miliana
zu nennen. Die großen Ebenen des Innern sind sehr
wasserarm. Im letzten Jahrzehnt hat man an den ver-
schiedensten Orten mit der Anlage von artesischen Brunnen
begonnen und damit ähnlich günstige Erfolge, wie in Algerien
erzielt. Warme .Mineralquellen, Reste früherer vulkanischer
Tätigkeit, sind über das Land verstreut, am bekanntesten
sind die von Hammam el Enf bei Tunis und die zu Gurbos,
Toser und Qafsa.
Das Klima Tunesiens ist durch das Fehlen hoher, im Kiima.
Winter mit Schnee bedeckter Berge bedeutend milder als in
Algerien; nur auf den algerischen Grenzbergen fällt zuweilen
Schnee, der aber selten länger liegen bleibt. Schneefall in
Süd -Tunesien, wie er am 29. Januar 1905 in Medenin 4 cm
hoch fiel, war für die dortige Bevölkerung eine noch nicht
erlebte Überraschung. Im übrigen sind auch hier im allge-
meinen drei Zonen zu unterscheiden. An der Küste
herrscht ein gemäßigtes, gleichförmiges und gesundes Klima,
der Winter dort gleicht unserem Frühling, und im Krumir-
Gebirge, dem regenreichsten Teile Tunesiens, fallen im Mittel
jährlich P- m Regen; in den Gebirgen und Steppen der
Mittel zone des Innern sind die Temperaturschwankungen
bedeutend größer, und der Süden ist heiß und trocken,
gegen Algerien aber immerhin noch begünstigt durch die
von den Ostwinden aufgenommene Meeresfeuchtigkeit, die
in leichter Tauform einen fördernden Einfluß auf die Vege-
tation ausübt. Die größte Hitze fällt in die Monate Juli bis
September und der Sommer ist regenarm, während die
JNiederschläge in den Wintermonaten erfolgen. Starke Ge-
witter, manchmal von Hagelschauern begleitet, treten am
häufigsten gegen Ausgang des Winters auf und sind seltener
im Küstengebiet als im Gebirgsland; dagegen bringt der
Sommer den ausdörrenden Scirocco, der gewöhnlich drei
9*
— 132 —
bis fünf Tage weht und große Staub- und Sandmassen mit-
führt. Auch mit längeren Trockenperioden, wie sie z. B.
1897—1902 eintraten, hat die Landwirtschaft in Tunesien zu
rechnen.
Flora. Die Vegetation ist im allgemeinen dieselbe, aber
üppiger als die algerische, zeigt an der Küste mediterranen
Charakter mit Chamoerops-Palmen, Oliven, Mandeln, Agru-
men, Granaten, Tamarinden, Johannisbrot, Fikusarten, Ba-
nanen, Agaven und Opuntien; in den Vorbergen, Mittel-
gebirgshöhe nicht überschreitend, die immergrünen Büsche
und Sträucher des Maquis; in den bergigen Gebieten dazu
Thuyas, Juniperus, Aleppokiefern, Zedern, Stein- und Kork-
eichen, Eiben, Ulmen, Eschen und wilde Oliven. Größere
Bestände davon sind, nachdem alte Waldungen früher
schonungslos ausgerottet , niedergeschlagen oder abgebrannt
wurden, jetzt nur noch etwa 100 000 ha im Nordwesten
und längs der algerischen Grenze vorhanden. In neuerer
Zeit sind seitens der Regierung zwar lebhafte Anstrengungen
gemacht worden, die Berglande wieder aufzuforsten, und
man hat mit Erfolg verschiedene Sorten Eukalyptus einge-
führt, doch trifft man dabei auf große Schwierigkeiten durch
die Gleichgültigkeit der nomadischen Bevölkerung und durch
die zahlreichen Ziegenherden, welche die jungen Schößlinge
abnagen. Die Dichtigkeit der Bewaldung und der immer-
grünen Buschvegetation nimmt nach Süden hin allmählich
ab, und nur tief eingeschnittene Ueds zeigen, neben zahl-
reichen Oleanderbüschen, eine üppigere Vegetation. Die
Charakterpflanze der Oasen des Südens ist die Dattelpalme,
die erst vom 34. Breitengrad ab wohlschmeckendes Fleisch
besitzt; dazwischen treiben die Eingeborenen fleißig Gemüse-
und Obstbau. Außerhalb der Oasen freilich ist die Vege-
tation äußerst dürftig, weist besonders Salsolaceen, Tamarisken
und Ginster- oder Retamsträucher auf. Westlich von Gafsa
— 133 —
im Biled Tliallah befindet sich auch ein großer Hain von in
Tunesien sonst nirgends vertretenen Gummiakazien. Den
Übergang von der östlichen Küstenniederung zum Gebirgs-
land bildet ein breiter Streifen eines fast wasserlosen Step-
pengebiets, dessen ausgedörrten, durch starke Bestrahlung
in Schollen zersprengten Boden Büschel vom starren Gras
der Stipa tenacissima bedecken.
Die Tierwelt gleicht derjenigen Algeriens; von jagd- ^auna.
baren Tieren sind besonders zu nennen der seltene Panther,
sodann Hyäne, Schakal, Luchs, Fuchs, Otter, Wildschwein,
Muflon , Hase , im Süden Gazellen und dazu zahlreiches
Wassergeflügel. In dem sumpfigen und waldigen Hinterland
von Biserta hält der Bei auch einige tausend Stück Büffel,
die sich stark vermehren sollen.
Von Mineralien sind vertreten: Eisenerze bei Ta- Bodenschätze,
barka an der Grenze von Algerien und südwestlich deri
Stadt Tunis; Zink- und Bleierze an sehr vielen Stellen,
besonders am Dschebel Resas (Bleiberg) bei Tunis und bet
Dschebba am Korragebirge, 178 km westlich von der Stad
Tunis; Kupfer und Quecksilber bei Ouled Sultan; Gold
im Sande von Sidi Bu Said bei Karthago; Phosphate am
Dschebel Nasser Allah südlich von Kairuan, bei Gafsa,
Kalaat es Senam, Saghuan u. a. O.; Salz an der Küste;
Salpeter bei Kairuan usw.
Was die Bevölkerung Tunesiens anbelangt, so Bevölkerung.
schwanken die Angaben über deren Zahl zwischen 900 000
und 2 000 000, eine offizielle Zählung der Eingeborenen hat
bislang sonderbarerweise überhaupt noch nicht stattgefunden,
da man sie aus Furcht vor damit eventuell verbundenen
Unannehmlichkeiten immer hinausgeschoben hat; als Ge-
samtzahl nimmt man jetzt 1 820 000 an. Etwas besser, aber
auch nicht zuverlässig, ist man über die Zahl der in Tunesien
- 134 -
lebenden Fremden informiert, von denen man 1901 an-
nahm: 83 000 Italiener, 24 000 Franzosen — ausschließlich
der 14 600 Land- und Marinesoldaten — 15 000 Marokkaner,
12 000 Anglomalteser, je 1000 Griechen und Spanier und
1000 andere Europäer. Von den 1901 gezählten 111000
Europäern wohnten nicht weniger als 68 000 allein in Tunis
und Umgebung, darunter 45 000 Italiener und 12 000 Fran-
zosen.
Die Eingeborenen repräsentieren überwiegend eine
Mischrasse von Libophönikern und Arabern, wozu an der
Küste später die aus Andalusien vertriebenen Mauren traten,
auch mit Christen- und Sudansklaven fand eine Ver-
mischung statt, und die tunesischen Mohammedaner nahmen
mehr noch als die anderen Atlasländer christliche Rene-
gaten auf. Nur wenige Nomadenstämme sind heute noch
rein arabischer Abkunft, und auch die Berberrasse hat
sich rein, ebenso wie in Algerien, nur auf den Hängen schwer
zugänglicher Bergzüge und sodann auf der Insel Dscherba
zu erhalten vermocht; über das Land verstreut, findet man
eine Menge solcher kleiner Berbersiedlungen, deren meist
feste Wohnsitze burgartig auf steilen Felskuppen angelegt
sind. Im Innern sind weite Gebiete fast menschenleer. Der
Hauptteil der Bevölkerung führt ein Nomadenleben, der
seßhafte Teil ist, mit Ausnahme der Berber, besonders in
den Städten, an dem Medscherda und an den Küsten des
Golfs von Hammamet vertreten. Der Araber in Tunis
widersteht dem europäischen Einfluß übrigens mit mehr
Zähigkeit, als der Eingeborene von Algerien, weil hier ein
starker Mittelstand von Handwerkern und Kaufleuten
existiert. Der tunesische Araber ist in der Stadt und auf
dem Lande arbeitsamer als sein algerischer Glaubensgenosse,
und er steht als Ackersmann, Gewerbetreibender und Händler
wirtschaftlich und geistig durchschnittlich höher, als die Masse
I
— 135 —
des in Elend, Armut und Stumpfsinn dahinlebenden Araber-
tums in Algerien.
Die aus der Vermischung von Türken und Eingeborenen
hervorgegangenen Kuluglis nehmen besonders in Tunis
recht zahlreich die Stelle der hier fast ganz verschwundenen
Türken ein und erstreben mit Vorliebe Anstellung im
Staatsdienst.
Die Juden, etwa 60 000, welche sich in die altein-
heimischen und in die livornesischen scheiden, und deren
Stellung schon unter dem liberalen Bei Achmed (1837—55)
wesentlich erleichtert wurde, haben unter dem französischen
Protektorat auch die Freizügigkeit und Gewerbefreiheit er-
langt, aber sie unterstehen noch der Gerichtsbarkeit des Bei
und können, falls sie nicht ihre Abstammung von algerischen
Juden nachzuweisen vermögen, das Recht auf Naturalisation
nur durch fünfjährigen Dienst in der Fremdenlegion erwerben;
den in Algier begangenen Fehler der bedingungslosen Gleich-
stellung mit den Europäern hat man hier also nicht wieder-
holt, und der Jude ist hier nicht wie in Algerien durch po-
litische Rechte vor dem Araber bevorzugt. Trotzdem beginnt
sich der Antisemitismus auch hier bereits zu regen. Die
tunesischen Juden betreiben in erster Linie Handel und Geld-
geschäfte, daneben aber auch vielfach Handwerke, besonders
die Schneiderei; sie bedienen sich allgemein der Landes-
sprache, des Arabischen.
Der jüngste Bevölkerungsteil des Landes weist die An- Europäer,
gehörigen verschiedener europäischen, vorwiegend ro-
manischen Nationen auf, die sich zunächst, gleich den
Juden, fast ausschließlich in den Küstenstädten und vor allem
in der Hauptstadt Tunis selbst angesiedelt haben; manche
dieser Familien sind sogar ganz Orientalen geworden und
nur in Religion und Tracht noch europäisch. Die ersten
Ansiedler waren meist Sizilianer und Malteser, sodann einige
— 136 —
geschäftslustige Griechen; die Itahener waren aber derartig
in der Mehrzahl, daß bis zur französischen Okkupation das
Italienische die allgemeine Verkehrssprache der Frem-
den war, die erst nach 1881 durch das starke Einströmen
französischer Elemente durch das Französische abgelöst
wurde, und dieses ist seit jener Zeit auch die offizielle Ge-
richtssprache. Bei den Behörden sind aber auch für die
arabische, italienische und maltesische Sprache Dolmetscher
angestellt.
Wie in Algerien die Spanier, so bilden, der räumlichen
Nähe entsprechend, in Tunesien auch heute noch die
Italiener, besonders Sizilianer, weitaus die Mehrzahl der
Europäer; führt eine Barke den Sizilianer doch für nur 2
bis 6 Francs nach Tunis hinüber. Da die eigene Zunahme
des französischen Bevölkerungselements in Tunesien trotz
aller Förderung seitens der landwirtschaftlichen und kolo-
nialen Behörden eine verhältnismäßig bescheidene geblieben
ist, so ist die starke, von Auswanderungsagenturen in Neapel
und Palermo geleitete Zunahme der italienischen Einwan-
derung — jährlich etwa 6500 Köpfe — den Franzosen un-
erwünscht. Der fremde Kleingrundbesitz auf dem Lande
ist überwiegend in italienischen Händen, und im Gegensatz zu
den französischen Kolonisten, die sich im Lande zerstreuen,
zeigt die italienische Einwanderung, besonders die der Sizi-
lianer, das Bestreben, in der Umgebung fast aller Städte ge-
schlossene Hütten- Dörfer zu bilden; viele Italiener nehmen
auch ein kleines Stück Land unter Wein- oder Gartenkultur
und verkaufen es dann mit Nutzen weiter. Einen kleinen
Grundbesitz zu erwerben, erstreben alle in angestrengtester
Arbeit und bewunderungswerter Mäßigkeit und Anspruchs-
losigkeit. Die erdrückende Mehrheit der italienischen Be-
völkerung freilich ist überhaupt nicht ansässig, sondern setzt
sich aus ländlichen und industriellen Arbeitern zusammen,
— 137 —
die in Tunesien ungefähr die Rolle spielen, wie in Deutsch-
land die polnischen Arbeiter; die Sizilianer sind auch vielfach
als Bergleute und Steinbrucharbeiter tätig, die Erdarbeiten
sind beinahe ein italienisches Monopol. Neuerdings haben
sich besondere italienische Landgesellschaften zur Ansiedlung
von Italienern in Tunesien gebildet. Die unter der hohen
Beamtenschaft früher zahlreich vertretenen Italiener sind jetzt
natürlich verschwunden.
Die Zahl der Franzosen hat sich von 700 in 1880
auf 10 000 in 1891, 16 500 in 1896 und 24 000 in 1901 ge-
hoben, und zwar waren im Jahre 1896 nur 13 *\, dieser
Franzosen im Landbau beschäftigt, während 23 '\, im Handel,
je 18 "(I in der Industrie und in der Zivilverwaltung tätig
waren. Die französische Regierung gibt sich die erdenk-
lichste Mühe, einen größeren Auswanderungsstrom ihrer
Landsleute nach Tunesien zu lenken, hat aber vorwiegend
Mißerfolge geerntet. Man hat in verschiedenen Städten
Frankreichs Auskunftsstellen dafür errichtet und macht
rege Propaganda durch die Presse und durch Rundreisen,
welche Beamte der Kolonie zu diesem Zwecke in Frankreich
unternehmen, bislang allerdings ohne großen Erfolg. Auch
die Schulen hat man der Kolonisation Tunesiens dienstbar
zu machen gesucht; in den Jahren 1900 und 1901 lud der
Generalresident eine Anzahl Elementarlehrer und Lehrerinnen
der südlichen Departements von Frankreich zu einer Studien-
reise in den besiedelungsfähigen Teilen der Kolonie ein, da-
mit sie dann in Frankreich Propaganda für die Auswanderung
dahin machen sollten, und anderen Lehrern stellte man lite-
rarisches Material zum gleichen Zwecke zur V'erfügung. Auch
auf andere Weise hat man noch versucht, Franzosen heran-
zuziehen; so versprach im Jahre 1900 der Minister der öffent-
lichen Arbeiten, um das französische Handwerk zu unter-
stützen, den Bauunternehmern für jeden von ihnen beschäf-
— 138 —
tigten französischen Arbeiter einen Zuschlag von 1 Franc
Tagelohn; das Resultat war auch dabei freilich fast null.
Der französische Handarbeiter, der 5 Francs Tagelohn
verlangt, kann nicht gegen die billigeren Löhne der Italiener
und Eingeborenen konkurrieren, der französische Landwirt
aber entschließt sich nur schwer und selten zur Auswanderung,
und so bilden die Franzosen nur den Hauptteil der Beamten,
Spekulanten, Kapitalisten und Aufseher bei den öffentlichen
Arbeiten und den französischen Gesellschaften und Fabriken.
Jeder Kolonist, der sich ansiedelt, kostet allein an Einwan-
derer-Reklame 2000 Francs, und dazu kommen große Summen
für Anschlußwege und andere Erleichterungen, die man pro
Kopf und Jahr auf durchschnittlich 3780 Francs berechnet.
Von den 28 000 Franzosen in Tunesien sind nur 1624 Grund-
besitzer mit zusammen rund 600 000 ha Land; aber von
diesen sind nur etwa 800 wirkliche Kolonisten mit einem
Gesamtbesitz von nur 50—60000 ha. Der französische Durch-
schnitts-„Kolonist" in Tunesien erstrebt überwiegend das
Ziel, sich durch eine glückliche Spekulation schnell zu be-
reichern und dann ins Mutterland zurückzukehren, und die
bedeutendsten französischen „ Kolonisten " bewohnen Tu-
nesien überhaupt nicht ständig, sondern nur während weniger
Wochen im Jahre, i* Die ganze französische „Besiedelung"
Tunesiens ist mehr Geld- und Landspekulation und trägt
ganz feudalen und großkapitalistischen Charakter! Das größte
der in französischem Besitz befindlichen Güter, die vielge-
nannte, 90 000 ha große Enfida, wird z. B. mit Sizilianern
besiedelt, wie auch andere französische Großgrundbesitzer
ihr Land im kleinen an Italiener aufteilen oder es von Ein-
geborenen bearbeiten lassen.
Die Zahl der Malteser ist zwischen 1885 und 1899
um 15 000 Köpfe zurückgegangen, trotzdem sie durch ihre
Vertrautheit mit der Eingeborenen Sprache und Sitten gegen
I
— 139 —
andere Einwanderer im V^orteil sind. Sie arbeiten in den
Städten als Kleinhändler. Handwerker, Kutscher, Lastträger,
Milchhändler und Fischer, treiben auch Gemüse- und Feld-
bau für den Stadtkonsum, sind arbeitsam, genügsam und
sparsam und ziehen sich mit einem kleinen V^ermögen gern
nach ihrer Heimat zurück.
Die Zahl der Reichsdeutschen in Tunesien ist nur
gef-ing. Das deutsche Reich unterhält ein Generalkonsulat
in Tunis, das auch Tripolitanien in seinem Amtsgebiet ein-
schließt, und eine Konsularagentur in Susa. Seit wenigen
Jahren besteht in Tunis auch ein deutsches Reise- und Jagd-
Bureau.
Die Naturalisation in Tunesien ist durch Dekret vom
Februar 1899 geregelt; erforderlich dafür sind im allgemeinen
ein Alter von mindestens 21 Jahren und 3 Jahre Aufenthalt
in Tunis, Frankreich oder Algerien, letzthin aber in Tunesien.
Auf Grund dieses Gesetzes sind von 1899 — 1903 im ganzen
250 Personen mit 234 minderjährigen Angehörigen naturali-
siert worden, fast ausschließlich Italiener und Malteser.
Die Beziehungen zwischen Eingeborenen und Fremden i
sind in Tunesien im allgemeinen freundliche.
Das Verwaltungssystem Tunesiens ist eine Ver- Verwaltung
einigung von Schutzherrschaft mit einer gewissen Selb-
ständigkeit und hat sich im großen ganzen trefflich be-
währt. Nach Möglichkeit hat man die alten Einrichtungen
bestehen lassen und begnügt sich überwiegend mit deren
Überwachung, dabei sucht man die angesehenen und begü-
terten eingeborenen Familien in das französische Interesse zu
ziehen, dadurch, daß man sie zur Verwaltung heranzog bezw.
darin beließ. Man wünscht dieses Protektoratssystem mög-
lichst lange aufrecht zu erhalten, und wenn eine gänzliche
Angliederung schließlich doch erfolgen muß, so soll diese
— 140 —
an Frankreich direkt und nicht an Algerien erfolgen, damit
beide Kolonien unabhängig voneinander bleiben und sich
entwickeln.
Der Bei hat nach wie vor den amtlichen Titel „Be-
sitzer des Königreichs Tunis", und sämtliche Regierungsakte
und die Verleihung der tunesischen Orden geschehen in
seinem Namen, aber der Bei und seine Regierung können
nichts ohne Zustimmung Frankreichs tun und müssen alles
ausführen, was Frankreich will, und dadurch, daß man dem
neuen Bei im Jahre 1902 für die V^erwaltung seiner Privat-
domänen, seiner Zivilliste und der Krondomänen einen fran-
zösischen Beamten aufoktroierte, stellte man ihn quasi unter
Kuratell. Das Wappen von Tunis zeigt in rotem Felde
eine vom goldenen Halbmond gekrönte, grüne goldgeränderte
Fahne mit einem silbernen Schweifstern. Die Landesflagge
zeigt in einem roten Rechteck einen weißen Kreis in der
Mitte, der einen roten Halbmond und einen fünfzackigen
Stern aufweist; die Flagge des Bei ist horizontal gestreift in
den Farben blau, rot, grün, rot, blau.
Dem Bei zur Seite steht als Vertreter Frankreichs ein
von diesem mit jährlich 50 000 Francs bezahlter hoher Be-
amter, der dem Ministerium des Auswärtigen untersteht, bis
1885 als Ministerresident bezeichnet wurde, seitdem den Titel
Generalresident führt und zugleich Präsident des tunesischen
Ministerrats, Minister des Auswärtigen nnd Chef der Zivil-
Kontrolleure ist. Nach Roustan folgten Paul Cambon
1882 — 86, Massicault 1886 — 92, Rouvier 1892 — 94 und
Rene Millet 1894—1901, seitdem amtiert Pichon. Der dem
Generalresidenten unterstellte französische kommandierende
General der Besatzungstruppen ist gleichzeitig tunesischer
Kriegsminister. Zwei arabische Minister, der des Innern und
zugleich Großsiegelbewahrer, und der „Minister der Feder",
dem die Justiz über die Eingeborenen untersteht, werden
— 141 —
zwar vom Bei ernannt, aber der Generalsekretär der Ein-
geborenen-X'erwaltung ist ein Franzose und sämtliche Ent-
scheidungen gehen durch seine Hand. Die Finanzen, die
öffentlichen Arbeiten, das Unterrichtswesen, Handel und
Ackerbau sowie Post- und Telegraphenwesen unterstehen fünf
französischen Abteilungsvorständen, welche im Ministerrat,
der das Jahresbudget festsetzt, beratende Stimmen haben.
Kein Gesetz ist gültig ohne das Visum des Generalresidenten
und die Veröffentlichung im „Journal officiel tunisien" in
arabischer und französischer Sprache.
Man hatte angenommen, daß Tunesien mit Anfang 1905
dem französischen Kolonialamt anstelle des Ministeriums der
auswärtigen Angelegenheiten unterstellt werden würde; diese
Erwartung hat sich aber nicht erfüllt.
Das Land ist in 13 Bezirke (contröle civil) und
7 Unterbezirke (annexe) eingeteilt, und jeder dieser 20 Be-
zirke untersteht einem französischen Contröleur civil, der die
Eingeborenen -Verwaltung zu überwachen und zu beraten
hat, und durch dessen Hände deren Korrespondenz mit der
Regierung geht. Jeder contröleur ist gleichzeitig franzö-
sischer Vizekonsul und übt als solcher den Franzosen ge-
genüber das Amt eines Standesbeamten und Notars.
Jeder Eingeborenen -Stamm hat seinen Kaid, welcher
der Regierung verantwortlich ist und gegen eine Vergütung
von 5 "o der Einnahmen die Steuern erhebt, und einen
Khalifa oder Stellvertreter; dem Kaid, dessen Amt noch
ä la Marokko käuflich ist, unterstehen wieder je mehrere,
von den Notabein gewählte Scheichs oder Dorfschulzen.
Auf Antrag der Kontrolleure können die Kaids abgesetzt
werden. Der äußerste Süden des Landes untersteht noch
der Militärverwaltung.
- 142 —
Munizipalverwaltungen, vor 1881 höchstens in der
Stadt Tunis, seit 1858, einigermaßen vertreten, sind heute an
allen Hauptplätzen geschaffen oder in Vorbereitung, und zwar
bestreiten sie ihre Kosten zumeist aus einer Steuer von 3 — 6^ 4^ o
vom Mietwert sämtlicher Grundstücke. Ende 1902 hat man
auch eine besondere Kasse für Kommunal-Anleihen geschaffen.
Im französischen Parlament ist die Regentschaft nicht
vertreten, und bis zum Jahre 1890 bestand auch in Tunesien
selbst die Vertretung der französischen Bevölkerung nur in
der, im Jahre 1885 in der Stadt Tunis gebildeten Handels-
kammer. Erst anläßlich der Zollreform von 1890 wurde
als Beirat mit nur beratender Stimme eine Conference
consultative geschaffen, in der neben den offiziellen Ver-
tretern von Handel und Wein- und Ackerbau auch die
Verw^altungen der großen Städte zugezogen waren; diese
Kommission, welche jährlich zweimal zusammentritt, wurde
1896 dahin erweitert, daß auch eine Anzahl nicht den ge-
nannten Kreisen angehöriger, mindestens 25 Jahre alter und
wenigstens ein Jahr in Tunesien wohnender Franzosen,
ausschließlich solche, in den verschiedenen Bezirken dazu
gewählt werden. Eine Bewegung, die Konferenz nicht aus
diesen drei Wahlkollegien, sondern aus dem allgemeinen
Wahlrecht hervorgehen zulassen und ihr damit politischen
Charakter zu geben, ist 1904 resultatlos verlaufen und ge-
wiß auch noch verfrüht. Dagegen sind Anfang 1905 für
die im März dieses Jahres neu zu wählende Conference
consultative folgende abgeänderte Bestimmungen getroffen :
Wähler ist jeder französische Bürger oder Naturalisierte,
welcher dem Militärdienst genügt hat, mindestens 21 Jahre
alt ist und mindestens 2 — Naturalisierte, welche nicht
französischen Militärdienst leisteten, mindestens 5 — Jahre
in Tunesien wohnt. Die Wähler werden in drei Klassen
geteilt, wovon die erste den Handel, die zweite die Land-
— 143 —
Wirtschaft und die dritte die Besitzer von Stadtgrundstücken,
die Rentner, Beamten und Gewerbetreibenden umfaßt. Jede
Gruppe von 1000 Wählern wählt je einen Repräsentanten
der drei Kategorien, sodaß die neue Assemblee 31 Mitglieder
zählen wird. Wählbar ist jeder in den Wahllisten Ein-
getragene, sobald er 25 Jahre zählt.
An sonstigen repräsentativen Körperschaften existieren
Handelskammern in Tunis und Biserta, eine Ackerbau-
kammer in Tunis und je eine gemischte Kammer für
Handel und Ackerbau in Susa und in Sfax für die wirt-
schaftlichen Interessen des Zentrums und des Südens der
Kolonie; die Mitglieder dieser Kammern werden von den
betreffenden französischen Kolonisten gewählt.
Die französische Besatzungsdivision in Tunis, welche H|f und
" ' Flotte.
Frankreich jährlich rund 12 Millionen Francs kostet und
20000 Mann umfaßt, bestand 1903 in 12 Bataillonen Infan-
terie, nämlich einem Regiment Zuaven, einem Regiment Turkos,
drei Bataillonen leichter Infanterie und einer Strafkompanie;
ferner in je einem Regiment Spahis und Chasseurs
d' Afrique. sechs Batterien Artillerie und je zwei Genie- und
Train-Kompanien. Eine Territorialarmee besteht in Tunesien
nicht. Dem Bei ist als Ehrenwache unter französischer
Inspektion eine aus 600 Mann Infanterie. Kavallerie, Artillerie
und einer Musikabteilung zusammengesetzte tunesische Leib-
garde belassen. Laut Gesetz von 1889 brauchen in Tunesien
ansässige Franzosen nur ein Jahr Militärdienst zu leisten,
wenn sie sich dort sechs Monate vor der Ziehung nieder-
lassen und sich dazu verpflichten, mindestens zehn Jahre
nach ihrem Dienstjahr in Tunesien oder Algerien zu bleiben
und während dieser Zeit kurze Auslandsreisen nur mit
Urlaub der Militärbehörden anzutreten. Wie bereits im Ka-
pitel „Algerien" erwähnt, sprachen sich die französischen
— 144 —
Kammern Ende 1904 aber für Durchführung der zwei-
jährigen Dienstzeit auch in Tunesien aus. Die Einge-
borenen sind durch Dekret von 1892 ebenfalls zur Dienst-
leistung im tunesischen Heere und zwar auf drei Jahre ver-
pflichtet, und es wird unter den jungen Leuten von 18 — 21
Jahren gelost; bei ihnen ist aber Freikauf vom Militärdienst
gegen eine jährlich festzusetzende Summe — z. Z. 800
Francs — gestattet. Für die Flotte ist 1903, wie in Algerien,
eine aus eingeborenen Moslims gebildete Baharia einge-
richtet worden.
Die Flottendivision von Tunis besteht aus einem
Küstenpanzer, einem Panzerkanonenboot und einem Torpedo-
aviso; Biserta aber wird zu einem der wichtigsten Kriegs-
häfen des ganzen Mittelmeers ausgestaltet.
^^^^'^' Was die Rechtspflege anbetrifft, so hatte Frankreich
1881 das Weiterbestehen der durch die Kapitulationen ge-
schaffenen Konsulargerichtsbarkeiten zugesagt, empfand diesen
Zustand aber bald unangenehm. Um nun zunächst das
notwendige Vertrauen der Fremden in eine zuverlässige Ge-
richtsbarkeit zu gewinnen, wurden 1883 ein französisches
Tribunal erster Instanz in Tunis und daneben sechs Friedens-
gerichte geschaffen und im Laufe 1884 stellte man nach
Abschaffung der von 13 Nationen unterhaltenen Konsular-
gerichtsbarkeit die Fremden ebenso wie die Franzosen
unter französische Gerichtsbarkeit. Ein zweites Tribunal
erster Instanz wurde in Susa, ein tribunal mixte für Grund-
buchsachen 1885 in Tunis geschaffen, und als Obergericht
gilt schon seit 1883 der französische Appellhof in Algier.
In allen größeren Städten wirken Friedensrichter, im ganzen
11. Die einheimische Rechtsprechung aber wurde, gemäß
Koran und Herkommen, mit gewissen Einschränkungen bei-
behalten, sodaß der tunesische Araber für sich und seine
^ 145 —
Stammesgenossen eigene Gesetze, Notare und Richter hat.
Man unterscheidet in Tunesien zwei Arten einheimischer
Gerichte: Die Schara, das religiöse Gericht, dem alle
Angelegenheiten des Personenstandes, der Erbfolge und des
Grundbesitzes vorbehalten sind, und dem der Kadi als Einzel-
richter vorsteht; und sodann das kollegiale Laien -Gericht
der Usara, welches alle Straf- und anderen Sachen erledigt.
Die Kaids haben gewisse polizeiliche und bis zur Strafhöhe
von 20 Francs und bei Streitigkeiten bis zu 30 Francs
richterliche Befugnisse. Das einheimische Gendarmerie-
Korps der Udschak ist reorganisiert und den einzelnen
Controleurs civils unterstellt worden, dazu tritt ein franzö-
sisches Gendarmerie- Korps und in den größeren Städten
französische Polizei.
Nach der Besetzung Tunesiens durch die Franzosen Kirche,
übertrug der Papst die Organisation der katholischen
Kirche in Tunesien dem Kardinal Lavigerie, erneuerte auf
dessen Gesuch 1885 den erzbischöflichen Stuhl von Karthago
und verlieh ihm das Pallium der neuen Würde. Lavigerie
starb 1892 und liegt in der von ihm begründeten Kathedrale
von Karthago begraben, die von ihm gestifteten peres blancs
aber wirken noch heute verdienstlich weiter. Neben dem
französischen Erzbischof in Karthago funktionieren auch
Bischöfe in Tunis und Sfax.
Das Unterrichtswesen wird seitens der Moslims meist Unterricht,
noch durch eigene Schulen und Lehrer gepflegt, und Tunis
besitzt sogar eine Universität des Islams, die weniger intolerant
und fanatisch, als ihre Schwesteranstalten in Fes und Kairo
ist; daneben aber bestanden im Jahre 1900 in 68 ver-
schiedenen Orten 132 Schulen mit französischem Unter-
richt, und diese zählten zusammen 17 000 Schüler. Von den
Schan/. Alijerion. I iini'sieii. Tripolltanien JQ
— 146 —
120 Schulen des Jahres 1899 waren 107 öffenth'che und 13
private Schulen, 96 von Laien und 24 von Kongregationen
geleitet, welch letzteren Frankreich seinen Einfluß in Tunis
zum großen Teile verdankt, sodaß man ihre Aufhebung hier
bedauert. Israeliten, meist in Privatschulen, zählten im Jahre
1900: 2500 Schüler. An höheren Lehranstalten existieren
in der Stadt Tunis das Lycee Carnot mit 622 Schülern in
1900, das 1884 gegründete Seminar des College Alaoui mit
114 Schülern, eine höhere Töchterschule und seit 1899
eine Gewerbeschule. Der Staatsbeitrag für Unterrichts-
zwecke beträgt jährlich P4 Million Francs.
Französische Tages- und Wochenzeitungen erscheinen
in Tunesien schon eine ganze Reihe; die größte Tages-
zeitung ist „La Depeche Tunisienne", während das „Journal
officiel Tunisien" nur zweimal in der Woche erscheint.
Finanzen. \\/^^ jjg Finanzen Tunesiens anbelangt, so waren die
wirtschaftlichen Verhältnisse vor der französischen Okku-
pation so elende geworden, daß Versuche, neue Anleihen
unterzubringen, gänzlich fehlschlugen, da niemand Tunesien
einen Pfennig anvertrauen wollte. Die zur Sicherung der
Anleihenverzinsung der Verwaltung einer europäischen Finanz-
kommission überwiesenen Einnahmen betrugen vor 1870
etwa 11 Millionen Piaster, 1883 13 Millionen und da die
Gesamteinnahmen sich 1883 nur auf 22 Millionen beliefen,
so blieb für die Regierung wenig genug übrig; man hatte
denn auch unter dem Druck dieser Verhältnisse gegen 17
Millionen Francs schwebender Schuld zu teilweise sehr
drückenden Bedingungen — bis zu 12 "o p. a. — aufge-
nommen. Ein erstes Budget für Tunesien wurde unter
französischer Aufsicht 1883/4 aufgestellt; bis dahin gab es
nur eine Ausgabenliste und Einnahmen, deren Höhe von der
'.Energie der Regierung und dem guten Willen der Be-
— 147 —
völkerunii abhing. Im Mai 1884 wurde sodann, unter der
im MarsaA'ertrag zugesagten Garantie Frankreichs, der Bei
autorisiert, eine 4"ü Anleihe von 142> j Millionen Francs
aufzunehmen zur Zurückzahlung und Konvertierung der kon-
solidierten 5 " (ligen und zur Liquidation der schwebenden
Schuld. Die Operation gelang ohne Schwierigkeit, und die
nunmehr zwecklos gewordene fremde Finanzkommission
konnte im Oktober 1884 aufgelöst werden; an ihre Stelle
trat die französische Finanzdirektion. Der Zinssatz der fun-
dierten Schuld wurde 1889 von 4 auf 3 \'2 " o reduziert,
das Gesetz von 1892 autorisierte den Bei, die 3^2 ^o An-
leihe auf 3^0 zu konvertieren, rückzahlbar in längstens 96
Jahren, und im Jahre 1902 gestattete man die Aufnahme
einer 4 " ,i Anleihe von 40 Millionen Francs für Eisenbahn-
bauten. Die 500 Francs-Abschnitte der 3 " o Anleihe von
1892 waren Anfang 1905 an der Pariser Börse mit 475
Francs notiert.
Das Budget Tunesiens hat sich nun in den letzten 20
Jahren unter französischer Verwaltung wie folgt entwickelt:
1884 5 1890 95 99
Einnahmen
19,8
25,9
22,5
28,7 Mill. Francs
Ausgaben
19,5
32,5
22,4
26,6 „
1900
Ol
02
03
Einnahmen
39,9
39,2
54,1
54,1 Mill. Francs
Ausgaben
37,5
39.1
54
54
und zwar ist das Ziel der französischen Finanzpolitik in
Tunesien gewesen : Größtmögliche Begünstigung Frank-
reichs und seines Handels bei Erhaltung der Solvenz der
Regentschaft. Man erhoffte in Tunesien einen ausschließ-
lichen Markt für französische Produkte; eine lohnende An-
lage französischen Kapitals; eine besondere Anziehungskraft,
um französische Auswanderer von fremden Kolonien fern
- 148 -
zu halten; und endlich die Selbstunterhaltung des Schutz-
gebiets ohne Kosten für Frankreich. Diese vier Punkte
sind in der Tat auch erreicht worden, dadurch daß man fast
alle französischen Produkte zollfrei einließ, während man die
ausländische Konkurrenz durch hohe Tarife einschränkte;
und dadurch, daß man die Ausfuhr durch Abschaffung von
Exportzöllen förderte, ohne den dadurch verursachten Aus-
fall von Einnahmen durch Erhebung von solchen Steuern
zu decken, welche die Einwanderung abzuschrecken geeignet
wären; das Budget aber ist immer so vorsichtig aufgestellt
worden, daß es ständig einen kleinen Überschuß zeigt, und
seit dem Jahre 1896 hat man auch einen Reserfefonds ge-
schaffen, der sich Anfang 1901 auf rund 13 Millionen Francs
belief. Nur die Unterhaltungskosten für die Besatzungs-
truppen trägt, wie für alle seine Kolonien, das Mutterland,
und dazu treten jährlich noch zwei Millionen Francs für
Eisenbahn -Zinsgarantie. Immerhin hat Tunesien Frankreich
bislang rund 400 Millionen Francs gekostet.
Das Budget für 1903 umfaßt außerordentliche Ein-
nahmen und Ausgaben für Eisenbahnbauten in Höhe von
27 Millionen Francs, daneben weist es auf in den ordentlichen
Einnahmen: Direkte Steuern 7,9, indirekte Steuern
und Stempelgebühren 5,7, Monopole 6,6, Zölle 3,5, Post
und Telegraph, Domänen und andere Einnahmen je 1,1
Millionen Francs, während sich die ordentlichen
Ausgaben zusammensetzen aus: Hofhalt 1680000,
öffentliche Schuld 6,9, Finanzverwaltung 5,2, allgemeine Ver-
waltung 3,8, Domänen, Ackerbau und Handel 2,7, Post und
Telegraph 1,5, Armee 1,5, Unterricht 1,1 Millionen Francs.
Das Budget für 1905 balanciert in den ordentlichen
Einnahmen und Ausgaben mit 30 Millionen Francs.
Die Abgaben sind möglichst einfach, um der Pro-
duktion keine Hemmnisse in den Weg zu legen, im Innern
- 149 —
besorgen die Kaids und Scheichs die Erhebung der direkten
Steuern, d. h. der Kopfsteuer von 20 Francs und der Ab-
gaben auf Getreide, Ohvenbäume und Dattelpalmen. Die
Kopfsteuer oder Medschba, seit 1894 von 24 auf 20 Francs
herabgesetzt, wird von allen männlichen Eingeborenen ent-
richtet, mit Ausnahme der Bewohner von Tunis, Susa, Sfax,
Monastir und Kairuan.
Der Aschur oder Getreidezehnte wird in bar auf
alle, auch von den Franzosen, mit Weizen und Gerste be-
stellte Felder erhoben, wobei aber nicht der Ernteertrag,
sondern das Maß der Aussaat auf eine Mechia als Basis
dient; mit französischen Pflügen bestellte Äcker bezahlen
vorläufig nur ' m dieser Steuer.
Der Kanun auf Dattelpalmen beträgt je nach Gegend
und Qualität jährlich 20—140 Centimes, derjenige auf Öl-
bäume 5—50 Centimes, in den Nordprovinzen wurde
früher der Zehnte des Ölertrags als „Ghaba" in natura
erhoben, und in einigen Distrikten fielen auch noch sämt-
liche Öltrester an den Staat; seit 1897 sind aber auch diese
Naturalleistungen in Barabgaben umgewandelt worden, und
die grundlegenden Preise dafür werden jedes Jahr neu fest-
gestellt.
Die Mradscha-Steuer wird auf Gemüse- und Obst-
gärten der Distrikte Sfax und Kap Bon erhoben und be-
trägt je nach Güte des Bodens 37 — 135 Centimes für die
Merdscha von 48 qm. Die jährliche Grundsteuer von 8
Centimes auf den Quadratmeter Gemüseland in der Nähe
der Stadt Tunis ist im Jahre 1900 auf 4 Centimes redu-
ziert worden.
Der Erwerb von Grundstücken war früher mit
einer Abgabe von 7 "o belegt, die durch Gesetz vom
1. August 1885 aber auf 4'^,,. 1900 in gewissen Fällen auf
— 150 -
2 Vo herabgesetzt wurde. Überschreibungen unter Verwandten
direkter Abstammung kosten nur 2*^(10.
Die Kar übe oder Mietwertsteuer auf alle französischen
Immobilien, mit Ausnahme der landwirtschaftlichen, in der
Höhe von 6^4% ist in allen Städten, welche Gemeinde-
verwaltungen haben, diesen überlassen worden. Bebautes
Eigentum in der Landwirtschaft ist keinen jährlichen Ab-
gaben unterworfen, dagegen werden solche erhoben auf mit
Weizen, Gerste, Oliven und Palmen bepflanzte Flächen,
und zwar hat man diese Abgaben, um den Eingeborenen
von seiner primitiven Bodenwirtschaft abzubringen, um 90 7o
herabgesetzt auf mit französischen Pflügen ausgeführte
Kulturen. Weinbau ist, nachdem 1886 die Produktions-
steuer von 10 7o aufgehoben wurde, frei, mit Ausnahme der
Abgabe zur Bekämpfung der Phylloxera, auch die Brannt-
weinbrennerei unterliegt bei den Kolonisten keiner Abgabe,
das Produkt zahlt nur bei Einführung in die Stadt Konsum-
steuer. In gewissen Distrikten und Städten bezahlt auch
Haifa 25 Centimes Oktroi für den Zentner, und ebenso be-
zahlt Vieh bei Einführung in den Städten eine Konsum-
steuer, während die frühere Vieh -Verkaufsabgabe von 6^ 4 '^'o
auf den Märkten jetzt aufgehoben ist. Gewerbesteuern
oder Patente sind bislang nur auf den Handel mit gewissen
Lebensmitteln für Eingeborene und auf die Herstellung von
Kalk, Ziegeln und ähnlichen Produkten gelegt. Dagegen
sind die unter dem Namen der Mahsulate erhobenen ok-
troiartigen Steuern auf die Fabrikation und den Verkauf
einer Anzahl von Lebensmitteln und Bedarfsartikeln sehr
vielseitig; im Laufe der Jahre hat man diese Abgaben zwar
herabgesetzt und teilweise ganz abgeschafft, dafür aber 1898
eine Konsumsteuer auf Alkohol und Zucker eingeführt.
Eine Wegesteuer von jährlich Francs 4,80 wird Ein-
geborenen und seit 1898 auch Europäern auferlegt; erstere
- ISl —
können sie in Naturalien, letztere in Form von Arbeit
leisten, wobei ein Arbeitstag für die Person mit 1 ^ :, Francs
angerechnet wird; daneben besteht noch eine Wagensteuer.
Staatsmonopole sind der V'ertrieb von Tabak und,
Zigarren, Salz, Schießpulver, Streichhölzchen und Spielkarten.
Was die Zölle anbetrifft, so wurden die Durchfuhr-
zölle bereits durch Dekret vom 3. Oktober 1884 abgeschafft,
und auch die Ausfuhrzölle, welche früher auf 62 der
wichtigsten Landesprodukte gelegt waren und deren Aus-
fuhrmöglichkeit erschwerten, sind heute größtenteils aufge-
hoben; im Jahre 1902 umfaßten sie nur noch acht Posi-
tionen — Schwämme, Oliven und ihre Produkte, Wolle,
Felle und frische Fische, mit Ausnahme des Thunfisches —
deren Verschwinden man aber auch erhofft. Über die Ein-
fuhrzölle wird in dem Handels- Kapitel Näheres zu sagen
sein; hier sei nur erwähnt, daß alle Maschinen, Geräte,
Düngemittel und chemischen Produkte für den Ackerbau
frei eingehen.
Was die Bodenfrage anbelangt, so gibt es in Tunesien P^J?Sfio"n"'*
drei verschiedene Arten von Land: Die Beiliks oder Do-
mänen; die Habus oder Stiftungsländereien und den iMelk
oder Moslim-Privatbesitz, während es den in Algerien üblichen
Arch, gemeinsames Land der Eingeborenen -Stämme, in
Tunesien nicht zu geben scheint.
Von den Domänen, die z. Z. der arabischen Er-
oberung das ganze Land umfaßten, da man den Einge-
borenen nur die Nutznießung überließ, waren im Laufe der
Zeiten immer größere Teile der öffentlichen Verwaltung ent-
zogen worden und eine verläßliche Registrierung des Besitzes
fehlte. Erst nach dem Eindringen der Franzosen fand eine
Klärung dadurch statt, daß man den Privatbesitz des Beis
von den Staatsdomänen trennte, der weiteren V^erschleuderunß
— 152 —
der letzteren, welche 1881 nur noch 200 000 ha umfaßten,
durch ein Gesetz vom gleichen Jahre entgegentrat und ihnen
auch die Wälder, Erz- und Phosphatlager und Steinbrüche,
soweit sie nicht auf Privatland waren, zuwies. Das Dekret
vom 24. September 1885 etablierte auch in Tunesien den
Unterschied der „d omaine public" und der „domaine
prive" und wies ersterer alle ihrer Natur nach öffent-
lichen Besitze, besonders auch alle Meeresufer, Wasserläufe,
Quellen, Wege, Kanäle usw. zu, soweit nicht vor 1885
erworbene Besitz- und Nutzrechte nachzuweisen sind, während
letztere allen herrenlosen Besitz, seit 1890 auch die Wälder
umfaßt und im Gegensatz zur ersteren veräußerlich ist.
Durch Gesetz von 1886 wurde auch ein Teil der früher ver-
äußerten Domänen zurückerlangt und zwar ebenfalls für die
Regentschaft, nicht für den französischen Staat, welcher als
solcher überhaupt keinen Domänenbesitz in Tunesien hat.
War bis dahin die Erhaltung der Domänen als Ein-
nahmequelle für den Staat das Leitmotiv der Verwaltung
gewesen, so wurde die 1890 gegründete Ackerbau-Direktion
damit beauftragt, ab Ende 1890 so viele Domänenländereien
als möglich zu veräußern im Interesse der wirtschaftlichen
Entwicklung der Regentschaft im Allgemeinen und der Boden-
bearbeitung durch Franzosen im Speziellen; die Domänen-
ländereien wurden der Kolonisation zur Verfügung gestellt
und die daraus fließenden Erträge vom Staate wiederum
zum Erwerb neuen Grundbesitzes verwandt, den er für die
Besiedelung vorbereitet; zu diesem Betriebe wurde am
1. Dezember 1897 definitiv eine Kolonisations- Kasse
konstituiert und dreimal mit je 3 ^ 2 Millionen Francs dotiert.
Diese Kasse hat, bis einschließlich des Jahres 1903, 22690 ha
Land zu Kolonisationszwecken gekauft. Durch Dekret von
1896* wurden auch die herrenlosen und unbenutzten, fast aus-
schießlich in der Mittel- und Südregion gelegenen Ländereien,
I
— 153 —
ohne dabei den nomadischen Stämmen gegenüber Härte zu
zeigen, als Staatsdomänen erklärt. Im Jahre 1899 besaß der
Staat 700000 ha im Norden und Osten, wozu über 300000 ha
den Stämmen in Mittel- und Süd-Tunesien genommen werden
konnten. So weit die Domänen im Staatsbesitz verbleiben,
werden sie teils vom Staate selbst verwaltet, teils verpachtet,
wobei die Eingeborenen dieselben Rechte genießen, wie die
Franzosen und die Pacht von den Kaids eingezogen wird,
welche davon 10 "„ erhalten. Bei der Veräußerung werden
die Domänen in Lose von durchschnittlich 50—175 ha auf-
geteilt und freihändig zum Preise von 40 — 200 Francs für
den Hektar verkauft; früher war die Hälfte des Kaufgeldes
bei Besitzantritt, ein Viertel nach dem dritten und das letzte
Viertel nach dem vierten Jahre zu zahlen, und bei sofortiger
voller Barzahlung wurden 10"(, Abzug gewährt. Seit Juli
1902 ist die Zahlungsweise weiter erleichtert worden. Der
Käufer hat jetzt das Recht, die Zahlung auf eine Anzahl
gleicher Jahresraten zu verteilen, die im ganzen zehn Jahre
nicht überschreiten dürfen; die ersten vier Jahresraten sind
zinsfrei; für das fünfte und sechste Jahr wird ein Zuschlag
von je 2^(1, für das siebente, achte und neunte Jahr je ein
Aufschlag von 4°o auf den Rest der Kaufsumme berechnet;
werden die Termine nicht pünktlich eingehalten, tritt außer-
dem eine Zinsberechnung von 5 " o p. a. ein. Solange die
Kaufsumme nicht vollständig beglichen ist, bleibt das be-
treffende Grundstück in erster Stelle zugunsten des Staates
mit einer entsprechenden Hypothek belastet. Wird der volle
Kaufpreis sofort bar gezahlt, so tritt ein Preisnachlaß von
10",. ein. Im Süden der Regentschaft, wo der Getreidebau
unsicher ist, werden für Kultur von Oliven, Mandeln, Johannes-
brot usw. geeignete Domänenländereien, die allerdings erst
nach 10 — 15 Jahren Erträge geben können, unter der Bedin-
gung der Nutzbarmachung an Europäer wie an Eingeborene
— 154 —
zum Preise von nur zehn Francs für den Hektar verkauft,
zahlbar zur Hälfte sofort, zur Hälfte nach vier Jahren. Frei-
lich fehlt es diesen Grundstücken durchgängig an allen
Einrichtungen, wie Gebäuden, Brunnen, Pflanzungen usw.
und die Bewirtschaftung erfordert deshalb ein entsprechend
großes Kapital. Kleinsiedelung erscheint noch für lange
Zeit hinaus nur im Norden aussichtsreich.
Seit ihrer Gründung im Jahre 1890 bis einschließlich
des Jahres 1903 hat die Ackerbau- Direktion im ganzen
57 000 ha, auf 669 einzelne Kolonielose verteilt, verkauft.
Zwar sind laut bestehenden Verträgen Franzosen im
Landerwerb nicht bevorzugt, aber da die Verwaltung freie
Wahl unter den Bewerbern hat, so sind die Käufer von
Domänengut doch fast ausschließlich Franzosen.
Im übrigen waren von den 500 000 ha Land im Besitz
europäischer Kolonisten 1897 nur 5300 ha von Staats-
domänen, der Rest aber von Privaten erworben, da der
Staat sich hier, im Gegensatz zu Algerien, der offiziellen
Kolonisation im allgemeinen enthalten und nur die Vor-
bedingungen dafür geschaffen hat durch Sicherung der
Zustände, Schaffung von Wegen und Eisenbahnen und Ein-
führung französischer Justiz und eines vorzüglichen Boden-
und Hypothekenrechts. Gratis- Konzessionen werden in
Tunesien überhaupt nicht verliehen, und selbst der Käufer
muß eine Reihe lästiger Bedingungen übernehmen. Auch
hat man hier im allgemeinen keine offiziellen „Kolonisations-
Zentren" wie in Algerien geschaffen, da die friedlichen Zu-
stände des Landes und der Bevölkerung dazu keine Veran-
lassung gaben, und der Eingeborenen -Besitz ist, im Gegen-
satz zu Algerien, wo man die Araber gegen Entschädigung
expropriierte, um europäische Siedelungsdörfer anzulegen,
in Tunesien streng respektiert worden. Die einzige Er-
leichterung, welche französische Einwanderer genießen, ist
— 155 —
eine Ermäßigung der Passage, und diese fällt ernstlich nicht
ins Gewicht. Eine 1901 geschaffene „Kolonisations- Kom-
mission", die aus Beamten und Kolonisten besteht, berät
über alle Fragen der französischen Kolonisierung, und ein
Einwanderer-Bureau ist vor kurzem in Tunis eröffnet worden.
Während die Regierung bei der Kolonisation die Bil-
dung von Kleingrundbesitz begünstigt, hat sich die Privat-
initiative in „Kolonisation" nur auf größere Flächen von
meist 500 — 1000 ha, aber auch bis zu 6000 ha und mehr
gelegt, die nach wie vor von Eingeborenen bewirtschaftet
werden gegen bestimmten Anteil der Ernte und auf kurze
Pachttermine, ein System, das natürlich weder im Interesse
rationeller Kultur, noch in dem dichterer Besiedelung liegt.
Die Stiftsländereien oder Habus sind in Tunesien
nicht, wie in Algerien, vom Staate konfisziert, sondern einer
speziellen Verwaltung unterstellt worden, welche z. B. 1902
fast zwei Millionen Francs einnahm. Diese Ländereien um-
fassen angeblich gegen ein Viertel des Landes, im Norden
etwa 150 000 ha, sind jedenfalls sehr ausgedehnt und würden,
da sie unveräußerlich sind, ein Hindernis für die Kolonisation
sein, wenn nicht die „Unveräußerlichkeit" der Habus in Tu-
nesien schon seit langer Zeit durch den sogenannten „Ensel"
umgangen werden könnte, eine Art Erbverpachtung gegen
ewige und unveränderliche Rente. Dasselbe System bestand
in Algerien unter dem Namen „Ana", wurde aber dort 1S44
als ablösbar erklärt, selbst gegen den Willen des Verpächters,
während in Tunesien die Ablösung nur unter Zustimmung
beider Kontrahenten, im allgemeinen gegen das löfache der
Rente, zulässig ist, wofür die Habu -Verwaltung ein gleich-
wertiges Stück anderen Landes zu beschaffen hat. Von
dieser Bewirtschaftung der Habus nach dem Ensel -System
haben die Kolonisten mehr und mehr Gebrauch gemacht,
da es ihnen Kapitalanlage für Grund und Boden erspart, und
— 156 —
es ist besonders von den Franzosen benutzt, welche große
Flächen bevorzugen, während andere Europäer und die Ein-
geborenen im allgemeinen kleinere Parzellen in der Nähe
der Städte vorziehen. Die Habu -Verpachtungen erfolgen
laut Gesetzen von 1888 und 1898 jährlich in öffentlicher
Versteigerung, um die Stiftungs- Einnahmen möglichst hoch
zu halten. Durften Habus früher nur auf 3 Jahre vermietet
werden, so ist dieser Termin 1898 auf 10 Jahre ausgedehnt
worden und darf unter gewissen Bedingungen ohne neue
öffentliche Versteigerung zweimal auf je 10 Jahre verlängert
werden gegen Erhöhung des Pachtgeldes um je 20 %; Ame-
liorationen bis zum Betrage der fünffachen Jahrespacht werden
nach Ablauf des Termins vergütet.
Man hat sich also in Tunesien bestrebt, die Bodenfrage
in Anlehnung an bestehende arabische Sitten und Gesetze zu
behandeln, und formte auch das Bodenrecht des Privat-
besitzes von Europäern und Eingeborenen auf dieser Basis
durch das Gesetz vom 1. Juli 1885, welches eine Kombination
gewisser muselmännischer Einrichtungen mit den franzö-
sischen, deutschen und australischen Gesetzen ist und die
Torrens-Akte zur Grundlage hat: Besitz und Belastung
von Land werden amtlich doppelt vermerkt, einmal in den
behördlichen Grundbüchern und sodann auf einer dem Be-
sitzer eingehändigten Kopie, wodurch der Besitznachweis, die
Ausnutzung des Bodenkredits und die Übertragbarkeit außer-
ordentlich erleichtert und vereinfacht werden. Auch in Tu-
nesien ist diese Einschreibung übrigens nicht obligatorisch,
sondern fakultativ. Nachdem die Dispositionen des ursprüng-
lichen Gesetzes von 1885 in den Jahren 1886, 1888 und
1892 weiter vereinfacht und verbilligt waren, nahm die Be-
nutzung des Landregisters wesentlich zu, und Ende 1902
waren 5000 Grundstücke mit 624 000 ha im Werte von 104
Millionen Francs darin eingeschrieben. Eine ständige, der
— 157 —
Direktion von Handel und Ackerbau unterstellte Kommission
überwacht den Grunderwerb seitens der Europäer, und Hand
in Hand mit der Benutzung des Bodenregisters geht eine,
von dem geographischen Dienste des Heeres seit Jahren be-
triebene, genaue Landesaufnahme, wie denn überhaupt die
geographische, geologische und meteorologische Erforschung
des Landes im letzten Jahrzent ungeheure Fortschritte ge-
macht hat.
So ist man denn in Tunesien, mit Vermeidung der in
Algerien gemachten Fehler, im allgemeinen recht geschickt
vorgegangen, und es ist nur zu bedauern, daß in Frankreich
ein Bevölkerungs- Überschuß fehlt, der ein genügendes Zu-
strömen in die Regentschaft ermöglichte.
Vor Errichtung des französischen Protektorats bewirt-
schaftete ein tunesischer Besitzer sein Gut sehr selten selbst,
sondern verpachtete es meist für einen nur kurzen Zeit-
raum an einen Halbbauer oder Khammes, der gewöhnlich
stark verschuldet und deshalb sehr abhängig war. Die beiden
Einrichtungen der Khammessa und der Mrarsa, besonders
aber die erstere, sind unter Eingeborenen ganz Nordafrikas
sehr häufig vorkommende Pacht-Kontrakte. Dem Khammes
werden von dem Besitzer des Landes zu dessen Bestellung
Pflug, Rinder und Saatgut geliefert sowie die nötigen Unter-
haltungsmittel bis zum Einbringen der Ernte, von welcher
der Pächter nur ^ .-, bekommt, während ^0 an den Grund-
besitzer gehen. Die Mrarsa wird besonders in den mittleren
Teilen der Regentschaft für Olivenpflanzungen benutzt; der
Oliven ertrag kommt dabei Pächter und Verpächter zu
gleichen Teilen zu, während der Ertrag der Zwischen-
kulturen fast ganz dem Pächter verbleibt*), im allgemeinen
•) Nachdem die vom Eingeborenen angelegte Pflanzung ertrags-
fähig ist, also nach 8—10 Jahren, wird sie in 2 gleiche Teile geteilt,
wovon durch Auslosung die eine dem bisherigen Landbesitzer ver-
bleibt, die andere dem bisherigen Pächter als dauernder Besitz zufällt.
— 158 —
geht das ganze Streben des Khammes natürlich dahin, in
der kurzen Zeit nur möglichst viel aus dem Boden zu
ziehen, ohne selbst etwas zu dessen Verbesserung hinein-
zustecken, und so wurden Grund und Boden immer weniger
leistungsfähig und standen entsprechend niedrig im Preise.
DerHektar guten fruchtbaren Landes selbst in der Nähe derStadt
Tunis war vor 1881 zu 100 Francs zu haben, und etwas
weiter nach dem Innern zu bezahlte man dafür höchstens
50 Francs; die Spekulation seitens einzelner Kapitalisten und
besonderer Gesellschaften bemächtigte sich denn auch bald
dieses Handels, und schon vor der französischen Schutz-
herrschaft erwarb im Jahre 1879 die marseiller Societe
Franco-Africaine den 120 000 ha großen Enfida- Besitz des
Ex -Premierministers Kheireddin im Hinterland des Golfes
von Hammamet, in einer schon im Altertum wegen seiner
Fruchtbarkeit berühmten Lage; von der tunesischen Re-
gierung bereitete Schwierigkeiten, die sich an die Besitz-
nahme der Enfida -Domäne knüpften, trugen dazu bei, die
franzözische Okkupation zu beschleunigen, und nach der-
selben gingen die Franzosen sofort an die Errichtung von
über das ganze Land verstreuten metereologischen Stationen,
um die Grundbedingungen für den Wirtschaftsbetrieb festzu-
stellen. Ist die Regentschaft doch überwiegend ein Acker-
baustaat und der Ausfall der Ernte deshalb von ausschlag-
gebendem Einfluß auf alle übrigen Verhältnisse.
Anfang 1898 besaßen die Europäer in Tunesien
528 000 ha Land, und davon entfielen 943 Liegenschaften
mit 467 000 ha oder 88 % auf Franzosen und 406 mit zu-
sammen 39 000 ha oder 7 o'^ auf Italiener. Der fremde
Großgrundbesitz ist überwiegend in französischen Hän-
den, nämlich von 166 Grundbesitzen über 500 ha 144,
wird aber nur zum kleinen Teil von Kolonisten nach euro-
päischen Methoden ausgenutzt, während der Hauptteil teils
— 159 —
von Arabern bewirtschaftet wird, teils noch j^anz unkultiviert
liegt. Dagegen ist der Klein grundbesitz überwiegend in
italienischen Händen, und von 406 italienischen Grund-
besitzern hatten 332 ein Areal von weniger als 10 ha und
nur einige mehr als 1000 ha. Durch die italienische Ein-
wanderung ist denn auch der Wert der Grundstücke in der
Nähe größerer Städte von den früheren 100 Francs bereits
auf 400 — 500 Francs für den Hektar gestiegen und hat schon
1000 Francs erreicht, während im Innern, wo Kleinbesitz
von 10 15 ha selten ist und der Umfang meist 300, 1000 bis
10000 ha beträgt, der Preis für den Hektar, je nach Entfernung
von Bahn und V'erkehrszentrum, 50 200 Francs beträgt.
Ende 1902 besaßen 1392 französische Grundbesitzer
577 900 ha, und zwar hatten 437 Besitzer unter 10 ha, 471:
11 — 100 ha. 315: 101—500 ha und 169: 500-2000 ha
und mehr, während gleichzeitig 740 italienische Grund-
besitzer im ganzen 36 400 ha eigneten.
Der europäische Grundbesitz umfaßt im Nordosten des
Landes, zwischen Mahadi und ßiserta, 13—20 ^'q des Bodens,
in El Kef 5 13 *'„, in Kairuan und Sfax 1 — 5 "„, im Süden
und Südwesten des Landes aber noch nicht 1 "',,; am
stärksten ist er in der Umgebung von der Stadt Tunis und
von Susa, im reichsten Teile der Sahel vertreten. In der
Umgebung von Tunis sind bereits '' ? des Bodens in euro-
päischen Händen, und während die Ansiedlungen von Ein-
geborenen stets auf Anhöhen liegen, entstehen hier auch in
den früher menschenleeren Ebenen Siedelungen von Frem-
den, besonders Sizilianern.
Mehr als die Hälfte des europäischen Grundbesitzes
besteht in großen Domänen von mindestens 2000 ha,
deren Parzellierung aber angestrebt wird und zwar in der
verschiedensten Form: Der eine richtet den größten Teil
seiner Besitzung zu Pachthöfen ein; der andere wählt dazu
— 160 -
nur die entlegensten Teile der Domäne, welche ihm selbst
zur Bewirtschaftung ungünstig liegen; der dritte gründet ein
Dorf und bietet das umliegende Land aus; der Vierte ver-
pachtet das Ganze auf Zeit; der fünfte nur an Halb-
bauern, wie z. B. die von dem früheren Professor am
Lyceum von Tunis, Jules Saurin, gegründete Societe des
fermes fran<;aises de Tunisie, welche mit einem Kapital von
800 000 Francs arbeitet, 5 '\, ige Pfandbriefe ausgibt und das
von ihr gekaufte Domänenland bei Bescha und La Dsche-
deida an der Bahn zwischen der algerischen Grenze und
Tunis in Lose von 50 — 100 ha aufteilt und nach dem Halb-
part-System mit französischen Bauern besiedelt.
Bereits 1889 machte die Societe Franco-Africaine den
Anfang mit der Ansiedlung kleiner Ackerbauer und stellte
Lose von 30 — 40 ha zum Verkauf zu 60 Francs den Hektar,
zahlbar in 10 Jahren, mit der Verpflichtung, daß der Käufer
auf dem erworbenen Besitz wohnen müsse. In den beiden,
von der Gesellschaft gegründeten Dörfern Enfidaville an der
Bahn Tunis-Susa und Reyville wohnen einige hundert Euro-
päer, und das Bauterrain dort kostet 1^2 — 2 Francs für den
Quadratmeter; Wasser ist gut und in Menge vorhanden, ebenso
sind eingeborene Arbeiter zu niedrigem Tagelohn zu haben.
Die Regierung selbst kolonisiert hier, wie bereits
erwähnt, nach den abschreckenden Erfahrungen, die sie be-
sonders in Algerien gemacht hat, im allgemeinen nicht,
sucht aber darauf hinzuwirken, daß die Kontrakte möglichst
die Bedingung oder mindestens das Versprechen enthalten,
daß der „Halbbauer" oder der „Pächter" früher oder später
„Besitzer" wird, weil sich nur so französische Ackerbauer
zur Übersiedelung nach der Kolonie verstehen. Dagegen
stellt die Regierung der Privat -Kolonisation ihre Presse zur
Verfügung, bewilligt die Mitwirkung ihrer Agenten bei der
Parzellierung, trägt einen Teil der Lasten für Aufsuchung
— 161 —
und Zuführung von Wasser und für die Fahrbarkeit der
Wege und sieht, wenn die Ansiedelung eine gewisse Größe
erreicht hat. die Erbauung von Schule, Kirche und Post-
station vor. Auch hat sie in Tunis zur Beratung der Ein-
wanderer ein Auskunfts-Bureau errichtet und im Jahre 1900
den landwirtschafthchen Kredit auf Grund öffenthcher Nieder-
lagen und des Warrant -Systems organisiert.
Bei nachgewiesener Notwendigkeitvon Bewässerungs-
arbeiten im Interesse einer größeren Zahl führt die Re-
gierung diese Anlagen aus, unter der Bedingung, daß ihre
Barauslagen in einer gewissen Reihe von Jahren zurück-
erstattet werden, und 1897 ist eine besondere Kasse für land-
wirtschaftliche Bewässerung eingerichtet worden.
Um eine Farm von 150 ha einzurichten und zu be- ^^",?*2''^"
scnart
wirtschaften, von der 50 ha bestellt und der Rest als Weide
benutzt wird, bedarf es 18 — 20 000 Francs; für eine solche
von 30 ha genügen 10 000 Francs. Mit nur 5000 Francs
aber kann ein Einwanderer nur Halbbauer werden, d. h. der
Grundbesitzer überliefert ihm eine Farm mit lebendem und
totem Inventar zur Bewirtschaftung und hat dafür Anspruch
auf die Hälfte der jährlichen Ernte; gewisse Ausgaben sind
dabei von dem Halbbauer zu übernehmen. Auch für die
Einrichtung einer Gemüsekultur genügt ein Kapital von
4 — 5000 Francs. Europäische gewöhnliche Landarbeiter
werden bevorzugt, wenn sie auch ein Handwerk verstehen,
und zwar schwanken die Tagelöhne auf dem Lande, ohne
Kost, zwischen 2 und 3 Francs für Italiener und 1 — IV^ Francs
für Eingeborene, sind also billiger, als in .Algerien.
Von dem Gesamtareal der Regentschaft rechnet man 47 ^q
auf fruchtbares Land, 10",, auf Hochsteppen und 43 '^ „ auf Wüste.
Nord-Tunesien, etwa bis zur Linie Enfidaville-El Kef,
eignet sich infolge der Niederschläge, welche 50 — 90 cm
Schanz, Algerien, Tunesien, Tripoliianien. 11
— 162 —
betragen, und des fruchtbaren Bodens, einer Mischung von
Sand und Mergel, für den Anbau europäischer Körnerfrüchte
und die Kuhur der Fruchtbäume des Mittelmeergebiets; die
stärkste Regenzeit fällt hier in die Monate Januar und
Februar und die Kolonisten können hier meist auf genügende
Niederschläge rechnen, um gute Ernten aus Getreide- und
Weinbau zu erzielen. Natürlich ist dementsprechend die
Dichtigkeit der Bevölkerung, auch der europäischen, in dieser
Zone am größten, besonders in den Küstenstrichen.
Mittel -Tunesien, etwa bis zur Linie Sfax-Gafsa ge-
rechnet, ist schon bedeutend weniger begünstigt, da die
Niederschläge, durchschnittlich etwa 20 cm im Jahre, hier
nur unregelmäßig und selten fallen und so veränderlich
sind, daß man bei Kairuan nur jedes dritte, bei Sfax nur
jedes fünfte Jahr auf eine gute Weizenernte rechnen kann;
auch schadet der Scirokko den Pflanzungen hier bedeutend.
Dagegen ist diese Zone vorzüglich für Olivenbau und V^ieh-
zucht geeignet.
In Süd- Tunesien endlich herrschen infolge der hohen
Temperatur und der außerordentlichen Trockenheit Steppe
und Wüste vor, und eine Bodenbewirtschaftung ist hier nur
in den Oasen und mittels künstlicher Bewässerung möglich.
.-^m fruchtbarsten sind das leichte Hügelland um den
Golf von Tunis, das geräumige Medscherda-Tal mit der be-
rühmten Landschaft Frigea, die Ebene von Soliman. die
Küstenränder der Halbinsel Dakhela, der breite Küstenrand
der Sahel und die Insel Dscherba. Der vielfach ausgesogene
Boden verlangt freilich fast überall reichliche Düngung, für
welche ja allerdings im Lande selbst Phosphate in großen
Mengen vorhanden sind, und sodann ist auch hier häufig mit
Heuschreckenschaden zu rechnen. Ein jeder gut verwaltete
größere Besitz ist deshalb auf Verschiedenartigkeit des
Betriebs basiert und betreibt sowohl Viehzucht, wie Weizen-,
— 163 —
Wein- und Olivenbau, sodaß der Fehlertrag des einen durch
günstigeren Ertrag des anderen Betriebs bis zu einem ge-
wissen Grade ausgeglichen werden kann. Weinreben und
Ölbäume, deren Wurzeln sich in die tiefer liegenden Wasser-
schichten senken können, sind sicherer als Getreide, dessen
Gedeihen von rechtzeitigem Regenfall abhängig und außerdem
den Schädigungen durch Heuschrecken, Hagel und Scirokko
mehr ausgesetzt ist.
Vor der französischen Schutzherrschaft wurde die mit Ackerbau.
Getreide bestellte Fläche auf 56 000 Mec blas (ein Flächen-
maß von 8 — 15 ha, in den verschiedenen Teilen Tunesiens
wechselnd) geschätzt, inzwischen ist sie auf 86000 Mechias
gestiegen. Den Hauptertrag liefern Hartweizen und Gerste,
daneben wird Mohrenhirse und iV\ais angebaut, und die Kolo-
nisten haben auch Hafer und Roggen erfolgreich eingeführt.
Nicht in jedem Jahre produziert Tunesien die für seinen
eigenen Bedarf nötigen Zerealien, der Getreideertrag ist viel-
mehr außerordentlich schwankend, und je nachdem man ver-
schieden begünstigte Frntejahre vergleicht, kommt man zu
sehr verschiedenen Schlüssen. Die französische offizielle
Berichterstattung ist von Schönfärberei nicht frei, es scheint
aber, als wenn 1901, trotz der bedeutenden Fortschritte der
europäischen Kolonisation, 36 "^ Ackerboden weniger be-
stellt waren als in 1891, und daß der Gesamtwert der Ernte
in diesem Zeitraum, nach dem Steuerertrag gemessen, um
15 Millionen Francs gesunken war.
Es waren angebaut mit
Weizen Gerste Hafer Mais
1892: 437 000 429 000 1500 11800 ha
1903: 462 000 449 000 28 000 10 800 „
und die Erträge davon waren
1892: 1392000 1418000 15000 95000 hl
1903: 2 650 000 4 000 000 575 000 137 000 „
ir
— 164 —
Die Landbestellung der Eingeborenen ist meist noch
nach Urväterweise primitiv, und man sucht sie durch Ein-
führung moderner Geräte zu bessern; freilich haben für
Tiefkultur eingerichtete Pflüge da, wo die Humusschicht nur
dünn ist, die unteren Salzschichten nach oben gepflügt und
damit Äcker und Ernte verdorben. Der Durchnittsertrag des
Hektars Weizenboden beträgt bei Europäern 12 — 15, bei
Eingeborenen 8 hl. Ihren Getreidevorrat bewahren die Ein-
geborenen in unterirdischen, flaschenförmigen Magazinen auf,
die hier Rabtas genannt werden.
Der eventuelle Überschuß der Getreideernte geht, durch
die Zollpolitik begünstigt, fast ausschließlich nach Frankreich,
wo die Gerste für Brauzwecke beliebt ist; freilich ist der
Überschuß meist kein großer, und es ist im letzten Jahrzehnt
wiederholt vorgekommen , daß der Wert der Einfuhr von
Zerealien und Mehl den Wert der Ausfuhr von Weizen und
Gerste überstieg.
Von den Hülsenfrüchten werden Saubohnen, ein
sehr beliebtes Volksnahrungsmittel, bevorzugt, daneben
Kichererbsen und gewöhnliche Bohnen, vereinzelt auch Erd-
nüsse, Kartoffeln, Fenchel und Koriander angebaut.
Der Gemüsebau ist abhängig von der Möglichkeit
reichlicher Bewässerung, die fast durchgängig durch primitive
Schöpfvorrichtungen aus tiefen Brunnen und Zisternen er-
folgt, und erstreckt sich auf sämtliche in Europa kultivierte
Gemüse.
Luzerne, Klee und andere unserer Futterkräuter
haben sich dagegen in Tunesien nicht bewährt, wohl aber
glaubt man in der am Mittelmeer heimischen Leguminose
Sulla oder Sainfoin d' Espagne (Hedysarum coronarium)
einen geeigneten Ersatz gefunden zu haben.
Das Landschaftsbild erhält seinen besonderen Charakter
vielerorts durch die Olive, welche in großen Hainen die
— 165 —
Siedelungen umrahmt und die niedrigen Höhenzüge bedeckt.
Die Kultur des Ölbaumes und die Verbesserung der Ölzu-
bereitung ist von der französischen Verwaltung, welche darin
mit Recht einen der aussichtsvollsten Zweige der tunesischen
Wirtschaft erblickt, außerordentlich gefördert worden, die
Erträge aber sind je nach Trockenheit in den verschiedenen
Jahren sehr verschieden; so ergab 1899 eine Ernte von
46 Millionen Liter Öl, 1900 dagegen nur 11 Millionen Liter.
Besonders im Hinterland von Sfax ist die Kultur des Oliven-
baumes im Zunehmen begriffen; im Jahre 1900 schätzte man
die dortigen Olivenwälder auf 192 000 ha und die Zahl der
Bäume darauf mit 3^ :; Millionen; die Gesamtzahl der Oliven-
bäume in der Regentschaft übersteigt angeblich 11 Millionen;
eine genaue Statistik darüber existiert nicht. Das Öl, feines
sowohl, wie Trester-Öl, geht meist nach Frankreich und
Italien und wird von dort aus, nach geschickter Verarbeitung
und Mischung, als Eigenprodukt in die Welt geschickt.
Der Weinbau in Tunesien entstand in größerem Maß-
stab erst vom Jahre 1886 ab, und in der Hoffnung auf die
1890 auch wirklich eingetretene zollpolitische Begünstigung
tunesischer Produkte in Frankreich wurden auf den großen
Domänen Hunderte von Hektaren in Weinland umgewandelt;
erst später traten dann auch Olivenpflanzungen hinzu. Am
stärksten wurde der Weinbau bislang in der Nähe von Tunis
betrieben, im Jahre 1901 waren in diesen, 11300 ha um-
fassenden Betrieben 9700 Europäer und 1600 Eingeborene
beschäftigt, und der Ertrag belief sich auf 140 000 hl.
während das Vorjahr 225 000 hl im Werte von je 14-16
Francs ergeben hatte. Ganz vorzüglich ist die Weinernte
von 1903 ausgefallen, die von 14 240 ha 300 000 hl ergab.
In manchen Weinbergen wurden gegen 120 hl Most vom
Hektar erzielt und der Durchschnittsertrag übertraf 70 hl.
Die Preise waren allerdings von 25 auf 15 Francs gesunken
— 166 —
und bewegten sich zwischen 2 und 2^4 Francs für jeden
Alkoholgrad. Die Ausfuhr richtet sich ganz überwiegend
nach Frankreich, und zwar wurden 1903 an landwirtschaft-
lichen Produkten ausgeführt: Weizen 14, Gerste 10, Olivenöl
2^2 und Wein 1^3 Millionen Francs.
Von Obstbäumen, die besonders im Kap Bon-Distrikt
und überwiegend von Sizilianern und Maltesern viel kultiviert
werden, sind hervorzuheben die Agrumen Orangen, Manda-
rinen und Zitronen, sodann Feigen, Mandeln, Granaten,
Äpfel, Birnen, Quitten, Pfirsiche, Aprikosen, Pistazien und
Maulbeeren, auch zieht man gute Melonen. Die Mandelernte
des Jahres 1902 ergab 175 000 kg.
Eine der einträglichsten Einnahmequellen bildet die
Dattelernte im Dscherid, welches etwa zwei Millionen
Dattelpalmen besitzt und weit bessere Früchte als die alge-
rischen, unter anderen die berühmten Degla-Datteln liefert;
auch die Cie. Tunisienne ist dort erfolgreich tätig. Tunesiens
Dattelexport betrug im Jahre 1900 eine Million Kilogramm.
Von Narkotika werden Tabak, Hanf und Mohn an-
gebaut, von Farbstoffen Krapp und Henna, daneben viele
wohlriechende Pflanzen, wie Rosen, Rosen-Geranien, Jas-
min u. a. , deren duftende Blüten man ebenso, wie die von
Orangen, zur Bereitung von Essenzen verwendet.
Auch dem Baumwollanbau hat man hier neuerdings,
besonders seitens der englischen Cotton Supply Association,
Aufmerksamkeit zugewandt und in der Ackerbauschule zu
Tunis mit ägyptischen Arten gute Erfolge erzielt.
Zur Förderung der Landwirtschaft hatte die französische
Verwaltung schon 1887 ein Laboratorium für Ackerbau-
Chemie und Verwaltungs- Dienste für Ackerbau, Weinbau,
Viehzucht und Veterinärdienst eingerichtet; 1889 legte sie
dann auf verschiedenen Besitzungen Versuchsfelder an,
1890 wurde eine besondere Ackerbau -Direktion geschaffen
— 167 -
und im Oktober 1898, 2 km von Tunis entfernt, eine Schule
für koloniale Landwirtschaft eröffnet, welcher auch der schon
seit 1892 bestehende V'ersuchsgarten , eine meteorologische
Station und eine Versuchswirtschaft angegliedert sind, um
die Schüler für die Bodenwirtschaft und die Viehzucht Nord-
afrikas vorzubereiten; dieselben erhalten auf Wunsch dann
auch noch eine praktische Ausbildung auf einer der großen
Domänen Tunesiens. Besondere Beachtung widmet die
Schule dem Anbau von Wein, Oliven, Frühgemüsen und
Futterpflanzen.
Die Waldungen Tunesiens sind durch Dekret von
1890 der Domäne einverleibt, unter Anerkennung der vor
Erlaß dieses Gesetzes rechtmäßig erworbenenen Besitz- und
Nutzrechte, und eine besondere Forstdirektion, 1883 zunächst
dem Departement der öffentlichen Arbeiten. 1895 dem Acker-
bau-Departement unterstellt, wacht über Erhaltung und Aus-
nutzung der Wälder, die im ganzen etwa 5000 qkm um-
fassen und am ausgedehntesten auf den nördlichen Berg-
zügen vertreten sind. Der Ertrag der fjskalischen Eichen-
wälder belief sich im Jahre 1901 auf 533 000 Francs.
Einen wichtigen Artikel liefert auch die Haifa, welche
besonders auf den Steppen wächst, die sich an die mittel-
tunesischen Gebirge anlehnen und vom Meere im allgemeinen
durch einen Streifen fruchtbaren Landes getrennt sind, süd-
lich von Gabes aber auch das Meer erreichen; man schätzt
das tunesische Haifa -Areal auf 1 500 000 ha. Schon vor
20 Jahren erhielt eine englisch -französische Gesellschaft die
Konzession auf Ausbeutung einer großen Strecke Halfa-
landes im Hinterland des kleinen Hafens Skira. nahe der
Sebcha Nuail; wegen Nichterfüllung der Bedingungen wurde
dieses Privileg aber später zurückgezogen. Die Stipa tena-
cissima wird im Frühjahr von Nomaden geerntet und auf
— 168 —
Kamelen zu den Küstenstädten, besonders nach Susa, Sfax
und Gabes gebracht, wo sie in Ballen gepreßt und sodann
überwiegend nach England zur Papierfabrikation geschickt
wird. Zur Verarbeitung der zweiten Art aber, des Lygeum
spartum, hat sich in Sfax und auf den Kerkena- Inseln eine
selbständige Industrie herausgebildet.
Viehzucht. Die im allgemeinen noch sehr nachlässig betriebene
Viehzucht beschäftigt namentlich einen großen Teil der
nomadisierenden Bevölkerung und bildet deren hauptsäch-
lichste und manchmal einzige Hülfsquelle. Im Jahre 1892
wurde der Viehstand angegeben mit
Schafen Ziegen Rindern Kamelen
1223 681 232 122 Tausend,
Eseln und Mauleseln Pferden
120 51 Tausend,
im letzten Jahrzehnt hat er aber zeitweilig sehr unter an-
steckenden Krankheiten gelitten, und so waren im Jahre 1899
Schafe zurückgegangen auf 795 000, Ziegen auf 513 000,
Rinder auf 190 000, Esel und Maultiere auf 114 000 und
Pferde auf 38 000, während die Zahl der Kamele auf 186 000
gestiegen war; Schweine wurden 1899 nur 7400 gezählt.
Zwischen 1891 und 1901 hat sich der Viehstand Tunesiens
um 357 000 Köpfe und im Werte um 14 Millionen Francs
vermindert, und wenn trotzdem die Ausfuhr von Vieh und
Häuten zugenommen hat, so ist dies auf Kosten des Be-
standes und nicht dank einer erfreulich entwickelten Vieh-
zucht geschehen. Während in Algerien auf jeden Einge-
borenen 4 Köpfe Vieh kommen, beträgt die Zahl in
Tunesien nur 1 ^jz.
Das tunesische Rind, meist von der Guelma - Rasse,
ist von sehr kleinem Schlag und dürftig in Muskulatur, aber
— 169 —
sehnig und zu allen Arbeiten gut zu verwenden; da das
Futter fast während des ganzen Sommers nur aus Stroh
besteht, so liefern die Kühe nur wenig Milch. Die Hälfte
der Ausfuhr geht nach Malta, besonders die Ochsen und
Stiere, während Algerien Kühe und Jungvieh bezieht; die
sehr mittelmäßigen Ochsenhäute werden nach Frankreich
geschickt.
Die Schafherden bilden den Hauptreichtum der No-
maden und liefern ihnen Milch. Butter und Wolle. Bislang
ist die Tunis-Wolle in Farbe und Güte allerdings so stark
wechselnd, daß sie, mit Ausnahme von Italien, in Europa
unbeliebt ist; sie wird meist im Lande selbst verarbeitet zu
Gewändern und Teppichen, welche auch in Tripolis und
Egypten gefragt sind und dorthin e.xportiert werden, ebenso
wie die roten Fes, welche allerdings durch die österreichische
Konkurrenz rapide verdrängt werden. Zu dem einheimischen,
in Frankreich unverkäuflichen Fettschwanzschaf haben die
französischen Kolonisten mit Erfolg auch edlere Schaf-
sorten aus Algerien und Frankreich in Tunesien eingeführt,
und die Regierung hat für französische Rambouillet -Böcke
zu Zuchtzwecken gesorgt.
Die zahlreichen, überwiegend im Besitz der Einge-
borenen befindlichen Ziege nherden kommen bei ihrer
großen Genügsamkeit in den Bergen gut fort, richten aber
großen Waldschaden durch Benagen an. Die langen, schwarzen
oder rotbraunen Haare dienen, mit Schafwolle gemischt,
zum Weben der Zelttücher, die Häute zu Wasser- und Öl-
schläuchen. Die Schaf- und Ziegenfelle, von besserer Qua-
lität als die Rindshäute, gehen nach Nordamerika.
Die Pferde gehören vorwiegend der Berberrasse an
und sind klein, aber ausdauernd und genügsam; bei den
Nomaden des Südens sind Pferde der arabischen Rasse und
Mischschläge mit dieser vertreten, und die Regierung hat
— 170 —
letzthin auch die ziemlich heruntergekommene Berberrasse
mit ausgewählten tunesischen, englischen und syrischen
Zuchthengsten zu heben gesucht.
Die Maultiere von Eselhengst und Pferdestute sind
wegen ihres angenehmen und schnellen Paßganges von den
Mauren sehr geschätzt, im Innern aber selten zu finden.
Die Ausfuhr der Pferde und Maultiere richtet sich über-
wiegend nach Italien, der Rest geht nach Malta, Algerien
und Frankreich.
Die kleinen Esel sind ungeheuer leistungsfähig, dabei
noch zäher und ausdauernder als das Pferd, werden aber
von den Eingeborenen schlecht und grausam behandelt.
Mit Schweinezucht ist in Nordtunesien von den
Italienern ein Anfang gemacht worden.
Haushühner sind überall, selbst in den Zeltdörfern
der Nomaden vertreten und wegen Fleisch, wie Eiern ge-
schätzt; daneben wird als Luxushuhn das aus dem Sudan
eingeführte Perlhuhn gehalten, während Enten und Gänse
selten und meist nur bei europäischen Kolonisten anzu-
treffen sind.
Die Bienenzucht liefert nennenswerte Mengen von
Honig und Wachs, und die französische Regierung hat auch
die Seidenraupenzucht mit guter Aussicht auf Erfolg
eingeführt.
Fischerei. Das Meer liefert Fische, Schwämme und Schildkröten,
und zwar wurde ein Teil dieser Fischereien bis 1892 vom
Staate verpachtet; seitdem ist eine andere Form der Be-
steuerung eingeführt. Das Hauptprodukt liefern Sardinen,
Anchovis und Thunfisch, welche, ebenso wie der Thun-
Rogen, überwiegend nach Italien gehen, während im Golf
von Gabes viel Tintenfische gefangen und für den Sudan-
handel eingesalzen werden. Die Ausbeutung des überaus
fischreichen Biserta-Sees hat von jeher eine wichtige Ein-
— 171 —
nahmequelle des tunesischen Staates gebildet und ist jetzt
an die Hafengesellschaft von Biserta verpachtet, welche
jährlich etwa eine Million Pfund Fische fängt. Die Schwamm-
fischer, die mit Dreizack, Schleppnetz oder Skaphander ar-
beiten, sind überwiegend Sizilianer, Neapolitaner und Griechen,
daneben auch Einwohner der Kerkenas- Inseln, und zwar
sind die wichtigsten Plätze für den Schwammfang Sfax,
Gabesund die Kerkena-Inseln, für den Fischfang Monastir
und Sidi Daud. Die tunesischen Schwämme zeichnen sich
durch Güte und Dauerhaftigkeit aus, und die von Griechen
und Italienern betriebene Schwammfischerei im Golfe von
Gabes ergab 1901: 117 000 kg im Werte von 1408 000
Francs; die Käufer sind große französische, belgische und
italienische Firmen, welche in Sfax Vertreter unterhalten und
den ganzen Handel mit Schwämmen in ihren Händen haben.
Tunesien hat auch sehr alte und berühmte Hand- Gewerbe.
werke, die in der Hauptstadt und anderen größeren Städten
in Korporationen organisiert sind, aber angesichts der Än-
derung des Geschmacks und Bedarfs unter europäischem
Einfluß immer weniger gegen die europäische Großindustrie
anzukämpfen vermögen und meist im Rückgang begriffen
sind. Die früher in hoher Blüte stehende Fesfabrikation
und Färberei, welch letztere, gleich der Seidenweberei, welche
noch 5000 Arbeiter aufweist, für eine vornehme Beschäf-
tigung galt, ist jetzt durch die von österreichischen Fabriken
ausgehende Konkurrenz fast ganz verschwunden; auch die
Ledergerberei und die Herstellung von Saffian geht rapide
zurück, und nur die Sattlerei und die Pantoffelfabrikation
sind noch blühend. Handspinnerei und Weberei stellen den
Hausbedarf an wollenen Kleiderstoffen und Zeltdecken her,
und die französische Regierung versucht jetzt in Tunis und
Kairuan Arbeiter heranzubilden, um die alte Methode der
— 172 —
Färbung mit Pflanzenfarben wieder zu Ehren zu bringen
und dadurch die einst berühmte Teppichindustrie aufs neue
zu heben, die seit Jahrzehnten durch das Eindringen der Ani-
linfarben schwer gelitten hat. Erwähnenswert sind ferner
Stickereien, irdenes Geschirr nach sehr alten Mustern, be-
sonders in Nabeul und Dscherba, Gold- und Silberschmiede-
arbeiten, Korbflechtereien und Matten aus Haifastroh und
Palmetto; auch destilliert man wohlriechende Wässer, be-
reitet Seifen und betreibt primitive Ölmühlen. Die von den
Franzosen eingeführte und betriebene Industrie beschränkt
sich bislang auf Mahlmühlen, Ziegeleien, Zementfabriken,
Wollwäscherei, zwei Brauereien und die in Tabarka, Biserta
und Hammamet betriebene Konservenindustrie von Gemüsen,
Fleisch und Fischen.
Bergbau. Bergbau, obgleich schon unter den Römern hier auf
Blei betrieben, war für modernen Betrieb vor Erklärung der
französischen Schutzherrschaft aussichtslos, weil sich mangels
Straßen und Eisenbahnen der Transport der Erze zur Küste
zu schwierig und zu kostspielig gestaltete, und noch bis zum
Jahre 1900 beschränkte sich der ganze Bergbau auf die
Förderung von Zink- und Blei- Erzen aus vier Gruben,
welche jährlich für etwa eine Million Francs dieser Erze
ausführen. Seitdem sind mehrere größere Unternehmungen
eingeleitet worden, und Anfang 1902 waren im ganzen 18 Ge-
sellschaften konzessioniert, davon je eine in 1876 und 1877,
die übrigen erst nach der französischen Okkupation; die
älteste Konzession wurde 1876 der Cie. Böne-Guelma auf die
goldreichen Bleilager von Dschebba erteilt, welche im Jahre
1900 von der Societe de la Vieille Montagne übernommen
wurden. Die Zentren für den Abbau von Zink (Galmei und
Kieselgalmei) und von Blei (Galena) in Nordturnesien sind
Tebursuk, Beja und Suk el Arba. Die Zink- (Galmei-) Lager
— 173 —
sind meist nur „Nester" von selten mehr als 5000 Tons
Umfang. Kupfer ist an vielen Orten Nordtunesiens ver-
treten, abbauwürdig aber nur eine Ader nahe der algerischen
Grenze, und die reichen, teilweise zutage liegenden Eisen-
läger, z. B. die in Tabarka — die allerdings arsenikhaltig
sind — sind vorläufig noch gar nicht in Angriff genommen,
da Unternehmer und Regierung mit Kapitalbeschaffung und
Eisenbahnbau zögern. Auch in Süd -Tunesien fehlt es nicht
an gleichen Erzen, wohl aber an billigen Transportgelegen-
heiten nach geeigneten Häfen. Betreffs der vor einiger Zeit
viel besprochenen Goldfunde ist es ganz still geworden.
Man hatte 1903 in den die Hauptstadt umgebenden Bergen
goldhaltige Lager entdeckt und daraufhin fand ein großer
Zuzug von Goldsuchern statt, deren hochgespannte Erwar-
tungen sich aber nicht erfüllten, da die Arbeiten nicht ein-
mal die zur Goldgewinnung aufgewandten Kosten deckten.
Eine große Wichtigkeit hat dagegen bereits die Aus-
beutung der Phosphatlager erlangt, welche in Mittel- und
Südtunesien reichlich vertreten sind, besonders bei Gafsa,
bei Kalaat es Senan nahe der algerischen Grenze und bei
Kalaat Dscherda; aber auch bei Sfax und Kairuan sind noch
große unentwickelte Läger vorhanden. Ein paar Probe-
tonnen von tunesischen Phosphaten wurden zuerst 1898
nach Frankreich geschickt; nachdem 1899 die Bahnlinie
Sfax — Gafsa fertiggestellt war, nahm man die Ausbeute der
60 km langen Lager bei Gafsa, welche nach Wegräumung
einer Erdschicht bequem im Tagebau betrieben wird, ener-
gisch in die Hand, und es entwickelte sich bald ein lebhafter
Export nach England, Frankreich, Italien und Deutschland,
der 1901 bereits einen Umfang von 175 000 Tons im Werte
von 4'j Millionen Francs erreichte und 1903 auf 358 000
Tons stieg. Die 500 Francs -Aktien der 1896 auf 60 Jahre
konzessionierten Cie. des Phosphates und du chemin de fer
— 174 —
de Gafsa, welche einen Franc pro Tonne Förderung an den
Staat zu zahlen hat, wurden im Mai 1904, bei einer letzt-
bezahlten Dividende von 30 Francs, mit 900 Francs an der
Pariser Börse notiert, anfang 1905 dagegen bereits mit 1355
Francs, obgleich die Dividende währenddem nur auf 35
Francs gestiegen war. Inzwischen hatte nämlich die Gesell-
schaft sich auch die ausgedehnten Phosphatlager von Ai'n
Moulares und Dschebel Mrata, 50 km westlich von Gafsa,
nahe der algerischen Grenze, gesichert, deren jährlicher
Minimalertrag auf 250 000 Tons geschätzt wird, und mit
deren Abbau sie 1905 beginnen will. Der Staat genießt
darauf eine Abgabe von Francs 1,52 auf die Tonne. Diese
neuen Lager sollen Eisenbahn -Verbindung mit Susa erhalten,
und zwar soll diese Linie 1905 aus Mitteln der Eisenbahn-
Anleihe gebaut werden.
Betreffs der Auffindung und Ausbeutung von Erz- und
Phosphatlagern bestehen besondere tunesische Gesetze.
Aus den mit salzhaltigem Schlamm gefüllten Becken
der Schotts, deren Brackwasser im Sommer größtenteils ver-
dunstet, ist dann auskristallisiertes Salz einfach wegzu-
schaufeln und für den Landesbedarf gebrauchsfertig; alle
Salzstellen sind Monopol des Staates.
Ein natürliches kohlensaures Mineralwasser, ähnlich
dem von St. Galmier, wird in AVn Garsi bei Enfidaville,
nachdem es schon die Römer gefaßt hatten, seit 1901 von
einer tunesischen Gesellschaft ausgebeutet.
Handel. \yjr kommen nun zur Besprechung des Handels.
Vor Einrichtung der internationalen Finanzkommission
gab es in Tunesien überhaupt keine statistischen Anschrei-
bungen, und in den Jahren 1875 — 80, also kurz vor der
französischen Okkupation, betrug der gesamte Fremdhandel
jährlich durchschnittlich nur 22 Millionen Francs.
— 175 —
Bis zum Jahre 1890 lag der Handel größtenteils in
italienischen Händen, da die italienische Einfuhr in Frank-
reich billigere Zölle, als die tunesische zahlte; wurden doch
tunesische Produkte in Frankreich bis 1890 wie fremde be-
handelt und genossen nicht einmal den Vorzug der Meist-
begünstigung. Das änderte sich aber gründlich, nachdem
das Gesetz vom 19. Juli 1890 gestattete, daß die Haupt-
produkte der Regentschaft : Getreide, Vieh, Oliven und Wein,
in jedes Jahr zu bestimmenden Mengen und unter Beibringung
von Ursprungszeugnissen, auf französischen Schiffen freie
Einfuhr ins Mutterland genießen, während die übrigen Pro-
drukte dem französischen Minimaltarif unterworfen sein
sollten. Dieses System verhinderte zwar den Abschluß von
Lieferungsverträgen, da nie im voraus die Gewißheit vor-
handen ist, auf wieviel sich die freie Einfuhr in Frankreich
belaufen wird, und außerdem wird dadurch die Aufnahme
und Pflege von neuen, aber nicht durch die Zollpolitik be-
günstigten Produkten in Tunesien erschwert, aber der fran-
zösische Handel fand dabei seine Rechnung, in Getreide,
Öl und Wein monopolisiert Frankreich geradezu die tune-
sische Ausfuhr, und im Juli 1904 nahmen die Kammern
einen Gesetzentwurf an, wonach die Einfuhr tunesischen
Getreides in Frankreich gänzlich zollfrei sein soll, sobald
die Einfuhr fremden Getreides in Tunesien mit dem fran-
zösischen Minimalzoll belegt ist.
Frankreichs Einfuhr in Tunesien dagegen war damals
noch nicht durch Zolldifferenzierung zu heben, weil die
Regentschaft auch mit anderen europäischen Staaten Handels-
verträge abgeschlossen hatte, welche bei der Okkupation des
Landes von den Franzosen garantiert worden waren. Der
Handelsvertrag zwischen Italien und Tunesien vom 8.
August 1868, welcher Meistbegünstigung vorsah, lief 1896
ab, und bei dieser Gelegenheit sicherte sich Frankreich eine
— 176 -
besonders günstige Stellung, ebenso wie bei der Erneuerung
des Handelsvertrags mit England sowohl, das früher eine
„ewige" Meistbegünstigung von Tunesien erwirkt hatte, wie
auch mit anderen Staaten, und damit wurde dem nicht-
französischen Wettbewerb ein schwerer Schlag zugefügt.
Durch das in der Regentschaft am 2. Mai 1898 erlassene
Dekret wurden die Einfuhrzölle der Kolonie, welche bislang
8 7o. auf Weine und Spirituosen 10 % vom Werte betragen
hatten, geändert und ein neuer, sehr spezialisierter Tarif
mit nicht weniger als 827 Positionen aufgestellt, welcher
genau der Konkurrenzfähigkeit der einzelnen französischen
Industrien angepaßt ist, um diese in erster Linie zu be-
günstigen, und nur für einen kleinen Teil den alten Satz von
8 % beibehält, während die meisten Positionen dem fran-
zösischen Minimaltarif entsprechen. Um die Einnahmen der
Regentschaft nicht zu bedeutend zurückgehen zu lassen,
ließ man zwar nicht alle, aber doch die folgenden aus
Frankreich stammenden Waren zollfrei in Tunesien ein:
Weizen, Mais, Gerste, Tiere, Wolle, Seide, Öl, Wein —
dieser bezahlt lO'^o Octroi — Branntwein, Liköre, Alkohol,
Eisen, Kupfer, Maschinen, Eßwaren, Garne, Gewebe und
Kleider. Nur englische Baumwollwaren haben bis Ende
1912 die Vergünstigung erlangt, keinen höheren Zoll als 5 %
zu zahlen. Zucker und Alkoholika jeder, auch französischer
Provenienz, bezahlen außer dem Zoll noch eine Konsum-
abgabe.
Auf Grund dieser Maßnahmen nahm nunmehr natür-
lich auch Frankreichs Einfuhr in Tunesien nennenswert zu,
und während der französische Gesamthandel mit der Regent-
schaft 1890 nur 22 Millionen Francs betrug, war er 1899
auf 67 Millionen gestiegen.
Algerien und Tunesien bilden bislang kein gemein-
sames Zollgebiet, sondern sind durch Zollgrenze getrennt.
— 177 —
Früher oder später und nach Ablauf der jetzigen Verträge
wird es aber auch zwischen Frankreich und Tunesien zu
einer vollen Zolleinheit kommen, wie sie zwischen Frank-
reich und Algerien bereits längst besteht, und es würde nur
rationell sein, dann auch die Zollgrenze zwischen Tunesien
und Algerien sinken zu lassen; realisieren sich die fran-
zösischen Hoffnungen in Marokko, so könnte auch diesesi
später in das gemeinsame Zollgebiet einbezogen werden.
im Speziellen weist die Entwicklung folgende Zahlen auf:
1876 85 90 92
Einfuhr
12
27
29
39
Mill.
Francs
Ausfuhr
17
18
31
37
n
t»
Gesamthandel
29
45
60
76
"
"
1894
96
98
99
Einfuhr
42
46
53
56
Mill.
Francs
Ausfuhr
37
34
44
49
„
„
Gesamthandel
79
80
97
105
n
»1
1900
Ol
02
03
Einfuhr
61
64
73
83,6
Mill.
Francs
Ausfuhr
43
39
45
71,4
„
„
Gesamthandel
104
103
118
155
„
„
Die Handelsbewegung wird natürlich stark von dem
Ausfall der Ernten beeinflußt und zeigt ein ständiges Über-
wiegen der Einfuhr über die Ausfuhr, was sich besonders
durch die Materialeinfuhr für Eisenbahn- und Hafenbauten
und den Bedarf der Okkupationsarmee erklärt.
V^on der Einfuhr des Jahres 1901 stammten 58 " o
aus Frankreich, 12'-"., aus England, 8"o aus Italien.
4 " I, aus Algerien und nur 1 " ,< aus Deutschland, wobei
allerdings zu beachten ist, daß die über Marseille kommenden
deutschen, schweizer und andern Waren einfach als „ fran-
se hanz, Algerien, Tunesien, Tripolitanien.
12
— 178 —
zösische" aufgeführt werden. Auf die einzelnen Artikel ver-
teilt, entfielen 1901 auf Getreide, Mehl und Gries 7,7, Baum-
wollgewebe 8,6, Seidenwaren 1,9, Wollgewebe 1, Wäsche
und Konfektion 1, Leinenwaren 1, Eisenwaren 2,3, Maschinen
2,1, Leder 1,6, Bauholz 1,4, Zucker 2,1, Weine und Spiri-
tuosen 1,9, Tabak 0,9, Kaffee 0,7 Millionen Francs. Frank-
reich liefert besonders Getreide, Mehl und Gries, Maschinen
und Eisenwaren, Zucker, Baumwollwaren, Rohseide, Wein
und Spirituosen und Kolonialprodukte; England herrscht
bislang noch in Baumwoll-Garnen und Geweben, sodann
in Kohlen und liefert ferner Maschinen und Eisenwaren.
Italien liefert Teigwaren und Käse, Rußland Mehl und
Gries. Der Wert der deutschen Ausfuhr aus dem Zoll-
gebiet ist nach der Reichsstatistik in den letzten Jahren von
277 000 Mark in 1899 auf 578 000 Mark im Jahre 1902 ge-
stiegen und wies in erster Linie Strumpfwaren 122, Leder
89, Eisen- 57 und Baumwollwaren mit 44 Tausend Mark in
1902 auf, daneben Glaswaren, Uhren, Farben usw. 1903
war diese Ausfuhr auf 641 000 Mark gestiegen. Das Zoll-
abkommen mit Deutschland vom 18. November 1896 lief
zunächst bis zum 31. Dezember 1903 und gilt von da ab
bis zu einem Jahre nach erfolgter Kündigung.
Aus dem Sudan kommen etwas Senna, Gummi,
Straußenfedern und Elfenbein.
Von der Ausfuhr des Jahres 1901 gingen 46 "„ nach
Frankreich und 9 " o nach Algerien, 16 "n nach Italien, 13^0
nach England, 5 ^'2 %> nach Malta, 4 " n nach Tripolitanien
und Ägypten und 2 " 0 nach Deutschland, und zwar entfielen
davon auf Getreide (wovon ^'3 Weizen) 6,7, Olivenöl 5,8,
Phosphate 4,5, Haifa 3, lebende Tiere 3,3, Schwämme 2,
Zinkerze 2, Felle und Häute 1,6, Thunfisch 1, Gerbrinden 1
Million Francs, fernere kleinere Beträge von Wein, Datteln,
Blei, Kork, Wachs, Honig und Wollfabrikaten. Frank-
— 179 —
reich empfing in der Hauptsache Getreide, Olivenöl, Vieh,
Schwämme. Wein und Datteln, und zwar ließ es 1900 01
folgende Mengen aus Tunesien zollfrei ein : Weizen 800,
Gerste 450, Hafer 80, Mais 25, Bohnen 30 Tons; Pferde
1000, Esel 1000, Rinder 25 000, Schafe 30000, Ziegen 1000
Stück; Geflügel 8000, Schildkröten 2000 kg; Wein 185000 hl;
Diverse im Höchstbetrag von zusammen 6 Millionen Francs,
darunter Olivenöl (1901 2 mit 20 Millionen kg). Italien
bezieht Olivenöl, Gerberlohe und Fische; England Haifa;
Deutschlands Einfuhr ist von 65 000 Mark in 1898 auf
815 000 Mark in 1901 gestiegen, sank 1902 wieder auf
618 000 Mark und bestand überwiegend in Phosphaten 457,
Bleierzen 58, Wachs 58, Hafer 27 und Schaffellen mit 10
Tausend Mark für 1902; das Jahr 1903 wies 652 000 Mark
auf (Phosphate 540, Schaffelle 48, Wachs 14 Tausend
Mark).
1903 zeigt eine bemerkenswerte Zunahme des fremden
Handels, und zwar kamen auf
Einfuhr Ausfuhr
Erzeugnisse der Landwirtschaft 33,7 49,9
des Bergbaus 1,9 12,9
der Fischerei 0,5 4,2
Fabrikate 47,5 4,4
83,6 71,4 Mill. Francs,
davon auf Frankreich entfallend 46,1 41,8
Dem fremden Handel sind in Tunesien 16 Häfen ge-
öffnet, doch konzentriert sich derselbe hauptsächlich in den
Städten Tunis und Goletta, Susa, Sfax und Dscherba. Durch
Dekret von 1895 wurden in Tunis und Biserta zollfreie
Niederlagen für fremde Waren geschaffen, und schon seit
1893 dürfen Kohlen in allen offenen Häfen bis zu einem
Jahre Maximalzeit zollfrei gelagert werden unter der Be-
12*
— 180 —
dingung, den Zoll bei Übergang in den inländischen Konsum
zu erstatten, oder aber wieder ausgeführt zu werden.
In Tunis befindet sich neben der französischen eine
italienische und seit dem Jahre 1900 auch eine britische
Handelskammer, und die rührige Societe de geographie
commerciale de Paris hat Sektionen in Tunis und Biserta.
Was das Münzwesen anbetrifft, so gilt anstelle der
1872 eingeführten Bumia in Gold (zu etwa 49 Mark) ä 100
Piaster oder Rial laut Dekret vom 1. Juli 1891 ausschließ-
lich die französische Währung ohne das 5 Francsstück, aber
in eigener Prägung, auf der einen Seite mit französischer,
auf der andern mit arabischer Inschrift, und zwar hat man
in Tunesien nicht die französische Doppelwährung, sondern
reine Goldwährung eingeführt. Tunesisches Papiergeld gibt
es nicht, dagegen zirkulieren die Noten der Bank von Frank-
reich und französisches, englisches, italienisches, russisches
und österreichisches Gold, ferner haben die 5 Francsstücke
der lateinischen Münzunion gesetzlichen Kurs, von kleineren
fremden Silbermünzen aber nur die französischen, und die
Post nimmt auch diese nicht. Die Einfuhr fremder Silber-
münzen, die in ihrem Ursprungsland keinen gesetzlichen
Kurs haben, ist 1904 verboten worden.
Von Banken existieren in Tunis die 1885 gegründete
Banque de Tunisie, Kapital acht Millionen Francs, zur Hälfte
eingezahlt, mit Filialen in Biserta und Susa; Dividende für
1902 und 1903 je 4 " (,. Ferner die Cie. Algerienne; das
Comptoir d'Escompte de Paris und der Credit foncier et
agricole d' Algerie. Im Frühjahr 1904 hat auch die Banque
d' Algerie das Privileg erhalten, sich in Tunesien mit dem
Recht der Notenausgabe niederzulassen, wogegen sie an die
Regentschaft während der Dauer ihrer Konzession einen
zinsfreien Vorschuß von 1 Million Franken zu leisten hat,
der dem landwirtschaftlichen Kredit und der Förderung
— 181 —
französischer Kolonisation dienen soll, und außerdem eine
von 66 000 bis 100 000 Francs steigende Jahresabgabe bis
1920, der Abiaufzeit ihres Privilegs. Daraufhin hat die Bank
im August 1904 eine Filiale in Tunis eröffnet.
Der Zinsfuß in Tunesien ist bislang noch gänzlich
frei; als gesetzlicher Zinsfuß gelten die landesüblichen 12^'o.
Auch Maße und Gewichte sind seit 1. März 1895
metrisch, mit Ausnahme derjenigen für Flächen und Räume.
' Was den Verkehr betrifft, so war das großartige verkehr
römische Straßennetz unter der arabischen und türkischen
Herrschaft vollständig verfallen, und es gab vor 1881 in dem
ganzen Königreich Tunesien nur noch zwei kleine Straßen,
die von der Hauptstadt nach dem Bardo führten, und kaum
zehn Brücken. Während der ersten zehn Jahre französischen
Regiments baute nur die Militärverwaltung aus strategischen
Gründen einige Straßen, im übrigen aber begnügte man sich
mit der Verbesserung der Fußsteige, und erst 1892 begann
man, auf Drängen der Kolonisten hin, die für den Absatz
ihrer Produkte bequemeren und billigeren Transport brauchten,
bessere V^erkehrsmittel zu schaffen. Heute verbinden Kunst-
straßen wieder alle Hauptpunkte Nord- und Mittel-Tunesiens,
und zwar hat man dieses Straßennetz teils mit Hülfe der
Truppe, teils mit Frohnarbeiten hergestellt, welch letztere
1857 infolge vieler Mißbräuche offiziell zwar abgeschafft
worden waren, aber doch de facto fortbestanden hatten, und
zu denen seit 1899 auch die Europäer für jährlich vier
Tage herangezogen werden ; letztere können sich durch Geld,
die Eingeborenen durch Naturalleistungen freikaufen. Im
Jahre 1903 waren 2500 km Straßen gebaut und davon über
300 km gut chaussiert. An einzelnen Orten und auf ge-
wissen Landstraßen hat bereits ein regelmäßiger Automobil-
Dienst den Omnibus-Verkehr abgelöst; so wird die 139 km
— 182 —
lange Strecke zwischen Susa und Sfax seit 1901 durch
Automobile in 6^2 Stunden zurückgelegt, während die
daneben noch fahrenden Diligencen genau die doppelte
Zeit gebrauchen.
Eisenbahnen. Eisenbahnen bestanden schon vor Errichtung des
französischen Protektorats zwei in Tunesien, nämlich die
1872 von einer englischen Gesellschaft, der „Tunisian Rail-
ways Co." gebaute Tunis-Goletta (17 km) mit Abzweigung
nach La Marsa, im ganzen 34 km, welche, wie bereits er-
wähnt, bei Auflösung der englischen Gesellschaft 1880 heiß
umstritten wurde von der französischen Eisenbahn-Kompanie
Böne - Guelma und der italienischen Dampfergesellschaft
Florio-Rubattino, welch letztere sie in öffentlicher Auktion
zu London schließlich für 165 000 £ erstand, während sie
den Aktionären nur 40 000 £ gekostet hatte; und sodann
gab es noch die 190 km lange Strecke mit Normalspur
(144 cm) von Tunis durch das Medscherda-Tal nach
Ghardimaou an der algerisch-tunesischen Grenze. Die
Konzession für letztere war vom Bei 1876 an die Societe
des Batignolles übertragen und 1877 von selten der fran-
zösischen Regierung mit einer Zinsgarantie von 6 " .1 auf
das darin anzulegende Kapital ausgestattet worden, worauf
die Cie. des chemins de fer de Böne ä Guelma die Aus-
führung des Unternehmens im Anschluß an ihre algerische
Hauptlinie unternahm. Die normalspurige Bahn Tunis —
Ghardimaou wurde 1879 dem Betrieb übergeben und 1884
mit dem algerischen Bahnnetz verbunden.
Der französische Vertreter Roustan hatte den Dei zu
der Verpflichtung veranlaßt, keine Eisenbahnkonzession in
Tunesien zu verleihen, ohne sie vorher der Cie. Böne-Guelma
angeboten zu haben; diese beeilte sich aber keineswegs mit
neuen Anlagen, auf die seitens der sparsamen französischen
Verwaltung keine weiteren Zinsgarantien zu erwarten waren.
— 183 —
und so blieb der Bahnbau in Tunesien während 12 Jahren
vollständig ruhen. Erst im Jahre 1892 gelangte die Cie.
Böne-Guelma zu einem Abkommen mit der Regentschaft,
betreffs der Konzession auf ein Eisenbahnnetz, für welches
die französische Regierung aber keine Zinsgarantie über-
nahm und welches die Normalspurbahn Dschedeida— Biserta
(73 km) und 394 km Schmalspurbahnen (1 m) umfaßt; die
wichtigste der letzteren ist die Linie Tunis— Susa — Moknine
(187 km) mit Abzweigungen nach Pont du Fahs, Saghuan.
Mensel und Nabeul. Die laut Abkommen von 1892 von
der Cie. Böne-Guelma gebauten Bahnen können ab 1902
unter festgesetzten Bedingungen vom tunesischen Staate
übernommen werden. Eine 58 km lange Decauville-Bahn
mit 60 cm Spur von Susa nach Kairuan wurde 1882 von
der französischen Genie -Truppe gelegt und anfangs mit
Pferden betrieben, 1888 aber von der Cie. Böne-Guelma
übernommen, die 1898 auch die Linie Tunis — Goletta für
7 ^ - Millionen Francs aufkaufte.
Für die Linie Tunis- Ghardimou hatte der französische
Staat bis vor kurzem jährlich in runder Summe vier Mil-
lionen Francs an Zinsgarantie zuzuschießen; darin ist aber
seit dem 1. Januar 1903 eine Änderung eingetreten Von
diesem Zeitpunkt ab übernimmt nämlich die Regentschaft
selbst sowohl die jährliche Zinsgarantie, wie auch die Ab-
zahlungsraten bei einem eventuellen Rückkauf der Linie.
Der französische Staat aber verpflichtet sich zur Liquidation
seiner bisherigen Verbindlichkeiten den tunesischen Bahnen
gegenüber zu jährlichen festen Beiträgen, welche in den
ersten drei Jahren je zwei Millionen Francs betragen, aH-
mählich abnehmen und mit Ende 1965 ganz aufhören. Die
anderen tunesischen Linien der Cie. Böne-Guelma sind von
ihr für vorher festgesetzte Summen aus Mitteln des tunesischen
Budgets gebaut und werden von ihr derart betrieben, daß
— 184 —
sich die Regentschaft und die Bahngesellschaft in den Be-
triebsüberschuß teilen, während eventuelle Betriebsverluste
von der Gesellschaft zu tragen sind, ihr aber aus späteren
Überschüssen mit Zinsen zurückerstattet werden.
Von der 1896 konzessionierten Compagnie des phos-
phates et du chemin de fer de Qafsa, welche für 60 Jahre
die Ausbeutung der großen Phosphatlager zwischen Gafsa
und der algerischen Grenze und die Konzession für eine
dahin führende Bahn, dazu als Eigentum 30 000 ha kulti-
vierbares Domänenland im Bezirk von Sfax erhielt, wurde
1899 die 243 km lange Strecke Sfax-Gafsa (205 km)-Metlaoui
eröffnet, und diese Schmalspurbahn (Im) soll nach Toser
und Nefta am Westrand des Schott Dscherid fortgesetzt
werden.
Mit Hülfe der 1902 bewilligten 40 Millionen- Anleihe,
welche weiteren Bahnbau dem Staate anstelle der egoistischen
Cie. Böne-Guelrqa ermöglicht, beabsichtigte man die 76 km
lange Normalspurbahn Biserta-Nefsas und sodann folgende
Schmalspurbahnen zu bauen :
Fortsetzung der Linie Tunis-Saghuan durch die gut
bewässerten und für Kanalisation geeigneten Täler von El
Fahs, Bu Arada und Ued Tessa nach Kalaat es Senan mit
30 km Zweigbahn nach El Kef zur Erschließung des dortigen
Kronlands und der Phosphatlager, im ganzen 220 km ; ferner
die Linien Kairuan-Sbeitla, 130 km, und eine Anschlußlinie
von Sfax nach Susa. Susa soll auch mit den 1905 in An-
griff zu nehmenden Phosphatlagern von AVn Moulares ver-
bunden werden.
Der französische Staat hat sich ferner aus strate-
gischen Gründen verpflichtet, eine Normalspurbahn von
Mateur nach Beja zu bauen, um die Verbindung zwischen
Biserta und Algerien vor einem Handstreich zu schützen;
-/3 der Kosten dafür sollen in zinsfreien Raten von der
— 185 —
Regentschaft bis 1966 an Frankreich zurückerstattet werden.
Strategische Gründe werden dann auch dazu führen, Susa
und Gafsa mit Tebessa zu verbinden.
im Jahre 1904 hatte die Böne-Guelma Gesellschaft in
Tunesien 943 km Bahnen im Betrieb, davon 316 km mit
Normaispur, und dazu traten die 243 km der Gafsa-
Gesellschaft.
Durch das Abkommen mit Frankreich vom Jahre 1902
hat Tunesien freie Hand für einheith'che und selbständige
Ausgestaltung seines Bahnwesens erlangt.
In Tunesien gilt offiziell, ebenso wie in Algerien,
Pariser Zeit, welche der mitteleuropäischen eine Stunde
nachgeht.
Post und Telegraph sind im ganzen Lande vertreten,
arbeiten aber noch mit Defizit; die Länge der Telegraphen-
linien betrug im Jahre 1902: 3293 km, diejenige der Drähte
9171 km. Die Einrichtung elektrischer Telegraphen in
Tunesien wurde den Franzosen schon 1859 konzessioniert.
Dem französischen Staate gehörige, unterseeische Kabel
verbinden Tunis und Biserta mit Böne und Marseille, sowie
Susa mit Sfax, Dscherba, Gabes, EI Dschorf und Sarsiss.
Die Hotels in Tunis berechnen täglich 13—15 Francs
Pension bei voller Verpflegung einschließlich Tischwein
ä discretion. Der Lebensunterhalt in Tunesien ist aber in
den letzten Jahren wesentlich teurer geworden, da Fleisch,
Fische und Gemüse, die früher sehr billig waren, letzthin
im Preise stark gestiegen sind.
Unter den Dampferlinien, welche Tunesien berühren, Schiffahrt.
stehen obenan die mit staatlicher Postsubvention ausge-
statteten französischen der Cie. Generale transatlantique,
welche von Marseille aus wöchentlich zweimal nach Tunis
und je einmal nach Biserta, Susa und Sfa.x fährt, und der
— 186 —
Cie. mixte (Touache), welche wöchentlich zweimal zwischen
Marseille und Tunis verkehrt. Seit dem Jahre 1900 vermittelt
die Cie. des bateaux ä vapeur du Nord monatlich dreimal
eine Verbindung via Algier mit Dünkirchen und einmal via
Neapel und Palermo mit Antwerpen. Im gleichen Jahre be-
gann die Cie. Franco-Tunisienne mit einem wöchentlichen
Dienste zwischen Marseille, Tunis und Susa. Die italienische
Navigazione Generale Italiana hat einen Wochendienst zwischen
Genua, Tunis und Tripolis und einen solchen zwischen
Neapel, Palermo, Trapani und Tunis. Die Dampfer der
englischen Prince Line schaffen dreimal monatlich direkte
Verbindung zwischen Manchester und Tunis, seltener von
London und Antwerpen aus über Malta, wo Umschiffung
stattfindet; auf der Rückreise vom Mittelmeer laufen diese
Dampfer Tunis aber nicht an, sodaß eine direkte Ver-
bindung zwischen Tunis und England nicht besteht. Von
deutschen Dampfern gehen diejenigen der Freitas- Linie
von Hamburg aus dreimal monatlich nach Tunis, ferner be-
rühren die Exkursionsdampfer der Levante- Linie Goletta.
Die ungarische Gesellschaft „Adria" läßt jede zweite Woche
von Fiume aus einen Dampfer über Messina und Malta nach
Tunis, Algier und Oran verkehren.
Die Schiffsbewegung im Jahre 1903 wies auf an Ein-
gängen :
1 1 542 Schiffe mit 3 076 000 Tons
davon 3 436 Dampfer „ 2 921000 „ und unter
franz. Flagge 1 900 Schiffe „ 1 428 000 „
Die eigene Handelsmarine Tunesiens besaß im gleichen
Jahre nur einen Dampfer von 1 1 Tons und drei Segler mit
zusammen 565 Tons.
Die Haupthäfen sind unter französischer Verwaltung
wesentlich verbessert und vergrößert worden, und zwar hat
— 187 -
der Staat Frankreich Biserta zu dem mächtigsten Kriegshafen
d^s Mittelmeers ausgestaltet, und die Compagnie des ports de
Tunis, Sousse et Sfax hat durch die Societe de Construction
de Batignolles diese drei Häfen ausgebaut und den Betrieb
derselben konzessioniert erhalten. Die Hafengesellschaft hat
die für die Arbeiten nötigen Mittel durch eine 4"^ Anleihe
aufgebracht, welche von der tunesischen Regierung garantiert
und in Jahresraten getilgt wird. Die mit 4 ^' o zu verzinsenden
Obligationen von 500 Francs dieser Gesellschaft wurden
anfangs 1905 an der Pariser Börse mit 505 notiert.
Auch sonst haben die Franzosen in den Hauptplätzen,
wo überall Europäerviertel entstanden sind, durch Anlage
von Kanalisation, Wasserleitung und Schlachthäusern viel-
fache Verbesserungen eingeführt.
Des Landes Hauptstadt Hauptone.
Tunis, eine uralte, schon vor der Phönikerzeit be-
standene afrikanische Siedelung, die aber erst spät zur Be-
deutung kam, liegt auf einer hügeligen Landenge zwischen
zwei flachen Seen, hinter ihr im Westen die im Sommer
fast trockne Sebcha Sedschumi, nach dem Meere zu die
flache, nur 1—2 m tiefe Bahira-Lagune von Tunis, ein
echtes Haff, durch welches die Franzosen einen 11 km
langen, 7 m tiefen und 100 m breiten Kanal nach dem
Hafenort und Badeplatz La Goletta (Übersetzung des ara-
bischen Namens Halk el Wadi = „Fluß-Gurgel") ausge-
baggert haben. Früher blieben die Seedampfer auf der
dortigen Reede liegen, und eine Eisenbahn beförderte die
Passagiere nach Tunis; nach fünfjährigen Arbeiten wurde
1893 aber der Kanal eröffnet, welcher den Dampfern erlaubt,
nach Tunis selbst zu gehen und Passagiere und Waren dort
direkt am Kai zu landen. Kanal- und Hafen -Anlagen
kosteten 17 Millionen Francs. An das 12 ha große Hafen-
— 188 —
becken schließt sich zunächst eine bereits ziemhch ausge-
dehnte und ganz modern ausgestattete Fremdenstadt an, mit
einer eleganten, langen Avenue, die zum Haupttor der
Araberstadt zieht und als Zentrum des europäischen Handels
und Verkehrs dient; an sie schließen sich, die hochgelegene,
von der Kasbah überragte weiße Araberstadt umgürtend, die
äußeren, fast ausschließlich von italienischen Arbeitern und
Händlern bewohnten Stadtteile an. Die Altstadt ist, im
Gegensatz zu Algier, von europäischen Beeinflussungen noch
unberührt geblieben, und die holperigen, hoizüberdachten
Gänge der Suks oder Bazare mit ihrem bunten Leben und
reichen Warenlagern bilden einen der interessantesten Märkte
des Orients. Die alte Kasbah dient jetzt als Kaserne, auch
das Stadtpalais und der westlich vor der Stadt gelegene
Bardo-Palast werden vom Bei nicht mehr bewohnt, derselbe
benutzt jetzt vielmehr während des ganzen Jahres das am
Meere ruhig gelegene La Marsa als Residenz. Die Stadt
Tunis zählt heute etwa 180 000 Einwohner, worunter 54 000
Europäer — Italiener 37 000, Franzosen 10 000, Malteser
5000 — und 50 000 Juden und erhält ihr Wasser durch die
102 km lange Wasserleitung von Saghuan, die schon unter
Hadrian (117— 1138 nach Chr.) angelegt, wiederholt zerstört
und 1862 durch eine französische Gesellschaft unter Be-
nutzung römischer Reste und mit einem Kostenaufwand von
13 Millionen Francs wieder hergestellt wurde.
Von dem nur 15 km nordöstlich von Tunis liegen-
den, alten
Karthago sind, nachdem seine Ruinen jahrhunderte-
lang kostbare Baumaterialien weithin geliefert haben, nur
schwache Reste übrig geblieben; auf dem Hügel der alten
Byrsa, welche der Bei von Tunis schon 1830 an König
Karl X. von Frankreich abtrat, erhebt sich jetzt die 1884
vom Kardinal Lavigerie gegründete Kathedrale, ein in
— 189 —
byzantinisch -maurischem Stile aufgeführter, großartiger Bau,
daneben die bescheidene Kapelle des heiligen Ludwig, an
seiner angeblichen Sterbestelle errichtet, und das Priester-
seminar St. Charles der Weißen Väter.
Auch das in der Nähe der Farm Bu Schater ge-
legene alte
Utika ist seit der arabischen Invasion bis auf geringe
Reste gänzlich verschwunden und der frühere Hafen heute
vom Medscherda völlig verschwemmt.
Dagegen ist das durch seine Lage von der Natur
überaus begünstigte
Bisefta zu einem modernen Kriegshafen ersten Ranges
ausgestaltet worden, der besonders durch seine Nähe zu
Sizilien und Malta strategisch wichtig, aber auch für Handel
und Schiffahrt noch günstiger als Tunis gelegen ist. Der
Eifersucht Englands und Italiens gegenüber hatte Frankreich
zunächst erklärt, daß Biserta nicht befestigt werden sollte.
1890 begann eine konzessionierte Gesellschaft mit den
Arbeiten zur Schaffung eines Handelshafens, 1891 legte
man den Grundstein zur Neustadt und eröffnete 1895 den
„Handelshafen", in welchen im gleichen Jahre auch die
ersten großen französischen Kriegsschiffe einliefen. Nachdem
man dann durch die Verträge von 1896 und 1897 die
fremden Mächte aus Tunesien hinauskomplimentiert hatte,
begann man 1897 mit den Arbeiten, um Biserta auch zu
einem tatsächlichen Kriegshafen auszugestalten.
Der an und für sich wenig geschützten Reede ist
durch den Bau zweier 950 und 1223 m langer Steindämme
und eines 610 m langen Querdamms, welcher zwei Ein-
fahrten von 320 und 680 m Breite offen läßt, ein 86 ha
großer Vorhafen abgewonnen worden, dessen Hügelhöhen
stark befestigt sind. Die westlich vom äußeren Hafenzugang
liegende Stadt Biserta zählt heute, einschließlich 5000 Mann
— 190 —
Besatzung, etwa 25 000 Einwohner und ist durch Chaussee
(60 km) und Bahn (98 km) mit Tunis verbunden. Von
diesem Vorhafen aus führt jetzt anstelle des alten, natür-
lichen, jetzt teilweise zugeschütteten Zufahrtarmes ein neu
ausgegrabener, 1 ^ ^ km langer, 10 m tiefer und an der
Oberfläche 240 m, an der Sohle 200 m breiter Zugangs-
kanal zu dem natürlichen, salzigen Binnensee, der etwa
15 000 ha groß ist und in weiten Ausdehnungen 9 — 12 m
und mehr Tiefe besitzt, im Innern dieses Beckens sind nun
in zwei getrennten Buchten der Handels- und der Kriegs-
hafen angelegt, und zwar stößt man zunächst auf den
Handelshafen, der z. Z. noch ohne besondere Bedeutung
ist, da die von der Hafengesellschaft eingeführten hohen
Tarife die Entwicklung des Platzes gehemmt haben und der-
selbe bislang auch keine Rückfracht bietet; es ist deshalb
die Rede davon gewesen, die 200 km südwestlich von hier
befindlichen Phosphatlager von Thala durch eine Bahn mit
Biserta zu verbinden, um den für die Marinestation ein-
laufenden Kohlenschiffen eine Rückfracht bieten zu können.
Weiter landein zu liegt an zwei verschiedenen Punkten
der Kriegshafen, und zwar trifft man zunächst auf die
Kasernen und Werkstätten, tiefer hinein auf Arsenal, Docks,
Vorratshäuser und Kohlenlager, deren Bestand auf 50 000
Tons gebracht werden soll. Das größte Trocken -Dock ist
1903 bereits vollendet worden, im allgemeinen aber wurden
die Arbeiten nicht schlank gefördert, sondern mannigfach
durch Stillstand unterbrochen, und der Werftbetrieb und das
geplante verschanzte Lager fehlen noch. Immerhin weist
die um diese Anlagen herum erstandene neue Stadt Ferry-
ville bereits 5000 Einwohner auf.
Der Bau der Molen und des Kanals wurde auf das
Tunis- Budget, die Anlage des Kriegshafens für Rechnung
Frankreichs übernommen, und diese Arbeiten haben bisher
— 191 —
46 Millionen Francs gekostet und sollen etwa 1908 beendet
sein. Biserta wird dann einer der größten und sichersten
Seekriegshäfen der Welt und mit seinem reichen Hinterland
den isolierten Inselfesten Malta und Gibraltar in bezug auf
gesicherte Zufuhren weit überlegen sein.
An der Ostküste Tunesiens treffen wir zunächst auf
den Hafenplatz
Susa. das altberühmte Hadrumetum, an einer un-
sicheren Reede, deren römischer, durch Molen hergestellter
Kunsthafen aber ganz versandet war. Mit einem Kosten-
aufwand von 4 ' ■> Millionen Francs haben die Franzosen
auch hier mit Hülfe von zwei Dämmen einen neuen Hafen
angelegt, sodaß seit 1899 die Dampfer direkt am Kai an-
legen können. Die Stadt zählt 25000 Einwohner, darunter
6000 Europäer, welche in einem modernen Viertel zwischen
Meer und Stadtmauer wohnen, und das sich dahinter aus-
breitende Hügelland der Sahel weist besonders zahlreiche
Olivenpflanzungen auf.
Es folgen weiter südlich das auf einem hornartigen
Landvorsprung gelegene, unbedeutende Monastir mit 6000
Einwohnern; nachdem man Kap Dimas mit den Ruinen des
alten Thapsus umschifft, die arabische Gründung Mahadia,
eine auf vorspringender Felszunge gelegene Stadt mit
schlechter Reede und 6000 Einwohnern.
Wichtig ist dagegen das nunmehr folgende, von Gärten
und Olivenhainen umgebene Sfax, mit 45 000 Einwohnern,
die zweitgrößte Stadt des Landes mit einer Reede, welche
durch die vorgelagerten Kerkena-lnseln geschützt, von jeher
als die sicherste in der Regentschaft bekannt war und auch
hier durch eine künstliche Hafenanlage ergänzt wurde, die
man 1897 dem Verkehr übergab. Die Europäerstadt liegt
hier ebenfalls zwischen Meer und Altstadt, und der rege
Verkehr erstreckt sich besonders auf Oliven, Haifa und die
— 192 —
aus Gafsa kommenden Phosphate. Die Umgebung ist öde
Steppe und dementsprechend schwach besiedelt.
Der nächste Hafenort, das jetzige Gab es. entstand erst
nach 1881, zählt etwa 1200 Einwohner und ist von einer
üppigen Palmenoase umgeben.
Der südlichste Hafen der Regentschaft ist Sarsiß,
bisher nur eine Station der Schwammfischer, aber ein Platz,
der von Bedeutung werden könnte, wenn die von hier aus
geplante Bahn nach Ghadames zur Ausführung käme. Für
dieses Projekt kommt allerdings auch die nahe, gute Bucht
von Bu Ghara in Betracht.
Im Innern sind zur Zeit eigentlich nur zwei größere
Orte bemerkenswert:
]<airuan, vor Einnahme durch die Franzosen eine
heilige Stadt, die kein Ungläubiger besuchen durfte, und auch
heute noch mit ihren 22 000 Einwohnern die bedeutendste
Binnenstadt der Regentschaft. Von öden Steppen und Dünen
umrahmt, macht die „weiße Braut der Steppe" mit ihren
hohen, zinnengeschmückten Umfassungsmauern einen ganz
imposanten Eindruck; im Innern der Stadt findet man aber
auch hier ein Gewirr enger Gassen mit zahlreichen Mo-
scheen, angeblich 85, unter denen die große Moschee Sidi
Okbas, des Gründers der Stadt, die berühmteste ist. '' im
Gegensatz zu dem übrigen Tunesien , wo ebenso wie in
Marokko und Tripolitanien dem Ungläubigen der Zutritt zu
den Moscheen streng untersagt ist, haben die Franzosen
gerade hier an dieser heiligen Stelle durchgesetzt, daß auch
Christen — Juden nicht — die Moscheen besuchen dürfen.
Gafsa, das römische Capsa, in dessen Nähe warme
und kalte Quellen üppige Oasen gebildet haben, ist neuer-
dings durch die Ausbeute der nahen Phosphatlager wichtig
geworden und zählt z. Z. etwa 5J)00 Einwohner,
- 193 —
Nach der vorstehenden Schilderung macht die Regent-
schaft Tunesien unter französischer Verwaltung im allge-
meinen einen befriedigenden Eindruck. Freilich fehlt es ihr
auch nicht an Schattenseiten. Trotz Schaffung einer geord-
neten Verwaltung, von Verkehrswegen, Hafenbauten, Wasser-
versorgung der Städte, gesundheitlicher Einrichtungen ver-
schiedener Art, Hebung von Unterricht, Anbau, Gewerbe-
tätigkeit und Handel ist die eingeborene Bevölkerung
doch vielfach mit den neuen Verhältnissen unzufrieden, ein-
flußreiche Kreise der Eingeborenen verarmen mehr und mehr,
und selbst unbefangene Franzosen erklären die schön ge-
färbten Berichte ihrer Regierung als irreführend und das
vielgerühmte System des Protektorats als einen Mißerfolg.
Die Anbaufläche von Getreide und der Viehstand sind
im letzten Jahrzehnt zurückgegangen, dafür sind die Beamten
in demselben Zeitraum in Zahl vervierfacht worden und
teilweise übertrieben hoch bezahlt, und daß große Summen
bei öffentlichen Bauten verschleudert und veruntreut werden,
macht die an sich schon teure Verwaltung noch kostspieliger.
Die von Frankreich eingeführten scheinbaren Abgaben-
erleichterungen sind denn auch durch neugeschaffene Ab-
gaben (wie auf Alkohol, Zucker usw.) mehr als ersetzt, und
so bleibt für eine wirkliche gedeihliche Entwicklung Tunesiens,
die auch dem Hauptteile der Eingeborenen zugute kommt,
noch viel zu tun übrig.
Schanz, Algerien, Tunesien, Tripolitanien. 13
Tripolitanien.
Das heutige Tripolitanien, zwischen Tunesien und ägyp-
tischem Gebiet gelegen, die letzte türkische Provinz auf
afrikanischem Boden, ist nichts weniger als ein einheitliches
Gebiet, sondern zerfällt nach seiner geographischen Ge-
staltung und historischen Entwicklung in drei grundver-
schiedene Teile, die nur zufällig politisch vereint sind, näm-
lich: in die nach Norden vorspringende, rings vom Meere
oder wüstenhaften Strichen umgebene Halbinsel Barka, die
alte Cyrenaika; in das zwischen der Großen und der
Kleinen Syrte gelegene eigentliche Tripolis, und endlich
in das Oasengebiet von Fessan.
Geschichte. Die alte Geographie nennt als Bewohner der Barka
die nomadischen Libyer oder Lehabim, des Einschnitts der
Großen Syrte die Nasamonen, an der Kleinen Syrte die
Lotophagen , als Oasenbewohner des heutigen Fessan die
Garamanten und westlich von diesen als Bewohner des
Saharagebiets die Gaetuler.
Frühzeitig schon hatten sich am fruchtbaren Rande der
Halbinsel Barka griechische Kolonien gebildet. Dorische
Ansiedler waren in der Mitte des 7. Jahrhunderts vor Chr.
unter Führung von Battos, einem Orakel folgend, von
4
— 195 —
der Insel Thera (Santorin) herübergekommen, wo ein
bürgerlicher Zwist ihre Auswanderung veranlaßte; etwa um
640 ließen sie sich zunächst auf der kleinen Insel Platea
am Golf von Bomba nieder und einige Jahre später siedelten
sie sich auch auf dem schon vor ihnen bekannten und be-
suchten Gestaden des Festlandes an und gründeten dort 631
das 80 Stadien vom Meere entfernt gelegene Kyrene, dessen
Herrschaft Battos mit dem Titel eines Königs übernahm;
eine reichlich strömende Quelle Kyra gab Anlaß zur Siedelung
und Benennung des Ortes. Die Kolonie verstärkte sich
weiterhin durch Zuwanderung zahlreicher dorischer Griechen
vom Peloponnes, aus Kreta und anderen Inseln, und man
konnte nunmehr bedeutende Länderstrecken der Halbinsel
Barka in Besitz nehmen.
Das gut bewässerte und fruchtbare Kulturland der
Cyrenaika ermöglichte es einer zahlreichen Bevölkerung, von
dem Ertrage des Bodens zu leben; die reichen Äcker gaben
hundertfältiges Korn, saftige Weiden ernährten gerühmte
Rosse, die Wälder lieferten Material für Schiffsbau, und sein
Olivenöl und Honig, seine Weine, Wohlgerüche und Heil-
kräuter waren im Altertum weit und breit berühmt. Zahl-
reiche Reste von Kanälen, Talsperren, Aquädukten und
Zisternen beweisen noch heute, wie geschickt die Quellen
des Landes von den alten Griechen zu Kulturzwecken aus-
genutzt wurden. War die Lage einerseits isoliert genug, um
eine verhältnismäßig selbständige und eigenartige Entwicklung
des jungen Staates zu ermöglichen, so bot sie andrerseits
durch ihre Nähe zu Kreta und dem griechischen Archipel
einen sehr günstigen Stützpunkt für den Handel des östlichen
Mittelmeers, und zwar sowohl als Stapelplatz für den Zwischen-
handel, wie für die Waren Innerafrikas.
Freilich kam es bald zu Streitigkeiten mit den noma-
disierenden Libyern, die endlich in ihrer Not den König
13*
— 196 —
Ägyptens um Hülfe anflehten. Zum Glücke für Kyrene
verhinderten die Wirren in Ägypten ein entschiedenes Ein-
schreiten des Nachbarvolkes, und ein gesandtes ägyptisches
Heer wurde um 570 von Battos II. geschlagen; doch schließ-
lich erwiesen sich die verbündeten Libyer-Stämme selbst als
gefährliche Gegner und brachten den Griechen um 544 v. Chr.
eine schwere Niederlage bei.
Die Griechen wandten sich nun hülfesuchend an das
Mutterland, mit dem sie ständig in innigen Beziehungen ge-
blieben waren und das Orakel zu Delphi riet ihnen, den
Gesetzgeber Demonax von Mantineia zu berufen, der die
inneren Verhältnisse der Siedlung ordnen und sie damit
auch zu kräftigem Widerstand nach außen befähigen werde.
Der Wandlung des politischen Lebens in der Heimat ent-
sprechend, führte Demonax auch in Kyrene die Gleich-
berechtigung aller Bürger durch und schränkte die Kriegs-
macht der battischen Dynastie ein; dadurch kam es aber
zu inneren Kämpfen, die zur Erschlagung des Königs Arke-
silaos II. und des Tyrannen von Barka seitens des Volkes
führten.
Das 100 Stadien vom Meere entfernt gelegene Barka
war um 540 von Brüdern des Königs Arkesilaos II. von
Kyrene an der Spitze von auswandernden Neubürgern Ky-
renes und aufständischei' Libyer als selbständiges Gemein-
wesen gebildet worden, dem sich die an der Westküste der
Halbinsel liegenden, gleichfalls durch griechische Kolonisten
gegründeten Hafenstädte Tauch ira und Euhesperidä an-
schlössen. Da aber schon Arkesilaos den Persern tribut-
pflichtig geworden war, die unter Kambyses damals Ägypten
besetzten, so griff nunmehr der persische Statthalter von
Ägypten ein, zerstörte um 510 Barka, das allerdings bald
wieder emporblühte, und hielt die wankende Königsherrschaft
— 197 —
aufrecht; erst um das Jahr 450 brach diese endgültig zu-
sammen, und Kyrene wurde Republik.
Dieses war inzwischen trotz aller Kämpfe zu hoher
Blüte gelangt; der fruchtbare Boden, der überdies das kost-
bare Silphium erzeugte, gab eine sichere Grundlage, und der
Handel, welcher teils zu Lande nach Ägypten und dem Su-
dan, teils zur See betrieben wurde, brachte große Reichtümer
nach Kyrene, dessen Bürger durch ihren Luxus vor allen
Hellenen hervorragten, aber auch an den künstlerischen und
philosophischen Bestrebungen des Griechenvolks regen An-
teil nahmen.
Der Kampf mit der aufblühenden Nebenbuhlerin im
Westen, Karthago, der zwischen 400 — 330 geführt wurde,
endete damit, daß Karthago die Grenzen seines Einflusses,
seine „Interessensphäre", wie wir heute sagen würden, bis
an den Winkel der Großen Syrte vorschob.
Mit Ale.xander dem Großen, dessen Macht 332 in
Ägypten erschien, kamen die Kyrenäer nicht in feindselige
Berührung, da sie sich durch scheinbare Unterwürfigkeit von
vornherein sicherten und die exzentrische Lage der Stadt sie
den politischen Wirbelstürmen ziemlich entrückte. Denselben
Vorteil genossen auch die anderen, kleineren Städterepubliken,
die an der Küste der Halbinsel entstanden waren.
Nach Alexander des Großen Tod entging aber auch
die Cyrenaika den Blicken der beutelustigen Soldatenkönige
nicht; innere Zwistigkeiten vermehrten die Gefahr, und Flücht-
linge aus Kyrene riefen den alexandrinischen General Tim-
bron, der damals auf Kreta weilte, zu Hülfe. Diese Ge-
legenheit benutzte Ptolemaios, der sich inzwischen in
Ägypten festgesetzt hatte, um sich einzumischen, Timbron
wurde geschlagen, und 322 mußte die gesamte Cyrenaika die
Herrschaft des schlauen Ägypterkönigs anerkennen. Die
verschiedenen kleinen Republiken aber wurden nunmehr
— 198 —
unter dem Namen der kyrenäischen Pentapolis oder Fünf-
stadt zusammengefaßt; es waren dies neben Kyrene dessen
Hafenstadt Apollonia; Ptolemais anstelle des nahen Barka;
Berenike, das alte Euhesperidä, das heutige Benghasi; und
Arsinoe nahe dem alten Tauchira.
Das Gebiet erlangte wohl zuweilen vorübergehend seine
Selbständigkeit zurück, blieb aber in der Hauptsache unter
ägyptischem Einfluß, und den Wettbewerb mit Karthago einer-
seits, mit Alexandria anderseits vermochte Kyrene nicht mehr
zu bestehen. Die zunehmende Volksmischung drängte das
alte Hellenentum mehr und mehr zurück, und so trat auch
auf geistigem Gebiet der Rückgang ein. Besonders die Zahl
der Juden stieg damals in der Cyrenaika gewaltig, dazu ge-
sellten sich libysche, ägyptische und nigritische Elemente,
und anstelle von Kyrene trat Alexandrien als Mittelpunkt
geistiger Kultur des afrikanischen Griechentums.
Nach dem Aussterben eines jüngeren Zweiges der
Ptolemäerfamilie, dem die Pentapolis im Jahre 117 v. Chr.
als selbständiges Königreich zugefallen war, gelangten die
Römer im Jahre 96 auf friedlichem Wege, durch Testament,
in den Besitz dieses Gebietes und der östlich daran stoßenden
Marmarika, die, wenn auch nicht immer unter der Bot-
mäßigkeit, so doch unter dem Kultureinfluß der Cyrenaika
gestanden hatte, und die beide nur lose mit dem römischen
Weltreiche verbunden wurden, nachdem sie ihre früher teil-
weise besessene Wichtigkeit längst verloren hatten. Unruhen
in dem nunmehr zinspflichtigen Lande führten endlich zur
völligen Unterwerfung unter Pompejus im Jahre 67 v. Chr.
und zur Vereinigung unter einer Statthalterschaft mit Kreta,
nachdem es bereits 74 zur römischen Provinz gemacht
worden war. Die Grenze gegen Ägypten bildete das Vor-
gebirge Paraetonium, heute Ras el Kanals.
— 199 —
Weilerhin trat die Pentapolis nur wenig mehr hervor
und verfiel nach einigen Jahrhunderten sinkender Blüte mehr
und mehr. Hin furchtbarer Aufstand der jüdischen Be-
völkerung zur Zeit Trajans soll 200 000 Griechen und
Römern das Leben gekostet haben, sodaß der Kaiser nach
Niederwerfung des Aufslandes eine neue Kolonie, Adria-
napolis, in der Cyrenaika anlegte, um das entvölkerte
Land wieder zu heben. Aber schon war die Schwächung
der Provinz von den libyschen Nomaden dazu benutzt
worden, einen Teil des Fruchtlandes zu besetzen, ohne daß
es möglich gewesen wäre, ihren Übergriffen auf die Dauer
zu steuern, trotzdem Kaiser Justini an Berenike neu be-
festigen ließ.
Kyrene wird bereits im vierten Jahrhundert nach
Christus als „urbs deserta" bezeichnet, während Ptolemais
seine Bedeutung besonders als alter Bischofssitz lange
behielt.
Den letzten Rest der alten Blüte an Kunst und Wissen-
schaft haben dann im siebenten Jahrhundert die Verwüstungen
der islamitischen Eroberungszeit vernichtet.
Nachdem Amru um 642 die Eroberung Ägyptens be-
endet, marschierte er alsbald nach Barka, das er ohne
Schwertstreich nahm, und schickte von dort den Feldherrn
Okba nach Fessan, während er selbst nach Tripolis
weiter zog. Für einige Jahrhunderte hatte nun die Cyrenaika
allerdings einen ansehnlichen Durchgangsverkehr von Trup-
pen, Handelskarawanen und Mekkapilgern; besonders Pto-
lemais und F^arka waren wichtige Etappen zwischen
Kairuan und Kairo. Nach Adschedabia, welches zur
f-atimidenzeit eine blühende Handelsstadt war, kam die
führende Rolle im späteren Mittelalter an Berenike, das
zum Haupt-Handelsplatz der ganzen Küste wurde, und dessen
natürliche Vorzüge um so mehr zur Geltung kamen, je mehr
— 200 —
das westliche Mittelmeer in den Vordergrund trat. Nament-
lich führte Berenike die damals sehr geschätzte Wolle aus.
Die anderen Orte aber gingen allmählich in völligem Dunkel
unter, und das Aufblühen, welches die von Spanien ver-
triebenen Mauren nach hier brachten, konnte nicht von
Dauer sein, nachdem die türkische Mißwirtschaft 1551
auch in der Barka ihren Einzug hielt. Selbst Berenike er-
holte sich erst wieder in der zweiten Hälfte des 19. Jahr-
hunderts, als Benghasi, wie man es nach einem hier ver-
ehrten arabischen Heiligen nannte.
Sehen wir nun zu, wie sich inzwischen das im Westen
anstoßende Syrtengebiet, das eigentliche Tripolitanien,
entwickelt hatte.
Das von den sizilischen Griechen später unter dem
Namen Tripolis = „Dreistadt" zusammengefaßte Gebiet
war frühzeitig — etwa um 800 v. Chr. — von den Phöni-
kern besiedelt worden, wies als Hauptorte die drei Städte
Oea, das heutige Tripolis, Sabratha und Groß - Leptis auf,
und bildete im Altertum ein mittelbares Gebiet Karthagos.
Nach dem zweiten punischen Kriege wurde es aber von den
Römern den numidischen Königen überlassen und nach
deren Unterwerfung 106 v. Chr. als Teil der Regio Syrtica
zur römischen Provinz Afrika geschlagen. Rom nahm
durch seine Kohorten, deren südlichster strategischer Stütz-
punkt Garama (Dscherma) in Phazania bildete, auch die
Handelszüge nach dem Süden unter seine starke schützende
Obhut. Der im Jahre 146 n. Chr. in Leptis geborene
römische Kaiser Septimus Severus bildete Anfang des dritten
Jahrhunderts die Provinci a Tripolitana, deren Haupt-
stadt das alt^ Oea wurde, und auf dieses ging sodann der
Name Tripolis über. Reste römischer Kastelle, Brücken,
— 201 —
Dämme, Brunnen und Wasserleitungen sind auch in Tripoli-
tanien heute noch mannigfach anzutreffen.
Im fünften Jahrhundert wurde das Land von den Van-
dalen erobert, blieb dann noch eine kurze Zeit unter der
schwachen byzantinischen Herrschaft und wurde darauf
auch von den Scharen des arabischen Feldherrn Amru
überschwemmt; die Hauptstadt Tripolis selbst hatten die
Araber 647 allerdings vergeblich zu nehmen gesucht, aber
bei ihrem zweiten Einfall von Osten her im Jahre 665 ging
mit dem übrigen Nordafrika zusammen auch ganz Tripoli-
tanien in ihren Besitz über und wurde dem Islam unter-
worfen.
Nachdem die Abbassiden in Nordafrika durch ihren
eigenen Statthalter verdrängt waren, kam auch Tripolis nach-
einander unter die Herrschaft der Agiabiden, Fatimiden
und Zeiriden, deren letzter, Hassan ben Ali, 1140 von dem
König Roger II. von Sizilien vertrieben wurde, der Tripolis
besetzte; die Sizilianer wurden ihrerseits schon 1160 wieder
durch die Almohaden von Marokko ersetzt, und im 14. Jahr-
hundert war Tripolis unter den Abu Hafiden mit Tunis ver-
einigt, erlangte aber Ende des 15. Jahrhunderts seine Selb-
ständigkeit wieder.
Im Jahre 1510 wurde die Stadt Tripolis von den
Spaniern unter dem Grafen Pietro von Navarra erobert
und ein spanischer Statthalter eingesetzt, 1530 überließ sie
dann Karl V. den Johannitern zum Lehen, doch wurde
die Burg 1551 von Dragut, einem ehemaligen Unterbefehls-
haber Cheireddins, den wir schon in Tunesien kennen ge-
lernt haben , erobert, und die Stadt wurde seitdem einer der
Hauptsitze der Seeräuberei an der nordafrikanischen Küste.
.Auch Tripolis unterstand nunmehr der Pforte, und im
übrigen herrschte hier dieselbe Miliz- und Säbelwirtschaft,
— 202 —
entwickelte sich allmählich dieselbe anarchistische Janit-
scharen-Despotie, wie in Algerien und Tunesien.
Den Seeräubereien von Tripolis suchte zunächst der
englische Admiral Blake im Jahre 1663 durch Vertrag eine
Grenze zu setzen, und als die Piraten sich wortbrüchig
zeigten, zerstörte John Narborough einen Teil der Haupt-
stadt. 1681 ließ auch Ludwig XIV. durch den Admiral Du-
quesne die tripolitanischen Korsaren im Hafen von Skio
angreifen und viele ihrer Schiffe in den Grund bohren, und
1685 bombardierte Duquesne die Stadt Tripolis selbst so
erfolgreich, daß der Dei den Frieden mit einer halben Mil-
lion Livres erkaufen mußte.
im Jahre 1714 machte sich der Araberscheich Ahmed
Bei, dadurch, daß er die gesamte türkische Garnison von
Tripolis, etwa 400 Mann, gelegentlich eines Festes ermorden
ließ, fast unabhängig von der Pforte, indem er nur noch
Tribut zahlte, und gründete die Dynastie der Karamanli,
welche bis 1835 herrschte. Der 1728 unternommene neue
Kriegszug der Franzosen gegen Tripolis endete zwar mit
der fast vollständigen Zerstörung der Stadt, aber im allge-
meinen war die Herrschaft von Ahmed, wie seiner beiden
Nachfolger Mohammed und ,^li, eine verhältnismäßig gute.
Der Bruderkampf unter Alis Söhnen veraniaßte schon 1793
die Pforte zu einem Einschreiten, unangenehmer aber wurde
zunächst Nordamerika. Die Amerikaner waren nämlich
schließlich die ersten, deren Kongreß es weder respektabel,
noch profitabel fand, weiteren Tribut zu zahlen, und so
wurde denn zur Strafe für begangene Piraterien und zum
Zwecke der Befreiung von dem Tribut 1804 die kleine
amerikanische Flotte nach Afrika geschickt. Kapitän Decatur
machte seinen berühmten Angriff auf Tripolis, und der
amerikanische Konsul in Tunis, General Eaton, drang, nach-
dem sich Amerika mit Sidi Achmed, dem Bruder des Paschas
- 203 -
von Ägypten verbunden, nunmehr von dort aus mit einem
Marinekorps tief ins Innere vor und erstürmte am 25. April
1805 von der Landseite her den Seehafen Derna, während
die Flotte vom Hafen aus angriff. Am 4. Juni 1S05 wurde
darauf an Bord des amerikanischen Flaggschiffs von dem
eingeschüchterten Pascha Jussuf von Tripolis und von Kom-
modore Preble der Vertrag unterzeichnet, wonach der ameri-
kanische Tribut aufhörte.
Im Jahre 1816 schloß England durch Lord Exmouth
einen Vertrag wegen Abschaffung des Seeraubes und der
Christensklaverei, und nach dem Fall von Algier, 1830, er-
zwang auch eine französische Flottenabteilung dieselben
Zugeständnisse.
Jussuf Pascha, der letzte Karamanli, hatte im ganzen
noch eine lange und glänzende Regierung, nach seiner Ab-
dankung aber entbrannte der Erbschaftsstreit, die Tripo-
litaner riefen diesmal selbst die Pforte um Wiederherstellung
geordneter V^erhältnisse an, und so zog der türkische Kom-
missar ganz ohne Gewaltanwendung als erster Wali 1835 in
Tripolis ein, und die Provinz wurde als Elajet dem türkischen
Reiche einverleibt. Weiterhin suchte man auch die Grenzen
nach dem Innern zu auszudehnen, besetzte 1841 Fessan,
1864 Ghadames und 1874 Ghat. 1869 wurde das bisher
dem Gouverneur von Tripolis unterstellte Barka als „Mutes-
sariflik Benghasi" von Tripolis getrennt; die Grenze gegen
Tunesien wurde 1886 geregelt, genau wenigstens nahe der
Küste.
Seit einer unglücklich verlaufenen Rebellion der tripoli-
tanischen Araber gegen die Türkenherrschaft während des
Krimkriegs herrscht zwar Ruhe im Lande, aber die Gleich-
gültigkeit, ja Stumpfsinnigkeit, und sodann die hier, fern von
Stambul, besonders krasse Ausbeutungspolitik der türkischen
Verwaltung haben das Land aus seiner Verwahrlosung und
— 204 —
Verarmung nicht erlösen können; die Ruhe ist eine Art
Kirchhofsruhe.
Das allgemeine Interesse wandte sich dem Lande erst
wieder zu, als Frankreich und England durch Vertrag
vom 21. März 1899 das Hinterland von Tripolitanien
unter sich aufteilten und Italien dadurch betreffs seiner
Mittelmeerstellung ernstlich besorgt wurde; englische Ver-
suche, die italienischen Bedenken zu entkräften, überzeugten
nicht, und deshalb suchte und fand man im Herbst 1901
eine Verständigung mit Frankreich darüber, daß dieses
Italien in Tripolitanien nicht hindernd in den Weg treten
werde, wogegen Frankreich freie Hand in Marokko gelassen
werden solle. Im italienischen Volke scheint allerdings zur
Zeit im allgemeinen keine Lust dafür zu bestehen, anstelle
innerer Reformen weitere afrikanische „Abenteuer" zu be-
treiben, und da französische Kolonialpolitiker bereits freund-
lichst angedeutet haben, daß im Falle der italienischen Okku-
pation die für den Karawanenhandel nach dem Tsadsee so
wichtigen Oasen Ghat und Ghadames Frankreich zufallen
würden, so wäre damit der Hauptwert der Aquisition über-
haupt in Frage gestellt.
Durch die Teilung des Fells, bevor man den Bären
erlegt, hat sich denn aber doch auch die Türkei bewogen
gesehen , diesem letzten ihrer Tore zu einer Welt von
90 Millionen Moslims in Afrika eine etwas erhöhte Auf-
merksamkeit zu schenken, Tripolitanien militärisch und ad-
ministrativ enger an das Reich anzugliedern und alte Ver-
säumnisse möglichst gut zu machen durch Verbesserung der
Verwaltung und des Militär-, Gerichts- und Polizeiwesens.
Am schließlichen Schicksal Tripolitaniens werden diese ver-
späteten Maßregeln aber kaum etwas ändern, wenn eine
„Eroberung" des Landes auch mit ernsten Schwierigkeiten
verschiedener Art zu rechnen haben würde.
— 205 —
Werfen wir schließlich auch noch einen Blick auf die
Geschichte des Oasengebiets von Fessan, des alten Pha-
zania, des Landes der Garamanten. Schon Herodot (450
V. Chr.) erwähnt die berühmte alte Hauptstadt Garama,
welche noch zur Zeit der arabischen Eroberung bestand,
von der heute aber nur noch einige Ruinen aus der Römer-
zeit existieren. Im Ostteil der Natronseen befinden sich
ebenfalls einige Ruinen und 50 kleine Pyramidengräber.
Wie bereits erwähnt, drangen die Römer bis hierher vor,
und Cornelius Baibus triumphierte im Jahre 19. v. Chr. über
das große, aber noch sehr unkultivierte Volk. Etwa 100
Jahre später gelangten noch einige römische Expeditionen
bis nach hier, dann tritt das küstenferne Land für einige Jahr-
hunderte aber gänzlich zurück. Das Christentum nahmen
die Garamanten erst 567 an, aber gegen Mitte des siebenten
Jahrhunderts wurde das Land mühelos von den Arabern
unter Okba erobert und der Islam eingeführt. Es herrschten
hier nun eigene Fürsten unter der Oberherrschaft der Aghla-
biden, Fatimiden, Ejjubiden usw. im 12. bis 14. Jahrhundert
dehnten die Könige von Kanem ihren Machtbereich bis nach
Fessan aus, das sie wohl hauptsächlich der unerschöpflichen
Salzgruben wegen schätzten, und von der zweiten Hälfte des
16. Jahrhunderts ab beginnt mit wechselndem Erfolg ein
energischer Kampf mit Tripolis, bis es diesem endlich
dauernd tributpflichtig wird. Um 1831 wurde Fessan unter
Abd ei Dschil wieder vollständig unabhängig, aber nachdem
sich die Türken erst einigermaßen in Tripolis sicher fühlten,
rückten sie auch gegen Fessan vor, Abd el Dschil fiel in
der entscheidenden Schlacht 1842, und Fessan wurde seitdem
türkische Provinz.
Tripoiitanien ist für eine ganze Reihe von Afrika- Forsdiuag.
forschem, darunter zahlreichen Deutschen, zur Zeit der
— 206 —
Blüte der Afrikaforschung, zum Ausgangspunkt ihrer Reisen
genommen worden, da es für die Erreichung Zentraiafrikas
die aussichtsreichsten Vorbedingungen bot; so finden wir hier
1797 Hornemann, 1846 47 und 1854 Vogel, 1850 Barth und
Overweg, 1860 61 Duveyrier, 1862 Moritz von Beurmann,
1864 65, 1868 69 und 1878 79 Gerhard Rohlfs, 1869 Nach-
tigal, 1873 — 76 den Botaniker Paul Ascherson, 1875 Bary,
1883 Schweinfurth, 1888 Quedenfeldt und 1895 u. f. Hugo
Grothe. Italiener waren in der tripolitanischen Forschung
überwiegend in der Cyrenaika beteiligt, wo wir 1817 della
Cella, 1828 Minutoli und 1881 Camperio und Haimann, den
Abkömmling einer nach Mailand ausgewanderten bayerischen
Familie finden, während Buonfanti 1883 von Tripolis nach
dem Tsadsee reiste. Freilich ist Tripolitanien, trotzdem es
vor den Toren Europas liegt, dank der türkischen Ab-
sperrungspolitik auch heute noch eins der unbekanntesten
Länder der Erde überhaupt.
besci^reitung ^^^ Umfang von Tripolitanien, d. h. des Wilajets Ta-
rabolos mit Fessan und des Mutessarifliks Benrhasi wird mit
1 051 000 qkm angegeben, und seine Grenze ist nur an der
2000 km langen Mittelmeerküste genau bestimmt, welche im
Westen bei Ras Adschir an Tunesien, im Osten am Golf von
Solum an ägyptisches Gebiet stößt; vom Ras Adschir zieht
die Grenze in gerader Linie nach der Oase von Ghadämes,
von da in zwei Bogen zu denjenigen von Ghat und Tümmo,
steigt dann wieder bis nahe zur Küste der großen Syrte
empor und beschreibt um die Halbinsel Barka einen Bogen,
der die Oasengruppe von Audschila einschließt.
Schon im Altertum waren die Syrten durch ihre Un-
tiefen und Sandbänke verrufen. Die meist niedrige und
sandige Küstenregion des eigentlichen Tripolitaniens ist
nur stellenweise in breiten Oasenbezirken von einer seßhaften
— 207 —
Bevölkerung besiedelt und kultiviert, so besonders in der
westlichen Küstenebene Dschefara, welche gutes Weideland
und namentlich in der Nähe der Hauptstadt selbst schöne
Kulturen aufweist. Dahinter steigt das Land zu einem 300 m
hohen, von vulkanischen Hügeln übersäten Plateau an, an
das sich weiter südlich das über 800 m hohe Hochland des
Dschebel Ghurian anschließt, dessen tief eingeschnittene und
fleißig bestellte Täler von großer Fruchtbarkeit sind und
schönste Weideflächen bieten; neben einer verhältnismäßig
wohlhabenden seßhaften Bevölkerung sind auch die Zelte
ruheloser Nomaden hier zu finden. Südlich davon wird
das eigentliche Tripolitanien von Fessan durch die fast
100 000 qkm große Terrasse Hammada el Homra, getrennt,
an welche sich im Osten die bis 900 m hohen Schwarzen
Berge (Dschebel Soda) anschließen. Die charakteristische
Teilung des Landes, wie sie der Atlas von Marokko bis
Tunesien bildet, kommt bei Tripolis in Wegfall, und durch
das Fehlen der hohen Bergzüge ist auch die Bewässerung
Tripolitaniens nur dürftig, die Wadis sind fast stets trocken
und führen nur zur Frühjahrszeit starke Wassermassen,
welche die Erdbestandteile oft weit über die Ufer tragen
und so oasenartige Streifen für Pflanzen- und Baum wuchs
bilden; doch findet man in den Flußbetten durch Nach-
graben in geringer Tiefe fast überall Wasser.
Fessan bildet eine große Hochfläche von 310 — 500 m
Höhe, über die einzelne Bergzüge emporragen, nackt und
wüst, wie der größte Teil des Landes, dessen Südwesten die
steinige Hammada von Mursuk und die Sanddünen von
Fdeyen erfüllen; die Sandsteinberge werden durch öde enge
Täler ohne jegliche Spur organischen Lebens voneinander
getrennt. V'ielfach sind die wasserlosen Wüsten mit Salz-
ausblühungen bedeckt, und nordwestlich von Mursuk sind
auch Natronseen vorhanden. Fließende Gewässer fehlen
— 208 —
auch hier durchaus, die großen Wadis sind breite Täler, in
denen Wasser ebenfalls durch Nachgraben in geringer- Tiefe
zu erlangen ist, und die neben einzelnen blühenden Oasen
den allein bewohnbaren Teil des Landes ausmachen.
Die Halbinsel Barka endlich bildet die äußerste, gut
bewässerte und vegetationsreiche Randlandschaft des libyschen
Küstenplateaus, das sich jenseits der Wasserscheide, durch-
schnittlich 40 — 45 km landeinwärts, allmählich nach der
libyschen Wüste zu senkt, die hier eine Höhe von 100 bis
150 m ü. M. hat, und zwar sind in dem Küstengebirge zwei
größere, durch die Bomba- Bucht getrennte Teile zu unter-
scheiden: Der westliche Dschebel el Achdar mit einer mitt-
leren Höhe von 400 — 500 m und Höchsterhebungen von
wahrscheinlich 850 m, und der östliche Dschebel Akabah
mit einer mittleren Höhe von nur 250 m. Das libysche
Küstenplateau besteht in seinem Massiv überwiegend aus
hartem, meist weißem Kalkstein, dessen Karstformation
zahlreiche Kesseleinbrüche und — stellenweise auch als
Wohnungen benutzte — Höhlen aufweist, dagegen zeigt der
Küstenrand, die sogenannte Barka el Homra, die „Rote",
im Gegensatz zu der eben beschriebenen „Weißen" oder
Barka el Beida, meist fruchtbaren, roten Zersetzungslehm,
der nach Süden zu dürftiger wird und allmählich in Sand
übergeht. Die Barka el Homra ist Kulturland und er-
streckt sich von der Küste aus durchschnittlich 40 km landein;
die Barka el Beida ist Steppe, und die Grenze zwischen
dieser und der Wüste ist keine schroffe, sondern es findet
ein allmählicher Übergang statt, der sogar jährlichen Schwan-
kungen ausgesetzt ist. Wenn auch nur von kleinen und nur
im Winter wasserführenden Küstenflüssen durchschnitten, von
denen keiner schiffbar, ist der Nordteil doch mit ergiebigen,
reichlich fließenden Quellen versehen und empfängt genügend
Regen; die Berge sind hier denn auch auf der Nordseite mit
— 209 —
majestätischen Wäldern bestanden, Palmen- und Olivenhaine
bedecken die Ebenen, und gute Jagdreviere gehen nach dem
Meere zu in fruchtbares Ackerland über. In den Karst-
bildungen gibt es jedenfalls große Massen Wassers, die un-
terirdisch aufgestapelt sind und abfließen, stellenweise als
Quellen wieder zutage tretend, teilweise aber auch unter-
irdisch direkt zum Meere ziehend; diese Wasserschätze sind
bislang nicht ausgenutzt. Im südlichen weißen Barka da-
gegen hört nach einem mit Sträuchern und Haifa bestandenen
Gürtel fast jede Vegetation auf.
Die EntWickelung der überall durch starke Brandung
benagten Küste von Barka ist, der Natur des Schollen-
landes entsprechend, keine günstige, und die hier liegenden
Häfen konnten zwar den bescheidenen Bedürfnissen früherer
Zeiten genügen, nicht aber den Ansprüchen der Neuzeit;
nur Bomba und Tobruk bieten wirklich gute Naturhäfen,
und Benghasi hat Ansätze zu einem solchen. Die 3S2 km
lange, geradlinige und von Strandseen umsäumte Küstenlinie
vom Dschebel Dscheria, der gewöhnlich als Qrenzpunkt der
Cyrenaika gilt, bis nach Tolmeida ist eine öde, dünenbesetzte
und verkehrsfeindliche Flachküste, durch zahlreiche vor-
liegende Untiefen, Sandbänke und Klippen gefährdet und
weist im Gegensatz zu dem sonst so gut wie insellosem
Syrtengebiet auch einige Inseln auf. Dagegen bildet die
603 km lange Küste zwischen Tolmeida und dem Golf von
Solum eine wenig ausgebuchtete, zum großen Teil ebenfalls
von Klippen begleitete Steilküste, die nur stellenweise von
einer Schwemmlandküste unterbrochen ist.
Das Klima, im allgemeinen regelmäßig und gesund, Kiima.
hat einen mehr kontinentalen Charakter als die anderen
Mittelmeerländer und weist an der Küste eine Mitteltemperatur
von 20—22 ", in der Oase Dschofra nördlich von Fessan
Schanz, Algerien, Tunesien, Tripolitanien. 14
- 210 -
30 " auf; dagegen fällt hier zuweilen Schnee und sinkt die
Temperatur, ebenso wie in den Schwarzen Bergen, bis zu
5" unter dem Gefrierpunkt, während der Sommer sehr
heiß ist, besonders wenn der Samum aus der Sahara weht.
Die mittlere Jahrestemperatur beträgt in den Städten Tripolis
und Benghasi etwa 20". Der Regenfall ist an der Küste,
mit Ausnahme von Barka, das eine jährliche Regenmenge
von 35-- 50 cm besitzt, gering und bleibt im Innern sogar
jahrelang aus; der Sommer, April — September, ist fast
regenlos, auf den Hochplateaus aber durch starken und
regelmäßigen Tau etwas gemildert. In Fessan kommt es
sehr selten zu Niederschlägen, und selbst Tau fehlt dort fast
ganz. Das Regenmaximum liegt im Dezember; die mittlere
jährliche Regenmenge der Städte Tripolis und Benghasi be-
trägt etwa 45 cm. Zur Bewässerung des Landes sind
Brunnen von geringer Tiefe zahlreich vorhanden.
Flora. Die Vegetation des eigentlichen Tripolitaniens und
der Cyrenaika sind ganz wesentlich verschieden. Charak-
teristisch für die letztere sind die waldbildenden Nadelhölzer
von Zypressen, Aleppokiefern und baumartigen Juniperus
neben den dichten Macchien der Mittelmeerflora, die am
reinsten am Nordabhang des Barkaplateaus auftritt und nach
Süden hin allmählich über eine Mischflora zur Saharaflora
übergeht. Im eigentlichen Tripolitanien dagegen scheint
es Wälder heutigen Tages überhaupt nicht mehr zu geben,
von Gesträuchformation sind hier nur Rosmarin, Stachel-
ginster, der Mastix und eine Eiche, alle nur spärlich ver-
treten; Juniperus, hier die einzige und seltene Konifere, und
der Johannisbrotbaum sind auf die unmittelbare Nähe der
Küste beschränkt, welche zwar auch sonst nicht ganz medi-
terraner Formen entbehrt, strichweise aber bereits Sahara-
typus aufweist, der dann in Fessan völlig ausgebildet ist.
— 211 —
Die atlantische Pistazie findet in Tripolis ihre Ostgrenze,
Kameldorn und arabische Akazien ihre Westgrenze. Auf den
meist kahlen Berghöhen des Innern findet man nur Lentisken,
Tamarinden und Artemisien, während in den kraterartigen
Bodeneinsenkungen und auf den Plateauflächen Haifagräser,
Euphorbia dendroides, Rhamnus und Capparis wuchern und
zahlreicher Pflanzenwuchs nur in den Oasen anzutreffen ist,
deren Charakterpflanze auch hier die Dattelpalme bildet.
\''on den Haifagräsern scheint die Stipa nicht über die
tripolitanische Grenze hinauszugehen, dagegen ist Lygeum
noch in der Cyrenaika häufig. Auch der Bast von Thymelea
hirsuta dient zu Stricken und Matten. Trüffeln sind im
Sandboden stellenweise sehr zahlreich und groß und werden
als Nahrungsmittel geschätzt. Von den wildwachsenden
Pflanzen Fessans sind besonders ein Tamarixstrauch und die
stachliche Papilionacee Alhagi erwähnenswert.
Die Fauna trägt den nordafrikanischen Charakter, ist Fauna,
aber ärmer als die von Tunesien und Algerien und weist
unter den wilden Tieren Hyäne, Schakal, Wüstenfuchs, Gazelle,
Mähnenschaf, Wildschwein, Hase und Kaninchen, von Vögeln
u. a. den Strauß, das rote Rebhuhn und die Wachtel auf.
Was die Bevölkerung anbetrifft, so betrug dieselbe uevöikcrum
nach einer Schätzung des türkischen Unterrichtsministeriums
von 1877 in Tripolitanien 708 000, in Barka einschließlich
der Oasen Audschila, Dschalo und Leschkerreh 302 000.
Nach neueren Angaben nimmt man das eigentliche Tripoli-
tanien mit 910 000 Seelen an, wovon 360 000 auf das Sand-
schak Tripolis, 350000 auf Dschebel und 200 000 auf Choms
kommen, und schätzt Fessan mit 120 000 Köpfen ein. Von
dieser Gesamtzahl waren nur 20 000 Nichtmohammedaner,
nämlich 15 000 Juden und 5000 Europäer und Kopten.
14*
— 212 —
In der Hauptsache besteht die Bevölkerung aus
Arabern und Berbern, und dazu treten, nach Süden zu
an Zahl zunehmend, Neger, die meist durch Sklavenhandel
aus Zentralafrika, namentlich aus Bornu eingeführt sind.
Die Gesamtzahl der Neger mag ungefähr 50 000 betragen,
sie zeigen aber eine große Sterblichkeit, und die dadurch
gerissenen Lücken werden heute nicht mehr wie früher
durch den Sklavenhandel ausgeglichen; an der Küste be-
finden sie sich überhaupt nirgends mehr in Sklavenstellung,
wohl aber noch im Gebirge. Farbiges Blut rinnt, in den
verschiedensten Abstufungen, in den Adern eines großen
Teils der Tripolitaner.
Die arabische Bevölkerung hat die berberische fast
überall absorbiert, und die letztere ist nur noch an wenigen
Punkten deutlich erkennbar, so in den Bergländern und den
Oasen Audschila und Dschofra, sie tritt mehr im Westen
hervor, als im Osten. Die in den Städten ansässigen Araber
treiben vielfach Handel, meist Karawanenhandel, die Be-
duinen hauptsächlich Viehzucht. Der tripolitanische und
ägyptische Landesdialekt ist wesentlich abweichend von dem
im Westen gesprochenen Maghrebin -Arabisch.
Die Türken, angeblich 50000, sind fast ausschließlich
Beamte und Soldaten und bleiben fast ohne Berührung mit
den Landeskindern.
Die Kuluglis, auch angeblich 50000, Mischlinge von
osttürkischen Janitscharen mit eingeborenen Frauen, wurden
ihrer hervorragenden Seeräuberqualitäten wegen besonders
an der Küste angesiedelt und verschmolzen allmählich ganz
mit der einheimischen Araberbevölkerung.
Die etwa 15 000 tripolitanischen Juden, von den tür-
kischen Behörden verhältnismäßig wenig bedrückt, sind
streng orthodox, zeichnen sich vor ihren tunesischen und
algerischen Glaubensgenossen aber durch große Umgang-
— 213 -
lichkeit, üastfreundschaft und regen Bildungseifer aus, sind
körperlich allerdings noch schmutziger. Auch hier haben
sie den größten Teil des Handels in den Händen, daneben
treiben sie aber auch Handwerke und sogar Ackerbau.
Die Einwohner Fessans sind teils Abkömmlinge der
alten Garamanten, die man als Zwischenglieder von Libyern
und Äthiopiern auch Melanogätuler nennt, meist aber ge-
mischte Elemente und Angehörige ganz fremder, zentral-
afrikanischer Stämme; sie bilden den Übergang der Be-
wohner der Nordküste und der Wüstenstämme einerseits,
zu den Sudanesen anderseits.
Unter den Europäern, welche hauptsächlich in Tri- Fremde,
polis und sodann in den anderen Städten leben, stehen der
Zahl nach obenan die Malteser mit etwa 4 000 Seelen,
welche den Eingeborenen an Sitte und Sprache am meisten
gleichen und als Kleinhändler, Handwerker, Fischer und Ge-
müsehändler tätig sind, während ihre Frauen als Köchinnen,
Näherinnen und Wäscherinnen arbeiten; als Geschäfts-
vermittler und Zwischenhändler machen die Malteser auch
den Juden Konkurrenz.
Die Italiener zählen 5—600 Köpfe, und das italienische
ist in Tripolis und in Benghasi unter den Europäern und
den europäisch Gebildeten durchaus die Umgangs- und Ver-
kehrssprache. Gemäß dem von Crispi geschaffenen System
der Regierungsschulen im Ausland unterhält die italienische
Regierung in der Stadt Tripolis eine Realschule, je eine
Elementarschule für Knaben und Mädchen, einen Kinder-
garten, Handarbeitskurse für Mädchen und Abendunterrichts-
kurse für Erwachsene, wie Verheiratete, desgleichen Elemen-
tarschulen in Choms und Benghasi. In diesen so mannig-
fach gestalteten Unterrichtsanstalten mit 35 vom Staate
besoldeten Lehrern und Lehrerinnen werden jährlich 5 — 600
- 214 -
Kindern — darunter 80 ^\, Juden — der italienischen Sprache
zugeführt und als Pioniere für italienischen Einfluß und
Handel gewonnen.
In französischer Sprache unterrichten in Tripolis die
Soeurs de St. Joseph, die Freres marianistes einer franzö-
sischen freien Ordensgesellschaft und die von der Pariser
Alliance israelite unterhaltene Schule.
Andere Europäer neben den Maltesern und Italienern,
mit Ausnahme von etwa 100 Griechen, sind nur in
Dutzenden vertreten; selbst in der Stadt Tripolis bilden nur
etwa 100 Menschen die europäische „Gesellschaft", nämlich
die Berufskonsuln, die Beamten der Schiffahrtsgesellschaften
und der italienischen und französischen Post, einige englische
Missionare und Kaufleute, 10 Brüder der Freres marianistes,
ein Dutzend italienischer Franziskaner unter einem aus Malta
gesandten Bischof und etwa 30 italienische Lehrer und
Lehrerinnen; einen gemeinsamen Sammelpunkt besitzt diese
europäische Kolonie aber nicht, und das gesellige Leben in
Tripolis ist gleich null. Auch eine Zeitung erscheint bis-
lang nicht.
Berufskonsulate werden nur von Italien, Frankreich
und England unterhalten, Deutschland ist in Tripolis durch
einen italienischen Großkaufmann vertreten, der aber kein
Deutsch spricht. „Konsul" irgend eines fremden Staates zu
werden, bildet den höchsten Ehrgeiz der Eingeborenen.
Was den Erwerb von Grundeigentum seitens Fremder
anbetrifft, so widersetzt sich das Gesetz von 1883 jeder
Landkonzession an Europäer, und auch das Eindringen in
das tiefere Innere der Provinz ist Fremden seitens der tür-
kischen Behörden nur auf Grund eines in Konstantinopel
zu erwirkenden, besonderen kaiserlichen Fermans gestattet;
Italienern und Franzosen wird ein solcher im allgemeinen
nicht zuteil, ersteren aus allgemeinpolitischen, letzteren aus
- 215 -
handelspolitischen Befürchtungen, da man bei den einen die
Annektierung, bei den anderen den Wunsch der Ablenkung
des Karawanenhandels nach französischem Gebiet wittert.
Außerdem haben die tripolitanischen Beamten auch Furcht
vor Verantworthchkeit und Strafe im Falle eines Fremde
betreffenden Unglücks im Innern. Erst im April 1904 ist
den fremden Konsuln, auf Grund von Schwierigkeiten,
welche durch Reisen von englischen und deutschen Mis-
sionaren hervorgerufen wurden, erneut eingeschärft worden,
daß nur mit Erlaubnis versehene Personen die Reise ins
Innere antreten dürfen.
Die ottomanische Provinz Tripolitanien, Tarabulus Verwaltung,
i gharb, d. h. des Westens im Gegensatz zu dem syrischen
Tripolis genannt und bislang von der Pforte neben Yemen
am stiefmütterlichsten behandelt, ist einem vom Sultan er-
nannten Generalgouverneur oder W^ali, gewöhnlich einem
General, unterstellt, dem fünf Minister für Finanzen, Rechts-
pflege, Auswärtiges, Militär und indirekte Abgaben zur Seite
stehen. Für die Lokalverwaltung ist das Wilajet in Kreise
oder Sandschaks geteilt, seit 1902 deren fünf, die unter
Gouverneuren oder Mutessarifs stehen; es sind dies: die
Westküste mit der Stadt Tripolis; die Ostküste mit Choms;
das Gebirgsland Dschebel mit Ghadämes; ' Fessan mit derl
Hauptstadt Mursuk und das bis 1902 letzterem angegliedert!
gewesene Ghat. Für die Kantone oder Kasas sind 23 Gou-
verneur- Stellvertreter oder Kaimakam. für eine Anzahl von
Gemeinden oder Nahije 18 Bürgermeister oder Mudir tätig.
Diese Beamten sind meist nach hier verbannte Türken,
deren Hauptaufgabe in der Eintreibung von Steuern und
Abgaben besteht, und die teilweise nicht einmal des Ara-
bischen mächtig sind. Daneben hat jeder Stamm, jeder Ort
seinen von der Regierung eingesetzten Scheich , der die
- 216 —
Abgaben einzutreiben, oft auch Recht zu sprechen hat; in
den Berberdörfern ist ein solcher Scheich einfach Gemeinde-
vorsteher.
Das früher von Tripolis aus verwaltete Benghasi ist
seit 1869 direkt dem Ministerium des Innern in Stambul
unterstellt und wird von einern Mutessarif verwaltet, welcher
der Pforte jährlich 4000 Beutel oder 3 Millionen Mark zahlt.
Die jährlichen Einkünfte des Wilajets Tarabulus
scheinen 5^2 — 6^2 Millionen Mark zu erreichen, wozu
Fessan etwa 800 000 Piaster oder 150 000 Mark beiträgt;
aber bei der doppelten Verwaltung, einer türkischen und
einer einheimischen, hat die Bevölkerung durch unrecht-
mäßige Erpressungen, die besonders im Innern schlimm
sind, weit mehr aufzubringen.
Die Haupteinnahmen fließen aus den Zehnten von
Herden, Weizen und Gerste, aus den staatlichen Palm-
beständen, aus Abgaben auf Dattelpalmen und Olivenbäume,
aus der Salzgewinnung, den Zöllen der Tabakregie und ver-
schiedenen Lizenzen. Das alte Zehntensystem in Naturalien
durch Vermittlung der Scheichs, welche bei Eintreibung und
Abführung derselben stets Gelegenheit hatten, auch für ihre
eigene Tasche zu sorgen, ist seit 1902 durch Einführung
einer Grund- und Gebäudesteuer und einer allgemeinen
Kopfsteuer ersetzt worden.
Die Kriminal Justiz ist ebenso summarisch, wie die
gesamte Verwaltung, in religiöser Beziehung macht sich der
Einfluß des fremdenfeindlichen Senussi- Ordens geltend, des
eifrigen Förderers des panislamitischen Gedankens in Nord-
afrika, der seinen Zentralsitz in Borku, im Hinterland von
Tripolitanien hat.
Verteidigung. Die militärische Besatzung besteht aus einer selb-
ständigen Division von 17 Bataillonen, 10 Eskadrons Ka-
vallerie und 1 Regiment Artillerie, 4 fahrenden und 2 Gebirgs-
— 217 —
batterien, unter einem Muschir oder Militärgouverneur, der
in seinem Ressort von dem Wali unabhängig ist. Außer in
Tripolis, wo etwa die Hälfte der Truppen untergebracht
ist, und Benghasi mit ungefähr 3000 Mann stehen je ein De-
tachement Kavallerie und Artillerie nur in Choms und in
einer Garnison an der tunesischen Grenze, Militärposten
zwischen dieser und der ägyptischen Grenze aber sind der
ganzen Küste entlang in Abständen von 40 — 50 km ver-
treten. Bis zum Jahre 1897 zählte die bewaffnete Macht
Tripolitaniens nur 5000 Mann, seitdem hat man sie aber
auf etwa 8000 Mann Türken gebracht, teilweise aus Europa
verbannten Soldaten, neben denen als Hülfstruppen früher
die unregelmäßige Reiterei der Kuluglis, die Gendarmen
und eine Art Eingeborenen-Miliz standen; den Kuluglis waren
die Offiziersgrade verschlossen, sie genossen aber Steuer-
freiheit. Die berittenen Polizeisoldaten oder Sapties, etwa
500, stehen unter einem besonderen Chef in Tripolis und
werden in Abteilungen von 6 — 12 Mann den einzelnen Kai-
makams zur Verfügung gestellt. Im Jahre 1901, nach Ab-
schluß des den türkischen Besitz gefährdenden italienisch-
französischen Abkommens, hat die Türkei weitere Schritte
getroffen, um das Gebiet in Verteidigungszustand zu setzen,
man führte dort die allgemeine zweijährige Wehrpflicht ein
und beschloß, einige alte, ungünstig gelegene Küsten-
befestigungen zu demolieren, andere instand zu setzen und
neu zu errichten. Im Frühjahr 1904 verfügte der türkische
Ministerrat angesichts der Verhandlungen über die Marokko-
frage eine weitere wesentliche Verstärkung der Garnisonen
in Tripolis, wohin 4000 Mann Linientruppen aus Kleinasien
verschifft werden sollen, während man gleichzeitig die ein-
geborene Miliz ersten Grades mit neuen Gewehren ver-
sorgen will. Hat die Provinz bislang schon keine Über-
schüsse ergeben, sondern vielmehr Zuschüsse erfordert, so
— 218 -
wird sich dies ungünstige Verhältnis nunmehr noch ver-
schärfen.
Vor Tripolis ist auch eine türkische Fregatte von
dem übh'chen harmlosen Typus als Wachtschiff stationiert.
Die Flagge von Tunis ist die türkische: Rot mit
weißem Halbmond und Stern.
Landwirtschaft. Betrachten wir nun den wirtschaftlichen Wert des
Landes, so finden wir zunächst, daß das eigentliche Tripo-
litanien bei weitem nicht so fruchtbar ist, wie die übrigen,
ihm sonst ähnlichen afrikanischen Mittelmeerländer; drei
Fünftel des Landes, die vegetationslose Region der Hamma-
das und Serirs, der Fels- und Kieselwüsten und der Sand-
dünen des Inlands, werden immer unwirtlich und jeder
Bodenpflege verschlossen bleiben. Dagegen bieten einzelne
Striche im Küstengebiet und den Randgebirgen, sowie die
Oasen des Hinterlands ein für alle Kulturen der gemäßigten
und der tropischen Zone geeignetes Kolonisationsland un-
gefähr von der Größe Süddeutschlands, und das durch die
Araber seines ehemaligen Waldbestands fast völlig entblößte
Land würde sehr ertragreich sein, wenn ihm Bewässerung
und Bearbeitung durch bessere Ackergeräte, statt der jetzigen,
äußerst primitiven, zuteil würde. Die vielfachen Reste
römischer Bewässerungsanlagen zeigen, wie stark das Land
der Syrten s. Z. von der römischen Landwirtschaft nutzbar
gemacht worden war.
In der Cyrenaika findet sich fast überall jungfräu-
licher, tiefgründiger und überaus fruchtbarer Boden für
Ackerbau, der heute allerdings nur denkbar primitiv be-
trieben und angesichts des Erpressungssystems der Steuer-
beamten auf ein Minimum beschränkt ist; ist doch von dem
Kulturland der Cyrenaika, das man auf etwa 45 000 qkm
schätzt, noch nicht der zwanzigste Teil bearbeitet. Man
— 219 —
rechnet hier auf 5 Jahre 2 gute, 2 mittelmäßige und 1
schlechte Ernte. Auch das Küstenland der Marmarika
zwischen Bomba und Alexandrien ist auf 30- 60 km Breite
vielfach kultivierbares Land.
Im allgemeinen ist der Araber ein schlechter Acker-
bauer, und der hiesige Grundbesitzer pflegt die Urbarmachung
und Bepflanzung eines jungfräulichen Stück Landes meist
auf 10 Jahre und mehr mit der Bestimmung zu verpachten,
daß mindestens die Hälfte des Bodens für Dattelpalmen und
Oliven verwandt wird; vom Ertrage dieser fällt die Hälfte
dem Verpächter zu, während der Ertrag des Gemüsebaus
ganz dem Pächter gehört. Saatgut und Dünger fallen dem
letzteren zur Last, werden sie aber vom Grundbesitzer ge-
liefert, so stehen diesem '4 der Früchte zu. Gewöhnlich
wird der Hektar mit 100 Dattelpalmen oder Olivenbäumen
bepflanzt, und deren jährlicher Ertrag ist etwa 8 — 10 Mark.
Ein Wohnhaus aufzuführen und einen Brunnen zu graben
ist dem Pächter nur dann gestattet, wenn er jede Anlage
doppelt ausführt. Nach Ablauf der Vertragszeit wird die
bestellte Fläche in zwei gleich wertvolle Teile geteilt: Einer
kehrt in die Hände des Verpächters zurück, der nun ein
wohlgepflegtes Gartenland sein eigen nennen kann; der
andere verbleibt dem bisherigen Pächter, der nun zum Lohne
seiner Mühen selbst Grundbesitzer wird. Die Einrichtung
ist dieselbe, wie die in Tunesien als Mrarsa beschriebene.
Dieses System existiert nicht nur im eigentlichen Tripolitanien,
sondern auch in der Umgebung von Benghasi und Derna.
Anderwärts wird das Eigentumsrecht durch drei Jahre hinter-
einander erfolgende Bebauung des Landes erworben, wobei
der Staat aber immer Obereigentümer bleibt und von allem
den Zehnten erhebt.
Der Zerealien bau, der in den Steppenstrichen der
Sahel und längs der großen Syrte eine gute Zukunft hätte,
— 220 —
ist heute zwar nur beschränkt, doch wird bei guter Ernte
immerhin ein Getreideexport mögh'ch, und die hiesige
Gerste ist in England für Brauzwecke beliebt; im Jahre 1901
konnten davon aus dem eigenth'chen Tripolitanien für eine
halbe Million Mark ausgeführt werden, während im Vor-
jahre, infolge schlechter Ernte, ein gleicher Betrag von Ge-
treide eingeführt werden mußte, und Mehl muß sogar ständig
in großen Mengen importiert werden. Gebaut wird beson-
ders Gerste, daneben Weizen, Neger- und Mohrenhirse, Mais,
Saubohnen und Erdnüsse, weiße, gelbe und rote Rüben,
Kürbisse, Artischocken, spanischer Pfeffer, Fenchel, Kümmel
und Klee.
Tabakbau, unter Anleitung der Regie bisher nur in
Suära mit Erfolg betrieben, hätte auch anderweit — wie in
Derna, wo er in kleinem Maße besteht — gute Aussichten,
und in Fessan würden Baumwolle und Indigo vorzüglich
gedeihen. Bedeutende Fortschritte macht die Kultur der
Henna- Pflanze (Lawsonia inermis) nicht nur wegen des Be-
darfs im Lande selbst, sondern auch wegen der stetig wach-
senden Nachfrage im übrigen Nordafrika, wo die einge-
borenen Frauen Hände und Füße mit der orange bis tief-
dunkelbraunen Farbe „verschönen". Die Saff ran-Kultur,
früher blühend, ist heute gänzlich vernachlässigt.
Von Obst sind vertreten Feigen, Mandeln, Pfirsiche,
Aprikosen, Granaten, Bananen und Wein, meist alle mit
sehr mittelmäßigen Früchten, dazu Melonen und bei be-
sonderer Pflege Apfelsinen, Limonen und Pommeranzen.
Opuntien, Agaven und Aloes bilden auch hier die Hecken
der Gärten. Oliven dienen bislang hauptsächlich den Be-
dürfnissen der einheimischen Bevölkerung, sind vielfach ganz
verwildert, sodaß die Früchte nur als Viehfutter verwendet
werden, und könnten, ebenso wie Wein, an der Küste, wie
im Bergland noch weit mehr angepflanzt und besser ge-
221
pflegt werden. Auch der Maulbeerbaum gedeiht vorzüg-
lich und könnte die Grundlage einer jetzt noch gänzlich
fehlenden Seidenraupenzucht bieten. Den wahren Reichtum
des Innern, besonders der Oasen, bilden die in vielen
Varietäten vertretenen Dattelpalmen, wovon im nördlichen
Tripolitanien 2 Millionen Stück — eine Million allein in der
Nähe der Hauptstadt — stehen, während Barka etwa 100 000,
die Oasengruppe von Audschila 200 000, Fessan aber 5 — 6
Millionen aufweist, wovon mindestens 700 000 Abgaben von
je 1 — P- Piaster zahlen. Die Ausfuhr von Haifa hat in
den letzten Jahren einen schönen Umfang angenommen und
liefert jetzt bereits die Hauptausfuhrwerte überhaupt; die
Eingeborenen haben von vornherein erkannt, welche Schätze
sie in dieser Pflanze besitzen, und sich durch rationelle Wirt-
schaft das Gut erhalten, indem sie das Gras abschnitten und
nicht ausrissen. Auch die Wurzeln der Farbpflanze Krapp
(Rubia), deren Blätter als Viehfutter dienen, werden von den
Eingeborenen gesammelt.
Die Viehzucht ist im eigentlichen Tripolitanien nicht Viehzucht,
bedeutend; die früher recht ansehnliche Zucht von Rindern
wird jetzt nur an der Küste betrieben, und im Dschebel Soda
gibt es kleine Herden minderwertiger Schläge; die von dort
nach Fessan eingeführten Tiere vermochten dem Klima nur
sehr schwer zu widerstehen. Auch die Pferde sind wenig
zahlreich, die von Benghasi zwar klein und häßlich, dabei
aber sehr ausdauernd, schnell und genügsam; einige Stämme
treiben in Barka übrigens noch jetzt eine von alters her be-
rühmte Pferdezucht. Die zahlreicheren Esel dienen be-
sonders den Warentransporten. Von Schafen gibt es
zwei Arten, eine mit Fettschwanz und reichlicher, aber grober
Wolle im Norden, und eine mit langem Hals und Schwanz
und mit Haaren statt der Wolle im Süden. Ziegen bilden
222
auch hier viehach den Hauptreichtum der Eingeborenen.
Recht zahlreich war der Viehstand in der Cyrenaika, bis er
1892 stark geh'chtet wurde durch ganz verunglückte Ernten,
welche abnorm geringem Regenfall und zahlreichen Heu-
schreckenschwärmen folgten und neben einer furchtbaren
Hungersnot auch eine entsetzliche Viehseuche verursachten.
Trotzdem schätzte man Ende des Jahrhunderts die Cyre-
naika wieder mit 6 Millionen Schafen, 2 Millionen Ziegen,
.^ 50000 Rindern und 20 000 Pferden ein. f Sowohl auf dem
Hochplateau von Barka, wie auch in dem östlich daran
stoßenden Teil gibt es herrliche Weidegründe. Selbst die
Syrtengegend ist starkem jahreszeitlichen Wechsel ihres Aus-
sehens unterworfen und bietet im Winter auf sehr bedeuten-
den, sonst wüstenartigen Flächen vorzügliches Weideland.
Das wichtigste Haustier jedoch ist das Kamel, von denen
sich die vom Dschebel Soda durch ihre Größe und durch
die reichliche Wolle auszeichnen, welche den Stoff zu Zelt-
tüchern und Teppichen liefert. Da das tripolitanische Kamel
ruhiger als sein ägyptischer Bruder ist, so bildet es eine ge-
suchte Ausfuhrware nach den Nilländern. " Straußenzucht
wäre recht aussichtsreich , wird bislang aber nicht betrieben.
Dagegen sind Haushühner und Tauben auch hier zahl-
reich vertreten, und daneben bietet in Fessan eine beliebte
Nahrung der in den Natronseen in großen Mengen gezüchtete,
2 cm lange Fessanwurm oder Dud, ein zu den Krebs-
tieren gehöriger Kiemenfuß, der mit Datteln und einer Alge
zu Brei gemischt, von den ärmeren Klassen gern gegessen
wird, da Fleisch dort selten und teuer ist. Seit einigen
Jahren liefert Barka auch Honig für die Ausfuhr.
Fischerei. D^s Meer liefert neben Fischen und Korallen auch
zahlreiche Schwämme, deren Fischerei von Tunis bis
Benghasi fast ausschließlich von griechischen Segelbarken
betrieben wird, während die Resultate einiger neuerdings
— 223 —
hinzugetretener italienischer Taucherboote hinter denen der
geübten griechischen Schwammfischer zurückblieben. Seit-
dem allerdings 1902 die Schvvammfischerei mit Skaphandern
innerhalb der Dreimeilenzone von der türkischen Regierung
verboten wurde, da man unter der Maske von Fischerei auch
Einschmuggelei von Waffen und Schießbedarf betrieb, ist die
griechische Schwammfischerflotte an der tripolitanischen
Küste zurückgegangen, worunter freilich auch die türkische
Schuldenverwaltung litt, in deren Taschen die Einkünfte aus
der Fischerei fließen. Die Syrten-Schwämme sind im allge-
meinen gröberer Art und nicht für feineren Toilettengebrauch
geeignet.
Über den Mineralreichtum weiß man bislang sehr Bodenschätze,
wenig. Man gewinnt Salz als Regierungsmonopol aus der
Sebcha von Tauarga, sowie bei Marsa Brega, Karkora,
Benghasi und Bomba, auch sonst ist es in den Seen und
Sümpfen der Küste entlang massenhaft zu finden. Schwefel
wird an der großen Syrte und Natron aus zwei Seen nord-
westlich von Mursuk gewonnen. Die Schwefelminen süd-
lich von Muktar wurden Mitte des vorigen Jahrhunderts von
einer Marseiller Gesellschaft exploriert, der Betrieb dann aber
auf Wunsch der Pforte eingestellt. Die Ausbeute des Natrons
ist Regierungsmonopol, und die Beduinen bringen es für
einen von der Regierung bestimmten niedrigen Satz etwa
7 Mark den Zentner auf Kamelen in 30 Tagereisen nach
Tripolis. Da diese Entlohnung aber ganz ungenügend ist,
so sammeln die Beduinen die Soda in jenen Gegenden lieber
heimlich und schmuggeln sie über die tunesische Grenze, wo
die französische V'erwaltung die willkommene Ware zollfrei
einläßt, wie sie überhaupt den Grenzverkehr nicht ohne Er-
folg begünstigt und erleichtert, um den Karawanenhandel
— 224 —
nach Gabes zu ziehen. Im Sande der nördh'chen Wadis
wird auch etwas Gold gefunden.
Gewerbe. Die Industrie, die auch hier mehr und mehr durch
das Vordringen europäischer Fabrikate eingedämmt wird,
beschränkt sich auf die Erzeugung von Wollstoffen in der
Stadt Tripolis und bei den nomadisierenden Stämmen; von
groben Woll- und Baumwoligeweben in Fessan, die ganz im
Lande selbst verbraucht werden; von sehr geschätzten Teppi-
chen inTraghen; von Teppichen, leichten Geweben und Glas-
waren in Mesrata; von Lederarbeiten in Ghadämes; ferner
von Stroh-, Schilf- und Palmettomatten und anderen Flech-
tereien, etwas Töpferei, Herstellung von Essenzen aus Rosen-,
Geranien-, Orangen- und Jasminblüten und auch aus der
Artemisia herba alba (Schih), Silberarbeiten und einiges an-
dere; so brennt man bei Derna Kalk, und in den Berg-
schluchten der Barka wird Köhlerei betrieben.
Neuerdings, 1901, ist in Tripolis eine sehr gut ausge-
stattete Industrieschule eröffnet worden.
Handel. Was den Handel anbetrifft, so erleichtert die zentrale
Lage des Landes im Mittelmeer die Pflege von Beziehungen
nach Ost und West hin, besonders aber bestimmt die natür-
liche Gestaltung das eigentliche Tripolitanien zum Haupt-
transitland für Zentralafrika; liegen doch die Abgangs-
punkte des Karawanenhandels, Tripolis, Choms und Benghasi,
dem Sudangebiet etwa 400 km näher, als die Häfen von
Algerien und Tunesien, da die Küste Nordafrikas hier am
weitesten nach Süden einbuchtet und das keilförmig tief ins
Innere eindringende Land in den Oasen Dschofra, Audschila,
Dschalo, Kufra und Fessan auf dem Wege nach Süden von
der Natur gegebene Halte- und Ruhepunkte für die Kara-
wanen und Sammelpunkte des innersaharischen Verkehrs,
— 225 —
dazu zahlreichere Brunnen, bedeutende Salzlager und ver-
hältnismäßige Sicherheit besitzt. Im Vergleich zu allen an-
deren Wüstenwegen sind die von Tripolitanien ausgehenden
die bequemsten. Der Wert der Provinz liegt denn auch zum
guten Teile in ihrem Hinterland, und zwar gehören zur
Handelssphäre Tripolitaniens, außer Fessan, die Gebiete von
Tibesti, Borku, Wadai, das Asben- Hochland, die Tuatoasen
und die Länder zwischen Niger und Tsadsee mit Timbuktu,
Sokoto, Katsena, Kano, Sinder, Kuka, Adamaua, Kanem und
Bagirmi, also der ganze Zentralsudan und ein großer Teil
des westlichen Sudans.
Die wichtigsten Handelsartikel des Sudans und der
Sahara sind Elfenbein, Straußenfedern und rohe und gegerbte
Felle, sowie in geringeren Mengen Goldstaub, Gummi, Indigo,
Natron, Schwefel, Heilkräuter und Kolanüsse. Der Sklaven-
handel, früher das einträglichste Geschäft der Karawanen,
welche jährlich etwa 8000 Sklaven an die Küste brachten,
ist jetzt sehr zurückgegangen und offiziell verboten; immer-
hin werden auch jetzt noch jährlich etwa 3000 Sklaven in
Tripolitanien eingeführt, also mehr, als man wohl gewöhnlich
annimmt, und solange Tripolitanien türkisch bleibt, wird auch
der Sklavenhandel bleiben und nur weniger an der Küste sicht-
bar sein, obgleich auch dort die z. B. in Benghasi und Derna
gegründeten „Sklavenzufluchtshäuser" keine Garantie bieten.
Die fremden Waren, die über Tripolis nach dem Innern
gehen, sind vornehmlich Kolonialprodukte, wie Kaffee, Tee
und Zucker, sodann Baumwollwaren, Seidenabfälle, Drogen,
Kerzen, Parfüms, Kurzwaren, Waffen, Pulver, Glaswaren und
Spiegel, Perlen, Korallenimitate, Amulette, Boxerringe usw.
Im Jahre 1899 gingen nach Kanem, Kano und Wadai für
2 Millionen Mark Waren und es kamen von dort nach
Tripolis für 2^ j Millionen Mark.
Schanz, Algerien, Tunesien, Tripolitanien. 15
— 226 —
Handelsmittelpunkte für den Karawanenverkehr
sind im Innern Ghadämes, Ghat und Mursuk , und zwar
führen von Tripolis nach Mursuk zwei Straßen, eine
kürzere in etwa 20 Tagereisen über den Dschebel Ghurian
und Misda, und eine längere mit ungefähr 30 Tagereisen
über Sokna und andere bevölkerte Zwischenstationen; die
letztere wird wegen ihrer besseren Wasserverhältnisse trotz
der größeren Länge als Poststraße benutzt.
Die wichtigsten Karawanenstraßen des eigentlichen
Tripolitaniens aber laufen von Ghadämes, dem alten römi-
schen Cidamus, aus. Es sind dies nach. Nordwesten: die
Straße durch den Areg, die südalgerische Sanddünenzone,
nach Wargla und dem Suf; nach Südwesten: über El Biod
nach In Salah, der bedeutendsten der Tuat-Oasen, und weiter
nach Timbuktu, oder direkt nach Timbuktu über Timassinin,
Amgid und Ideles; endlich südlich über Ghat und das AVr-
oder Asben- Hochland, Tintellust, Agades, Sinder, Tessaud
und Kano nach Sokoto. Die Karawanen nach Tibesti,
Wadai und Bornu wählen den Weg durch die Hammada el
Homra oder über die kaufkräftige Oase Dschofra nach
Mursuk; von Mursuk über Gatrun und die Kauar-Oasen
(Bilma) bis Barrua am Nordwestufer des Tsadsees beginnt
durch wasserlose Wüsten und wandernde Dünen der gefähr-
lichere Teil der Reise. Die beschwerlichste, längste und den
Europäern bislang unbekannteste Tour ist die nach
Wadai; von Tripolis aus führt sie zunächst der Küste ent-
lang nach Syrt, dann südlich bis Dschofra oder Sella, und
von dort über Kufa nach Wadai. Von Benghasi ab führt
ein 2000 km langer Weg über Dschalo, Kufra und Tekro
in Tibesti nach Wadais Hauptstadt Abeschr und nimmt ein-
schließlich 35 Rasttagen etwa 95 Tage in Anspruch, Diese
Handelsstraße Benghasi — Wadai wurde erst ab 1810 und
zwar auf Veranlassung des Sultans von Wadai benutzt, weil
— 227 -
Darfur zu hohe Zölle berechnete. Während des Mahdisten-
Aufstandes ging auch der Handel Darfurs zum großen Teil
über Wadai und Benghasi. Der Wert des Wadai- Handels
wird auf 1 ' - Millionen Mark im Jahre geschätzt. Die Straße
Benghasi — Wadai ist zwar kurz und sicher, aber insofern
ungünstig, als auf ihr zwei lange Durststrecken von 8 bezw.
12 Tagereisen zu überwinden sind. Der Karawanenweg von
Benghasi nach dem Tsadsee führt in 32 Reisetagen über
Dschalo und Kufra zunächst auch nach Tekro und von da
in weiteren 30 Reisetagen über AVn Galakka, Ed Dorna und
Mao nach Guelfei. Weit weniger bedeutend ist der Verkehr
von Benghasi, Derna und Solum mit Dscharabub und Siwah,
welcher hauptsächlich den Handel mit Datteln aus den ägyp-
tischen Oasen betrifft.
Die Reise von Tripolis über Ghat und Air nach Kano
etwa 2400 km dauert 137 Tage, bei 30 Tagen Aufent-
halt unterwegs, die Reise von Tripolis über Mursuk nach
Bornu 143 Tage bei 45 Rasttagen.
Die direkte Marschzeit von Ghadämes aus beträgt
nach dem Tuat 25, nach Timbuktu über In Salah 71, nach
Kano 74 und nach Sokoto 83 Tage; bis zur Rückkehr einer
von Tripolis ausgehenden Karawane nach Sokoto, Kuka und
Kano pflegen aber 14 — 18 Monate zu verlaufen, und solche
nach Timbuktu oder Wadai bleiben 18 — 20 Monate aus.
Der Pracht preis wird nach Kantar berechnet, und
zwar trägt ein kräftiges Kamel 3, im Notfall bis zu 4 Kantar.
Die Frachtkosten zwischen Tripolis und Kano betragen für
die Tonne ungefähr 550 Mark.
Es gibt in Tripolis auch einige jüdische und alteinge-
sessene europäische Handelshäuser, die sich mit Entsendung
von Karawanen nach dem Innern befassen, überwiegend aber
liegt dieser Handel in den Händen von arabischen und
berberischen Kaufleuten, welche Züge von 100 1000
15*
- 228 —
Kamelen ausrüsten, von denen etwa ein Viertel zum Tragen
von Proviant und Wasserschläuchen nötig sind. Das Ge-
schäftshaus h'efert die Waren , Kamele und alles zur Aus-
rüstung Nötige an den mit weitgehenden Vollmachten ausge-
statteten Karawanenführer, meist einen Araber, der häufig
Kaution zu stellen hat, dessen Geschäftsgebahrung aber
durchgängig von großer Ehrlichkeit ist. Der Karawanen-
handel wird durchaus als Großhandel betrieben, und der
Absatz erfolgt in den Marktplätzen an dort ansässige Klein-
händler teils gegen bar, teils gegen Tauschwaren. Der Kara-
wanenhandel ist mit großem Gewinn, aber auch mit ent-
sprechendem Risiko verbunden, wenn auch planmäßige
Beraubungen verhältnismäßig selten sind, da solche den
notwendigen Handel selbst töten würden.
Seit einigen Jahren hat übrigens dieser Handel eine
wesentliche Umgestaltung erfahren. Bis 1873 befand sich
der ganze Verkehr mit dem Hinterland in den Händen von
Kaufleuten aus Ghadämes, deren Handelsagenten euro-
päische, tunesische und ägyptische Waren gegen Straußen-
federn, Elfenbein und Goldstaub eintauschten, die sie dann
in Tripolis wieder verkauften. Seit 1873 fingen aber auch
Kaufleute in Tripolis an, sich an dem damals sehr ein-
träglichen Handel mit Zentralafrika direkt zu beteiligen und
eigene Karawanen dahin auszusenden. Um 1885 begann
die Rentabilität des Karawanengeschäfts nachzulassen, nament-
lich infolge der Konkurrenz, welche die Kap-Züchtung den
Straußenfedern machte, und die den Preis eines der Haupt-
artikel des Sudans empfindlich drückte. Ein Aufleben zeigte
sich 1890 und 1891, als mit einmal der Ausbruch der
Kämpfe in Zentralafrika und das Auftreten Rabbehs, der
„Geißel des Sudans", den Verkehr mit dem Innern lahm-
legte. 1893 nahm Rabbeh Bagirmi, 1894 Kuka ein, und der
Handel mit den Bornu - Landschaften lag 1894 — 96 voll-
— 229 —
ständig brach ; nur Wadai und der Westsudan, Kano, Sinder,
Sokoto und Timbuktu blieben als Absatzfeld für Tripoli-
tanien , dessen Kaufleute vielfach ihr Vermögen verloren
hatten. Rabbeh, der Usurpator von Bornu, verbot die Aus-
fuhr von Elfenbein und ließ eine Karawane niedermetzeln,
eine andere große Karawane wurde 1898 von feindlichen
Stämmen geplündert, und so hielt sich der Handel vorsichtig
zurück, ja es kam zeitweilig zu einer völligen Einstellung
des Karawanenverkehrs nach dem Südwesten; nur der V'^er-
kehr von Benghasi nach Wadai und Kanem gestaltete sich
erfreulich. Nachdem Rabbeh später die tripolitanischen Kauf-
leute eingeladen hatte, den Verkehr mit seinem Gebiet wieder
aufzunehmen, stellte sich allmählich ein größerer Umsatz
ein, und nachdem die Franzosen im Jahre 1900 der Raub-
wirtschaft Rabbehs ein Ende gemacht, konnten friedlicher
X'erkehr und Handel einen neuen Aufschwung nehmen.
Das eifrigste Bestreben der Franzosen ist es nun aber,
den Hauptteil dieses Karawanenhandels nach Gebieten zu
leiten, die von ihnen abhängig sind, und zwar einesteils nach
Senegambien und Guinea, anderseits aber nach Tunis. In
der Tat bilden die Straßen von Ghadämes über das Dscherid
nach Gafsa und Gabes, und die von Ghadämes über Duirat
nach Gabes, welche früher benutzt, aber seit den dreißiger
Jahren des 19. Jahrhunderts wegen ihrer Unsicherheit ver-
nachlässigt wurden, die kürzeste Verbindung mit dem
iUeere, und die Franzosen haben durch die Errichtung von
Militärposten und Befriedung des Landes auch im Interesse
der Heranziehung dieses Handels zu wirken gesucht, bis-
lang allerdings ohne besonderen Erfolg. Immerhin haben
die Franzosen Einfluß in der Oase Bilma erlangt, und der
Karawanenweg von Kanem über Bilma, Ghat und Ghadämes
nach der tunesischen Küste ist belebter geworden.
— 230 —
In der Tat würde der Bau einiger, verhältnismäßig
kleiner Bahnen: Tripolis-Suara-Ghadämes; Tripolis-Rharian
und Tripolis -Choms-Sliten-Misrata-Sokna-Mursuk genügen,
um den Handel mit Zentralafrika auch künftig hin, wenig-
stens teilweise, für Tripolitanien zu sichern, trotz aller von
Norden und Westen her erfolgenden Konkurrenzvorstöße;
ernstlich würde dann nur noch der Verkehr mit Marokko
gefährdet sein. Diese Bahnen würden aber nicht nur den
Handel, sondern, ähnlich wie die anatolische, auch die
Kolonisation und die wirtschaftliche Hebung der von
ihnen durchschnittenen Ländereien planmäßig fördern können.
1 Allerdings liegt eine Gefahr für Tripolitaniens Handel darin,
daß die vier Mächte, deren Einflußsphären in den zentralen
Sudan hineinreichen: Frankreich, England, Deutschland und
der Kongostaat, in gleicher Weise ein großes Interesse daran
haben, den Sudanhandel in ihr Gebiet hinüberzulenken.
Die Hafen platze des Landes sind, von West nach
Ost zu aufgeführt, im eigentlichen Tripolitanien: Sauyia,
Suära, Sansur, Tripolis, Choms, Sliten, Tabia, Misrata und
Syrt; in Barka: Benghasi, Derna, Bomba und Tobruk; die
vier wichtigsten davon sind Tripolis, Benghasi, Derna und
Tobruk, der Auslandhandel aber ist fast ganz auf Tripolis
und Benghasi beschränkt.
Der gesamte Fremdhandel Tripolitaniens ist seit 30
Jahren ziemlich stationär geblieben, betrug durchschnittlich
etwa 15 Millionen Mark im Jahre und verteilte sich in
1899 1900 1901
auf Einfuhr mit 7,4 10 7,4 Millionen Mark,
„ Ausfuhr „ 8,1 8,4 6,5
Im einzelnen wies die Einfuhr von 1901 folgende
Hauptposten auf: Gewebe, überwiegend englische Baumwoll-
waren, 1540 Om Jahre 1900: 2014), Mehl 1090 (im Jahre
1900: 2056), Brot -Zucker 580, Tabak 440, Tee 270, Kaffee
— 231 —
170, Reis 250, andere Kolonialprodukte 460, andere Lebens-
mittel 390, Eisen und Eisenwaren 320 Tausend Mark, ferner
u. a. Seide, Kerzen, Petroleum, Seife, Olivenöl, während die
Ausfuhr in 1901 bestand aus Haifa 1510 (im Jahre
1900: 1980), Häuten und Fellen 888 (1170), Schwämmen
750 (1550), Straußenfedern 560 (1090), Gerste 490 (— ),
Rinder 380, Matten 236, Henna 230, Eier 180, Krapp 144,
Elfenbein 44 Tausend Mark.
Die Einfuhr stammte hauptsächlich aus folgenden
Ländern:
England, Frankreich, Österreich,
0,84 Millionen Mark
1,30
1,10
Deutschland,
0,40 Millionen Mark
0,39
0,35
Die Einfuhr von England hat letzthin abgenommen,
und auch der Handel mit der Osttürkei ist, hauptsächlich
wohl wegen der mangelhaften und unzuverlässigen Schiffs-
verbindung der türkischen Dampfergesellschaft, zurückge-
gangen. Dagegen hat der Handel mit Italien zugenommen,
und die „Societä di esplorazione commerciale in Africa" zu
Mailand gründete an der Küste eine Anzahl Handelsagenturen
zum Studium der Bedürfnisse und Hülfsquellen des Landes,
welche dem italienischen Handel wertvolle Fingerzeige gaben;
Italien macht in den wichtigen Baumwollstoffen dem bislang
auch hier herrschenden England jetzt starke Konkurrenz.
Etwa ein Drittel der europäischen Erzeugnisse, die über
Tripolitanien nach der Sahara und dem Sudan gelangen,
sind deutschen Ursprungs, und in einzelnen Warengattungen,
wie Eisen- und Drahtwaren, Werkzeugen, Messern, Nadeln,
1899
2,62
1,56
1900
3,16
1,80
1901
2,54
0,82
Türkei,
Italien,
1899
1,—
0,50
1900
0,77
1,88
1901
0,86
0,88
— 232 —
Drogen, Galanterie- und Lederwaren beherrscht Deutsch-
land mit einer Einfuhr von etwa 2 Millionen Mark nahezu
den tripolitanischen Markt; doch gehen diese Waren auf
fremden Schiffen über italienische, französische und andere
fremde Häfen und verschwinden deshalb gewöhnlich in der
Statistik unter anderer Nationalität.
Die in Tripolitanien gefragten Waren sind sämtlich
von billigster Qualität, die dortige Konkurrenz ist zahl-
reich und scharf, der zu erzielende Nutzen meist klein. Die
europäischen Fabriken oder Ausfuhrhäuser arbeiten mit der
tripolitanischen Kundschaft nur durch Vermittlung ihrer am
Platze ansässigen Agenten oder Kommissionäre und senden
außerdem noch jährlich ein- bis zweimal ihren Reisenden
mit Musterkollektionen, in Tripolis gibt es einige eng-
lische Häuser für die Haifa -Ausfuhr, dagegen ist trotz des
nennenswerten Anteils der deutschen Einfuhr hier bislang
kein einziges deutsches Haus vorhanden; die Vertretung
der deutschen Kaufleute liegt vielmehr ausschließlich in den
Händen einheimischer Kommissionäre, deren Zuverlässigkeit
keineswegs über allen Zweifel erhaben ist.
Der Einfuhrzoll in Tripolitanien beträgt 8"'o, der
Ausfuhrzoll 1"() vom Werte.
Betrachten wir nun zunächst den Fremdhandel des
eigentlichen Tripolitaniens. also ausschließlich Benghasis.
Die Ausfuhr richtete sich hier hauptsächlich nach folgen-
den Ländern :
England, Frankreich, Nordamerika, Türkei
1900 3410 1900 970 610 Tausend Mark
1901 3020 960 610 520
Tunis, Italien, Österreich, Deutschland,
1900 350 260 220 50 Tausend Mark
1901 320 220 200 30
— 233 —
und betreffs der Hauptartikel der Ausfuhr sei noch folgendes
bemerkt.
Das Steppenprodukt Haifa kommt auf Kamelen nach'
den Häfen Tripolis, Choms, Sliten und Tabia, wird von den
Exporteuren mittels hydraulischer Pressen in Ballen kom-
primiert und geht ausschließlich nach England zur Papier-
fabrikation; 1901 wurden davon 33 000, 1902: 47 000 Tons
verschifft. Der Staat erhebt von jeder Kamelladung Haifa
eine Abgabe von 30, die Verschiffungsstadt eine solche von
15 Centimes.
Auch die Schwämme gehen meist nach England und
Frankreich, kleine Mengen auch nach Deutschland, Triest
und Rußland, nennenswerte Posten aber (1900 für 500 000
Mark), gehen von den Syrien, ohne überhaupt die tripoli-
tanische Küste zu berühren, direkt nach Griechenland. Der
Preis in Tripolis für die Oka (1280 gr) war 1900 auf 20,
1901 auf den noch niemals dagewesenen Preis von 26 Mark
gestiegen.
Häute und Felle stammen vielfach aus d^m Sudan,
besonders die dort recht gut gegerbten, meist ziegelrot oder
gelb gefärbten Ziegenleder, welche fast ausschließlich nach
Nordamerika gehen, wo immer starke Nachfrage dafür vor-
handen ist.
Die aus dem Sudan stammenden Straußenfedern
von meist geringer Qualität gehen ausschließlich nach Paris,
wo besonders die großen, fahnenartigen Sorten gefragt sind,
und zwar wurden im Jahre 1900 für das halbe Kilogramm
grauer 10—14, für weiße und schwarze 28 -35 Francs ge-
zahlt. Besonders gute Federn kommen aus Wadai.
Rinder recht mäßiger Qualität gehen ausschließlich
nach Malta, welches 1901: 7200, 1902: 5450 Stück bezog.
Schafwolle ist von geringer Qualität und liefert an
Exportwerten jährlich nur etwa 100 000 Mark.
— 234 —
Elfenbein stammt hauptsächlich aus Wadai, sodann
aus Bornu und dem übrigen Sudan, wo es von tripoh"-
tanischen Karawanenhändlern gegen europäische Erzeugnisse
eingetauscht wird; da sich dafür aber bessere, bequemere
und sichere Wege nach der Ost- und Westküste entwickelt
haben, so geht die sich nach London richtende Ausfuhr
von Elfenbein über Tripolis immer mehr zurück; ein Kantar
von 50 kg wertet 300—600 Mark.
Die Ausfuhrmöglichkeit von Gerste ist, wie wir bereits
sahen, ganz von der Ernte abhängig. Apfelsinen und
Zitronen wurden im Jahre 1900 für 120 000 Mark nach
Malta, Tunis und Algier ausgeführt und könnten bei reich-
h'cherer Bodenbewässerung und besserer Pflege einen weit
größeren Exportartikel bilden, im Januar und Februar ge-
erntete Kartoffeln gehen in erheblichen Mengen nach Malta
und von dort als ,, echte Malteser" weiter; auch diese Kultur
wäre noch sehr ausdehnungsfähig.
Die Krapp- Wurzel (Rubia) liefert besonders dann
größere Erträge, wenn Mißernten die Landbevölkerung zur
Einsammlung anspornen.
Henna kam früher mit 25 — 30" d des Gesamtgewichts
Stengeln gemischt in den Handel, laut Regierungs-Verordnung
von 1900 sind aber jetzt nur noch höchstens 5^*0 vom Ge-
samtgewicht Stengel erlaubt.
Von den Schilf- und Strohmatten gehen 80 "^o nach
Egypten und der Türkei, der Rest nach Tunis und Algier.
Hühner und Eier lieferten 1900 einen Exportwert
von 200000 Mark nach Malta, Frankreich, Tunis und Algier.
Der Natron-Export ist von 200 000 Mark in 1899 auf
32 000 Mark in 1901 gefallen.
Kleinere Ausfuhrwerte liefern noch : Kamelwolle, Sennes-
blätter, roter Pfeffer, bittere Orangenschalen, Veilchen-
wurzel usw.
A
— 235 —
Betrachten wir nun den Fremdhandel Benghasis, der
in den Jahren
1900 1901
in der Einfuhr mit 2400 3120 Tausend Mark.
„ .. Ausfuhr „ 4280 5080
angegeben wird und in der Einfuhr dieselben Artikel, wie
Tripolis aufweist, darunter besonders Baumwollwaren mit
700, arabische Kleider 360, Zucker 300, Olivenöl 300, Leder
240, Gold- und Silberwaren 190, Reis 160, Eisenwaren 100
Tausend Mark, in kleineren Werten dann folgend Seife,
Weine und Spirituosen, Mehl und Gries, Kaffee, Tee und
Petroleum.
Dagegen umfaßt die Ausfuhr folgende Hauptposten:
Getreide, meist Gerste zu Brauzwecken nach Eng-
land, ergibt je nach der Ernte sehr schwankende Werte, 1901 :
1 240 000 Mark.
Lebendes Vieh für Malta und Kanea, besonders
aber für Alexandrien, wohin es während der Regenzeit, die
an der Küste Marmarikas gute Weiden liefert, auf dem Land-
wege, von Derna aus in 40 Tagen, getrieben wird. Am
wertvollsten sind die Kamele, von denen 5000 Stück in
1901 ausgeführt wurden, während im gleichen Jahre der
Gesamtexport an Schafen 200 000, an Rindern 7000 und an
Pferden 500 Stück betrug und im ganzen 2 700 000 Mark
wertete.
Wolle, meist nach Marseille, wurde 1901 für 600000
Mark ausgeführt. Ziegen- Felle im Werte von 140000
Mark gingen nach Marseille.
Schwämme werden besonders in der großen Syrte
und zwischen Bomba und Tobruk gefischt, und der jährliche
Fang hier wertet etwa 1 Million Mark. Das ruhigste Meer
und damit die geeignetste Fangzeit fällt in die Monate Mai
bis August, und die Fischer sind teils Griechen von Hydra,
— 236 —
Spezzia und Ägina, teils Türken der Insel Kalymnos, welche
den Hauptmarkt bildet; hier wird die Ware von Ver-
tretern der englischen und französischen Handelshäuser auf-
gekauft. Die besten Schwämme der Cyrenaika kommen von
Tobruk.
Die Sudan -Ausfuhrwaren: Elfenbein und Straußen-
federn ergeben je nach den Verhältnissen im Innern sehr
schwankende Werte.
Elfenbein lieferte 1900: 330000, 1901: 145000 Mark.
Straußenfedern ergaben 1900: 320000, 1901 : 110 000
Mark.
Zappino- Wurzelrinde, von einem Rhus- Strauch
stammend und zum Gerben und zum Rotfärben von Leder
und von Matten benutzt, wird ausschließlich nach Alexandrien
und zwar in jährlichen Mengen von etwa 150 Tons =--
120 000 Mark gesandt.
Butter von eigenartigem Geschmack wird überwiegend
nach Kandia, in geringeren Mengen auch nach Syrien und
Alexandrien geschickt, und sodann werden noch Honig und
Wachs, Eier, Holz und Holzkohle, Matten, Binsen, Esparto
und Schwefel ausgeführt.
Die Statistik des deutschen Zollgebiets gibt die
deutsche Ausfuhr nach den afrikanischen Besitzungen der
Türkei für die Jahre 1901 und 1902 mit je 270 000 Mark,
unsere Einfuhr von dort für 1902 nur mit 18 000 (1901:
41 000) Mark an, doch entsprechen diese Zahlen längst nicht
den tatsächlichen Verhältnissen, da der Handelsverkehr
zwischen Deutschland und Tripolitanien, wie bereits bemerkt,
meist nicht direkt erfolgt, sondern über andere Länder
geht; so werden z. B. Kartoffeln von Tripolitanien zunächst
nach Malta und dann als „Maltakartoffeln" weiter gesandt.
Deutschland liefert besonders Florettseide, Wollwaren,
— 237 -
Anilinfarben und Schmiedeeisen und empfängt Schwämme
und Schaffelle.
Als Wertmesser findet man im tripolitanischen Ge-
biet selten die türkische Goldlira, häufiger aber die türkische
große Silbermünze der Medschidie zu etwa 3^- Mark und
den Mariathcresiataler zu 1 •'4 Mark, im Sudanhandel ver-
kehrt neben letzterem im Westen das Mitkai Goldstaub
(4,27 gr 10 Mark) und in Sokoto, Kano und Kuka die
Kaurimuschel, von denen 2500 — 3000 auf ein Fünffrancs-
stück gehen. Auch französische Louisd'ors finden in der
Sahara und im Sudan allmählich Eingang. Tunesisches Gold-
und Silbergeld wird in Tripolis gern genommen, und auch
die übrigen Münzen des Mittelmeers sind im V^erkehr.
Europäische Banken gibt es in Tripolitanien nicht.
Was den regelmäßigen Schiffsverkehr mit Tripoli- verkehr.
tanien anbelangt, so ist dieser, der Handelsbewegung ent-
sprechend, gering.
Von Dampferlinien sind nur zu nennen die der
türkischen Gesellschaft ,,Idare-e-Mahrussih", welche zwischen
Konstantinopel, Kandia, Benghasi und Tripolis regelmäßig
bezw. unregelmäßig verkehren, aber nach jeder Richtung hin
sehr viel zu wünschen übrig lassen. Die Navigazione
Generale Italiana unterhält, von der italienischen Regie-
rung subventioniert, eine wöchentliche Hauptlinie von Genua
über Malta nach Tripolis und zurück über tunesische Häfen;
und seit 1899 14tägig auch eine Zweiglinie Malta-Tripolis-
Misrata- Benghasi- Derna-Kanea und zurück. Die fran-
zösische Compagnie de navigation mixte (Touache & Cie.)
fährt einmal in der Woche über die Tunisküste nach Tripolis.
Die anderen Schiffe sind meist für Haifa gecharterte, über-
wiegend englische Kargoboote, welche Kohlen nach dem
— 238 —
Minelmeer brachten, und mit Ausnahme von Haha findet
auch die englische Aus- und Einfuhr nur mit Umladungen
statt, welche überwiegend in .Malta, aber auch in Tunis vor
sich gehen. Die deutsche Levantelinie lief früher Tripolis
an, hat dies zum Bedauern der betreffenden Kreise aber
aufgegeben. A\ontenegrinische und türkische Segelkutter
bringen Brennholz und Holzkohle, zwei Bedarfsartikel, die
das eigentliche Tripolitanien nicht selbst erzeugt, nach dort,
und die griechische Regierung entsendet seit 1900 während
der Saisondauer der Schwammfischerei ein kleines Kriegs-
schiff nach der Rede von Tripolis, nicht nur zur Über-
wachung, sondern auch als schwimmendes Gratis- Hospital
für die griechischen Schwammfischer, welche hier die Hülfe
von zwei .Warineärzten finden. Im Hafen von Tripolis liefen
im Jahre 1900 1033 Schiffe mit 246 000 Tons ein. darunter
die Hälfte italienisch.
Bis zum Jahre 1880 gab es an der ganzen tripoli-
tanischen Küste kein Leuchtfeuer; jetzt existieren solche
in Tripolis, Benghasi. Choms und Derna.
Was Post und Telegraph anbelangt, so bestehen in
der Stadt Tripolis eine italienische, eine französiche und
eine türkische Postanstalt, und auch in der Stadt Benghasi,
welche bislang nur einen primitiven und unzuverlässigen
Briefverkehr unter türkischer Verwaltung besaß, ist 1901
eine italienische Postagentur mit Qeldbrief-, Postauftrags-
und Paketverkehr eingeführt worden. Eine regelmäßige
Kamelpost verkehrt wöchentlich der Küste entlang, eine
andere gleichfalls wöchentlich in 18 Tagen von Tripolis nach
.Mursuk, daneben werden schnellfüßige Boten je nach Be-
darf verwandt.
Der Telegraph verbindet Tripolis einerseits mit Gha-
dämes, anderseits mit den Militärposten der Küste entlang
— 239 —
und zwar westlich bis Suära nahe der tunesischen Grenze und
östhch bis Misrata, von wo aus die Linie nach Benghasi
fortgesetzt werden soll; ein Kabel der Eastern Telegraph
Co. verbindet Tripolis mit Malta und so mit dem Weltnetz.
Das Kabel derselben Gesellschaft, welches ab 1861 auch
Benghasi mit Tripolis und Malta einerseits, mit Alexandria
andrerseits verband, ist seit 1872 eingezogen, weil die Pforte
plötzlich der englischen Gesellschaft die Subvention entzog.
Eisenbahnen gibt es in Tripolitanien — mit Aus-
nahme einer Bahn von Benghasi nach dem 6 km entfernten
Steinbruch von Tweihad zum Heranrollen der Steine für
den Hafenbau — bislang sonst noch nirgends; wo dieselben
in erster Linie erwünscht und nützlich wären, ist schon bei
der Besprechung des Karawanenverkehrs angedeutet worden.
Im Frühjahr 1904 berichteten ägyptische Zeitungen, daß der
Bahnbau Kairo-Tripolis beschlossen sei.
Werfen wir auch hier schließlich einen Blick auf die Hauptorte,
wichtigeren Orte und beginnen mit dem eigentlichen
Tripolitanien.
Die von einer Oase umgürtete Hauptstadt Tripolis,
das Öa der Griechen, türkisch „Taräbolos el gharb" genannt,
liegt auf einer Landzunge der Kleinen Syrte an einer von
Riffen umgebenen, offenen Reede; zwischen Dezember und
Februar, während der winterlichen Stürme und Regengüsse,
ist der Seegang hier zuweilen so hoch, daß die Einfahrt durch
die Klippen zur Binnenreede schwierig und gefährlich, ja zu-
weilen unmöglich ist. Es sind denn auch in den letzten 15
Jahren bereits zweimal Projekte für ausgedehnte Hafen- und
Kai -Anlagen aufgetaucht, ernstlich aber erst 1902 auf die Ta-
gesordnung gebracht, und von dem Generalgouverneur aus
politischen und kommerziellen, von dem Militärkommandanten
aus militärischen und maritimen Gründen befürwortet worden.
— 240 —
und zwar soll die Konzession von der Zivilliste des Sultans
erworben werden.
Vom Meere aus gesehen, zeigt sich die in Fünfecksform
gebaute und seit Jahrhunderten in ihrem Äußern unveränderte
Stadt als derselbe weiße Steinhaufen, wie alle älteren Küsten-
städte des Maghreb; trotzige, 8 m hohe Festungs-Mauern und
Bastionen, die direkt aus dem Meere aufsteigen, werden von
einer Reihe runder, spitzer Minarets und im Osten von dem
alten spanischen Kastell überragt, einem massigen, unregel-
mäßigen und unschönen Bau , der in den verschiedensten
Zeiten und Stilen aneinandergeflickt wurde; hier ist der Sitz
des Walis und der Verwaltungsbureaus. Die Straßen sind eng,
aber ziemlich reinlich und ohne europäische Zutaten und An-
hängsel; es gibt aber gute Karawansereien und auch euro-
päische Gasthöfe oder Fonduks. Aus alter Zeit ist noch
ein Triumpfbogen zu Ehren Marc Aureis mit Skulpturen in
weißem Marmor erhalten. Die Stadt ist Regierungssitz, Haupt-
platz für den Handels- und Schiffahrtsverkehr mit dem Aus-
land und eines guten Teils der einheimischen Kleinindustrie,
welche besonders Kordoan - Leder, Teppiche, Baumwoll-,
Woll- und Seidenstoffe herstellt. Unter den 50000 Einwohnern
sind 6 — 8000 Juden, welche im Westen ein besonderes Stadt-
viertel, die Harra, bewohnen und einen großen Teil des Han-
dels in den Händen haben, und an 5000 Europäer, über-
wiegend Malteser und Italiener.
Eigentliche „Städte" sind sonst noch in Tripolitanien
nur der Hafenplatz Choms mit 3509 Einwohnern — etwa
3 km östlich davon die meist im Sande begrabenen Ruinen
der seit dem Arabereinfall verwüstet gebliebenen Hauptstadt
der Regio syrtica, der alten Phönikergründung Leptis magna,
jetzt Lebda genannt — , ferner der Stapellagerplatz für den
Sudanverkehr, Ghadämes, an der tunesischen Grenzecke,
- 241 —
mit 8 — 10 000 Einwohnern, und der Karawanenkreuzungs-
punkt^isda mit 1000 Seelen. Dagegen gleichen die Haupt-
plätze der Küste westlich von Tripolis Sauya (4000 Ein-
wohnern), Suära (3000), Sansur (2000) und die östlich ge-
legenen Sliten (7 — 8000), Tabia (500) und Misrata (3000)
mehr ausgedehnten Gartenkulturen mit eingebauten Lehm-
und Steinhäusern, die zusammenrücken in der Nähe des
„Suk", dem Platze für die wöchentlichen Märkte, und des
„Konak" oder Verwaltungs- und Gemeindegebäudes. Eine
ähnliche Gruppierung zeigt sich im Gebirgsland, wo die
als „Städte" geltenden Bevölkerungsmittelpunkte Rharian
(8000 Einwohner), Jefren (2000) und Messellata (1000) eine
weite Reihe dichterer Dorfschaften bilden, welche sich an die
„Kasr", Gebirgsfesten und Garnisonbauten anschließen, die
zugleich Sitz der Distriktsvorsteher oder Kaimakam sind.
Im Flachland und den Steppenstrichen sind die ,,Kasr"
oder ,,Bordsch" meist armselige Kastelle, in deren Nähe sich
ein paar Lehmhütten oder die Zelte einer Stammesabteilung
gruppieren. Die Zeltdörfer oder Fergas umfassen meist nur
6-12 Familien. Dazu treten hier, wie in Barka, die tür-
kischen Garnisonen, die zahlreichen religiösen Stiftungen der
Sauias und die Marabuts oder Gräber von Moslim-Heiligen.
Fessan umfaßt etwa 400 000 q km mit einer Reihe von
Oasengruppen, die ganz isoliert innerhalb der Wüste liegen,
fast keine wilde Flora und mangels Weiden auch nur ge-
ringe Viehzucht aufweisen; nur Kamele, Hühner und Tauben
gedeihen hier gut. Fessan war immer ein wichtiger Handels-
mittelpunkt zwischen der Syrtengegend und den Negerländern,
aber der Ausfall im Sklavenhandel ist nicht durch die Pro-
dukte der Natronseen gedeckt worden, und das Land ist
wirtschaftlich gegen früher zurückgegangen und verarmt.
Es weist als „Städte" und wichtige Karawanenpunkte Alux^
§uk mit 10 000 Einwohnern auf, die törichterweise zwischen
Schanz, Algerien, Tunesien, Tripolitanien. 16
— 242 —
ungesunden Salzsümpfen angelegte Hauptstadt; ferner Ghat
mit 6 — 8000 Einwohnern, und Ederi. in etwa 90 Ort-
schaften der Oasen und Wadis sind ungefähr weitere 33 000
seßhafte Einwohner, Mischlinge der Tibbu-, Bornu-, Tuareg-,
Berber- und Araber-Völker vertreten, und im Norden hausen
die nomadisierenden Araberstämme der Riah, Hotman und
Megarha. Man treibt etwas Acker-, Oliven- und Obst-
bau, aber den Hauptertrag liefert die Dattelpalme, von der
man allein bei Mursuk 37 verschiedene Arten zählt. Rinder
zieht man fast nur im Wadi el Schati, Ziegen, Schafe und
Kamele, Hühner und Tauben aber überall, während der
Handel mit dem Nachlassen des einst blühenden Sklaven-
handels sehr zurückgegangen ist. Außer der arabischen
Landessprache spricht man hier auch die Sprachen der
Tuareg und Tibbu, und das Kanuri, die Bornusprache.
Der Hauptort von Barka und dessen natürliche Ein-
gangspforte ist
Benghasi , das Euhesperidae der Griechen und Hespe-
rides der Römer, von den Ptolemäern, nach der Gemahlin
von Ptolemäus 111., Berenike genannt, die westlichste der
fünf Städte der Pentapolis an der Ostküste der Großen Syrte,
wohin die Alten die „Gärten der Hesperiden" verlegten. Die
Stadt liegt auf einer Landzunge, welche eine Strandlagune
vom Festland trennt, aber der Hafen versandet und ver-
schlammt mehr und mehr, sodaß nur Schiffe von 2^/^ m
Tiefgang — im Winter fast gar keine — Zugang haben.
Eine französische Gesellschaft, welche hier einen Leuchtturm
errichtet hat und gegen Abgaben aller hier verkehrenden
Schiffe unterhält, beabsichtigt auch einen Hafenausbau, im
Gegensatz zu allen anderen Städten des Maghreb ist das in
einem unregelmäßigen Viereck gebaute Benghasi nicht um-
wallt, sondern offen, und die seit den Ptolemäer-Zeiten an-
sässigen Juden leben hier nicht in einem besonderen Viertel.
— 243 —
An der Spitze der Landzunge steht das alte Kastell mit dem
Regierungssitz. Im ganzen leben in Benghasi etwa 1^—20000
Personen, darunter 2500 Juden und 1200 Europäer, auch
hier meist Malteser, Italiener und Griechen; England unter-
hält auch hier ein Konsulat, und der Handel ganz Barkas
geht überwiegend über Benghasi. Die Ruinen der alten
Griechenstadt liegen nordöstlich der heutigen, und nach
dieser Richtung zu findet man auch blühende Oasenkulturen,
und zwischen Palmen und Obstbäume lachende Getreide-
und Gemüsefelder.
Von dem alten Arsinoe und dem nahen Tauchira
— jetzt Tokra — sind heute nur noch Trümmer erhalten,
zwischen denen sich ein halbes Hundert armseliger Lehm-
hütten befindet. Die nun folgende Hafenstadt
Ptolemais — jetzt Tolmeida — die einst von den
Ptolemäern als Rivale von Barka angelegt und begünstigt
wurde, und im Mittelalter noch eine gewerbreiche arabische
Stadt war, zeigt heute nur noch schöne Baureste, und der
sonst nicht ungünstig gelegene Hafen leidet unter Wasser-
mangel und starker Versandung. Auch von dem 15 km
landein liegenden
Barka — heute Medinet el Merdsch — sind nur
noch Trümmer vorhanden, während es einst die Hauptstadt
der westlichen Cyrenaika und auch im Mittelalter unter den
.Arabern noch bedeutend war.
Apollonia, in christlicher Zeit Sozopolis, jetzt Marsa
Susa genannt, ist mit Benghasi und Tokra zusammen die
dritte der jetzt noch bestehenden „Fünfstädte", aber nicht
blühender als Tokra; im Altertum als trefflicher Hafen be-
zeichnet, bietet das heute versandete Marsa Susa nur noch
einen mäßigen .Ankerplatz. Es bildet den Zugang zu dem
im Hinterlande, in der Luftlinie nur 16 km entfernt und
16*
— 244 —
etwa 610 m hoch hegenden, aber nur auf beschweHichen
Gebirgswegen zu erreichenden
Kyrene, im Mittelalter Krennah, heute Ain es Schahad
genannt, welches noch jetzt große Reste von Tempeln,
Theatern, eines Stadions, einer Nekropole und andere
Ruinen aufweist.
Den östlichen Hafen des eigentlichen Barka bildet das
in dem fruchtbaren Delta des Wadi Derna reizend gelegene
Derna, das alte Darnis Zarine, mit 4000 Einwohnern
in fünf von einer Mauer umschlossenen Ortschaften. Derna,
der zweitgrößte Platz der Barka, hat allerdings keinen Hafen,
sondern nur eine allen Nord- und Ostwinden offene Reede.
Seit 1898 unterhält England hier einen Konsularagenten.
Der weiterhin folgende Golf von
Bomba bietet in der Menelaus-Bucht einen ausgezeich-
neten Naturhafen, der bereits Ende der vierziger Jahre des
vorigen Jahrhunderts von der englischen Marine genau unter-
sucht wurde, und auf den man in England angeblich auch
neuerdings wieder begehrliche Blicke geworfen hat.
An der Küste der anschließenden Marmarika liegt
noch
Tobruk, das Antipyrgos der Alten, gleichfalls ein aus-
gezeichneter und sicherer Hafen mit 10—15 m Wassertiefe,
nur den seltenen Ostwinden ausgesetzt. Der Platz ist wichtig
als eventueller Flottenstützpunkt, besitzt aber kein größeres
natürliches Hinterland und ist als Handelshafen deshalb nur
von lokaler Bedeutung. Die Hauptausfuhr besteht in Getreide.
Als Grenzfort gegen Ägypten dient Kasr Dschedid
am Golf von Solum.
Die im Süden des Barka-Gebietes liegende, von Sand-
dünen umgebene Oasengruppe von
Audschila, aus der gleichnamigen Oase mit 4000 Ein-
wohnern im Westen, Dschalo, mit 6000 Einwohnern und
— 245 -
dem Hauptort Sokna in der Mitte und Leschkerreh im
Osten bestehend, wird von einem in Sokna residierenden
Mudir verwaltet, der für die 100000 Dattelpalmen seines
Reviers jährlich eine Abgabe von 250000 Piastern nach
Benghasi entrichtet. Ein Teil der Bewohner besteht aus
geschickten Handelsleuten, die mit ihren Karawanen bis nach
Wadai ziehen; der Rest lebt von seinen Dattelpalmen, Ka-
melen und dem Ertrag des Gartenbaues.
Ist Tripolitanien im allgemeinen von der Natur auch I
weniger begünstigt, als die westlich von ihm liegenden drei
Atlasländer von „Klein -Afrika", so trägt die Hauptschuld an
seinem heutigen Daniederliegen doch die stumpfsinnige tür-
kische Verwaltung. Verschiedene Teile des Gebietes haben
sich unter griechischer und römischer Kolonisation einer
schönen Blüte erfreut, und unter einer zielbewußten Ver-
waltung würde auch heute neues Leben aus den Ruinen 1
sprießen.
Hauptsächlich benutzte Quellen.
Paul Leroy-Beaulieu: L" Algerie et la Tunisie.
Arthur Girault: Principes de colonisation et de legislation coloniale.
G. K. Anton: Le regime foncier aux colonies.
M. Lambert Playfair: Algeria and Tunis.
A. M. Broadley: Tunis past and present.
Maurice Wahl: L' Algerie.
Henri Pensa: L' avenir de Tunisie.
Max Hübner: Eine Pforte zum schwarzen Erdteil.
Paul Mohr: Das Eisenbahnwesen in Algerien.
Paul Mohr: Die französische Handelspolitik gegenüber Tunesien.
Theobald Fischer: Tunis, Biserta und Tunesien im Jahre 1904.
H. L. Grothe: Tripolitanien.
M. de Malthuisieulx: A travers la Tripolitaine.
Gotthold Hildebrand: Cyrenaika.
Inhaltsverzeichnis.
Algerien.
Seite
1
26
31
32
33
Geschichte
Landbeschreibung
Kh'ma .......
Flora
Fauna
Bevölkerung 33
Europäer 36
Verwaltung 40
Rechtswesen 48
Kirchenwesen 49
Unterricht 49
Verteidigung 50
Finanzen 54
Seite
Bodenfrage U.Kolonisation 59
Bewässerung 67
Landwirtschaft 69
Forstwesen 78
Viehzucht 79
Fischerei 82
Bergbau 82
Gewerbe 85
Handel 87
Verkehr 96
Eisenbahnen 96
Schiffahrt 106
Hauptorte 112
Tunesien.
Geschichte 114
Landbeschreibung . . . 128
Klima 131
Flora 132
Fauna 133
Bodenschätze 133
Bevölkerung 133
Europäer 135
Verwaltung 139
Heer und Flotte .... 143
Justiz . 144
Kirche 145
Unterricht 145
l'inanzen 146
Bodenfrage U.Kolonisation 151
Landwirtschaft 161
Ackerbau 163
Forstwesen 167
Viehzucht 168
Fischerei 170
Gewerbe 171
Bergbau 172
Handel 174
Verkehr 181
Eisenbahnen 182
Schiffahrt ...... 185
Hauptorte 187
— 248
Tripolitanien.
Seite.
Geschichte von Cyrenaika 194
„ Tripolis . 200
„ „ Fessan • 205
Forschung ...... 205
Landbeschreibung . . . 206
Khma 209
Flora 210
Fauna 211
Bevölkerung 211
Fremde 213
Seite.
Verwaltung 215
Verteidigung 216
Landwirtschaft .... 218
Viehzucht 221
Fischerei 222
Bodenschätze 223
Gewerbe 224
Handel 224
Verkehr 237
Hauptorte 239
Druck von Gebauer -Schwetschke Druckerei und Verlag m. b. H., Halle a. S.
Angewandte Geographie.
Hefte zur Verbreitung geographischer
Kenntnisse in ihrer Beziehung zum Kultur-
und Wirtschaftsleben.
Redaktion: Professor Dr. Karl Dove, Jena.
2, Serie. 3. Heft,
Moritz Schanz: Ägypten und der Ägyptische Sudan.
Halle a. S.
Gebauer-Schwetscke Druckerei und Verlag m. b. H.
1904.
ÄGYPTEN
R. ICaltofen
Amsterdam.
und der
Ägyptische Sudan.
Von
Moritz Schanz.
Halle a. S.
Gebauer Scinvctschke Druckerei und Verlag m. b. H.
1904.
Ägypten.
Wie in meinen t'rüher erschienenen Werken: „Ost- und
Südafrika" und „Westafrika" beabsichtige ich auch in der
Serie „Nordafrika", deren erstes Heft „Ägypten und der
ägyptische Sudan" bildet, die hier behandelten Länder be-
sonders mit Rücksicht auf ihre geschichthche und wirtschaft-
liche Entwicklung und ihre derzeitige Verwaltung zu be-
sprechen, andere Punkte aber nur insoweit mit heranzu-
ziehen, als sie zur Erreichung meines Zweckes notwendig
erscheinen.
Soweit unsere weit zurückgehenden geschichtlichen Geschichte.
Kenntnisse über Ägypten reichen, erweisen sie bereits das
Vorhandensein eines großartig organisierten Staates und einer
hochentwickelten Kultur, die eine Vorschule von Jahrtausen-
den voraussetzt und sicher nicht afrikanischen , sondern asi-
atischen Ursprungs ist, da das fruchtbare Niltal frühzeitig eine
große Anziehungskraft auf die umwohnenden Völker ausübte.
Aber das erstmalige Erscheinen von fremden Eindringlingen
weißer Hautfarbe aus Asien zu den ursprünglichen Bewoh-
nern Ägyptens gehört, so gut wie dasjenige der Neger in
Mittelafrika, der dunklen V^orgeschichte an.
Neuerdings gemachte Funde beweisen auch für Ägyp-
ten eine uralte stein zeitliche Kultur, deren Ursprung Schwein-
furth auf Südarabien zurückzuführen geneigt ist, wo auch
Schanz, Ägypten. 1
— 2 —
die für Ägyptens Religion so bedeutsam gewordenen Pflan-
zen Weihrauch, Sykomore und Persea ihre Heimat haben.
Eine weitere Einwanderung, auch in vorgeschichtlicher Zeit,
erfolgte dann vom Euphrat her in Gestalt sumerischer
Scharen, die den Getreidebau, den Pflug, die Metallbearbei-
tung und andere Errungenschaften der hochentwickelten ba-
bylonischen Kultur einführten.
Es erscheint heute ziemlich sicher, daß die in histo-
rischen Zeiten als Ursitz betrachtete Landschaft in Mittel-
ägypten, bei Abydos und Negada, etwas nördlich von The-
ben lag und daß die Residenz unter dem Gaufürsten von
Thinis, Menes (ägyptisch Mena), dem Gründer der „Ersten
Dynastie", mit welcher das ,, Alte Reich" beginnt, etwa um
das Jahr 3000 v. Chr. nach Memphis in Unterägypten ver-
legt wurde, nachdem er die Libyer besiegt, welche durch
Wegnahme des Deltas den Verkehr mit Mittelägypten abge-
schnitten hatten.
Die drei ersten Dynastien weisen in einem Zeit-
raum von 769 Jahren 26 Könige auf und sind noch ganz
mythisch; Ackerbau, Landmessung, Wasserwirtschaft, Handel,
Gewerbe, Schriftkunde, Mathematik, Astronomie, Rechts-
pflege und Kunst müssen aber bereits frühzeitig hoch ent-
wickelt gewesen sein. Am Schlüsse der dritten Dynastie,
unter dem Pharao Ünephes, beginnt die Zeit der Pyramiden,
deren älteste, an den Seitenflächen noch ungeglättete Form
uns in der Stufenpyramide von Sakkära erhalten ist; im
Schatten der für die Herrscher errichteten Pyramiden aber
liegen die Mastabas oder Grabhäuser für die hohen Beam-
ten des alten Reiches. Die drei mächtigsten der „großen"
Pyramiden zwischen Giseh und Medum und die Sphynx
entstehen unter der vierten Dynastie, welche nur ungefähr
70 Jahre dem Lande zur Last fiel und Kupferbergwerke und
Türkisminen in der Sinai-Halbinsel anlegte und betrieb. Die
sechste Dynastie dehnte das Reich nach Süden und Osten
hin aus und verlegte dessen Mittelpunkt nach Mittelägypten.
Bislang fast nicht entschleiert ist die Geschichte der 7. bis
einschließlich 11. Dynastie, welch' letztere ihre Residenz in
Theben nimmt. V^ermutlich fällt in diese Periode ein wei-
teres Eindringen von asiatischen Elementen.
Die 12. Dynastie, mit der man nach den Alten das
„Mittlere Reich" beginnen läßt, ist die erste, deren Regie-
rungszeit, 1995 — 1792, einigermaßen zuverlässig zu bestimmen
ist. Der erste König dieser Dynastie, welcher das Reich auch
südlich vom 2. Katarakt ausdehnte, legte sich den Titel
„Herr beider Länder", d. h. von Ober- und Unterägypten
bei. Usertesen III. setzte die Südgrenze des Reichs beim
Dorfe Semne, 60 km oberhalb des zweiten Kataraktes, fest
und legte dort zum Schutze Festungen an. Obgleich als
,,Thebaner" bezeichnet, verlegen die Herrscher der 12. Dy-
nastie die Residenzen doch nach Mittelägypten, Behnasa
und Arsinoe, und errichteten große Bauten in Heliopolis,
von denen ein heute in Matarieh bei Kairo noch stehender
Obelisk der älteste aller überhaupt in Ägypten erhaltenen ist.
Die Königsgräber des mittleren Reichs sind die Felsengräber
von Beni Hassan. Amenemha 111. machte sich berühmt
durch Anlage des jetzt längst eingetrockneten und verschüt-
teten Sees Möris in der Oase Fayüm, welcher die Über-
schwemmung des Nils verlangsamen und dadurch nutzbarer
machen sollte und erbaute am See u. a. einen Reichstempel,
das berühmte ägyptische Labyrinth. Unter den Nachfolgern
der 12. Dynastie erfolgte der Einfall schwer bewaffneter, ver-
mutlich semitischer Asiaten, die nach ihren Königen Hyksos
Hirtenkönige benannt wurden und zu einer Völkerwelle
gehörten , die ihren Anfang weit im Osten genommen haben
muß; diese verwüsteten zunächst das Land, nahmen dann
aber selbst ägyptische Sitten und Sprache an und hatten
ihren Stützpunkt in Unterägypten; unter ihnen kam auch
der Joseph der Bibel nach Ägypten und diente ihnen als
Landverwalter. Oberägypten jedoch hatte sich zeitig der
direkten Verwaltung durch die Hyksos entwunden und die
17., wieder in Theben residierende Dynastie wußte gegen
Tributzahlung eine gewisse Selbständigkeit aufrechtzuerhal-
ten; wohl mit Hülfe der Libyer drängten sie dann die Hyk-
sos zunächst in das östliche Delta zurück und vertrieben sie
schließlich in wütendem Endkampfe etwa um 1560 ganz aus
Ägypten.
Es beginnt nun unter der 18. Dynastie das „Neue
Reich" mit der glänzenden Hauptstadt Theben, das Land
nimmt für Jahrhunderte einen militärischen Charakter an und
zwar gingen die Kriegszüge sowohl nilaufwärts, wie nach dem
tributpflichtigen Syrien, wobei die Soldaten dem Ackerbau-
staat hauptsächlich von den Stämmen südlich des zweiten
Kataraktes gestellt wurden. Der Wunsch, den viel begehrten
Weihrauch ohne störenden Zwischenhandel zu erlangen, trieb
die nicht eben seekundigen Ägypter auf die unsicheren
Wogen des Roten Meeres und über die Bucht von Aden
hinaus nach ,,Punt", und zwar führte eine Handelsstraße von
Theben aus durch das öde Gebirgsland nach dem Hafen
Kosser. Ägypten erreichte unter den Königen der 18. und
19. Dynastie den Höhepunkt seiner Macht und Kultur. Zur
Verherrlichung seiner Siege in Syrien und Mesopotamien
erbaute Thutmos 111. den großen Säulensaal in Karnak,
und Amenothis 111. errichtete den Ammonstempel bei Luxor
und die Memnonsbilder auf der andern Seite des Nils.
Die Königsgräber werden von jetzt ab nicht mehr in
Grabkammern mit Vorbau, sondern in den Felsstollen der
Schlucht Biban el Moluk bei Theben angelegt. Unter Ame-
nophis IV. (1583—66), der im Gegensatz zur überwiegenden
Mehrheit der Ägypter, welche dem Ammon-Kultus huldigte,
— 5 —
die Verehrung der sichtbaren Sonnenscheibe Aten begün-
stigte, verließ der Hof Theben und verlegte die Residenz
nach Chut-Aten, der heutigen Trümmerstätte von Teil el
Amarna, fast genau in der Mitte des ägyptischen Niltals; schon
unter seinen Nachfolgern aber wurde die Hofhaltung zurück
nach Theben verlegt und der Sonnenscheibendienst nach-
sichtslos verfolgt.
Besonders glänzend waren die Regierungen von Sethos 1.
(1327—17) und Ramses 11. (1317—1250), dem Sesostris der
Griechen, welche glücklich in Syrien und Äthiopien kämpf-
ten und eine großartige Bautätigkeit entfalteten; so errich-
tete Ramses 11. u. a. das Ramesseum bei Theben und
den berühmten Felsentempel von Abu Simbel. Ramses 11.
begann auch mit dem Bau eines Kanals zwischen dem Nil
und dem Roten Meere und zwar mußten dafür und für den
Bau von Vorratsstädten die Israeliten Frohndienste leisten;
dieser Bedrückungen wegen wanderten sie unter seinem Nach-
folger Mineptah, dem „Pharao" der Bibel, aus. Nach Mi-
neptahs Tod wurde das Reich durch innere Unruhen und
Wirren stark erschüttert und von Syrien zinsbar gemacht,
und erst durch die 20. Dynastie der jüngeren Ramessiden
(1200—1085) wurde Ägypten wieder frei. Ramses 111. (1200
bis 1168) schlug die Libyer und die mit ihnen verbündeten
kleinasiatischen Seeräuber, welche immer von neuem in
Ägypten einfielen und bis Heliopolis vordrangen. Aber mit
Ramses 111. starb der letzte große Pharao des Neuen Reiches,
die Könige kamen bald ganz in Abhängigkeit von der Priester-
aristokratie und es bildeten sich Gegendynastien in Unter-
ägypten. Es beginnt die Zeit unverfrorener Grabdiebstähle,
selbst in den Grüften der alten Herrscher, sodaß man unter der
nächsten Dynastie die bedrohten Mumien in den Felsspalt
oberhalb Der el Bahari rettete, bis sie nach 3000 Jahren
wieder aufgefunden und nach siebenjährigen gelegentlichen
Plünderungen durch die Fellachen 1881 den Museen zuge-
führt wurden.
Die 21. Dynastie (1085—950), welche die Ammon-
Priesterkönige nach Nubien verbannte, hatte ihren Sitz in
Tanis. Die 22. Dynastie (950—780), einem libyschen
Fürstengeschlecht entstammend, residierte in Bu hast is, machte
auf kurze Zeit Palästina tributpflichtig und trug als Vertreter
der Heeresmacht die Doppelkrone, aber der Verfall Ägyptens
nahm unter ihr und ihren Nachfolgern reißend zu; The-
ben ging schon um 840 an die Äthiopier verloren und
unter der 23. Dynastie war das Land unter etwa 20 Fürsten
aufgeteilt. Umsonst suchte Tafnecht aus Sais, einer der
Könige der 24. Dynastie, das Land wieder zu einen; seine
Gegner wandten sich um Hülfe nach Nubien, wo die unter
der 21. Dynastie vertriebenen Priesterkönige des Ammon
unterhalb des 4. Katarakts ein selbständiges Reich Napata
geschaffen hatten, und der damalige Äthiopier-König Pianchi
drang nach Unterägypten vor, eroberte Memphis, bedrohte
das Delta und gab schließlich dem um Frieden bittenden
Tafnecht Ägypten zum Lehn. Aber schon sein unternehmen-
der Nachfolger unterlag 716 dem Äthiopier-König Sabako
und mit diesem .beginnt die 25., aus drei Äthiopier-Herr-
schern bestehende Dynastie, unter deren weisen und wohl-
wollenden Regierung sich das Land zunächst erholte, aber dann
in die Kämpfe der Syrer gegen die Assyrer verwickelt wurde.
Das anfängliche Glück wurde bald untreu, die Assyrer er-
oberten im Jahre 671 Ägypten, plünderten Theben gründ-
lich und stürzten die Herrschaft der Äthiopier; sie gaben den
20 Teilfürsten ihre Selbständigkeit wieder, nahmen Tribut
von ihnen und setzten König Necho von Sais als Oberhaupt
dieses Bundesstaates ein. Die Äthiopier drangen aber noch
wiederholt bis Memphis vor und erst unter Nechos Sohn
Psametich 1. (664 — 10), dem Gründer der berühmten 26. Dy-
nastie, gelang es mit Hülfe griechischer Söldner von Klein-
asien , das Land sowohl von den Assyrern , wie von den
Äthiopiern zu befreien und sich auch der lästigen Stadt- und
Gaufürsten zu entledigen, in dieser sogenannten ägyptischen
Renaissance-Periode fanden Kunst und Wissenschaft verständ-
nisvolle Pflege und es entwickelte sich wieder eine reiche
Bautätigkeit, auch Ackerbau und Wasserwirtschaft wurden ge-
fördert und anderseits Nubien und das Land der Philister
dem Reiche wieder unterworfen. Indessen erregte es das
Mißfallen der Ägypter, daß Psametich die Ausländer über-
mäßig begünstigte, besonders die, übrigens erst aus ange-
siedelten Söldnern erwachsene, Kriegerkaste fühlte sich zurück-
gesetzt und wanderte deshalb, angeblich in einer Stärke von
240000 Mann, nach Äthiopien aus, wo sie das sembritische
Reich gründete. Der Schwerpunkt des Reiches aber wurde
immer mehr von Oberägypten weg und nach Memphis
verlegt, während das „hunderttorige Theben" in unaufhalt-
samen Verfall geriet, und an Stelle von Ammon Osiris trat.
Necho II. (610 — 594) unterwarf 608 nach dem Falle Assyriens
für kurze Zeit wieder Syrien bis zum Euphrat, wurde dort
aber schon 604 von Nebukadnezar geschlagen und mußte
das eroberte Land ganz räumen ; er begann aufs neue mit
dem Bau des Kanals zwischen dem Nil und dem Roten
Meere und ließ durch die Phöniker in dreijähriger Reise ganz
Afrika umschiffen, ohne daß diese nautische Großtat prak-
tische Folgen zeitigte. Die Vorteile der geographischen Lage
zwischen zwei Meeren gingen für das alte Ägypten überhaupt
großenteils verloren, weil das Volk eine durch religiöse \^or-
stellungen genährte Abneigung gegen das Meer empfand und
sich mit dem Seewesen nicht befreunden konnte. Erleuch-
tete Herrscher, die die Vorteile der Seeschiffahrt für Macht
und Wohlstand erkannten, mußten sich dafür Fremder, der
Phöniker und Griechen bedienen, und mit dem Tode solcher
Fürsten gingen die Früchte ihrer Taten verloren. Unter
Nechos Sohn Psametich II. (594—89) suchte man Land-
gewinn nach Süden zu bis über Abu Simbel hinaus zu
gewinnen.
Der unglückh'ch verlaufene Feldzug der Ägypter gegen
König Battos II. von Kyrene kostete dem Enkel Psametich II.,
Uahabra, der sich wieder Phönikiens bemächtigt hatte, den
Thron, und Amasis II., ein Mann von niederer Herkunft, ge-
langte 570—28 zur Herrschaft. Dieser eroberte Cypern,
verstand sich mit Kyros, dem Gründer der neuen asiatischen
Großmacht Persien und mit Kyrene gut zu stellen und war
ein begeisterter Freund der Griechen, denen er um 560 die
Stadt Naukratis bei dem heutigen Desuk am Rosette-Mün-
dungsarm als privilegierte Handelsstation überließ. Schon
um das Jahr 700 herum hatten sich hier griechische Händ-
ler niedergelassen, die Faktorei war allmählich zu einer
Fremdenstadt unter eigener Verwaltung angewachsen und
auf sie wurde der ganze Handelsverkehr mit den ionischen
und dorischen Städten beschränkt. Kurz nach Amasis Tode
aber rückte Kyros Sohn Kambyses gegen Ägypten, die ein-
zige noch übrige Großmacht der alten Welt vor, schlug
Psametich 111. 527 bei Pelusium bis zur Vernichtung, er-
stürmte Memphis und ließ den gefangen genommenen
Psametich, als sich dieser in eine Verschwörung einließ,
töten.
Ägypten wurde nun persische Provinz und zinste,
statt nach Sais, 200 Jahre lang nach Susa, ohne daß das
ägyptische Kulturleben dadurch merklich beeinflußt wurde.
Unter Kambyses Nachfolger Darius I. wurde der mehrmals
in Angriff genommene Kanal zwischen Nil und Rotem Meere
endlich vollendet. Perioden geglückter Aufstände gaben dem
Lande sogar zeitweilig seine Selbständigkeit wieder und nach
— 9 —
stets wiederholten Rebellionen ging Ägypten durch eine solche
im Jahre 415 dem Reiche des Ostens verloren, dadurch, daß
ein saitischer Fürst mit Hülfe griechischer Söldner die
Perser vertrieb. Diese Unabhängigkeit währte aber nur bis
zur Mitte des nächsten Jahrhunderts; zunächst gelang es
343-332 den Persern noch einmal, sich für kurze Zeit des
Landes zu bemächtigen, aber schon 332 zog Alexander
der Große in das widerstandslose Ägypten ein und dies
blieb nun bis v306 unter makedonischer Herrschaft. Bei der
großen Satrapienverteilung nach Alexander des Großen Tod
mit Ägypten bedacht, traf der makedonische Feldherr Pto-
lemäus 323 dort ein, nahm 305 den Königstitel an und
seine Nachfolger regierten das Land bis zum Jahre 30
vor Christo.
Die Dynastie der Ptolemäer brachte Ägypten anfäng-
lich noch einmal eine Zeit des Glanzes zurück. Durch
Staatsklugheit, weises Schonen der Religion und Anbequemen
an die Sitten ihrer Untertanen, durch kriegerische Erfolge
und Pflege der Wissenschaften und Künste, sowie des Han-
dels und der Industrie wußten die ersten Herrscher dieses
Hauses sich nicht nur die Liebe der Ägypter, sondern auch
Ansehen bei den übrigen Nationen zu verschaffen. Das im
Jahre 331 von Alexander begründete und nach ihm benannte
Alexandria, soeben erst aus dem Nichts emporgetaucht,
konnte als Hauptstadt der Ptolemäer bereits nach wenigen
Jahrzehnten an der Spitze des hellenistischen Orients strah-
len, als Sitz des Hofes, der Gelehrsamkeit — schon Ptole-
mäus I. gründete das weltberühmte Museum — und Stapelplatz
eines blühenden Handels, der die Schätze Indiens gegen die
Produkte des Abendlandes eintauschte. Memphis Bedeutung
freilich hatte mit der Gründung von Alexandria ihren Todes-
stoß erhalten, die Bevölkerung schwand, nur die Gebäude
blieben übrig, und heute sind von der einst so prächtigen
— 10 —
Residenz nur noch wenige Trümmer vorhanden, nachdem
sie allmählich als Steinbruch für die Bauten Kairos gedient
hatte. Die griechische Handelsstadt Naukratis aber hatte
natürlich schon unter den Persern ihre Stapelvorrechte ein-
gebüßt.
Während die Ptolemäer in Alexandrien griechische Kultur
pflegten , ließen sie im Binnenlande das altägyptische Wesen,
welches der mittelländischen Kultur fremd gegenüber stehen
blieb, bestehen und errichteten sogar selbst den altägyptischen
Gottheiten Tempel im früheren Stile; das beste, was außer-
halb Thebens von Proben ägyptischer Baukunst erhalten ist,
die herrlichen Tempel zu Philä, Edfu, Esneh und Dende-
rah, rühren aus jener Zeit her. Nach außen hin entfaltete
das Reich zuweilen erfolgreich seine Kraft und erwarb Ky-
rene, Cypern und einen Teil von Syrien, im Innern aber
nahmen Unruhen und Sittenlosigkeit mehr und mehr zu,
ebenso wie Zwietracht und Mordtaten unter den könig-
lichen Geschwistern, und nachdem das Land schon seit 168
unter Vormundschaft Roms gekommen war, wurde es nach
dem Tode Kleopatras und des ihren Versuchungen erlegenen
Antonius im Jahre 30 v. Chr. durch Octavianus dem römi-
schen Reiche einverleibt und unter August zur kaiserlichen
Domäne gemacht, die von römischen Präfekten in Alexandria
regiert wurde. Ägypten wurde eine Kornkammer des Reiches,
und verschiedene Versuche, ihre Unabhängigkeit wieder zu
gewinnen, mußten die Ägypter meist hart büßen. Auch die
römischen Kaiser setzten übrigens die pharaonische Bau-
tätigkeit fort, und der Dienst der Isis und des Serapis fand
selbst in Rom Eingang. Mit Decius (249—251) aber neh-
men die hieroglyphischen Erwähnungen römischer Cäsaren
in den Inschriften der ägyptischen Tempel ein Ende, bald
zeigen sich auch hier Zeichen des Verfalls der Römerherr-
schaft, und neben der Beamtenhierarchie beginnen mit zu-
— 11 —
nehmender Christianisierung der Patriarch von Alexandrien
und die Bischöfe ihre Rolle zu spielen.
Das Christentum hatte schon im 1. Jahrhundert,
angeblich durch Markus, Eingang in Ägypten gefunden, doch
wurden die alten Götter erst allmählich verdrängt und der
isiskultus in Philä erst um die Mitte des 6. Jahrhunderts
unter Justinian aufgehoben; unter dem Einfluß des von öden
Felsketten und Wüsten eingeschlossenen Landes aber kam
gerade in Ägypten, zuerst unter dem heiligen Antonius von
Theben (251 — 356), das Einsiedler- und Klosterleben auf.
Heftige Verfolgungen hatten die Christen auch hier beson-
ders unter Septimus Severus (193 — 211), Caracalla (211 bis
217), Decius (249— 251) und Diocletian (284— 305) zu leiden
und erst mit der Thronbesteigung Konstantins des Großen
im Jahre 324, des ersten christlichen Kaisers, fanden diese
Bedrückungen ihren Abschluß. Die Greuel wiederholten sich
freilich schon im 4. Jahrhundert wieder, als die christlichen
Kirchenlehrer in ihren dogmatischen Streitigkeiten über das
Verhältnis der göttlichen und menschlichen Natur in Christus
untereinander für den rechten Glauben kämpften. Die Ein-
geborenen schlössen sich meist der für ketzerisch erklärten
Partei der Monophysiten an, erwählten sich ihren eigenen
Patriarchen und bekämpften die, unter dem vom Kaiser-
hof ernannten Patriarchen von Alexandria stehende, ortho-
doxe Kirche auf das heftigste.
Bei der Teilung Roms im Jahre 395 unter die ost-
römischen Kaiser gestellt, teilte Ägypten den Verfall des
byzantinischen Reiches und war den Raubzügen von
Äthiopiern und Arabern wehrlos preisgegeben, während
Alexandrias Einfluß mehr und mehr auf Konstantinopel
überging. 619 — 628 war Ägypten durch Eroberung in
dem Besitz des Perserkönigs, aber auch nach dessen erkauf-
tem Abzug sollten sich die Byzantiner des Landes nicht mehr
- 12 -
lange erfreuen, denn im Jahre 638 wurde es von Amru, den
Feldherrn des Khah'fen Omar erobert, der 641 auch Alexan-
dria einnahm , wobei er die Unterstützung der mono-
physitischen Einwohner (Kopten) fand, die Byzanz glühend
haßten.
Ägypten wurde nun eine Provinz des arabischen Khali-
fats und Alexandrien verlor seine Stellung zu Gunsten des
von Amru gegründeten Lagerplatzes Fostät = Alt-Kairo an
der Wurzel des Deltas, da man von dem Einfluß des üppi-
gen Alexandria eine V^erweichlichung der Araber befürchtete.
Durch Omar und dessen Nachfolger Othman wurden meh-
rere arabische Stämme im Niltal angesiedelt, zahlreiche Kop-
ten traten zum Islam über, und dieser erlangte bald das
Übergewicht über das Christentum, welches in gänzliche
Ohnmacht sank. Unter den Omajjaden (661 — 750) und Ab-
bassiden (750—870) spielte Ägypten keine maßgebende Rolle,
es stand unter häufig wechselnden Statthaltern, die bei Ver-
fall des Khalifats nach Unabhängigkeit strebten. So gelang
es dem Statthalter Ahmed Ibn Tulun 870, die bis 904 dau-
ernde Herrschaft derTuluniden zu begründen, und nachdem
von 904 — 935 noch einmal die Abbassiden, dann bis 969
ein türkischer Statthalter ichschid die Macht an sich gerissen,
drangen nach verschiedenen mißglückten Versuchen im letz-
teren Jahre die Schiiten unter dem Feldherrn Dschohar von
Westen her ein und eroberten Ägypten für den Fatimiden-
Herrscher Muis, welcher im Jahre 972 seine Residenz nach
der, wenig nördlich von Fostat angelegten, neuen Stadt El
Kahira (Kairo), d.h. die „Siegreiche", verlegte. Dieses wurde
nun der Mittelpunkt des weiten Reiches der Fatimiden,
deren Herrscher den Titel Khalif annahmen. Nach glanz-
voller Regierung wurde diese Dynastie 1171 durch den Kur-
den Saladin verdrängt, welcher die kurze Herrschaft der
Ejjubiden begründete, unter denen der Handel von Alexan-
— 13 —
dria wieder aufblühte und die während der damahgen Kreuz-
züge auch Syrien besaßen. Die schon unter den Fatimiden
begonnene Begünstigung des fremden Handels und der Nie-
derlassung der durch besondere „Kapitulationen" geschützten
fremden Kaufleute in Ägypten wurde fortgesetzt, zuerst hatte
davon 1154 Pisa Gebrauch gemacht, Amalfi und Venedig
folgten, 1177 auch Genua, 1250 Frankreich und 1282 das
Königreich Arragon ; selbst während der Kreuzzüge dauerten
diese sehr einträglichen Handelsbeziehungen fort, obgleich
die Päpste sie unter Androhung des Bannes verboten. Konn-
ten doch die Waren Indiens und Arabiens auf keinem an-
deren Wege, als den über Ägypten bezogen werden.
Freilich wurde unter den Ejjubiden auch eine der
traurigsten Perioden der ägyptischen Geschichte, die der
Mameluken eingeleitet. Diese Mameluken waren von den
Türken gekaufte Kriegsgefangene aus Turan und dem Kau-
kasus und bildeten wegen ihrer kriegerischen Tüchtigkeit die
Leibgarde der Ejjubiden; der Khalif Nedschem Eddin ver-
teilte auch den größten Teil Ägyptens als Lehen unter sie
und sie wußten dessen Land-Bevölkerung völlig zu Leibeige-
nen herabzudrücken. Als aber König Ludwig IX. von Frank-
reich, bei seinem Versuch, Ägypten zu erobern, 1250 in die
Gefangenschaft des Khalifen Moadham fiel und dieser, ohne
die Mameluken zu befragen, mit dem König einen Vertrag
schloß, wurde er von der Leibgarde ermordet und es folgte
nun die Mameluken-Herrschaft der Bahariden 1250—1382.
Vollbrachten einige derselben auch mannhafte Kriegszüge in
Syrien, schmückten Kairo mit prachtvollen Bauten und pfleg-
ten arabische Wissenschaft, so sank das ganze Land doch un-
aufhaltsam in elende Zustände, die noch schlimmer wurden
unter den tscherkessischen Mameluken oder Bordschiden
1382 — 1517, deren Geschichte eine fast ununterbrochene
Reihe von Gräueln und Gewalttaten ist. Viel wurde daran
— 14 —
auch nicht geändert, als der Osmanensultan Selim I. 1517
Ägypten eroberte, denn das Niltal war dem Großsultan am
Bosporus nur als Quelle seiner Steuereinkünfte wertvoll, und
dementsprechend wurde zum Beglerbeg oder Pascha von Kairo
nicht der Tüchtigste, sondern derjenige bestellt, welcher sich
zur Ablieferung der größten Summen verpflichtete. Die Pa-
schas selbst wieder aber waren ganz von den 24 Mameluken-
begs abhängig, welche die Miliz befehligten, die Steuern ein-
zogen und nur einen Tribut an den Pascha zahlten, im übri-
gen aber in beständiger Fehde untereinander lebten und das
Land verwüsteten, im Jahre 1768 erklärte sich der Mame-
lukenbeg Ali als unabhängiger Herrscher Ägyptens und brach
1770 in Syrien ein, wurde aber von seinem, durch die Tür-
ken bestochenen Schwiegersohn Mohammed Beg vertrieben
und letzterer 1773 von der Pforte als Pascha von Ägypten
eingesetzt. Nach ihm teilten sich die Begs Murad und Ibra-
him die Herrschaft.
So lagen die Dinge, als die Franzosen, um ihren Ruhm
im Mittelmeer zu erhöhen, gleichzeitig den englischen Han-
del zu schädigen, und von Ägypten aus die britische Macht
in Ostindien zu bedrohen, nach einem von Bonaparte selbst
entworfenen Plane in Ägypten erschienen. Am I.Juli 1798
traf die französische Flotte vor Alexandria ein, das schon
am nächsten Tage von dem Landungskorps im Sturm ge-
nommen wurde, am 21. Juli wurden die Mameluken beiden
Pyramiden geschlagen, wobei man immense Beute machte
und am 22. Juli fiel Kairo. Allein die Vernichtung der fran-
zösischen Flotte durch Nelson bei Abukir am 1. August
zerstörte die weitgehenden Hoffnungen Bonapartes und
auch die Türken rüsteten nunmehr Heer und Flotte gegen
ihn aus.
Zwar wurden die Grundzüge einer französischen Ver-
waltung Ägyptens festgestellt und die flüchtigen Mameluken
— 15 —
bis zum ersten Katarakt verfolgt, aber nach dem 1799 ergeb-
nislos verlaufenen Feldzug in Syrien und Bonapartes heim-
licher Rückkehr nach Frankreich 1800 hielten die Franzosen
den vereinten Angriffen der englischen und türkischen Flotte
und des türkischen Heeres nicht stand; am 27. Juni 1801
kapitulierte Kairo, am 2. September 1801 Alexandria, und
die französischen Besatzungen, welchen man freien Abzug
mit Waffen und Gepäck zugestanden, wurden auf Kosten
Englands nach Frankreich eingeschifft. .'Vuch der größere
Teil der wissenschaftlichen Sammlungen konnte von den
Franzosen nach Paris gerettet werden und bildete den Haupt-
erfolg der Expedition überhaupt, welche für das Abend-
land zum ersten Male den über Geschichte und Geographie
Ägyptens liegenden Schleier gelüftet hatte. Im Jahre 1803
zogen sich auch die Engländer von Ägypten zurück, nach-
dem auf ihre Veranlassung die aufständischen Mameluken
von der Pforte begnadigt worden waren gegen das Ver-
sprechen der Begs, sich nicht mehr in die Regierung Ägyp-
tens einmischen zu wollen.
Ägyptens neue Zeit beginnt mit Mohammed Ali,
einem aus niederen Kreisen stammenden, im Jahre 1769 zu
Kavala in Rumelien geborenen Makedonier, der daheim Offi-
zier geworden und im Jahre 1800 als Befehlshaber des vom
Sultan entsandten Albanesenkorps nach Ägypten gekommen
war, wo er sich auch wieder bei jeder Gelegenheit auszeich-
nete und Dank seines durch kluge Mäßigung und eine
schlaue, wenn auch nicht ehrliche Politik erworbenen An-
sehens 1805 zum Pascha erhoben wurde. Aber Ägyptens
Kassen waren leer und es galt sich auf geschickte Weise der
drohenden Mameluken zu entledigen, die ihren Rückhalt
gleichmäßig an England und an der, auf die Macht des Statt-
halters eifersüchtigen und dem Golde der Mameluken zu-
gänglichen Pforte fanden. Des Beistands der Mameluken
— 16 —
sich sicher wähnend, bemächtigte sich England der Städte
Alexandrien und Rosette und sandte Truppen gegen Moham-
med Ah", mußte aber nach zwei empfindlichen Niederlagen
1807 wieder abziehen. Nunmehr galt es mit den Mameluken
aufzuräumen und zu diesem Zwecke lud Ali sie zu einem
Feste auf die Zitadelle in Kairo und ließ hier am 1. März
1811 die erschienenen 480 der angesehensten Begs ver-
räterisch massakrieren und gleichzeitig den Befehl an die
Gouverneure der Provinzen ergehen, alle dortigen Mameluken
niederzumachen.
Nachdem so Mohammed Ali von seinen bittersten Fein-
den, das Land von seinen größten Tyrannen befreit war,
ging der Pascha daran, Regierung und Verwaltung des Lan-
des gründlich zu reformieren, den Finanzen aufzuhelfen,
Handel- und Ackerbau zu beleben, industrielle Unternehmungen
einzuführen, überall Ruhe und Ordnung herzustellen, nach
europäischem Muster ein stehendes, durch Konskription ge-
bildetes Heer und eine Kriegsflotte zu organisieren und sein
Volk durch Schulen und Institute aller Art zu bilden. Frei-
lich wurde dabei vieles überstürzt, manches in den Mitteln
verfehlt und besonders berüchtigt ist sein zur Hebung der
Finanzen eingerichtetes Monopolsystem. Mohammed Ali
hatte das Niltal in seinen Privatbesitz gebracht; 1814 ließ er
die Güter zur toten Hand und alles Stiftungsvermögen in
liegenden Gründen, den Waküf, endlich auch alles in Erb-
pacht befindliche Land für sich einziehen, er nahm den Han-
del Ägyptens nahezu in eigenen Betrieb und bedrückte die
Bauern (Fellachen) nicht nur durch hohe Kopfsteuern, son-
dern auch durch den Zwang, alle Ernten an die Regierung
zu verkaufen; statt Pächter wurden die Fellachen somit elend
bezahlte Tagelöhner, die neben drückendsten Abgaben schwere
Frohndienste zu leisten hatten. Bis zum Jahre 1833 wurde
jedem Fellachen seine ganze Ernte um einen von der Re-
- 17 —
gierung festgesetzten Preis abgekauft und ihm sodann um
einen höheren Preis soviel Getreide wieder verkauft, als er
zum Lebensunterhalt und zur neuen Aussaat brauchte. Nach
1833 nahm die Regierung von der Ernte nur soviel, als die
Steuern betrugen, schrieb aber den Bauern vor, was und
wieviel sie an Getreide, Baumwolle, Indigo usw. bauen soll-
ten; Baumwolle und Indigo wurden für Monopole erklärt
und nur an die Regierung verkauft. Durch umfangreiche
Damm- und Kanal-Anlagen, wie z. B. des .1823 begonnenen
Alahmudieh-Kanals, vermehrte Mohammed Ali den kultur-
fähigen Boden bedeutend. Nachdem er 1829 die Grundzüge
der Reform mit einer Notablenversammlung beraten hatte,
wurde die Verwaltung reorganisiert, er ernannte auch viele
Christen, besonders Franzosen, zu Beamten und schickte
junge Araber und Türken zu ihrer Ausbildung nach Frank-
reich.
Die äußere Macht Ägyptens aber breitete besonders
sein kriegserfahrener Adoptivsohn Ibrahim aus, der 1816
bis 1818 den Wahabitenstaat in Arabien brach und die Land-
schaft Hedschas mit den heiligen Städten Mekka und Medina
unterwarf. Ein anderer Krieg wurde gegen die Nubier und
Sudanneger in Szene gesetzt, um die immer unbequemer
werdenden albanesischen Söldner zu beschäftigen und zu-
gleich unter den Negern Mannschaften zu gewinnen für das
Heer, zu dem man in der Zwischenzeit auch Fellachen mit
so gutem Erfolge heranzog, daß die überflüssig gewordenen
Albanesen nach ihrer Rückkehr vom Süden größtenteils ent-
lassen wurden, in der Tat bewährten sich die Fellachen, als
der Sultan gegen die aufständigen Griechen Heer und Flotte
Ägyptens zur Hülfe erbat und Ibrahim 1824 Morea eroberte,
wo er sich auch bis 1828 hielt, nachdem 1827 die türkisch-
ägyptische Flotte bei Navarino vernichtet worden war. Der
vom Sultan geforderten Hülfeleistung im Kriege der Pforte
Schanz, Ägypten. 2
— 18 —
gegen Rußland 1828 — 29 wußte sich Mohammed Ali aber
zu entziehen, denn er war nicht mehr geneigt, seine Kräfte
im Dienste der Pforte aufzubrauchen, sondern hielt es viel-
mehr an der Zeit, sich selbständig zu machen, und als ihm das
als Belohnung für gebrachte Opfer von ihm für seinen Sohn
Ibrahim geforderte Paschalik Damaskus verweigert wurde,
ließ er diesen in Syrien einrücken. Ibrahim eroberte ganz
Syrien und drang über den Taurus auch nach Kleinasien vor,
wurde aber durch die Intervention der besorgten Westmächte
am 4. Mai 1833 zum Frieden von Konia gezwungen, welcher
Mohammed Ali Syrien bis zum Taurus beließ. Der Besitz
dieser Provinz wurde freilich durch ständige Kleinkriege sehr
entwertet. 1838 erklärte Mohammed Ali endlich energisch,
die ihm 1833 versagte vollständige Unabhängigkeit erringen
zu wollen, und durch Ibrahims Sieg bei Nisibi und den Über-
gang der türkischen Flotte zur ägyptischen glaubte er sie
auch bereits erreicht zu haben und den Fall der Pforte sicher,
als sich die Quadrupelallianz Rußlands, Englands, Österreichs
und Preußens ins Mittel legte, an der Bekämpfung Moham-
med Alis teilnahm und diesen schließlich, als er auch von
Frankreich die anfangs in Aussicht gestellte Hülfe nicht er-
hielt, im November 1840 zur bedingungslosen Unterwerfung
zwangen, die er tief gebeugt zugestand. In einem Ferman
vom 13. Februar 1841 gewährte ihm die Pforte zwar die
erbliche Herrschaft Ägyptens, aber mit so viel einschränken-
den Bedingungen, daß ihn Mohammed Ali würdevoll zurück-
wies und eine Revision durchsetzte, aus welcher der In-
vestitur-Ferman vom 1. Juli 1841 hervorging. Derselbe ge-
stand zu: Die Erblichkeit der Herrschaft Ägyptens in der
Familie Mohammed Alis an den jeweilig Ältesten, vorbehalt-
lich der jedesmaligen Belehnung des neuen Walis; Selbst-
ständigkeit der Verwaltung im Innern, Ernennungsrecht für
die Beamten und für die Offiziere bis zum Obersten, das
- 19 -
Recht von Abschluß von Verträgen mit fremden Staaten mit
Ausnahme von pohtischen; gefordert dagegen wurden die
Erhebung der Steuern im Namen des Sultans, Beschränkung
der ägyptischen Armee auf 18000 Mann, und ein jährhcher
Tribut von 60000 Beuteln = etwa 6 Milh'onen Mark. Syrien
hatten die Ägypter schon 1840 räumen müssen.
Mohammed Ah" widmete sich nun wieder der Kultur
des durch kostspielige Kriege ausgesogenen Landes, erbaute
einen großen Nildamm und legte Straßen an; aber seine
Kraft war gebrochen, er verfiel bald in Stumpfsinn, sodaß seit
1844 seine Söhne in die Regierung eingreifen mußten, und
1848 wurde Ibrahim mit Ägypten belehnt. Leider starb
dieser, nicht nur als Feldherr, sondern auch als Regent und
Organisator sehr tüchtige Pascha bereits nach wenigen Mo-
naten, und als am 2. August 1849 Mohammed Ali einsam
auf seinem Landsitz Schubra verschied, regierte bereits sein
Enkel Abbas Pascha (1848 — 54). Dieser entfernte zunächst,
nicht unbegreiflicher Weise, alle Abendländer, mit Ausnahme
der Engländer, aus ägyptischen Diensten, und wenn er selbst
auch roh, lasterhaft, grausam und habgierig war, so mußte
er sich, obgleich widerwillig, unter europäischem Einfluß doch
zur Einführung von mancherlei Verbesserungen entschließen.
So wurde das Monopolwesen beseitigt, der Landbauer
von willkürlichen Erpressungen befreit und der Bau der
Bahnen von Kairo nach Alexandrien und Suez begonnen.
Die Pforte machte ihm gegenüber ihre Rechte mehrfach nach-
drücklicher geltend, und empfing im Krimkriege auch ein
ägyptisches Hülfsheer von 15000 Mann. Nach Abbas' Er-
mordung folgte 1854—63 Mohammed Ali's vierter Sohn Said
Pascha, der selbst europäische Bildung genossen hatte, sich
gern mit Europäern, besonders Franzosen, umgab und den
besten Willen besaß, dem Lande zu nützen, in seinen Ent-
schlüssen aber sehr wankelmütig und in seiner Finanzwirt-
2*
- 20 -
Schaft sehr locker war, ein Umstand, den zahlreiche Aben-
teurer, die er nicht durchschaute, auf das ausgiebigste aus-
nützten. Verdient machte er sich aber dadurch, daß er die
Sklaverei abschaffte, der Bauernschaft die freie Verfügung
über den Anbau-Ertrag zurückgab, eine gerechtere Verteilung
und Erleichterung der Steuern durchführte, und durch die Vol-
lendung und Erweiterung der Bahnbauten. Vor allem aber
gereicht ihm zum Ruhme, die Erbauung des Sueskanals mit
Begeisterung und großartiger Liberalität gefördert zu haben,
trotz des Widerstandes, welchen die Pforte und England Lesseps
Plänen entgegenstellten. Zu Gunsten des Kanalbaues wurde
1862 auch die erste ägyptische Anleihe aufgenommen und von
den 400 000 Stück Suezkanal-Aktien ä 500 Francs erwarb
Said 177 000 Stück für 82^2 Millionen Francs. Mit dem Bau
des Kanals wurde im April 1859 begonnen.
Hatte Said Pascha den eigentlichen Grund zur heutigen
Entwickelung Ägyptens gelegt, so schien sein Nachfolger
Ismail Pascha (1 863^-79), der in Paris erzogene Sohn
Ibrahims, dazu berufen, die Überleitung des Landes in die
Reihe moderner Kulturstaaten zu vollenden. In der Tat ge-
wann er mit der ihm eigenen Lebhaftigkeit große Strecken
wüsten und versumpften Landes der Kultur, führte Dampf-
pflüge und moderne Zuckerfabrikation ein. schenkte den
Kanälen seine Aufmerksamkeit, bedeckte das Delta mit einem
Netz von Eisenbahnen, brachte Post und Telegraph in vor-
züglichen Zustand und unterstützte liberal wissenschaftliche
und historische Erforschung des Landes. Freilich war auch
vieles dabei recht oberflächlich, und die Prunk- und Ver-
schwendungssucht belastete die Staatskasse, nachdem bereits
Said Pascha 30 Millionen Pfund Sterling Schulden hinterlassen
hatte, immer empfindlicher. Er verlieh deshalb, um neue
Mittel aufzubringen, 1866 eine Art Konstitution und berief
als Karrikatur eines Parlaments eine Notabeinversammlung
— 21 -
von 75 auf drei Jahre gewählten Mitgh'edern. Gleichzeitig
bewarb sich Ismail bei der Pforte um Zugeständnisse und
erreichte mit Hülfe kostspieliger Bemühungen 1866 die An-
erkennung der linearen Erbfolge in seiner Familie und 1867
den Titel Chediv (persisch = Fürst) an Stelle des bisher ge-
führten Wali = Statthalter, in der neuen Würde konnte er
im November 1869 bei der prunkvollen Einweihung des 1859
begonnenen Suezkanals eine Reihe Vertreter europäischer
Fürstenfamilien bewirten.
Nach langjährigem Widerstreben der Pforte und nur
durch reiche Geschenke an den Sultan und die Hofwürden-
träger gewann Ismail 1873 endlich die völlige innere Selbst-
ständigkeit Ägyptens, und die Oberherrlichkeit des Padischah
kam nunmehr nur noch in dem Vorbehalt von Staatsverträ-
gen, in der Verpflichtung zur Heeresfolge und dem auf
500000 Beutel erhöhten Jahrestribut zum Ausdruck. Auch
auf die Ausdehnung seines Reiches war Ismail lebhaft be-
dacht. Bereits 1865 und 1866 hatte er von der Pforte die
beiden Hafenplätze Suakin und Massaua erworben, und nach-
dem 1871 der Reisende Werner Munzinger als Gouverneur
von Massaua in seine Dienste getreten war, eroberte dieser
einen Teil der nordabessinischen Grenzländer und wurde
1872 zum Pascha und Generalgouverneur des östlichen Su-
dan ernannt. Ägyptische Truppen waren inzwischen unter
Baker Pascha bis zu den Nilquellen vorgedrungen, eroberten
1874 auch Darfur und 1875 wurden vom Sultan die Plätze
Sela und Berbera an der Nordseite des Somalihorns erwor-
ben, um auch vom Süden her den König Johannes von
Abessinien angreifen zu können; aber der von der Tad-
schura-Bai vorrückende Munzinger wurde am 14. November
1874 bei Aussa im Lande der Galla überfallen und tötlich
verwundet, und ein von Massaua aus unter Ismails Sohn
Hassan herangerücktes Heer von 20000 Mann am 7. März
— 22 —
1876 vom König Johannes bei Gura vollständig geschlagen,
sodaß Ägypten von den abessinischen Eroberungen nur das
von Sela aus erworbene Harrar verblieb. Erst 1877 kam
der Friede mit Abessinien zustande.
Im Juni 1875 waren nach Aufhebung der Konsular-
gerichtsbarkeit die internationalen Gerichtshöfe zur Entschei-
dung von Streitigkeiten zwischen Eingeborenen und Fremden
und der letzteren untereinander ins Leben getreten, mit einem
obersten Gericht in Alexandrien an der Spitze, dessen Tätig-
keit Ismail selbst allerdings illusorisch machte, als des Ge-
setzes Schärfe sich gegen seine eigene verderbliche Finanz-
wirtschaft richtete. Bereits 1875 versagten die Kassen und
die Leistungsfähigkeit des Landes. Noch einmal half sich
derChedive momentan dadurch, daß er die noch in seinem
Besitze befindlichen 176600 Suezkanalaktien, nachdem er
deren Koupons bis 1894 schon vorher veräußert, für vier
Millionen Pfund an die britische Regierung verkaufte — ein
politischer Meisterschachzug Disraelis und ein glänzendes
Geschäft für England — und sich von dieser einen tüch-
tigen Finanzmann, den Generalzahlmeister Cave, zur Regelung
der Finanzen erbat; da aber Ismail nicht zu Einschränkungen
in seinem Hofhalt zu bewegen war, so brach der Staats-
bankrott aus und im Mai 1876 wurden die Zahlungen für
die Zinsen der, von 3\'3 Millionen Pfund in 1863 auf nomi-
nell 68^ 2 Millionen in 1873 angewachsenen Staatsschuld und
ferner auch auf die Privatschuld des Chedivs, der Daira, auf
ein Vierteljahr eingestellt.
Zur Regelung der gesamten Schuld und zur Vertretung
der Staatsgläubiger wurde durch Erlaß vom 2. Mai 1876 die
Caisse de la dette publique, eine Staatsschuldentilgungskasse
mit ausländischen Kommissaren errichtet, und nach Zustim-
mung der Gläubiger, durch Erlaß vom 18. November 1876,
die Staatsschuld in 59 Millionen unifizierte und 17 Millionen
— 23 -
Pfund privilegierte Schuld umgewandelt, die beide an Stelle
der bisherigen 7 Prozent nur noch mit 5 Prozent verzinst
und in 65 Jahren amortisiert werden sollten. Durch Erlaß
vom 17. Juli 1877 wurden auch die schwebende Schuld und
die Dairah-Anleihe in eine konsolidierte „Dairah-Anleihe" von
8'^ .5 Millionen Pfund umgewandelt, die gleichfalls mit 5 " o
verzinst werden sollte.
Die Ausgaben für die Kriege, ein Aufstand in Darfur
und die Entsendung von 5000 Mann Hülfstruppen gegen Ruß-
land 1877 hatten die Finanznot noch mehr erhöht, die be-
denklichen Mittel, die Steuern doppelt zu erheben, den Be-
amten keinen Gehalt, den Lieferanten keine Rechnungen zu
bezahlen und das riesige Vermögen des nach Dongola ver-
bannten Finanzministers zu konfiszieren, schafften keine aus-
giebige Hülfe, und so entschloß sich der Chedive endlich,
seinen ganzen Besitz an den überschuldeten Staat abzutreten
und sich in Zukunft an Stelle der Domäneneinkunft mit
einer Zivilliste zu begnügen. Nach Übereinkommen mit den
Westmächten beauftragte er im August 1878, unter Erteilung
weitgehender Reform-Vollmachten, Nubar Pascha mit der
Bildung eines halb europäischen Kabinetts, in welchem der
Engländer Charles R. Wilson als Finanzminister und der
Franzose Blignieres das Ministerium der öffentlichen Arbeiten
übernahmen, und am 25. Oktober 1878 traten auch alle
Prinzen und Prinzessinnen des vizeköniglichen Hauses den
einst von Mohammed Ali geraubten Landbesitz ab. Wilson
wurde daraufhin vom Chedive autorisiert, mit Rothschild wegen
einer 5 "n igen Domänen-Anleihe von 8^2 Millionen Pfund
zu unterhandeln. Ismail aber konnte sich in diese neue
Lage nicht hineinfinden und benutzte eine wohl auf seinen
Betrieb hin am 18. Februar 1879 entstandene Meuterei der
in Menge entlassenen und nicht bezahlten Offiziere, um seine
Zahlungsverpflichtungen zu ändern.
— 24 —
Während Nubar Pascha, den richtigen Zusammenhang
der Dinge erkennend, sofort seinen Abschied nahm, erhielten
Wilson und Blignieres von ihren Regierungen den Befehl,
auf ihren Posten zu bleiben, wurden aber im April von Is-
mail abgesetzt, der die Zinszahlungen einstellte und sich
durch Vorbereitung der offiziellen Erklärung des Staats-
bankerotts aller seiner Verpflichtungen zu entledigen hoffte.
Die Westmächte waren davon zunächst verblüfft. Aber einem
Protest Deutschlands schlössen sich sämtliche Großmächte
an, und am 25. Juni 1879 sprach der Sultan, trotz der von
Ismail reichlich gespendeten Bestechungsgelder, die Absetzung
von Ismail zu Gunsten von dessen Sohn Taufik aus. Mit
einer Zivilliste von 50 000 Pfund ausgestattet, ging Ismail
zunächst nach Neapel und dann nach Konstantinopel, wo er
1895 starb.
Bei der Investitur Taufiks (1879 — 92) hatte die Pforte
zunächst versucht, den Ferman von 1873 zu Gunsten des-
jenigen von 1841 aufzuheben und erst auf Drängen der
Westmächte hin kam ein neuer Ferman zustande, welcher
dem Chediven das Recht zubilligte, Zoll- und Handelsverträge
mit fremden Staaten abzuschließen , die Finanzen Ägyptens
selbständig zu verwalten und ein Heer von 18000 Mann zu
halten; dagegen durfte er ohne Genehmigung des Sultans
keine Anleihen aufnehmen, keine Panzerschiffe bauen und
mußte einen Jahrestribut von 150000 Beuteln == 665000 £
zahlen.
In das neue Ministerium unter Rias Pascha waren aus
Rücksicht auf die Gefühle der mohammedanischen Bevölkerung
keine Fremden aufgenommen worden, dagegen übertrug man
die Kontrolle der Finanzen einem englischen und einem
französischen Kommissar, E. Baring und Blignieres, welche
beratende Stimme im Ministerrat hatten, das Budget ins
Gleichgewicht brachten und einen Haushaltsplan aufstellten,
- 25 —
der Ägypten nach und nach zu entlasten versprach, freih'ch
nicht ohne harte Bedrückung der mit Steuern belasteten Ein-
geborenen und nicht ohne scharfe Maßregeln gegen die sich
selbst bereichernden Beamten; auch zahlreiche Offiziere wur-
den entlassen, ohne daß ihnen der rückständige Sold aus-
gezahlt wurde. Die hierdurch veranlaßte Unzufriedenheit
benutzte die Militärpartei unter dem fremdenfeindlichen Oberst
Arabi, welche eine Vermehrung der Armee erstrebte, bereits
1881 zu einigen Revolten, durch welche sie den wohlwollen-
den, aber schwachen Chediven zwangen, den Premierminister
Rias Pascha, welcher sich der Vermehrung widersetzte, zu
entlassen und eine Notabeinversammlung zu berufen. Diese
Erfolge ermutigten Arabi Pascha, der im Februar 1882 zum
Kriegsminister ernannt wurde, die Parole: „Ägypten für die
Ägypter" auszugeben und die Abschaffung der europäischen
Finanzkontrolle und die Beseitigung aller europäischen Be-
amten zu fordern. Da der Chediv sich ganz haltlos zeigte
und der Sultan nicht rechtzeitig einschritt, so riß Arabi Pascha
alle Gewalt an sich und proklamierte sich als Haupt der
Nationalpartei, die das Volk von allem Druck befreien
werde.
Das Erscheinen einer englisch-französischen Flotte vor
Alexandrien im Mai 1882 erschwerte nur die Lage, weil
Taufik nunmehr Arabi entließ; darauf wurden die Europäer
von der Menge bedroht und Arabi mußte sofort zurück-
berufen werden. Schon am 11. Juli 1882 fielen in Alexan-
drien durch den aufgereizten Pöbel die ersten europäischen
Opfer des Fremdenhasses, und da die Übeltäter nicht bestraft
wurden und Arabi die Befestigungen von Alexandrien ver-
stärkte, schritt die inzwischen auch verstärkte englische Flotte
unter dem Vizeadmiral Frederik Beauchamp Seymour am
11. Juli 1882 in völkerrechtswidriger Weise zum Bombarde-
ment, worauf die Eingeborenen an der ganzen Fremden-
— 26 —
Kolonie blutige Rache nahmen und deren Häuser meist in
Brand steckten. Arabi Pascha, nunmehr vollkommen als
Diktator handelnd, zog ein Heer in Unterägypten zusammen.
Aber England erklärte daraufhin den Suezkanal für gefährdet,
sandte ein Landheer unter Wolseley, und dieses nötigte am
13. September 1882 bei dem befestigten Teil el Kebir die
feige ägyptische Armee zur Übergabe und bemächtigte sich
ihres nach Kairo geflohenen Führers und seiner Minister,
die ein Kriegsgericht zu dauernder Verbannung nach Ceylon
verurteilte.
Taufik aber wurde nach Kairo zurückgeführt und die
Verwaltung sogleich unter britischen Einfluß gebracht. Mit
„Genehmigung" des Chediven, wenn auch unter Protest der
Pforte, übernahm die britische Regierung im Namen des
Chediven die Verwaltung des Landes, die Ämter in den
Ministerien wurden mit britischen Untertanen besetzt, das
Finanzwesen wurde nach englischem Muster geregelt, die
ägyptische Armee aufgelöst und später durch englische Offi-
ziere neu organisiert. Der eigentliche Verwalter des Landes
aber wurde mehr und mehr der kluge Finanzmann Sir Eve-
lyn Baring, 1877^79 englischer Kommissar bei der Schulden-
verwaltung, 1879 — 80 Generalkontrolleur, seit 1883 britischer
bevollmächtigter Minister und Generalkonsul, 1892 zum Lord
Cromer ernannt und 1901 in den erblichen Grafenstand
erhoben.
Inzwischen war 1883 durch den neu erweckten islami-
tischen Gedanken, den Mahdismus, der Sudan abgefallen,
nachdem ein ägyptisches Heer am 3. November 1883 bei
Kaschgil vernichtet worden war. Gordons Versuch, den
Sudan wiederzugewinnen, scheiterte; von England nicht recht-
zeitig unterstützt, fand er in Chartum am 26. Januar 1885
seinen Tod, und die Ägypter räumten nun auch die von ihnen
besetzten Plätze am roten Meere und in Harrar. Auch nach
— 27 —
dem Tode des Mahdi Mohammed Achmed wurde eine Wieder-
eroberung des Sudans nicht versucht; Wadi Haifa am 2. Ka-
tarakt bh'eb die südhche Grenzstation des Reiches, und die
engh'sch-ägyptischen Truppen in Suakin, des einzigen am
roten Meere gehaltenen Platzes, beschränkten sich darauf,
die räuberischen Angriffe der Scharen Osman Digmas zurück-
zuweisen.
Ließen so die Engländer eine bedeutende Schwächung
der ägyptischen Macht und die Vernichtung der Anfänge der
Zivilisation am oberen Nil zu, so gelang es ihnen doch, die
Finanzen Ägyptens durch umsichtige und sparsame Verwal-
tung zu ordnen. Mit Zustimmung der an der Finanzkontrolle
beteiligten Mächte und unter deren Garantie wurde 1885 eine
3 " oige amortisierbare Anleihe von 9 Millionen Pfund aufge-
nommen, welche die Zahlung der Entschädigungsgelder für
die 1882 erlittenen Verluste ermöglichte. Die teilweise von
englischen Offizieren befehligte Armee wurde auf 5000 Mann
reduziert; dazu kamen 6000 Mann Gensdarmerie und 5000
Mann englischer Besatzung. Hierdurch wurde es möglich,
die Ausgaben so zu vermindern, daß schon 1885 ein Über-
schuß über den Voranschlag erzielt wurde, der sich mit
jedem Jahre mehrte und eine Erleichterung der Steuerlast
gestattete. •
Die Ereignisse im Sudan, das Drängen der Pforte und
allgemeine politische Erwägungen hatten England bestimmt,
sich 1885 wegen Zurückziehung seiner Truppen auf Ver-
handlungen in Konstantinopel einzulassen, und in der Tat
wurde am 22. Mai 1887 ein Abkommen getroffen, demzu-
folge Mitte 1890 die Räumung Ägyptens durch die Engländer
vollzogen sein sollte; der von Rußland beeinflußte Sultan
aber verwarf es im letzten Moment, und seitdem hat die
englische Besatzung, trotz des französischen Widerspruchs,
tatsächlich den Charakter eines Protektorats angenommen.
— 28 —
1886 wurde die Aufhebung der Frohnarbeit beschlossen,
und am 29. Oktober 1888 wurde in Konstantinopel der
Vertrag zur Sicherung der freien Passage im Suezkanal ge-
zeichnet und dessen unbedingte Neutralität ausgesprochen;
dagegen scheiterte die im Jahre 1889 geplante Konvertierung
und Zinsreduktion der privilegierten Schuld zunächst an dem
Widerspruch Frankreichs, das sich für seine Verdrängung
aus Ägypten rächen wollte, und konnte erst 1890 durch-
geführt werden.
Der plötzliche Tod Taufik Paschas am 7. Januar 1892
und die Thronbesteigung seines noch nicht 18jährigen, im
Wiener Theresianum erzogenen Sohnes Abbas II. Hilmi
gaben den Engländern erwünschten Vorwand, die Räumung
Ägyptens von neuem zu verschieben. Im Januar 1893 suchte
sich zwar der junge Chedive der drückenden englischen
Oberherrschaft, die trotz ihrer finanziellen Erfolge auch beim
Volke höchst unbeliebt war, zu entziehen, aber die englische
Regierung schritt gegen diese Bestrebungen sofort energisch
ein. Der englische Vertreter in Kairo forderte und erreichte
vom Chediven die Ernennung des England freundlich ge-
sinnten Rias Pascha zum Ministerpräsidenten; unter dem
Vorwand, daß durch die Aufreizung der niederen Volks-
klassen die Sicherheit der Europäer in Ägypten gefährdet
sei, wurde noch im Januar die damals 3500 Mann zählende
englische Besatzung um 2000 Mann verstärkt und der eng-
lische Staatssekretär des Auswärtigen, Lord Roseberry, be-
nutzte die Gelegenheit, um in einem Schreiben an Lord
Cromer zu erklären, daß die Zurückziehung der englischen
Truppen aus Ägypten unmöglich sei, da sie die Sicher-
heit der dortigen Europäer gefährden, den Rückfall des
Landes in die Verwirrung herbeiführen und damit ein neues
Einschreiten nötig machen würde. Und als Abbas Pascha
sich bei einem Besuche der Südgrenze, wo englische Truppen
— 29 —
zum Schutze derselben zusammengezogen waren, im Januar
1894 in Wadi Haifa ungünstig über die englischen Offiziere
und die von ihnen befehligten Truppen äußerte, wurde er
von Lord Cromer sofort gezwungen, als Sühne den Unter-
staatssekretär des Krieges, Mäher Pascha, zu entlassen und
in einem Tagesbefehl die Beschaffenheit und die Leistungs-
fähigkeit der Truppe und ihrer englischen Offiziere lobend
anzuerkennen. Als der Chedive darauf Rias Pascha entließ
und an dessen Stelle Nubar Pascha an die Spitze des Mini-
steriums berief, rhußte er einen englischen Beirat in dem
Ministerium des Innern zulassen.
Die Klagen des gesetzgebenden Rats über zu hohe
Besteuerung und seine Forderung, daß die Zahl der Be-
amten, besonders der europäischen, vermindert und die
öffentlichen Bauten eingeschränkt würden, wies auf Englands
Verlangen die ägyptische Regierung einfach zurück, vielmehr
setzte sie im Februar 1895 einen besonderen Gerichtshof
ein zur Aburteilung von Verbrechen und Vergehen, die sich
Eingeborene gegen englische Offiziere und Soldaten zu
Schulden kommen lassen würden. Da Nubar Pascha wegen
eines Beinbruchs schon im November 1895 zurücktrat, wurde
der ganz unter englischem Einfluß stehende Mustapha Fehmi
Ministerpräsident.
Im Jahre 1896 beschloß England, die Wiedereroberung
des 1885 durch seine Schuld verloren gegangenen, ehemaligen
ägyptischen Sudan in Angriff zu nehmen; einmal wollte es
damit einen neuen Vorwand zur ferneren Besetzung Ägyptens
gewinnen, sodann aber auf ägyptische Kosten seine Inter-
essensphäre bis ins Quellgebiet des Nils auch von Norden her
ausdehnen. Unter dem Oberbefehl des Generals Kitchener
wurde um Wadi Haifa ein 12000 Mann starkes, zumeist aus
Eingeborenen bestehendes Heer zusammengezogen und dieses
drang, nachdem eine Feldeisenbahn nilaufwärts gebaut worden
— 30 —
war, zunächst in Dongola ein. Zur Deckung der Kosten
des Feldzugs aber entnahm die ägyptische Regierung 500 000
Pfund aus der von den Vertretern der Großmächte verwal-
teten Staatsschuldkasse, wogegen Rußland und Frankreich
Einsprache erhoben, und auf Klage mehrerer Obligationen-
besitzer wurde die Regierung von dem Gerichtshof in Alexan-
drien zur Rückzahlung dieser Summe verurteilt, worauf Eng-
land, das dadurch ein neues Anrecht auf den Besitz Ägyptens
erlangt zu haben hoffte, das Geld einstweilen vorstreckte.
Der Sudanfeldzug, über den das nächste Kapitel weiter be-
richtet, wurde im wesentlichen durch die am 2. September
1898 durch Kitchener vollzogene Einnahme Omdurmans
beendet und ein am 19. Januar 1899 abgeschlossener Ver-
trag regelte die zukünftige Verwaltung des „ägyptischen"
Sudan dahin, daß er tatsächlich eine englische Provinz wurde,
ein Bindeglied des „.Afrika englisch vom Kap bis zum Nil",
eines Programms, das zum eisernen Bestand des englischen
Imperialismus gehört, ist Ägypten z. Z. auch noch kein
direkter englischer Besitz, so ist doch sicher, daß England
sich nur dann wieder von hier zurückziehen würde, wenn
es sich zwingender Notwendigkeit gegenüber befände.
Eine wesentliche Festigung seiner Stellung in Ägypten
hat England durch das englisch -französische Kolonial -Ab-
kommen vom 8. April 1904 gefunden, in welchem Frankreich
als Entgeld für die ihm in Marokko zugestandene Politik
der freien Hand seine bisherige feindselige Haltung gegenüber
der englischen Okkupation Ägyptens aufgibt. Dieses Ab-
kommen bestimmt, Ägypten betreffend, Folgendes:
Die Regierung Sr. britischen Majestät erklärt, daß sie
nicht die Absicht hat, den politischen Zustand Ägyptens zu
ändern. Die Regierung der französischen Republik erklärt
ihrerseits, daß sie die Aktion Englands in diesem Lande
nicht hemmen wird, indem sie etwa eine Zeit grenze
- 31 —
für die britische Besetzung fordert, oder in irgend
einer anderen Weise, und daß sie weiter ihre Zustimmung
gibt zu dem Entwurf eines Erlasses des Chediven, welcher
die Funktionen der Kasse der öffentlichen Schuld streng be-
schränkt auf die Erhebung der Einkünfte, welche zur Zahlung
der Kupons bestimmt sind; in die allgemeine Verwaltung
des Landes einzugreifen, soll die Kassenverwaltung aber nicht
mehr das Recht haben. Der seit 14 Jahren angesammelte
Reservefonds, welcher z. Z. 5 '2 Millionen Pfund beträgt,
soll der ägyptischen Regierung zu Ameliorationszwecken
überlassen werden. Um die freie Durchfahrt durch den
Suezkanal zu sichern, tritt England dem bisher von ihm nur
bedingungsweise anerkannten V^ertrag vom 29. Oktober 1888
betr. der Neutralität des Kanals ohne Einschränkung bei.
Den französischen Schiffen verbleibt das ihnen gewährte
Recht der Küstenschiffahrt zwischen den ägj/ptischen Häfen.
Der Grundsatz der Handelsfreiheit und Gleichheit in
Auferlegung von Zöllen, Abgaben und Eisenbahntarifen wird
für 30 Jahre anerkannt. Dagegen behält sich die englische
Regierung vor, in Ägypten darüber zu wachen, daß die
Konzessionen für Wege, Eisenbahnen, Häfen und andere
große Unternehmungen von allgemeinem Nutzen unter solchen
Bedingungen erteilt werden, daß die Staatsautorität ganz ge-
wahrt bleibt. Die französischen Beamten im ägyptischen
Staatsdienste sollen nicht schlechter gestellt werden, als die
englischen; die Generaldirektion der Altertümer in Äg>'pten
soll, wie bislang, auch künftig einem französischen Gelehrten
anvertraut werden und die französischen Schulen in
Ägypten werden in Zukunft dieselben Freiheiten genießen,
wie bisher. Für die Ausführung dieses Abkommens ver-
sprechen sich beide Regierungen den gegenseitigen Beistand
ihrer Diplomatie.
— 32 -
Rußland, Italien, Österreich-Ungarn und Deutschland
erklärten in den nächsten Monaten ihr Einverständnis mit
dem finanziellen Teil dieses Abkommens, und zwar stimmten
die drei letztgenannten Mächte nicht nur, wie Rußland, dem
Chedivialerlaß zu, sondern verpflichteten sich auch, das Vor-
gehen Englands in Ägypten nicht durch das Verlangen nach
Festsetzung einer Frist für die englische Okkupation Ägyp-
tens oder in irgend einer anderen Weise zu behindern.
Diese Mächte gaben auch ihre Zustimmung dazu, daß die
Ausführung des letzten Satzes der Paragraphen 1 und 2 des
Artikels 8 des Vertrags vom 29. Oktober 1888 unterbleiben
solle. Andrerseits gab die englische Regierung diesen drei
Staaten die Versicherung, daß sie ihrem Handel die Behand-
lung der meistbegünstigten Nationen auf 30 Jahre verbürgen
und daß sie die Rechte respektieren werde, die sie auf
Grund von Verträgen, Konventionen und Gewohnheitsrecht
genießen. Ferner sollen die Schulen der erwähnten Mächte
dieselbe Freiheit wie in der Vergangenheit fortdauernd haben
und die Beamten dieser Nationalitäten, die gegenwärtig in
ägyptischen Diensten stehen, nicht Bedingungen unterworfen
werden, die weniger vorteilhaft seien als diejenigen, die sich
auf englische Beamte in denselben Diensten beziehen.
Angeblich haben sowohl die Pforte, w^'e auch der
Chedive in London und Paris gegen das ohne ihre Zu-
stimmung getroffene Übereinkommen Protest eingelegt —
natürlich vergeblich.
Land und Werfen wir nun einen Blick auf Land und Leute.
Leute.
Das Wort „Aegypten", ursprünglich nur für einen
Mündungsarm des Nil gebraucht, ist griechischen Ursprungs
und seine Bedeutung unbekannt, im Altertum lautete die
einheimische Bezeichnung des Landes „Kernt", später „Kemi"
oder „Chemi", d. h. das dunkelschollige Land, so benannt
— 33 —
nach der schwarzen Erde des fruchtbaren Niltals; sich
selbst nannten die alten Ägypter einfach Rometu, d. h.
„Leute". Die semitischen Völker gaben dem Lande den
Namen Misr, und noch heute bezeichnet man auf ara-
bisch sowohl das Land, wie die Hauptstadt mit dem
Namen Masr, einem Wort, dessen Bedeutung gleichfalls un-
bekannt ist.
Die Grenzen des Reiches sind sehr wechselnde ge-
wesen. Unter den Pharaonen reichte es zeitweilig bis 700 km
südlich von Syene; in der Folge aber begriff es auch unter
seinen mohammedanischen Herrschern nur das Niltal bis
zum ersten Katarakt. Die Alten teilten dieses eigentliche
Ägypten in ein Ober-, Mittel- und Unter-Ägypten ein, wobei
EI Amarna und Memphis die Grenzpunkte bildeten. Die
Eroberungen Mohammed Alis und seiner Nachfolger dehnten
das Reich immer weiter nach Süden aus, das bald Nubien,
Kordofan, Darfur, den übrigen Sudan bis zum Somerset-Nil
und Albert-See umfaßte und einen Gesamtumfang von gegen
3 Millionen Quadratkilometer besaß. Das durch den Mahdi-
Aufstand zeitweilig verloren gegangene Gebiet ist inzwischen
zwar meist wieder zurückerobert worden, aber nur der
nördlich vom 22. Breitengrad gelegene Teil wird gemäß dem
englisch-ägyptischen Abkommen vom 19. Januar 1899 zu
„Ägypten" gerechnet, der Rest als „Sudan" gesondert ver-
waltet. Von Mittel-Ägypten spricht man heute nicht mehr,
man unterscheidet nur noch Ober- und Unter-Ägypten, wo-
bei letzteres das Deltagebiet von Kairo abwärts, ersteres
das schmale Tal von Giseh aufwärts begreift, in dessen
Grund der Nil fließt.
Dieses Ägypten bis zum 22 " umfaßt 994 300 Quadrat-
kilometer und wird im Norden von dem Mittelländischen,
im Osten von dem Roten Meere bespült, an dessen nörd-
lichem Ende der Isthmus von Sues die Brücke zwischen
Sch anz, .Ägypten. 3
— 34 —
Afrika und Asien bildet; die Grundlage dieser Landenge ist
Meeresboden, ein Beweis dafür, daß die beiden Meere früher
nicht getrennt waren. PoHtisch gehört der größere Teil der
wüsten Sinai-Halbinsel zu Ägypten, doch weist die vom Akaba-
Golf aus nach Norden ziehende Grenzlinie gegen Syrien eine
tiefe Einbuchtung nach Westen ' auf. Die Westgrenze geht
vom Golf von Solum aus zunächst der türkischen Provinz
Barka entlang und dann in einem großen Bogen durch die
Libysche Wüste. Die Hauptmasse des Landes ist öde, un-
fruchtbare Stein- und Sandwüste, während das durch Wasser-
adern bebauungsfähige Land von Assuan bis zu den Grenzen
des Deltas, gewissermaßen eine Oase, nur gegen 30 000
Quadratkilometer umfaßt, also ungefähr so groß wie Belgien,
aber mit 9^ i Millionen Bewohnern um ein Drittel stärker
bevölkert als dieses ist.
Die Arabische Wüste zwischen Nil und Rotem Meere
besitzt tief eingeschnittene Täler, großartig geformte Fels-
massen bis 2180 m Höhe und besonders im Norden auch
einige Quellen und in den Tälern eine ansehnliche Kraut-
vegetation, während die Hochflächen ganz kahl sind, in
einer Entfernung von 30—40 km vom Roten Meere erheben
sich, diesem parallel, steile Gebirgsketten von Granit und
Porphyr, und daran stößt landeinwärts ein hohes Kalkplateau,
dessen Südgrenze etwa durch eine Linie zwischen Edfu am Nil
und Kosser am Roten Meere begrenzt wird, und dessen größte
Erhebung der schroffe Ostrand mit 1500 m Höhe aufweist.
Von diesem Ostrand aus verlaufen zum Nil zahlreiche
Täler mit tief eingeschnittenen, engen Betten ; der Abfall des
Plateaus selbst erfolgt nach dem Nil hin in mehreren steilen
Stufen. Südlich von dem Kalkplateau folgt der quarzreiche,
sogenannte nubische Sandstein. Noch weit trostloser ist die
zur Sahara verlaufende Libysche Wüste, eine riesige, vom
Nil allmählich aufsteigende Kalkstein-Hochfläche ohne her-
- 35 -
vorragende Gipfel oder größere Täler, steinig und durchaus
wasserlos, in ihrem östlichen Teile unterbrochen durch eine
dem Nile parallel laufende Kette von Einsenkungen, an deren
tiefsten Stellen Oasen liegen, teilweise bis zu 70 m unter
dem Meeresspiegel; die bedeutendsten derselben sind von
Süd nach Nord die Oasen Schargeh, Daschel, Farafrah,
Baharieh und Siwah. Einige Tagereisen hinter diesen be-
ginnt die endlose Sandwüste. Die von Dünen und Fels-
riffen umsäumte Mittelmeerküste ist sehr flach und dringt
meist als Sandbank ins Meer ein ; die Häfen von Alexandria
und Port Said sind künstliche Anlagen. Die Küste des
Roten Meeres ist öde, felsig und sandig, und die beiden
nördlichen Häfen Sues und Kosser, von denen besonders
das erstere früher für den Durchgangshandel von großer Be-
deutung war, sind seit Eröffnung des Sueskanals ganz her-
untergekommen; Kosser besitzt überdies nur eine unsichere
Rhede. Dagegen bietet das auf einer Küsteninsel gelegene
Suakin einen durchaus sicheren Hafen, dem nach dem Bau
der Bahn nach Berber ein gut Teil des Sudanhandels zu-
fallen wird.
Es ist klar, daß der wirtschaftliche Wert eines Landes, Bewässerung,
das überwiegend aus Sand- und Steinwüsten besteht und
keine nennenswerten Niederschläge besitzt, ganz von der
Bewässerungsmöglichkeit abhängt und so hat denn
auch von jeher sein einziger Strom, der Nil, die Lebens-
ader Ägyptens gebildet. Andere fließende Gewässer besitzt
das Land nicht und selbst der perennierenden Quellen ent-
behrt der größte Teil Ägyptens ganz; dagegen finden sich
mineralische, zum Teil lauwarme Quellen an verschiedenen
Stellen. Die bedeutendsten der Binnenseen sind der brackige,
40 m unter Meereshöhe liegende Birket el Kerun am West-
rand des Fayum, die 6 kleinen Natronseen südlich von
Alexandrien und die drei Bitterseen auf der Landenge von
3*
— 36 —
Sues, die vom Nile her einen schon im Altertum angelegten,
aber immer wieder verfallenen Süßwasserkanal bei Ismailia
aufnehmen.
Weit umfangreicher aber sind die vom Mittelmeer meist
nur durch schmale, sandige Landzungen getrennten, seichten
Strandseen, welche teils durch Überflutungen bei hohem
Seegang, teils durch Nilüberschwemmungen entstanden sind
und deren größter der zwischen Damiette und Port Said ge-
legene Mensaleh-See (184 000 ha) ist; seit der britischen
Okkupation ist man ernstlich bestrebt, diese Lagunen trocken
zu legen und ihren Boden für die Kultur zu gewinnen. In
neuerer Zeit hat man auch bisher wüste Landstriche am
Süßwasserkanal im Wadi Tumilat, einem Teile des biblischen
Gosen, der Kultur gewonnen, ebenso in der Umgebung
von Sues.
Aber die eigentliche Lebensader des Landes bleibt der
Nil, ohne dessen regelmäßige Anschwellung, welche das
urbare Gebiet im Oktober ganz unter Wasser setzt, das
regenarme Ägypten höchstens Steppe sein würde. Gerade
im trostlosesten Teile des Wüstengebiets bildet das Niltal
einen schmalen Kulturstreifen, der zugleich ein bequemer
Zugang zum Innern Afrikas sein könnte, wenn der Strom
nicht in seinem Mittellaufe so von Felswänden eingedämmt
wäre, daß der grüne Ufersaum stellenweise ganz verschwin-
det und der Nil die Hindernisse in Katarakten und Strom-
schnellen überwinden muß. In früheren Zeiten bildete das
heute bewohnbare Ägypten einen langen, vom Mittelmeer
aus trichterförmig ansetzenden und bis zum ersten Katarakt
schmal verlaufenden, seichten Golf, der durch die starken
Schlammablagerungen des Nils allmählig ausgefüllt wurde
und zwar derart, daß sich der Nillauf vermöge seiner eigenen
Ablagerungen inmitten des Tals einen Damm bildete, auf
dem er seine Rinne zieht, während die das Strombett be-
— 37 —
gleitenden Talflächen tiefer liegen als dieses selbst und so
bequemer Bewässerung beim Übertreten des Stromes fähig
sind. Dieser Kulturstreifen, im unterm Niltale nirgends über
30 km, im oberen selten über 7 km breit, ist heute von
einer 10—12 m dicken Schicht fruchtbaren Schlammes be-
deckt, einer feintonigen, etwas kalkhaltigen Masse, welche
zu 4 — 9 " I, aus organischen Substanzen besteht, getrocknet
sehr hart wird und schon von jeher zur Ziegelbereitung be-
nutzt wurde.
Bei Assuan verläßt der Nil Nubien, durchbricht einen
vom Roten Meere her vordringenden Granit-Querriegel, dessen
Qesteintrümmer den „Ersten Katarakt" bilden und beginnt
seinen Unterlauf, der 60 km abwärts bei Selseleh noch ein-
mal durch eine Sandsteinschlucht von nur 200 m Breite ein-
geengt wird, worauf er sich ausdehnen kann. Größtenteils
fließt der Strom am Fuße des meist steil aufsteigenden Ost-
rands hin, während ihn links ein breiterer, flacher Uferstreifen
begleitet, der den Übergang zu dem sanft aufsteigenden West-
gehänge bildet. Das Gefälle ist sehr gering und beträgt von
Assuan bis Kairo nur 92, von da zum Meere noch 10 m.
Bei Lu.xor, dem alten Theben, ist der anbaufähige Raum
zwischen den Kalkbergen schon 10 km breit, und bald darauf
beginnt das System der Seitenkanäle. Während die Berg-
kette im Osten ihren steilen Charakter bewahrt und sich bei
Kairo mit dem Mokkatam vereinigt, gestattet das wellenförmige
Westufer dem vom Nile abzweigenden, uralten und 350 km
langen, sogenannten Josephskanal (Bahr Jusuf), die Hügel-
linie zu durchbrechen und dahinter als einziges Seitental des
Nils die Landschaft des Fayum zu schaffen, welche im
Altertum durch Anlage eines jetzt längst verschütteten, großen
Stauweihers, des „See Moeris" der Griechen, in hoher Kul-
tur gehalten wurde, während sich der Kanal heute weiter
westlich in den brackigen Birket el Kerun verliert, der aber
— 38 —
noch immer einen beträchtlichen Teil des Fayum befruchtet.
Die mittlere Tiefe des Nils bei Kairo beträgt 7 m. Das
Niltal von Assuan bis Kairo ist 900 km lang und besitzt
eine Bodenfläche von 17000 Z km.
22 km unterhalb von Kairo teilt sich der dort 1000 m
breite Nil in seine jetzigen zwei — früher sieben — Mün-
dungsarme: den westlichen, kürzeren und schwächeren Nil
von Rosette und den östlichen von Damiette, womit das
von zahllosen Verbindungskanälen — im Ganzen 13 440 km —
quer durchzogene Delta seinen Anfang nimmt. Diese, im
höheren Altertum fast ganz von Papyrussümpfen erfüllte
Mündungslandschaft, ein Geschenk des Nils, nimmt heute
einen Flächenraum von 22 200 Z km ein mit einer Küsten-
länge von 270 km und einer längsten Ausdehnung von 171 km
in der Richtung von Süd nach Nord. Das Delta erhebt sich
nur wenige Fuß über die Meereshöhe und ist mit seinem
steinlosen Boden eines der fruchtbarsten Getreideländer der
Erde.
Der administrativ noch zu Ägypten gehörige nubische
Teil des Niltals zwischen dem ersten und zweiten Katarakt
ist bedeutend schmäler, als in Oberägypten, der Bergcharakter
ist hier härter, das Material an Stelle von Kalkstein in mono-
tonen horizontalen Linien häufig Granit und Sandstein in
mannigfaltiger Form und dunkler Farbe. Das anbaufähige
Land schrumpft in Nubien sehr zusammen, erstreckt sich
selten ein paar hundert Meter landein vom Flusse, ist oft
nur wenige Schritte breit, und häufig reichen Fels und Wüsten-
sand bis an den Nil.
Von entscheidendem Einfluß für fast alle Verhältnisse
des Landes ist das jährliche Anschwellen des Stromes,
welches durch die tropischen Regengüsse im Gebiet der
großen zentralafrikanischen Seen und des abessinischen Berg-
lands bedingt wird, bei Assuan Ende Juni, bei Kairo Anfang
— 39 —
Juli beginnt und in der ersten Hälfte des Oktobers seinen höch-
sten Stand erreicht; die darauf folgende Abnahme ist im
allgemeinen eine langsame, sodaß der Fluß erst im April,
Mai und in den ersten Tagen des Juni auf den niedrigsten
Stand sinkt. Der Unterschied zwischen höchstem und tief-
stem Wasserstand beträgt bei Assuan 15, bei Theben 8V2,
bei Kairo 7 ' - m, und ein Zurückbleiben hinter der heute
normalen Überschwemmung von 8 Metern auch nur um
einen Meter hat in Oberägypten bereits Dürre und Hungers-
not im Gefolge, während anderseits schon 50 cm mehr
furchtbare Verwüstungen im Delta anrichten können. So ist
der Nilmesser wirklich die Nationaluhr Ägyptens und seine An-
gaben werden noch heute, wie im Altertum, mit Spannung
verfolgt.
Um zu verhüten, daß sich das Hochwasser des Nils
mit seinem befruchtenden Inhalt zu schnell in das Meer er-
gieße, wurde das ganze kulturfähige Land seit Urzeiten
durch Dämme, die während der Überschwemmung auch
als Verkehrswege dienen, in ungeheure Bassins eingeteilt, in
welche das kostbare Naß durch Kanäle unter Obhut be-
sonderer Ingenieure eingeführt und so lange — gewöhnlich
60 Tage — auf einer gewissen Höhe gehalten wird, bis die
gehörige Menge Nilschlamm abgesetzt ist. Wird die Be-
wässerung der Felder zwei Jahre unterlassen, so werden sie
salzhaltig und unfruchtbar, weil dann das Grundwasser an
die Oberfläche steigt; andrerseits kann Übermaß von Wasser-
zufuhr schweren Schaden anrichten. Dieser bis ins kleinste
organisierte Bewässerungsdienst bewährt sich vortrefflich und
leistet der Landwirtschaft die wertvollsten Dienste; das Land
ist heute in fünf Wasserbaubezirke geteilt mit je einem eng-
lischen Ingenieur an der Spitze. Ein willkürliches Über-
fluten des Landes ist jetzt ganz ausgeschlossen und Ägypten
hat aufgehört, zur Zeit der Nilschwelle, wie ehemals, ein
— 40 —
großer See zu sein. Die Pächter müssen die Dämme an
den Ufern des Nils während seines Steigens in Ordnung
halten und im Notfall auf erste Aufforderung hin zu Hülfs-
arbeiten erscheinen.
Um das Nilwasser auch auf höher gelegene Terrains
zu bringen, wohin die Überschwemmung nicht gelangt und
um die Bewässerung während der langen trockenen Zeit zu
besorgen, benutzt man als primitivstes Mittel an Stricken
geschwungene Bastkörbe zum Schöpfen, oder die von einer
Person bedienten, schlagbaumähnlichen Ziehbrunnen der
Schadufs, oder die von Ochsen getriebenen, letzthin wesent-
lich verbesserten, Schöpfräder der Sakijes, vereinzelt auch
hydraulische Maschinen und Dampfpumpwerke und hebt
mit diesen Mitteln das Wasser in mehrere, übereinander
gelegene Etagen. Im Jahre 1890 betrug die Länge der
Bewässerungskanäle 16 770 km, die Zahl der Dampfpumpen
500, der Sakijes 30000 und der Schadufs 70000. Die
größte der Kanalanlagen ist der 1819 von Mohammed
Ali geschaffene und nach dem damaligen Sultan benannte
Mahmudije-Kanal im Delta, und an diesen und die beiden
Hauptarme des Nils schließt sich ein engmaschiges und weit-
verzweigtes Netz kleinerer Kanäle an. Die Regulierung des
Nilhochwassers für dieses, wegen seiner gleichmäßigen Nie-
drigkeit besonders schwierige Delta-Gebiet hat man erst im
vorigen Jahrhundert durch den Bau eines Brückenstauwerks,
der Barrage an der Südspitze des Dreiecks, versucht. Diese
schon von Bonaparte geplante und von Mohammed Ali mit
einem Kostenaufwand von 30 Millionen Francs durch fran-
zösische Ingenieure errichtete Stauschleuse sollte den Wasser-
stand des Nils im Delta und oberhalb das ganze Jahr über
auf gleicher Höhe halten und sowohl die alten, viele Menschen-
kräfte absorbierenden Schöpfvorrichtungen zur Bewässerung
des Landes ersetzen, wie auch die Schiffahrt während der
— 41 —
drei Monate niedrigen Wassers erleichtern. Das mit Über-
stürzung in Angriff genommene Werk wurde jedoch zeit-
weih'g eingestellt, dann wieder fortgeführt und schließlich dem
Gebrauch übergeben, ohne wirklich fertig zu sein. 1885
beendete der englische Ingenieur Moncrieff mit 500000 £
Kosten das Werk soweit, daß 1890 eine Stauung bis zu einem
Meter Höhe möglich wurde, aber erst nachdem die Schuld-
kasse 1897 eine weitere halbe Million Pfund bewilligt hatte,
um die Haltbarkeit dieses bedeutungsvollen Werkes zu er-
höhen, konnten die an den Dämmen des Rosette und Da-
miette-Arms vorgenommenen Ausbesserungen völlig zum Ab-
schluß gebracht werden. Eine zweite Barrage wurde nilab-
wärts bei Zifta am Damiette-Arm geschaffen.
Nach vieljährigen Erfahrungen pflegt auf vier wasser-
reiche Jahre gewöhnlich ein wasserarmes zu folgen, in wel-
chem die im Nil herabfließende Wassermenge nicht zur Be-
fruchtung sämtlicher kultivierten Felder ausreicht, und um
die Landwirtschaft, die sich jährlich weiter ausbreitet, für die
Zukunft von den in den einzelnen Jahren sehr verschiedenen
Nilstandsverhältnissen weniger abhängig zu machen, hat man
im letzten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts zunächst Vor-
kehrungen getroffen, dem übermäßigen Wasserverbrauch zu
steuern und sodann auch Projekte in Angriff genommen,
um den an und für sich ausreichenden Wasserreichtum
des Nils aufzuspeichern und der Landwirtschaft zu jeder
Jahreszeit dienstbar zu machen. Existieren in Ägypten
doch noch große Strecken kultivierbaren und ertragreichen
Bodens, die nur darauf warten, daß man ihnen Wasser zuführt.
Englische Ingenieure arbeiteten von 1890 ab verschie-
dene Projekte aus, und schließlich entschloß man sich zu
dem Bau eines großen Nildamms bei Assuan nördlich der
Insel Philä. Am 28. Februar 1898 zeichnete die ägyptische
Regierung den Kontrakt mit der in London domizilierten
— 42 —
schottischen Firma John Aird & Co., welche sich verpflich-
tete, die Arbeiten gegen 30 Jahresraten von je 153000 ägypt.
Pfund auszuführen und den Bau innerhalb von fünf Jahren
zu beenden ; um die internationale Caisse de la dette auszu-
schalten, wurde das Riesenwerk auf englischen Kredit hin
unternommen und schon im Juli 1902 beendet. Ursprüng-
lich war die Dammhöhe bei Assuan nach den Plänen des
berühmten Wasserbauingenieurs Willcox auf 114 m. ü. M.
angesetzt, da aber dabei das Kleinod der Insel Philä über-
schwemmt worden wäre, entschloß man sich auf lebhaften
Einspruch der archäologischen Gesellschaften hin, das Re-
servoir wesentlich zu verkleinern und den Damm auf 106 m
Meereshöhe zu reduzieren; da das niedrigste Niveau des
Wasserstandes in Assuan 86 m hoch liegt, so können bei
völliger Füllung also mindestens 20 Meter Höhe aufgestaut
werden, und es ergibt sich ein Fassungsvermögen von 1065
Millionen Kubikmetern. Die Länge des mächtigen, in Assuan
aufgeführten Granitdamms ist 1962 m, die Breite an der
Spitze 8,7, an der Basis 27,2 m , die größte Höhe an der
tiefsten Stelle 30^ '2 m; um zu verhüten, daß das Reservoir
durch die vom Wasser mitgeführten festen Bestandteile in
seinem Fassungsvermögen beeinträchtigt werde — wie dies
z. B. bei Stauanlagen in Algerien geschah — ist der Damm
nahe an seiner Basis von 140 Unterschleusen mit je 14qm
Öffnung unterbrochen, die man zu geeigneter Zeit schließen
kann, während das Berieselungswasser seinen Weg durch
40 Oberschleusen von je 7 qm Öffnung nimmt. Um den
Schiffsverkehr zu ermöglichen, dient auf der linken Seite des
Dammes ein Kanal mit vier Schleusen von 80 X 9^ 2
Meter. Der Tempel von Philä freilich ist für einen Teil
des Jahres unter Wasser, und Willcox hat deshalb des-
sen gänzliche Überführung nach der nahen Insel Bigeh vor-
geschlagen.
1
— 43 -
Außerdem ist weiter nilabwärts bei Siut ein offener
Staudamm von 822 m Länge und mit 111, je 5,45 m breiten
Öffnungen errichtet worden, der ähnlich der Barrage im
Deha quer über den Nil geht und während des Frühhngs
und Sommers durch eine Reguherungsschleusenbrücke eine
große Wassermenge dem Ibrahim-Kanal zulenkt, der Mittel-
ägypten befruchtet; die 17^ - m breite Schleuse am West-
ufer gestattet auch großen Dampfern den Durchgang. Die
Kosten des Assuan- und des Siut-Dammes beliefen sich in
runder Summe auf 3^ -i Millionen ägypt. Pfund.
Die Fertigstellung der durch die Assuan- und Siut-Stau-
werke bedingten Anlagen von hunderten von Kilometern neuer
Kanäle, Abzugsgräben und Dämme aber erfordert noch
weitere P- Millionen Pfund, und es ist bereits im Plane,
auch noch zwischen Siut und Keneh zwei Staudämme
aufzuführen, welche 2 Millionen Pfund kosten sollen.
Der Kampf gegen die Trockenheit ist mit dem Assuan-
Damm bis an die Grenze von Oberägypten vorgeschoben,
aber auch hier soll kein Halt gemacht werden und es sind
noch 2600 Millionen Kubikmeter Wasser nötig. Wo sollen
diese herkommen?
Um die Stromverhältnisse des Nils auf seinem ganzen
Laufe zum Zwecke einer geregelten und vermehrten Wasser-
zufuhr nach Ägypten und dem Delta zu verbessern und die
Schiffbarkeit des Stroms nach Möglichkeit auszudehnen und
zu sichern, hat die Regierung verschiedene Kommissionen
unter den Wasserbau-Sachverständigen Sir William Willcocks,
Sir William Garstin und C. Dupuis zum Studium der Ent-
stehungsorte der Nilschwelle nach dem Gebiet der großen
Seen, dem Sudan und nach Abessinien geschickt. Ein sehr
interessanter, zusammenfassender Bericht über diese Studien
ist seitens Sir William Garstin, dem ägyptischen Unterstaats-
sekretär für öffentliche Arbeiten, im Sommer 1904 erschienen
— 44 —
und derselbe gipfelt in dem Vorschlag, weitere Bewässerungs-
arbeiten im Stromgebiet des Nils für eine Gesamtkosten-
summe von 21,4 Millionen Pfund auszuführen, wovon
13 Millionen auf das Gebiet des Sudans, 8,4 Millionen auf
dasjenige Ägyptens entfallen würden und wobei die Wässer
des Weißen Nils in erster Linie für Ägypten, die des Blauen
Nils für die an ihn grenzenden Länder nutzbar zu machen
wären. Bei Zugrundelegung der in Mittelägypten erhobenen
Steuer von 50 Piaster für den Acre auf 750000 Acres Bassin-
land in Oberägypten und 1 Million Acres im Sudan, ferner
je 30 Piaster für 100000 Acres mit Pumpen zu bewässern-
des Land in Oberägypten und Erhöhung der Steuer auf
800000 Acres in Unterägypten von 50 auf 100 Piaster rech-
net Garstin eine jährliche Einnahme von 1,7 Million ägypt.
Pfunden oder 8 ^.^ Verzinsung der Gesamt-Kapitalanlage aus.
Diese geplanten Arbeiten würden übrigens, auch wenn das
dazu nötige Geld sofort verfügbar wäre, nicht unter 10 bis
15 Jahren auszuführen sein.
Soweit das eigentliche Ägypten dabei in Frage kommt,
dürften nach Lord Cromers Ansicht zunächst in Angriff ge-
nommen werden: Die Erhöhung des Assuan-Dammes um
6 Meter, welche 600000 £ kosten und die dort aufgestaute
Wassermasse verdoppeln soll; und sodann die auf 900000 £
veranschlagte Regulierung des Rosette- und des Damiette-
Mündungsarmes. Wie erwähnt, sind rund 30 Millionen Mark
bereits bewilligt, um in den nächsten Jahren die Ländereien
Mittel-Ägyptens, welche bisher nur aus Bassins (Staubecken)
gespeist wurden, in Berieselungsfelder umzuwandeln. Nach
Garstins Plänen sollen aber zu diesem Zwecke später wei-
tere 100 Millionen Mark aufgewandt werden, von denen 40
Millionen Mark auf die Anlage von zwei Staudämmen zwischen
Siut und Keneh, 60 Millionen auf Umwandlung der Bassin-
ländereien in Berieselungsfelder entfallen.
— 45 —
Die Sudan -Projekte werden im nächsten Kapitel Er-
wähnung finden.
Das Klima Ägyptens hat im Laufe der Zeiten wesent- Kiima.
h'che Veränderungen erfahren und muß früher viel feuchter
gewesen sein, wie dies u. a. die mächtigen und wohlaus-
gebildeten Uferterrassen an den Ausmündungen der Täler
aus den Gebirgen beweisen und das ehemalige Vorhanden-
sein von Häfen an Küstenpunkten des Roten Meeres, die
jetzt durch Korallenbänke für die Schiffahrt gänzlich unzu-
gänglich sind, während früher durch die Täler und Schluch-
ten vermutlich ständig Süßwasser zugeführt wurde. Auch
sprechen für die Richtigkeit dieser Annahme die großartigen
und prachtvollen Bauten in jetzt völlig wüsten Gegenden
und die Überreste einer jetzt ganz verschwundenen V^ege-
tation, die sogenannten „versteinerten Wälder" in der ägyp-
tischen Wüste.
Heute haben die höher gelegenen südlichen Gegenden
als einzige Jahreszeit einen fast regenlosen und heißen
Sommer und das ganze Jahr über eine ziemlich gleichmäßige
Temperatur; die mittleren und nördlichen dagegen eine
kühle und eine heiße Jahreszeit. Jene dauert von Dezember
bis März und gleicht der Frühlings- und Herbstzeit der ge-
mäßigten Länder Europas. An der Nordküste regnet es von
Oktober bis März und April häufig, in den übrigen Monaten
aber stellenweise gar nicht, und die Gesamtniederschläge be-
tragen nur ungefähr 20 cm, in Oberägypten aber gehört
Regen überhaupt zu den größten Seltenheiten; indessen ist
im Niltal die Feuchtigkeit der Luft wegen der Verdunstung
des Nilwassers und der bewässerten Gewächse größer, als
in der Sahara, im südlichen Ägypten ist die Atmosphäre
außerordentlich trocken. Die größte Hitze im Delta ist 30^
— 46 —
in Kairo gegen 43 ^ der tiefste Stand im Delta gewöhnlich
+ 2 '\ in Kairo + 4 *', die mittlere Jahrestemperatur in
Alexandrien und Kairo 21", in Theben 29". Unter den
Gefrierpunkt fällt das Thermometer im Niltal nicht, ganz
ausnahmsweise ist im Delta aber hin und wieder einmal
Schnee gefallen. Die überwiegenden Nordwinde lindern nicht
nur die Tageshitze, sondern sind auch für die Flußschiffahrt
vom größten Nutzen. Der heiße, aus den Äquatorgegenden
kommende und bis zur Küste reichende „50 Tage-Wind"
Chamsin, der Samum der Nubier, tritt 50 Tage vor der
Sommersonnenwende ein, weht durchschnittlich aber nur 1 1
Tage und bringt einen nebelartig feinen Staub mit. Während
des größten Teil des Jahres ist das Klima gesund, nament-
lich in ganz Ober-Ägypten und mehr noch in der Wüste,
als in der Nähe des Flusses; Kairo und besonders das nahe
Heluan mit seiner trocknen und staubfreien Luft sind klima-
tische Kurorte ersten Ranges für Brustkranke.
F'ora. Die Flora Ägyptens gehört fünf verschiedenen Regionen
an. Ein schmaler Streifen am Delta weist Mittelmeer-
flora auf und zeigt im Westen mehr die auch anderen
Mittelmeerländern eigenen Arten, im Osten mehr Anklänge
an Syrien und die Sinai-Halbinsel. Unter der dürftigen Flora
der Roten Meeres-Küste ist am auffallendsten die zu der
Mangroven-Formation gehörende Verbenacee Avicennia offi-
cinalis. Das Niltal mit seiner überwiegenden Ackerflora
besitzt nur wenige, ihm eigentümliche Arten; besonders cha-
rakteristisch sind der dornige Suntbaum (Acacia nilotica),
dessen Holz namentlich im Schiffbau Verwendung findet, die
breitkronige Sykomore, zwei Arten Tamarisken, Zizyphus,
die Dattelpalme und von Oberägypten an auch die Dum-
Palme. Die früher für Ägypten so charakteristischen Pa-
pyrus-Stauden sind heute nur noch im Niltal oberhalb
Chartums anzutreffen, und die Lotospflanze ist überhaupt
d
— 47 —
aus Afrika verschwunden. Die erst von Mohammed Ah' aus
Ostindien eingeführte Lebbach-Akazie lAlbizzia Lebbek), ein
Baum von großer Lebenskraft und wichtig durch sein Nutz-
holz, ist in Ägypten vielfach bei Alleen verwandt und hat
zusammen mit verschiedenen anderen, meist aus Indien ein-
geführten Bäumen das ägyptische Landschaftsbild an vielen
Orten wesentlich geändert. Ganz unvermittelt steht der Nil-
talflora die Wüstenflora gegenüber, die in der Libyschen
Wüste weit artenärmer, als in der arabisch-ägyptischen ist,
während die Oasen, deren charakteristischer Baum die
Dattelpalme bildet, in der wildwachsenden Flora teils Pflanzen
der Wüstenränder, wie Koloquinten und Zwergmimosen, teils
Einwanderer aus dem Mittelmeergebiet umfassen.
Unter den Nutzpflanzen stehen obenan Weizen, Gerste,
Durra, Mais und Reis, als Futterpflanze der ägyptische Klee,
ferner Baumwolle, Zuckerrohr und Indigo; Olive und Weinstock
sind nur spärlich vertreten, zahlreich dagegen sind Obstbäume,
und die Dattelkultur ist uralt. Ricinus dient zur Ölgewinnung.
Die Tierwelt umfaßt Mittelmeer- und äthiopische Ele- Fauna,
mente und ist an Säugetieren ziemlich arm. Vertreten sind
Hyäne, Schakal, Wolf, Fuchs, Luchs, Wildschwein, Wildkatzen,
Stinktier, Hase, Ichneumon, Klippdachs, Igel, Springmäuse
und Fledermäuse, in der Wüste Gazelle und Steinbock, hin
und wieder auch das Mähnenschaf; das Nilpferd, welches
früher bis zum Delta herunterkam, ist jetzt erst von Don-
gola aufwärts anzutreffen, und auch das früher in Unter-
Ägypten häufige Nilkrokodil gelangt heute kaum noch bis
Theben. Ebenso hat sich der in alter Zeit so zahlreich ver-
tretene und wegen seiner Heiligkeit geschonte Ibis nach dem
Süden zurückgezogen. Zahlreich sind Raub- und allerlei
Wasservögel, ebenso Schlangen, Skorpione, Heuschrecken,
Fliegen und Moskitos und bei den Eingeborenen Schma-
rotzerwürmer. Der Nil ist sehr fischreich, teilweise an eigen-
- 48 —
artig häßlichen Sorten, und auch die Fischerei des Mensaieh-
Sees ist sehr ergiebig.
Als Haustiere dienen Kamele, Büffel, Rinder, Pferde,
Maultiere, Esel, Schafe, Ziegen, Hühner und Tauben.
Bodenschätze. /s^p Metallen ist Ägypten nicht reich, und manche von
den Alten ausgebeutete Gruben scheinen erschöpft zu sein;
es handelte sich dabei um Gold, Kupfer und Blei. Nach
Kohlen hat man bislang vergeblich geforscht, dagegen sind
Schwefel, Erdöl, Natron, Kochsalz und verschiedene Edel-
steine vertreten, Granit, Porphyr, Sandstein und Alabaster
werden in nennenswerten Mengen ausgebeutet und der pla-
stische Ton liefert das Material zu den berühmten porösen
Wasserflaschen, zu Pfeifenköpfen usw.
Bevölkerung. Die Bevöl^e rungs zah 1 Ägyptens hat außerordentlich
geschwankt; nach priesterlichen Angaben zählte das Land
unter den Pharaonen in etwa 18 000 Städten gegen sieben
Millionen Einwohner und zur Zeit seines größten Umfangs
gegen 17^2 Millionen; im Jahre 1800 aber war die Zahl auf
2^ 2 Millionen gesunken und hat sich erst seitdem wieder
ständig gehoben, sodaß die letzte Zählung von 1897 im
ganzen 9740000 Köpfe ergab. Davon waren rund 9 Mil-
lionen ansässige Eingeborene, 600000 Beduinen und 112000
Fremde; auf Nubien zwischen dem ersten und zweiten Ka-
tarakt kamen dabei nur 240000 Einwohner. Die wiederholte
Fremdherrschaft und die zahlreiche Einwanderung altsemi-
tischer, hamitischer, griechischer, römischer, arabischer und
türkischer Elemente haben hier ein ziemliches Völkergemisch
entstehen lassen, das aber noch immer das konservativste
Kulturelement der Völkergruppe am Mittelmeere bildet. Fast
reine Abkömmlinge der alten Ägypter sind die 630000 Kop-
ten, welche vornehmlich in den Städten des mittleren Ägyp-
tens sitzen und bis auf 25000 katholische oder protestan-
— 49 —
tische Christen ihren ahen Glauben behahen haben. Auch
die rotbraunen Bewohner des flachen Landes, die moham-
medanischen Fellachen, d. h. „Pflüger", oder Bauern,
welche den Hauptteil der Bevölkerung bilden, weisen trotz
ihrer vielfachen Vermischung mit Einwanderern und Er-
oberern noch heute den altägyptischen Typus auf, und ob-
gleich sie eine arme und unter der Last von Arbeit und Ab-
gaben fast erliegende Menschenklasse sind, ist ihre Rasse
doch eine ser.r kräftige; ebenso beschaffen, aber in etwas
besserer Lage ist die Bevölkerung der kleinen Städte, die
Gewerbe und Kleinhandel treibt und öfters zur Wohlhaben-
heit gelangt, während in den größeren Städten, besonders in
Kairo, das arabische Element eine ausschlaggebende Stel-
lung einnimmt. Am reinsten sind die Araber bei den Wüsten-
stämmen vertreten, die in 75, oft untereinander in Streit
verwickelten, aber der ägyptischen Regierung jetzt unter-
worfenen Stämmen, über das Land verstreut, mit ihren Her-
den von Kamelen, Schafen und Ziegen nomadisierend herum-
ziehen und teilweise noch ganz wie ihre Vorfahren vor vielen
Jahrhunderten leben. Nur die 7000 Bewohner der Oase
Siwah sind reine Berber. Die früheren Beduinen des Ray um
sind jetzt ansässig geworden und treiben Ackerbau und V^ieh-
zucht; diejenigen der Sinai-Halbinsel und die zwischen dem
Nil und dem Roten Meere lebenden Bescharin und Ababdeh
besorgen die Warentransporte der Wüste. Die 180000 Nu-
bier oder Barabra stehen im Rufe besonderer Ehrlichkeit
und sind deshalb in den größeren Städten zahlreich als
Diener und Kutscher angestellt zu finden. Sudan-Neger,
nominell Moslims, wurden 1897 140000 gezählt, Zigeuner
30000. Von den 10 000 Armeniern, die als begabt und
ehrlich gelten, stehen viele im Dienste der Regierung, wäh-
rend die nur in den Städten lebenden 30000 Levantiner,
Nachkömmlinge eingewanderter syrischer Christen, zwar
Schanz, Ägypten. 4
— 50 —
sprach- und handelsgewandt, vielfach aber sehr zweifelhafte
Charaktere sind. Die 25 000, meist in Kairo und Alexandrien
wohnenden Juden verschwinden fast in der Bevölkerung,
sind sehr gehaßt und können selbst im Handel nicht gegen
die ihnen überlegene Konkurrenz der Griechen aufkommen.
Die durch ihre soziale Stellung hervorragenden Türken
hatten früher alle höheren Stellungen im Staatsdienst und
Heere inne und sind teilweise auch Kaufleute, in grö-
ßerer Zahl aber nur in Alexandrien und Kairo anzutreffen.
Der früher blühende Sklavenhandel ist, seitdem er
unter scharfe Kontrolle genommen und unter schwere Stra-
fen gestellt worden ist, sehr stark zurückgegangen und
in den letzten Jahren fast ganz verschwunden.
Fremde. y^^ ^^^ 112 000 Fremden lebten 46000 in Alexandrien,
35 000 in Kairo und 16 000 in Port Said und am Suezkanal
und zwar stehen dieselben teilweise im Dienste der Regierung,
meist aber treiben sie Handel. .Am zahlreichsten, mit 38000,
waren die Griechen vertreten, welche vielfach Krämer und
Inhaber von Cafes und Restaurants sind; es folgten die
Italiener mit 24 000, 1901 von der italienischen Regierung
mit 38000 angegeben, Engländer und britische Untertanen
aus Malta und Indien, einschließlich 4500 Mann Besatzungs-
truppen, mit 20 000, Franzosen 14 000, Österreicher und
Ungarn 7000, ferner 1400 Russen, 1300 Perser, 1280 Deutsche,
765 Spanier, 470 Schweizer, 300 Nordamerikaner, 265 Bel-
gier und 250 Holländer. Das deutsche Reich unterhält in
Kairo ein Generalkonsulat, Konsulate in Alexandrien, Port
Said und Suez und Konsularagenturen in Tantah, Sagasig,
Mansurah, Siut, Keneh und Luxor.
Sprache. [)je vorherrschende Landessprache ist ein Dialekt
des Arabischen, während die altägyptische koptische
Sprache ungefähr im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts in
Ägypten ausgestorben ist. Die Regierung verkehrt mit ihren
i
— 51 —
Untertanen in arabischer, mit den Fremden in französischer
und engh'scher, mit der Pforte in türkischer Sprache, welch'
letztere im übrigen hier ganz unbekannt geworden ist. Der
Vielsprachigkeit entsprechend, gibt es im Kabinett des
Chediven je ein arabisches und türkisches Bureau, neben
einem französischen und englischen Sekretariat. War frü-
her unter den europäischen Sprachen das Französische
am meisten verbreitet, so macht jetzt das Englische schnelle
Fortschritte, da die Ägypter wohl einsehen, daß ein frei-
williges Aufgeben ihres Landes seitens Englands nie erfolgen
wird.
Der Religion nach zählte Ägypten im Jahre 1897 rund Re''g'on-
9 Millionen Mohammedaner, fast ausschließlich orthodoxe
Sunniten, und 730000 Christen, nämlich 608000 der jako-
bitisch-koptischen Kirche, 56000 Römisch-Katholische, 53000
Griechisch-Katholische und 12000 Protestanten. Das Christen-
tum wurde in Ägypten schon im 1. Jahrhundert eingeführt,
von den zahlreichen Klöstern aus alter Zeit sind heute aber
nur die vier an den Naironseen und drei weitere zwischen
Nil und Rotem Meere erhalten. Die katholische Mission
setzte schon unter Franz 1. von Frankreich durch den Orden
der Brüder vom heiligen Lande ein, und laut Vertrag vom
Jahre 1740 zwischen Ludwig XV. und Sultan Mahmud wurde
der französische Vertreter in Kairo an allen katholischen
Kirchen Ägyptens — als Teil des ottomanischen Reichs —
als Repräsentant des heiligen Stuhls angesehen und Schutz-
herr aller Katholiken ohne Unterschied der Abstammung,
an den sie sich bei etwaigen Konflikten mit den ägyptischen
Behörden zu wenden hatten. Obgleich dieses Protektorat
dem Buchstaben nach noch heute besteht, wird es von meh-
reren Mächten, insbesondere von England nach dessen Ok-
kupation Ägyptens, aber auch von Deutschland, nicht mehr
4*
— 52 —
anerkannt. Die Römisch-katholische Kirche besitzt einen
Erzbischof in Alexandrien, ebenso die Armenier, während die
Griechisch-Orthodoxen einen Patriarchen in Alexandrien, die
Kopten aber einen solchen in Kairo haben, und zwar ernennt
das ägyptische Haupt der Kopten auch den Abuna, den
höchsten geistigen Würdenträger Abessiniens. Eine deutsch-
evangelische Gemeinde besteht in Alexandrien seit 1857, und
dieselbe besitzt seit 1866 auch ihre eigene Kirche; Kairo weist
ebenfalls eine deutsche protestantische und eine deutsche
katholische Kirche auf. Die katholische Mission ist
durch verschiedene Gesellschaften vertreten, welche auch
französischen Schulunterricht erteilen, ebenso unterhalten
zwei englische und eine amerikanische, protestantische
Missionsgesellschaft eine Reihe von Schulen, während
die Kaiserswerther Diakonissenanstalt seit 1856 in Alexan-
drien und seit 1880 in Kairo Hospitäler für alle Konfessionen
unterhält.
Unterricht. Die Schulbildung steht auch heute noch auf einer
sehr niedrigen Stufe. Die eigentlichen Schulen sind teils
Privatunternehmen einzelner Lehrer, ganz überwiegend aber
religiöse Anstalten, Anhängsel von Moscheen, und zwar wird
in diesen, nur von Knaben besuchten Elementarschulen nur
notdürftig Lesen und Schreiben, zuweilen etwas Rechnen ge-
lehrt und der Koran auswendig gelernt. Anfang 1895 be-
standen in ganz Ägypten 8913 Schulen mit 196 000 Zög-
lingen, und im Jahre 1897 konnten von 1000 eingeborenen
Personen männlichen Geschlechts 912 und von 1000 Per-
sonen weiblichen Geschlechts 993 weder lesen noch schrei-
ben, während sich das Verhältnis bei den in Ägypten leben-
den Fremden auf 125 bezw. 222 " uu stellte. Zwar hatte
schon Mohammed Ali den Versuch gemacht, höhere Lehr-
anstalten nach europäischem Muster zu gründen, aber erst
Ismael rief 1868 eine Reihe von Regierungsschulen für Ele-
— 53 —
mentar-, höheren und Fach-Unterricht ins Leben, in denen
Unterricht und Lebensunterhalt unentgelth"ch gewährt wurden.
Im Jahre 1901 bestanden an Regierungsschulen neun höhere
und 40 gewöhnliche Schulen mit zusammen 760 Lehrern und
11930 Schülern, dazu standen unter Regierungskontrolle 87
von Wakuf-Geldern unterhaltene Dorfschulen mit 39 000 Kin-
dern , denen mohammedanischer Religionsunterricht erteilt
wird, während das Lehren fremder Sprachen in diesen Dorf-
schulen verboten ist. in den Regierungsschulen aber steht
den Zöglingen die Wahl zwischen Englisch und Französisch
frei, und während von 100 Schülern 1889 noch 74 Franzö-
sisch und 26 Englisch trieben, entschieden sich 1898 bereits
67 für Englisch und nur 33 für Französisch. Hauptsitz der
mohammedanischen Gelehrsamkeit und allerdings gleichzeitig
auch des mohammedanischen Fanatismus ist die berühmte,
sofort nach Eroberung des Landes angelegte Universität El
Ahsar in Kairo, die bedeutendste des Orients überhaupt, die
während ihrer größten Blüte 20 000, jetzt etwas über 7000
Schüler und 200 Lehrer zählt, auch von Persern und Bo-
charen besucht wird und fast nur Religions- und Gesetzes-
lehre pflegt. An modernen, von der Regierung begründeten
Instituten bestehen Schulen für Rechtswissenschaft, Medizin,
Ackerbau, Technik, Militärwesen und drei Lehrerseminare,
bislang ist aber das Angebot der mit der nötigen Vorbildung
ausgerüsteten Ägypter für den Zivildienst kleiner als der Be-
darf, und die englische Regierung legt begreiflicherweise auch
gar keinen Wert auf eine Überproduktion halbgebildeter
Ägypter, sondern möchte mehr den Handwerksunterricht
fördern. Außer der schon seit 1889 in Bulak bestehenden
technischen Schule und einer solchen in Mansurah sind
neuerdings auch Musterwerkstätten in Kairo eingerichtet
worden. Im Jahre 1903 gab die Regierung rund 200000
Pfund für Unterrichtszwecke aus. Weiterblickende Ägypter
Presse
— 54 —
betrachten die Organisation der \'olkserziehung als die wich-
tigste Aufgabe der Gegenwart überhaupt und erstreben, wenn
sich die Regierung der Sache nicht mehr als bislang an-
nehmen will, einen Ausbau des Privatschulwesens.
Die Kopten. Israeliten und Fremden haben ihre eigenen
Schulen. Neben den reich ausgestatteten Jesuitenkollegs,
früher den einzigen Schulen für Europäer und Ägypter, die
ihren Kindern einen höheren Unterricht zuteil werden lassen
konnten, und in denen die französische Sprache vorherrscht,
ist seit 1902 endlich auch ein britisches Institut, das Victoria
College getreten. Die Deutschen besitzen in Alexandrien
neben einem Privatg\mnasium und einer Handelsschule eine
von der Reichsregierung, dem Allgemeinen Deutschen Schul-
verein und dem Gustav Adolf-Verein unterstützte, konfessions-
lose „Deutsche Schule" und eine Mittelschule in \'erbindung mit
der evangelischen Kirche in Kairo; die Italiener neben einer
Anzahl andrer Schulen das Collegio italiano in Kairo und die
Griechen ein Lyceum in Alexandrien.
Die ..Deutsche Schule" in .Alexandrien, 1865 von der
Chrischona-.Mission gegründet und nach verschiedenen Wand-
lungen seit 1S84 eine konfessionslose, besitzt seit 1895 ein
eigenes prächtiges Schulhaus und zählte 1901 96 Knaben und
Mädchen, darunter allerdings nur 38 Reichsdeutsche; außer
dem Direktor waren an der Anstalt drei ordentliche und ein
Hülfslehrer tätig, dazu je ein Hülfslehrer für .Arabisch und
Französisch und eine Handarbeitslehrerin.
Um geeignete englische Beamte für den ägyptischen und
sudanesischen \'erwaltungsdienst heranzuziehen, hat man jüngst
beschlossen, kompetente Scheichs an den Universitäten von
Cambridge und Oxford als Lehrer des .Arabischen anzustellen.
Die ägyptische Presse zählt etwa 30 Zeitungen, welche
teils täglich, teils halbwöchentlich und wöchentlich in ara-
bischer, französischer, italienischer, griechischer und eng-
o:)
lischer Sprache erscheinen. Die „Egx'ptian Gazette" vertritt
besonders die engh"schen Interessen, dagegen sind die fran-
zösischen Blätter, mit Ausnahme des Regierungsorgans
„Journal officiel" und die meisten arabischen Zeitungen im
allgemeinen Gegner der englischen Regierung und bekämpfen
jede Maßregel, die dahin zielt, das Land in eine britische
Dependenz zu verwandeln. England hat den zuweilen sehr
heftigen Äußerungen dieser Presse gegenüber anerkennens-
werte Geduld bewiesen und vielleicht gerade dadurch erreicht,
daß diese Preßfehde in der letzten Zeit wesentlich milder
geworden ist.
W^as die Verwaltungsform des Landes anbetrifft, so venvaitung.
ist dasselbe, da die englische Okkupation völkerrechtlich
noch nicht anerkannt ist, nominell ein Tributärstaat der hohen
Pforte, unter absoluter, erblicher Herrschaft nach dem Rechte
der Erstgeburt eines Fürsten, der seit 1867 den Titel Che-
dive und Hoheit führt und sich „Chedive von Ägypten, Sou-
verain von Nubien, des Sudans, Kordofans und Dar Fürs"
nennt, der tatsächlich aber kaum noch eine Scheingewalt
besitzt, da die Verwaltung durchaus von den Engländern
kontrolliert wird, das ägyptische Heer unter einem englischen
General steht und die Staatsschuldenverwaltung von einer
europäischen Kommission besorgt wird. Der an die
Pforte zu zahlende und 1890 für 60 Jahre garantierte Tribut
beträgt jährlich 750000 türkische Pfund. Die Pforte ist in
Ägypten durch einen Oberkommissar vertreten.
Das schon von Mohammed Ali nach europäischem
Muster geschaffene Ministerium weist sechs Departements
auf, nämlich solche für Justiz, Finanzen, Inneres, .Auswärtiges,
Krieg und Marine, und öffentliche Arbeiten und Unterricht,
und zwar stehen an der Spitze überall Ägypter, dieselben
sind aber willenlose oder unfähige Werkzeuge in der Hand
— 56 —
der Engländer, welche als „Beiräte" und „Generaldirektoren"
den Ausschlag geben und auch den Sitzungen des Minister-
rats mit Stimmrecht beiwohnen. Der tatsächliche Beherr-
scher des Landes ist Lord Cromer, die Departementsleitung
liegt in den Händen der englischen Staatsuntersekretäre, und
alle höheren Beamtenstellen, besonders bei den öffentlichen
Arbeiten, im Finanz-, Zoll-, Saiiitäts-, Eisenbahn- und Tele-
graphenwesen, sind mit gut bezahlten Engländern besetzt.
Sitz der Zentralbehörden, sowie die gewöhnliche, nur
periodisch mit Alexandrien wechselnde Residenz des Chediven
ist Kairo.
Das Organisationsgesetz vom 1. Mai 1883 hat auch
einen gesetzgebenden Rat (conseil legislatif), eine National-
versammlung (assemblee generale) und Provinzräte eingeführt.
Der gesetzgebende Rat besteht aus 30 Mitgliedern, von
denen die Regierung 14 ernennt und versammelt sich jeden
Monat in Kairo, um über das Budget und über Verwaltungs-
maßregeln zu beraten. Doch dürfen Anträge aus seiner
Mitte nicht gestellt werden, und auch an seine Beschlüsse ist
der Chedive, d. h. England, nicht gebunden. Die in Kairo
wohnenden Mitglieder erhalten jährlich 1800 Mark, die in der
Provinz wohnenden 5000 Mark und Reisekosten. Die Na-
tional versamm lung besteht aus den sechs Ministern, den
Mitgliedern des Generalrats und 46 gewählten Notabein; über
Gesetzesvorlagen hat diese Körperschaft keine Stimme, da-
gegen darf keine Auflage ohne ihre Zustimmung erhoben
werden. Sie versammelt sich alle zwei Jahre für acht Tage
in Kairo, und während dieser Zeit erhalten die Mitglieder,
außer den Reisekosten, 20 Mark Tagegelder. Die Provinz-
räte endlich gehen aus allgemeinen Wahlen hervor, treten
jährlich mindestens einmal zusammen und haben nur eine
beratende Stimme. Überhaupt schränken diese konstitutio-
nellen Formen die absolute Gewalt des Chediven bezw. der
— 57 —
englischen Regierung nur sehr wenig ein und sind nur da,
um meist nicht beachtet zu werden.
Allerdings macht sich neuerdings, angeblich auf An-
regung des Chediven selbst, unter den Ägyptern eine Bewe-
gung geltend, welche eine Erweiterung der Befugnisse des
conseil legislatif anstrebt; aber die gemäßigten Mohamme-
daner wissen recht wohl, daß das Volk für ein konstitutio-
nelles Regiment noch lange nicht reif ist, und sicher ist. daß
England ein ägyptisches Regiment nicht dulden würde.
Für die innere Verwaltung wird das Land in 7 selbst-
ständige Governorate oder Mohafizate und 14 Provinzen
oder Mudiriehs eingeteilt und zwar entfallen davon auf Unter-
ägypten und angrenzende Distrikte die Governorate Kairo,
Alexandrien, Damiette, Rosette, Port Said mif dem Kanal
und Suez, und El Arisch, und sechs Mudiriehs, im ganzen
5 700000 Einwohner zählend; auf Oberägypten aber mit im
ganzen 4 Millionen Einwohnern 8 Muduriehs und das Go-
vernorat Kosser. An der Spitze jeder Provinz steht ein
Mudir und ihm zur Seite ein Diwan oder Ratskollegium, be-
stehend aus seinem Stellvertreter oder Wakil, dem Kadi, der
die oberste richterliche und geistliche Gewalt der Provinz
repräsentiert, dem Saraf oder Rendant, einem Chefingenieur,
einem Obermedizinalrat und einem Polizeichef. Der unter
scharfer Kontrolle des Generalinspektors stehende Mudir ver-
waltet die Provinz in finanzieller und politischer Beziehung
und hat besonders für Eintreibung der Steuern zu sorgen,
besitzt heute aber keine Gerichtsbarkeit mehr. Unter ihm
stehen die Kreisverwalter Kaschif und die Kantonverwal-
ter Nasir el Kism, von denen die Dorfschulzen Scheich
el Beled und die Vorsteher der Stadtviertel Scheich el
Tume abhängig sind. Die Unterbeamten sind vielfach Kop-
ten. Die einzige Stadt, welche bislang und zwar seit 1890,
durch internationale Übereinkunft, eine Munizipalverwaltung
- 58 —
besitzt, istAlexandrien, während daneben nur noch 24 Städte
Lokalkommissionen eingerichtet haben, welche besonders für
Wasserbeschaffung, das Feuer-Löschwesen und die Straßen-
pflasterung sorgen.
Justiz. Was die Rechtspflege anbetrifft, so bildet der Koran
deren Grundlage und die dem Gelehrtenstand der Ulemas
angehörigen Muftis und Kadis sind die islamitischen Rechts-
erklärer und Richter; unter Said Pascha erschien ein Gesetzbuch
El Kanun, eine wunderliche Verschmelzung von religiösem und
weltlichem Rechtswesen und später wurden auch Richterkollegien
moderner Fassung eingesetzt. Da der Koran Verbrechen gegen
Ungläubige für straflos und deren Zeugnis für ungültig erklärt,
so trafen die christlichen Mächte schon im Mittelalter Kapi-
tulationen mit Ägypten, wonach Abendländer dort von ihren
Konsuln gerichtet werden; diese Konsulargerichtsbarkeit war
in Ägypten sogar auf Klagen der Einheimischen gegen An-
gehörige fremder Nationen ausgedehnt worden, aber nach
Abschluß von neuen Verträgen mit 17 Staaten, denen die
Konsulargerichtsbarkeit zustand, wurden 1875 internationale
gemischte Gerichtshöfe eingesetzt und seitdem bestehen neben-
einander vier getrennte Jurisdiktionen.
Die internationalen gemischten Gerichtshöfe
in Kairo, Alexandrien und Mansurah treten in Kraft, wenn
es sich um Streitigkeiten zwischen Europäern verschiedener
Nationalität oder zwischen Europäern und Eingeborenen
handelt, und zwar unterstehen ihrer Kompetenz Zivil- und
Handelssachen, während ihnen von Strafsachen nur einige
Übertretungen übertragen sind. Die Generalkonsulate, Kon-
sulate und religiösen Körperschaften sind diesen Gerichten
nicht unterstellt. Die Gerichtshöfe setzen sich aus einhei-
mischen und fremden Richtern zusammen, letztere werden
von den Großmächten vorgeschlagen und von dem Chediven
für fünf Jahre als ägyptische Beamte ernannt; Präsident jedes
— 59 —
Gerichtshofes ist ein Eingeborener, mehr Einfluß aber hat
der europäische Vizepräsident, und die Zahl der europäischen
Richter überwiegt die der eingeborenen mit 32:17. Über
den gemischten Gerichtshöfen steht ein gemischter Appell-
hof in Alexandrien, einer weiteren Kontrolle irgend welcher
Art aber unterstehen diese internationalen Gerichtshöfe nicht;
immerhin muß vor der Exekution dem Konsul des Verur-
teilten Mitteilung gemacht werden.
Der Konsulargerichtsbarkeit unterstehen auch
heute noch alle Straf- und Zivilsachen und die Angelegen-
heiten des Familien- und Erbrechts, soweit dieselben
zwischen Personen derselben fremden Nationalität schwe-
ben ; dagegen ist die strafrichterliche Zuständigkeit der
Konsuln in Ägypten durch Vereinbarung der Mächte
1901 dahin eingeschränkt worden, daß sie für strafbare
Handlungen, deren Tatbestand einen Konkurs oder eine
Zahlungseinstellung zur Voraussetzung hat, außer Übung
gesetzt wird, sofern der Schuldner ein Kaufmann oder
eine Handelsgesellschaft ist, und der Schuldner oder
einer der Gläubiger der Konsular - Gerichtsbarkeit nicht
untersteht.
Einheimische Tribunale für Zivil- und Strafsachen
der Eingeborenen bestehen in acht Städten und urteilen auf
Grund von besonderen, nach Errichtung der gemischten Ge-
richtshöfe ausgearbeiteten Gesetzen, welche sich an den
französischen Code anlehnen, aber daneben auch die
eigenartigen Landes- und religiösen Sitten berücksichtigen;
über diesen Eingeborenen-Gerichtshöfen steht ein einheimi-
scher Appellhof in Kairo; und endlich existiert noch das
Mehkemeh, welches die auf den Personenstand der Ein-
geborenen sich beziehenden Fragen nach dem Scheriat, dem
religiösen Gesetz des Islams entscheidet und Vormundschafts-
sachen und Hypothekenbücher führt.
— 60 —
Auch die Patriarchen der christh'chen Sekten und die
jüdischen Rabbiner haben gewisse, von ihnen meist unrecht-
mäßig erweiterte richterh"che Befugnisse.
Die Gerichtskosten der einheimischen Tribunale sind
so hoch, daß die Verwaltung damit Überschüsse erzielt;
trotzdem und trotz der noch immer vorkommenden Auf-
ruhrbewegungen der eingeborenen Bevölkerung wird das
Gerichts- und Polizeiwesen von der englischen Regierung
finanziell noch immer sehr stiefmütterlich behandelt.
Die Polizei wird von englischen Offizieren komman-
diert, besteht meist aus angeworbenen Ausländern und Sol-
daten der ägyptischen Armee und zählt im ganzen 6 200
Mann, die den vier Divisionen Alexandrien, Kairo, Unter-
und Oberägypten zugeteilt sind.
Gesundheits- Die Gesundheitspflege, früher stark vernachlässigt,
pflege. K fe > *
ist unter englischer Verwaltung sehr gehoben worden, und
man hat sogar angefangen, die Mißstände zu beseitigen,
welche durch Islam und Herkommen seit Jahrhunderten ge-
heiligt waren. Das Sanitätswesen untersteht einem englischen
Chef und acht, meist englischen Delegierten, unter deren
Leitung Sümpfe ausgetrocknet, Wasserleitungen und Fried-
höfe angelegt und neben dem großartigen Krankenhaus in
Kairo vier große Provinzhospitäler errichtet wurden, in Tor
auf der Sinai-Halbinsel schuf man eine Station für Aufnahme
und Desinfektion der Mekkapilger, eine zweite Quarantäne-
station besteht in El Mex bei Alexandrien, und zwar gaben
die Choleraepidemie von 1895 und das Auftreten der Pest
in Bombay den Anstoß zu diesen Maßregeln, die auch Eu-
ropa gegen die Seuchen des Orients schützen sollen. Um
eine bessere Gesundheitskontrolle der Mekkapilger zu er-
möglichen, zwang man dieselben 1903, sich sämtlich der
jährlich von Kairo ausgehenden Karawane mit dem Teppich-
Weihgeschenk anzuschließen; freilich war die Beteiligung in-
— 61 —
folge dieser Einschränkung sehr gering und die Maß-
regel mußte schon 1904 wieder aufgehoben werden.
Durch Einführung umfangreicher Impfungen dürften auch
die Pocken, eine ständige Plage des Niltals, wesentlich
abnehmen.
Das Heer ist schon von Mohammed Ali nach euro- Verteidigung.
päischem Muster organisiert worden und rekrutiert sich nach
den Gesetzen von 1880 und 1882 aus der allgemeinen Wehr-
pflicht, welche jeden Ägypter, mit Ausnahme von Geistlichen,
Lehrern und Studenten, vom 21. Jahre ab zu einem vierjährigen
aktiven Dienste im Heere oder zu sechsjährigem aktiven
Dienste in der Marine oder den Arbeiterabteilungen ver-
pflichtet und sodann noch fünf bezw. vier Jahre Dienste in
der Landwehr (Redif) und fünf bezw. sechs Jahre im Land-
sturm vorsieht. Ausgenommen vom Militärdienst sind die
Bewohner von Kairo und Alexandrien, sowie die Beduinen-
stämme, welch' letztere indessen im Kriegsfalle irreguläre
Reiterei zu stellen haben. Der Freikauf vom Militärdienst
kostet 20 ägyptische Pfund und ergibt jährlich etwa 60 000
Pfund, obgleich, dem Budget entsprechend, jährlich nur eine
recht geringe Zahl von Rekruten wirklich eingestellt werden.
Die Gesamt-Sollstärke des ägyptischen Heeres beträgt, der
Konvention mit der Pforte gemäß, 18 000 Mann, und dazu
tritt das gleichfalls von Ägypten bezahlte englische Besatzungs-
korps, das in normalen Zeiten jetzt drei Bataillone Infanterie,
ein Regiment Husaren, je eine Batterie Feld- und Festungs-
Artillerie und eine Kompanie Pioniere aufweist. Das ge-
samte ägyptische Heer steht unter einem englischen Ober-
befehlshaber oder Sirdar, alle Offiziersstellen vom Major
aufwärts sind, mit verschwindenden Ausnahmen, mit Voll-
blutengländern besetzt, nachdem nichtbritische Offiziere fast
gänzlich verdrängt sind, die unteren Offizierchargen auch
mit Eingeborenen. Ebenso wie die Polizei, sind auch die
- 62 —
1850 Mann Küstenwache militärisch organisiert und unter
enghschem Kommando.
Die ägyptische Flotte, vor dem Krimkrieg nicht un-
bedeutend, aber bei Sinope zum größten Teile zerstört, ist
heute ziemlich vernachlässigt und weist z. Z. außer der gro-
ßen Jacht des Chediven, nur noch sechs Raddampfer und
vier kleine Avisos für den Küstendienst auf, daneben drei
Dampfer und acht Kanonenboote auf dem oberen Nil.
Die Flagge Ägyptens ist rot mit einem weißen Halb-
mond und einem sechszackigen weißen Stern; die Handels-
flagge grün mit einem gelben Horizontalstreifen. Das Wap-
pen zeigt einen silbernen, drei silberne Sterne umfassenden
Halbmond in einem runden, blauen Schilde.
Finanzen. Die Finanz Verwaltung Ägyptens war kurz vor der
englischen Okkupation vollständig zusammengebrochen; zwar
gab man für das Jahr 1868— 69 die Einnahmen mit 1 458 000
Beuteln und die Ausgaben nur mit 941 000 Beuteln an, aber
die unter Ismail eingerissene Prunk- und Verschwendungssucht
machte einen jeden Haushaltsplan zu Schanden, und die Kor-
ruption war in allen Beamtenkreisen, vom Pascha abwärts,
eine selbstverständliche Institution. Der Unternehmer spickte
die Zivilbehörden, der auf Beförderung harrende Untergebene
seine Vorgesetzten, der Landbebauer die Wasserinspektoren,
Landmesser und Steuerbeamten; Polizei und Richter waren
käuflich, letztere oft für beide Seiten; statt ein Eisenbahn-
billet zu kaufen, begnügte man sich mit einem Trinkgeld, und
so mit Grazie weiter in allen Lebens- und Geschäftslagen.
Wie konnte man auch Zuverlässigkeit von einem Beamten-
stand erwarten, der seiner Stellung nie sicher und dabei viel-
fach schlecht und unpünktlich bezahlt war. Nachdem unter
Ismail die mit 7 " „ verzinste Staatsschuld auf 94 Millionen
Pfund aufgelaufen war, denen wenig genug greifbare Gegen-
— 63 —
werte gegenüber standen, wurde durch Dekrete des Chediven
vom 2. Mai und 18. November 1876 in Kairo die „Com-
mission de la Dette publique egyptienne", gewöhnlich kurz-
weg die „Caisse" genannt, als einseitig selbständige Institu-
tion des ägyptischen Staates eingesetzt und dann durch das
zur Regelung der festen Schuld Ägyptens erlassene Liquida-
tionsgesetz vom 17. Juli 1880 auf internationale Rechtsgrund-
lage gestellt. Die Mitglieder der Caisse, welche bis zur voll-
ständigen Tilgung der festen Schuld Ägyptens fortzubestehen
hat, werden auf V^orschlag der beteiligten Mächte vom Che-
diven ernannt und sind ägyptische, vom ägyptischen Staate
bezahlte Beamte, können aber ihrer Funktionen nicht ohne
Genehmigung ihrer heimischen Regierung enthoben werden.
Die Kasse verwaltet die für den Zins- und Tilgungsdienst über-
wiesenen Einnahmen und übte bislang eine weitgehende all-
gemeine Finanzkontrolle aus. Bis 1885 waren nur England,
Frankreich, Italien und Österreich durch Kommissare in der
Caisse vertreten; auf Verlangen Deutschlands und Rußlands
wurden dann aber auch Vertreter dieser Staaten berufen.
Die internationale Finanzkommission hatte zwar in den
Jahren 1876—82 einiges geleistet, immerhin aber fand Eng-
land nach Übernahme der Verwaltung noch ein ziemliches
Chaos, allgemeine Konfusion und Korruption und ein mit
Steuern überbürdetes Volk vor, und erst 1890 konnte der
Staatshaushalt wirklich ins Gleichgewicht gebracht und seit-
dem auch an ernstere Reformen gegangen werden.
Das Programm, von welchem man sich dabei eng-
lischerseits leiten ließ, war das folgende. Als notwendigste
erachtete man die Finanz reform und die Entlastung der
Steuerzahler durch strikte Sparsamkeit und Ehrlichkeit in
der Verwaltung. Was dann zu sparen war, sollte in erster
Linie auf Bewässerungs- und andere produktive Arbeiten
verwandt werden. Verwaltungsreformen jedoch, welche
— 64 —
größere Auslagen bedingen, stellte man für später zurück,
wenn man auch nach Möglichkeit im Sanitäts-, Justiz- und
Erziehungswesen zu bessern getrachtet hat.
Blickt man heute auf diese Programmpunkte zurück
und vergleicht damit, was in geduldiger und zielbewußter
Arbeit erreicht worden ist, so kann man der englischen Ver-
waltung Anerkennung nicht versagen. Was den ersten Punkt,
Steuererleichterungen, anbetrifft, so sind darin folgende
Resultate erzielt worden. Die Fronarbeit, dieses Über-
bleibsel der Sklaverei, ist im Jahre 1886 so gut wie aufge-
hoben worden. Der Suezkanal war großenteils durch Fron-
arbeit erbaut und noch 1881 leisteten 281 000 Menschen
Zwangsarbeit bei Bewässerungsarbeiten. Nur wenn plötzliche
Nilüberschwemmungen eintreten, darf auch heute noch die
ganze Bevölkerung aufgerufen werden, doch wird sie dafür
bezahlt, das Budget weist seit 1886 jährliche Posten von
265 000—400000 E. L. unter dem Titel „Aufhebung des
Frondienstes" auf, und die Zahl der so beschäftigten Ar-
beiter ist mehr und mehr gesunken, im Jahre 1902 auf 4900.
Die Grundsteuer, diese drückendste aller ägyptischen Ab-
gaben, ist heute jährlich um 570 000 Pfund geringer als
früher, nachdem man sie herabgesetzt, gerechter verteilt und
das unfruchtbare Land von der Besteuerung ausgeschieden
hat. Die Gewerbesteuer, welche jährlich 180000 Pfund
einbrachte und nur die Eingeborenen traf, ist gänzlich abge-
schafft, ebenso die Schaf- und Ziegensteuer, welche
40000 Pfund ergab. Dadurch, daß 1901 die Nilschiffahrt
frei erklärt wurde, fielen jährlich 46000 Pfund Abgaben weg,
und durch die 1903 erfolgte Aufhebung des 9 ^'d vom Werte
betragenden Octrois auch in Alexandrien und Kairo, nach-
dem diese Verbrauchssteuer bereits früher für die meisten
anderen Städte abgeschafft worden war, 200000 Pfund, wäh-
rend eine Reihe weiterer Steuerermäßigungen sich auf 81 000
— 65 —
Pfund im Jahre belaufen. Die Salzsteuer ist um 40 " o
herabgesetzt worden; die Haussteuer von 12 " ,. des Roh-
ertrages wird jetzt nicht nur von türkischen Untertanen,
sondern von allen Einwohnern bezahlt, und die Gebühren im
Post- und Telegraphenwesen sind gegen früher um 50" u,
auch die Eisenbahntarife wesentlich verbilligt worden.
Diesen zahlreichen Nachlässen steht als einzige Erhöhung die
des Tabakzolls von 14 auf 20 Piaster für das Kilogramm
gegenüber, und so ist es denn, trotz des jährlich erforder-
lichen Zuschusses von rund 300000 Pfund für den Sudan,
möglich gewesen, die Summe der jährlichen direkten .Ab-
gaben seit 1882 um rund 1 600 000 Pfund zu reduzieren, und
die Steuerlast pro Kopf und Jahr ist von 21 Mark in 1882
auf 16 Mark in 1902 zurückgegangen, was allerdings für eine
durchschnittlich so arme Bevölkerung wie die ägyptische
noch immer sehr hoch ist. Konnten die Einnahmen 1882
nur mit Schwierigkeiten auf 9 Millionen gebracht werden,
so ergeben sie jetzt unter geordneter Verwaltung 11 — 1 1^2
Mill. Pfund und die Steuerrückstände sind heute sehr gering.
Was den zweiten Punkt des Finanzprogramms, Schaf-
fung produktiver Anlagen anbetrifft, so hat sich diese
ganz überwiegend auf Bewässerungsarbeiten erstreckt, um
Ägypten unabhängiger von der Nilschwelle zu machen und
man hat dafür zwischen den Jahren 1882 und 1902 rund
neun Millionen Pfund verwandt. Als Resultate dieser Arbei-
ten sind zu betrachten: Ein allgemeines Steigen der Land-
preise; ein Anwachsen der besteue rten Landfläche von
19 000 qkm in 1882 auf 22 000 qkm in 1902; eine Ver-
größerung der Baumwollernte von den früheren 2^2 bis
3 Millionen Kantar auf jetzt 5-6 Millionen im Jahre, wäh-
rend derZuckere.xport von den früheren 20 -25000 Tons
1896 bis auf 73 500 Tons stieg und auch seitdem nicht
wieder unter 49000 Tons gefallen ist. Die Importe stiegen
Schanz, Ägypten. 5
— 66 —
von 8 Millionen im Jahre 1883 84 auf 15 Millionen in
1901 und die Exporte im gleichen Zeitraum von 12 auf
16 Millionen Pfund. Diese wenigen Zahlen beweisen zur
Genüge, daß die Ausgaben für Bewässerung in der Tat pro-
duktive waren.
Es wird nunmehr, nachdem man zunächst eine sichere
finanzielle Basis geschaffen hat und alle Anzeigen auf ein
stetiges Anwachsen fast aller Einnahmequellen deuten, auch
möglich werden, dem Punkt 3 des Programms, den all-
gemeinen Verwaltungsreformen, näher zu treten, und
zwar gedenkt man zunächst die schlecht bezahlte Polizei, die
Justizverwaltung und sanitäre Anlagen zu bedenken.
Die Jahresabschlüsse der Staatsverwaltung weisen
folgende Zahlen auf für
1890 1892 1894 1896 1898 1900 1901
in Einnahmen 10,23 10,36 10,30 10,69 11,34 11,66 12,16
in Ausgaben 9,63 9,59 9,52 10,37 10,12 11,10 11,40
1902 1903
12,14 12,46 Mill. Pfund
11,43 11,72 „
und die Überschüsse, welche den Voranschlag regelmäßig
übertrafen, beliefen sich auf 559000 Pfund in 1900, 768000
in 1901, 716000 in 1902 und 743000 in 1903.
Das mit 11060000 Pfund aufgestellte Budget für 1902
sah folgende Einnahmen vor: Direkte Steuern 4880000 £;
indirekte Steuern 2 477000 £ (davon je 1 Million auf Zölle
und Tabak); Einnahme -Verwaltungen, besonders Eisenbahn,
Post und Telegraph, 2630000 4'; Einnahmen der Verwal-
tungsbehörden, Sportein, Militärloskauf usw.: 707000 £\
Diverse 366000 £. Dagegen figurierten unter den Aus-
gaben in Tausenden von Pfunden: Staatsschuldenverwaltung
3735, Verwaltungs- und Erhebungskosten 2343, Einnahme-
verwaltungen 1287, Tribut an die Pforte 665, Reservefonds
— 67 —
619, Heer 448, Sudan 390, Zivilliste für den Chediven und
seine Familie 255, Aufhebung von Frohndienst 250, Englische
Okkupationsarmee 85, Diverse 773, Überschuß 210 Tausend
Pfund, der sich aber tatsächlich, wie oben bereits erwähnt,
auf 716000 £ belief.
Ist im kleinen auch heute noch immerhin viel Bestech-
lichkeit in der Verwaltung vorhanden, so können doch
öffentliche Gelder nicht mehr, wie früher, einfach verschwin-
den, und die pünktliche Bezahlung der Beamten hat zur
Besserung der Verhältnisse wesentlich beigetragen.
Von den direkten Steuern kommen besonders drei in
Betracht: die Grundsteuer oder Scharak, die Einkommen-
steuer Werko oder Firdeh, und die Marktsteuer oder Himl.
Fast die Hälfte des gesamten Staatseinkommens entfällt
auf die Grundsteuer, die bislang sehr ungleichmäßig und
ganz willkürlich aufgelegt war, den kleinen Landbesitzer
schwer drückt und den Großbesitzer häufig gar nicht traf.
Die ^englische Verwaltung strebt aber die Entlastung der
Schwachen und die Belastung leistungsfähigerer Schultern an,
arbeitet seit 1899 an der Anlage eines neuen Katasters, wel-
ches allerdings erst 1907 fertiggestellt sein wird, und hat die
Grundsteuer, welche bis dahin auf alles bebaute Land er-
hoben wurde, 1899 auf solche Ländereien aufgehoben, wel-
che so hoch liegen, daß bei niedrigem Nilstand kostspielige
Bewässerung durch Brunnen nötig wird. Die Höhe der
Grundsteuer ist keine einheitliche, sondern nach der Art der
Ländereien wechselnd: Die sogenannten Tschifliks, die
früheren Privatgüter des Chediven und jetzt Staatsdomänen,
bezahlen überhaupt keine Grundsteuer; die Ibadiye -Län-
dereien, welche Kleinbauern zur Urbarmachung mit vollem
Eigentumsrecht verliehen werden, sind in den ersten drei
Jahren steuerfrei und bezahlen alsdann 10 "i, vom Ertrag;
die Urudschi oder privilegierten Zehntländer des moham-
5*
— 68 —
medanischen Bodeneigentumsgesetzes (Scher), welche den
Bodenbesitz der zum Islam übergetretenen Bürger unter-
worfener Länder umfaßten, werden jedes Jahr neu abge-
schätzt, nach der Güte in drei Klassen geteilt und bezahlen
für den Feddan von 44^2 Ar in Ober-Ägypten 8, 14 und
20, in Unter-Ägypten 10, 18 und 26 Piaster; am höchsten
besteuert sind die alten Tributländer oder Karadschi, etwa
zwei Drittel aller Ländereien, welche in Unter-Ägypten 20
bis 125, in Ober-Ägypten 25 bis 70 Piaster zahlen. Ebenso
drückend wie die Grundsteuer ist die Dattelpalmensteuer,
die früher auf jeden tragenden oder nichttragenden Baum
jährlich mit 2^ '2 Piaster berechnet wurde, jetzt aber auf den
mit Palmen bestandenen Grund umgelegt ist. Der jährliche
Ertrag der Grund- und Dattelpalmensteuer beträgt etwa
876000 Beutel.
Die Einkommensteuer, welche von den Handwer-
kern, Kaufleuten und Bazarinhabern zu zahlen ist, schwankt
zwischen 4 und 20 f',,, während die Marktsteuer für alle
auf den städtischen Märkten zum Verkaufe gebrachten Landes-
produkte durchschnittlich P'2 ''o beträgt.
Die öffentliche Schuld Ägyptens wies z. Z. des Finanz-
gesetzes vom 17. Juli 1880, nachdem im gleichen Jahre die
5 ° 0 Unifizierte und die 5 '^ „ Daira-Anleihe auf 4 bezw. 4^/2 °/o
konvertiert worden war, auf:
61 Millionen 4 "0 Unifizierte Schuld von 1876,
17 „ 5% Privilegierte „ von 1876, 1890 auf
3^ 2 % konvertiert,
91. Millionen 4^2 "^o Daira Sanieh Anleihe von 1877, 1890
auf 4 % konvertiert,
8^2 Millionen 5% Domänen-Anleihe von 1878, 1893 auf
4^ 4 "0 konvertiert,
5^4 Millionen 5 % Schwebende Schuld
101' 4 Millionen Pfund.
— 69 —
Anfang 1904 wiesen die verschiedenen Anleihen die
folgenden Beträge auf:
i" 55 972 000 4 '\, Unifizierte Schuld von 1876,
„ 31 127 000 3^ j-'o Privilegierte „
„ 4 986 000 4 \, DairaSanieh-Anleihe von 1877,
„ 2 058 000 4' 4 Domänen-Anleihe von 1878,
„ 8 044 000 3 ••„ Garantierte Anleihe von 1885, 1900 durch
eine Eisenbahnanleihe vermehrt.
102 187 000 Pfund Sterling.
Dazu tritt noch die Mukabalah-Schuld, eine innere
Zwangsanleihe, die in 50 Jahresraten von 150 000 ägyptischen
Pfund bis zum Jahre 1930 zu tilgen ist.
Von den 102 Millionen Pfund waren aber nur 93 383 000
Pfund in Zirkulation und 8 800 000 Pfund in den Händen
der Caisse- und der Finanzverwaltung. An angesammelten
Reserven waren Anfang 1904 vorhanden:
5 507 000 Pfund Ersparnisse durch Konvertierungen,
2 761 000 „ Allgemeine Reserve-Fonds,
1678 000 „ Spezielle
9 946 000 Pfund.
Während der spezielle Reservefonds zur unbeschränk-
ten Verfügung der ägyptischen Regierung steht, durften die
beiden anderen Posten bislang nur mit Bewilligung der Caisse
verwandt werden. Der gelegentlich des englisch-französischen
Abkommens vom 8. April 1904 erlassenen Erklärung des
Chediven betr. der Einschränkung der Befugnisse der Caisse
traten schon im Mai 1904 Rußland, Italien und Österreich-
Ungarn, Ende Juni 1904 auch Deutschland bei.
Die drei erstgenannten Anleihen, die unifizierte, die
privilegierte und die garantierte stehen unter der Verwaltung
der Internationalen Finanzkommission und zwar ist für
Deckung der Zinsen und Tilgung in erster Linie der Brutto-
- 70 -
ertrag der Grundsteuer bestimmt. Die Zahlungen für diese
drei Anleihen erfolgen in Gold und ohne jeden Abzug in
Kairo, London, Paris und Berlin, und laut Dekret von 1904
soll die ägyptische Regierung das Recht haben, von 1910 ab
die garantierte und die privilegierte, von 1912 ab die unifi-
zierte al pari durch Auslosung zurückzuzahlen, oder, wenn
das günstiger erscheint, freihändig zurückzukaufen.
Auch die Domänen-Anleihe und die Daira-Sanieh be-
sitzen eine abgesonderte und fremdländischen Kommissaren
anvertraute Verwaltung, deren Überwachung das Ministerium
des Inneren besorgt.
Die aus Verkaufserlösen und Verwaltungsüberschüssen
zu tilgende Domänenanleihe von 1878 war ursprünglich
gegen Verpfändung von 171400 Hektar aufgenommen; ein
Teil dieses Besitzes ist im Laufe der Zeit bereits verkauft
worden, die Anfang 1904 noch vorhandenen 63000 ha aber
repräsentierten einen Wert von mindestens 3^/3 Millionen
Pfund, sodaß also dem Reste der Anleiheschuld ein sehr
reichliches Aktivum gegenübersteht. Vom Jahre 1915 ab ist
die Regierung berechtigt, diese Anleihe jederzeit al pari
zurückzuzahlen.
Die Daira-Sanieh-Verwaltung aber, welche anfänglich
204000 ha umfaßte, geht ihrer Auflösung entgegen durch
einen Kontrakt vom 21. Juni 1898, wonach sie sämtliche
ihr verpfändete, meist in Oberägypten gelegene Güter und
Fabriken an ein Konsortium von englischen, französi-
schen und ägyptischen Kapitalisten für 6 431000 Pfund ver-
kaufte, doch muß die jetzige Verwaltung, an deren Spitze
ein englischer und ein französischer Delegierter stehen, noch
bis zum 15. Oktober 1905 verbleiben; gegen Abzahlung der
noch ausstehenden Schuld, welche von der Regierung zur
baren Rückzahlung für den 15. Oktober 1905 gekündigt ist,
werden dann die Ländereien an das Konsortium abgetreten.
— 71 -
welches den Besitz innerhalb der nächsten 7 Jahre zu ver-
kaufen hat, vorausgesetzt, daß mindestens 20 "^ dabei ver-
dient werden; die Hälfte des schh"eßlich dabei erzielten Ge-
winns fällt der ägyptischen Regierung zu. Bis Ende 1902
hatte das Syndikat bereits sämtliche zu dem Besitz gehörigen
9 Zuckerfabriken und 75000 ha Land zu rund 7^ -i Millionen
Pfund verkauft, und es verblieben ihr noch 38000 ha, deren
Wert man auf 3,7 Millionen Pfund schätzte. So ist also
jetzt auch hier ein sehr betriedigender Abschluß in Aussicht,
während bis zum Jahre 1890 die Einkommen der Daira
nicht für den Zinsendienst genügten und die Staatskasse all-
jährliche Zuschüsse dafür leisten mußte.
Die Börsennotierungen für ägyptische Anleihen betrugen
in der ersten Hälfte 1904 für 3 '^0 3^:i'^o 4 '\, Daira. Domänen.
971 •> 101 106 102 107%,
Frankreich hat in Ägyptischen Fonds und anderen
Anlagen ungefähr 57 Millionen Pfund in Ägypten investiert,
und es ist deshalb begreiflich, daß sich England durch das
Kolonialabkommen vom 8. April 1904 vor allem Frankreichs
Zustimmung zu den geplanten Erleichterungen in der inter-
nationalen Finanzkontrolle zu sichern bestrebt war.
Eine nicht unbedeutende Einnahmequelle hätte man sich
in Ägypten dadurch erschließen können, daß man seine
Zustimmung zu der wiederholt beantragten Konzession einer
Spielbank ä la Monaco in Kairo gegeben hätte; aber diese
Anträge sind von der englischen Regierung auf das entschie-
denste bekämpft worden, besonders mit Rücksicht darauf,
daß der Ägypter sowieso schon mehr als gut zum Spiele neigt.
Die Hauptquelle der Ernährung des ägyptischen Volkes Bodenfrage,
bildet der Ackerbau und es dürfte deshalb zunächst ein Blick
auf die Boden frage am Platze sein. Früher gehörte tat-
sächlich alles Land der Regierung, und ein volles Eigentums-
— 72 —
recht des ägyptischen Bauern an seinen Grund und Boden
besteht erst seit den 70 er Jahren des vorigen Jahrhunderts.
Die gesamte Kulturfläche betrug 1882 27700 qkm, wovon
16100 auf Unter- und 11600 auf Ober-Ägypten entfielen;
1897 war die Kulturfläche auf 29090 qkm angewachsen.
Dieses Land gehört teils zu den Staatsdomänen, denChediv-
Domänen der Daira-Sanieh, oder dem Wakuf, der Ver-
waltung frommer Stiftungen für Moscheen und Schulen; ein
andrer großer Teil liegt in den Händen von Gesellschaften,
besonders der Sueskanal-Kompagnie und der New Egyptian
Co. und von Großgrundbesitzern; die um die Dörfer herum-
liegenden kleinen Parzellen, die von den Fellachen bewirt-
schaftet werden, und der Gemeindebesitz umfassen die klei-
nere Hälfte des Kulturlandes, doch sind die Fellachen meist
nicht Eigentümer des von ihnen bewirtschafteten Bodens,
sondern nur Pächter der Regierung gegen eine jährliche Ab-
gabe von etwa ^ :, des Bodenertrags; sie können aber durch
Zahlung des sechsfachen Betrags der jährlichen Abgaben in
den erblichen Besitz des Landes gelangen. Mehr als die
Hälfte des Grundbesitzes also ist im Besitz des Staates und
der Großgrundbesitzer, der verbleibende Rest von etwa ein
Million Hektar muß für die gesamte Landbevölkerung von
4 200000 Köpfen genügen, welche durch Steuer- und Hypo-
thekenlast, trotz wiederholter Steuernachlässe seitens der eng-
lischen Verwaltung, noch immer bedenklich bedrückt ist.
Der s. Z. in Staatsdomänen verwandelte Grund-
besitz des Chediven und seiner Familie, welcher den euro-
päischen Kapitalisten für verschiedene Anleihen verpfändet
wurde, umfaßte fast ein Fünftel alles kulturfähigen Landes
überhaupt; ein Teil dieses Besitzes ist allmählich verkauft
worden; einen großen Teil verpachtete man an Unternehmer,
welche die Bezahlung der fälligen Steuern übernahmen und
das Land in bescheidenen Parzellen an Eingeborene weiter ver-
J
— 73 —
pachteten; einen kleinen Teil verpachtete die Staatsregierung di-
rekt an Eingeborene; sodann gibt es Lehen der Regierung,
auf denen jeder Arbeiter 1 — 3 Feddan Land, ein Wohnhaus
und Freiheit vom Militärdienst erhält; und ein beträchtlicher
Teil endlich liegt aus Mangel an Arbeitskräften brach. An-
fang 1903 waren noch 158 464 acres (ä 40 Ar) Domänen-
land, hauptsächlich in Unter-Ägypten liegend, vorhanden und
die Regierung sucht dieses Land mit Vorliebe an kleine
Bebauer zu verkaufen. Die Durchschnittsgröße von 160 im
Jahre 1902 verkauften Landlosen war etwas unter 30 acres,
und zwar waren die Käufer dafür überwiegend die Bewohner
des betreffenden Dorfes selbst oder Nachbarn; unter den
verkauften Losen war nur ein größeres von 1200 acres, und
der Gesamtertrag der in 1902 verkauften 5950 acres belief
sich auf 232000 Pfund. Dagegen war die Durchschnitts-
pacht von Domänenland für den acre von 16 Mark in 1898
auf 21 Mark in 1902, im Fayum nach Ausführung der neuen
Bewässerungsarbeiten im gleichen Zeitraum sogar von 23
auf 32 Mark gestiegen; die Gesamtzahl der Landbevölkerung
auf dem Domänenland betrug im Jahre 1902: 27600 Köpfe.
Grund und Boden bei Luxor, noch vor 20 Jahren nur 120
bis 140 Mark für den Feddan kostend, wird heute mit 600 Mark
verkauft und bringt jährlich etwa 100—120 Mark ein.
Die Ländereien des Wakuf, die meist gegen mäßigen
Zins verpachtet sind, und deren Ertrag w^ohltätigen Stiftun-
gen und der Erhaltung von Schulen zugute kommt, sind
über das ganze Land verstreut und meist sehr klein; um-
fassen diese 5900 Landlose doch nur 7500 acres im ganzen,
und so ist man jetzt im Interesse der Vereinfachung und
Verbilligung der Verwaltung darüber, diesen Besitz mit einem
geschlossenen zu tauschen.
Was das V^erhältnis zwischen Groß- und Kleingrund-
besitz anbetrifft, so ist es unmöglich, darüber z. Z. genaue
— 74 —
Zahlen zu haben, da nicht alle Landüberschreibungen regi-
striert werden und die im Gange befindliche Neuaufnahme
des Katasters nicht vor 1907 beendet sein dürfte.
im Jahre 1901 standen 5097000 acres im Landregister
und davon entfielen
2 216000 acres = 44% auf 11952 Besitzer von 50 acres
und mehr und
2881000 acres = 56% auf 955000 Besitzer von weniger
als 50 acres.
Dieses Verhältnis ist seit Jahren stetig geblieben und
stimmt eigentlich schlecht zu den an und für sich nahelie-
genden Behauptungen guter Kenner des Landes, daß Groß-
grundbesitzer und Wucherer die Armut der kleinen Leute
ausnutzen, um immer mehr Land in verhältnismäßig wenigen
Händen zu vereinigen, eine Tendenz, die durch den unglei-
chen Wettkampf zwischen moderner Maschinenkultur und
der primitiven Landbestellung der Fellachen erleichtert wird.
im Jahre 1901 waren von dem registrierten Land nur
11 % = 554000 acres im Besitz von 6126 Europäern, und
zwar besaßen davon 1484 Ländereien von über 50 und 4642
Personen solche von unter 50 acres.
Die Pacht- und Lohn arten sind sehr verschieden.
Einige Verwaltungen geben Barlohn (2 — 2^ j Piaster, Kinder
1 — P'2 Piaster) und Naturalien, außerdem jedem Familien-
haupt einen Feddan Boden zum Kleebau. Andere haben
das System der Teilung des Ertrags eingeführt, da die Fel-
lachen im allgemeinen Naturalleistungen dem Qeldlohn vor-
ziehen; so wird für Säen und Mähen des Korns 5 % der
Ernte, für Dreschen 1 % der Körner und des Strohs gewährt;
die in den Baumwoll kulturen beschäftigten Arbeiter be-
kommen bei schlechtem Boden etwa ^ 3 — ^ 2 der Ernte, bei
gutem Boden nur ^':, und dazu noch die als Brennmaterial
zu verwendenden Zweige der Baumwollstauden; vom Mais
— 75 —
bekommt der Arbeiter die halbe Ernte, vom Reis, der viele
Bevvässerungsarbeiten nötig macht, sogar ^ .-. Wieder andre
Grundbesitzer verpachten das Land und zwar entweder für
nur eine Spezialkultur von Mais, Klee usw. (130 — 140 Pi-
aster Pacht für den Feddan), oder für ein oder drei Jahre
(Jahrespacht für den Feddan in Ober-Ägypten 100, im Delta
140—150, für Zuckerrohrland 350— 450 Piaster). Die reinen
Tagelöhne sind im allgemeinen niedrig; in Ober-Ägypten
werden 40—50, in Unter-Ägypten 60—80 Pfennige ohne
Kost bezahlt, und neben Tage- und Monatslohn, letzteren für
Aufseher, kennt man auch Akkordarbeit; so bezahlt man für
Umgraben eines Feddan 4 Mark, für seine' Bewässerung
3 Mark. In den letzten Jahren sind die Tagelöhne für ge-
wöhnliche Landarbeiter in Mittel-Ägypten von 3 auf 5 Piaster
gestiegen.
Eine schwer empfundene Lücke bildete bis vor kurzem
der Mangel an Bodenkreditinstituten für den wirklich
kleinen Mann. Zwar hatten die schon seit Jahren bestehen-
den „Credit foncier egyptien" und die „Land and Mortgage
Company" um die Jahrhundertwende den Mindestbetrag einer
Anleihesumme auf 100 E. Pfunde herabgesetzt, für die be-
scheidenen Verhältnisse der ägyptischen Bauern war aber
auch das noch viel zu hoch, und letztere blieben deshalb
nach wie vor auf den — meist griechischen — Wucherer
angewiesen, der sie, wenn nicht besonders günstige Jahre
kommen, dem Ruine entgegenführt. Um die Fellachen vor
dieser wucherischen Ausbeutung zu schützen und manche
bäuerliche Existenz vor sicherem Untergang zu bewahren,
hatte die 1898 gegründete National Bank of Egypt bis zu
Ende des Jahres 1901 400000 Pfund in kleinen Summen zu
10 "o p. a. an Fellachen ausgeliehen, und als das Institut
zögerte, weitere Kapitalien in diesem Geschäft festzulegen,
schoß auch die Regierung 250000 Pfund dafür vor. Diese
— 76 ^
Anleihen wurden dann übertragen auf eine am 1. Juli 1902
ins Leben getretene „Agricultural Bank of Egypt", welche
mit einem Kapital von 2V2 Millionen Pfund begann, und den
Fellachen kleine Summen zu 9 %, statt bisher 10 % p. a.,
bis zur Höhe von 50 " „ des Verkaufswertes ihrer Ländereien
leiht. Die ägyptische Regierung gewährleistet der Bank eine jähr-
liche Verzinsung ihres Kapitals mit 3 "/o und läßt die Zinsen
und Amortisationsquoten der gewährten Vorschüsse durch
ihre Steuerstellen gleichzeitig mit der Grundsteuer einziehen,
sodaß der Bank nur die Allgemeinverwaltung verbleibt. Die
im Jahre 1902 eingegangenen Leihanträge erstreckten sich
in 34500 Fällen auf 203000 Pfund, rückzahlbar in 15 Monaten,
und zwar kam die Hälfte dieser Summe auf Beträge unter
5 Pfund, der Rest auf solche bis 20 Pfund; weitere 20300
Kontrakte in der Gesamthöhe von 750000 Pfund erstreckten
sich auf Summen, die in 5 Jahresraten rückzahlbar sind, und
davon waren 8500 Beträge unter 20 Pfund und die Maximal-
summe 300 Pfund. Ende 1903 hatten bereits 78900 Klein-
besitzer mit zusammen 2 186 000 Pfund Anleihen von diesem
Institut Gebrauch gemacht, und es wurde die Vergrößerung
des Bankkapitals um weitere 2^ ^ Millionen Pfund nötig, um
die Operationen fortsetzen zu können. Bislang ist das
neue Institut fast nur in Unter-Ägypten bekannt und benutzt,
und es wird von großem Interesse sein, das Wirken dieser
Bank weiter zu verfolgen.
in jeder Provinz besteht ein Agrikulturrat, der sich
aber nicht mit dem Ackerbau, sondern mit der zweckmäßigen
Verteilung des Wassers, dem Öffnen und Schließen der Bas-
sins zu befassen hat und den leitenden Ingenieuren beratend
zur Seite steht. Diese Wasserbau-Ingenieure wurden 1882
aus Indien berufen und sind bei großen Gehältern mit
fast unumschränkter Vollmacht ausgerüstet; Ober- und
Unter-Ägypten haben je einen Generalinspektor, und unter
— 77 —
ihnen stehen fünf Ingenieure ebensoviel Wasserbau - Be-
zirken vor.
Das ganze Kulturland Ägyptens, dessen Ausdehnung
immer an die Möglichkeit der Bewässerung durch das Nil-
wasser gebunden und deshalb verhältnismäßig eng begrenzt
bleiben wird, zerfällt in zwei große Klassen, in die Raye,
welche durch die Überschwemmung selbst bewässert werden,
und in die Scharaki, welche zu hoch liegen, um von dieser
noch erreicht zu werden, und deshalb künstliche Bewässerung
erfordern. Rayeländer ergeben gewöhnlich nur eine
Ernte im Jahre, welche in Ober-Ägypten in den Februar, in
Mittel-Ägypten in den März und im Delta in den April fällt;
dagegen sind auf Scharaki drei Ernten im Jahre möglich,
und zwar erstreckt sich die in den Oktober bis Mai fallende
WinterkulturaufWeizen,ägyptischenKlee, Gerste, Saubohnen
und Linsen; die in April bis Oktober fallende Somm er kul tu r
auf Baumwolle, Zucker, Indigo, Hirse und Reis; und die
zwischen August und Oktober liegende Herbstkultur fast aus-
schließlich auf Mais, daneben noch etwas Reis und Gerste.
Fast in jeder Jahreszeit ist ein Teil des Bodens bebaut, ein
anderer brachliegend. Im Delta, wo ausreichende Bewäs-
serung auch außerhalb der Überschwemmungszeit möglich
ist, wird der Boden durchschnittlich etwa viermal in drei
Jahren bebaut, in Ober-Ägypten dagegen nur etwa sieben-
mal in sechs Jahren, und erst in neuerer Zeit sind durch
Anlage von Bassins auch in Ober-Ägypten Sommerkulturen
ermöglicht worden, wo die Ernten übrigens, trotzdem man
dort weder pflügt, noch düngt, viel reichlicher sind, als in
Unter-Ägypten. Die Kultur von Baumwolle und Zuckerrohr
ist allerdings in Ober-Ägypten fast unmöglich, da deren Ve-
getationsperiode gerade in die Überschwemmungszeit fällt
und mangelnde Kanalisation bislang hier nicht eine so gün-
Landbau.
— 78 -
stige Verteilung und Ableitung des Wassers erlauben, wie in
Unter-Ägypten. Im ganzen sind von der Kulturfläche be-
stellt mit:
Weizen, Klee, Baumwolle, Saubohnen, Mais, Gerste, Durra
etwa 20 15 14 12 119 8%
Die Fruchtbarkeit des Landes erlaubt dem Bauer, sein
Land mühelos zu bewirtschaften; mit den primitivsten Hilfs-
mitteln ausgestattet, nach uralter Weise bestellt er sein Feld,
ohne Befürchtung ungünstiger Witterung, sicher der Frucht-
barkeit des Nilschlamms, sicher der reifenden Kraft der
Sonnenstrahlen. Reis liefert im Delta 50— 100 fältigen, Wei-
zen 25— 50 fältigen Ertrag. Erst neuerdings kommt auch
Düngung mehr in Aufnahme, ebenso die Anwendung von
Dampfpflügen, welche das durch Viehepidemien nicht selten
bedrohte tierische Zugmaterial vorteilhaft ersetzen, für den
kleinen Landbauer allerdings unerschwinglich sind.
Von Hülsenfrüchten werden meist Saubohnen, daneben
Linsen, Kichererbsen und Lupinen, von Grünfutter über-
wiegend ägyptischer Klee mit jährlich 5— 10 Schnitt, weniger
griechisches Heu und Luzerne gepflanzt.
Die Landwirtschaftliche Schule und Versuchsanstalt in
Giseh lehrt rationelle Kultur und Ausnutzung des Bodens,
vornehmlich aber zeigt die Staatsverwaltung auf ihren, im
ganzen Lande verstreuten Domänen, deren Ertrag sich durch
Einführung besserer Kulturmethoden von 1889—1897 ver-
doppelte, dem Landwirt den richtigen Weg. Blumenkultur,
Anbau von Obst und Gemüse der verschiedensten Teile der
Erde haben in den letzten Jahren einen großartigen Auf-
schwung genommen.
Von Obstsorten wurden bislang besonders die Mittel-
meer-Arten, im Delta überwiegend Orangen und Zitronen,
im Niltal Feigen gebaut, daneben aber auch zahlreiche Ba-
nanen. Wein, nur als Tafelobst gebraucht, kommt besonders
— 79 —
aus dem Fayum, und auch die beschränkte Oh'venkultur ist
besonders dort und im Delta anzutreffen. Neben allerlei
Gemüsen und Gurkenfrüchten verdienen besondere Erwäh-
nungen Zwiebel und Lauch, die schon im Altertum hier mit
Vorliebe kultiviert wurden, und auch heute noch werden viele
Zwiebeln von hier nach England ausgeführt.
Dattelpalmen zählte man 1882 je 1^3 Million in
Ober- und Unter-Ägypten und schätzte deren jährlichen Er-
trag auf 100 — 120000 Tons Früchte; jetzt rechnet man un-
gefähr 4^ 2 Millionen Bäume.
Die Grundlage der heutigen Prosperität des Landes
aber bildet die B a u m w o 1 1 k u 1 1 u r. Seit undenklichen Zeiten
zwar war Baumwolle und ihre Verwendung in Ägypten be-
kannt, aber ihre Kultur war bis zu Anfang des 19. Jahr-
hunderts ziemlich beschränkt und erstreckte sich nur auf eine
grobe, kurzfaserige indische Qualität, welche die Ausfuhr
nicht lohnte. Auch hierin schuf der unternehmende Moham-
med Ali Wandel. Auf seine Veranlassung sandte Mako Bey
von Dongola aus Samen einer weiter südlich angebauten
Baumwoll-Varietät nach Kairo, und diese gedieh im Delta
ausgezeichnet. Das Produkt dieser Spielart wurde später
von den Engländern „Mako", von den Franzosen nach einem
bei Einführung des Baumwollbaus in Unter-Ägypten tätigen
Landsmann „Jumel" benannt. Anfangs waren die Fellachen
nur mit Gewaltmaßregeln zum Anbau zu zwingen, aber schon
1821 begann die Ausfuhr, welche seitdem im allgemeinen
eine steigende Tendenz aufwies, wenn die Zunahme auch
keine regelmäßige und ununterbrochene war. Bald wurde
auch die amerikanische Sea Island Saat mit bestem Erfolge
im Delta angebaut, deren ursprünglicher Charakter aber all-
mählich verloren ging, während zahlreiche Kreuzungen mit
einheimischen Sorten erfolgten. Heute unterscheidet man
etwa 60 verschiedene Arten ägyptischer Baumwolle, die sich
— 80 —
sämtlich durch Stapellänge, Feinheit und Spinnfähigkeit der
Faser auszeichnen und zwar liefert Unter-Ägypten im allge-
meinen bessere Qualitäten als Ober-Ägypten. Eine der wich-
tigsten Sorten ist die Mitafifi, die älteste der im Delta kul-
tivierten Arten, welche sich durch Feinheit der Faser, guten
Ertrag und frühzeitige Reife auszeichnet. Die Zweitälteste,
die Abassi -Varietät, wird besonders gut auf großen Flächen
kultiviert, und die erst seit Ende vorigen Jahrhunderts in
Ägypten angebaute Ivanowich-Varietät liefert zwar ein um
8— lO'^y geringeres Erträgnis als die beiden anderen, jedoch
die beste in Ägypten produzierte Qualität. Die in Ober-
Ägypten angebaute Aschumi-Sorte steht ziemlich weit hinter
den Produkten des Deltas zurück.
Der fette, schwarze Alluvialboden, der mit 80—100
Pfund und mehr für den Feddan bezahh wird, liefert an
Güte und Menge die besten Erträge, während auf leichterem,
sandigem Boden zwar auch ein befriedigendes Wachstum,
aber eine geringere Ernte erzielt wird. Man pflanzt hier
von Mitte März bis Mitte April, erntet in den Monaten Sep-
tember bis Dezember und erzielt vom Feddan durchschnitt-
lich 4 bis 5, bei besserer Pflege des Bodens und reichlicher Be-
wässerung 6 bis 7 Kantar ä 44,9 kg entkernte Baumwolle. Die
gesamte, in zweijähriger Fruchtfolge bestellte Anbaufläche Ägyp-
tens für Baumwolle betrug 1901 : 1600000, 1902: 1 700000 und
stieg 1903 infolge der Fertigstellung des Nildammes in Assuan
auf 2 Millionen Feddan; für Unter-Ägypten dürfte damit die
äußerste Grenze der bewässerbaren Anbaufläche ziemlich
erlangt sein, dagegen stehen noch größere Flächen in Ober-
Ägypten und im Sudan zur Verfügung, und auf den ärmeren
Bodenlagen können durch verbesserte Methoden, sorgfältige
Auswahl des Samens und allgemeine Verwendung künstlichen
Düngers doch noch bessere Resultate als bislang erzielt
werden. Diese Bestrebungen werden gefördert durch die
- 81 -
Khedivial Agricultural Society. Die mit Baumwolle kultivierte
Fläche wurde 1902 auf 1 276 000 Feddan geschätzt. Zum
ersten Male seit 1891 sind 1904 wiederj große Massen von
Heuschrecken aufgetreten und haben die junge Baumwolle
geschädigt. Die Einfuhr amerikanischer Baumwollsaat ist von
der ägyptischen Regierung im Juni 1904 verboten worden,
um der Einschleppung der Insekten vorzubeugen, welche in
den nordamerikanischen Baumwollpflanzungen so große Ver-
heerungen anrichten.
Die ägyptische Baumwoll-Erzeugung wies in den
letzten Jahren, die Saisons vom I.September bis 31. August
gerechnet, folgende Mengen in Tausenden von Kantaren auf:
1890 1. 91 2. 92 3. 93 4. 94 5. 95 6. 96 7. 97 8. 98/9.
4072. 4672. 5118. 4933. 4615. 5275. 5879. 6543. 5589.
1899 1900. 1900 1. Ol 2. 02 3.
6509. 5435. 6369. 5838.
Die Preisbestimmung der ägyptischen Baumwolle ge-
schieht in Alexandrien in Talleri oder Maria-Theresia-Thalern
pro Kantar, und infolge der Preissteigerung der Baumwolle
im Weltmarkt hat der ägyptische Bauer letzthin glänzende
Preise erzielt. Da Ägypten eine nennenswerte einheimische
Baumwollindustrie nicht besitzt, so geht der größte Teil der
Ernte ins Ausland, und die europäische Industrie ist mit
ihrem Konsum an feinen Baumwollsorten fast ausschließlich
auf Ägypten angewiesen.
Die Kultur des Zuckerrohres ist wohl schon im 12.
Jahrhundert von Ostindien aus eingeführt worden, die Her-
stellung des Zuckers aber wurde lange Zeit nur sehr primi-
tiv betrieben und erst unter Ismail Pascha wurden in den
70 er Jahren des vorigen Jahrhunderts Fabriken modernen
Systems, besonders in der Provinz Minieh, angelegt. Neben
den staatlichen Zuckersiedereien entstanden unter Führung
des bekannten Großindustriellen Say französische, später
Schanz, Ägypten. 6
- 82 —
auch englische Unternehmungen, und nachdem die Societe
generale des Sucreries et de la Raffinerie d'Egypte bereits
vor einigen Jahren die Fabriken der Egyptian Land and
Sugar Co. gepachtet und seitdem sämtliche neun Fabriken
der Daira Sanieh gekauft hat, nimmt die französische Ge-
sellschaft eine tatsächliche Monopolstellung in der ägyptischen
Zuckerfabrikation ein.
Das Rohr wird Mitte März bis Mitte April gepflanzt
und erfordert eine sehr mühevolle Pflege, da es 15 bis 17
Bewässerungen braucht; die Ernte beginnt im Dezember und
dauert bis Ende März. Ein Feddan (42 Ar) liefert durch-
schnittlich etwa 400 Kantar (ä 44^ '2 kg) Rohr, bei sorgfäl-
tiger Kultur und guter Düngung wesentlich mehr, und der
Zuckerertrag beträgt im allgemeinen 9 — 11, steigt aber bis zu
14 %, sodaß bei einem Durchschnittsertrag von 400 Kantar
und 10 % der Hektar 4,28 Tons Zucker liefert, d. h. also unge-
fähr ebensoviel, wie in Deutschland ein Hektar Zuckerrüben.
Zuckerrübenbau in Ägypten hielt man noch vor
15 Jahren für unmöglich. Durch entsprechende Auswahl
des Samens, Verlängerung der Vegetationsdauer und geeig-
neten Boden erzielt man aber heute dort ein Produkt, wel-
ches an Zuckergehalt die europäische Rübe übertrifft und
auf den Feddan 450, bei sorgfältiger Kultur und reichlicher
Düngung bis 700 Kantar liefert. Der Rübenanbau hat des-
halb auch von Jahr zu Jahr zugenommen, besonders in
Unter-Ägypten, im Fayum und in der Gegend von Luxor.
Dagegen ist unter den z. Z. regulierenden hohen Weltmarkt-
preisen für Baumwolle deren Anpflanzung weit nutzbringen-
der, als diejenige von Zuckerrohr, und dessen Kultur in
Ägypten dürfte zugunsten der Baumvvollpflanzungen ab-
nehmen, solange die Verhältnisse ähnlich bleiben.
Die Zuckerproduktion der 17 ägyptischen Fabriken be-
iief sich 1901 auf 72000, 1902 auf 96000 Tons; 1902 waren
— 83 —
90000 Feddan mit Zuckerrohr bepflanzt und ergaben einen
Ertrag von 3 375 000 Kantar Zucker und 675 000 Kantar
Melasse.
Früher gab man als Wirtschaftsmaxime das Motto:
„Unter-Ägypten für Baumwolle, Ober-Ägypten für Zucker-
rohr" aus; jetzt dringt aber Baumwolle erfolgreich immer
weiter nach Süden vor, die niedrigen Zuckerpreise trugen
auch zu einer Verringerung des Rohranbaues bei, und so
ging die ägyptische Zuckerproduktion von 99000 Tons im
Jahre 1900 auf 70000 Tons in 1903 zurück.
Der früher sehr einträgliche Tabaks bau ist seit 1889
durch fiskalische Maßnahmen unmöglich gemacht, 1890 ganz
verboten worden, und der zu „ägyptischen" Zigaretten ver-
wandte Tabak stammt heute ausschließlich vom Ausland.
Bis zum Jahre 1902 war die Tabakeinfuhr nur aus der
Türkei und solchen Ländern erlaubt, mit welchen Ägypten
besondere Abkommen darüber hatte; seitdem ist der Import
aber auch aus allen anderen Ländern zulässig, allerdings
mit einem kleinen Extrazuschlag an Zollgebühren.
Der Viehstand in Ägypten ist im allgemeinen kein ^''-'^i^^^'^'-
guter, weil die häufig aufgetretenen Epidemien fast ganze
Bestände vernichtet haben, und weil andererseits die Ernäh-
rung eine sehr ungleichmäßige ist: 8 Monate lang bekommt
das Vieh schlechtes, trockenes Futter, nur vom Dezember
bis April Klee, und dabei ist es Tag und Nacht im Freien
den Unbilden der Witterung ausgesetzt. Immerhin hat sich
der Viehstand in der letzten Zeit vermehrt, und zur Ver-
hütung der Einschleppung von Epidemien hat man eine
ständige Quarantäne für Rinder eingeführt.
Im Jahre 1890 schätzte man den Viehbestand auf
250000 Büffel, 210000 Rinder, 957000 Schafe und Ziegen,
170000 Esel, 20 000 Pferde, 3000 Maultiere und 55000 Ka-
— 84 —
mele. Das nützlichste Tier ist der Büffel, welcher am besten
in der Sumpfgegend des Deltas gedeiht, von der seit Mitte
der sechziger Jahre wütenden Rinderpest verschont blieb und
wichtige Dienste in der Landwirtschaft leistet; sein Fleisch
ist nicht so gut wie das vom Rind, dagegen ist die Büffel-
milch sehr geschätzt. Die Rinder, meist syrischer Rasse,
kommen besser im trockenen Ober-Ägypten fort und sind
gleichfalls wertvolle Stützen des Landbaues, während ihr
Fleisch wenig genossen wird. Das eigentliche Schlachtvieh
Ägyptens ist der Hammel, und zwar sindSchafe und Zie-
gen hier durch besondere Rassen vertreten. Das dem Mos-
lim unreine Schwein wird nur von Griechen und Kopten
gehalten. Der seit dem frühesten Altertum in Ägypten be-
kannte Esel ist stark, feurig und ausdauernd und bildet für
Lasttragen und Reiten das allgemeinste Nutztier. Das Pferd
erscheint erst in den Monumenten des „Neuen Reiches",
scheint aus Vorderasien eingeführt zu sein und wurde da-
mals nur zum Ziehen, nicht zum Reiten gebraucht; man
findet es hauptsächlich in Unter-Ägypten, neben dem einhei-
mischen auch das Dongola- und das syrische Pferd, seltener
das edle arabische Nedschdi. Für die Veredelung des Pferdes
geschieht in Ägypten selbst sehr wenig. Die Maultiere
trifft man nur in den größeren Städten, namentlich werden
sie in der Armee zur Bespannung gebraucht. Das wohl
auch erst zur Zeit des „Neuen Reiches" eingeführte Kamel,
zum Reiten und Lasttragen benutzt, ist im Delta und in
Kairo häufiger als in Ober-Ägypten, trägt eine Last von
240 kg und wird etwa 20 Jahre alt, aber gewöhnlich nach
10 — 12 jähriger Arbeit geschlachtet. Überhaupt ist mit zu-
nehmender Besserung der Lebenshaltung auch der Fleisch-
bedarf gestiegen, und im Jahre 1902 wurden für Schlacht-
zwecke 29000 Rinder und 176000 Schafe und Ziegen ein-
geführt. Die Hauskatze ist heute noch, zahlreich vertreten.
i
— 85 —
das Lieblingstier des Ägypters, während der Hund fast nur
verwildert vorkommt und sich in den großen Städten bisher
durch Verzehrung der Abfälle nützlich machte. Die Hühner
sind zahlreich, aber sehr klein, die Gänse mager und selten
wie die Enten, Perl- und Truthühner dagegen vorzüglich.
Die Hühner sind zwar gute Eierleger — 1902 wurden nicht
weniger als fast 80 Millionen Eier ausgeführt — aber sie
brüten ungern, und deshalb werden die Eier, wie schon im
Altertum, hier und da in Brutöfen ausgebrütet; die vorhan-
denen 600 Brutöfen liefern jährlich etwa 6 Millionen Kücken.
Haustauben umschwärmen wolkenartig die bescheidenen
Fellachen-Dörfer, deren stattlichste Bauten meist die hohen
Taubenhäuser sind; doch schätzt man die Tauben weniger
ihres Fleisches, als ihres wertvollen Düngers wegen, da man
den Kot der Vierfüßer in dem holzarmen Lande als Brenn-
material verbraucht. Bei Matarieh, in der Nähe von Kairo,
treibt man auch etwas Straußenzucht. Die ehemals be-
rühmte Bienenzucht steht jetzt nicht mehr auf der frü-
heren Höhe, und das ausgeführte Bienenwachs stammt teil-
weise von wilden Bienen.
Die mit einem Kapital von \ 4 Million Pfund gegründete
Societe agricole et industrielle bezweckt durch Terrain-
verbesserung, Trockenlegen von Sümpfen, Bewässerungs-
anlagen in wasserarmen Landstrichen, Bau schmalspuriger
Kleinbahnen und Anlage von Musterwirtschaften die Land-
wirtschaft und die mit ihr in Verbindung stehende Industrie
zu fördern.
Die Fischerei im Nil und in den Strandseen wurde bis F'scherei.
vor kurzem durch Steuerpächter kontrolliert, ist seit 1903
aber überall frei erklärt worden, und die Regierung erhebt
nunmehr eine Abgabe von jedem einzelnen Fischerboot.
Seit kurzem hat eine Hamburger Firma die Ausfuhr von
Aalen aus dem Mensaleh-See in großem Maßstab eingerichtet.
— 86 —
Industrie. Was die Hausindustrie Ägyptens anbelangt, so fin-
den sich die besten Handwerker unter den Kopten, Griechen
und Armeniern, und zwar h'efern dieselben hauptsächh'ch
grobe Baumwollstoffe, halbwollene blaue Zeuge für die Fel-
lachen, Wolldecken, Teppiche, Goldstickereien, Posamenten,
Korb- und Mattenflechterei, Schuhwaaren, früher besonders
von Griechen, jetzt auch von zahlreichen Eingeborenen her-
gestellt, zierliche Holzdrechslerarbeit (Muschrebiyen), schöne
kupferne und messingene Geräte. Keneh und andere Orte
Ober-Ägyptens liefern treffliche poröse Tonkrüge, Siut und
Assuan stellen zierliche Gefäße her und in Kairo und Luxor
wird eine schwungvolle Fabrikation von „Altertümern" und
„sudanesischen" Kriegsgeräten betrieben.
Die moderne Industrie ist noch unbedeutend. Zwar
wurden schon unter Mohammed Ali in verschiedenen Städten
und namentlich auf den Besitzungen des Vizekönigs große
Zuckerfabriken, Baumwoll-, Tuch-, Seiden- und Segeltuch-
Webereien, Färbereien, Gewehr- und Pulverfabriken, Kanonen-
gießereien, Salz- und Salpeterwerke angelegt, doch gerieten
von den Anstalten der Regierung viele in Verfall. Seit der
englischen Okkupation ist Lord Cromer zwar nicht müde
geworden, fremde und besonders englische Kapitalien anzu-
locken und 1890—99 wurden auch 'rund 3 Millionen Pfund
in industriellen Unternehmungen angelegt, doch sind schon
seit Jahren keine Fortschritte in der ägyptischen Industrie zu
konstatieren, und das Land scheint in der Tat, wie zahlreich
unternommene und fehlgeschlagene Versuche beweisen, für
die Entfaltung einer regen industriellen Tätigkeit keinen ge-
eigneten Boden zu bieten. Die Eingeborenen sind Acker-
bauer und Händler, aber keine Industriearbeiter; tüchtige
fremde Fachleute nach Ägypten zu ziehen, hat sich als schwie-
rig herausgestellt, und zu diesem Mangel an Personal tritt
Mangel an Brennstoffen und allerlei Rohmaterialien und die
— 87 —
Zurückhaltung des einheimischen Kapitals, das sich h'eber
Bodenspekulationen, als Industrie-Unternehmungen zuwendet.
Auch Strikes sind in Ägypten bereits wiederholt vor-
gekommen.
Unter den größeren Unternehmungen sind zu nennen
die Societe generale de pressage et de depots, die mit einem
Kapital von 1 Million Pfund arbeitet, die Societe anonyme
des presses libres egyptiennes und die Societe des huileries
et savonneries d'Egypte, sämtlich in Alexandrien; die schon
erwähnte, mit einem Kapital von 32^2 Millionen Francs ar-
beitende Societe generale des sucreries et de la raffinerie
d'Eg>'pte und die viel kleinere Sugar and Land Company;
zwei große Ziegeleien mit Dampfbetrieb bei Kairo, eine
Zündhölzchen- und eine Strohpapier-Fabrik, die beide, ebenso
wie die drei Seifenfabriken, aufs beste gedeihen, während
die Eis- und die belgischen Eisenwerke, sowie eine öster-
reichische Glasfabrik den Betrieb einstellen mußten. In
Alexandrien befinden sich mehrere Eisengießereien, die auch
Maschinenteile, Dampfkessel, Schornsteine, Röhrenleitungen,
sowie Bronze- und Kupferguß herstellen. Wasserwerke,
Dampfmahlmühlen, Baumwollentkernungs-Mühlen, Baumwoll-
öl- und andere Ölpressen, Seifensiedereien und Brennereien
gibt es an verschiedenen Orten, in Kairo 1000 Webstühle
für Baumwollstoffe und 500 Stühle für Seidenwaren, Indigo-
färbereien färben die englischen Baumwollhemden für die
Fellahs. Die beiden englischen Baumwollspinnereien in
Kairo und Alexandrien befinden sich in keiner guten Lage,
und auch die Salz- und Soda-Kompanie hat trotz ihrer
Monopolstellung bislang keine großen Erfolge erzielt. Da-
gegen ergaben eine Anzahl belgischer Gesellschaften, wie
z. B. Tramways. Wagons Lits, Hotels Shepheard und Ghe-
sireh in Kairo und zwei Brauereien in Alexandrien und Kairo,
teils sehr hohe Einnahmen, teils wenigstens gute Aussichten.
Deutsche wirtschaftliche Unternehmungen dieser Art fehl-
ten bis vor kurzem gänzlich; erst in neuerer Zeit sind deren
einige ins Leben gerufen, wie die elektrische Beleuchtung
von Ismailia, der diejenige von Suez folgen sollte.
Bemerkenswert ist der große Aufschwung derZi gar etten-
fabrikation, die zu einem großen Teile für Deutschland
arbeitet und eine Ausfuhrprämie von 10 Piaster für das Kilo-
gramm, gleich einer Rückvergütung von 50 % des gezahlten
Zolls auf den eingeführten Tabak, genießt, in den ägyp-
tischen Zigarettenfabriken wird niemals eine Tabaksorte
allein verarbeitet, sondern es werden stets mehrere Sorten
gemischt; auf der Mischung beruht die Güte der Zigarette
und in der Kunst der Mischung das Geheimnis der einzelnen
Fabrikanten. Die Tabakmischer sind ausnahmslos Griechen,
die Arbeiter in den größeren Betrieben überwiegend Griechen
und Armenier, in den kleineren Syrier und Ägypter. Alle
besseren Sorten Zigaretten werden mit der Hand gerollt. In
Kairo allein gibt es angeblich 5000 Zigarettenarbeiter. Be-
merkenswert ist, daß bei dieser Fabrikation sämtliche Zu-
taten: Tabak, Zigarettenpapier (meist aus Österreich-Ungarn),
Stopfmaschinen und Verpackungsmaterialien aus dem Aus-
land bezogen werden. Von den im Jahre 1903 in Ägypten
eingeführten 6^ - Millionen Kilogramm Tabak stammten
48 7o aus der Türkei und 34 7o aus Griechenland. Die Zi-
garetten-Ausfuhr des Jahres 1902 wertete 429000 Pfund, und
davon gingen 38 % nach Deutschland.
Arabische, mit Perlmutter, Elfenbein und anderen Ein-
lagen verzierte Möbel werden unter Leitung von Italienern
durch Araber und Fellachen für die Ausfuhr nach Europa
fabriziert. In Kairo besteht auch ein nennenswerter Schiff-
Bau.
— 89 —
Bergwerksunternehmungen haben schon im alten Bergbau.
Ägypten eine gewisse Rolle gespielt, frühzeitig wird uns von
der Ausbeute äthiopischer Gold- und Smaragdminen berich-
tet und aus Sethos 1. Zeiten stammt die erste rohe Papyrus-
karte darüber. Der Topas kam von der Insel Topasion im
Roten Meere, der Saphir von der dort befindlichen Insel
Safirene und die Sinai-Halbinsel liefert noch heute Türkisen.
Zur Belebung des lange Zeit brach gelegenen Bergbaus sind
neuerdings eine Anzahl Konzessionen verliehen worden,
welche fast das ganze ägyptische Gebiet zwischen Nil und
Rotem Meere umfassen, über deren Ausnutzung aber wenig
verlautet. So erhielt eine New Yorker Gesellschaft die Kon-
zession zur Bearbeitung von Türkisgruben auf der Sinai-
Halbinsel, eine Berliner eine solche für Smaragd gruben an
dem südlich von Kosser gelegenen Dschebel Sebara. Die
seit dem Mittelalter verlassenen Goldgruben von Alaxi im
nordöstlichen Nubien sollten von einer Londoner Gesell-
schaft in Angriff genommen werden, die sich der ägyptischen
Regierung gegenüber verpflichtete, in 15 Jahren 80 Millionen
Mark auf Bauten und Bergwerksanlagen zu verwenden und
die 1901 20000 Bergarbeiter aus Westaustralien einführen
wollte; auch darüber ist es still geworden.
Eine eigentliche Minenindustrie gibt es z. Z. in Ägyp-
ten also überhaupt noch nicht, sondern bislang nur eine
Reihe vorbereitender V^ersuche seitens einer Anzahl von Ge-
sellschaften und Finanzgruppen. Allein im Jahre 1903 hat
man gegen 30 Goldminen-Gesellschaften gegründet, obgleich
das V^orhandensein von Gold in abbauwürdigen Men-
gen noch keineswegs feststeht und die Resultate der
bisherigen Nachforschungen sehr verschieden ausfielen. Der
Unsicherheit dieser V^erhältnisse entsprechend, hat sich denn
auch die ägyptische Regierung anerkennenswerter Weise nach
Kräften, wenn auch nicht immer ganz erfolgreich, bemüht,
— 90 —
das große Publikum von diesen Unternehmungen vorläufig
fernzuhalten, dadurch, daß sie die Eröffnung öffentlicher
Subskriptionen verbot und die Weiter-Übertragung der Kon-
zessionen an ihre Bewilligung band. Am tätigsten sind bis-
lang die Egyptian Mines Exploration Co., sowie die Nile
Valley Co. und deren verschiedene Tochter-Gesellschaften
gewesen.
Eine überraschend günstige Lösung haben dabei bereits
die wichtigen Fragen der Wasserversorgung, der Arbeiter-
beschaffung und des Transports gefunden: Wasser hat man
entweder an den Betriebsstellen selbst oder in geringer Ent-
fernung von diesen in ausreichender Menge angetroffen; als
Arbeiter haben sich sowohl die Fellachen des Niltals, wie
die Araber der Wüste anstellig und dienstwillig erwiesen;
und als Kommunikationsmittel bilden fast überall die
ausgetrockneten Wadis gute Verbindungen.
Blei wird am Dschebel Russas ausgebeutet; die am
Roten Meere aufgefundenen Seh we fe Ilager und Ste i n ö Iquellen
haben die auf sie gesetzten Hoffnungen nicht erfüllt, dagegen
erwartet man gute Resultate von den reichen Phosphat-
lagern bei Keneh und an den Küsten des Roten Meeres,
deren Ausbeutung in Vorbereitung ist. Die früher von der
ägyptischen Regierung mit Verlust bearbeiteten Natron -
lager am Wadi Natrun wurden 1897 an eine Privatgesell-
schaft abgetreten, die eine Eisenbahn zu den Natronseen
bauen ließ und dort eine Fabrik errichtete. Kochsalz
deckt und durchtränkt das ägyptische Schwemmland bis auf
weite Strecken vom Meeresstrand, hauptsächlich wird es am
Mariut-See gewonnen und die Regierung erzielte 1903 aus
dem Salzmonopol 189 000 Pfund bei einem Absatz von
57 000 Tons. Die ersehnte Kohle ist bislang in Ägypten
noch nicht aufgefunden worden, scheint aber im Sudan vor-
zukommen.
— 91 —
Der fremde Handel Ägyptens weist folgende Werte Handel,
auf in Tausenden von Pfunden :
1885 1887 1890 1892 1894 1896 1898
Einfuhr: 8989 8137 8081 9091 9266 9828 11033
Ausfuhr: 11424 10876 11876 13341 11892 13232 11805
Transit: 659 600 887 902 708 564 711
1900 1901 1902 1903
Einfuhr: 14112 15244 14211 16753
Ausfuhr: 16760 15730 17617 19118
Transit: 1022 1221 831.
und zwar entfielen davon im Jahre 1903 auf die verschie-
denen Herkunftsländer der Einfuhr: auf Großbritannien
5919, Türkei 2347, Frankreich und Algerien 1647, Österreich-
Ungarn 1213, Italien 893, Deutschland 742, Rußland 605,
Belgien 524, Schweden 290 und Griechenland 216 Tausend
Pfund, während sich die
Ausfuhr richtete nach Großbritannien mit 10084, Frank-
reich 1672, Deutschland 1348, Rußland 1246, Österreich-
Ungarn 885, Italien 712, Türkei 327 und Belgien 145 Tau-
send Pfund.
Im Jahre 1902 hatte sich der fremde Handel auf fol-
gende Länder verteilt:
England Türkei, Frankreich Österreich,
u. Kolonien, u. Algerien,
Einfuhr von
45 12
9
8
Ausfuhr nach
52 2
8
4
Italien, Rußland, Belgien,
Deutschland, Amerika,
Einfuhr von
6 4 3
4 1
Ausfuhr nach
4 8 —
Diverse
Einfuhr von 8 %
Ausfuhr nach 8 „
i
7 7
doch gibt diese
englisch-ägyptische I
Statistik kein richtiges
— 92 —
Bild der wirklichen Lage, da mangels direkter Verbindungen
vielfach indirekte Verschiffungen stattfinden.
Die Einfuhr weist in erster Linie BaumwolKvaren,
überwiegend englische, auf, sodann Mehl, das namentlich
aus Frankreich und Rußland kommt, Konfektionen und ver-
schiedene Gewebe, Metallwaren und Maschinen, Kohlen,
Chemikalien und Kolonialwaren, während die
Ausfuhr im Jahre 1903 als Hauptposten: Baumwolle
mit 15676, Baumwollsaat 1501, Zucker 331, Zigaretten 429
in 1902, Ölkuchen 209, Bohnen 196, arabischen Gummi 192,
Zwiebeln 191, Eier 119 Tausend Pfund zeigte, außerdem
Getreide, Felle, Straußenfedern, Elfenbein, Wolle, Büffel-
hörner, Datteln, Wachs, Kautschuk, Henna, Sennesblätter,
Weihrauch, Kaffee usw.
Die Ausfuhr des wichtigsten Export-Produkts, der
Baumwolle, in Ballen ä ca. 200 kg, wies folgende Men-
gen auf in
1890/1 94 5 98 9 99 1900 00 01 Ol 02 02 03
537 634 735 850 706 859 773 Tausend Ballen,
und zwar gingen davon in der Saison 1902 3 über die Hälfte
nach England, 200000 Ballen nach den Mittelmeerhäfen,
85000 Ballen nach Nordamerika, 55000 Ballen nach Ruß-
land und 20000 Ballen direkt nach Bremen und Hamburg.
Da Ägypten von der Pforte seit 1873 das Recht zuge-
standen ist, selbständige Handelsverträge einzugehen, so schloß
England einen solchen bereits 1 889, verschiedene andere Staaten
folgten alsdann, so Österreich-Ungarn 1890, Italien 1891,
Deutschland 1892, und im November 1902 schloß auch Frank-
reich einen speziellen Vertrag mit Ägypten ab, nachdem es
bis dahin, ebenso wie Rußland, die Ansicht vertreten hatte,
daß die mit der Hohen Pforte abgeschlossenen Handels-
verträge für alle Teile des osmanischen Reiches, mithin
also auch für Ägypten Geltung haben. Der deutsche Han-
— 93 —
delsvertrag läuft bis 1982, sah aber für die Jahre 1900 und
1907 das gegenseitige Recht vor, Abänderungen vorzuschlagen.
Qeiegenthch Deutschlands Zustimmung zu des Chediven neuem
Finanzdekret vom April 1904 ist die Dauer des jetzigen
Handelsvertrags zwischen Deutschland und Ägypten bis 1934
verlängert worden.
Bis Ende des Jahres 1890 genossen alle aus der Türkei
mit einer Bestätigung über dort gezahlten Einfuhrzoll an-
kommenden Waren in Ägypten vollkommene Abgaben-
freiheit; das Finanzabkommen von 1890, welches der Pforte,
um ihr die Konvertierung ihrer Kriegsanleihe von 1877 zu
ermöglichen, den ägyptischen Tribut auf 60 Jahre garantierte,
hob diese Zollfreiheit auf.
Was den Handelsverkehr Ägyptens mit Deutschland
anbetrifft, so ist der Spezialhandel des deutschen Zollgebiets
nach amtlicher deutschen Statistik in unserer Einfuhr von
Ägypten von 13,5 Millionen Mark im Jahre 1892 auf 57 Mil-
lionen im Jahre 1903 gestiegen und unsere Ausfuhr dahin
von 5,5 Millionen in 1892 auf 22,3 Millionen in 1903. Die
ägyptische Handelsstatistik stimmt nicht mit der deutschen,
weil sie einen großen Teil der mit Deutschland gehandelten
Waren Durchgangsländern, namentlich Belgien und Öster-
reich-Ungarn zuweist. Unsere Einfuhr besteht überwiegend
in Baumwolle, sodann in Zigaretten und kleineren Beträgen
von Zwiebeln, Gummi und Wachs, während unsere Ausfuhr
nach Ägypten besonders in Eisen-, Kupfer- und Messing-
waren und Eisenbahnmaterialien, Maschinen, baumwollenen
Stoffen und Wirkwaren, Decken, Shawls, Wäsche, Galan-
terie- und Kurzwaren, Farben, Steingut, Porzellan und Bier
besteht.
Fast 90% des fremden Handels Ägyptens gehen über
Alexandrien, nämlich fast die gesamte Ausfuhr und ein
großer Teil der Einfuhr; dort ist denn auch der Sitz der
— 94 —
Generaldirektion der Zölle. Nur für die Ausfuhrartikel des
Sudans: Gummi, Häute, Sennesblätter, Straußenfedern und
Elfenbein ist der Markt in Kairo, ebenso für einige ägyp-
tische Ausfuhrartikel wie Eier, die erst in neuerer Zeit in
Aufnahme gekommen sind; dagegen werden Baumwolle,
Baumwollsaat, Zucker, Zwiebeln, Linsen, Bohnen und son-
stige Feldfrüchte ausschließlich in Alexandrien gehandelt. Dort
ist die Warenbörse, dort kontrolliert die General Produce Asso-
ciation die Ankünfte, Verschiffungen und Marktpreise, dort
haben die großen Ausfuhrfirmen und die verschiedenen frem-
den Handelskammern ihren Sitz. Die Einfuhrfirmen dagegen
haben größtenteils Niederlassungen in Alexandrien und in
Kairo, weil von der Hauptstadt aus doch der größte Teil des
Landes, nämlich etwa 60 ^^ der Gesamtbevölkerung, mit
Waren versorgt wird, während Alexandrien zwei Drittel von
Unter-Ägypten, also etwa 4 Millionen Einwohner, mit Ein-
fuhrgütern bedient.
Nachdem bereits früher eine französische, eine englische,
eine italienische und eine österreichisch-ungarische Handels-
kammer in Alexandrien bestanden, ist daneben 1903 auch
eine internationale Handelskammer gebildet worden, die
sich mit Fragen des allgemeinen Interesses für Handel
und Industrie beschäftigen soll.
Fast der ganze Großhandel liegt in den Händen von
Europäern, während Eingeborene den Warenvertrieb im In-
nern besorgen. Im Ausfuhrhandel sind zahlreiche Christen
und Moslims beschäftigt, welche den Bauern ihre Produkte
in den Dörfern abnehmen und an die Exporthäuser liefern.
Der wirtschaftliche Kampf mit den levantinischen Griechen
um den Vorrang im Handelsbetrieb ist überall ein scharfer.
Ohne umfangreiche Kreditgewährung ist das ägyp-
tische Geschäft undenkbar, und selbst dann kann man auf
einen pünktlichen Eingang der Zahlungen nur in seltenen
— 95 —
Fällen rechnen. Selbst der größte und reichste einheimische
Latifundien-Besitzer zahlt eigentlich nur nach der Baumwoll-
ernte gegen Ende des Jahres, während der übrigen Zeit aber
lebt er auf Kredit, und seinem Beispiel folgt die übrige ein-
geborene Bevölkerung bis zum kleinsten Fellachen hinunter.
Selbst ein Wechselakzept gibt keine größere Gew^ähr, als daß
es eine Schuldanerkenntnis bedeutet. Auch wenn ein Ge-
schäft gegen bar abgeschlossen ist, erfolgt die Zahlung oft
erst nach Monaten. Bei vielen Einfuhr- und Kommissions-
häusern hat sich ein wöchentliches Abzahlungssystem für
ihre Kunden herausgebildet. Europäischen Firmen ist unter
diesen Umständen anzuraten, mit der ägyptischen Kundschaft
nicht direkt zu arbeiten, sondern nur durch einen zuver-
lässigen Vertreter, in dessen Wahl man sehr vorsichtig sei.
Die Einfuhrzölle betragen 8 "^"o vom ägyptischen
iVlarktwert am Tage der Verzollung, ein System, das zeit-
weilig Anlaß zu unliebsamen Differenzen gibt; nur Tabak
und seine Fabrikate und Alkoholika sind höher besteuert.
Die seit 1889 mit Ägypten abgeschlossenen Handelsverträge
sehen eine Erhöhung des Eingangszolls von 8 auf 10 ^/o vor,
doch soll dieser Zoll erst dann in Kraft treten, wenn er
sämtlichen Mächten gegenüber angewandt werden kann.
Der Ausfuhrzoll beträgt 1% vom Werte, der Durchgangs-
handel ist zollfrei.
Die ägyptische Zollverwaltung, deren obere Beamte
durchweg Engländer sind, konzentriert sich in Alexandrien;
daneben bestehen größere Zollämter in Port Said, Damiette,
Sues, Kosser und El Arisch, letzteres für den Zollverkehr
zwischen Ägypten und Syrien.
Geld, Maße und Gewichte betreffend, so rechnet
man im Großhandel nach Beuteln von 5 ägyptischen Pfund
oder 500 Piastern. Ägyptisches Geld nach eigenem Münz-
fuß wurde erst ab 1834 geprägt und durch Dekret vom
— 96 —
14. November 1885 die jetzige Währung eingeführt. Die in
Berlin geprägten goldnen und silbernen Münzen sind das
ägyptische Pfund von Mk. 20,75 Wert, das in 100 Piaster
oder Grusch ä früher 40 Kupfer-Para, jetzt ä 10 Milliemes
zerfällt. Anfang 1904 waren auch 382000 £* Papiergeld in
Umlauf.
Seit 1. August 1875 ist für alle Angelegenheiten der
Verwaltung das metrische System angenommen worden, da-
neben werden aber auch noch einheimische Maße und Ge-
wichte in wechselnden Werten gebraucht. Laut Dekret vom
28. April 1891 ist 1 Feddan jetzt = 42 ar, 1 Kantar ä 100
Rottl = 44,928 kg, 1 Okka = 1,237 kg.
Von Banken sind vertreten die National Bank of
Egypt, die Anglo-Egyptian Banking Co., die Bank of Eypt,
die Commercial Bank of Alexandria, die Agricultural Bank
of Egypt, die Land and Mortgage Co., der Credit Lyonnais,
die Banque Imperiale Ottomane, die Banque Franco-Egyp-
tienne, der Credit foncier egyptien und die Societe immo-
biliere. Ein deutsches Bankinstitut besteht z. Z. in Ägypten
noch nicht. Das Gerücht, daß die Deutsche Bank beab-
sichtige, in Ägypten Filialen zu errichten oder durch Betei-
ligung an einem bereits bestehenden ägyptischen Bankinstitut
festen Fuß in Ägypten zu fassen suche, wurde im Herbst 1904
dementiert.
Die erst im Jahre 1901 geschaffenen Postsparkassen
wiesen Ende 1903 rund 20000 Einleger mit zusammen
129000 £ auf. Zwei Drittel der Sparer waren Eingeborene,
in erster Linie Regierungs- und kaufmännische Angestellte.
Die Benutzung der Einrichtung seitens strenggläubiger Mo-
hammedaner wird dadurch erschwert, bezw. verhindert, daß
der Islam die Annahme von Zinsen verbietet.
— 97 —
Für den Verkehr bestehen folgende Einrichtungen, verkehr.
Im Jahre 1898 waren 1995 km Landstraßen vorhanden,
und von wichtigeren Karawanenstraßen werden noch be-
nutzt die zwischen Keneh am Nil und Kosser am Roten
Meere; zwischen dem Niltal und den Oasen Kargeh, Siwah
und weiterhin nach Benghasi; und zwischen Kantara am
Sueskanal und El Arisch im Ostgebiet.
Was den Durchgangsverkehr anbetrifft, so begann
Ägypten seine frühere Bedeutung als Weltstraße wieder ein-
zunehmen mit der Anwendung von Dampfkraft für die Schiff-
fahrt und mit der Leitung des Cberlandweges für die eng-
lisch-indische Post über Ägypten. Im Beginn der 30er Jahre
des vorigen Jahrhunderts fuhren die ersten englischen Dampfer
von Bombay nach Kosser und von dort aus gelangten die
Postpakete auf dem Karawanenweg nach Keneh und dann
nilabwärts nach Alexandrien. V^on 1842 ab aber leitete man
die Überlandpost über Sues und zwar von Alexandrien bis
Kairo auf dem Nil und von da weiter auf einem durch die
Wüste angelegten Fahrweg nach Sues. Die Eröffnung der
Bahnen Alexandria — Kairo 1856 und deren Fortsetzung bis
Sues 1858 bedeuteten bereits eine wesentliche Erleichterung,
die Eröffnung des Sueskanals 1869 aber eine vollständige
Umwälzung des Verkehrs.
Die Eisenbahnen Ägyptens wiesen 1901: 2254 km
Staatsbahnen und 1147 km Privatbahnen auf und zwar wurde
die Hauptbahn Alexandrien— Kairo (208 km) 1853 begonnen
und 1856 eröffnet, 1874 bis nach Siut und 1893 bis nach
Girgeh fortgesetzt, während eine mit einer staatlichen Zins-
garantie von 3^j^o ausgestattete Privatgesellschaft, an der
auch deutsches Kapital stark engagiert ist, die kaum jemals
selbst rentierende Weiterführung nach Assuan (900 km von
Kairo) 1899 beendete. Von Kairo über Ismailia (156 km)
am Sueskanal führt die alte Bahn nach Sues (244 km), und
Schanz, Ägypten. 7
— 98 —
die bisherige Tram-Bahn von Ismaih'a nach Port Said (80 km)
ist nach einem Abkommen mit der Sueskanal-Kompagnie
kürzh'ch in eine Voilbahn umgebaut worden; als eine Folge
der nunmehr hergestellten direkten Eisenbahn-Verbindung
zwischen Kairo und Port Said dürfte sich letzteres auf Kosten
von Alexandria heben. Die Normalspur der ägyptischen
Bahnen beträgt 1 m. Ein verhältnismäßig dichtmaschiges
Eisenbahnnetz überzieht das Delta, und zwar handelt es
sich hier und im Fayum vielfach um die für die Hebung
der Landwirtschaft so außerordentlich wichtigen Feldbahnen,
die von drei gut rentierenden Privatgesellschaften gebaut und
betrieben werden und Anfang 1904 zusammen 1090 km um-
faßten, von denen 168 km auf die „Fayum Co.", 813 km
auf die „Delta Company", 109 km auf die „Cie. des che-
mins de fer de la Basse Egypte" entfielen.
Von größeren Projekten, die speziell Ägypten betreffen,
figuriert in erster Linie die berühmte „Kap — Kairo-Bahn",
eine der Lieblingsideen von Cecil Rhodes, der Lord Cromer
abersehr kühl gegenübersteht und deren Ausführung noch lange
auf sich warten lassen dürfte; man hat sich jetzt dahin ent-
schieden, daß diese Verkehrsstrecke nicht eine durchgehende
Schienenverbindung, sondern einen gemischten Bahn- und
Schiffahrtsdienst erhalten wird. Sodann ist die Rede gewesen
von einer Bahn Keneh— Kosser, einer solchen von El Sadd
nach El Arisch, um Syrien mit dem ägyptischen Schienen-
netz in Verbindung zu bringen, einer Linie, die eventuell
über Persien, Beludschistan und Indien nach Shanghai
weitergeführt werden soll; und endlich auch von einer
Verbindung zwischen Kairo und Tripolis. Im allgemeinen
aber ist wohl anzunehmen, daß eine nennenswerte Ausdeh-
nung des ägyptischen Eisenbahnnetzes angesichts der Öde
der Nachbarländer unwahrscheinlich ist. Die Hauptlinie vom
Delta nach Assuan existiert, und es wird sich also in der
I
- 99 -
Hauptsache nur noch um kleine Zufuhrlinien handeln, welche
von neu unter Bewässerung gebrachten Ländereien nach dem
Nil oder zur Hauptbahn führen. Dafür und für V^erbesserung
der bereits bestehenden Bahnen sollen in den nächsten Jahren
3 Millionen Pfund verwandt werden. Der ägyptische Eisen-
bahndienst läßt bislang nämlich noch viel zu wünschen
übrig.
Das Eisenbahnmaterial kommt zu zwei Drittel aus
England, aber auch Deutschland hat für die ägyptischen
Bahnen Lokomotiven, Räder, Achsen, Brückenstahl, Draht
und Isolatoren geliefert.
Elektrische Straßenbahnen existieren in Alexandrien
und Kairo.
Die Post, deren Beamte meist Italiener sind — Ita-
liener führten 1820 den Postverkehr im Delta ein — arbeitet
musterhaft, und die früher in Ägypten bestandenen fremden
Postanstalten wurden in den Jahren 1875 — 1888 durch Spezial-
verträge aufgehoben; nur Frankreich ließ seine Postämter
in Alexandrien und Kairo fortbestehen. Der Telegraph
wies 1901 eine Linienlänge von 3800 und eine Drahtlänge
von 15 600 km auf; eine Landlinie führt auch über El
Arisch nach Syrien und der Türkei. Das bereits 1826
eingeführte System der optischen Telegraphen wurde unter
Said Pascha durch den elektrischen Betrieb ersetzt. Be-
treffs der Herstellung der 10500 km langen Telegraphen-
linie vom Kap nach Kairo hat die englische Regierung
die Teilstrecken Alexandrien — Faschoda (3363 km) und
Kap-Mafeking (1400 km) übernommen, während von dem
5630 km langen Zwischenglied die Strecke Mafeking - Salis-
bury von der Chartered Company gebaut und der Rest an
die African Transcontinental Telegraph Co. übertragen ist.
Telephon-Anlagen bestehen in Alexandrien, Kairo und Port
Said, die beiden ersten Städte sind auch untereinander und
7*
— 100 —
eine ganze Reihe von Dörfern überall in Ägypten durch Te-
lephon mit der nächsten Telegraphenstation verbunden.
Sowohl die Eisenbahnen, wie die Verwaltungen von
Post und Telegraph werfen für den Staat verhältnismäßig
gute Überschüsse ab.
Alexandrien, Port Said und Sues sind durch die Eastern
Telegraph Co. an das Welt-Kabel netz angeschlossen und
von Sues aus geht ein Kabel nach Suakin und Dschidda.
Der Schiffsverkehr Ägyptens deckt sich im wesent-
lichen mit demjenigen von Alexandrien, da der von Port
Said und Sues überwiegend Durchgangsverkehr des Kanals
und derjenige von Kosser von wenig Bedeutung ist. Im
Jahre 1901 liefen in Alexandrien 2882 Schiffe mit zusammen
2 561 000 Tonsein, und zwar dominieren unter den Dampfern
die englischen und unter den Seglern die türkischen. Neue
Kaianlagen sind mit dem gesteigerten Verkehr sowohl in
Alexandrien, wie in Port Said notwendig geworden. Die
eigene Handelsmarine Ägyptens zählte 1901 nur noch neun
Dampfer mit zusammen 3530 Tons und 6 Segler über 50
Tous mit zusammen 1481 Tons; auf dem Nile verkehren
neben Post- und Touristendampfern die Hausboote oder Da-
habiyen und große Nilbarken für Handel und Personenverkehr
der Eingeborenen, im Jahre 1904 erwarb die mit einem
Kapital von 44000 £ gegründete Menzaleh Canal and Na-
vigation Co., eine Tochtergesellschaft der New Egyptian Co.,
für die Dauer von 40 Jahren das Monopol für die Dampf-
schiffahrt auf dem Mensaleh-See und gedenkt einen direkten
Wasserweg von den Docks in Port Said durch den See und
den Nil nach den wichtigsten Handelszentren des Ostdeltas
und sogar bis Kairo zu schaffen. Das früher im Besitz der
ägyptischen Regierung gewesene Chedivieh - Dampfschiffs-
Unternehmen ging 1898 für 12^2 Millionen Francs mit elf
- 101 —
Passagier- und Frachtdampfern von durchschnittlich 1000 Tons
nebst Docks, Magazinen, Werkstätten, Leichtern usw. in den
Besitz der Khedivial Mail Steamship and Graving Dock Co.
über, welche für 1901 2 eine Dividende von 4''o gab und
jetzt etwa 20 Dampfer von Alexandrien nach dem Piräus
und nach Konstantinopel laufen läßt.
Von deutschen Dampfern, die das ägyptische Geschäft
pflegen, kommen vor allen diejenigen der deutschen Levante-
Linie in Betracht, welche seit Anfang 1890 einen Dienst
zwischen Hamburg und Alexandrien mit Durchgangstarifen
vom deutschen Binnenland eingerichtet hat und alle 20 Tage
in jeder Richtung verkehrt; auch die Touristen-Dampfer der
Levante-Linie laufen Alexandrien an, und seit Herbst 1904
hat der Norddeutsche Lloyd einen regelmäßigen vierzehn-
tägigen Passagierdienst zwischen Barcelona, Marseille, Neapel
und Alexandrien eingerichtet.
Der eigene Handel von Port Said belief sich 1902 im
Import auf 917000 Pfund und wies in erster Linie 1 100000
Tons Cardiff-Kohle auf, die meist den den Kanal passieren-
den Dampfern als Bunkerkohle dient: seit einigen Jahren
existiert in Port Said auch ein großes deutsches Kohlen-
lager. Der Export von Port Said wertete 1902 82000 £
und bestand hauptsächlich aus Baumwolle, nachdem sich die
Ausfuhr von gewissen Teilen des östlichen Deltas jetzt wegen
billigerer Transportspesen von Alexandrien weg und nach
Port Said gezogen hat, ein Wechsel, der mit Fertigstellung
der Vollbahn ismailia — Port Said noch viel schärfer in Er-
scheinung treten dürfte. Die Hauptbedeutung Port Saids
aber liegt in seinem immensen Kanalverkehr, und zwar wurde
der Sueskanal im Jahre 1902 regelmäßig von 38 großen
Dampfer-Gesellschaften, im ganzen von 3708 Schiffen, be-
nutzt und folgende Flaggen stellten das Hauptkontingent:
— 102 -
Englisch. Deutsch. Französisch. Holländisch.
Zahl der Schiffe: 2165 480 274 218
Gehalt in
1000 Tonnen: 6772 1707 769 520
Österreichisch. Russisch. Japanisch. Italienisch.
Zahl der Schiffe: 139 110 61 85
Gehalt in
1000 Tonnen: 417 328 232 167
Deutschland steht bei der Benutzung des Kanals also
in zweiter Linie, und während die englische Flagge von dem
Gesamt\'erkehr 58 ^'^ der Schiffszahl und 60 '\, der Tonnage
beansprucht, entfallen auf Deutschland bereits \3'\ der
Schiffe und 15 '\, der Tonnage.
Die Zahl der Transitpassagiere, welche 1902 den Kanal
passierten, belief sich auf 223000, der Durchschnittsraum
der 3708 Schiffe auf 3034 Tons und die Gesamteinnahme
der Kanalgesellschaft für die Benutzung des Kanals auf
4148000 Pfund, eine Einnahme, die auch 1903, trotz einer
Ermäßigung der Durchgangsgebühren um 50 Centimes für
die Tonne, erzielt werden konnte. Die Tiefe des 160 km
langen Kanals beträgt jetzt überall 8 Meter, und die Durch-
fahrt beansprucht im Durchschnitt 18 Stunden.
Die .Anteilscheine der „Compagnie Universelle du Canal
.Maritime de Suez" wurden im Juli 1904 an der Pariser Börse
wie folgt notiert:
Gewöhnl.. Aktien. Genuß-Scheine. Gründer-.Anteile.
Notierung: 4155 3500 1895 Francs
Ertrag 1902: 134 106 6P 2 „
5 X Obligationen. 3 "0 Obligationen.
Notierung: 620 480 Francs
Ertrag 1902: 25 15 „
und das Kapital der Gesellschaft wies nach Abschluß für
— 103 —
1903 auf: 200 Millionen Francs Aktienkapital, 273 Millionen
Francs Obligationen und 201 Millionen Reser\'en.
Da die Kompanie ihre Konzession nur auf 99 Jahre
auszunützen das Recht hat, so fällt der Kanal 1968 an die
ägyptische Regierung, welche bis dahin 15 '\, vom Reinertrag
abzüglich einer Verzinsung von 5 *^,o des Aktienkapitals
erhält.
Sues hat, seitdem es nicht mehr Ausgangspunkt und
Proviantstation der Großschiffahrt nach dem Osten ist, son-
dern nur noch der Abfahrtshafen für die Mekkapilger und
der Hafen für den Verkehr mit Indien, in seiner Be-
deutung ganz wesentlich verloren; der Platz importierte 1902
für 704000 Pfund, meist Textilwaren, Indigo, Gewürze und
Kaffee und führte für 276000 Pfund aus, meist Zucker und
Gummi.
Die Zahl der Leuchtfeuer im Roten Meere ist in den
letzten Jahren wesentlich vermehrt worden.
Ägypten zählt 3700 Städte oder größere Ortschaften Ortschaften.
und 14500 Dörfer; mit Ausnahme der für Gelehrte und
Touristen interessanten Punkte, die hier nicht berührt werden
können, kommen für Europäer aber nur eine sehr be-
schränkte Anzahl von Plätzen in Betracht.
Des Landes Hauptstadt Kairo, im Jahre 970 an Stelle
des wiederholt durch Brand zerstörten Fostat (Alt-Kairo)
am Fuße des Mokattam erbaut, liegt an der Wurzel des
Deltas und am Rande der Wüste, zählt 570000 Einwohner
und ist wohl die angenehmste morgenländische Stadt über-
haupt, da sie mit einer Fülle von Sehenswürdigkeiten und
Eigenart den größten modernen Komfort vereinigt. Die Über-
führung der Altertümer von Giseh nach dem neuen Museum
in Kairo ist 1902 beendet worden, und damit ist diese be-
— 104 —
rühmte Sammlung bequemer zugänglich geworden. Kein
zweites Land besitzt, wie Ägypten, so viele Altertümer, die uns
den vielseitigsten Einblick in das tägliche Leben der Größten
wie der Geringsten gestatten. Viele kostbare Funde freilich
schmücken ausländische Museen; so birgt z. B. das bri-
tische Museum in London den 1799 gefundenen schwarzen
Basaltstein von Rosette, der, aus dem Jahre 196 v. Chr.
stammend, in Hieroglyphisch, Demotisch und Griechisch einen
gleichlautenden Dank an Ptolemäus V. enthält und der den
Ausgangspunkt der ägyptologischen Wissenschaft bildet. Die
zweitgrößte Stadt und der Haupthafenort Ägyptens, Alexan-
drien, liegt auf sandigem Streifen zwischen dem Meere und
dem sumpfigen Mareotis-See und zählt unter ihren 320000
Einwohnern etwa 60000 Ausländer, meist Italiener, Griechen
und Franzosen und etwa 500 Deutsche und Schweizer. Das
ausgedehnte Frankenviertel im Süden macht einen ziemlich
europäischen Eindruck, daneben existieren auch noch Tür-
ken- und Araberviertel; von der einstigen Herrlichkeit frü-
herer Zeiten aber ist verzweifelt wenig übriggeblieben. Port
Said zählt 42000 Einwohner, darunter einen guten Teil
Abschaum aus aller Herren Länder; Sues nur 17000 Ein-
wohner, darunter 2 700 Europäer.
Damiette zählt 32000 Einwohner und beherrscht
noch immer einen Teil des Küstenhandels, wenn auch
seine frühere Bedeutung durch Alexandrien und Port
Said zurückgedrängt ist. Rosette ist noch wichtig als
Hauptdepot des ägyptischen Reises, der hier enthülst
wird.
Sehr bemerkenswert ist, wie es neuerdings nach
Angaben von Ronald Roß gelungen ist, die Malaria in
dem berüchtigten Fieber -Ort Ismail ia am Timsah -See
des Sueskanals durch die Drainage sumpfiger Stellen und
durch die Anwendung von Petroleum bei kleineren
— 105 —
Pfützen, den Moskitobrutstätten, mit großem Erfolg zu
bekämpfen.
Weitere nennenswerte bezw. größere Orte sind das
durch seine drei jährlichen Messen berühmte Tantah mit
57000 Einwohnern, Sagas ig, ebenso wie Mansurah ein
Hauptort des Getreide- und Baumwollhandels, mit 36000
Einwohnern, Damanhur mit 27000, sämtlich im Delta ge-
legen. Dagegen sind weiter flußauf im Niltal noch zu nen-
nen Minieh im Zentrum der Zuckerproduktion, mit 20000
Einwohnern, das an der Mündung eines Karawanenweges
von Darfur gelegene Siut mit 42000 Einwohnern, Keneh, der
Ausgangspunkt der Karawanen- und Pilgerstraße nach Kosser
und Sitz einer bedeutenden Tonwaren-Industrie, und endlich
das am ersten Katarakt gelegene Assuan. Theben, der
stärkste Anziehungspunkt für alle Reisenden, welche von den
Pyramiden südlich gehen, ist seit Römerzeiten her nur noch
ein von Dorfsiedelungen durchsetztes Ruinenfeld voll riesen-
hafter Trümmer, in einem Kessel gelegen, befinden sich im
Osten des Stroms die palmenumkränzten, mächtigen Tempel
von Karnak und südlich davon, früher von einer Sphinx-Allee
mit ihnen verbunden, das Heiligtum von Luxor mit seinem
Obelisken. Auf dem Westufer aber liegen die heutigen
Fellachendörfer Kurnah und Medinet Habu mit ihren be-
rühmten Tempelresten und den Memnonssäulen, während
die Rundung des westlichen Randgebirges von zahlreichen
alten Gräbern durchhöhlt ist und im Norden sich die
Schlucht der Königsgrüfte, Biban el Moluk, in die Bergkette
hineinzieht.
Der einzige Ort des nubischen Niltals zwischen dem
ersten und zweiten Kararakt, welcher einige wirtschaft-
liche Bedeutung hat, ist das Dorf Korosko, weil von
hier aus, den großen Nilbogen mit seinen drei Katarakten
abschneidend, eine Karawanenstraße in gerader Linie
- 106 —
nach Abu Hammed am Nilknie oberhalb des vierten Katarak-
tes führt.
Die Egyptian Markets Co. hat eine 30 jährige Konzes-
sion zur Erbauung und Leitung von Markthallen in 120
Zentren Ober- und Unter-Ägyptens bekommen, welche an
Stelle der bisher üblichen Märkte unter offenem Himmel
treten sollen.
Der ägyptische Sudan.
Die alten Geographen bezeichneten das nilaufwärts von Geschichte.
Ägypten h'egende, von dunkelfarbigen, braunen und schwar-
zen Menschen bewohnte Land mit dem Namen Äthiopien,
hebräisch Kusch, d. h. das „Südland". Das Interesse Ägyp-
tens für sein Nachbarland, das kein Ackerbauland ist, be-
schränkte sich anfangs auf den Handel mit Elfenbein und
schwarzen Sklaven, und stieg, als man in seinen Gebirgen
reiche Goldlager entdeckte, die lange Zeit Ägypten fast aus-
schließlich mit dem vielbegehrten Metall versorgten und auch
dem Lande seinen Namen „Nubien" gaben, da Nuba das
ägyptische Wort für Gold ist.
Schon zur Zeit der 6. Dynastie war die ägyptische
Oberherrschaft über einen Teil von Nubien anerkannt, die
völlige Unterwerfung wurde aber erst unter der 12. Dynastie
durchgeführt, und nachdem Usertisen I. in seinen Kämpfen
zum ersten Male mit den Negern zusammengestoßen war,
legte Usertisen 111. bei Semne, oberhalb des zweiten Kata-
raktes, eine ägyptische Grenzfestung an und verbot den jen-
seits wohnenden Negern, auf ihren Booten über diesen Punkt
hinaus abwärts zu fahren ; dagegen scheinen die Neger zwangs-
weise auch besonders in den Goldbergwerken beschäftigt
worden zu sein. Nigritisches Blut mischte sich mit ägyp-
— 108 -
tischem, andrerseits siedelten sich ägyptische Ackerbauer und
Handwerker im nubischen Niltal an, besonders als Ramses 11.
dort eine Anzahl neuer Städte und eine Reihe Tempel er-
bauen ließ. Die Goldminen gaben noch immer reiche Er-
träge und ägyptische Kultur drang bis in den Sudan vor,
besonders nachdem die 21. Dynastie (1085 — 950) die Ammon-
Priesterkönige nach dem Süden verbannt hatte und diese auf ur-
sprünglich nigritischem Gebiet unterhalb des 4. Katarakts das
nach seiner Hauptstadt benannte Königreich Napata im
heutigen Dongola begründet hatten. Das ägyptische Priester-
tum fand hier treuherzige, beschränkte und opferwillige An-
hänger und erlebte eine goldne Zeit. Nachdem diese nu-
bische Dynastie schon wiederholt erfolgreich in Ägypten
aufgetreten war, wurde sie während der Wirren zu Ende
des „Neuen Reichs" von Tafnecht aus Sais zu HiJfe
gerufen und bemächtigte sich zeitweilig, etwa von 716 bis
671, selbst des Thrones dieses alten Kulturstaates, war aber
zu schwach, um sich dauernd halten und dem Andringen der
Assyrer widerstehen zu können. Im Jahre 668 verließen die
äthiopischen Truppen Ägypten, das nach Wiedererlangung
seiner Selbständigkeit seinerseits einen Vorstoß gegen Nubien
unternahm, aber ohne dauernden Erfolg, und seit dem Jahre
650 beginnt der Südstaat sich mehr und mehr vom Norden
zu isolieren und seinen Verkehr nach Süden und Osten hin aus-
zudehnen. Die Geistlichkeit bildete sich immer mehr zur
entscheidenden Gewalt im Staate aus, und eine bis ins
Wunderliche gesteigerte Frömmigkeit blieb auch fernerhin
der hervorstechendste Zug der Äthiopier, während andere
Zeichen von Gesittung nach und nach verkamen und in Ver-
gessenheit gerieten.
Nach der Trennung von Ägypten verschob sich der
Schwerpunkt des Reichs mehr und mehr nach Süden; Na-
pata blieb der Sitz des Priestertums, aber die Könige erbau-
— 109 —
ten sich eine neue Residenz südlich von der Mündung des
Atbara in den Nil, die Stadt Meroe, nach der späterhin in
der Regel das Reich benannt wird; damit wurde Äthiopien
der Gefahr, in die Geschicke Ägyptens verflochten zu werden,
noch mehr als vorher entzogen, und als zur Perserzeit die
Eindringlinge einen Teil Nubiens an sich rissen, blieb das
Reich Meroe unerschüttert. Die noch heute erhaltenen Py-
ramiden von Meroe sind den ägyptischen ähnlich, aber kleiner
und schlanker. Der übermächtige und anmaßende Einfluß
des Priestertums wurde um 270 vor Chr. vorübergehend
durch den König Argamon zerstört und das Königtum wurde
dadurch unabhängiger; andrerseits entwickelten sich hier mehr
und mehr mutterrechtliche Anschauungen und führten zu einer
bevorzugten Stellung der Königinnen, die gewöhnlich die
Regentschaft für ihre unmündigen Söhne übernahmen und
auch nach deren Großjährigkeit weiter mitregierten. Diese
Königinnen führten den Titel Kandake.
Auch die Ptolemäer suchten, besonders für Handels-
zwecke, ihre Herrschaft im Süden zu begründen; so legte
Ptolemäus Philadelphos 247 vor Chr. in der Gegend des
heutigen Tokar Ptolemais Epitherion an und sandte von
hier aus große Expeditionen ins Innere bis nach Darfur, um
Elfenbein, Ebenholz und Negersklaven zu holen.
Nach und nach hatte sich Äthiopien in einen echt su-
danesischen Staat verwandelt, dessen Aufmerksamkeit den
südlichen Negerländern zugewandt war, während die Verbin-
dung mit dem Norden immer loser wurde, im Jahre 23 vor
Chr. versuchte zwar die Königin von Meroe noch einmal
Rechte auf das bereits Provinz des gewaltigen Römerreichs
gewordene Ägypten mit Waffengewalt geltend zu machen,
aber das Unternehmen scheiterte kläglich an dem Widerstand
der römischen Grenztruppen, welche ihrerseits mit einerö
Rachezuge und der Zerstörung des alten Königssitzes Na-
— 110 —
pata antworteten ; Meroe selbst aber blieb unter dem Schutze
der Wüste und der Stromschnellen unabhängig von Rom.
Im Laufe der Jahrhunderte wurde das Land dann schwach
und verfiel, und die Verbindung mit dem Norden wurde
gänzlich unterbrochen, als der rohe, im Gebirgsland östlich
vom nubischen Nil ansässige hamitische Volksstamm der
Blemmyer seine verheerenden Raubzüge begann und den
Nilweg zuweilen völlig sperrte. Immerhin gelangten Keime
der griechisch-römischen Kultur nach dem Süden und ver-
hinderten, daß der östliche Sudan in vollkommene Barbarei
zurückgesunken wäre. Im Jahre 300 nach Chr. berief Dio-
cletian die „Nubier" aus den Oasen westlich vom Nil in das
zunächst Syene am 1. Katarakt gelegene Niltal, um das Land
gegen die Einfälle der von da nilaufwärts sitzenden Blemmyer
und der Megabarer zu schützen.
Es entsprach ganz dem religiösen Charakter der Äthi-
opier, daß die Sendboten des Christentums jakobitischer
Lehre, die seit dem 6. Jahrhundert endlich auch in Nubien
vordrangen, in ihrer Propaganda unerwartet erfolgreich waren.
Wann sie zum ersten Male in Meroe erschienen sind, weiß
man nicht; sicherlich aber haben gerade der Zerfall des
Reiches und die Schwächung der alten Priestermacht ihr
Wirken ebenso begünstigt, wie dies durch Einsickern der
griechischen Kultur und Sprache unterstützt wurde. Die Stadt
Meroe scheint bereits zu Neros Zeiten in Trümmern gelegen
zu haben. Das äthiopische Reich selbst spaltete sich in zwei
Hauptgebiete, das nördliche nu bische, für welches auch
der Name Napata wieder auftaucht, und das südöstliche, das
seinen Mittelpunkt unter den kräftigen abessinischen Berg-
völkern zu Axum fand und in enge Beziehungen zu Arabien
trat, welches das bei weitem mächtigere und in gewissem
Sinne auch kultiviertere Reich war. Als der Islam im Jahre
638 Ägypten unterwarf, wurde Nubien der Zufluchtsort vieler
— 111 —
Christen und hielt gemeinsam mit Axum lange Zeit dem ara-
bischen Ansturm als Hort christlichen Glaubens stand. Wie
man annehmen darf, wurde gerade durch die Flüchtlinge der
Glaubenseifer des Volkes zur hellen Flamme entfacht; zahl-
reiche Kirchen und Klöster entstanden zwischen dem 7. und
14. Jahrhundert im Niltal, besonders in der heutigen Provinz
Dongola. Aber nur im abessinischen Bergland hat sich eine
Art Christentum bis zum heutigen Tage erhalten, während
es in Nubien allmählich dem Islam erlag.
Von Axum und von den Negerländern im Süden ab-
geschnitten, hatte das christliche Nubien seinen Schwerpunkt
wieder nach Norden zu und zwar nach dem heutigen Don-
gola verlegt, wo es noch lange Zeit dem Islam erfolgreich
widerstand, im Jahre 651 brachen arabische Scharen in
Nubien ein und bedrohten Dongola, fanden aber so ent-
schlossenen Widerstand, daß sie sich mit einem jährlichen
Tribut von 360 Sklaven begnügten, wofür sie Getreide zu
spenden versprachen; dieses Verhältnis zu Ägypten scheint,
wenn auch mit Unterbrechungen, lange bestanden zu haben.
im 10. Jahrhundert hören wir von mehreren Angriffen der
Nubier auf ägyptisches Gebiet, aber im 11. Jahrhundert be-
ginnt ihre Macht zu sinken, und im Jahre 1275 nahm der
ägyptische Sultan die Stadt Dongola ein und vertrieb den
dortigen König David.
Nubien wurde bald darauf Tributärstaat Ägyptens und
stand nunmehr der Propaganda des Islams offen; in der Tat
trat um 1350 selbst das Herrscherhaus von Dongola zum
Islam über, allerdings nicht die alte Dynastie, sondern ein
aus Assuan stammender Usurpator. Nachdem Ägypten tür-
kische Provinz geworden, ließ Sultan Selim I. Obernubien
und Dongola durch bosnische Truppen erobern und besie-
deln. Allmählich aber teilte sich das Land in verschiedene
kleinere Staaten mit eigenen Häuptlingen, welche abhängig
— 112 —
waren von den Arabern oder dem Sultan oder dem König
von Senaar. Das letztere Reich v^ar zu Anfang des
16. Jahrhunderts von dem Negerstamm der Fundsch be-
gründet worden, welche über den Weißen Nil vorgedrun-
gen waren, die dort wohnenden Beduinen unterwarfen
und ihrerseits bald zum Islam übertraten. Auch in Dar
Für, dessen einheimische Negerbevölkerung durch die jetzt
herrschenden, scheinbar von Osten vorgedrungenen Für
zurückgedrängt wurde, führte Suleiman Solon (1596—1637)
den Islam ein, dehnte seine Macht in zahlreichen Kriegszügen
bis über den Nil und zum Atbara aus, beherrschte also auch
ganz Kordofan und Teile von Senaar, und auch Wadai
erkannte seine Oberherrschaft an. Seine Nachfolger hielten
das Reich unter vielen Kämpfen mit wechselndem Glück zu-
sammen; Kordofan aber wurde 1790 zeitweilig mit Senaar
vereinigt.
Eine nennenswerte Unterbrechung von außen her trat
erst dadurch ein, daß der Rest der ägyptischen Mameluken
1811 vor Mohammed Ali nach Nubien flüchtete und 1814
Neu-Dongola gründete, aber auch von dort 1820 von ägyp-
tischen Truppen unter Ismail, Mohammed Alis Sohn, ver-
trieben wurde; die Mameluken wandten sich westwärts in die
Wüste und sind dort spurlos verschwunden. Mohammed Ali,
hauptsächlich durch die Gerüchte von dem großen Gold-
reichtum veranlaßt, schickte sich nun an, seinen Einfluß auch
weiter südlich geltend zu machen, wo die früher bestan-
denen christlichen Staaten Aloa und Mokra längst durch
das islamitische Reich Senaar abgelöst waren, und sandte zu
diesem Zweck eine militärische Expedition, der er auch ver-
schiedene europäische Forscher, besonders Deutsche und
Österreicher beigab. Nach dem Fall von Dongola 1820
zog Ismail weiter nach Süden, und seine Truppen gingen
teils nach Senaar, teils nach Kordofan vor, anfangs mit Er-
— 113 —
folg. Obgleich dann Ismail 1822 wegen übertriebener Tribut-
forderung von der verzweifelten Bevölkerung in Schendi er-
mordet wurde, blieb das Land dennoch in den Händen der
Ägypter und wurde von diesen ausgesogen; besonders hatten
die südlichen freien Negerstämme das neue Joch zu fühlen,
und ihr Land wurde mehr als jemals das Ziel unternehmen-
der Sklavenräuber. Den Mittelpunkt der neuen Provinz bil-
dete seit 1830 das am Zusammenfluß des Weißen und des
Blauen Nils gelegene Chart um.
Nachdem die verhältnismäßig leichte Zugänglichkeit des
Weißen Nil festgestellt war und der Sudan bald darauf in
den Ruf kam, daß Elfenbeinhandel und Sklavenraub dort
mühelos Reichtümer böten, strömten zahlreiche Abenteurer
aus Ägypten und Nubien dahin, während gleichzeitig auch
die ersten christlichen Missionare eintrafen, und der mittel-
bare Einfluß Ägyptens breitete sich dadurch von selbst aus.
Die 1847 ins Leben gerufene Katholische Mission für Zentral-
afrika legte Stationen in Chartum, Kanisseh (Heilig Kreuz)
und Gondokoro an, aber das mörderische Klima zwang die
österreichischen Missionare schon nach wenigen Jahren
zum Verlassen der beiden letzteren. Die Händler hausten
in ihren Raubstaaten wie kleine Fürsten und konnten na-
türlich auf die Dauer mit der Regierung nicht in Frieden
bleiben; darunter ist vor allem der aus Schendi stam-
mende arabische Sklavenjäger Sobehr (Sibehr, Zubair)
zu nennen, der sich später zum Herrscher des südöstlich
von Darfur gelegenen Dar Fertit aufschwang. Beschwer-
den europäischer Missionare und Forschungsreisenden er-
regten bald Entrüstung über das unheilvolle Treiben, und
da Ägypten damals viel darauf hielt, zu den „Kultur-
staaten" gerechnet zu werden, erschien der Vizekönig Said
Pascha 1855 persönlich in Chartum, verbot kurzweg den
Sklavenhandel und untersagte seinen Beamten die bisher üb-
Sch anz, Ägypten. 8
— 114 —
lieh gewesenen Sklavenjagden in die Negerländer, womit er
ihre Einnahmen auf das empfindlichste schädigte; der Sklaven-
handel ging deshalb, wenn auch in anderen Formen, im ge-
heimen doch weiter. In den Jahren 1852—58 und 1861 bis
1864 erforschte der Württemberger Theodor von Heuglin
den Ostsudan, und 1869—71 weilte hier auch Georg Schwein-
furth, der berühmte Erforscher Ägyptens und seiner Nachbar-
länder. Der Einfluß der antisklaverisch gesinnten Europäer
stieg, als Ismail 1863 zur Herrschaft kam und sich — we-
niger aus innerer Überzeugung, als aus Eitelkeit — als
Reformator und Begünstiger des Fortschritts aufspielte. Is-
mail ging auf die Vorschläge Samuel Bakers, des Entdeckers
des oberen Nils, ein, den Sklavenhändlern entgegenzutreten,
und sandte Baker Pascha 1869 mit einem kleinen Heere in das
obere Nilgebiet, wo er den Sklavenhändlern das Handwerk
legte und 1873 die ägyptische Herrschaft bis zum Albert-See
und an die Grenzen von Ungoro ausgedehnt hatte; um die-
selbe Zeit wurde das Bahr el Ghasal-Gebiet angegliedert und
Darfur unterworfen, sodaß der ägyptische Sudan damals seine
größte Ausdehnung erreichte.
Darfur war schon seit 1870 durch Sobehr, der nach
und nach eine beträchtliche Kriegsmacht um sich versammelt
hatte, bedroht und von seinen heidnischen Grenzländern im
Süden, einer Quelle seiner Macht, abgeschnitten worden,
während gleichzeitig Ägypten lüsterne Blicke auf das Land
warf und Sobehr in sein Interesse zu ziehen suchte, dadurch,
daß es diesen zum Mudir oder Statthalter der Provinz Bahr
el Ghasal ernannte. Durch eine Expedition des General-
gouverneurs des ägyptischen Sudans, Imail Pascha, die von
Chartum aus vordrang, wirksam unterstützt, schlug Sobehr
den Sultan Ibrahim Koko von Darfur im Herbst 1874 ent-
scheidend und erlangte auch die Statthalterschaft dieser neuen
Provinz. Doch erschien er in dieser einflußreichen Stellung
- 115 -
den Ägyptern bald zu gefährlich, und sie lockten ihn deshalb
1875 nach Kairo, wo er zwar mit Ehren überhäuft, aber bis
zu seinem Tode zurückgehalten wurde, während man seinen
ungefährlich erscheinenden jungen Sohn Suleiman die Nach-
folge des Vaters antreten ließ. Für die Reisenden vom Roten
Meer zum Nil und bis an die Grenze Wadais wurden damals
22 Rastherbergen errichtet.
Nachdem Baker Pascha 1873 nach England zurück-
gekehrt, brachte Gordon 1874—76 die am oberen Nil begon-
nenen Unternehmungen zu Ende, organisierte die Äquatorial-
provinz, deren Gouverneur er wurde, und deren Hauptort
zunächst Lado. dann Wadelai war, während das bis zu Fa-
schoda reichende Gebiet des eigentlichen Sudans unter
Ismail Pascha stand. Gordon legte eine Reihe von befes-
tigten Posten bis zu den großen Seen an und wurde 1877,
als er zum zweiten Male in ägyptische Dienste trat, zum
Pascha und Generalgouverneur von Sudan, Darfur, der
Äquatorialprovinz und der Küste des Roten Meeres befördert.
Aber selbst die Energie eines Gordon genügte nicht, um ein
so ungeheures Gebiet zu überwachen und zu verwalten.
Er gab deshalb mehrere Äquatorialstationen auf, zog die
südliche Grenze der ägyptischen Besitzungen zum Somerset-
Nil zurück und teilte den Rest der Äquatorialprovinzen in
die eigentliche Äquatorialprovinz mit dem Hauptort Lado
und in die Provinz Bahr el Ghasal. Gordon setzte seinen
Kampf gegen die Sklavenhändler fort, hatte langwierige
Unterhandlungen mit Abessinien zu führen, dann rief ihn
ein Aufstand nach Darfur, wo Sobehrs Sohn Suleiman sich
zu regen begann; aber von Kairo aus nur lau unterstützt und
an der Durchführbarkeit seiner Aufgabe verzweifelnd, verließ
Gordon 1879 den ägyptischen Dienst. Der Italiener Romolo
Gessi, der 1878 bereits Dar Fertit unterworfen, besiegte
und tötete 1880 auch Suleiman, der sich 1878 als unab-
— 116 -
hängiger Herrscher des Bahr el Ghasal erklärt hatte, und
wurde Gouverneur dieses Gebiets. So waren die Verhält-
nisse im nördlichen Sudan, in Kordofan und Senaar
immerhin leidlich geordnet. Auch im Süden hatten
Gessi und später F. Lupton, die Gouverneure der Pro-
vinz Bahr el Ghasal, vor allem aber Eduard Schnitzler
oder Emin Bei, der seit 1878 Gouverneur der Äquatorial-
provinz war, die Entwicklung in hoffnungsvolle Bahnen ge-
lenkt, als ein ungeheurer Ausbruch des altsudanischen
Glaubenseifers mit einem Schlage das Werk jahrelanger
Mühen zerstörte, aber zugleich bewies, wie morsch und hohl
das äußerlich so glänzende Gebäude gewesen war: Mohammed
Achmed, der angebliche Mahdi, entrollte 1881 das Banner
des Aufstands und hatte sich nach wenigen Jahren des ge-
samten Sudans bemächtigt.
Mohammed Achmed stammte aus dem alten Mittel-
punkt christlicher Glaubenstreue, dem jetzt ebenso eifrig
islamitischen Dongola, dessen regsame Bewohner im ganzen
Sudan als Sklaven- und Elfenbeinhändler verbreitet waren
und mit den Europäern in ägyptischen Diensten auf dem
schlechtesten Fuße standen. Um 1840 geboren, zog er früh-
zeitig als Derwisch umher, klagend, daß die Religion im
Verfall und der Islam durch die Freundschaft mit den Christen
gefährdet sei. Nachdem er sich, von den Sklavenhändlern
unterstützt, auf die Insel Aba im weißen Nil zurückgezogen,
wußte er sich bald den Ruf eines Heiligen und Wundertäters
zu verschaffen und machte seinen Zufluchtsort zum Mittel-
punkt einer Verschwörung gegen die ägyptische Herrschaft.
Lange ließ man ihn unbehelligt, forderte ihn aber schließlich
auf, nach Chartum zu kommen und sandte, als er sich
weigerte, eine kleine Truppenmacht, die im Juli 1881 von
Mohammed Achmed und seinen Anhängern fast bis auf den
letzten Mann niedergemacht wurde. Der Heilige erklärte sich
— 117 —
nunmehr öffentlich für den Mahdi, den verheißenen Giaubens-
erneuerer und Nachfolger des Propheten. Statt ihn auf
seiner Insel mit Hülfe der zahlreichen Flußdampfer einzu-
schließen, ließ man ihn auf die linke Seite des Nils ent-
kommen und seine Zuflucht in den Takallabergen im süd-
östlichen Kordofan nehmen, wo er sich am Fuße des Berges
Gadir niederließ. Der Gouverneur von Kordofan, der ihn
vertreiben sollte, zog sich ohne Kampf zurück, der Mudir
von Faschoda dagegen, der von Süden heranrückte, wurde
mit samt seinen Truppen vernichtet. Massenhaft strömten
dem Mahdi die von Gessi aus dem Bahr el Ghasal verjagten
Danagla zu, von Rachsucht und Fanatismus erfüllte Menschen,
die zusammen mit zahlreichen Araberhorden den Kern des
mahdistischen Heeres bildeten. Gleichzeitig brachen auch
auf dem rechten Nilufer, in der Provinz Senaar Unruhen
aus, die aber mit Hülfe befreundeter Araberstämme unter-
drückt wurden. Die dort entbehrlichen Truppen zogen nun
unter Führung des unfähigen Yussef Pascha Schellali gegen
den Mahdi und wurden am 1. Juli 1882 bei Gadir fast gänz-
lich vernichtet; Yussef fiel.
Da Ägypten durch den Aufruhr Arabi Paschas und
seine Folgen gelähmt war, gelang es dem Mahdi, dem nach
dem Siege der Engländer zahlreiche Unzufriedene zuströmten,
in kurzer Zeit die wenigen festen Plätze Kordofans, die noch
nicht abgefallen waren, bis auf Bara und El Obeid unter
schrecklichem Blutvergießen zu erstürmen, und im Januar 1883
ergaben sich Bara und, vom Hunger bezwungen, auch die
Hauptstadt El Obeid. Die Regierungstruppen hielten sich
unter Führung des tapferen Österreichers Rudolf Slatin
in Darfur, wo der Genannte seit 1878 tätig, seit 1881 Gou-
verneur war; aber ein unter Führung des anglo-indischen
Oberst William Hicks von Chartum heranrückendes minder-
wertiges Heer wurde am 3. November 1883 bei Kaschgil
— 118 —
südlich von El Obeid bis auf Wenige zusammengehauen.
Nunmehr schwand auch die letzte Aussicht für Slatin in
Darfur, er ergab sich dem Mahdi am 23. Dezember 1883
und wurde als Gefangener nach El Obeid, von da später
nach Omdurman gebracht, wo er bis zu seiner im Februar
1895 endlich geglückten Flucht blieb.
Der Mahdi richtete nun seine Aufmerksamkeit nach
Chartum, dessen kürzeste Verbindung mit der zivilisierten
Welt bereits Mitte 1883 dadurch unterbrochen war, daß der
Renegat und ehemalige Sklavenhändler Osman Digna, ein
geborener George Nisbet aus Rouen, den Stamm der Hadendoa
zum Aufruhr gereizt, die Hafenstadt Suakin angegriffen und
die Straße von Suakin nach Chartum gesperrt hatte. Um-
sonst versuchte der Ende 1883 zum Befehlshaber der
ägyptischen Truppen im Sudan ernannte Baker Pascha die
südlich und westlich von Suakin liegenden Festungen Tokar
und Singat zu entsetzen; er wurde am 4. Februar 1884 am
Brunnen El Teb durch Osman Digna geschlagen. Dieser
erlitt nun zwar seinerseits bald darauf zwei Niederlagen durch
General Graham, am 29. Februar bei El Teb und am
13. März 1884 bei Tamanieb, doch vermochte Graham nicht
weiter vorzudringen, der Nilweg über Dongola und Berber
blieb die einzige noch offene Straße, und als England end-
lich 16 000 Mann unter Lord Wolseley zu Gordons Ersatz
aussandte, war es zu spät.
Gordon war inzwischen wieder in ägyptisch-englische
Dienste getreten und im Januar 1884, allerdings mit ganz
ungenügenden Mitteln, als Generalgouverneur des Sudans
nach Chartum gesandt worden, um das aufrührerische Land
zu beschwichtigen; er hoffte anfangs, sein Ziel auf friedliche
Weise und durch sein Ansehen zu erreichen, erkannte in
einer Proklamation den Mahdi als Herrscher von Kordofan
an und hob das Verbot des Sklavenhandels auf. Aber
— 119 —
Gordons Erwartungen erfüllten sich nicht, und trotz seiner
eifrigen Tätigkeit nahm die mahdistische Bewegung zu. im
Juni 1884 fiel Berber in die Hand der Mahdisten und damit
war die V^erbindung mit Ägypten abgeschnitten, im August
schloß der Mahdi auch Chartum ein, wohin Gordon an
Truppen zusammengezogen, was noch zu erreichen war,
nachdem er eine Anzahl Flüchtlinge nach Norden befördert
hatte. Das Kabinett Gladstone, welches ja tatsächlich über
Ägyptens Geschicke bestimmte, war inzwischen, trotz alles
Drängens Gordons um Unterstützung, zu dem Entschluß
gekommen, den Sudan überhaupt zu räumen, und sandte,
durch die empörte öffentliche Meinung gezwungen, Gordon
erst dann Hülfe, als es zu spät war. Bereits am 23. Ok-
tober 1884 war der Mahdi selbst mit dem Kern seines Heeres
vor dem Vorwerk Omdurman am linken Nilufer, Chartum
gegenüber, eingetroffen und hatte es am 5. Januar 1885 nach
tapferer Gegenwehr genommen; am 26. Januar 1885 fiel durch
Verrat Chartum selbst und wurde unter fürchterlichen Greuel-
taten zerstört, wobei auch Gordon und fast alle Europäer
und Ägypter getötet wurden. Das ersehnte Hülfsheer, das
bereits im September von Ägypten aufgebrochen war, traf
nicht ohne Schuld der englischen Führer zwei Tage zu
spät ein.
Allzulangsam war Wolseley durch das Niltal aufwärts
über Dongola bis zu Korti vorgerückt und entsandte von
dort aus im Januar 1885 je eine Kolonne nach Berber und
nach Metämmeh. Die letztere unter General Stewart erreichte
nach harten Kämpfen bei Abu Klea und Gubat den Nil, um
zu erfahren, daß Chartum bereits gefallen und Gordon tot
sei, worauf sie nach Korti zurückmarschierte; die erste hatte
nicht einmal Berber erreichen können und wurde von
Wolseley zurückgerufen, worauf das britische Heer den Rück-
zug antrat. Die Mahdisten besetzten sofort Dongola, und in
- 120 -
Nubien wurden nur Koscheh und Wadi Haifa von den Eng-
ländern gehalten. Ein Versuch General Grahams, nach dem
Fall Chartums von Suakin aus nach Berber vorzudringen,
erwies sich als undurchführbar.
Nachdem sich der Gouverneur vom Bahr el Ghasal,
Lupton Bei, schon im April 1884 ohne Kampf ergeben hatte,
blieben nunmehr nur noch die Äquatorialprovinz, das ständig
von Osman Digna bedrohte und eng eingeschlossene, von
den Engländern gehaltene Suakin und die Plätze Kassala,
Matamma und Senaar von Regierungstruppen besetzt.
Das seit November 1883 eingeschlossene Kassala fiel erst
im Herbst 1885 in die Hände der Empörer; die Besatzung
von Matamma konnte, nachdem Ägypten den Ort an
Abessinien abgetreten, Anfang 1885 durch ein abessinisches
Entsatzheer befreit und über Massaua nach Ägypten einge-
schifft werden; das ebenfalls tapfer verteidigte Senaar ergab
sich im August 1885.
Der Mahdi hatte seine Residenz inOmdurman einge-
richtet, führte dort ein ausschweifendes Leben und starb an
Herzverfettung bereits am 22. Juni 1885. Hatte er haupt-
sächlich seine Landsleute, die Dongolaner begünstigt, so
stützte sich sein Nachfolger, der Khalif Abdul Iah i, auf die
Bagarra-Araber und verursachte dadurch Eifersucht und innere
Zwietracht; dazu hatte das nunmehr „befreite" Land stark
unter Hungersnot und ansteckenden Krankheiten zu leiden.
Eine gefährliche Erhebung der schwarzen Söldner endete im
Herbst 1885 mit deren Unterwerfung, mehrere aufständische
Araberstämme wurden später nahezu vernichtet, und ein neuer
Mahdi, der sich in Darfur erhoben hatte, starb zum Glück
für den Khalifen im Februar 1889.
Fehlte es somit auch keineswegs an inneren Sorgen,
so trat man nach außen doch unternehmend genug auf.
Des neuen Herrschers kühne Absicht, nunmehr auch Ägypten
— 121 —
zu erobern, wurde zwar vereitelt durch die Niederlage, welche
sein Feldherr Mohammed ei Kheir am 20. Dezember 1885
bei Koscheh durch die Engländer erlitt, doch blieben die
Mahdisten, da die Sieger nach Ägypten zurückkehrten, im
Besitz von Dongola und Nubien. Auch der Äquatorial-
provinz wandte man seine Aufmerksamkeit zu. Dort waltete
als Gouverneur seit 1878 Dr. Eduard Schnitzler aus Neiße
unter dem Namen Emin Bei, entwickelte die Hülfskräfte des
Landes, reorganisierte die V^erwaltung und mußte 1881 auch
die völlig in Anarchie verfallene Provinz Rohl und den von
der Provinz Bahr el Ghasal abgetrennten Bezirk Mangbattu
am oberen Uelle mit übernehmen. Seit Anfang 1883 ohne
Verbindung mit Chartum und von dort bedroht, sah sich Emin
mit seiner kleinen Truppe bald auf den Nilstreifen beschränkt,
und nur die Rückzugslinie über Uganda nach Sansibar blieb
offen. Diesen Weg nahm 1886 Wilhelm Junker, und Gaetano
Casati ging kurz darauf nach Unyoro, um mit dem Kabrega
zu unterhandeln, hatte aber keinen Erfolg und kehrte An-
fang 1888 zu Emin zurück. Nachdem die Mahdisten schon
1884 bis Bor und Rumbeck am Bahr el Dschebel vorge-
drungen waren, lenkten die Wirren, die sich an den Tod des
Mahdi knüpften, ihre Aufmerksamkeit von Äquatoria ab, und
Emin konnte etwas aufatmen. Das eine seiner Bataillone
stand im Norden, besonders bei Lado und Redschaf, das
andere hatte seine wichtigsten Stationen in Dufile und
Wadelai, und die Negertruppen zeigten wenig Lust, sich mit
Emin nach dem Süden zurückzuziehen, sondern gedachten
die Provinz aus eigener Kraft zu halten, wobei es allerdings
mehr und mehr zur Lockerung der Disziplin unter den
Soldaten kam. Schon 1884 empörte sich ein Teil derselben
gegen ihren Gouverneur, und Emin sah sich gezwungen, eine
Reihe von Stationen an der Grenze aufzugeben, und nach
dem Fall von Chartum, einer Revolte seiner Truppen in Lado
- 122 —
1886 und der Einnahme von Lado und Redschaf durch die
Mahdisten im gleichen Jahre den Sitz des Gouvernements
von Lado nach Wadelai zu verlegen. Nachdem er eine
Station nach der andern hatte räumen müssen, war die
ganze „Äquatorialprovinz" 1887 auf 7 Stationen zusammen-
geschmolzen. Inzwischen sandte man von Europa, wo
damals die Kolonialbegeisterung in höchster Blüte stand,
zwei Hülfsexpeditionen aus, die allerdings keine rein idealen
Zwecke verfolgten, sondern auch den Gewinn der begehrens-
wert erscheinenden Äquatorialprovinz anstrebten: Eine deutsche
unter Peters und eine englisch - ägyptische unter Stanley.
Vom oberen Aruwimi her gelang es Stanley, sich am
29. April 1888 mit Emin in Verbindung zu setzen, dem freilich
die ausgehungerte „Retterschar" mehr Verlegenheit als Hülfe
brachte, und Emin verweigerte die Heimkehr. Kurz darauf
wurde er auf einer Inspektionsreise von den Soldaten in
Dufile gefangen genommen; angesichts neuer Einfälle der
Mahdisten ließ man Emin aber frei und nach Wadelai ziehen,
und Stanley, der im Januar 1889 wieder am Albert-See
erschien, erzwang nun den Rückzug Emins, dem sich ein
Teil seiner Truppen anschloß. Am 8. Mai 1889 erfolgte
der Abmarsch nach Süden, am 6. Dezember 1889 die
Ankunft der Karawane in Bagamoyo. Auch Wadelai wurde
nun von den Mahdisten besetzt, deren südlichsten Posten
es bildete.
Ein Teil der Soldaten Emins war in Äquatoria zurück-
geblieben; einige Abteilungen setzten sich in Stanleys Lager
Kavalli am Albertsee fest, während die übrigen zunächst neue
Stationen am Nil errichteten; von den Offizieren, die mit
den Mahdisten Beziehungen angeknüpft hatten, wurden viele
durch die eigenen Soldaten getötet, ebenso fast alle Dongo-
laner. Nach einiger Zeit vereinigten sich aber sämtliche
Sudanesentruppen in Kavalli, und dort nahm sie im Sep-
— 123 —
tember 1891 Lugard in den Dienst derBritisch-Ostafrikanisciien
Gesellschaft und besetzte damit Uganda.
inzwischen waren die Mahdisten aber auch mit Ab es-
sin ien in Kämpfe geraten. Von England gedrängt, hatte
Negus Johannes zwar schon 1885 Matamma entsetzt, aber
die Stadt damals wieder geräumt, und erst im Januar 1887
erfolgte ein neuer Angriff der Abessinier unter dem ehemaligen
Befehlshaber von Matamma, Ras Adal von Amhara, welcher
die Mahdisten bis zur Vernichtung schlug, sich aber mit
seiner Beute zurückzog, sodaß Matamma aufs neue von den
Mahdisten besetzt wurde, welche nun ihrerseits einen Rache-
zug nach Abessinien hinein unternahmen. Im November 1887
erfocht der Emir Abu Angar einen Sieg bei Debra Din, die
altehrwürdige Kaiserstadt Gondar wurde geplündert und
zerstört, das Land ringsumher verwüstet, und dann kehrte
man nach Matamma zurück. Negus Johannes war damals
zu einer Verständigung mit den Mahdisten bereit, wurde
indessen abgewiesen und rüstete sich nun seinerseits zum
Angriff. Im März 1889 stürmten die Abessinier heran, durch-
brachen am 9. März den Dornverhau Matammas und schienen
bereits den Sieg in der Hand zu haben, als der Tod des
Negus das Zeichen zum fluchtartigen Rückzug gab. Abessinien
aber konnte sich wegen innerer Wirren und durch sein Ver-
hältnis zu Italien beschäftigt in der Nächstzeit nicht weiter
um die Mahdisten kümmern.
Durch die Erfolge gegen Abessinien ermutigt, glaubten
die Mahdisten, daß nunmehr endlich auch die Eroberung
Ägyptens möglich sei, nachdem der erste Vorstoß 1885 ge-
scheitert war. Aber Oberst Grenfell, der am 20. Dezember
1888 schon Osman Digna bei Suakin entscheidend geschlagen
hatte, vernichtete im August 1889 bei dem nubischen Dorfe
Toski auch die Mahdistenschar fast völlig, ein Erfolg, der
allerdings von den Engländern wieder nicht ausgenutzt wurde.
— 124 -
Weit gefährlicher als die Niederlage dieses Heeres wurden
Abdullahi eine bald darauf hereinbrechende Hungersnot, die
den Sudan grauenhaft entvölkerte, und ein Aufstand seiner
Rivalen. Am 10. Februar 1891 erlitt Osman Digna mit
seinem 7000 Mann starken Heere eine neue Niederlage bei
Suakin. Auch die Italiener erschienen nun auf dem Schau-
platz, schlugen die von Kassala aus gegen das Rote Meer
vorrückenden Mahdistentruppen am 21. Dezember 1893 bei
Agordat, und Barratieri nahm einige Monate später fast ohne
Kampf Kassala, wodurch die Absperrung der Mahdisten,
welche gegen die Italiener keine Angriffe mehr wagten, nach
dem Roten Meere zu vollendet wurde.
Auch der Kongostaat einigte sich betr. Bekämpfung
der Mahdisten mit der anglo-ägyptischen Regierung, van
Kerkhoven drang 1892 vom oberen Ubangi aus nach Wadelai
vor, und durch Nachschübe besetzte man weitere Stationen,
worauf England durch Vertrag vom 12. Mai 1894 den west-
lichen Teil der ehemaligen Äquatorialprovinz mit Lado und
Wadelai und einem Teile des Bahr el Ghasal-Gebiets an den
Kohgostaat verpachtete.
Da die mahdistischen Streitscharen den Verkehr auf
dem Nil aber beständig gefährdeten und selbst über die
nubische Südgrenze des nun so beschränkten Gebiets vor-
drangen, beschloß England endlich, den Sudan wieder zu
erobern. Anfang 1896 drang von Wadi Haifa aus das von
Kitchener reorganisierte ägyptische Heer unter dessen Führung
und gemeinsam mit englischen Truppenteilen langsam und
vorsichtig nach Süden in Feindesland vor, während gleich-
zeitig eine Abteilung der kongostaatlichen Armee von Süden
her vorging und die Italiener die Stellungen an der
abessinischen Grenze hielten. Kitchener betrieb zunächst
den Bau einer Militärbahn von Wadi Haifa nach Berber zur
Umgehung der Katarakte; mit der Anlage einer projektierten
— 125 —
Linie Wadi Haifa— Schendi hatte man zwar schon 1875 be-
gonnen, aber bei Ausbruch des Krieges waren erst 120 i\m
bis Akascheh fertig; sodann brachte er Kanonenboote- auf
die schiffbaren Strecl<en des Nils und ordnete die Truppen-
verpflegung aufs beste. Die vordringenden Derwische wurden
am 7. Juni 1896 bei Firkeh besiegt und die Landschaft
Dongola im Sommer 1896 besetzt, nachdem man weiter
nilaufwärts gedrungen war, im August 1897 Abu Hammed
gestürmt und am 13. September 1897 auch Berber einge-
nommen. Kitchner erlaubte nun den Kaufleuten in Suakin
auf ihre eigene Gefahr Waren nach Berber zu schicken,
worauf sich bald ungestört der alte Karawanenverkehr wieder
entwickelte, und auch die Straße nach Kassala wurde Ende
1897 für offen erklärt. Nachdem man am 7. April 1898 die
Vorhut der Mahdisten bei Nakheila am Atbara geschlagen,
drang man weiter, gegen Omdurman selbst vor und besiegte
hier am 2. September 1898 den Khalifen und seine 35000
Mann todesmutiger Truppen vollständig; mehrere male
stürmten die Derwische mit Todesverachtung heran, wurden
aber immer wieder unter ungeheuren Verlusten, hauptsäch-
lich durch die überlegene englisch-ägyptische Artillerie, be-
sonders die Maximkanonen, zurückgeworfen; es sollen nicht
weniger als 15000 Derwische auf dem Schlachtfelde geblieben
sein, während die ägyptisch-englische Armee nur 46 Mann
verlor, ein Beweis dafür, daß hier lediglich die moderne
Waffe die Arbeit getan hat. Der Khalif entkam nur mit
geringem Gefolge und Kitchener besetzte Omdurman, wo er
sich dazu hinreißen ließ, das Grab des Mahdi zu schänden
und den Leichnam von diesem und vieler frommen Moslims
in den Fluß zu werfen.
England erhob nun im Namen Ägyptens auch auf alle
früheren Besitzungen desselben bis zu den großen Seen
Anspruch, Kitchener fand aber, als er mit seinen Truppen
— 126 —
den Weißen Nil hinauffuhr, am 21. September in Faschoda
die französiche Flagge, gehißt vom Kapitän Marchand, der
vom Westen her vorgedrungen war, sich infolge sehr
energischen Auftretens Englands und diplomatischer Ver-
handlungen allerdings bald zurückziehen mußte; der englisch-
französische Vertrag vom 21. März 1899 über die Aufteilung
des Sudans machte dann dem französischen Traum eines
großen Kolonialreichs quer durch Afrika vom Senegal bis
zum Roten Meer offiziell ein Ende.
Auch aus dem Gebiet nördlich von Abessinien zwischen
dem Weißen und Blauen Nil wurden die Derwische durch
den Sieg des englisch-ägyptischen Heeres vom 26. Dezember
1898 vertrieben.
Der geflohene Khalif Abdullahi hatte sich nach Kordofan
gewandt und drang, mit dort und in Darfur gesammelten
Anhängern, neuerdings nach Omdurman vor, wurde aber am
24. November 1899 bei Om Debrikat südlich von Dschedid
durch den Oberst Reginald Wingate geschlagen und mit
seiner Leibwache und fast allen seinen Emiren getötet; der
allein entkommene Osman Digna wurde am 19. Januar 1900
durch Verrat gefangen genommen und unschädlich gemacht.
Der inzwischen als Sir Rudolf von Slatin wieder in englische
Dienste getretene Slatin Pascha ging nach El Fascher, der
Hauptstadt von Darfur, um mit dem Sultan Ali Dinar An-
fang 1901 einen Vertrag über die Anerkennung der anglo-
ägyptischen Oberhoheit abzuschließen, und Menelik traf in
Faschoda mit einem von Kairo abgesandten englischen Be-
amten zusammen, um Qrenzfragen zu regeln.
Inzwischen war am 19. Januar 1899 auch bereits ein
Abkommen zwischen England und Ägypten betreffs des
Sudans geschlossen worden, wonach unter dem „Ägyptischen
Sudan" alle diejenigen Gebiete südlich vom 22. Breitengrade
zu verstehen sind, die seit 1882 niemals von ägyptischen
— 127 —
Truppen geräumt wurden, ferner solche, die vorübergehend
verloren gegangen, aber später durch britische und ägyp-
tische Truppen zurückerobert wurden, und endhch solche,
die daselbst später noch durch gemeinsames Vorgehen der
Regierungen beider Länder erobert werden würden. Dem
britischen Fiskus wurde vor allem die Verzinsung der 800000
Pfund betragenden Sudan-Anleihe garantiert, mit deren Hülfe
der Krieg geführt worden war. Die britische und die ägyp-
tische Flagge werden gemeinsam geführt, mit Ausnahme der
Stadt Suakin, wo nur die ägyptische Flagge wehen soll. Die
oberste militärische und zivile Gewalt liegt in den Händen
eines Generalgouverneurs des Sudans, der nur mit Überein-
stimmung der englischen Regierung vom Chediven ernannt
und abgesetzt werden kann. Kein ägyptisches Gesetz, kein
Ministerialerlaß oder sonstige Verfügung soll für den Sudan
Gültigkeit haben ohne eine entsprechende Kundmachung des
Generalgouverneurs; Gesetze, Verfügungen usw. für den
Sudan können von dem Generalgouverneur geändert und
außer Kraft gesetzt werden. Die für Ägypten zuständigen
gemischten Gerichte haben für den Sudan, mit Ausnahme
der Stadt Suakin, keine Gültigkeit, vielmehr bleibt dort bis
auf weiteres das Kriegsgericht in Geltung. Konsuln, Vize-
konsuln und Konsularagenten fremder Mächte dürfen ohne
Zustimmung der englischen Regierung ihren Wohnsitz nicht
im Sudan nehmen. In Summa: Eine Erklärung der eng-
lischen Schutzherrschaft über den Sudan, eine völlige Bei-
seiteschiebung Ägyptens und eine Ausschaltung der in
Ägypten so unangenehm empfundenen, internationalen
Kontrolle.
Und wer darüber etwa noch im Zweifel sein konnte,
wurde über die Auffassung der englischen Regierung betreffs
der zukünftigen Stellung des Sudans durch eine Rede von
Lord Cromer belehrt, die dieser am 6. Januar 1899 gelegent-
— 128 —
lieh der Grundsteinlegung der Gordon-Qedächtnis-Schule in
Chartum und in Anwesenheit des zum Besuche anwesenden
Herzogpaars von Connaught hielt; er erklärte nämlich, daß
der als erster Qeneralgouverneur ernannte Sirdar Lord Kit-
chener das Land selbständig im Namen der Königin und des
Chediven regieren werde, wobei des letzteren Einfluß nichts
zu bedeuten habe.
Ende 1899 wurde der Sudan, allerdings noch immer unter
Kriegsrecht, dem allgemeinen Verkehr freigegeben, und man
begann nun mit dem Wiederaufbau des gänzlich zerrütteten
Staatswesens. Kitchener, nach der Abberufung des Lord
Roberts im November 1900 zum Oberbefehlshaber gegen die
Buren ernannt, fand als Generalgouverneur des Sudans seinen
Nachfolger in dem Sirdar Wingate. Die Verhandlungen mit
dem Kongostaat über das Gebiet des Bahr el Ghasai
wurden im Juli 1901 durch ein Übereinkommen beendet,
wonach der Teil zwischen Mahagi am Albert-See bis Kero
nördlich von Lado an den Kongostaat überlassen wird, aller-
dings nur während der Lebzeit König Leopolds 11., später
sollen diese Gebiete wieder in englisch-ägyptischen Besitz
zurückkommen. Der nördliche Teil des Bahr el Ghasal-Ge-
biets wurde 1901 von englisch-ägyptischen Truppen besetzt,
und am 15. Mai 1902 erfolgte die Abgrenzung zwischen dem
Ägyptischen Sudan einerseits, mit Erythräa und Abessinien
andrerseits, im Dezember 1902 besuchte auch der Chedive
Chartum. Ein im Herbst 1903 unter den Berg-Takalla in
Kordofan aufgetretener neuer Mahdi, der aus Tunesien stam-
mende Hadschi Mohammed el Amin, wurde durch schnelles
Vorgehen des Oberst Mahon gefangen und in El Obeid auf-
geknüpft, und die kriegerischen Ereignisse im Somaliland
blieben ohne Rückwirkung auf den Sudan. Ein anderer
„Mahdi", der im Sommer 1904 in Wad Medani am Blauen
Nil erschien und sich Jesus nannte, wurde von einem ägyp-
- 129 —
tischen Offizier erschossen, der seinerseits allerdings sofort
darauf als Opfer der fanatischen Umgebung fiel.
Werfen wir nun einen Blick auf Land und Leute. ^Y'elity^**
Der Ägyptische Sudan, der östliche Teil des großen,
sich von den Senegal- und Niger-Ländern quer durch Afrika
bis an den Fuß der abessinischen Berge ziehenden „Land
der Schwarzen", bildet im Gegensatz zu dem westlichen
Hochsudan den Flachsudan, wird auch mit Belad el Te-
krur, d. h. „Land der zum Islam Bekehrten" bezeichnet und
umfaßt die Landschaften Nubien, Senaar, Kordofan, Darfur,
das Bahr el Ghasal- und das Obere Nil-Gebiet. Seine Nord-
grenze ist der 22. ^ seine Südgrenze der 5. " nördl. Br. Von
dem im großen Ganzen verwandten westlichen Sudan unterschei-
det sich der Ostsudan hauptsächlich durch den Nil, der in einem
vorwiegend steppenhaften Gebiet auf lange Strecken einen
schmalen Streifen fruchtbaren Landes schafft, und durch die
Nähe des Meeres und Arabiens, welche frühzeitig kriegerischen
Einfluß der arabischen Steppenvölker ermöglichte, während
das alte Kulturland Ägypten im Norden nur zeitweilig zu
fürchten war.
Der Grund des Landes besteht in einem Granitgebirge,
das in zahlreichen Kuppen an die Oberfläche tritt, und über
welches sedimentäre Bildungen gelagert sind. Im Dschebel
Marra in Dar Für erheben sich diese Berge bis zu einer
Höhe von 1830 m, im allgemeinen aber ist das durchschnitt-
lich 400 — 570 m hohe Land teils Ebene, teils wellenförmiges
Hügelland und trägt überwiegend Steppencharakter; nur im
Niltal und im Bahr el Ghasal steigert sich die Vegetation bis
zur tropischen Fülle.
Das zwischen Assuan und Chartum gelegene, 743000qkm
große Nubien, welches zwischen dem 22.** und dem an
Erythräa grenzenden Ras Kasar an das Rote Meer stößt, ist
Schanz Ägypten. 9
— 130 —
fast durchweg Wüste, die von kleinen Regenbetten durch-
schnitten wird und im Nordosten der S-förmigen Nükrüm-
mung die große Nubische Wüste, im Südwesten die Wüste
El Dschesirah bildet, welche in die Bajudasteppe übergeht.
Kulturfähiges Land findet sich nur in einzelnen Oasen und
im Niltal, das oft äußerst schmal ist, sich aber bei Berber
und Dongola beträchtlich erweitert; besonders das 260 km
lange Dar Dongola ist fruchtbar und teilweise gut bebaut,
noch üppiger aber sind die zahlreichen, vom Nile einge-
schlossenen Inseln. Der Süden weist Übergang zur tropischen
Savanne auf. Weitverbreitet ist der nubische Sandstein, zu-
mal am linken Ufer, das er von Assuan bis Chartum in
einem ununterbrochenen Zuge begleitet; darunter tritt stellen-
weise das kristallinische Grundgebirge zutage, welches auch
die von den Pharaonen bearbeiteten, jetzt scheinbar erschöpf-
ten Goldminen in der nubisch-arabischen Wüste barg, die dem
Lande den Namen Nub=- Goldland gaben. Bei Okma ent-
strömen dem Schiefer heiße alkalische Quellen, die zu Bädern
benutzt werden.
Das etwa 250000 qkm umfassende Kordofan ist ein
Steppenplateau von 600 -800m Höhe und weist einzelne Berg-
länder auf, während der Kern des 500000 qkm umfassenden
Dar Für und gleichzeitig die Wiege seiner Bevölkerung das
wild zerrissene Marra-Gebirge ist, dessen quellenreiche und
fruchtbare Täler am meisten angebaut und bewohnt sind,
während der dürre Nordosten fast menschenleer ist.
Nil. Die Lebensader des Gebiets bildet in erster Linie der
Nil und seine Zuflüsse. Dieser nach Willcocks rund 7000 km
lange Strom entsteht bekanntlich aus den Abflüssen großer
Seen in Äquatorialafrika, und seine lange Zeit vergeblich
gesuchten Quellen wurden erst im vorigen Jahrhundert von
Speke, Stanley und Oskar Baumann entdeckt. Der südlichste
Quellsee, der 1129 m über dem Meere liegende Viktoria
— 131 —
Nyanza, das größte Süßwasserbecken der alten Welt, weist
eine ganze Anzahl Zuflüsse auf, deren bedeutendster, der 1892
von Baumann erforschte Kagera oder Alexandra-Nil, seine
Quelle nahe dem Nordrand des Tanganyika hat. Als Vik-
toria- oder Somerset-Nil, 408 km lang, mit dem ein-
heimischen Namen Kivira, verläßt der Strom den See als
dessen alleiniger Abfluß, bildet zunächst die 5 m hohen
Riponfälle, durchfließt zwei kleinere Seen und fällt dann in
12 Stromschnellen und Fällen, darunter den mächtigen, in
drei Stufen 44 m herabstürzenden Murchisonfällen, zur
zweiten Hochlandstufe des Albert Nyanza (680 m ü. M.)
ab, den er bei Magungo erreicht, und der durch den 260 km
langen Semliki auch den Abfluß des dritten Quellsees, des
südlicheren Albert Eduard Sees (965 m ü. AI) empfängt.
Als Bahr el Dschebel oder „Strom der Berge" verläßt der
Fluß den Albert-See und fließt, ^ - — 2 km breit, tief und lang-
sam zwischen sumpfigen Ufern, bis bei Dufile'-Nimule von
beiden Seiten herantretende Gebirgsketten den Strom auf
80 m Breite zusammenpressen; oberhalb Redschaf bildet er
zahlreiche Schnellen und Fälle und ist bisGondokoro(465 m
ü. M., 395 km vom Albert-See), der seit 1901 wieder er-
freulich aufblühenden Grenzstation des britischen Uganda-
Gebietes, für die Schiffahrt unmöglich. Bei km 407 liegt
am linken Ufer das belgische Lado, welches lange Zeit
Hauptstadt der ägyptischen Äquatorialprovinz und Residenz
Emin Paschas war. Die Grenzlinie zwischen Uganda und
Sudan überschreitet den Nil 420 km vom Albert-See entfernt.
Von der belgischen Station Redschaf (378 km) ab, die nicht
selten Erdbeben erlebt, beginnt die sich bis zum No-See
(km 1146) hinziehende, fieberhauchende Sumpfregion, durch
welche der Nil zu keiner Jahreszeit in einem Kanäle zu-
sammengefaßt, sondern in verschiedenen Armen fließt. Der
Ambatschstrauch, hohe Papyrus und Schilfe bilden hier un-
9»
— 132 —
durchdringliche Pflanzenwirrtiisse, und auch schwimmende
Wasserpflanzen fangen hier bereits an aufzutreten, weiter
flußabwärts den berüchtigten „Sedd" bildend, schwimmende,
zuweilen in' ungeheuren Massen zusammengeballte Pflanzen-
massen, die P/s bis 7 m dick und bis zu 2 km lang sind
und die Flußläufe oft auf Jahre verstopfen und sie zwingen,
sich ein anderes Bett zu suchen. Nördlich von Bor (570 km)
beginnt die eigentliche Sedd-Gegend. Bei km 687 liegt Ka-
nisseh oder „Heiligen Kreuz", eine frühere österreichische
Missionsstation, die aber 1864 wegen ihres mörderischen
Klimas verlassen wurde. Bei km 773 zweigt rechts der Bahr
el Seraf vom Bahr el Dschebel nach dem Weißen Nile ab
und von Ghaba Schambi (km 766) an bis zum No-See, auf
eine 400 km lange, von „Mayyehs" oder flachen Seen mit
offenem Wasser unterbrochene Sumpfgegend folgt nun die
störendste Sedd-Formation. Handelte es sich im Süden mehr
um Gräser, so bilden hier zwei Schilfarten, Papyrus, Am-
batsch und die mit den Wurzeln fortgerissenen Erdmassen
die Hauptbestandteile der schwimmenden Pflanzenblöcke.
Schon die von Nero ausgesandten Forschungsreisenden
wurden von dem großen No-See aufgehalten, der sich an
der Mündung des von Westen her in den Nil strömenden
Bahr el Ghasal oder „Gazellenstroms" gebildet hat und
eine seeartige, aber flache Erweiterung von sehr schwanken-
der Größe, 20—100 qkm, darstellt. Über die Hälfte des Lado
erreichenden Nilwassers geht auf der Strecke zwischen die-
sem Ort und dem No-See direkt und indirekt verloren, teils
in Ufersümpfen, teils durch die starke Verdunstung der gewaltig
verbreiterten Oberfläche, und so entfällt die Wasserzufuhr des
großen Stromgebiets während der wasserarmen Zeit haupt-
sächlich auf den Sobat, den Blauen Nil und den Atbara. Man
schätzt das mit Schilfgras und Papyrusstauden dichtbewachsene
Sumpfgebiet des oberen Nils auf 40000 engl. Quadratmeilen.
— 133 —
Im Dezember 1899 gelang es Major Peake mit fünf
Dampfern und 700 von den Derwischen rekrutierten Arbei-
tern zum ersten Male, den Sedd in viereckige Blocks zu
durchschneiden, die, von den Dampfern losgerissen, flußab-
wärts trieben, und auf einem Kanonenboot bis Kero vorzu-
dringen. Dagegen versuchte man 1902 vergebens, den Sedd
im Bahr el Dschebel zu entfernen, wo schwimmende Pflanzen-
inseln bis zu 36 km Gesamtlänge den Verkehr hemmten und
mangels genügenden Stromes nicht weggetrieben wurden;
man hoffte aber, hier im Laufe des Jahres 1904 wieder eine
ununterbrochene offene Wasserstraße nach dem oberen Nil
herstellen zu können
Der Bahr el G basal ist die Fortsetzung des aus
zahllosen Flußläufen entstehenden Bahr el Arab, von dessen
Zuflüssen der wasserreichste der Dschur mit dem Wau
und Dembo ist, und auch dieses Stromsystem leidet unter
starken Ansammlungen von Sedd, dessen aus kleine-
ren schwimmenden Pflanzen bestehende Barren im allge-
meinen aber leichter zu entfernen sind, als diejenigen im
Bahr Dschebel. Im Jahre 1903 gelang es, den Sedd auf dem
Dschur soweit zu durchschneiden, daß Dampfer bis Wau
hinauffahren konnten, und der gewonnene Kanal wird jetzt
verbreitert und vertieft. Kurz nach der Vereinigung von
Bahr el Dschebel und Bahr el Ghasal fließen von rechts der
Bahr el Seraf und sodann bei km 1280 fast direkt entgegen
der Sobat dem Strome zu und letzterer bewirkt dadurch
oft gewaltige Flußanstauungen. Bei km 1288 liegt die Sta-
tion Taufikia. Der vom Einfluß des Sobat — zuweilen auch
schon vom No-See — ab Bahr el Abi ad, d. h. der „Weiße,
Klare" genannte Nil wendet sich nun nach Norden, erreicht bei
Goz Abu Goma (km 1807, immer vom Albert-See an ge-
rechnet) das Nordende der Sedd-Region, passiert bei km 1917
die für den Handel mit Kordofan wichtige Station El Duem,
— 134 -
und nimmt bei Chart um (km 2118) den 1350 km langen
Bahr ei Asrak, den „Blauen" d.h. „Trüben" Nil auf, der
in Abessinien auf einer Höhe von 2800 m entspringt,
dann den 1760 m hoch gelegenen Tsana-See durchfließt und
von Rosaires ab (685 km von seiner Mündung) keine Kata-
rakte mehr aufweist. Das vom Weißen und Blauen Nil um-
schlossene Land wird nach einem korrumpierten nubischen
Wort für Flußinsel Senaar genannt. Von nun ab empfängt
der Nil auf einer Strecke von etwa 3000 km bis zu seiner
Mündung nur noch einen einzigen Nebenfluß, den ebenfalls
aus Abessinien kommenden Atbara, der südlich von Berber
mündet. Zwischen Chartum (378 m ü. M.) und Assuan hat
sich der Strom aber mehrfach durch Granitriegel hindurch-
zuarbeiten, und dadurch wurden sechs die Schiffahrt unter-
brechende Katarakte gebildet. Die Nilschwellung beginnt in
Gondokoro schon im Februar, in Chartum Ende März und
in Dongola Ende Mai.
Der auf Seite 43 erwähnte Bericht von Sir William Gar-
stin betrachtet an und für sich als die beste Regulierung der
Wasserverhältnisse des Nils eine Stauanlage am Tsana-See.
Wenn nun auch Kaiser Menelik in der Konvention vom
15. Mai 1902 die Benutzung dieses Sees zugestanden hat,
so wünscht man doch mit Abessinien sehr vorsichtig um-
zugehen, um bei Menelik kein Mißtrauen aufkommen zu
lassen, und so werden vorläufig andere Anlagen vorgeschlagen.
Der Weiße Nil wäre zu regulieren einerseits durch Er-
richtung von Staudämmen an den Abflüssen der Quellseen,
und zwar für den Viktoria Nyanza an den Ripon-Fällen, für
den Albert-See 15 km unterhalb von dessen Abfluß; Kosten-
anschlag 2 Millionen Pfund; anderseits durch Regulierung
des Bahr el Dschebel in der Sedd- und Sumpf-Gegend, indem
man dem Strome dort durch Anlage bepflanzter Dämme
feste Ufer schafft und die schwimmenden Pflanzenmassen
- 135 —
durchschneidet und entfernt. Garstin schlägt dafür zwei
verschiedene Wege vor, nämh'ch den empfehlenswerteren der
Ausgrabung eines ganz neuen, 340 km langen Schiffahrt-
kanals zwischen Bor und der Sobatmündung, Kostenpunkt
5^2 Millionen Pfund; oder die Schaffung einer 650 km
langen Schiffahrtsstraße zwischen den gleichen Punkten mit
Zuhülfenahme und Verbesserung des Bahr el Seraf, Kosten-
punkt 3,4 Millionen Pfund.
Das Wasser des Blauen Nils aber soll vorläufig
nutzbarer gemacht werden durch Anlage eines Reservoirs
bei Rosaires (2 Millionen), einer Barrage in der Nähe von
Wad Medani (1 Million) und durch ein Kanalsystem in der
Gesireh- Provinz (2 Millionen) = Summa 5 Millionen Pfund
Anlagekosten.
Die Ausführung des weiterhin erwähnten Gasc.h-
Projekts würde eine halbe Million £ beanspruchen.
Garstin nimmt an, daß seine Sudan-Projekte, deren
allmähliche Realisierung von Finanz- und anderen Fragen
abhängen wirdT 1 Million Acres neues Kulturland, nämlich
700000 Acres in den Gesireh-Ländereien, 200000 im Niltal
nördlich von Chartum und 100000 Acres am Gasch schaffen
und sich wohl bezahlt machen würden. Dabei ist freilich noch
ganz unsicher, ob und wo die für Bestellung der so gewon-
nenen Ländereien nötigen Arbeitskräfte beschafft werden
können.
Inzwischen sorgt man für gründliche Vorstudien.
Das Klima des Sudans ist im allgemeinen trockenes ^^'^ma.
Wüstenklima, heißer als in Oberägypten, und im Süden
tropisch. Vom Oktober bis März wehen kühlende Nord-
winde; während der Regenzeit von Juni bis Oktober, die
meist in der Form von Gewitterschauern auftritt und ihr
— 136 -
Maximum im August erreicht, fällt das Thermometer an
manchen Orten bis zum Nullpunkt, und die Flußniederungen
verwandeln sich dann in fieberhauchende Sümpfe. Die jähr-
lichen Regenmengen betragen am Victoria- und Albert-See
und im abessinischen Hochland 150 cm, in der östlichen
Hälfte des Bahr el Ghasal-Gebiets und am Mittellauf des
Sobat und des Atbara 100 cm, in der Westhälfte des Bahr
el Ghasal 50 cm, übersteigen aber am Unterlauf des Weißen
und des Blauen Nils, sowie des Atbaras nicht 25 cm, und
nördlich von Berber ist das ganze Gebiet so arm an Nieder-
schlägen, daß es fast als regenlos gelten kann. In Kordofan
dienen die im Innern teilweise ausgehöhlten und dann ge-
teerten Riesenstämme der Affenbrotbäume als Zisternen.
Die Durchschnittstemperatur von Chartum beträgt 28,6° im
Jahre, 22,7° im Januar, 34,5° im Juni und übersteigt Nach-
mitttags häufig 45 ".
Flora. Die Vegetation ist im nördlichen Teile sehr ärmlich
und weist nur längst des Nils ausgedehntere Waldungen von
Dum- und Deleb-Palmen auf; vorherrschend sind Mimosen-
arten wie Sunt- und andere Gummi-Akazien und der aus der
Sahara eingewanderte Dornstrauch Tragacantha Alhagi, weit
verbreitet sind auch Kreuzdorn (Nabak), Tamarinde, Tama-
riske und Sykomore. Dem Savannenklima angepaßt sind
große Euphorbia- und Aloe-Arten, Gräser sind reich ent-
wickelt, auch die Haifa ist vertreten, dagegen ist Bauholz
von Wert selten. Im Überschwemmungsgebiet des oberen
Weißen Nils gedeihen üppig Papyrus, die eine Höhe von
5 Meter über dem Wasserspiegel erreichen, Schilfrohre,
Elefantengras und der eigenartige Ambatsch-Strauch, dessen
Stämme ungemein schnell etwa 4 Meter über den höchsten
Wasserstand emporschießen und nach dem Falle des Wassers
bis auf die Wurzel wieder absterben. Im ungesunden Süden
wird die Flora tropisch, wir finden hier Wälder mit allerdings
- 137 —
meist nicht sonderlich hohen Bäumen, aber reichem Unter-
holz und üppigen Schlingpflanzen, Baobab und Ebenholz
treten auf und auch zahlreiche Kautschukpflanzen sind hier
vertreten. Es kommen von diesen mehrere Landolphia-
und eine Ficus-Art in Betracht, die alle am oberen Nil, in
den Gebieten des Bahr el Ghasal und Bahr ei Dschebel und
auch im südwestlichen Kordofan, stellenweise in nennens-
werten Beständen, vorkommen. Verschiedene Holzarten und
gerbstoffhaltige Pflanzen dürften auch noch Exportwerte lie-
fern können, und die Regierung hat zur rationellen Behand-
lung dieser Fragen im Jahre 1900 einen Forstbeamten aus
Indien herangezogen. Bislang leiden die Wälder vielfach
durch Brände und durch die Holzentnahme für die Feuerung
der Nil-Dampfer.
Mit Ausnahme vielleicht der südlichsten Distrikte mit
ihrem verhältnismäßig reichlichem Regenfall dürften die
Kulturen auf die vom Blauen und Weißen Nil, dem At-
bara und dem Qasch bewässerbaren Ländereien beschränkt
bleiben.
Die Tierwelt ist durch die meisten afrikanischen Arten Fauna,
überhaupt vertreten und weist u. a. zahlreiche Nilpferde,
Antilopen, Elefanten, Giraffen, Krokodile, Strauße und allerlei
Wasservögel auf. Eine Wildschutzverordnung von 1903
scheint erfolgreich das wertvolle Wild zu schützen. Bienen
bauen ihre Stöcke in hohle Bäume und liefern dem Handel
Wachs, sehr lästig dagegen sind die zahlreichen Fliegen,
Moskitos, weißen und anderen Ameisen. Der Nil ist auch
hier sehr fischreich. Als Haustiere werden Buckelrinder,
Schafe, Ziegen, Pferde, Esel, Kamele, Hühner und Tauben
gehalten. In einigen südlichen Distrikten ist der Viehstand
stark durch Seuchen vermindert worden und dadurch Not
eingetreten; teilweise ist dieser Übelstand wohl auf die
Wirkung der Tsetsefliege zurückzuführen, deren Vorkommen
— 138 —
im Bahr e! Ghasal-Gebiet jüngst festgestellt wurde und die
auch den Transport mit Zugtieren unmöglich macht.
Bodenschätze. Von M i u er alschätzcu sind Eisen und Kupfer häufig,
auch Gold, Blei, Zinn, Kohle, Salpeter und Schwefel werden
gefunden, dagegen fehlt Salz gänzlich und muß in großen
Mengen eingeführt werden.
Bevölkerung. Die Bevölkcrung repräsentiert ein großes Völker-
gemisch, dessen drei Hauptgruppen im Norden die Nubier,
im Süden die Neger und in der Wüste die Beduinen sind,
letztere teils echte Araber, teils hamitische Urvölker, Nach-
kommen der alten Äthiopier. Zwischen den einheimischen
Negerstämmen haben sich, immer mehr als Herren über jene
auftretend, von Osten her kommend die Araber, von Norden
die Tuaregs und von Westen die Fulbe festgesetzt, und diese
drei Volksstämme haben den Islam mehr und mehr unter
der immer noch überwiegend heidnischen Bevölkerung ver-
breitet.
Die seßhaften Bewohner des nördlichen Nubiens,
die Barabra, Scheikieh, Robatat und Dschaalin, treiben im
Niltal Ackerbau, züchten Kamele, und hängeohrige Ziegen in
Dongola edle Pferde und sind als Schiffer in eigentümlichen,
für die Überwindung der Katarakte gebauten Booten tätig.
In der gebirgigen Wüste zwischen Nil und Rotem Meere
wohnen die Bischarin, die Nachkommen der vom Osten ein-
gewanderten alten Blemmyer, zwischen Nil und Atbara die
Hadendoa, gegenüber in der Bajuda-Steppe die Kababisch.
Alle diese Völker sind dunkelbraun, ja selbst schwarz, aber
ohne den eigentlichen Negertypus. Die Sprachen Nubiens
sind jetzt teilweise hamitisch, wie namentlich das weitver-
breitete Bedscha, teils herrscht das Arabische, die eigentliche
Nuba-Sprache aber ist eine durchaus selbständige und
zerfällt in die drei Hauptidiome des Kenu, Maha und
Dongola.
— 139 —
Unter den Negerstämmen des eigentlichen Sudans treten
besonders die Dinkas im Norden und Osten und die Schilluks
und die Niam-Niam im Süden hervor. Roh betriebener
Ackerbau — der Pflug ist nur im nördlichen Dar Für be-
kannt — bildet die feste Grundlage der nicht unbedeutenden
Kultur des Sudans, und zwar wird die Feldarbeit fast durch-
gehend von den Frauen besorgt, ebenso wie das Spinnen
und Weben der Baumwolle und die Färberei. Die Kultur
umfaßt verschiedene Hirsearten, besonders Durra, Mais,
Weizen, Gerste, Zwiebeln und andere Gemüse, Sesam, Rizinus
und Tabak, doch ist die weitere Ausdehnung des Tabakbaus
im Sudan 1904 verboten worden, ebenso wie die Tabak-
ausfuhr nach Ägypten. Auch die Tabakeinfuhr aus anderen
Ländern als Ägypten ist nur unter den gleichen Einfuhrein-
schränkungen wie in Ägypten erlaubt. Rinder, Schafe,
Ziegen und Hühner werden fast überall von den Eingeborenen
gehalten und bilden stellenweise deren einzigen Besitz und
Reichtum. Auch Jagd und Fischfang dienen ihrem Lebens-
unterhalt. Der Handel ist nicht bedeutend, da die Bedürf-
nisse des Volkes nur gering sind, und als Geld dienen
Mariatheresiataler, Salzstangen, Baumwollstoffe, Eisenplatten
und auch Goldstaub.
Die Einwohnerzahl ist, da ein Zensus nie stattgefunden,
natürlich nur schätzungsweise anzugeben, sicher aber ist, daß
sie während des Mahdi-Aufstandes in geradezu entsetzlicher
Weise abgenommen hat; vor Beginn der Derwisch-Herrschaft
nahm man eine Bevölkerung von 8' j Millionen an; davon
sind angeblich 3 200 000 im Kriege gefallen, an Krankheiten
— besonders an den stets grassierenden Pocken — 3^2
Millionen gestorben, und so schätzt man die Gesamtzahl der
Übriggebliebenen jetzt auf 1870000. Man hofft, daß sich
späterhin der Überschuß der ägyptischen Bevölkerung ent-
schließen wird, sich dauernd im Sudan anzusiedeln, während
— 140 —
die Ägypter bislang nur in kleiner Zahl und überwiegend
nur als zeitweilige Arbeiter ins Land gekommen sind. Auch
ist davon die Rede gewesen, Neger aus den Vereinigten
Staaten von Nordamerika, Inder oder Chinesen nach dem
ägyptischen Sudan zu überführen. Die Eingeborenen selbst
sind im Gegensatz zu den fleißigen Ägyptern im allgemeinen
faul, kommen angesichts ihrer geringen Bedürfnisse mit sehr
wenig Arbeit aus und sind deshalb als Mithelfer an der Ent-
wicklung des Sudans einstweilen von geringem Werte. Sehr
wünschenswert wäre es, wenn es durch ein Abkommen mit
Abessinien gelänge, die im Südwesten dieses Reiches
lebende, intelligente Ackerbaubevölkerung der Gallas heran-
zuziehen.
Der Sklavenhandel, der besonders an den Grenzen
Abessiniens und Kordofans betrieben wird, ist dank der von
der neuen Verwaltung ergriffenen Maßnahmen im Abnehmen
begriffen.
Verwaltung. Der ägyptische Sudan steht nominell unter einer ge-
meinsamen englisch-ägyptischen Verwaltung, d. h. der General-
gouverneur, der in Chartum residiert und gleichzeitig Ober-
befehlshaber der Sudan-Truppen ist, ist ein Engländer, z. Z. Sir
Reginald Wingate; ebenso sind die an der Spitze der ein-
zelnen Provinzen stehenden Mudire englische Offiziere; da-
gegen hat Ägypten das Vergnügen, für alle Kosten der Militär-
und Zivilverwaltung aufzukommen, und nur die kleine eng-
lische Besatzung von Chartum in der Stärke von einem
Bataillon wird von England bezahlt. Generalinspektor ist
der wieder in englisch-ägyptische Dienste getretene Sir Rudolf
von Slatin, „resident adviser" des Sultans von Kordofan in
El Obeid Oberst B. T. Mahon.
Administrativ zerfällt das Land in die 11 Provinzen
oder Mudiriehs: Wadi Haifa, Dongola, Berber, Chartum,
Suakin, Kassala, Gesireh, Senaar, Bahr el Ghasal, Kordofan
— 141 —
und obere Nil-Provinz. Jede Mudirieh umfaßt verschiedene
Bezirke oder Mamurias.
Das Heer besteht nur aus 9 ägyptischen, teilweise von
englischen Offizieren befehligten Bataillonen und scheint, wie
eine Meuterei beweist, die Anfang 1901 unter der aus
sudanesischen Bataillonen des ägyptischen Heeres bestehenden
Besatzung Chartums ausbrach, nicht absolut zuverlässig zu
sein; es ist dies um so bedenklicher, als nur während der
günstigen Jahreszeit ein paar Kompanien weißer Truppen
dort stehen, die von April bis September aus Gesundheits-
rücksichten ganz zurückgezogen werden.
Das Rechtswesen ist bislang nur durch einen Justiz-
sekretär und vier englische Zivil-Richter vertreten, sonst steht
das Land im allgemeinen noch unter Kriegsrecht. Zivil- und
Kriminal-Justiz in den einzelnen Provinzen stehen dem Mudir
zu und werden überwiegend nach indischem Muster ausgeübt.
Daneben bestehen auch im Sudan mohammedanische, von
Kadis geleitete Rechtshöfe. Die Landkommission zur
Festsetzung der Grundbesitzrechte hat ihre Arbeiten schon
im Jahre 1900 beendet.
In seinen Finanzen ist der Sudan noch ganz von den Finanzen.
Zuschüssen Ägyptens abhängig, und es wird auch noch ge-
raume Zeit dauern, bis er sich selbst erhalten können wird.
Seine eigenen Einnahmen fließen aus den Tributen der
unterworfenen Völkerstämme, den auf Ausfuhrprodukten,
einer Anzahl von Lebensmitteln, Häusern, Nilbarken und
Dattelpalmen liegenden Steuern, und den in ägyptischen
Häfen erhobenen, aber dem Sudan-Budget gutgeschriebenen
Einfuhrzöllen — etwa 60000 Pfund im Jahre - auf
Waren, die schließlich nach dem Sudan gehen. Den
Steuersätzen auf Ausfuhrprodukte (20 "o) und auf Lebens-
mittel (10" o) wurde die von den Mahdisten geübte Taxieruug
zugrunde gelegt.
— 142 —
Die Abschlüsse für 1902 und 1903 und der Voran-
schlag für 1904 weisen folgende Zahlen auf für die Zivil-
Verwaltung in
1902
1903
1904
in Einnahmen
270
462
469
Tausend Pfund
in Ausgaben
517
618
665
?? 1?
Defizit
247
156
196
« «
Die gesamten von Ägypten zu tragenden Lasten der
Zivil- und Militärverwaltung des Sudans aber beliefen sich
1903 auf 390 000 Pfund, wovon etwa 60 000 Pfund für in
Alexandrien und Suakin eingenommene und das Sudangebiet
betreffende Einfuhr- und Ausfuhrzölle in Abzug zu bringen sind.
Schulen.' Christliche Propaganda unter der mohamme-
danischen Bevölkerung ist durch Kitcheners Zusagen und
Verfügungen ausgeschlossen, und der Vorstoß der Church
Missionary Society um Zulassung ist bislang vergeblich
■ gewesen. Dagegen hat man den Bau einer griechischen
Kirche in Chartum gestattet, und unter den Heiden wirken,
vorläufig mehr informatorisch, eine amerikanische Mission
unter den Schilluks am Sobat und eine österreichische süd-
lich von Faschoda. Neben den bereits 1894 von der
ägyptischen Regierung eingerichteten Schulen in Wadi Haifa
und Suakin existieren Regierungsschulen in Omdurman und
Chartum, welche im Jahre 1902 215 bezw. 115 Schüler
zählten, und deren Unterricht teilweise in englischer Sprache
erfolgt, während die Regierungsschule in Berber nur in
arabischer Sprache lehrt. Eine kleine Handwerkerschule
arbeitet recht erfolgreich in Omdurman, während die von der
Regierung jährlich nur mit 1000 Pfund unterstützten Dorf-
schulen bislang nach jeder Richtung hin ungenügend sind.
Handel. Der Handelsverkehr mit dem Sudan vor dem
Mahdistenaufstand belief sich jährlich auf 2 bis 3 Millionen
E. £., wovon - :i auf die Ausfuhr und ^':! auf die Einfuhr
— 143 —
entfielen, und zwar gingen etwa -'4 der Gesamtausfuhr über
Kairo, ^ 4 über Suakin, während bei der Einfuhr das umge-
kehrte Verhältnis bestand.
Die Ausfuhrprodukte des Sudans sind Gummi, Elfen-
bein, Straußenfedern, Häute, Wolle, Sennesblätter, Kautschuk,
Wachs, Vieh, Tamarinden, Datteln, Durra, Korn, roter Pfeffer,
Ebenholz usw., während in der Einfuhr ganz überwiegend
Baumwollstoffe die erste Rolle spielen, daneben Zucker,
Gewürze, Tabak, Kurzwaren, weiches Schmiedeeisen, Messing-
und Kupferdraht, Baumaterialien, Werkzeuge, emaillierte
Waren, Teekannen und Tassen, Militärspiegel, Rasiermesser,
Schmuckperlen aus Glas, Achat, Onyx, Korallen und Bern-
steinnachahmung, Kerzen, Seife, Parfümerien usw.
Für die Ausfuhr kamen früher jährlich folgende Haupt-
posten in Betracht: 4500 Kantar ä 45 kg Elfenbein, da-
von 3000 vom Bahr el Dschebel, der Rest vom Bahr el
Ghasal und Kordofan; Straußenfedern im Werte von
^ 2 Million Pfund aus Kordofan und auch Dar Für; 200 bis
250 000 Kantar Gummi aus Kordofan, hauptsächlich von
Acacia Verek stammend, daneben auch noch einige andere
Varietäten aus dem Sudan; Kamele, deren Zucht besonders
in den trockenen Gegenden nördlich des 13. Breitengrads
erfolgreich betrieben wird, und Rinder der zahlreichen
Bagarrastämme; Häute von Rindern und wilden Tieren;
Bienenwachs aus Grenzländern gegen Abessinien; Datteln,
von denen besonders die von Berber und Dongola berühmt
sind, und Goldstaub aus Senaar und Dar Für.
Die Handelszahlen von Suakin, welche überwiegend
den Sudan betreffen, waren kurz vor und während der
Wiedereroberung des Sudans die folgenden in
1895 1896 1897 1898
Einfuhr 121 99 79 160 Tausend Pfund
Ausfuhr 83 50 62 38
— 144 —
Um die wucherische Ausbeutung der Sudanesen durch
die Levantiner zu verhindern, wurden Gummi, Straußenfedern,
Elfenbein, Natron und Salpeter vor Beginn des Sudanfeld-
zugs als Staatsmonopole erklärt, und europäischen Kaufleuten
wurde nicht gestattet, über Wadi Haifa hinaus in den Sudan vor-
zudringen; doch sandten die Sudanhändler ihre eingeborenen
Käufer nach Kairo, um sich dort mit Waren zu versorgen.
Nach der Einnahme Omdurmans fand man ein ziem-
liches Chaos vor. Eine 14 jährige Tyrannei und Mißwirt-
schaft hatte die einst blühenden und reichen Länderstrecken
entvölkert und verwüstet; die Städte waren zerstört und ver-
lassen und die spärlichen Überbleibsel der Bevölkerung hatten
unter dem langjährigen Drucke die Energie verloren, durch
Arbeit ihre Lage zu verbessern. Um dem Khalifen die
Möglichkeit abzuschneiden, durch Ausplünderung von Handels-
karawanen seine eigenen Bedürfnisse zu befriedigen, wurde
Kaufleuten aus Ägypten vorerst jeder Handelsverkehr mit
den Gebieten westlich von Chartum untersagt und eine Aus-
nahme nur zugunsten eines Sudanerforschungs - Syndikats
gemacht, das sich Anfang 1899 in Kairo mit einem Kapital
von 20 000 Pfund gebildet hatte. Auch in London gründete
man nach der Wiedereroberung des Sudans mit sehr hoch-
gespannten Erwartungen und Hoffnungen auf die handels-
politische und wirtschaftliche Neugestaltung dieses lange ver-
schlossenen Gebiets ein „London and Soudan Development
Syndicate", dessen Erfahrungen jedoch durchaus negativer
Art waren. Die reichen Bestände von Elfenbein, Gummi
und Straußenfedern, die man in Omdurman zu finden gehofft
hatte, waren nicht vorhanden, und da die Nachfrage nach
Kordofan-Gummi und Straußenfedern infolge des, Ersatzes
des ersteren durch Senegalgummi und der anderen durch
Entstehung von Straußenfarmen am Kap und in Ägypten viel
geringer geworden war, der Elfenbeinhandel aber während der
- 145 —
mahdistischen Unruhen seinen Weg über Lado durch den
Kongostaat nach dem Atlantischen Ozean genommen hat,
so war auch für die nächste Zukunft keine große Besserung
zu erwarten. Die Aufnahmefähigkeit und Produktion des
Sudans sind auch gegenwärtig noch und wohl für längere Zeit
sehr unbedeutend.
Ende 1899 erfolgte die Eröffnung des Sudans für den
freien Handel und Verkehr, und es bildeten sich mehrere
kapitalkräftige englische Gesellschaften zur wirtschaftlichen
und besonders bergmännischen Ausbeutung des Landes, wie
die Victoria Investment Corporation, die Soudan Development
Exploration Company und das bereits genannte London and
Soudan Development Syndicate; auch sind jetzt fast in jeder
Stadt griechische Händler etabliert, aber der Aufschwung ist
doch ein sehr langsamer; die Aussichten für Kolonisten sind
noch keineswegs günstig, und so werden denn seit I.Juni
1902 nur noch solche Fremde im Sudan zugelassen, welche
sich auf Grund einer Konsularempfehlung bei den Agenten
der Sudan-Regierung in Kairo, Wadi Haifa oder Suakin einen
Reisepaß besorgen. In den ersten 7 Monaten nach diesem
Erlaß gingen von Wadi Haifa nur 240 Personen nach dem
Süden, meist nach Chartum, darunter 175 Griechen, 43
Levantiner und 16 Italiener. Im Frühjahr 1904 hat man die
Paßvorschriften für den Sudan dahin weiter verschärft, daß
die Regierung sich das Recht vorbehält, mittellosen oder
unliebsamen Fremden, wenn sie keinen Paß besitzen, den
Eintritt in ihr Gebiet zu verweigern, oder, wenn sie sich
schon im Lande befinden, sie auszuweisen.
Der Warenvertrieb erfolgt durch eingeborene Kleinhändler
und wandernde Krämer, und die Gewährung längerer Kredite
ist auch im Sudan unerläßlich.
Die Ausfuhr des wichtigsten Sudan - Produkts, des
Gummis, hat bereits wieder ihre frühere Höhe erreicht; sie
Schanz, Ägypten. ]()
— 146 —
betrug 1881 1899 1900 1901 1902
150 42 61 171 220 Tausend Kantars
und der Wert der Hauptausfuhrwaren in 1902 betrug für
Gummi 230000, Elfenbein 30400, Straußenfedern 20600 und
Bienenwachs 11300 Pfund. Laut Dekret vom I.Mai 1903
sind Kautschuk und Guttapercha, mit Ausnahme von
Kordofan, im ganzen ägyptischen Sudan, Elfenbein im Bahr
el Ghasal und im Faschoda-Bezirk Regierungsmonopol. Auch
der Gummihandel von Kordofan liegt meist in den Händen
griechischer Kaufleute, die den Artikel, in Mattenballen ver-
packt, zunächst auf Kamelen nach El Duem und von da zu
Schiff nach Omdurman schicken, wo die Regierungskontrolle
und Versteuerung stattfindet. Unter den Waren - Einfuhr-
händlern des Sudans sind alle möglichen Nationen vertreten,
nur keine Engländer, dagegen sind die Konzessionsgesell-
schaften sämtlich englisch.
Bergbau. Auch die Schürferlaubuissc, die in ziemlicher Zahl erteilt
wurden, sind alle an Engländer vergeben, und Überraschungen
auf geologischem Gebiet sind nicht ausgeschlossen. Der
schon von Herodot erwähnte Metallreichtum ist von Slatin
bestätigt und auf seine Veranlassung hin eine Gesellschaft
gegründet worden, um die Nuba-Berge im Süden von Kordofan
und die Abhänge des abessinischen Berglands am oberen
Blauen Nil zu untersuchen. Bei Abu Haras und bei
Rosaires am Blauen Nil sollen 1902 größere Kohlenlager
entdeckt worden sein, ein dünnes Flöz 1903 auch bei
Dongola, Funde, die gegenüber dem • bisherigen Mangel an
Brennstoffen für die Entwicklung des Sudans recht wesentlich
werden könnten: kostete die Tonne englischer Kohlen 1902
in Chartum doch 120 Mark.
Baumwollbau. Ejpe besondere Beachtung hat man, angesichts des
immer mehr zutage tretenden Mangels an Baumwolle im
Weltmarkt, auch im Sudan diesem Produkt zugewandt, und
— 147 —
man glaubt, hier große, für diese Kultur geeignete Gebiete
zu besitzen. Bereits 1899 verteilte Kitchener Baumwollsaat
in Berber und Chartum, und die Regierung hat eine Versuchs-
farm in Schendi angelegt, die sehr befriedigende Resultate
ergab; freilich ist vor Schaffung billiger und leistungsfähiger
Transportmittel nicht an eine größere Anpflanzung für Aus-
fuhrzwecke zu denken. Berichte aus Suakin melden, daß in
den Jahren 1902 und 1903 23 000 Feddan mit Baumwolle
aus bester ägyptischer Saat bestellt waren und der Ertrag
trotz primitiver, unvollkommener Kultur auf den Feddan
11 Kantar roher -- 3 bis 3^4 Kantar entkernter Baumwolle
ergab. Nach der Eindeichung des Khor Barraka und mit
Benutzung des Gasch-Flusses hofft man, zwischen Tokar und
Kassala 2 Millionen Feddan sehr fruchtbaren Landes, welche
die Regierung zu 20—50 Piaster für den Feddan verpachtet,
für Baumwollkultur gewinnen zu können. Neuere Berichte
sprechen sich allerdings wegen der Unsicherheit der Wasser-
verhältnisse sehr skeptisch betreffs der Anbaufähigkeit der
Tokar-Ebene aus und empfehlen jedenfalls sehr eingehende
Vorstudien, ehe man irgendwie nennenswerte Summen dort
investiert. Dagegen glaubt man, mit Hülfe von Nil-Bewässerung
zunächst im Berber-Distrikt Baumwollkultur erfolgreich betrei-
ben zu können und sodann vielleicht auch in einigen anderen
Teilen des Sudans ohne Inanspruchnahme des Nilwassers, nur
auf Grund entsprechenden Regenfalls, z. B. im Bahr el Ghasal-
Gebiet. Der amerikanische Kapitalist Leigh Hunt hat eine
Konzession zur Anlage von Baumwollpflanzungen zwischen
Nil und Atbara erlangt und 1904 begonnen, dieselbe mit
Hülfe schwarzer Baumwollpflanzer aus Carolina und Louisiana
in Angriff zu nehmen. Ein 1904 mit dem bekannten Alfred
Beit an der Spitze gebildetes Syndikat mit vorläufig 80000
Pfund Kapital beabsichtigt gleichfalls die Pflege des Baum-
wollbaus im Sudan.
10»
— 148 —
Verkehr. [)jg landesüblichen Verkehrsmittel sind zu Wasser meist
unbequeme Holzbarken mit zwei Masten und lateinischen Se-
geln, auf dem Lande Kamele und Esel. Eine recht strapaziöse
Karawanenstraße schneidet den westlichen Nilbogen von
Korosko nach Abu Hammed, eine andere den östlichen Bogen
von Ed Debbeh nach Omdurman ab, und eine wichtige
Straße führt von Suakin nach Berber. Man bestrebt sich,
die Karawanenwege zu verbessern und Brunnen an ihnen
anzulegen, aber dieses ganze Verkehrswesen bleibt natürlich
überaus mangelhaft, und so konnte es z. B. kommen, daß
1898 in Gedaref Getreide in Überfluß vorhanden war, während
in Omdurman Hungersnotpreise herrschten.
Nach der Besitzergreifung des Sudans nahm denn auch
die englisch-ägyptische Verwaltung sofort die Verbesserung
des Verkehrswesens in die Hand, borgte aus den Reserve-
fonds der Staatsschuldenkasse in Kairo 300000 Pfund zum
Ausbau der Eisenbahn von Atbara, dem Endpunkt der
während des Sudanfeldzugs hergestellten Militärbahn, nach
Chartum und konnte diese 300 km lange Linie im Januar
1900 dem Verkehr übergeben. Dagegen ließ man den Plan,
diese Bahn über Chartum nach Faschoda fortzusetzen, fallen,
wegen der ungeheuren Schwierigkeiten des Geländes und
der während des ganzen Jahres vorhandenen Möglichkeit der
Schiffahrt, welche den vorläufigen Bedürfnissen völlig genügt.
Der Eisenbahnbau im Sudan hat an und für sich zwar ein
weiteres natürliches Feld als in Egypten, wird aber wegen
der dünnen Bevölkerung und aus finanziellen Gründen nur
recht langsam vorangehen können.
Der Verkehr mit dem Sudan spielt sich nun folgender-
maßen ab. Die 900 km lange Eisenbahnstrecke von Kairo
nach Schellal-Philä oberhalb des ersten Katarakts wird in
23 Stunden zurückgelegt. Der Verkehr zwischen Schellal
und Wadi Haifa (344 km) ist vorläufig noch auf Dampf-
— 149 —
Schiffahrt beschränkt, wenn auch der Bahnbau geplant ist,
und zwar verkehren auf dieser Strecke wöchentlich zwei
Postdampfer in 2—3 Tagen. In Wadi Haifa beginnt die 925
km lange Sudan-Militärbahn, welche wöchentlich 3 Güterzüge
und während der Touristenzeit 2 Luxuszüge nach dem,
Chartum gegenüber am Nordufer des Blauen Nils liegenden
Halfaia expediert; die Bahn geht zunächst durch die Nubische
Wüste nach Abu Hammed und von da aus aufwärts am rechten
Ufer des fruchtbaren Niltales. Wenngleich der Verkehr auf
dieser Bahn im Zunehmen begriffen ist und im Jahre 1903
auch zum ersten Male die Export-Mengen die Import-Mengen
überstiegen, so werden Güter und Passagiere bislang doch
noch immer unter Selbstkosten befördert. Man geht dabei
von dem Gedanken aus, die Entwicklung des Landes zu
erleichtern, dürfte dies System nach Fertigstellung der Bahn
Berber Suakin aber kaum weiter aufrechterhalten.
Der Post-Dampferdienst auf dem oberen Nil ist folgender-
maßen organisiert. Die Hauptlinie bildet die 1750 km lange
Strecke Chartum — Gondokoro, welche mit allen Zwischen-
häfen monatlich einmal angelaufen wird, wobei in Kanisseh
Umladung von den größeren in kleinere Dampfer und vom
Endpunkt aus Anschluß nach dem Victoria Nyanza und der
Uganda-Bahn erfolgt. Die Strecke Chartum Gondokoro
wird flußaufwärts in 14, flußabwärts in 12 Tagen befahren;
der Verkehr mit Faschoda ist aber noch sehr unbedeutend.
Für den Bahr el Ghasal besteht von Faschoda ab eine
Zweiglinie mit monatlichem Postdienst bis Meschra-er-Rek
am Einfluß des Dschur, und diesen aufwärts bis Wau. Der
Güterverkehr umfaßt hauptsächlich Einfuhrwaren vom
Norden, besonders Baumwollstoffe, Zucker und Tabak,
während die Ausfuhrwaren, außer etwas Elfenbein, bislang
hauptsächlich aus Kordofan und Darfur über die aufblühende
Station Duem am Weißen Nile kommen. Die Reisenden
— 150 —
hier sind überwiegend ägyptische Beamte und Angestellte des
Kongostaats und Ugandas, da für diese der Nil die schnellste
Verbindung mit Europa bietet.
Auch der Blaue Nil ist vom Juli bis Dezember für
Dampfer schiffbar, und zwar ist alsdann die Postverbindung
bis Abu Haras wöchentlich, Htägig bis Rosaires, wo der
Anschluß zu Land nach Abessinien erfolgt; während des
niedrigen Nilstandes befördern Segelboote einmal monatlich
Reisende und Postpakete, während Briefe alsdann durch
Kamelpost gesandt werden. Das Hauptfrachtgut des Blauen
Nils bildet Getreide, das von den Eingeborenen in Barken
stromab gebracht wird, und um diese einheimische Schiffahrt
nicht zu vernichten, befördern die Regierungsdampfer nur das
als Naturalsteuer gelieferte Getreide zu Tal, wo es für die
Truppen verwandt wird. Außer den Regierungsdampfern ver-
kehren auf dem Weißen Nil bis Lado hinauf, auf dem
Blauen Nil und auf dem So bat auch noch eine Anzahl Dampfer
und Barkassen der Soudan Development and Exploration
Co., welche für diesen Dienst eine Zinsgarantie von 3'^,,
seitens der Regierung genießt, und im Jahre 1903 haben
einige Segelbarken auch auf dem Sobat bis Itang hinauf den
Handelsverkehr mit Abessinien eröffnet. Dieser Schiffsbetrieb
der Soudan Development Co. wurde 1903 von der New
Egyptian Co. übernommen.
Von Chartum nordwärts bis zum sechsten Katarakt
ist so gut wie gar kein Schiffsverkehr; doch sind stets
Kanonenboote bereit, um im Falle einer Unterbrechung des
Bahnbetriebs die Verbindung aufrecht zu erhalten. Auch
von Dongola stromab ist der Frachtverkehr außer in
Datteln und Getreide gering; übrigens besteht zwischen Kerma
bei Dongola und Wadi Haifa auch eine Eisenbahn, die s. Z.
aus strategischen Gründen schnell und schlecht gebaut wurde,
ungenügend unterhalten und in ihrem Betrieb so verlust-
— 151 —
bringend ist, daß man ihr gänzliches Aufgeben ins Auge ge-
faßt hat. Dagegen wird möghcherweise später eine Bahn
zwischen Dongola und Abu Hammed dem rechten Nilufer
entlang gebaut werden.
Um dem Sudan eine schnellere, bequemere und leistungs-
fähigere Verbindung mit der Außenwelt zu schaffen, hatte
man von Anfang an den Bau einer Bahn zwischen dem Nil-
tal und dem Roten Meere in Aussicht genommen, aber man
schwankte lange zwischen verschiedenen Linien. Die kürzeste
Strecke Berber— Suakin hatte den Übelstand gegen sich, daß
sie nur auf dem kleinen Teile den Atbara entlang durch
einigermaßen entwicklungsfähige, sonst aber durch wüste
Gegenden führen würde; man schlug deshalb eine andere
Bahn vor, welche von Chartum dem Blauen Nil entlang über
Abu Haras (226 km), Gedaref und Kassala führen sollte, und
ein Vermittlungsvorschlag sprach von einer Linie Chartum—
Berber— Suakin. Nach Vermessung der verschiedenen
Strecken hat man sich Ende 1903 aber doch definitiv für
die kürzeste Strecke Berber -Suakin entschieden, und diese
soll im Herbst 1904 in Angriff und nach 3 Jahren in
Betrieb genommen werden. Für den Bau der 547 km
langen Bahn sollen den angesammelten ägyptischen Reserve-
fonds 1 770000 Pfund entnommen werden. Die Bahn hat
von Suakin aus ein etwa 1000 m hohes Plateau zu über-
schreiten, trifft bei der Atbara-Brücke auf die sudanesische
Nord-Südbahn und wird als Hauptschwierigkeit während des
Baus mit dem fast vollständigen Mangel natürlicher Wasser-
zufuhr fast längs der ganzen Linie zu rechnen haben.
Man hat allerdings vom rein ägyptischen Standpunkt
aus den Einwand erhoben, daß der Bau dieser Bahn Ägypten
eines Durchgangshandels berauben werde, der in der Zukunft
eine große Bedeutung erhalten könnte. .Aber es ist meist
unerwünscht und auf die Dauer undurchführbar, den Handel
— 152 —
in unnatürliche Kanäle zu drängen, und die natürlichen Ein-
gangspforten für den Sudan sind eben die Häfen des Roten
Meeres. Im übrigen ist der Bahnbau aber auch insofern im
ägyptischen Interesse, als er wesentlich dazu helfen wird,
den Sudan finanziell selbständig zu machen; wünscht Ägypten
von der Last, die es für den Sudan zu tragen hat, befreit
zu sein, so muß es diesem Gebiet mit allen zustehenden
Mitteln eine wirtschaftliche Entwicklung sichern. Die Bahn
aber wird einen jetzt gar nicht existierenden und überhaupt
bislang unmöglichen Handel schaffen und die Anlage von
großen Ausfuhrkulturen, besonders in Baumwolle, erlauben.
Im Einfuhrgeschäft wird die neue Bahn in erster Linie eine
Erhebung des Handelsverkehrs mit Indien bedeuten, da diesem
ein näherer und billigerer Weg nach dem Sudan zur Ver-
fügung stehen wird, als den europäischen Produzenten, die
auf die Benutzung der teuren Kanalstraße von Sues ange-
wiesen sind.
Nach Fertigstellung der Linie Berber — Suakin sind nach
Lord Cromers Ansicht zunächst folgende weitere drei Bahnen
nötig: Eine solche von Chartum den Blauen Nil aufwärts
bis mindestens nach Wad Medani; ferner eine solche von
Dongola nach Abu Hammed; und schließlich, aus strategischen
wie aus wirtschaftlichen Gründen, eine Bahn von El Obeid
in Kordofan zum Nil. Dagegen werden die großen tech-
nischen Schwierigkeiten eines Bahnbaus zwischen dem Sudan
und Uganda ein solches Unternehmen wohl noch für lange Zeit
zurückstellen, obgleich Menelik in dem Vertrag vom 15. Mai
1902 den eventuellen Bau durch abessinisches Gebiet hin-
durch zugestanden hat.
Übrigens eignet sich das Land vielfach sehr gut für
Motorwagen, und es sind mit solchen bereits Versuche im
Gange, nachdem die Belgier schon früher einen Automobil-
Dienst von Lado aus eingerichtet haben; man hat einen
— 153 —
regelmäßigen Betrieb mit Automobilen zwischen dem Weißen
Nil und Obeid und zwischen dem Blauen Nil und Senaar
vorgeschlagen.
Post und Telegraph arbeiten natürlich noch mit De-
fizit im Jahre 1903 5000 Pfund — doch stehen bereits
alle Hauptorte und mehrere kleinere des ägyptischen Sudans
mit Chartum in telegraphischer Verbindung, der Draht -
hin und wieder durch Elefanten und Giraffen unterbrochen —
reicht bis Galabat am Atbara, Rosaires am Blauen Nil und
Taufikieh am Zusammenfluß von Sobat und Weißem Nil und
wird z. Z. nach Ghaba Schambi und nach Wau weiter-
geführt; auch Suakin ist mit Berber, wie mit Kassala ver-
bunden. Versuche mit drahtloser Telegraphie zwischen Wadi
Haifa und Chartum sind so erfolgreich gewesen, daß man sie
1901 südlich von Chartum fortsetzte und schließlich so mit
Uganda in Verbindung zu treten hofft; auch die Dampfer
des oberen Nils erhielten entsprechende Apparate.
Der regelmäßige Postdienst zwischen Chartum und
Kairo beansprucht nur noch 3 Tage und 21 Stunden.
Werfen wir zum Schlüsse einen Blick auf die Haupt- Hauptorte und
"^ Provinzen.
orte und einzelnen Provinzen. Des Landes Hauptstadt, das
inmitten einer kahlen Ebene am südlichen Ufer des Blauen
Nils und an dessen Zusammenfluß mit dem Weißen Nil belegene
Chartum hatte sich aus dem von den Generalen Mo-
hammed Alis 1820 hier aufgeschlagenen Lager entwickelt,
um das sich die Eingeborenen des Handels wegen bald an-
siedelten, und nach dem Sturze von Schendi vereinigte sich
hier der ganze Handel des Ostsudans in Elfenbein, Straußen-
federn, Gummi und Sklaven nach dem Roten Meere und
nach Kairo. Unter Ismail wurde Chartum Hauptstadt des
Sudans und Sitz des Generalgouverneurs, von den Mahdisten
aber Anfang 1885 in Trümmer gelegt und durch das auf
— 154 —
dem linken Ufer des Weißen Nils, Chartum gegenüber ge-
legene Omdurman ersetzt, welches erst 1883/4 als Heer-
lager des Mahdi entstanden war und sich nun zu einer Stadt
mit über 100000 Einwohnern entwickelte. 1898 erstand nach
der furchtbaren Niederlage der Derwische aber auch Char-
tum wieder aus seinen Trümmern, und die neue Stadt, welche
die doppelte Fläche der alten bedeckt, weist eine Reihe statt-
licher Bauten in europäisch-indischem Stile auf, darunter den
Palast des Generalgouverneurs, Regierungsgebäude, das Gor-
don-Memorial College, ein Hospital, zwei Banken und zwei
Hotels. Das zu Gordons Gedächtnis erbaute und im No-
vember 1902 von Kitchener eingeweihte College soll der
höheren Erziehung von Eingeborenen dienen, und zwar sind
als Zöglinge in erster Linie die Söhne der wohlhabenden
Familien des Landes und der früheren selbständigen Fürsten
in Aussicht genommen, welche bislang die Erziehung ihrer
Kinder zum Teil in auswärtigen Schulen vollenden lassen.
Chartum gegenüber, auf der rechten Seite des Blauen Nils,
liegt Halfaia mit der Eisenbahnstation, Magazinen und Ka-
sernen. Das Hauptzentrum des Handels ist noch Om-
durman, wo besonders Griechen, daneben auch Syrier,
Armenier und Juden den ganzen Handel in den Händen
haben. Die Gesamtbevölkerung der Provinz Chartum be-
trägt heute nur 90000 Köpfe.
Von den Städten des Niltals zwischen Chartum und der
ägyptischen Grenze, dessen zahlreiche Ruinen aus dem Zeit-
alter der altägyptischen Könige, der Ptolemäer und der rö-
mischen Imperatoren die hohe Kultur im Altertum beweisen,
sind die ansehnlichsten heute Wadi Haifa, Neu-Dongola
und Berber, im allgemeinen bestehen die „Städte" meist
aus ärmlichen Lehmhäusern mit platten Strohdächern, und
weisen zahlreiche, von Griechen und Juden gehaltene Brannt-
weinschänken auf.
— 155 —
Die nördlichste Provinz Wadi Haifa zählt nur 30000
Einwohner und ist in geordneten Verhältnissen, leidet aber
darunter, daß viele ihrer jüngeren Männer sich als Diener,
Torhüter und Dragomane nach Ägypten verdingen, wo sie
leicht bequemen Verdienst finden.
Die Provinz Dongola mit einer Kulturfläche von
320 qkm und einer Bevölkerung von 110000 Seelen ist eins
der fruchtbarsten Gebiete des nördlichen Sudans und weist
besonders eine starke Dattelausfuhr auf. Da die Eingebo-
renen auch Neigung für Ackerbau zeigen, so lieferte ihnen
die Regierung die nötigen Geräte und beauftragte ackerbau-
kundige Soldaten mit der Unterweisung der Leute, wodurch
sich die Provinzeinkünfte bereits wesentlich gehoben haben.
Die Hauptstadt Neu-Dongola zählt 10000 Einwohner.
Die Provinz Berber ist zum großen Teil nicht kultur-
fähig, auch sind die etwa 100000 Bewohner vielfach arbeits-
scheu, nur während der Regenzeit zur Arbeit geneigt und
daher auch meist sehr arm; aber auch hier sind in der Letzt-
zeit Fortschritte zu verzeichnen gewesen. Die Hauptstadt
Berber zählt 10000, Schendi, die früher blühende Handels-
stadt des Fundsch-Reiches, heute 6000 Einwohner, und in
der Nachbarschaft des letzteren Orts hat die Regierung mit
Baumwoll-Anbauversuchen begonnen.
Die 10000 Seelen zählende Bevölkerung des Hafen-
platzes Suakin war während der Mahdisten-Unruhen gegen
früher sehr verarmt, doch hat der jetzt in Angriff genom-
mene Bahnbau wieder einen nennenswerten Aufschwung mit
sich gebracht und für Hafenverbesserungen und Wasser-
kondensieranlagen — Vorarbeiten des Bahnbaus wurden
hier bereits im Jahre 1903 64000 Pfund ausgegeben. Ganz
neuerdings hat man übrigens ausgefunden, daß das nördlich
von Suakin gelegene Schech Barghut als Hafen wohl
noch bessere Vorbedingungen biete. Die in der Nach-
— 156 —
barschaft Suakins nomadisierenden Araber zählen 50000
Köpfe.
Die Provinz Senaar am Blauen Nil, die Kornkammer
des Sudans, erstreckt sich bis zur Grenze Abessiniens und
ist bei regenreichem Klima sehr fruchtbar, zu Baumwollbau
geeignet und streckenweise mit wertvollen, dichten Wal-
dungen bedeckt, allerdings auch sehr ungesund. Gebaut
wird besonders Mais, daneben Hirse, Kaffee und bei
Wad Medani Baumwolle. Die 150000 Köpfe starke Bevöl-
kerung hat ausgesprochenen Hang zu kriegerischen Unter-
nehmungen.
Die Provinz Kassala mit 80000 Einwohnern umfaßt
die wichtigen Zentren von Gedaref und Gallabat, ist frucht-
bar und treibt auch lebhaften Handel, doch mußten der ver-
armten Bevölkerung zunächst Vorschüsse gemacht werden,
damit sie die Kulturen fortsetzen konnte. Der Bezirk besitzt
weite und fruchtbare, zur Baumwollkultur vorzüglich geeig-
nete Ebenen, denen nur regelmäßige Bewässerung fehlt. Man
hat zu diesem Zwecke bereits die Anlage eines Reservoirs
für die Wasser des Gasch an der Stelle geplant, wo er seine
Delta-Bildung beginnt. Dieser in den nordwestlichen Bergen
Abessiniens entspringende und 9 Monate im Jahre trocken
liegende Fluß fließt nur vom Juli bis September, bewässert
die Ebene von Kassala, verbreitet sich dort über das Land
und verliert sich schließlich nach Norden zu im Sande; den
Atbara erreicht er, wenn überhaupt, wohl nur in besonders
regenreichen Jahren. Seine künstliche Aufstauung nach
Garstins Plan würde ^2 Million Pfund kosten und etwa
100000 Acres Kulturland schaffen. In Kassala werden die
Zölle für die aus Abessinien kommenden Waren erhoben,
ebenso für diejenigen aus Massaua, welche allerdings seit
Eintritt normaler Zeiten zugunsten Suakins sehr zurück-
gegangen sind.
— 157 —
Die Provinz Qesireh, früher Ei Gesireli es Senaar
genannt, umfaßt den nördlichen Teil des zwischen dem Blauen
und Weißen Nil gelegenen Landes, zählt 150000 Einwohner
und scheint sich regelmäßig zu entwickeln. Verwaltungssitz
und der bedeutendste Platz am Strome ist das etwa 20000
Einwohner zählende und 237 km von Chartum entfernte
Wad Medani, der zweitwichtigste Ort Rufaa, 187 km von
Chartum flußaufwärts am Blauen Nil.
Die Provinz des Oberen Nils mit der jetzt Kodok,
früher Fascho da genannten Hauptstadt dehnt sich am Weißen
Nil bis zur Südgrenze gegen Uganda aus, wird von zahl-
reichen Negerstämmen bewohnt, deren gesamte Kopfzahl
man auf 150000 schätzt und ist reich an Vieh. An Stelle des
früher alleinigen Tauschmittels der Eisenstücke tritt auch
hier schon mehr und mehr das Geld. Der südlichste Sudan-
posten am Nil ist Mongalla, 42 km nördlich von der äußeren
Uganda-Station Gondokoro gelegen.
Die gut bewässerte und an Kautschukpflanzen reiche,
aber ungesunde Provinz Bahr el Ghasal zählt etwa 400000
Einwohner, und ihre Hauptplätze sind der Verwaltungssitz
Wau, sodann Meschra er Rek und am Nil Ghaba Schambi,
Stationen sollen aber auch in Dem Ibris und Dem Siber
längs der Dar Fur-Grenze und später weiter nördlich in Liffi
unä in Hofrat en Nahaß, in dessen Nähe sich Kupfer-
gruben befinden, errichtet werden, im Südosten verfügen
die Niam-Niam-Häuptlinge Tambura und Yambio noch über
gut disziplinierte Heere, doch haben auch diese Herr-
scher neuerdings den Schutz der Sudan-Regierung nach-
gesucht.
Die Provinz Kordofan mit der Hauptstadt El Obeid
zählt etwa 550000 Einwohner, darunter ein Drittel Nomaden,
und hatte in verschiedenen Distrikten auch in den letzten
— 158 —
Jahren noch Unruhen aufzuweisen, welche durch das reorga-
nisierte ägyptische Kamelkorps niedergehalten werden sollen.
Auch inzwischen schon haben Bevölkerung und Gummi-
handel seit der Niederwerfung der Mahdisten wesentlich zu-
genommen.
Die Beziehungen der Sudan-Verwaltung zu dem Sultan
Ali Dinar von Dar Für sind andauernd freundliche.
So herrscht in dem Ägyptischen Sudan nunmehr im
allgemeinen überall Ruhe, und die Bewohner bemühen
sich offenbar, sich in die neuen Verhältnisse einzuleben,
aber es fehlt an Mitteln und Menschen, und vor allen
Dingen erfordert das Land zunächst größere Kapital-
anlagen, um die bislang so ungenügenden Verkehrsverhältnisse
zu bessern.
Für Englands großzügige und weitsichtige Kolonial-
politik aber bietet der Besitz des Sudans besonders folgende
drei Vorteile. Erstens bildet das Land ein wichtiges Glied
in der angestrebten, ununterbrochenen Landverbindung zwi-
schen Kap und Kairo unter britischer Flagge; zweitens han-
delt es sich dabei um die wassertechnische Herrschaft über
den Nil und dessen Regulierung durch die Entfernung der
berüchtigten Grasbarren und die Aufführung von Stauwerken,
welche der Förderung und Ausdehnung der ägyptischen Land-
wirtschaft dienen sollen; und drittens galt es endlich, durch
die Okkupation des ägyptischen Hinterlands einen festeren
Halt über das Protektoratsland Ägypten selbst zu bekommen.
Außerdem bildet die Nillinie in Verbindung mit der Uganda-
Bahn einen eventuellen Ersatz für den Sueskanal, dessen
Schließungsmöglichkeit von den Briten nicht außer acht ge-
lassen wird.
— 15Q —
Im Jahre 1884 schrieb Gordon: „Der Sudan ist eine
nutzlose Besitzung, war es immer und wird es immer bleiben."
Heute sieht man die Zukunft des Landes bereits etwas we-
niger trübe an.
Hauptsächlich benutzte Quellen
Lord Cromers reports on Egypt and Soudan.
Helmolt's Weltgeschichte.
A. von Fircks: Ägypten.
Theodor N'eumann: Das moderne Ägypten.
Handelsberichte des Reichsamts des Innern.
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CT Schanz, Moritz
190 /ilgerien, Tunesien,
S3 Tripolitenien