GESCHICHTE DES DRAMAS.
GESCHICHTE
DES
DRAM AS
VON
J. L. KLEIN.
Das spanische Drama.
DEITTEß BAND.
LEIPZIG,
T. 0. W E I G E L.
1874.
GESCHICHTE
DES SPANISCHEN
D 11 A M AS
VON
J. L. KLEIN.
DÄITTEE BAND.
LEIPZIG,
T. 0. W E I G E L.
1874.
Der Autor behält sich das Recht der Uebersetzung vor.
Inhalt
des zehnten Bandes.
Seite
Lope de Vega (Fortsetzung) 1-— 529
Die Dramatiker aus Lope's Schule 540 — 733
Das spanische Drama am Ende des 16. und in
der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts.
Lope's „König Wamba". i)
Den Westgothenkönig Eegisvind (Eecevinth), den eifer-
vollen Verfechter des römisch-katholischen Dogma's und der ortho-
doxen Kirche in Spanien 2), und Ausrotter des „Pelagianer Un-
krauts", stellt die erste Scene in Lope's Vamba-Schauspiel voran.
Hochfreudig in seiner frommen Eifergluth preist König Eegis-
vind, umgeben von seinen gothischen Fürsten, Gott den Herrn,
der den Patriarchen von Toledo, dengrossen Ildefonso, herabge-
sandt, „vor dessen Wissenschaft und Priesterstimme die Ketzerei
des Manrique das Volk nicht blendet." ^) In gottseliger Entzückung
vernimmt der König von Fürst Atanagild das Wunderereig-
niss, das sich im Gotteshause um Mitternacht begeben; Aus
einer Glorie von Heiligen und Engeln überreichte die Himmels-
königin Maria dem Erzbischof Ildefonso ein Messgewand. 4)
Die erste Scene verschwindet hierauf, auch sie wie eine Wolken-
1) Vgl. IX. S. 639. - 2) Gesch. d. Dram. Vni. S. 43 ff.
3) sacando por su sciencia y sacro ruego
estos hereges de su error tan ciego.
4) — „Nimm hin, Ildefons,
Den wohlverdienten Lohn, den ich dir biete.
Und wie die Herrliche dies Wort gesprochen,
Erhob sich wieder untern lautem Chor
Der Himmelssohn und sehwand gen Himmel.**
Nach Moritz Eapp's (Bibl ausl. Klassik. 88. Hildburghausen bibliogr. In-
stitut 1869) Umdeutschung der span. Redondille in den Elfsylbler der
uralten hinkenden Jambe, alternis" aptum sermonibus et natum rebus
agendis, als den diesen Vers der Römer, nicht aber der Spanier preist.
Rapp's Jambe hinkt oft auf beiden Seiten.
Diziendo toma Hefonso
El justo y devido premio
X. 1
2 Das spanische Drama.
erscheinuiig mit König und Fürsten, bis auf Fürst Herwig
(Erwig, Ervicio), den wir als giftbrütende Königsbusenschlange
kennen i) und dessen Abgangsmonolog mit den entsprechenden
Schlussversen wir daher durchaus für charaktergemäss halten
dürfen. 2)
Das Kehrbild zur ersten ist die zweite Scene, die uns den
annoch in seinem Ackergrase keimenden König Vamba mit sei-
nem Weibe, Sancha, im „Bauernhof" vorführt. Die Bäuerin
stellt ihrem Bauersmann einen schmackhaften Fleischtopf in
nächste Aussicht, textgetreu nach der Romanze. ^) Vamba, der
König in herbis, schAvatzt aber schon in diesem Kraut aus der
Schule % sich im Voraus unbewussterweise Lügen strafend. Seine
Bäuerin Sancha hört schon pfiffiger das Gras wachsen^); ge-
de lo bien, que me has servido,
y del favor que me has hecho . . .
ßolviose hiego Maria
A subir al cielo eterno . . .
1) Gesch. d. Dram. a. a. 0.
2) — „Die Welt läuft rund wie eine Kugel
Und gleich dem Glück auch diese spanische Krone;
Sollte sie mir einst vor die Füsse rollen,
Nicht säum' ich, beide Fersen drauf zu setzen."
Mas es como bola el mundo,
y assi no puede parar.
Pero Corona espanola
si una vez os veo sola
por que no podais correr
yo OS prometo de poner
los dos pies sobre la bola.
3) Venid ya, Vamba, a comer. a. a. 0. Nr. 578.
4) „Die Einsamkeit und ein bescheidnes Haus
Zieh ich Palästen aller Kön'ge vor" ...
Mas precio mi soledad
y mi casa derribada
que los palacios famosos
de los Eeyes sumptuosos.
5) Sancha. Schwatz doch nicht so! Hat denn ein König Noth?
So redet doch kein Bauer von Verstand."
Calla no digais aquesso
^el Eey trabajos tendra?
^,Tal dize un hombre de seso?
Unfindbare Exposition. 3
lüstet aber für's erste nur nach der „neuen Haube", die sie auf
Sanct Johann möchte, für den Fall, dass ihr Mann Vamba, bei
der anstehenden Alcaldenwahl, zum Alcalden gewählt würde und
sie Frau Alcaldin hiesse. Vamba schwatzt weiter im Königs-
kraut aus der Schule, wie Hoffmann's „Rüben"- und Weissflog's
„Zwiebelkönig", sich abermals, bezüglich des Alcalden in herba,
Lügen strafend. ^) Die Scene , naiv und schalkhaft , trefflich im
idyllischen Ton, wie Lope's ähnliche Scenen überall; nur scheint
sie uns, als Expositionskehrbild zur ersten Scene, nicht im fol-
gefesten Anschluss an diese das Drama einzuleiten; mehr in
lockerem, romanzenartigem Hintereinander, als in wechselweiser
Beziehung eine auf die andere vor- und zurückdeutend, worin
doch eigentlich die dramatische Scenenfolge, Verflechtung und
Verzahnung besteht. Nun kommt gar die 3. Scene, die den
König ßegisvind als inzwischen „unvermuthet" verstorben an-
kündigt. 2) Mit einem König, der gleich nach der ersten Scene
eines plötzlichen Todes stirbt, versinkt diese Scene gleich mit,
wie mit dem Theatergespenst das Versenkungsbrett, oder wie mit
dem Theatermaschinisten das zusammenbrechende Gerüst. So
wenig ein solcher Unfall, der sich wirklich einmal beim Beginn
eines Stückes ereignete, als dessen erste Scene gelten kann; so
wenig wird ein König, der mit der ersten Scene gleich zusam-
menbricht und für das ganze übrige Stück ein für allemal todt
ist, diese Scene zur ersten Expositionsscene eines regelrechten
Drama's machen können. Mit der ersten stürzt dann auch die
dritte ein, die deren Einsturz meldet. Davor kann sie der, so-
fort nach der Kunde von König Eegisvind's unvemiutlietem Hin-
tritt, zwischen Fürst Teofil undAtanagild ausbrechende Wett-
1) Vamb. ,,Nein, Vamba, wird sein Leben nicht Alcalcle,
Da kenn' ich ihn zu gut . . .
Schlag dir das aus dem Kopfe, meine Sancha . .
So wie du bist, gefäUst du mir'' . . .
Bamba en su vida serä
Alcalde, que yo bien siento
el valor que en Bamba estä , . .
2) Fürst Teofil als Sieger heimkehrend, heisst vor'm Thor von To-
ledo den „Siegeslärmen zum Trauerton umstimmen, da ich höre, dass un-
vermuthet unser König starb/'
1*
4 Bas spanische Drama.
streit um die Krone um so weniger bewahren, da die 4. Scene
als die eigentliche Zankscene sich aufwirft, die diesen vom gan-
zen Aufgebot „gothischer Fürsten", wegen der Nachfolge, unter
einander geführten Streit in ereifertem Wortwechsel ausgleicht,
und ihm mit Fürst Atolfo's Erklärung ein Ende macht: „So
will ich stehenden Fusses nach Rom; der Papst entscheide, wer
hier König sey." und nun noch alle übrigen hinterdrein, wie die
sieben Schwaben einander am Eockschoss fassend, zum Papst
nach Rom! Die Fürstenstreitscene um die Krone, angesichts der
Leiche des im offenen Sarge daliegenden Königs — eine solche
Eröffnungsscene , dünkt uns, würde den Grundton eines histori-
schen Königsstückes dramatisch-feierlicher und zugleich bewegter
und wirksamer angeben. Eine frommkirchliche Legendenvision,
auch nur erzählungsweise geschildert, ist freilich die Expositions-
scene nach dem Herzen der spanischen Poetik, unter König Re-
gisvind wie unter Philipp IL, mit dem Unterschiede, dass diese
Poetik unter Philipp IL canonisirt worden, im feindseligsten Ge-
gensatz zum historischen Geist, diesem Erzketzer, dem Häre-
siarchen schlechthin. Im Styl der Wundervisionslegende lässt
nun auch die 5. Scene einen JBlumenkranz aus dem Wipfel eines
Baumes auf Vamba's Haupt niederfallen, der eben im Begriffe
ist den Stamm zu einer „Last Holz für eine Wittwe" zu fällen.
Ein zweiter Kranz, ein dritter und vierter fallen hintereinander
aus dem Wipfel herab, wie die Blumenbouquets aus des Taschen-
spielers Hut: „Noch ein Sträusserl", „noch ein 8träusserl". Zu-
letzt entwickelt sich ein Arm aus des Baumes Krone, welcher
Arm eine wirkliche Krone dem Vamba darbeut und dabei eine
Stimme hören lässt, die da ruft: „Nimm!" — Um keinen Preis!
versichert Vamba und beschwört die „Simme", ihn mit dem
bittern Kelch einer Krone von so sorgenschwerem Golde zu ver-
schonen i), und geht davon, geradesweges in die Rathsstube zu
1) „V\reil sorgenschwer mir dein Gewicht
Aufs Herz fäUt
Hier auf meinen Knieen
Bitt' ich. Du weisst, dass ich mein Lebenlang
Vor einer Krone keinen Knicks gemacht."
Den „Knicks" macht die hinkende Jambe. Die Eedond. drückt es so aus :
Guckkasten-Scenen. 5
Ircaiia, wo Alcaldenwahl stattfindet im Beiseyn des Alt-
Schultheiss Cardencho, und anderer Bauern und Gemeindeväter.
Die Stimmenmehrheit fällt Vamba zu. Selbstverständlich muss
sich Vamba, wenn auch nur ein wenig, sperren; erklärt jedoch
alsogleich:
„Aus purer Nöthigung denn nehm' ich ihn,
Denn solche schwere Last passt mir gar nicht'' , . . i)
Drauf erscheint ein Bettler in der Wachtstube als Drappir-
puppe für Vamba' s Barmherzigkeit, der ihm seinen Mantel
schenkt. Schultheiss Cardencho, ein Freigeist, wundert sich:
„Euren Matel gebt Ihr?" Vamba, der es, schon als richtiger
Bauer, dick hinter den Ohren sitzen hat, noch dicker, als ihm
Krone und Alcaldenstab schwer scheinen, versetzt darauf neckisch
naiv: „Still! für den einen (Mantel) hoff ich ihrer zwei"^), den
er dann auf die leichte Achsel nehmen wird. Hierauf lässt der
neugewählte Alcalde einen „Holgenhändler'S der mit Heiligenbil-
dern handelt, kommen, um an ihm seine Wunderverehrung zu
erproben. Alcalde Vamba kauft dem Krämer das Bild ab, das
die Ueberreichung des Messgewandes durch die heilige Jungfrau
an den Erzbischof von Toledo, den h. Hdefons, darstellt, das uns
die „erste Scene" als erzählte Vision hat schauen lassen. Der
neue Alcalde heisst das wunderthätige Bild im Audienzsaale zur
Anbetung aufhängen. Wird der Dichter nicht selbst zum
Bilderkrämer, und die Alcaldenwahlscene ein Guckkasten, —
schnurr! ein anderes Bild! „Unter der Thüre erscheint ein Tauf-
zug mit Schüssel, Krug, Kerze und eine Amme mit dem
Kinde." Der Täufling ist des Wahlbanern Beroucco Kind.
Porque eres pesada . . .
que de hinojos te lo pido
pues saber que mi persona
en el tiempo que la vivido
nunca le hizo el buz corona.
1) Por pura fuer9a le tomo
porque carga tan pesada
para mi no vale nada.
2) Callad,
que por una tendre dos.
6 Das spanische Drama.
Vamba nimmt es auf den Arm; das Kind spricht; „Vamba
ist König." Ob ihm auch das Kind auf dem Arm zu schwer
wird? Was wir von der Scene erfahren, ist Vamba's Aparte:
„Hinter dem Kind und jener Krone steckt mir ein Geheimniss"
und geht mit Allen ab. Für uns aber bleibt es ein ewiges Ge-
heimniss, wie ein Lope in einem historischen i) Schauspiel, und
wenn zehnmal im Geist der Volkssage gedichtet, eine so kindi-
sche und dramatisch haltlose Guckkastenscene hat schreiben
können!
Die zu Rom im Vatican erfolgende Schlussscene des ersten
Vamba-Actes besiegelt die vorhergegangenen Wundererscheinun-
gen mit einer letztgültigen: mit der Verkündung eines vom Him-
mel herniederschwebenden Engels, der dem rathlosen, sorgen-
voll über den Zettel sinnenden Papst Agato, worauf die Namen
der fünf um Spaniens herrenlose Krone streitenden, und draussen
vor der Thür des Vaticans haiTenden Gothenfürsten verzeichnet
stehen, die bereits von Gott getroffene Königswahl meldet. 2) Nach-
dem der Engel verschwunden, ruft der Papst die vor der Thür
1) „Wenn die Darstellung historisch genannt zu werden verdient,
welche vom Geist der Geschichte durchdrungen ist und die bedeutenden Er-
scheinungen der Zeit, jede in ihrem eigenthümlichen Lichte, vorzuführen
weiss, so dürfen zahlreiche Lope'sche Compositionen mit vöUem Eechte
historische Dramen genannt werden, ja man kann zweifeln, ob irgend eine
Literatur Trefflicheres in dieser Gattung aufzuweisen habe." v. Schack
a. a. 0. S. 267. Der tiefe Kenner der dramatischen Kunst in Spanien und
ihr mustergültigster Geschichtschreiber — Lope's König Vamba, dessen
Titel wir nur in seiner Geschichte verzeichnet finden, würde der berühmte,
in der dramaturgischen Kritik so gewiegte Literarhistoriker, schon auf
Grund des ersten Actes, aus jenen Lope'schen Mustercompositionen des
historischen Styls doch wohl ausgemustert haben.
2) „Agathus, nicht will Gott, dass deren einer
Sey König, denn er hat ihn schon gewählt;
Den sie am Pflug in Spanien treffen werden
Mit zweien Rindern, eines roth, eins weiss,
Und den man ruft mit dem Zunamen Vamba,"
Agato, Dios no quiere que ninguno
Destos sea Rey, que Key tiene elegido
El quäl arando le hallara en Espana
Con dos bueyes, uno roxo y otro blanco
El quäl tendra par sobrenombre Bamba.
König Wamba in herbis. 7
wartenden fünf Fürsten herein. „Bin ich's?" „Bin ich's?" fragt
jeder. Der Papst theilt ihnen die Worte des Engels mit. „Was
ist zu machen?" zuckt Herwig resignirt die Schultern, „suchen
wir ihn auf" i) , den Vamba nämlich. Die vier andern Fürsten
treten Herwig's Meinung bei. „Gott und dem heiligen Vater
gilt's gehorchen", bescheidet sich Fürst Eodulfo, und trollen
nun selbfünf wieder ab mit des Papstes heiligem Segen, um
ihren gotterwählten König am Pfluge „mit zwei Eindern, davon
das eine roth, das andere weiss ist", zu huldigen. Für ein Le-
gendenpuppenspiel aus der Wiegenperiode der dramatischen Kunst
wäre dieser erste Vamba-Act zu dürftig und zu schwächlich;
hierzu fehlt es ihm an unbewusster Glaubensinnigkeit und Nai-
vetät; ist er ein viel zu absichtliches Gemisch von schablonen-
hafter Wundergläubigkeit und geschichtlichen Intentionen, die in
dem Kronenstreit dieser flachen, geprägelosen, vergilbten Tape-
tenfiguren aus der Zeit Vamba's vergleichbaren, gothischen Fürsten
einen so kümmerlichen Ausdruck finden.
Des zweiten Actes erste Scene lässt den Fürsten Eodulf
zuerst den gottverheissenen König Spaniens 2) am Pfluge, den Acker-
bauern Vamba, vor dessen Hütte in einer galicischen 3) Land-
schaft, erblicken. Vamba recitirt am Pfluge, mit einem Stachel-
stock in der Hand, eine Variante zu Horazens 'Beatus ille'. 4)
Erwig, der seinen Wohlthäter, König Vamba, beschimpfen,
vom Thron stossen, in ein Kloster sperren wird, ruft bei des
Pflügers Anblick:
1) Que tencmos de hazer, biisquese kiego.
2) ,,Die sichersten Kennzeiclieu deuten ilm
Das ist der Gothen gottverheissner König!"
3) In der Eomanze lieisst es:
Y lo habian de hallar arando
Cerca de la Andalucia.
4) „GMckselig, wer in häTisHcliem Behagen
In stiller Einsamkeit lebt seiner Pflicht" u. s.
Quan bien aventurado
Es el, que vive on su sabroso officio
Kemoto y apartado
Del traxe e del buUicio . . .
8 Das spanische Drama.
„Obwohl der Mann ein schmutzger Bauer ist,
Er ist vor Gott und Menschen unser König." i)
Und als die Bauerfrau Sancha ihren Mann bei seinem Namen
zum Essen ruft, ist Fürst Atanarich vollends gewiss, seinen Mann
gefunden zu haben, und fordert die Genossen auf, dem geweih-
ten Könige zu huldigen. Diese Scenen sind der Komanze nach-
gebildet. 2) Vamba betheuert:
,,Zum König taug' ich just so, wie allhier
Mein Stachelstecken frische Blüten treibt.
(Der Stock bricht in Blüthen aus." 3)
1) aunque assi villano impropio,
es Santo y es justo Rey.
2) Eleccion de Vamba par Eey de los Godos.
(Anonimo.)
Los Godos siendo informados (durch den Papst.)
Cada enal se departia:
AUä le van a buscar
A do hallarse presumia.
ün dia estando los Godos
Cansados en demasia
De ir ä buscar ä Vamba,
Volviendo sin alegrla,
Vieren venir una duena
Por una canada arriba,
Con una canasta al hombro,
Y estas palabras decia:
— Venid ya, Vamba, a conier:
Desuneid, qu'es mediodia. —
Los Godos, quando lo oyeron,
Luego ä Vamba se vinian;
Las rodillas por el suelo
D*esta manera decian:
— Denos las manos tu Alteza,
Con amor y cortezia. —
Vamba, atonito, espantado,
Temblando, asi respondia:
No me matedes, senores,
No me quitedes la vida . . .
3) Assi puedo yo ser Rey
Como dar flor mi aguijada
(Florece el aguijada.)
König Wamba unter den Empörern. 9
Die Augen, die Sancha beim Erblicken der vornehmen Gäste
macht, als sie mit der Suppenschüssel daherkommt! und nun
gar, wo sie von Vamba's Erwählung zu Spaniens König hört!
„Und was" — fragt sie — „wird aus mir dann werden, wenn
du König wirst?" Vamba: ,^ei, eine Königin. Wo ein König
herrscht, da herrscht als Königin seine Frau auch mit." Mit
Sperren und Spreizen hat sich der Ackerbauer die Krone nur
„angetrieben", wie man in Berlin einen Hut über die Augen
„antreibt", so fest, dass er sich blindlings nach Toledo zur Krö-
nung führen lässt, sich und sein Weib, Sancha, um die eigent-
lich Schade, als die lebensvollste, naturwahrste Figur in diesem
Ge seh ichts Schauspiel, die einzige, die durch ihre idyllische
Einfalt und Frische anspricht, — und muss nun, zur historischen
Königin gekrönt, auf der verschossenen Tapete neben den an-
deren Geschichtsfiguren unkenntlich ausbleichen und verfalben!
Das Stück siedelt nach Africa über, wo der „Empörer
Paulo", der „Griechen-Häuptling", den Mohrenkönig, Alicän,
zur Eroberung von ganz Spanien aufstachelt. Dieser Scene
schliesst sich ein hagiologisches Panorama als Folgescene an, das
König Vamba, umgeben von den fünf Gothenfürsten, auf einer
Terrasse, mit der Aussicht über Toledo, geniesst. Die Fürsten
erklären ihm die topographischen Punkte. Fürst Ataulf zeigt
den „Alcäzar" mit dem „Mosaikdach", wozu König Vamba den
Witz von acht spanisch-historischem Schrot und Korn zumbesten
giebt: „Gemalt auch klingt Mosaik mir zu jüdisch." ^j Beim
Erblicken der Hauptkirche mit der heil. Eugenia Körper nebst
„andern tausend Reliquien", worunter der Mantel von Santa
Leucadia, ferner das mehrgenannte Messgewand des h. Ildefons,
zieht König Vamba Schuh und Strümpfe aus, um die Kirche
baarfuss zu betreten. Dicht auf der nackten Ferse folgt ihm
die nächste Scene, mit Alicän, Paulo und Mohren vor
Cuando esta vara floresca
Yo sare rey de CastiUa. —
Ann no lo hübe bien dicho
La vara ya florecia.
Eomanc. a. a. 0.
1) No es bueno porque aun pintado
aborresco lo Judaico.
10 Das spanische Drama.
einem spanischen Castell, das der Mohrenkönig niederbrennen
lässt, um der nächsten Krönungsscene im Palast zu Toledo Platz
zu machen, wo man der Bäuerin Sancha die Krone aufsetzt,
oder die „goldene Haube", wie sie's nennt, und König Vamba
„mit Kürass und goldenen Sporen", Krone und Gewandstücke
einzeln ihr erklärt, und dann die fünf Fürsten mit Grafschaften,
Herzogthümern und den höchsten Eeichswürden begnadet. Hierauf
lässt König Vamba des gleich nach der ersten Scene des Stückes
unvermuthet verstorbenen Königs ßegisvind vierjähriges, bisher
versteckt gehaltenes Söhnlein, Theodoret holen, mit der Erklä-
rung, dass er nur für diesen rechtmässigen Nachfolger im Gothen-
reich Spanien regiere, bis der Knabe mündig geworden, wovon,
uns wissentlich, die Geschichten nichts melden; noch auch von
dem Huldigungswettstreit zwischen den von Gott und Papst doch
zum Könige eines Wahlreichs erkornen Vamba, und dem
vierjährigen Söhnlein ßegisvind' s, als dessen Diener sich König
Vamba feierlichst verkündet, i) Der Königin Sancha den Kna-
ben zu liebevoller Hut übergebend, bis er, König Vamba, vom
Kriegszug gegen den Empörer Paulos und den Mohrenkönig Ali-
cän als Sieger heimgekehrt. Das Alles macht die nächste, letzte
Scene des H. Acts in Einem Aufräumen ab. Kaum kreuzen nun
auf dem Schlachtfeld bei Murcia König Vamba und der Mohren-
könig Alicän die Klingen, hat sich letzterer schon als des
„Bauernkönigs" Sclav, „weil es Mahoma will", unterworfen.*^)
Der gefangen vorgeführte Grieche, Paulo, fleht desgleichen zu
König Vamba 's Füssen um seine wohlverdiente Strafe. Da
überkommt den König auf dem Platz, wie bei einer Wunder-
schau, bei Paulo's Anblick ein ihm, wie uns, und wie Lope's an
Mirakel gewöhntem Publicum unerklärliches,, aber ein solches
Publicum für den letzten, den dritten Act in Wunderspannung
hinhaltendes Zaubergefühl, dem König Vamba einen entspre-
1) „Ja, Prinz, als euren Diener seht mich an*'
Principe, yo os servire.
2) Pues dello gnsta Mahoma
rendirme quiero, qiie es justo,
tu esclavo soy.
Der Grieche Paulo Vamba's Gegenkönig. H
chenden Ausdruck in Worten von unfehlbarer Schlusswirkung i)
giebt, verstärkt durch die Lossage, welche vorläufig zwei von
den fünf Gothenfürsten, ßodulf und Teofil, dem mit Paulo
und Mohrenkönig Ali c an als Ein Herz und Eine Seele davon-
gehenden König Vamba nachfluchen. 2)
Was lässt uns hierauf der dritte Act, der Schlussact er-
leben? Dieselben zwei gothischen Fürsten, Eodulf und Teofil,
sind die Ersten, die demselben aus Griechenland wie der Schat-
ten einer Strichwolke über das Stück hingejagten, aller geschicht-
lichen Persönlichkeit haaren Paulo, als dem Könige von Spa-
nien, huldigen! ^) nachdem Fürst Atanarich dem König Vamba
1) „Paulos,
Mich überkommt gross Wunder über Dich
Ich weiss nicht, was in meiner Brust spricht für Dich. *)
Du hast wie eine Circo mich bezaubert,
Sey frei und leb' an meinem Hof in Ehren.''
Paulo espantado,
me tienes ambelesado
dudando estoy si eres hombre.
2) Rod. „Fürwahr zu unsrer Schmach
Beschimpft uns dieser Bauer und erhebt,
Verherrlicht einen Fremdling aus den Feinden.
Teof. Ob man solches duldet?
Wie, schönes Spanien, hast du das verschuldet?
Rod. AI fin par nuestro castigo
un villano nos deshonra
y ensal9a, engrandece y honra
a un estrangero enemigo . . .
Teof. quien assi te sugeta
libre y belicosa Espana.
3) Teof. „Paulos, entschliesst Du Dich, König zu werden,
So biet' ich meine Hülf in treuer Freundschaft . . ,
Rod. Paulos, weil Alles Dir von Gott zufällt.
Was Du bedarfst, so brich Vamba die Treue
Und in Besitz nimm wohlgemuth das Reich;
Bei Gothenschwur ! ich will Dir treulich beistehn."
*) Und wir wissen nicht, wie dieses „Brust spricht für Dich" sich
für den Ausgang eines fünffüssigen Jambus halten kann!
]2 ' I)as spanische Drama.
in der 1. Scene Act 3. die Botschaft gebracht hat: „Das Gothen-
volk missgönnt Dir Deine Herrschaft; sie schelten Dich als
einen rohen Bauern, der Ochsen nur, nicht Reiche wisse zu len-
ken", und Vamba auf diese Kunde die Ohren hat hängen las-
sen, wimmernd: „Auf meinem Bauernhof war's mir doch woh-
ler!" Der Paulo, der König Vamba's Puss eben, als dessen
treuergebener Sclav, geküsst, wird im Nu die Schlange, die die-
sen Fuss in die Ferse sticht. Die Vision des Papstes deutet er
ohne Weiteres auf sich, und was die zwei Ackerochsen betrifft,
die der Visionsengel als Vamba's Kennzeichen ausdrücklich an-
gegeben, so glaubt Paulo diese Ochsen sonder allem Zweifel
in den beiden Gothenfürsten, ßodulf und Teofil, zu erkennen, die
ihm die Krone Spaniens anbieten, i) Nun müsste die Katastrophe
mit Macht daherstürmen, Schlag auf Schlag. Erst aber — sagt
die dritte Scene — komm' ich ! Die „Gerichtssaalscene", wo un-
ser Vamba als gerechter Richter und weiser Salomo sich noch
zu erproben hat, um, nach hergebrachter Art der spanischen
Wunder- und Heiligenhelden und gotterwählten Könige, sich in
Teof. Paulo, si quieres ser Bey,
yo prometo de agujarte,
si quieres determinarte
en toda amistad y ley . . .
Rod. Paulo, pues que Dios te ofrece
todo lo que has menester
Niegale a Bamba la fe
y el regno toma äl seguro
que a fe de bien godo juro
que en todo te ajudare.
1) Paul „Was die Vision dem heiigen Vater sprach
Von den zwei Ochsen, deut' ich gottbegeistert
Euch unverweilt als auf Euch selbst bezüglich,
Die beiden Ochsen seyd ohn' Zweifel Ihr,
Die Ihr mit mir das Reich zu pflügen kommt"
y la Vision que hablo
al Papa de los dos bueyes,
oy por soberanos leyes
si bien lo mirais soy yo.
Los dos bueyes sois los dos,
que conmigo estais arando
y el bien de Espana aumentando. . . .
Der Gegenkönig mit dem Strick um den Hals. lg
jedem Betracht und von allen Seiten als musterwürdigen Herr-
scher und mit sämmtlichen Eigenschaften eines solchen gesegne-
tes Rüstzeug des Herrn auszuweisen. Die Gerichtssaalscene passt
an diese Stelle und in diesen Moment, wie Vamba's zwei Pflug-
ochsen in den Tanzsaal, und die Bezüchtigten, über welche König
Vamba zu Gericht sitzt und rechtspricht, gehen das Stück gerade
so viel an, wie das seitenlange Instrument, das Fürst Atanarich
im Namen des rechtsprechenden Königs verliest, und worin
sämmtliche spanische Bischofssitze, Suffraganen und Sprengel
aufgezählt werden, ein Kehrichtfass voll Städtenamen! Ver-
wandter mit der Katastrophe, obschon weitläufig, oder wie ein
verschollener, plötzlich auftauchender Stegreifvetter, ist der nun
folgende „Marktplatz", der den Z wisch enscenenkönig, Paulo,
mit seinen beiden Visionsochsen, ßodulf und Teofil, an ei-
ner Tafel zechend vor Augen stellt, mit KnipperdoUing's, Thomas
Münzef s und Joh. von Leyden's Wiedertäufergelüst nach Wei-
berfleisch. *) Der Wunsch steckt ihm noch halb in der Kehle,
da meldet ihm schon ein Bürger: König Vamba habe mittler-
weile des Paulo ganze Kriegsmacht in die Pfanne gehauen und
von dessen zehntausend Soldaten keine vierhundert übrig gelas-
sen. Dies hören und reissausnehmen ist für Paulo und seine
zwei Visionsochsen, Rodulf und Teofil, Ein Ochsenschritt.
Kaum ist der Schritt gethan, stehen sie wieder da selbdritt an
König Vamba' s Strick, eigenhändig von ihm zurückgeführt
Paulo erkennt sogleich in dem Strick den „bittern Reif", das
Diadem, das ihm nur herabgerutscht von der Stirne auf den Hals '^),
verbittet sich indessen Vamba's väterliche Gewissenserweckung,
wünscht kurzen Process, da er ein ganz besonderes Verlangen
1) Paul. „Lasst Damen kommen; mich verlangt nach ihnen.
Mein ew'ges Heil sey jetzt in Lust vergeudet.
Eod. Ja, ohne Weiber ist kein Glück zu hoffen . . .
Teof. Waren die gestrigen nach Eurem Sinn?
Paul. Nur vorwärts, vorwärts! Leben und leben lassen!'*
2) „Als Krone wollt' ich auf Dein Haupt ihn heben
(den bittem Keifen)
Da war's zu weit und fiel mir um den Hals."
y es tan grande esta Corona,
que se me ha baxado al cuello.
14 I^as spanische Drama.
nach höllischer G-esellschaft verspüre. ^) Die Visionsochsen knieen
dagegen wie die Kameele, um Gnade bittend. König Vamba
macht mit allen dreien kurzen Process, lässt sie abführen und
abschlachten. Jetzt endlich bricht die Katastrophe herein, aber
mit der Thür in's Haus, als besonderes Stück, aus der Büchse
geschossen, Knall und Fall — das nicht einmal! Wie aus der
Windbüchse geschossen: ohne Knall, geht die Katastrophe los,
trifft ihr eigenes Stück vor den Kopf — da liegt es und ver-
röchelt.
Eine Dona Bianca führt dem Erwig, der, laut Ge-
schichte 2), Chronik 3) und Sage dem Könige Vamba die Krone
vom Haupte blasen und zugleich das Lebenslicht nun einmal
ausblasen soll, — Dona Bianca führt dem Erwig einen mau-
rischen Zauberer, einen „weltberühmten Magier", zu. Woher
kommt diese Dona Bianca? Sie kommt und geht wie der Wind,
man weiss nicht woher und wohin? Gerade wie der arabische Magier
und Zukunftsdeuter, Mujarävo, der dem Erwig die Katastrophe
als Horoskop stellt, unbekümmert um das ganze, bis zu dieser
Scene herangeführte, bis auf diesen Schweif büschel verbrannte
und verkohlte Stück, aus dessen Asche der Zauberer dem Thron-
räuber und Mörder seines Wohlthäters, Königs Vamba, die durch
ein Wunder, und Gottes Kathschluss ihm zufallende Krone Spa-
niens weissagt.^) Dadurch erhält das Scheusal von Ruchlosig-
1) „Tödte mich, mach nicht Lärm von Gothengrossmuth,
Sieh, mich verlangt nach höUischer GeseUschaft."
Matame, que traes gran grita
y borra el valor de Espaiia,
que ya mi alma maldita
quiere seguir la compana,
que en los infiernos abita.
2) Mariana Gothica fol. 372 f. — 3) Saavedra Faxardo Coron.
4) Durch Wunder, ohne wem es zu verdanken,
Wirst Du Dich sehn als König von ganz Spanien.
In seiner Suppe oder Trank wirst Du
Das Gift ihm reichen . . .
Que por maraviila estraiia
sin pagar ningun tributo
Volkssage und Geschichte. 15
keit und Undank die Weihe eines prädestinirten , schuldlosen,
himmlischen Küstzeuges, und seine Nachfolge im Eeich den Cha-
rakter unanfechtbarer Rechtmässigkeit und Legitimität. Ist solche
Motivirung einer dramatischen Katastrophe, wir fragen nicht, — um
uns nicht an den grossen, den Gott der Völker- und Königs-
geschichte stetig offenbarenden Lehren, um uns nicht an dem in
der Menschengeschichte sich immerdar bethätigenden Gottes-
gewissen zu versündigen — wir fragen nicht, ob eine solche
Katastrophe einer dramatischen Dichtung nicht gegen den Geist
der Geschichte frevelt; nicht den, wie in der Natur, so in der
Menschengeschichte allgegenwärtig wirksamen Gottesgeist, nicht
Gott selber, verläugne und läugne: wir fragen, ob eine solche ihr
Drama mit einem Fusstritt beseitigende Katastrophe nicht auch
zugleich den Geist der Volks sage, der freien, die historischen
Motive verbildlichenden Volksphantasie blödsichtig verkennt und
vernichtet? Blödsichtig, und die wundergläubige Volksumdich-
tung mit pfäffischer Absichtlichkeit zum schamanenhaft dumpfen
Köhlerglauben entgeistigend und verdummend: da die Volks-
phantasie ja doch nur die inneren, d!urch Charakter, Grund-
sätze, Wahnvorstellungen und Leidenschaften bestimmten An-
triebe geschichtlicher Persönlichkeiten zu frevelhaften Thathand-
lungen für die sinnliche Anschauung projicirt, hypostasirt, als
sichtbare Spiegelbilder herausstellt; da der Volksgeist ja doch
nur, kraft seiner dunklen, gläubig-poetischen Schauahnung eines
in letzter Folge und Tiefe die Menschengeschicke lenkenden Welt-
geistes, dasjenige Moment in den Triebfedern und Handlungen
seiner Geschichtspersonen, Könige, Helden, Vorkämpfer, als eine
göttlich freiwillige, gnadenvolle, oder strafrichterliche Einwirkung
von aussen herein, als eine wunderhafte Offenbarung der gött-
lichen Weltpersönlichkeit, den sinnlichen Blicken darbietet, — das-
jenige Moment, das, als Lebensgrund und Quell des freithätigen,
selbstbewusstenTichtens und Trachtens, WoUens, Strebens und Hau-
te Veras Key absoluto
de todo la fuerte Espana . ,
Que con ciertas yernas puesta
en el caldo en la bevida
has de dar fin ä su vida.
Iß Das spanische Örama.
delns seiner Geschichtshelden, diese Wirknisse beseelend durch-
dringt, aufnehmend das mit diesem Bestand- und Beseelungsgrund-
quell, übereinstimmende Thun und Wollen, es aufnehmend und auf-
lösend in seinen Heil- und Segensborn; das Widerstrebsame aber,
das eigenwillig dem Weltgesetze, dem Wesen Gottes Widersetzliche,
ausstossend, und im Feuer selbstgeschaffener Trübsal läuternd,
um das Sittlichschlechte, Verderbnissvolle, wie die Natur den
Wegwurf, das Lebensfeindliche, im Nutzen ihres Haushaltes ver-
wendet, — um gleichermaassen, vermöge seiner unendlichen Heil-
kraft, seiner — im Volkssinn gesprochen — göttlichen Gnade,
das Vernunftwidrige, Sittlichverwerfliche in Wohlthat und Segen
umzuwandeln. Dieses Moment ist das dem menschlichen Thun
und Lassen immanente, die Menschengeschicke regelnde, richtende
Sittengesetz, die Weltvernunft, sich offenbarend im Vernunft-
gewissen. Während die geschichtliche Darstellung von die-
sem Momente absieht, oder es auf sich beruhen lässt, als ihre
Aufgabe vorzugsweise eine Ableitung und Entwickelung der That-
sachen aus inneren menschlich eigenthümlichen, von Zeitbegriffen
und Leidenschaften erregten Antrieben betrachtend: entfalten
sich für das Auge des Sonntagskindes, der Volksphantasie, die
inneren Vorgänge und Beweggründe selbst zu Apokalypsen, zu
äusseren Thatsachen, zu Gotterscheinungen als übernatürliche
Naturphänomene gleichsam — ein Widerspruch, den die zwischen
beiden Anschauungsweisen, der geschichtlichen und volksthüm-
lichen, mitteninnestehende poetische Gestaltung dadurch aus-
gleicht, dass sie in der Verkörperung, in der Erscheinungsgestalt
das üebersinnliche, Transscendente, das Geistige und Geister-
hafte des innerlichen Seelenvorgangs, eine psychologische Epi-
phanie andeutet, in welcher sich zugleich die realistisch ge-
schichtliche wie die imaginativ volksmässige Auffassung symbo-
lisch spiegelt: letztere, indem die poetisch-psychologische Dar-
stellung die im Volksglauben hypostasirten Weltgesetze und sitt-
lichen Weltmächte als wirkliche Personen einführt; die historische
Behandlungsweise aber darin bekundend, dass sie jene phatasti-
schen Gestalten, wenn nicht als blosse Gebilde einer geistersehe-
rischen Phantasie, doch immerhin als complementäre Er-
scheinungen zu den inneren, die Seele bewegenden und beherr-
schenden und zu Frevelthaten aufstachelnden Wahnbildern in den
Bas historische Drama der Spanier. 17
Kreis der Schauhandlung eintreten lässt, so dass in dieser Ver-
sichtbarung inneren Brütens gleichsam schon die erste Schreck-
gestalt eines unheilvollen Sinnens und Trachtens, schon von vorn-
herein das in leibhafter Warnungsgestalt sich selber gegenständ-
lich gewordene Gewissen, angedeutet liege: im tiefsten Grunde
der dichterischen Intention immer nur der Dens in nobis
zu seinem Kechte und seiner Verherrlichung gelange. Man denke
an Shakspeare's Gespenster, Geistererscheinungen, Zauber-
schwestern, die vor dem Geschichtsrealismus, wie vor dem Volks-
glauben gleichmässig standhalten; wo sinnliche Erscheinung und
psychologische Spiegelung, ähnlich wie, nach der prästabilirten
Harmonie, die beiden, das üeberein wirken von Leib und Seele
verbildlichenden gleichgehenden Uhren, als von einander un-
terschieden, dennoch als identische sich gegenübertreten. Von
solcher speculativ poetischen Auffassung des üebernatürlichen
bietet das spanische Drama, selbst der grössten Meister, nur ver-
einzelte, verwischte Spuren und Lichtblicke dar. Die im geist-
lichen Wahn- und Aberglauben — um wiederholt darauf hinzu-
weisen — grundsätzlich dressirten und eingeschulten Köpfe der
glänzendsten dramatischen Genies der Spanier im 17. Jahrhundert
lassen sie uns als völlig unfähig, nicht von Natur, sondern durch
kirchliche Geisteszucht, zu solcher philosophisch-psychologischen
Behandlung der Theophanien, des Wunderbaren, Dämonischen,
erscheinen. Weshalb wir ihnen denn auch, so fürchten wir, ein
wahrhaftes Verständniss des historischen Geistes, mithin die Kunst-
begabniss für das poetisch-historische Drama werden absprechen
müssen. Ja bei aller staunenden Bewunderung vor Lope de Ve-
ga's dramatischem Genie, dürfen wir unsere Ansicht nicht zu-
rückhalten, dass sein Schauspiel, „König Vamba", nicht nur dem
Begriff und Wesen eines historisch-poetischen Drama's in's Ge-
sicht schlägt; dass es auch, als Carricatur einer Behandlung die-
ser Sage jm Volksgeiste vom poetisch-dramatischen Gesichtspunkte
aus zu verwerfen, und dass die grossartigen, wirklich historisch-
poetischen Züge, die uns in einigen von Lope's Geschichtsdra-
men überraschen werden, auf Rechnung seines genialischen Dich-
terinstinctes, nicht aber seines Kunstbegriffs und Verständnisses
zu setzen; um so weniger, als er meist mit der Charakteristik
der Geschichtsfiguren in den Romanzen und in der nachRoman-
X. 2
18 Das spanische Drama.
zen schildernden Chronik Schritt hielt. Die an sich auch bei dem
Dichter , und noch in ihrer dogmatisch-kirchlichen Form, achtbare
Glaubensinbrunst, selbst diese hat seit den eklogischen Christspielen
der Väter des spanischen Drama's aus dem ersten Drittel des 16. Jahr-
hunderts an innerer Wahrheit, Einfalt und kindlicher Unschuld, mit-
hin an poetischer Berechtigung, das Geschichtliche im kirchlichen
Sinne darzustellen, eingebüsst. Der Glaubenseifer der spanischen
Dramatiker zur Zeit Philipp's IL nahm Charakter und Farbe der
düstern, verfolgungssüchtigen Strenggläubigkeit dieses Königs an:
des fanatischen, im Dienste der Inquisition und des absoluten Des-
potismus erglühten Kirchenglaubens. Die Glaubensinnigkeit der
dramatischen Dichter unter Philipp IL hatte ein Element von
dieses Königs finsterem Blutgeist und geistesknechtender Unduld-
samkeit eingesogen. Die geistlichen Spiele, die Legenden- und
Wunderdramen aus Philipp's IL und der nächsten Philippe Eegie-
rungsepoche verrathen 'auch schon diese Ansteckung, diese grund-
sätzliche Verderbniss des kirchlichen Eiferwahns, diese tendenziös
bigotte Absicht, den Volksglauben, den in Romanzen und mittel-
alterlichen Dichtungen so thatkräftig waltenden heroischen Wun-
derglauben, im Nutzen des kirchlichstaatlichen Despotismus, zum
geisttodten Glaubenswahn und Aberglauben abzustumpfen. In
dieser Beziehung hat, unseres Dafürachtens, das Lope-Calderon'sche
geistliche Drama unheilsam, wo nicht verwildernd, auf den spanischen
Volksgeist eingewirkt, wie der Ehr- und Liebesbegriff der Eitterdra-
men die höhern lund mittlem Schichten, durch Verwirrung der
Begriffe und Herzenstriebe, nur entsittlichen konnte; mit wenigen
Ausnahmen, die — zu Lope's Ehren sey es gesagt — einige sei-
ner geschichtlichen Dramen und Mantel- und Degenstücke, ins-
besondere durch den Liebesheroismus der Frauen, vorzugsweise
glänzend vertreten. Das Auto aber, dies eigentliche Kirchen-
drama, durchweht und beherrscht Philipp's IL Glaubensgeist so
unbedingt, dass diese Spiele meist in seiner Verherrlichung
gipfeln, und selbst in „König Vamba", Erwig's Weissager, der
Mohr Mujarävo, diesen König in seine Prophezeihungen herein-
zieht , und ihn ob der grausam fanatischen Vertreibung aller
Alarben aus Granada preist.
Wie alle Incidenzen in diesem Drama aus den Wolken fal-
len, aus Glorienwolken, oder Wolken schlechthin, so auch Er-
Seliggesprochener Königsmörder. 19
wig's plötzlicher Einfall, des Maurischen Zauberers Prophezeihung
als Oelgemälde zu besitzen, das ihm der in der Schwarzkunst
wie in der Oelmalerei gut beschlagene Hexenmeister auch
sogleich liefert und, Erwig's gleichfalls aus der Luft gegriffenen
Grille nachkommend, „wohlverpicht in einer Truhe verschliesst",
um das Weissagungsbild in einer finstern geheimnissvollen Gruft in
Toledo, deren Thüre mit sechs bis sieben Schlössern versehen ist,
unzugänglich aufzubewahren. Den auch dramatisch werth- und
reizlosen Stegreif-Incidenzen setzt der Schluss die Vamba-Krone
auf, mit der Meldung an König Vamba von der Hinrichtung
des Paulo und Aufsteckung seines Hauptes auf einen Eisen-
haken; mit König Vamba's in Krone und Königsmantel knieend
abgelegtem Sündenbekenntniss und Schlussgebete zu Gott um
Vergebung, dass er im Drange der ßeichsgeschäfte des Herrn
vergessen: „üomine miserere mei", „Domine dele iniquitatem
meam"; „libera me de peccato meo"; mit des Königs Einschlum-
mern auf einem Stuhl, und infolge dessen mit einer letzten En-
gelserscheinung, die ihn auffordert, „noch heut aufzubrechen, den
Leib zur Erde, himmelwärts die Seele", und ihn, den schlum-
mernden König, bedeutend: „Herwig sey der von uns berufene
König", demgemäss nun auch, nach Verschwinden des Engels,
der von Gott eingesetzte Herwig, seinem erwachten und nach
einem Kruge Wassers, zur Löschung des Durstes, verlangenden
Könige und Wohlthäter den Giftrank getrost nach Gottes Rathschluss
und Willen reichen, und die Nachfolge als giftgesalbter König des
Herrn mit gutem Gewissen antreten kann, im Einverständnisse
mit dem vor Vergiftungsschmerzen sich windenden und seinem
Mörder fluchenden König Vamba, der, dess unbeschadet, den
Mörder als seinen gotterwählten Nachfolger den um ihn versam-
melten Fürsten empfiehlt und seine Gemahlin, Königin Dona
Sancha, dem Schutze desselbigen Meuchelmörders von Gottes
Gnaden übergiebt. 0 Der König stirbt und Fürst Atanarich
ertheilt dem Stück den letzten Segensspruch:
1) — „Durch Himmelseingebung
Weiss ich, dass Spaniens Krön' und Scepter ihr
Dem Fürsten Herwig nach mir übergebt.
20 I^s-s spanische Bramä.
dando fin ä la Comedia,
y vida y muerte de Bamba.
Hiermit schliessen wir das Bühnenspiel
Vom Leben und dem Tode König Vamba's.
Unsere Zergliederung des Lope'schen 'König Vamba' setzt
auch in diesem Falle, durch Darlegung der regelwidrigen und
schadhaften inneren Organe des Stückes, unseren Leser in die
Lage, sich mit eignen Äugen von der krankhaften Beschaffenheit
der Eingeweide dieser dramatischen Dichtung zu überzeugen, und
als geübter, durch so viele ähnliche Zerlegungen in die kritische
Opferschaukunst eingeweihter Haruspex unseren aus solchem Sa-
crificio non litante gezogenen Wahrsagerausspruch zu würdigen,
zu begutachten und daher auch an demselben die Stichhaltigkeit
eines früheren, unseres Wissens des einzigen, auf Grund einer
genaueren Einschau in das Vambadrama, vor wenig Jahren be-
reits von einem in der Lopeliteratur nicht unrühmlich bekannten
deutschen Dramaturgen verkündeten Haruspiciums zu erprüfen.
Es lautet wie folgt: „Eine historische Composition in der ge-
wöhnlichen Bedeutung des Wortes findet sich hier nicht; und
dennoch ist dieser König Vamba ein so acht historisches
Drama, als man nur immer es verlangen kann. Es ruht ganz
auf einer historischen Grundlage; auf der Thatsache nämlich,
dass es zunächst die Lüste und die Grausamkeit der vier letzten
gothischen Könige waren, welche das Unglück der maurischen
Invasion über Spanien brachten, und es in einen siebenhundert-
jährigen Kampf gegen die Araber verwickelten. Das war der
Standpunkt, den Lope für seine dramatische Composition wählte;
Graf Herwig, meine Gattin, Dona Sancba,
Sey Deinem Schutz vertraut. Nimm hier die Krone
Und setze Dir sie auf, nur ohne Weitres."
Por inspiracion de Dios
supe, que Dios quiere y manda,
Que a Eruizio le deis el cetro,
y la Corona de Espana . . .
Encargote conde Eruizio
a mi muger dona Sancha.
Toma, ponte mi Corona
no dudes pontela, acaba.
Wamba-Studien. 2 1
und tritt man in diesen Standpunkt, so wird man nicht umhin
können, die Besonnenheit und die Consequenz in der Durch-
führung eben so sehr zu bewundern, als die Tiefe der poetischen
Intention. Diese ist von Anfang bis zum Ende festgehalten, und
schon in den Scenen des Eingangs in der Frömmigkeit Eecis-
vind's bestimmt angedeutet. Wie locker nun die Fäden der
ganzen Composition auch dazuliegen scheinen, so wird man doch
nicht läugnen können, dass sie wenigstens in einer Beziehung,
und zwar in der wesentlichsten, in der nämlich, die poetische
Intention auf das Klarste und Entschiedenste herauszustellen,
fest und sicher zusammengehalten sind . . . Das Vorzüglichste
sind die Schlussscenen , in welchen sich bei der ergreifendsten
Innigkeit des Gefühls eine poetische Enthaltsamkeit ausspricht,
wie man sie sonst gewöhnlich nur bei den classischen Dichtern
des Alterthums antrifft . . . " i) Der Kernpunkt dieses, die drama-
turgische Varaba-Kritik wie einen Polypen umstülpenden ürtheils,
dass Lope's „König Vamba" nämlich auf der das ganze Stück
beherrschenden Intention beruhe, „dass es zunächst die Lüste
und die Grausamkeit der vier letzten gothischen Könige waren,
welche das Unglück der Maurischen Invasion über Spanien brach-
ten" — dieser Kernpunkt erweist sich vorweg als der faule Kern
des kritischen Votums unseres Wiener Lope-Forschers vor vierzig
Jahren ; zunächst inbezug auf „König Vamba". Man müsste denn
mit demselben die beiläufige Erwähnung des Königs Koderich
unter Hinzielung auf dessen Liebschaft mit der Cava für die durch-
gängige Intention, den Untergang des westgothischen Reichs
als eine Folge der Lüste und Grausamkeit der vier letzten gothi-
schen Könige im „König Vamba" darzustellen, halten und aus-
geben wollen. Durchgängiger, als Lope's Vamba von dieser In-
tention, ist des Lope-Studien- Dramaturgen Vamba-Kritik von
gedachtem faulen Kernpunkt durchzogen. Sämmtlichen Lobestira-
den, die drum und dran hängen, wird unser in den Vamba-
Acten nun gründlich bewanderter Leser den fumet und haut-
goüt besagten Kernpunktes anriechen. So viel Worte und Phra-
sen, so viel solcher Kernpunkte. Und doch hat der Lope-Studierer
1) Studien über Lope de Vega Carpio. Von N. Enk. Wien 1839.
S. 41 f.
22 J^as spanische Drama.
vor vierzig Jahren sein „Studium'' treufleissig betrieben und eine
im Ganzen dankenswerthe Vorarbeit geliefert. Und doch hat der
Wiener Lope-Dramaturg von 1839 auch seinem Vamba-Urtheil
eine eingängliche Inhaltsangabe des Stückes voraufgehen lassen,
die aber, so detaillirt sie ist, doch nur, üblichermaassen, die breit-
getretene dramatische Fabel darlegt, die, als Gemeingut für jedes
beliebige Vambastück, auf die Eigenthüralichkeit der poetischen
Behandlung derselben keine Folgerung gestattet, wie die analy-
tische Beleuchtung des Inhalts, eine solche nämlich, die mit
der die Fabelbehandlung durchgängig begleitenden Fackel der
dramaturgischen Kunstregeln und Kritik erfolgt; eine Beleuch-
tung des poetischen Gehalts und der dramatischen Technik, wie
sie jenem uraltehrwürdigen Schreibrohre entquillt, worin, bekannt-
lich, der erste Menschenkunstbildner, worin Prometheus den Son-
nenfunken einschloss, und das auf dessen Nachfolger, die Pfleger
der selbstschöpferischen Kritik, vererbte, nicht auf die der blossen
Studien-Dilettanten, auch nicht auf die mit ästhetischen Heften
ohne Klinge die verwickeltsten Knoten der dramatischen Kunst
wie mit Alexanderschwertern zerhauenden Schuldramaturgen; noch
auch auf die ex professo-Kunstphilosophen, die inkraft von Me-
phistopheles' Zauberspruch :
„Trauben trägt der Weinstock;
Hörner der Ziegenbock!
Der Wein ist saftig, Holz die Beben,
Der hölzerne Tisch kann Wein auch geben.*' —
Abhandlungen über dramatische Kunst, Aphorismen über das
Drama und was des Teufelszeugs mehr, aus ihrem hölzernen
Schreibtisch, aus ihrem Kathederholz in die Gläser — Tinten-
gläser — der Studenten, der Altmayer, Frosch, Siebel und Bran-
der, springen lassen. Für den Vorenthalt von Prometheus'
Schreibrohr (vaQd'Tj^) und Himmelsfunken entschädigen sich diese
kunstdogmatischen Bildner und Zurechtkneter von Köpfen studien-
beflissener Lehmklöse durch den Eifer, womit sie — um auf
unser haruspicisches Gleichniss einen Rückblick zu werfen —
womit sie in ihren kunstkritischen Hekatomben jener Opferlist
des Titanen-Altvaters und vordenklichen (promethischen) Men-
schenbildners aus unvordenklichen Zeiten, nachleben: indem sie,
wie der Titanische Urahn, den Zeus um seine Opfergebühren
Lope de Vega's ^El mayor imposible'. 23
prellend, statt der ganzen vollen Opferthiere, nur deren Haut und
Knochen verbrannte — indem sie ähnlich in ihren ästhetischen,
kunstphilosophischen, dramaturgischen, aphoristischen und literar-
historischen Lehrschriften gleichermaassen, anstatt den poetischen
Gehalt der von ihnen zerlegten dramatischen Dichtungen zum
einleuchtenden Verständniss zu bringen, nur deren Haut und
Knochen auf dem Opferaltar ihrer Lehrkanzel oder ihres Lehr-
stuhls verbrennen — die Haut: die kahle trockene von der dra-
matischen Dichtung abgezogene Fabelerzählung; die Knochjpn:
das Todtengebein ihrer kunstkritischen hirngespinnstisch-grauen
moderfahlen Schrullen: Lemur- und Larvenskelette, zu denen sie
die grössten dramatischen Schöpfungen, Shakspeare's am liebsten,
entfleischen und entseelen.
Nun aber, nachdem wir ein historisches aus Spaniens
westgothischen Königsgeschichten frühester Zeit geschöpftes Schau-
spiel von Lope als Exponenten der ersten Gruppe unserer trilo-
gisch-kritischen , je drei Stücke der verschiedenartigen Dramen-
gattungen in Lope's unerschöpflichen Bühnenrepertoire umfassen-
den Lope-Studien mit einer gerade der Verfehltheit und Werth-
losigkeit desselben, in Rücksicht der Grösse des Dichters und sei-
nes um so gebieterischem Anspruchs auf volle Beweisaufnahme
und Begründung unseres ürtheils, entsprechenden Ausführlich-
keit, vorangestellt: nun möge als zweites Stück dieser ersten
Gruppe unserer analytischen Trilogien ein Drama aus Lope's
Mantel- und Degenspielen zur Untersuchung gelangen;
einer Schauspielgattung, als deren eigentlicher Schöpfer und Schöpf-
brunnen für seine Nachfolger, und, durch Reichthum des Motiven-
wechsels und der Incidenzenerfindung unübertroffener Kunstmei-
ster Lope de Vega ein [für allemal zu gelten hat. Wir greifen
auf gut Glück in die kolossale, an Nieten, aber auch an Treffern
reiche Urne Lope'scher Comedias famosas, und ziehen — huida!
einen Treffer:
Das Unmöglichste von Allem (El Mayor imposible).i)
Des Stückes Grundmotiv: die Unmöglichkeit, Willen und Gelüst
1) Comedias, grosse Ausgabe t. XXV. Zargoz. 1647. N. 4. Bibl. Eivad
t. n. p. 463—486.
24 I^äs spanische Drama.
eines Weibes zu bewachen, unter Schloss und Siegel zu stellen,
hat Cervantes in einer seiner berühmtesten Novelas (1613) i) er-
schöpfend und aufs ergötzlichste, und wahrscheinlich vor Lope,
durchgeführt. Als Komödienstoff wurde das Thema noch im
17. Jahrhundert mehrfach, namentlich auch von der englischen
Komödie, am meisterhaftesten, im plautinischen Geist als Zeit- und
Sittenbild, von Meliere 2) behandelt. Lope's Stück zeichnet sich
vor Allem durch poetischen Glanz aus, durch lyrischen Eeiz und
eine dramatische Entwickelung der Grundgedanken im Cancio-
nero-Styl. Diesen Styl verräth gleich der Eingang, der nicht
mit der Exposition des Stückes, sondern mit dem Anlass zu dem-
selben beginnt. Eine Königin, Antonie von Neapel, die an ei-
nem hartnäckigen Wechselfieber leidet, veranstaltet an fieberfreien
Tagen ^) zu ihrer Zerstreuung und als einige Linderung der Krank-
1) Novela del zeloso Extremeno. — 2) Ecole des Maris. — 3) Der
Hofcavalier Feniso setzt in der ersten Scene den ans Aegypten nach
Neapel zurückgekehrten Hofherm Alb an o von diesem eigenthümlichen
Umstand in Kenntniss:
Eso SU alteza procura
Los dias que libres sou,
La cuya totnesta ocasion
El mas grave se aventura
A descomponerse mas,
Donde la musica prueba
Con los ecos de esa cueva
Que Ueva al mar el compäs.
Aqui Veras la poesia
Que muchos necios pretenden
Y muchos sabios no entienden,
Eu SU major monarquia;
Los bailes y los comedias
Con notable perfecion;
Y porque al fin tristes son,
Desterradas las tragedias.
üna academia diras
Que es este campo, un Liceo.
„Also thut die Königin,
Wenn ihr Fieber sie verlässt;
Dann giebt's jedesmal ein Fest,
Wo sich Ernst und trüber Sinn
Akademische Streitfrage-Spiel. 25
heit schöngeistige Feste, sogenannte Akademien, dergleichen schon
die provenzalischen Fürsten, wie uns bekannt, inform poetischer
Streitfragen, Tenzonen, und ähnlicher lyrisch-dialogischen Wett-
spiele, hielten. An den Styl der höfischen Liederbücher klingt
auch das kehrreimartig durch die ganze Komödie widerhallende
Titelmotiv:
Ein Weib zu hüten, das in Liebe schmachtet,
Bleibt immer das Unmöglichste von Allem, i)
Für dies „Unmöglichste" erklärt sich nämlich die Königin,
nachdem die von ihren höfischen Schöngeistern aufgeworfene
Streitfrage, was das Unmöglichste sey, verschiedentlich beantwor-
tet worden. 2) Der Ansicht der Königin tritt Höfling Roberto
Selbst mit heitrer Stirne zeigen.
Weit in's Meer tont Liederschall;
Und der Grotten Wiederhall
Schlägt den Tact zum Wellenreigen.
Hier wirst Du die Dichtkunst schauen,
Mit der oft sich Thoren blähen,
Die oft Weise nicht verstehen,
Walten stolz im Kreis der Frauen.
Tänze wirst Du, Komödien
Schauen in Vollkommenheit;
Doch weil sie voll Schmerz und Leid,
Sind verbannt die Tragödien.
Hörsal und Akademien
Ist der Hain und jede Laube!"*)
1) Porque es guardar una mujer, si quiere,
El mayor imposible de los hombres.
2) Die Akademische Streitfrage wird von der Königin vorgelegt:
Reina. que quiero
Que cuantos estais aqui
Digais sobre este conceto,
Cual OS parece el mayor
Imposible.
*) Nach der freien, aber in Ton und Klang dem Text sich mit
poetischem Sprachgefühl anschliessenden üebertragung von Ludwig
Braunfels (Dramen aus und nach dem Spanischen, Frankf. a. M. 1836.
2 Thl. I. 2.)
26 ^as spanische Drama.
entgegen, der dem weiblichen Pflichtgefühl eine solche unnahbare
Wächterstrenge zutraut, seine Schwester als Beispiel nennend.
Ja wenn Familienehre und Tugend ihr nicht die strengste Selbst-
hut auferlegte, so wäre er, als Bruder, doch Mannes genug, sie
unzugänglich zu bewachen, i) Mit dieser Bruder- und Mannes-
Zuversicht, mit dieser Selbstüberhebung spricht sich Roberto
stehenden Fusses zur komischen Foppfigur der unversehens aus
Königin. Ich begehre,
Dass mir Jeder sagen soll,
Was er in der Welt erkläre
Als Unmöglichstes von Allem.
Eeina. Yo para mi
Por mas impossible tengo
El guardar a una mujer.
Königin. Soll ich's versuchen
Das Unmöglichste zu nennen ;
Sag' ich dies: ein Weib zu hüten.
1) Koberto. Digo que cuando mi hermana
Por humil nacimiento
Desobligada naciera,
Del hombre de mas ingenio
De mas valor la guardara,
Aunque conquistas y rüegos
Batieran su tbrtoleza
Con los tiros del dinero
Y las espias que ponen
En los terceros discretos
Papeles, galas, suspiros,
Ocasiones y paseos.
Roberto. — „Wenn auch meine Schwester
Von so niedrem Ursprung wäre,
Däss ihr niedre Pflicht obläge,
Wollt' ich's hindern, dass der Beste,
Dass der Schlauste sich ihr nahe;
Ob man ihrer Tugend Veste
Auch bestürmt mit goldnen Pfeilen,
Mit Gewalt und list'gen Ränken;
Den Vermittler feinster Kniffe
Wüsst' ich siegreich abzulenken,
Trotz den Brief chen, Liebesseufzern,
Lustpartieen und Geschenken.**
Cancionero-Lustspiel. 27
dieser von der Königin als Fieberrinde genossenen schöngeistigen
Akademie sich entwickelnden Komödie; und Hofherr Lisardo,
der von der Königin die Vergünstigung erbeten, ihren Ausspruch
als Ritter zu verfechten — Lisardo tritt in die Komödie mit die-
sem Vorhaben auch sofort als erster Liebhaber und Liebesränke-
spinner ein, wozu ihn die Königin in einem Aparte noch beson-
ders wirbt 1), ohne im entferntesten daran zu denken, dass sie
mit ihrer akademischen Streitfragen-Unterhaltung der Geschichte
des Drama's in's Handwerk greift, indem sie durch den üeber-
gang ihrer Akademie in die wirkliche Komödie auf den Ur-
sprung des romanischen Drama's, insbesondere der Capa y espada-
Comedia, aus den provenzalischen Tenzonen und aus Streit- und
ähnlichen Gesprächsspielen, wenn auch unabsichtlich, unbewusst
und inform einer scenischen Streitfragen -Akademie, zurück-
weist. Selbst der pathologische Anlass zu dieser theatergeschicht-
lichen Komödie: die unheilbare Krankheit der Königin, muss an
die ähnliche, von der Geschichte des Drama's öfter berührte That-
sache erinnern: dass Krankheiten eben, ganze Landschaften und
Bevölkerungen heimsuchende Epidemien zur Einführung von Schau-
spielen imzwecke der Aufheiterung und Zerstreuung den An-
stoss gaben. Lope freilich dachte an das Alles so wenig wie
seine Königin; deshalb nicht, weil er selbst, als ein Ausläufer
dieser, aus den provenzalischen Hofstreitspielen hervorgewachsenen
spanischen Hofkomödie, unbewussterweise Mitspieler in seinem
Stücke ist. Er dichtete seine Cancionero-Comedia, wie die Fin-
galshöhle noch jetzt vom Nachhall ossianischer Harfenlieder tönen
soll; dichtete sie als ein dramatischer Macias des 17. Jahrhun-
1) Reina (ap. ä Lis.).
Consada estoy de este necio.
Tu has de conquistar su hermana,
Si me cuesta los dos reinos
De Napoles y Aragon.
Königin (beiseite zu Lisardo).
Hör, Lisard: weil dieser Thor mich
Aergert, musst du mir versprechen,
Seine Schwester zu erobern;
Sollt' es auch, um mich zu rächen,
Meine beiden Reiche kosten!"
28 Das spanische Drama.
derts; als verspäteter Troubadour der höfischen Liederbücher,
die dramatischen Personen dieser seiner Comedia zu Parallel-
figuren und Doppelspielern einer provenzalischen Tenzonen-
Akademie und einer castilischen Capa y Espada-Comedia, und ne-
benbei diese selbst in eine Parallel- Allegorie spaltend: in eine
scenirte Entwickelungsgeschichte des spanischen Salonlustspiels,
und gleich auch in die Komödie dazu, als leuchtende Nachspie-
gelung der Cancionero-Poesie. Denn erst mit der 4. Scene, zwi-
schen Lisardo und seinem Lacayo-Gracioso, ßamon, der ge-
schäftigen Weberspindel, die, behufs der thematischen oder glos-
senartigen Durchführung und Bewahrheitung jenes, das „unmög-
lichste von Allem" betreffenden Ausspruchs der Königin, die Gar-
derobe zu dem Verkleidungsstücke spuhlt — erst mit dieser Scene
beginnt die Exposition der eigentlichen Comedia.
ßamon bringt dem Lisardo ein Brief eben von einer
Estella. Was Estella! Inzwischen hat sein Liebessinn den Wet-
terhahn gespielt; sein hofritterliches Herz hat sich ja eben der
Königin verpflichtet, als ihr Windspiel auf einer andern Fährte
das Liebeswild aufzujagen. ^) Aechte höfische Cancionero-Liebe
auf allerhöchstes Begehren: eine Liebe aus der Phantasie, der
Fürstin zu Hulden und Treuen. L i s a r d o , der ßoberto's Schwester
nicht näher kennt, zieht Erkundigungen über die von der könig-
lichen Gebieterin zur Herzensdame ihm befohlene Schöne ein. Der
Diener, der wie ein Servus der römischen Komödie über Alles
Auskunft zu geben weiss, zeichnet das gewünschte Bild mit ei-
nigen kräftigen Strichen. 2) Uebrigens ist ßamon durchaus der
1) desde hoy me Obligo
La que me puede niandar
Que müde de pensamiento.
,,ich versprach heut Morgen
Nun ein andres Weib zu lieben.
Mir ward ein Gebot, fortan
Neue Ziele mir zu wählen/'
2) tiene del leon
La soberbia y fortaleza,
Si bien con rara belleza
Peregrina discrecion.
„denn es spricht
Schwachsinniger Widerpart: schwachselige Conflict-Komik. 29
Ansicht der Königin. Auf Lisardo's Bemerkung: „doch ihr
Bruder ist zu scheuen", meint Eamon: „Nicht Thüren und
Wälle nützen, nicht thebanische Mauern schützen gegen Lieb',
die Gluth der Herzen!" Bruder Roberto, du bist von vorn-
herein geklatscht! Als wohlbestallten Argus sitzen dir, wie die-
sem, die Augen hinten, um das Nachsehen zu haben. Ein
Eamon, von der Schlauheit, Anschlägigkeit, Kühnheit und Frech-
heit eines Pseudolus; ein Lisardo, der diese Eigenschaften
seines Dieners aufruft % und in solchen Fahrten und Wagnissen
der Löwe ist, der mit dem Fuchs auf die Jagd geht: und sol-
cher Schwester, solchem Jägerpaar gegenüber, ein Bruder Ro-
berto, der schon unter den Hofakademikern als Kammerherr
Lampe, der Hase oder Marschall von Kalb figurirt — heisst das,
die Chance der Wette gleichstellen, und nicht vielmehr der ei-
nen Partei, der königlichen, vonanfangherein gewonnen Spiel
geben und ihr die komische Erfindung und Verwickelung vorweg
zu Füssen legen? Womit beginnt Roberto, um die Schwester-
hut zu verstärken und zu verschanzen? Damit, dass er sei-
nem Hauswart Fulgencio, einem blöden, alten Gauch, ver-
schärfte Aufsicht in Terzinen anempfiehlt 2) , halb und halb ein-
gestehend, dass er sich, dem Lisardo gegenüber, einer bedenk-
lichen Aufgabe unterzogen.^) Schwächt dies Zugeständniss nun
Stolz und Wildheit eines Leuen
Ihr aus jedem Blick und Zug. —
Schön zwar ist sie, und gar klug."
1) „Du sollst mit kluger List
Meiner Lieb' zu Hülfe kommen.**
2) Mi casa, aunque estä bien, de hoy mas mejore.
Tu cuidado, Fulgencio
Aqui no ha de entrar hombre niun.
„Bis jetzt war ich des Hauses Schirm und Wehr;
Nun soUst du besser noch der Obhut pflegen . . .
Lass Niemand ein'* . . .
3) — digo.
Para que mas se guarde el confiado,
Que el que tiene mujer tiene enemigo.
— „und mir scheint,
Getäuscht ist wer auf eigne Klugheit zählt,
Denn wer ein Weib hat, der hat einen Feind.**
30 I^^s spanische Drama.
nicht das Lächerliche thörichter Selbstzuversicht, und erschlafft
es nicht andererseits die Spannfedern der aus einer nachdrück-
lichen Gegenwehr entspringenden Conflicte? Ein argwöhni-
scher Bruder giebt der Königin und ihrem Verfechter Lisardo,
im Widerspruch mit seiner herausfordernden Gegenmeinung, Recht;
ein vertrauensseliger Bruder, als der er die üeberzeugung
der Königin hinsichtlich des „Unmöglichsten"' zu Schanden ma-
chen zu wollen sich erbrüstet, öffnet selbst dem Feinde die
Festungsthore und liefert ihm mit den Bollwerken die Intrigue
der Komödie aus; es sey denn, diese würde von der Schwester
so gezettelt, dass der glaubensstarke Bruder in jedem ihrer Trug-
erfolge einen Beweis ihrer tugendstrengen Abwehr und unbeweg-
baren Selbsthut, mithin einen Triumph seiner Ansicht erblickte.
Diese Durchführung des Problems will uns denn auch die der
Charakteranlage Roberto 's, bei der Aufnahme der Wette, ge-
mässere und, inbetracht der siegessichern Selbsttäuschung, in-
folge der Vertrauensseligkeit, auch komischer bedünken, als die
Vereitelung der Bewachungsvorkehrungen eines argwöhnischen
Bruders. Lope's Roberto schwankt zwischen beiden Charakter-
stimmungen hin und her, verfällt daher unserer Meinung nach,
dem reichbevölkerten limbo so vieler anderen, unentschieden von
Doppelmotiven bewegten Figuren der spanischen Komödie.
Welche erste Probe legt nun der alte Hauswart, Fulgencio,
von seinem Berufe zum Frauenhüteramte ab? Sein Erstes ist:
der Schwester Roberto's, Diana, als Grund von des Bruders
Missmuth und Verstimmtheit dessen Sorge um ihre Ehre anzu-
geben, und ihr haarklein zu erzählen, um was es sich, bezüglich
ihrer, handelt, und dass ihm von Diana's Bruder die Aufsicht
und Obhut über sie und seines Hauses Ehre aufgetragen wor-
den. 1) Kein Dramaturg vermöchte an diesem Beginne eine
1) Con esto mi manda a mi
Que desde la noche al alba
Y desde al alba ä la noche
Vele SU honor y su casa . . .
„So hat er mir aufgetragen,
Morgens, Abends, Nacht und Tag,
Treu sein Haus ihm zu bewahren .
ßamon*s Taktik. 3j^
schärfere Kritik zu üben, als Diana in ihrem folgenden Mono-
log. 1) Die Thorheit des Wahns konnte, ob ihrer Lächerlichkeit,
sich als eine komödien würdige erweisen; die Zerstörung dieser
Thorheit durch Tulgencio's Schwatzen aus der Schule ist als
falschberechneter, die Kreuzungsfäden derintrigue durchkreuzen-
der Verwickelungsbehelf eine lustspiel widrige, und daher nichts
weniger als komische Thorheit.
Eamon's erster Wurf glückt ganz anders! Er hat sich
als „flandrischer Kaufmann" in ßoberto's Haus und in Dia-
na's Zimmer eingeschlichen. Sein Kasten ist so reich ausge-
stattet, wie der, den Ulysses die Töchter des Lykomedes mustern
liess» Diana greift aber nur nach einem Bilde, rasch und eif-
rig — wie der junge Achilles im Unterrock nach dem Dolche.
Das Bildniss ist Lisardo's, auf den Diana schon früher, von
ihm unbemerkt oder unbeachtet, ein Auge geworfen.'-^) Schlau
und fein und rückhaltlich - neckisch , verräth der flämische
Krämer, Ramon, der neugierig forschenden Diana die
1) Entre ignorancias del mundo
Ninguna he visto mayor.
Despues del primero error,
Hizo este necio el segimdo.
^Con que ingenio, con que Uave
Guardar quiere una mujer? . . .
„Unter aUen Albernheiten
Ist doch keine dieser gleich;
Auf den ersten Narrenstreich
Setzt der Thor sogleich den zweiten.
Wo der Schlüssel, wo der Witz,
Der ein Weib behüten könnte?**
2) Yo he mirado atentamente
A Lisardo, y me pesaba
De Ter que no me pagaba
Este amoroso accidente.
„Auf Lisardo's Schönheit weilte
Schon mein Blick so oft, so gerne;
Und mich grämt' es, dass er ferne
Blieb, und kalt vorüber eilte.*'
Erfahren wir aus Diana's vorgedachtem Monolog.
32 Das spanische Drätna.
Herzensdame des Cavallero, des Originals vom Bilde. ^ ... Ra-
in on lässt ihr das Bildniss nicht anders, als gegen ein Pfand,
gegen ihr, Diana's, Portrait. Sie giebt es ihm, bestellt ihn
auf morgen, „aber in anderer Tracht", als hätten die beiden
Frauenwächter, Roberto und Fulgencio, wie zu einem Mas-
kenball, nur Maskirten den Einlass verstattet; und schliesst
den Act mit dem Kehrreim als Stichwort, wie eine Glosa:
„Bleibt doch stets ein Weib zu hüten,
Das Unmöglichste von Allem!"
„Die andere Tracht", in welcher, laut Verabredung mit
Diana, nächsten Tages Ramon wieder bei ihr erscheinen soll,
entfaltet der zweite Act in voller Pracht. Ausgestattet von
der Königin mit sechs herrlichen Rossen, geführt von sechs
Reitknechten, stellt sich Ramon dem Roberto als Spanier
vor, der diesem vom Kronfeldherrn Aragoniens, auf dessen Ver-
wandtschaft mit ihm Roberto „eitel ist in tiefster Seele", Rosse
und Wärtel als Geschenk, gelegentlich des Vermählungsfestes
zuführt, das die Königin Antonie von Neapel mit Alfonso,
Prinzen von Aragon und Könige von Castilien^) zu feiern im
Begriffe steht. Nun hat Roberto schon Lisardo's, vom flämi-
schen Tabuletkrämer, Ramon der Diana überlassenes und in
deren Bette gefundenes Bildniss in Händen:^)
„Wenn ich heut im Bett versteckt
Den gemalten Freund entdeckt,
Find' ich ihn lebendig morgen/' 4) —
1) ^Conoceis cierta Diana?
Bellisima . . .
De cierto Eoberto hermana . . .
2) Johanna's IL von Neapel und Alfonso's V. von Aragon historische
Beziehungen erscheinen hier zu einem Komödienphantasiebilde idealisirt.
Vg^C^lesch. d. Dram. Vm. S. 784. Anm. 5.
§) En la cama de mi hermana
Un retrato de Lisardo!
4) Pues si en su cama he hallado
Hoy a Lisardo pintado,
Mafiana le hallare vivo.
Rainon's Gegenminen. 33
Und schilt, wie nach dem Sprichwort ein Esel den andern Sack-
träger, seinen grauköpfigen Hauswart Pulgencio einen faulen
Lugeck, der er selber ist. i) Zwei düpirte Prauenhüter sind im-
mer komisch; doch wären es vielleicht die unsrigen noch mehr,
wenn sie, oder Einer mindestens von ihnen, sich von dem Eari-
tätenverkäufer, Eamon, hätten düpiren lassen, bevor sich der-
selbe bei Diana so ohneweiteres eingeschlichen. Wahrscheinlich
sollte Ramon's zweite Verkleidung eine dramatische Steigerung
aufsparen. Doch würde, scheint uns, die Erfindungskunst noch
schönerglänzen, wenn bei des verkleideten Kamen erstem Einlass
in'sHaus Pulgencio, beim zweiten Versuch Roberto getäuscht
wurde, was ohne Abbruch an Wahrscheinlichkeit und gesteiger-
ter Situationskomik, bei der so trefflich erdachten, bewältigenden
Glaubwürdigkeit des Täuschungsmotives , das in der Zuführung
der sechs prächtigen Rosse und Stallknechte liegt, zu bewirken
war; um so unfehlbarer und überzeugender, als sich derPferdezu-
führer durch des Kronfeldherrn 2) von Aragon an seinen Vetter,
Roberto, überbrachtes Schreiben legitimiren konnte, dessen Unter-
schrift der im Besitze von Briefen des Admirals sich befindende
Lisardo genau nachgeahmt hatte. •^) Die List, mit welcher sich
Diana wegen des in ihrem Bette gefundenen Portraits heraus-
schwindelt, giebt vollends Ramon's, des mit Rossen täuschenden
nicht Ross- sondern Eseltäuschers zweiter Einführung eine Wahr-
scheinlichkeit, eine Glaublichkeit, die fast einer Ehrenrettung der
so leichten Kaufs zu übertölpelnden beiden Hausehrenwächter
gleichkommt. Das Bildniss — spiegelt Diana, ihrem schelten-
den Bruder vor, habe ihr Kammermädchen, Celia, gefunden —
und im selben Augenblicke hören auch schon Bruder und Ro-
1) Que bien mi casa guardaste!
Qua bien la fie le ti.
„Schön bewachtest du mein Haus!
Zeigtest klug dich und verschlagen!"
2) Almirante, Admiral. Kronfeldherr ist wohl der Condestable.
3) Lisardo. — La firma
Del Almirante, que tengo
En cartos suyös, serä
Fäcil, ä lo que yo creo,
De contrahacer.
X, 3
34 Das spanische Drama.
berto und Hauswart Fulgencio von der Strasse herein den
öffentlichen Ausrufer den Verlust eines Portraits austrommeln,
dessen Eigenthümer dem ehrlichen Finder fünfzehn Ducaten ver-
spricht. Diesen Trug hatte Diana inzwischen mit der Zofe, die
den Eamon in aller Eile verständigte, abgekartet. Roberto,
hochfreudig ob der Schwester und seines Hauses Ehrenrettung,
schenkt ihr einen Schmuck Diamanten, begleitet von seiner ab-
bittenden Ehrenerklärung. Eine Mustererfindung nach der ande-
ren, die vor ähnlichen der ital. Komödie den poetischen Schmelz,
romantischen Duft und Zauber und die Sirenensüssigkeit des
metrischen, diesen Situationen und Stimmungen sich wunderbar an-
schmiegenden und sie abspiegelnden Wohlklangs voraushaben, wovon
die italienische komische Oper des 18. Jahrhunderts allenfalls ein
Nachhall scheinen möchte. Wenn nun Fulgencio mit der
Meldung von Dienern eintritt, die aussen des Empfanges harren,
„Geschenk' und Briefe bringend aus den spanischen Landen", und
in einer jener glänzenden Beschreibungen der zugeführten Rosse ^
1) Fulg. Seis cabaUos,
Que qualquiera deUos bastä
A dar a Cordoba honor
Bien puedes mandar manana
Que se empiedren el zaguan;
Que al son que los frenos tascan
Llevan el compäs los pies:
Con tanto conciertp danzaii;
Las armas del Almirante
Las aragonesas barras,
Traen bordadas de tela
Sobre cubiertos de grana
Trae un bayo, cabos negros
La Clin en cintas de näcar.
Que, aunque es encarecimiento,
Puede invidialle una dama.
Corto de cuello, un rosillo
Fuego por los ojos lanza,
E un castano con bufidos
Parece que al toro llama.
Dos rucios son tan iguales,
Que no harän en una entrada
En Espana diferencia . . .
Bereiter-Motiv. 35
sich ergeht, die als Muster für alle ähnlichen Schilderungen,
für das herkömmliche, in spanischen Dramen stereotype Schau-
Digo eil sus juegos de caiias.
Bizarro muerde un overo
El bocado con tal gala,
Que me Obligo ä descubriUe
Por las cubiertas las aiicas;
Todes en fin, son de suerte,
Que en el carro de la fama
Perdieron de ir solamente
Por ser de colores varias.
A. II. Ese. IX
Fulgencio.
Sechs Bosse,
Jedes schön genug, den Namen
Cprdoba's zu überglänzen.
Morgen gleich, kann ich Dir sagen,
Musst den Hof Du pflastern lassen;
Denn wie sie die Zügel nagen,
Heben sie zum Tanz die Hufe,
Die im Takt den Boden schlagen.
Die vier Pfähle Aragoniens,
Des Kronfeldherrn Wappen, tragen
Sie in goldgestickten Decken,
Die purpuren niederhangen.
Erst ein Brauner, schwarzgeschweift,
Dem wie Gold die Mähnen prangen,
Dass wohl manche Dame wünschte
Solche Färbung ihren Haaren.
Dann ein Falber, kurz von Hals, dem
Flammen aus den Augen fahren.
Ein Schwarzbrauner schnaubt, als rief er
Einen Stier, den Kampf zu wagen.
Dann zwei Schimmel, so sich gleichend,
Dass, wenn sie zwei Ritter tragen
Zum Turnier, kein Aug' vermöchte
Ihren Unterschied zu sagen.
Dann ein Schecke beisst die Zügel
Mit so muthigem Behagen,
Dass er mich ihm zwang die Decken
Bis zum Bug zurückzuschlagen.
Kurz, so sind die Rosse, dass sie
36 Jf^as spanische Drama.
tummeln des kunstdressirten , als Gallapferd dem Publicum vor-
gerittenen Musenrosses aufgestellt zu werden verdient: da wäre
dies das Unglaubliche, Unwahrscheinliche, in psychologisch-dra-
matischer Hinsicht anstössig Verfehlte, wäre dies, vom Gesichtspunkt
der poetischen Komödienwahrheit „das Unmöglichste von Allem" :
wenn Roberto nicht in die Falle ginge. Das kostbarste Ge-
schenk, das der mit offenen Armen von Eoberto empfangeüe
Bereiter oder Stallmeister seines hohen Verwandten, des Kron-
feldherrn (Almirante); der Diana in dessen Namen zustellt: ist ein
Kästchen, worin ein Juwel, der, in einer tete-ä-tete der Herrin
mit der Dienerin, Roberto's Schwester als ein Brief eben von Li-
sardo anstrahlt, das ihr Licht und Aufschluss über Alles giebt.
Bald ist mit Ramon ein Stelldichein für Lisardo eingefädelt,
im Garten nämlich, woselbst Roberto unterdessen von seinem
Gast, dem spanischen Rosswart, bei einem lucuUischen Abend-
schmause sich würde unterhalten lassen. Diana's zweifelvolle
Besorgniss: wie Lisardo in den Garten kommen soll, da doch
Roberto oder sein Burgvogt Fulgencio, die Gartenschlüssel in
Händen habe, beseitigt der erfindsame Ramon mit dem An-
schlag: „Als Lastträger wohl verkleidet, kommt Lisardo heut in
später Abendstunde; und Fulgencio selbst wird gern ihn kom-
men lassen: denn er bringt mir meinen Koffer." Unter den Ad-
lerflügeln der brillanten sechsspännigen Täuschung, herrlich wie
der Prachtzug am Wagen der Cherubim in der Vision der Pro-
pheten — mag sich denn auch Ramon's Beifracht-Anschlag: der
Lastträger mit dem Koffer, unbeschadet der Wahrscheinlichkeit;
einschmuggeln. Diana's zweitem Bedenken aber; dass man,
gleich nach Ablieferung des Koffers, den Lastträger, um den es
ihr doch hauptsächlich zu thun ist, würde fortschicken, diesem
Bedenken begegnet Ramon mit einem Auskunftsmittel, das
selbst der Adler in der Prophetenschau, im Verein mit sämmt-
lichen Fittigen der übrigen Visionsreitthiere , schwerlich unter
seine Flügel nehmen möchte. Ramon 's Pfiff ist nämlich der:
Zum Gespann vor Fama's Wagen
Nur darum nicht taugen, weil sie
So verschiedne Farben tragen.
Pferde-Parade. 37
„Unter Einem Mantel sollen Zweie sich in'sHaus begeben, dass
man meint, es sey nur Einer" . . . Sobald der Koffer abgesetzt,
„geht der Andere", während Lisardo von Ramon der Diana,
als ihr Leibpferd, im Garten zugeführt wird, „eh der Bruder
kommt vom Essen." „Zwei als Einer?" schüttelt Diana das
Köpfchen, und unsere Geschichte desgleichen. Die doppelten
Lastträger unter einer Mantelkappe — das ist ja die leibhafte,
doppelleibhafte spanische Parallelformel, eingeschmuggelt auch
hinwiederum in Lope's Mantelkomödie: „das Unmöglichste von
Allem", und gleichfalls in lastträgerischer Doppelgestalt, um als
Zwillingskaryatide das Intriguengebälke der Capa y Espada-Co-
media auf ihre Doppelkappe zu nehmen! Die Ausführung all
dieser Listen und Täuschungen besorgt der Schluss des zweiten
Acts, dessen Doppelscenen im mondbeglänzten, von den Lie-
dern zweier „Sänger" durchklungenen Garten — hier die von
ßamon's Trug wie verzaubert beim Schmause festgebannte
Gruppe ßoberto-Fulgencio; dort die Gruppe Diana-Li-
sardo; nachdem der Zwillingslastträger, Lisardo's Freund und
„Hofherr" Alb an o, glücklich unter'm Mantel weg entschlüpfte —
einen poetischen Reiz athmen, einen Hesperidenduft, eine von
klingenden, mondschein-umzitterten Springbrunnen, von Nachti-
gallen- und Serenadengesang, Mädchenschalkheit und Liebesfeier
durchschimmerte „nuit des dupes", dass alle Zaubernachtstücke,
alle Märchen-Mondscheine in den Feenlustwäldchen und Liebes-
gärten der Komödien, Opern und Ballete, dass namentlich die
gepriesenen Gartenscenen in Gozzi's Zauberspiel: „Das grüne
Vögelchen" i), nur ein matter Abschimmer dieses von allen Amo-
retten und Genien scherzhafter Anmuth, neckender Liebeslist und
graziöser Foppspiele durchflatterten und umgaukelten Eden-Irr-
gartens der Komödienpoesie scheinen muss. Eine einzige, neben
all den genannten Schönheiten auch noch von himmeltiefen Ge-
danken, wie vom sternenvollen Aether, überfunkelte Komödie
nehmen wir aus: den „Sommernachtstraum", mit dem einen Ver-
gleich auszuhalten, uns „das Unmöglichste von Allem" bedünkt.
Ah vereinzelten Lichtblick von Lope's poetischer Komödienzau-
1) Vgl. Gesch. d. Dram. VI. 1. S. 742 ff.
38 I^as spanische Drama.
berkuDst lassen wir Esc. XXII. A. IL in unsere Camera obscura
faUen. i)
J) Fünfundzwanzigster Auftritt.
Celia, Eamon. Roberto. Diana. Feniso. Die Sänger.
Roberto.
Bringt uns Stühle her.
(Es geschieht.)
Feniso.
Viel kühler
Müssen hier die Lüfte wehen;
Denn sie streu'n weitum die Perlen,
Die sie hier dem SpringqueU stehlen.
Diana (zu den Sängern).
Singt was!
Sänger.
Gleich; doch wird das Liedchen
Sich durch Neuheit nicht empfehlen.
Robero (Ramon bemerkend).
He, wer da?
Ramon.
Ich bin's.
Roberto.
Don Pedro?
Ramon.
Freilich.
Roberto.
Habt Ihr Eu'r Gepäcke?
Ramon.
Ja; es ist auf meinem Zimmer,
Doch ich lief gar manche Strecke
Hin und her, bis ich's bekam,
Hatte Kosten und Beschwerden.
Roberto.
Schon gespeist?
Ramon.
Das will ich eben.
Roberto.
Nun, wie geht's mit unsern Pferden?
Ramon.
Lassen all die Mäuler hängen.
Roberto.
Glaub's.
Doppelte Tarnkappe. 39
In der letzten Scene dieses Actes lässt Diana ihren Li-
ardo schwören, „unter ihrem Dache", wie es einem Lastträger
Eamon.
Ich schwör's bei memer Seele
Roberto.
Stets bei Laune!
Ramon.
Auch voll Launen.
Roberto (zu den Sängern).
Nun das Liedchen!
Sänger.
Zu Befehle.
(Singen.)
Mutter, lieb Frau Mutter,
Hüter stellst du mir?
Hut' ich mich nicht selber.
Hilft kein Hüten dir.
Roberto.
Unsinn !
Diana.
Recht hat das Gedicht.
Roberto.
So! warum?
Diana.
Man muss die Frauen
Ihrer Tugend anvertrauen;
Bessren Hüter giebt es nicht.
Roberto.
Steht's nicht in des Mannes Macht
Sie zu hüten?
Diana.
'S kann gelingen;
Doch wer kann ihr Herz bezwingen,
Wenn sie erst sich selbst bewacht?
Roberto (spottend).
Doch ein Mann, hab' ich vernommen
Freit ein Mädchen, das ihn liebt;
Und so viel sie Müh' sich giebt,
Kann sie doch zum Ziel nicht kommen.
Diana (ebenso).
Und ein Weib, hab' ich vernommen,
Kos't mit ihrem Freund bei Nacht
Yor dem Narrn, der sie bewacht.
40 Das spanische Drama.
Roberto.
Ei, das ist mir hochwillkommen;
Dir, Feniso, gilt dies Wort.
Feniso.
Mir?
Ja wohl,
Roberto.
Feniso.
0 Glück und Wonne!
Diana.
Sagt ihm Nein, o holde Bronnen;
,,Ja!** rnft in die Büsche dort.
Feniso.
Bin ich solches Glück denn werth?
Diana.
'S ist für Euch noch zu geringe.
Feniso.
Rausche, Quelle! Welle, singe,
Welch ein Heil mir widerfährt!
Diana.
Bronnen, die mit reinem Thaue
Meines Freundes Antlitz baden,
Habt ihr ihn hierher geladen,
Dass er meine Treue sch^e?
Sagt, ich bleib' ihm fest verbunden!
Feniso.
Saget ihr, des Gartens Bäume,
Dass ich meiner kühnsten Träume
Höchste Ziele hier gefunden.
Gleich Medor von Lust verzehrt,
Schrieb' ich gern, was ich empfinde.
All mein Glück in eure Rinde,
— Doch es dunkelt schon; so darf ich
Nicht mehr zu verweilen wagen.
Roberto.
Ich geleit' Euch; denn die Schlüssel
Muss ich selber bei mir tragen.
Feniso.
Gerne nehm ich's an; Euch, Fräulein,
Schütze Gott mit seinen Gnaden.
Diana (ironisch).
Und Euch geh' er „Glück und Wonnen !'*
(Roberto und Feniso ab, ihnen folgen die Sänger.)
Der verwegene Eoberto. 41
als Karyatide zukommt, „still und ruhig zu verweilen", dass ihr
Bruder nicht erwache -— „dann versteck' ich dich." ^) In den
Kleidern ihrer Zofe, Celia, wird ihm Roberto den Eingang
„ohne Argwohn gestatten."
Sieben ganzer Tage liegt Lisardo im Zwischenact vom
zweiten zum dritten Aufzug bei Diana versteckt, „ohne Arg-
wohn" vonseiten ßoberto's. Nun aber evadere ad auras! aus dem
Versteck davon kommen! mit heiler Haut entfliehen! Seiner hei-
len Haut und der von Diana's und des Hauses Ehre! ßamon
kennt keinen andern Ausweg, „als vermummt zu fliehen, mit
Degen und Pistolen in der Hand." Nun möchte Ramon, ent-
gegnet Celia, den Lisardo bedeuten: — „schwach sey von Ver-
stand unser Herr, doch höchst verwegen." ^) Die Comedia stutzt
über diese Aeusserung und denkt bei sich : Wie soll ein schwach-
köpfiger Ehrenhort mein Thema und meinen Titel: „Das unmög-
lichste von Allem", zu Ehren bringen? Das Unmöglichste von
Allem bleibt solches Hüteramt für einen 'necio' allerdings; aber
für einen Gewitzten, der es besser versteht — wie da? Die
Rechtfertigung meines Themas und Titels hätte somit noch erst
ein Frauenwart von mehr Verstand, als Roberto, zu führen, und
die eigentliche Comedia famosa: 'El mayor Imposible', liefe mit
ihrem ungelösten Problem noch neben mir umher! So denkt
unsere Comedia im Stillen und schüttelt ihr „Haupt" wie der
Ahnherr in Iphigenia's „Parzenlied". Doch kann sich die Gute
immerhin mit der Annahme trösten, d. h. mit ihres grossen Dich-
1) Lisardo. Und wo?
Diana. Hinter meinem Schlafgemache
Ist ein Gang; du wirst in Stille
Als mein Schutzpatron da walten . . .
Mäuschenstill musst du dich halten.
Denn in seinen ew'gen Aengsten,
Die der eignen Thorheit Strafe,
Liess er*) sich ein Bett aufschlagen,
Dicht am Zimmer, wo ich schlafe . . .
2) Dile que es necio su hermano,
Celoso, y valiente mozo.
*) Ihr Bruder Roberto
42 Das spanische Drama.
ters muthmaslichem Busengedanken trösten: dass eben nur ein
Thor und Tropf auf einen solchen Einfall kommen, und sich als
Zwanghüter von Frauenehre und Tugend aufwerfen könne.
Kaum zwei Auftritte gehen über Celia's „necio" hin, da sieht
auch schon Fulgencio einen in den Mantel Vermummten daher-
stürzen, in jeder Hand eine Pistole; nun öffnet auch schon Pul-
gencio, als dienstwilliger Schlosswart, dem Vermummten [so
viel Thüren, als das Zimmer aufweisen kann, versichert aber
nichts desto weniger dem Roberto: „Darum kurz: ein fremder
Mann war im Hause, — ist entsprungen", zu seiner Rechtfer-
tigung sich auf den kolchischen Ochsen berufend, der, so Ochse
er war, das goldneVliess doch nicht bewahren konnte und, trotz
Feuer- und Flammenschnauben, stehlen liess. ^) Roberto muss
seinem Mitwächter Recht geben ^);, schnaubt aber dessungeachtet
noch nachträglich, mit dem kolchischen 'bravo toro' um die Wette,
Feuer und Flamme gegen seine Schwester Diana, die er mit
dem Kloster bedroht, den untrüglichsten Frauehren wärteldrachen,
wofür es wenigstens Celia hält. ^)
Unsere Komödie kehrt nun wieder in ihren Anfang zurück,
in ihre von der Königin vertretene ürsprungsgeschichte, die sie
wie ein Rahmen umgiebt, oder wie die Devise das Bild beglei-
tet. Der Königin wird die bevorstehende Ankunft des Prin-
zen von Aragon, ihres künftigen Gemahls, gemeldet. „Ringsum" —
klagt sie — „Wonne, Lust und Pracht; mich nur quält des Fie-
bers Hitze." 20,000 Ducaten bietet sie dem Arzt, der sie vom
Fieber befreien würde. Hofherr Albano lässt das Gebot durch
einen Ausrufer allem Volk zur Kunde bringen. Währenddessen
1) Uli dragon y im bravo toro
Tuvo el vellocino de oro,
Y lo robaron, senor.
2) ,,Und tief beschämt gesteh' ich
Dass eines Weibes Witz mich überwunden . . ,
Unmöglich ist's hienieden
Ein Weib zu hüten, das in Liebe glühet . . .
Nur wer sich selbst betrüget,
Kann sagen, dass sich Weiber hüten lassen.**
3) Därsela ä Dios procura;
Que solo Dios la guardarä segura.
Raraon's Chinarinde. 43
erklärt Roberto der Königin seinen Entschluss, seine nicht
zu hütende Schwester, Diana, mit dem ihm befreundeten Hof-
herrn Feniso zu vermählen, den Celia sonderzweifel ebenfalls
in die Kategorie der 'necios' sprechen würde, wenn Roberto ihr
nicht zuvorkäme und den Freund und künftigen Schwager für
einen „Tölpel'' (majadero) erklärte^), und zwar inFeniso's Gegen-
wart, der Königin sub rosa.
üeberflüssigerweise bekommt das Publicum in Lisardo's
Bericht an die Königin (II. Sc. II.) das vor seinen, des Zu-
schauers, Augen Vorgefallene noch einmal zu hören — ein Ver-
stoss gegen die dramatische Technik, den aber das Ritual des
spanischen Drama's sanctionirt. Ob auch R a m o n ' s neuen Fund :
die Königin vom Fieber durch Schrecken zu heilen und die
20,000 vom öffentlichen Ausrufer zugesagten Ducaten einzustrei-
chen 2; — ob das Ritual des spanischen Drama's auch diesen
psychologisch -iatrischen Coup Ramon's gutheisst, möchten wir
nicht zu behaupten wagen. Ramon's Fieberrinden-Surrogat: der
Schrecken, ist zwar ein halber Freudenschreck, veranlasst durch
seine plötzliche Botschaft von des Prinzen Ankunft, worüber die
Königin vor üeberraschung und Alteration ob solchen, vonsei-
ten des Prinz-Bräutigams, unziemlichen „üeberfalls" , halb einer
Ohnmacht nah, in den Sessel sinkt: der halbe Freudenschreck
reicht aber vollkommen zu einem ganzen Nervenschlag hin, in
den sich die Comedia mit der Königin theilt. Denn das solche
Schreckwirkung erzielende Heilmittel — mit welcher Zuversicht
konnte der Arzt das Specificum bei einer Königin anzuwenden
wagen, und dessen Dosis berechnen? zumal die auf den Plotz
1) „Leichter dacht' ich mir die Sache,
Als sie ist. An meiner Stelle
Sey der tölpische Geselle
Künftig ihre Ehrenwache!
Und ein Kloster unterdessen
Bürgt für sie.**
2) „Heilt mein Schreck das böse Fieber,
Strömt das Geld in meine Tasche:
Und dann heiss' ich Don Eamon,
Don Baron durch Gottes Gnade;
44 Das spanische Drama.
einbrechende Nachricht von des Prinzen Ankunft erlogen ist. ^)
Quodcunque ostendis mihi sie, incredulus odi. Das Schreckmit-
tel ist ein so schlechter Komödienspass, dass die Komödie ein
unheilbar dreitägiges — ein tres Jornadas- Fieber davontragen
kann, wo nicht eine halbseitige Lähmung. Lege artis dagegen
ist der Schrecken, den Ramon's Meldung, betreff Eoberto's und
Diana' s, dem Lisardo beibringt: Eoberto's Entschluss nämlich,
die Schwester in ein Kloster zu sperren, und Diana's Auffor-
derung, dass Lisardo sie zu retten eile. Behufs der Eettung,
muss ßamon's anschlägiger — mitunter auch, wie eben sich
zeigte, Gehirnschläge bewirkender Kopf wiederum herhalten und
aushelfen. Dianen meldet er, Lisardo harre draussen, und be-
wache ihre Thür „im Schutz der Nacht." Diana verzweifelt
am Erfolgt) der ünerschöpflichkeit der Hülfsquellen und Aus-
kunfsmittel eines liebenden Weibes gegen gewaltsame üeber-
wachung zum Possen; eine ünerschöpflichkeit, die Thema u»d
Titel der Comedia doch so stark betont. „Das Unmöglichste von
Allem", dass nämlich die Zwangshut gegen die Unermüdlichkeit
und Unversiegbarkeit der Anschläge einer verliebten und wider-
willig bewachten Schönen aufkommen könne, droht in ein ganz
anderes Komödienproblem umzuschlagen, in den durchzuführen-
den Lustspiel -Vorwurf: „das Unmöglichste von Allem" sey: den
Anschlägen eines frechen, an Auskunftsmitteln, Nothbehelfen,
Finten und Sünden ergiebigen Bedientenkopfes die Stirne zu bie-
ten. Diana's gesunkenen Muth richtet dieser an Fallen und
Hinterthürchen so reiche Bedientenkopf durch seine unbeirrte Zu-
versicht wieder auf; gleichzeitig dem Fulgencio und den Haus-
Demi mit einem vollen Geldsack
Wird der krummste Buckel grade.**
Jeder Buckel, nur nicht der einer Komödie, der solchen anstössigen Aus-
wuchs der Erfindung auf die leichte Schulter nimmt. — 1) „Er (der
Prinz) ist gar nicht da** (vertraut Eamon seinem Gebieter Lisardo); „man
weiss nicht, wann er kommt.**
2) Diana. „Heiss ihn gehn; 's ist Alles aus;
Ganz unmöglich ist die Flucht.
Ramon. Wie?! Kam ich als Dein Befreier
Muss es gehn** — ob auch meine Erfindung und die
Wahrscheinlichkeit und die Komöcliß darüber in die Brüche geht!
Hornringe. 45
dienern des Roberto ein dutzend Nasen drehend und diesem einen
Hocuspocus vormachend, von dem sich übertölpeln zu lassen, ein
asturischer Sumpf büffel sich schämen würde, ßamon — noch
immer als des Kronfeldherrn Bereiter und Rossetummler — E a-
mon vermisst seinen hörnernen, aus Elennsklaue gedrehten, gegen
Krämpfe heilkräftigen ßing, bekommt auch gleich die hef-
tigsten Krämpfe, und stürzt besinnungslos zu Boden. Entsetzt
über den Schreckensanblick, brümmelt Fulgencio einige, der-
gleichen Zufälle beschwichtigende Zauberworte, die ihm einst
„ein frommer Mann als Yermächtniss" zurückgelassen, dem am
Boden in Krämpfen sich windenden Eamon in's Ohr. Während
nun Fulgencio und Diener sich mit dem in Zuckungen Da-
liegenden beschäftigen, kann Diana mit Celia unbemerkt ent-
wischen. Der Ring von Elennshaut, die Krämpfe, Fulgencio's
zugeflüsterte Besprechung derselben sind, selbst bei aller Be-
dachtnahme auf die Zeit, wo dergleichen ein gläubigeres Publi-
cum finden mochte — derlei Kunstmittel sind zu jeder Zeit und
unter allen Umständen als komische, den Ausgang der Komödie
bestimmende Erfindungsbehelfe zu gewaltsamer Art, zu bühnen-
widrig, in einem so poetischdurchhauchten Höflingslustspiel zu-
mal von allzugrellem Abstich, um nicht, auch aus dem Gesichts-
punkte der Kritik damaliger Zeiten beurtheilt, abgelehnt zu
werden. Ein Dichter wie Lope freilich versteht es meisterlich,
hexenmeisterlich, selbst solche Noth- und Gewaltmittel der ko-
mischen Erfindung anmuthig, geistreich und witzig zu verzieren, zu
arabesciren, versteht es, als poetischer Bosco, ein Milchferkel
in einen Blumenstrauss zu Verwandeln. So könnte uns ßamon' s
Angabe, aufFulgencio's Frage: „Und wie macht man denn
die Ringe?" mit seinen, am Schluss seiner Aufzählung der zur
Verfertigung solcher Ringe erforderlichen Ingredienzien ihn plötz-
lich überfallenden Krämpfen schier versöhnen. ^) Und welches
Eamon.
Dazu braucht man noch viel Sachen: —
Nägelschnitzel jener schlauen
Männer, die sich ihrer Frauen
Freunde recht zu Nutzen machen;
Nägel auch, von jenen Thoren,
46 I^as spanische Drama.
reizende Simmungssonett, das Lisardo, harrend seiner Gelieb-
ten in der Strasse bei sternenhellem süditalischen Himmel — mo-
nologisch hinseufzt! ^)
Die als Weise sich betrachten,
Wissenschaft und Kunst verachten;
Witzlinge mit langen Ohren;
Nägel auch von niedren Wichten
Die ergattern Eang und Hoheit,
Bis durch niedern Sinn und Rohheit
Sie ihr eigen Glück vernichten;
Auch von Neulingen, die werben
Um des Hofs ersehnte Gunst,
Und, eh sie die höf sehe Kunst
Noch erlernt, im Werben sterben;
Auch von jenen tausend Lumpen,
Die mit Prahlen, Eühmen, Schnattern,
Reiche Leute stets umflattern,
Um sie einmal anzupumpen;
Von Doctoren, aufgebläht,
Die die Muttersprache hassen.
Und sich griechisch hören lassen,
Da wo Niemand es versteht;
Von Poeten, die aus Fetzen
Fremden Guts, gestohlnen Sprüchen,
Wütherei'n und Ehebrüchen,
Dramen plump zusammensetzen;
Auch von Vetteln, die da laufen
Heissen Bluts nach jungen Laffen,
Und ihr Erbtheil solchen Affen
Für ein Linsenmuss verkaufen; . . .
Weh! da fasst der Krampf mich an!
Helft! es zuckt durch alle Glieder!
(Sinkt zu Boden.)
1) Zwanzigster Auftritt.
(Strasse, Nacht.)
Lisardo.
0 holde Nacht, die du den Schleier gerne —
Der Liebe und des Traumes Phantasien,
Auch diebischen Gelüsten gern geliehen,
Sey hold mir, da ich nun zu stehlen lerne.
Wenn du geliebt hast, — in des Aethers Ferne
Kann ja ein Gott selbst nicht der Lieb' entfliehen!
El major imposible bleibt eine offene Frage. 47
Da hören wir aus Diana' s eignem Munde das Geständniss,
das sie an der Brust ihres Lisardo lispelt, und das, wie be-
merkt, den Schwerpunkt des Grundgedankens der Komödie ver-
schiebt :
Wenn geglückt ist mein Beginnen,
Nur Eamon hat es vollbrachte )
Sie verbessert sich gleich wieder, als zupfte sie der Titel des
Stückes am Aermel:
„Nein, kein Witz kein Schicksal giebt
Uns den Ring: nur dieses Eine:
Dass mein Herz erwählt das Deine; —
Dass ein Weib es ist, das liebt.'' 2)
Die ihr entschlüpfte Aeusserung ist aber nichts desto weniger
Wasser auf unsere Mühle. Welches Figurenpaar schleicht nun
alsStaifage des Entführungs-Nachtstückes, heran? Roberto mit
seinem präsumtiven Schwager-majadero, dem Feniso. Die Si-
tuation, ein Juwel der spanischen Capa y Espada-Comedia; ein
Karfunkel, der im Finstern einen Lichtglanz ausstrahlt, mit dem
Venussterne dort am neapolitanischen Nachthimmel um die
Wette — den vermässe sich die kritische Blendlaterne beleuchten
zu wollen? Er schimmere in seinem eigenen Feuer, nur gefasst
in den klaren Krystall der Braunfels'schen üebersetzung! ^)
So lass' nun volle Dunkelheit umziehen
Des Himmels Späheraugen, jene Sterne. —
Musst du auch, Mond, Diana's Glanz beneiden.
Doch lass sie strahlend jetzt der Nacht entschweben;
Du hast geliebt, und kennst der Liebe Leiden.
Dann werden Perlen auf den Blumen beben.
Dann wird die Nacht in Sonnenglanz sich kleiden;
Mein Schmerz wird Seligkeit, mein Traum wird Leben!
1) la invencion de Eamon.
2) Nien los hadas hay poder
Ni en el in genio mejor,
Sino en tenerte yo amor
Y en querer una mujer.
3) Zweiundzwanzigster Auftritt.
Die Vorigen. Roberto. Feniso.
Feniso.
Folge mir und sprich kein Wort.
48 Bas spanische Drama.
Doch die Königin? die wir von Eamon's Schreckheilmittel,
in den Sessel hingesunken, als ohnmächtig verliessen? Gleich
ihre ersten Verse beruhigen uns mit der fröhlichen Kunde:
Roberto.
Wer sind Jene, die sich dort
Noch an meinem Hause zeigen?
Feniso.
Dort? ein Herr ist's mit zwei Damen.
Roberto.
Halt! werda?
Lisardo.
Ein friedlich Paar,
Mann und Frau.
Celia (leise zu Dianen).
Nun ist Gefahr!
Diana (leise).
0 mein Gott!
Roberto.
Sagt Euren Namen!
Lisardo.
Seyd Ihr die Gerechtigkeit?
Roberto.
Nicht einmal die Gnade!
Lisardo (ihn erkennend).
Ha,
Robert?!
Roberto.
Ihr Lisard?
Lisardo.
Nun ja!
Diana (leise).
Weh! das ist mein Tod!
Roberto.
Verzeiht !
Nur weil ich Euch nicht erkannt,
Hab' ich so keck mich betragen.
Feniso.
Ganz dasselbe wollt' ich sagen;
Drum war ich so ungalant.
Lisardo.
0, Ihr wolltet nicht verletzen.
Freier Fiebertag. 49
„Gewiss, er heilte mich durch jenen Schrecken,
Heut war der Tag des Fieheranfalls ;
Der Anfall kam nicht, und ich bin genesen."
Wie freut sie sich, den Prinzen nun gesund empfangen zu kön-
nen! Aber auch dem Ramon „Spass für Spass" zu entgelten;
Koberto.
Da nun Alles aufgeklärt,
Und Ihr wisst, wie hohen Werth
Wir auf Eure Freundschaft setzen,
So erlaubt, uns anzutragen
Als Begleiter diesen Damen;
Denn wenn wir uns keck benehmen,
Könnten Andre Schlimmres wagen.
Lisardo.
Diese Damen sind vermählt,
Fliehn vor eines Gatten Wuth,
Der sie hält in strenger Hut,
Und mit Eifersucht sie quält;
Er verfolgt uns auf der Flucht,
WoUt ihr das Geleit uns geben,
Dank* ich Euch vieUeicht das Leben;
Denn ich weiss, dass er mich sucht,
Und dass Freunde ihn begleiten.
Feniso.
Da wir Euch in Schutz genommen,
Mag ein Heer in Waffen kommen!
Wir sind Manns, mit ihm zu streiten.
Koberto (zu Diana und Celia).
Edle Frau'n, seyd ohne Bangen;
Treue Freunde seht Ihr hier.
Lisardo.
Kommt, Eoberto, kommt mit mir;
Lasst sie doch! sie sind befangen. —
Vor dem eifersücht'gen Gatten,
Der uns sucht, bin ich in Sorgen. -—
Wer sie sind, sag' ich Euch morgen;
Und sie werden's gern gestatten,
Da Ihr schützend uns geleitet.
Eoberto.
Euch zu dienen, ist mir Pflicht.
Lisardo.
Wahrlich, Ihr begreift es nicht,
Welche Lust Ihr mir bereitet.
X.
50 I^as spanische Drama.
ihn ebenfalls homöopatbiscli zu behandeln: Schreck für Schreck.
Dem schnell herbeigeholten und in erregtester Erwartung vor der
genesenen Fürstin dastehenden Heilpopanz lässt sie durch den
Kammerherrn Albano eine Anweisung auf die 20,000 Ducaten
überreichen, welche Anweisung auf die Bank, „die Dünenbank
von Flandern" lautet, „bei welcher der Betrag aus den Schätzen
der dort gestrandeten Schiffe zu entnehmen ist." Eamon's Ge-
sicht, beim Schlucken dieser Chinapille! Ob er nicht wenig-
stens auf sein Specificum hin, das sich doch bei der Königin so
heilsam bewährte, ein Patent als Hoferzt bekäme — ? Ein Titel,
der ihm ein jährliches Einkommen von zwei Millionen in Aus-
sicht stelle „für geheilte Leichdörner", geheilt und vertrieben
mittelst Schrecken. Darüber fährt nun wirklich der Prinz von
Aragon mit seinem Kronfeldherrn auf prächtiger Galeere in
den Hafen von Neapel ein, und begrüsst auch schon im Palastsaale
die Königin-Gemahlin. Selbstverständlich erscheint der spani-
sche Prinz-Gemahl nicht blos als solcher. In der Majestät einer
königlichen Schlussfigur, mit dem Alexanderschwert in der Hand,
Eoberto (beiseite zu Feniso).
So Feniso geht's Meuieden: —
Wie ist Alles, was wir dachten,
Wenn wir es bei Licht betrachten,
Von der Wirklichkeit verschieden!
Durch ihn selber wird uns kund,
Dass er andre Neigung hege!
Feniso (ebenso).
Wohl; dann steht nichts mehr im Wege
Dem ersehnten Ehebund.
Roberto (laut).
Lasst uns gehn.
Feniso (zu Lisardo).
Geht Ihr voraus.
Lisardo (zu Roberto).
Welche Grossmuth!
Roberto.
Pflicht aUein!
Lisardo (für sich).
Helf mir Gott! das Brüderlein
Bringt sie selber mir in's Haus!
(Alle ab.)
Honorirter Sandbank Wechsel. 51
schreitet er zugleich als Schlichter der Komödienverwickelungen
und Zerhauer ihrer Knoten ein, deren letzten Roberto vor-
stellt oder knüpft, indem er knieend vor dem Pürstenpaar Ge-
rechtigkeit und von Lisardo ritterliche Genugthuung fordert.
Der Prinz, von der Königin zum Schiedrichter erkoren,
nachdem ihn die Königin, Eoberto und Lisardo über
den Sachverhalt in Kenntniss gesetzt, und Lisardo die Erklä-
rung abgegeben, dass er in allen Züchten und Ehren um Diana's
Liebe geworben und sie zu seiner Gattin erwählt i), ~ der Prinz,
da Roberto, von dieser Ehrenerklärung zufriedengestellt, seine
Schwester herbeiholen lässt, froh, dass seine Hausehre mit einem
blauen Auge davonkommt, — wie kann, unter so gestalteten und
sich von selbst und ohne ihn abwickelnden Sachen, wie kann
der Prinz sein Richteramt nun anders üben, als blos sein
Alexanderschwert zum Ehrengruss vor der knieenden Diana
senken und den Richterspruch in die zwei Worte: „Sey Lisar-
do's!" zusammenfassen? Um indess sein Alexanderschwert nicht
ganz unverrichteter Sache wieder einzustecken, lässt es der
Prinz den „Dünen"-Knoten zerhauen^ und den ihm von Ramon
präsentirten Sandbankwechsel querdurch, und mit den Worten
zerschneiden: „Ich zahle Ihre Schulden!" zu Ramon's himmel-
seligem Freudeschreck, der ihm mit einem Wonnefieberschauer
durch alle Glieder fährt, dessen elektrische Schläge, bei des
Prinzen an das Liebespaar gerichteter Aufforderung, sich zu
umarmen, Ramon augenblicks der Zofe Celia mittheilt, sie als
sein Weib umarmend, und bei dieser Gelegenheit die Schluss-
moral der Beherzigung des Publicums empfehlend:
1) Lisardo (zu Roberto).
„Hier weilt sie in Ehr und Züchten;
Gern wird man sie wiedergeben —
Doch, als meine Gattin, dass sie
Deiner*) Freundschaft Pfand mir werde.
Hier schwör ich's beim Kreuz des Schwertes
Dass nie Wort und nie Geberde
Sich von fern erkühnten ihre,
Deine Ehre zu verletzen.
*) Roberto's.
52 Das spanische Drama.
„Wohl, so mag hier Dam' und Zofe
Frau und Fräulein euch belehren:
Dass man Weiber nie kann hüten,
Wenn sie sich des Hüters wehren."
Experto crede Eoberto! Besonders wenn die Weiber einen
Kamen zur Hand haben, der in Komödienstreichen und An-
schlägen, womit er dreier solcher Hanse, wie Eoberto, Ful-
gencio und Feniso, Bewachungskünste zu Schanden machte,
„das Unmöglichste von Allem" leistet!
Mit Momus' Brustglas als Lupe vor dem linken Auge hätte
nun die Analyse an Lope's von allen Seiten geprüfter Komödie,
*E1 major imposible', Flecken und Fleckchen, grössere und klei-
nere Makel und Makelchen erspäht, und sogar die Correctheit
der Durchführung des thematischen Grundgedankens in's Frag-
liche geklittert — und doch! und alldessungeachtet! Wie un-
widerstehlich musste sie selbst, sie, die gestrenge, die hochweise
Analyse, sich von dem Zauber des Ganzen, wenn nicht um-
strickt, doch befangen fühlen! Von derselben magischen Mercur-
flöte, welche die Fabelmoral den hundert eingeschläferten Argus-
augen als Komödie vorspielte, auch ihr linkes mitMomus' Lupe
bewaffnetes Prüferauge von den lieblichen Schlummerklängen um-
flort, und wie in ein süsses Duseln eingewiegt fühlen, ihr blin-
zelndes Einnicken mit der Lupe wie hinter ein Schiebefenster-
chen verbergend! — Wohllautzauber, Musik der Sprache, der
metrischen Formen und Reime; eine einzige über ein stets durch-
klingendes Thema als Liebesfeier unter spanisch-italischem von
Orangendüften und Sternengefunkel trunkenen Nachthimmel, in
Form einer Komödie, der Venus, dem Amor und den Grazien
gebrachte Garten-Serenade, abgehalten in einem Gartenparadiese,
wo das Eeimgesprudel , wie Springbrunnen und Wasserkünste,
wehend flattert und klingt, und diese wieder, die Springstrahlen,
Eeime und Strophen, Quintillen, Decimen, Terzinen und Eedon-
dillen, zu sprühen und zu perlen scheinen; wo die dramatischen
Scenen und Situationen als reizende, in die Irrgänge des Zauber-
gartens vertheilte Musikständchen das thematische Grundmotiv in
entzückend-überraschenden Modulationen wechseln. Musik, holde,
süsse Musik, als Komödienpause; doch mehr die Sinne bezaubernde,
als die Seele ergötzende und beseligende Musik. Sirenenmusik,
Musen- und Sirenenmusik. 53
gespielt auf Thalia's Doppelflöte; nicht der Musen himmlische
Melodien, die, im Wettstreit mit den Sirenen, deren verführerische,
den Geist berauschende Klänge entzaubern, und die Sirenenflöten
ton- und machtlos singen. Die Spanier konnten der Oper ent-
behren. Ihre Komödie, ihr Drama des 17. Jahrhunderts vertritt
die Stelle des Gesangspiels. Wogegen das italienische Drama,
mehr noch die italienische Komödie, im Innersten der musikali-
schen Seele baar und bedürftig, das lyrische Drama, die Oper,
als eine eigene Gattung, sich hinzu erfinden musste, um der in
ihm, wie in dem romanischen Kunstgeiste überhaupt, schlum-
mernden Sirenenflöte gleichsam Luft zu schaffen. Aus der spa-
nischen Komödie, aus der italienischen Oper schallt immerdar die
Seele berückende, in Zauberschlaf spielende, Sinnenreiz und Tau-
mel fachende Mercur- und Sirenenflöte. Die reine, heilighimm-
lische Seelenmusik, die musische Musik, die, im Wettkampf
mit jenem, das Menschenherz mit den süssesten Buhlklängen
lockenden, und in lieblichen Schmeichelwahn und Lusttrunken-
heit einlullenden Flötenspiele, dieses eben kampflos stellt und
zum Schweigen bringt — die Seelenmusik der Musen, sie tönt
einzig aus der Poesie und Musik, aus dem Drama und der Oper
der grossen Kunstmeister des germanischen Volksstammes ; des un-
verfälschten, durch keine Mischung mit allerlei Völkerracen, mit
der geistesfinstern, sinnenzaubergebannten , dämonisch - keltischen
namentlich, bis zur Absorption der reinen iranischen Abstammung
verdunkelten, indogermanischen Volksgeistes: tönt einzig aus der
Poesie der Griechen, Alemannen, Germanen, Scandinavier ; aus dem
Hindu-Drama, aus dem Shakspeare-Drama, dem Goethe-Schiller-
drama und der Poesie der Gluck-Mozart-Oper, mit welcher denn auch
die Geschichte des deutschen Drama's abschliessen muss, ja in
die es, Beider Glorien: des Shakspeare- und des Aeschylos-So-
phoklesdrama's, in sich verschmelzend — in die es gipfelt und
sich verklärt, das grösste Transfigurationswunder in der Mozart-
Oper vollbringend, die das romanische, sinnenbezaubernde, und
sinnentrunkene Sirenenelement, den vorzugsweise auf Lusterregung
hinwirkenden frivolen Kunstreiz in letzter Tiefe zu himmlisch-
schönen Seelen- und Herzensentzückungen läutert, adelt und heiligt.
Fahren wir denn fort, dem Sirenenflötenspiel der spanischen
Komödie scharf auf die Finger zu sehen mit des Momus' Lupe
54 I^as spanische Drama.
vor dem linken Auge, jedoch mit den Seilen unzerreissbarer
Kunstregeln an unser kritisches Grundprincip , wie jener Ithaker
an den Mastbaum, festgebunden, nicht aber mit dessen Wachs in
^en Ohren, auf dass wir den Zauber wohl vernehmen und prüfen
können, ohne ihm zu verfallen.
Zur Abrundung der ersten Gruppe unserer trilogischen, je
drei Stücke verschiedener Gattungen aus Lope's Dramen zusam-
menfassenden Analyse, mag nun eines seiner „wundersamsten"
Schauspiele, ein Mischdrama von Auto und historischem Spec-
takelstück, sich den beiden voraufgegangenen: dem legendenhaft
historischen Drama mit tragischem Ausgang, und dem Mantel-
und Degenstücke, als Drittes anschliessen.
La famosa Comedia del Nuevo mundo descubierto
por Cristoval Colon.^)
Columbus ging von Haus zu Haus, von Königshaus zu
Königshaus, von Hof zu Hof, um den Mächtigen der Erde eine
halbe Welt, eine „neue Welt" anzubieten, anzubetteln, und wurde
überall barsch abgewiesen, wie der Trödeljude, der, von Thür zu
Thür, einen schäbigen Eock oder eine alte Hose zum Verkauf
herumträgt. Endlich traf Columbus auf ein barmherziges Frauen-
herz, das in der Brust der Königin Isabel schlug. Diese
borgte dem Hausirer auf die halbe Erdkugel ein paar Schifflein,
mehr wie ein Almosen, denn als Handschilling. Beim Abliefern
seiner Waare, seiner Erdhalbkugel, fand Columbus die hohe Cre-
ditg eberin nicht mehr am Leben. Statt ihrer nahm der Gemahl,
König Fernando der Katholische, das Kaufgut, die halbe Welt,
in Empfang und liess, als guter Staatswirth und Haushalter, um
die Auslage zu ersparen, den Händler mit überseeischen Welten
in Ketten und Kerker werfen. Aus der Kerkergrube, die Co-
lumbus für all die Gold- und Juwelengruben seiner „neuen
Welt" in Zahlung erhalten, wankte er, auf den Bettelstab ge-
stützt, und von König Fernando's Thür, au der er um sein Gut-
haben bettelte, mit den auf ihn gehetzten Hofhunden vertrie-
ben — wankte Columbus, italienisch Cristoforo Colombo, spanisch
Cristoval Colon, in die ewige Kerkergrube, in sein Grab. Gelt,
1) Doze Comedias de Lopa de Yega Carpio etc. Barcelona 1614. No. 2.
Lope's Colon -Comedia. 55
eine Tragödie, eine Welttragödie, alter und neuer Welt, wie es
wenige giebt ! Nur schade, dass sie dem Genie unsers Lope nicht
in den Kram passte. Ihm war es mehr um die Verherrlichung
des katholischen Königspaares, des katholischen Spaniens, des ka-
tholischen Weltentdeckers und vor Allem der orthodox-spanisch-
katholischen Kirche, als um das Tragische zu thun, das in Stoff
und Vorwurf lag; als um die poetische Darstellung und Sühne
des Untergangs eines der grössten Wohlthäter und Bereicherer
der Menschheit, eines der werkmeisterlichen Mitschöpfer an der
Völkergeschichte, Entwickelung und Cultur; des ruhmwürdig-
sten Belehners der Könige mit Land und Leuten, mit ganzen
Welttheilen; der, nicht blos ein Cristoforo, ein „Träger Christi",
der auch ein neuweltlich-weltlicher Christus, wie der Gottessohn
ein himmlisches Weltreich, dem Menschengeschlecht ein irdisches
schenkte, das vielleicht berufen ist, an der grausamen, gewissen-
losen Undankbarkeit der reyes netos die Vergeltungssühne zu voll-
ziehen, an welcher sich Lope's Genie die Finger nicht verbren-
nen wollte; die Vergeltungssühne, für den Tod, den der Spender
eines irdischen Weltreichs an seinem Marterpfahle starb, wie der
göttliche Austheiler des himmlischen Reiches an dem seinigen.
Doch lasst uns immer das Walten von Lope's mehr komö-
dienhaftem, als tragischem, mehr versöhnungslustigem, als sühne-
eifrigem, mehr schöpferfreudigem, vom Reize des römischen Cu-
pido befruchtetem Genie, als beseelt von jenem, nach griechischer
und indischer Sage, den Tiefen der uralten Nacht, des Erebos
und der chaotischen Finsterniss entstiegenen, weltenbildenden,
erhaltenden und durchgeistigenden Liebesgotte ^) ■- lasst uns das
Walten dieses, paradiesvogelgleich, im glänzenden Genussesäther
gaukelnden Genie's auch in seinem Colombus-Drama, belauschen.
Vielleicht überrascht uns auch hier das Wunder, dass, infolge der
Abwehr einer starkmächtigen tragischgewaltigen Katastrophe,
Lope's Ueberfluss über seine Comedia, „die neue Welt", eine
Sternensaat von dramatischer Erfindung streute, wie Juno's, als
1) — Salfxov ovQaviE — ^Qong ^ ov xaxov vt^ttlov, ondla C^yQoccpojv
nai^ovöt /slqsSj «/A* ov tj nQCJTocfnoQog ^y^vvrjdev ccQxijf jikaiov evd^v
TS^d^ivTcc. aif yaq l| a(pavovg xal xsxvfÄivrjg äfiogiflag t6 nav
k^oQipwaag. Lucian. Amores c. 32.
56 I^as spanische Drama.
sie, erwacht, den ihr, der Schlafenden, vom Jupiter an die Brust
gelegten Säugling, Hercules, von sich stiess — wie Juno's träufelnde
Brust mit den hervorquellenden Tropfen die Milchstrasse über
den Himmel sprühte.
Lope's Colon-Drama beginnt zwar mit des grossen Weltfeil-
bieters, Hemisphären-Hausirers und Ausrufers vergeblichem An-
klopfen an die Cabinetsthüren der europäischen Monarchen;
schliesst aber mit dem, bei seiner ersten Eückkehr nach Spanien,
ihm, vonseiten des katholischen Herrscherpaars, zutheilgeworde-
nen feierlichen Empfange und mit Colones Triumpheinzug in Bar-
celona. „Schon tausendmal" — äussert er gegen seinen Bruder,
Bartolomeo, in der ersten, nach Santarem in Portugal verlegten
Scene —
„Schon tausendmal bin ich zurückgeschreckt
Und tausendmal hab' ich mich neu ermuthigt.^)
„Ermuthigt" — durch welchen Stachel und Sporn und Schick-
salsschluss? Ermuthigt, inkraft seines weltentdeckenden Genie's
eben, seiner weltgeschichtlichen Mission: die Bestimmung der
Erde, sich zu einer culturparadiesischen Weltkugel, als Wohnstätte
verbrüderter freier Völker, abzurunden — diese Bestimmung der
Erdfeste zu erfüllen; die Sagen, Ahnungen, Träume und
Gesichte von einem atlantischen Westreiche, von einer Atlantis,
zu einem wissenschaftlichen Axiom, einem geographischen Postu-
lat, zu erheben und auf diese ihre reale Wirklichkeit durch ihre
ideale, ihre Existenz im Geiste, verbürgende und mit jnathema-
tischer Gewissheit erweisende Idee so lange loszusteuern, bis sie,
wie alle geschichtsphilosophischen Ideen, des vorschauenden Ge-
nies, in leibhafter Gestalt, als entdeckter Welttheil, vor ihm
stand 2); bis diese Atlantis auf das Machtgebot seines welten-
1) Mil vezes atras me bueluo
y otras tantas me reaueluo
en estas temeridades.
2) Schillerte „Columbus** überschriebene vier Distichen feiern dies mit
pythagoräisch-dichterischem Groldmund :
Steure, muthiger Segler! Es mag der Witz dich verhöhnen,
Und der Schiffer am Steu'r senken die lässige Hand.
Immer, immer nach West! Dort muss die Küste sich zeigen,
Alte und Neue Welt: Menächmen. 57
schöpferischen Genie's emportauchte aus der Meeresfluth, worin
sie für das Menschengeschlecht Jahrtausende versunken lag; bis
Colombo's Weltidee, wie Plato's Seelen ihren Körper, das atlan-
tische Festland, die neue Welt, gefunden, sich in ihn einsenkend
und nun, als Ein Leib und Eine Seele mit ihm, sich offenbarend.
So sehr Ein Leib und Eine Seele, in Colombo's geographischer
Intuition, dass er, nach Westen steuernd, die Ostküste von
Asien zu entdecken ausging. Ist sie es denn nicht? Durfte denn
Columbus, wenn man den stillen Ocean als verknüpfendes Silber-
band betrachten will, das Amerika und Asien vereinigt — durfte
Columbus nicht mit Fug den Ostsaum seiner „neuen Welt" als
Asiens Ostküste ansprechen und begrüssen? Wie jenes von ein-
ander getrennte Liebespaar in der spanischen Novellenkomödie i),
mittelst der Hälften des zweigetheilten ßinges, wovon jeder die
eine Hälfte bei der Trennung bewahrt hatte, sich erkennt und
die beiden Hälften zum Ehering vom Goldschmied wieder zu-
sammenlöthen lässt: so fügte der Genuesische Goldschmied,
Colombo, die beiden einander abhanden gekommenen Erdhälften
zum Trauringe zusammen, den Ost und West, der das Völkerge-
schlecht des Osten mit dem des Westen verband. Menächmen
des Plautus; Menächmen, die, von Kindheit auf, für einander
verloren, nach einer vom Bruder Zwilling unternommenen Auf-
suchungsseefahrt, sich, mithülfe des treuen Dieners und Keise-
genossen, wiederfanden, der den Verlornen zuerst entdeckte und
erkannte. „Ein armer, ja armseliger Mann wie ich" — fragte
sich Colombo — „eine zweite Welt der ersten hinzufügen?"
„Ich, Cristoforo Colombo, aus dem Dorfe Nervi im Staate Ge-
nua" — warum denn nicht? Hat denn nicht auch ein Colombo,
die Taube, die Noah fliegen liess, „Land! Land!" verkündet, mit
dem Oelblatt im Munde? Dass Lope's Colombo vorweg in der
Liegt sie doch deutlich und liegt schimmernd vor deinem Verstand.
Traue dem leitenden Gott und folge dem schweigenden Weltmeer:
War' sie noch nicht, sie stieg jetzt aus den Fluthen empor.
Mit dem Genius steht die Natur in ewigem Bunde:
Was der Eine verspricht, leistet die Andre gewiss,
1) s. Bd. IX. S. 191,
58 I^as spanische Drama.
ersten Scene sich seiner Sendung bewusst ist und berühmt i)»
das erseheint gleich als der erste Himmelsfunken, als Stern, zu
welchem die aus der Junobrustwarze von Lope's dramatischer
Muse quillende Milchperle erglänzt. Hochgemuth und missions-
erfüUt tritt Colon sofort denn auch dem Könige von Portugal,
Don Juan IL, unter die Äugen:
„Ich bin arm geboren,
Doch Kopf und Muth trieb mich von je zum Grossen,
Und der Euhmwürdigkeit schäm' ich mich nicht.
Ich will, wenn Deine Gunst mich unterstützt,
Dieser gefahrenreichen Unternehmung
Die nach dem unerforschten Lande steuert,
Der erste Argonaut se3^n" . . .
König. „Mich wundert, wie ich Deine lange Rede,
Colombo, ohne Lachen angehört;
Tollern Mann sah noch die Sonne nicht . . .
Geh denn mit Gott und lass Dich heilen Aermster,
Von deiner Thorheit und Goldmacherkunst!*' 2)
1) „Aber ein glücklicher Stern meines Lebens,
Der nicht in Niedrigkeit verglimmen will,
Mein weltberühmt Heimathland Genua
Und mathematische Intuition
Stacheln das ritterliche Herz mir auf.
Dem griechischen Euklid mich nachzuschwingen.
Auf jenen Fittigen durch die Welt getragen.
Selbst Hercules Grossthaten zu verdunkeln."
Pero mi buen nascimiento,
de SU humildad descontento
y de mi patria famosa
Genova insigne y dichosa
El triangulär fundamento,
Alientan el pecho hidalgo
a exceder al Griego Euclides
que si con mi intento salgo
Ven9o la fama de Aleides,
y mas que sus hechos valgo.
2) Das ist derselbe König D. Juan II, von Portugal, den Lope de Vega
in seinen beiden dilogischen Komödien: *E1 Principe Perfecto' „Der
vollkommene Fürst**, als Muster und Ideal sämmtlicher dankbaren Kö-
nigstugenden und Trefflichkeiten feiert. Im ersten The il der Dilogie
Colon und König Juan II. von Portugal. 59
Yo, que aunque pobre nasci,
Tengo, para cosas tan altas,
entendimiento y valor,
que aqui no es vil la alaban^a
Quiero si me das favor
desta empressa temeraria
desta tierra nunca vista
ser el primero Argonauto . . .
Rey. No se como te he escucliado
Colon, sin aver reydo
hasta el fin, lo que lias hablado
el hombre mas loco ha sido,
que el cielo ha visto y criado . . .
Vete en buen hora, procura
Cura para tu locura . . .
„0 meine Hoffnung" — ruft Colon, mit seinem Bruder Bar-
tolomeo allein gelassen —
,,0 meine Hoffnung, die Wassergeborne !
Wirst mir zu Wasser** . . . i)
(Primera parte) muss auch Colon in einer völlig episodischen Einschieb-
selscene (III. esc. XXI.), sich zu einem Lichtpünktchen, behufs Verherr-
lichung des ,,voUkommenen Fürsten", hergeben. Colon spricht, auf seiner
ersten Rückkehr nach Spanien aus Domingo, beim Könige von Portugal
vor, der ihn als „Freund** begrüsst, und Colon's Bedauern, dass er die
Schätze der von ihm entdeckten Welt nicht ihm, dem Könige von Por-
tugal zu Füssen legen könne, da das spanische katholische Königspaar
das Früherrecht beanspruche, mit der insgeheim ihm ertheilten freund-
schaftlichen Warnung erwidert: sich so bald wie möglich aus Portugal,
wo man seinem Leben nachstelle, zu entfernen.*) Colon verfehlt nicht,
den Rath augenblicklich zu befolgen und sich so schnell zu drücken, wie
er unversehens erschienen war. Wir bringen wohl noch Näheres über die
,, vollkommenen Fürsten** in zwei Theilen, falls uns bis dahin nicht Athem,
Papier und Dinte ausgehen.
1) Y a mi esperan9a, perdida,
del mar sale y buelve al mar.
*) Rey (ap. ä Colon).
Oye, que en Portugal quieren matarte,
Vete, y gocen los Reyes de CastiHa
Este mundo que hallo su ingenio y arte.
60 ^^3 spauische Drama.
Bartolomeo will nach England gehen, um König Heinrich VII.
für die Entdeckungsfahrt zu gewinnen. Colon begiebt sich
nach Spanien zum katholischen Königspaar, mit geringer Aus-
sicht auf Erfolg: „denn der Krieg in Granada nimmt" dem Kö-
nige von Spanien „See und Gold und Volk zu sehr in An-
spruch." „0 Bruder" — seufzt sein mit einer Welt im Kreissen
liegendes Genie —
„0 Bruder, unter mir zittert das Meer:
Ihm ist, als ob's was Ungeheures ahnte/' i)
Wie trefflich durchhin die Missionsstimmung eines solchen Ent-
deckungshelden vom Dichter gefühlt und zu beredtem Ausdruck
gebracht !
Nach einer mehr arabeskenhaft als dramatisch das Haupt-
thema durchrankenden Scene auf Schloss Albaicin, vor der Al-
hambra zu Granda, mit dem uns genugsam bekannten Key
Chico'-^), als betrübsamem Ausblicker in die Zukunft, der vom
Liebchen, Dalifa, und von Musik und Gesang seine bangen
Sorgen verscheuchen lässt, finden wir uns mit Colon in den
königlichen Palast zu Toledo versetzt, den Herzogen von Medina
Coli und von Medina Sidonia gegenüber, denen der Welten-
seher aus Karten und Papieren seine Argumente entwickelt, und
die ihn mit seiner „neuen Welt" und seinen „Gegenfüsslern" als
unheilbaren Narren auslachen, und ahnen nicht, dass sie selber
Colones Gegenfüssler sind, der den Kopf oben hat und noch trägt,
während der ihrige unten sitzt und den niedrigsten Punkt ein-
nimmt; wenn sie nicht überhaupt von Kopf bis Fuss nichts als
Gegenfüssler, lauter Fuss ohne Kopf.
Es drängt sich wieder eine granadische Parallelscene der
Nebenhandlung zwischen Colon und seine halbe Welt, worin
Gonzalo de Cordoba sich mit dem Erbieten aufwirft, dem
katholischen Königspaare Granada zu Füssen zu legen — neben
Colon's Anerbieten: einen Maulwurfshügel zur Seite des Chim-
borafo; das Zwergköniglein, Key Chico, neben dem grossen Chri-
1) Ya, hermano, me tiembla el mar,
Alguna cosa adiuina,
2) s, Bd. IX. S. 59 ff.
Colon und die h. drei Könige. Q\
stoph mit dem Weltheiland auf der Schulter — Wodurch aber diese
Granada-Katastrophe, gerade als Contrastparallele, keine blosse
lückenbüsserische Nebenhandlung abgiebt.
König Heinrich's VII, Schädel — so berichtet der aus England
inmittelst zurückgekehrte Bartolomeo seinem Bruder Cristo-
val, inmitten einer von Bäumen umsäumten Seeküstenscene — Kö-
nig Heinrich's VII. englischen Schädel fand Bartolomeo noch ver-
nagelter gegen Colon's neue Welt und deren Bewohner, die in
der heissen Zone doch unausweichlich braten und in der kalten
zu Eiszapfen einfrieren müssen. Hier in Spanien — erzählt nun
seinerseits Cristoval Colon dem Bruder und dem Steuermann
Pinzon — ging's ihm in seiner durch den Grosszahlmeister
Alonso Quintavilla und Cardinal Mendoza vermittelten
Audienz bei König Fernando nicht besser, der mit Granada
die Hände so voll zu thun habe, dass er sich mit Colon's Gegen-
füsslern schlechterdings nicht befassen könne. Bartolomeo
und Steuermann Pinzon lassen Colon mit seiner halben Welt-
kugel, die die heiligen drei Könige des Abendlandes, Juan IL
von Portugal, Fernando von Spanien und Heinrich VII. von Eng-
land nicht geschenkt haben mochten, allein. Unter eine Stein-
eiche hingelagert, misst Colon mit dem Zirkel auf seinen vor ihm
ausgebreiteten Karten nach allen Kichtungen umher, und misst
alleweile dasselbe Eesultat heraus, die unumstössliche Gewissheit
seiner neuen, über die westliche Erdhälfte sich erstreckenden
und mit Gegenfüsslern bevölkerten Welt. So versenkt in seine
Träume von mathematischer Evidenz, was Wunder, wenn er mit-
eins seine eigene Phantasie vor sich als Vision stehen sieht,
die Lope, trotz allegorischer Machinerien, mit dem Instinct eines
grossen Poeten und dramatischen Genie's, aus dem Innersten ei-
nes Weltvisionärs, wie Colon, vor dessen sinnliche Augen her-
ausstellt, als bunte Gestalt, „die aus der Höhe herabschwebt",
und sie auf Colon's Frage, wer sie sey, antworten lässt:
„Ich bin nichts weiter
Als deine eigene Einbildung." *)
1) Colon. Quien eres, que lo preguntas.
Imag. Tu propia imaginacion.
62 I^as spanische Drama.
Der tiefe Zug von tragischer Wehmuth, der sich in Colones Ge-
spräch mit der Phantasie, mit seiner Phantasie ausspricht,
kann nur aus der Scene selbst empfunden werden. Die unmit-
telbar sich anschliessende Vision, die freilich eher in ein Auto
sacram. als in ein Colon-Drama gehören möchte, übt dessungeach-
tet eine so bewältigende, aus dem Stoffe, der Zeitanschauung,
aus des Helden Charakter und Missionsstimmung fliessende Wir-
kung; wirft so schlagende Motivirungslichter, — und zwar aus
des Teufels Munde, auf die geheimsten, hinter den kirchlich
katholischen Zwecken verborgenen, von keinem andern Colombo-
dichter erkannten und gewürdigten Antriebe zur Entdeckung der
neuen Welt: dass wir auch diesen Ergänzungstheil der in die
Seele des Helden gleichsam und des Problems mit so poetischer
Durchschauung personificirten Vorgänge im Gemüthe des Trä-
gers der dramatischen Idee, wie im Innern der geschichtlichen
Thatsachen, mitzutheilen uns gemüssiget finden, auf dass ersicht-
lich werde, mit welchem Erfolge das Dichtergenie selbst aus
scheinbar unzulässigen und dem Stoffe, wie man glauben möchte,
kunstgesetzlich unangemessenen Wirkungsbehelfen Meisterzüge
herausarbeitet und entwickelt, welche die Kunstgattung berei-
chern, und durch Erfindungen uns überrascht, die ihrerseits eine
neue Welt von dramatisch-poetischen Anschauungen aufdecken
und erschliessen. i)
1) Phantasie.*)
Was treibst du hier, Columbo, wenn du so
Den Zirkel dehnst und wieder faltest?
Columbo.
Wer
Bist du, der mich das fragt?
Phantasie.
Ich bin nichts weiter
Als deine eigne Einbildung.
Columbo.
Wohl weiss ich,
Der Weise, wenn er arm ist, kann auf Erden
Nur ruhmlos untergehn.
Phantasie.
Doch schwillt dein Ruhm,
Der deiner harrt, schon der Posaunenton.
*) Nach M. Rapp's Uebers.
Granada und die Neue Welt. 63
Hiernächst folgt Mahomed's, des Eey Chico, des Klein-
königs von Granada, des zum Schlusspunkt eingeschrumpften spa-
Columbo.
Nach meiner Heimath zieh' ich traurig wieder,
Da mir kein Glück blüht.
Phantasie.
Spanien bietet dir,
Ist erst sein Krieg zu Ende, hohe Ehren.
Columbo.
Der Krieg in meinem Innern macht mich matt;
Drum lass mich wandern.
Phantasie.
Nicht doch darf ich das,
Vielmehr, dass du mir folgest, bin ich da.
Columbo.
Und wohin führst du mich?
Phantasie.
Halt dich fest an mich!
Columbo.
Halt ein! sonst, Phantasie, muss ich verzweifeln.
Phantasie.
Vertraue mir.
Columbo.
Wohin wirst du mich stürzen?
Phantasie.
Wo deine Wünsche Wahrheit werden sollen.
(Die Phantasie hat inzwischen Columbo mit in die Lüfte erhoben und senkt
sich wieder herab, während im Hintergrund der Bühne ein Thron sichtbar
wird, auf dem die Vorsehung sitzt; zu beiden Seiten steht die christ-
liche Keligion und der Götzendienst.)
Vor diesem Thron wird dein Geschäft verhandelt.
Columbo.
Wer ist der Eichter, der hier sprechen soll?
Phantasie.
Es ist die göttliche Vorsehung selbst.
Der Götzendienst spricht als dein Widersacher.
Columbo.
Und wer dagegen führt für mich das Wort?
Phantasie.
Das ist der Christenglauben. — Göttliche
Vorsehung und erhabne Eeligion,
Christof ero Columbo führ' ich vor euch.
64 Das spanische Drama.
Vorsehung.
Was hast du hier zu sagen, Götzendienst?
Götzendienst.
Dass an meinem Besitzthum ich festhalte.
Eeligion.
Und dass mein Anspruch dran vollgültig ist.
Götzendienst.
Unvordenkliche Jahre ist es her,
Dass ich im abendländischen Indien
Das Volk mit meinem Truge hab' umsponnen.
Nun willst du, Christenthum, es mir entreissen
Aus dem Besitz durch einen armen Schlucker?
Dem Teufel zugesprochen sind die Länder.
Eeligion.
Unrechtmässig Besitzthum, das verjährt nicht.
Bewies ich dir nicht, dass seit der Erlösung
Der Menschheit Herrschaft du mit Unrecht ansprichst?
Denn Christi Testament bot ich der Kirche,
Sie ist die Erbin, ihr ist's übergeben.
Götzendienst.
Mit Testamenten hab' ich nichts zu thun.
Eeligion.
Mit Blut ist's festgemacht, mit sieben Siegeln
Der sieben Sacramente fest gesiegelt.
Auch Indien hat drauf Anspruch, seiner Leiden
Frucht will Gott sehn; drum. Schnöder, huldge ihm.
Götzendienst.
Mit deiner Erlösung hab' ich nichts zu schaffen.
Vorsehung.
Da von des Götzendiensts falschem Besitz
Nicht kann die Eede seyn, drum, Eeligion,
Kehre dich nicht an sie; deine Eroberung
Um Christi wiUen ist längst ausgesprochen.
Götzendienst.
Mit Waffen, List und Mannschaft werd' ich's wehren.
Die unwissenden Indier, die die Sonn'
AUein anbeten, fragen nach dem Kreuze?
Eeligion.
Zu deinem Schrecken, eh du es vermuthest.
Götzendienst.
Leid es nicht, Vorsehung, dass sie dies Unrecht
An mir begehn; ihr Eifer ist nur Geiz.
Unter dem schönen Namen Eeligion
Ist es nur Gold und Silber, was sie suchen.
Colon's Visioü. 65
Vorsehung.
Um ihre Herzensmeinung richte Gott;
Wenn er durch dieses Gold, das sie begehren,
Seelen errettet, ist's des Himmels Vortheil,
Und dieser muss dem irdischen doch vorgehn.
Vorm christlichen Fernando, der den Anfang
Macht dieser Unternehmung, schweigt der Argwohn,
Ein Teufel (ruft von innen).
Ich bitt' um die Erlaubniss einzutreten.
Vorsehung.
Wer ist's?
Teufel.
Der König ist's des Abendlandes.
Vorsehung.
Ich kenne dich, Verfluchter, schon; tritt ein.
(Der Teufel kommt.)
Teufel.
0 heil'ges Tribunal, ewige Vorsicht,
Columbo sendest du zu frischer Qual?
Erkennst nicht lang verjährt meinen Besitz an?
0 wecke nicht Fernando! lass ihn ziehn
In seine Kriege! Nie gekannte Länder
Erschliessest du ihm, und das heisst dir Recht?
Vorsehung.
Verstumme, Mund der Bosheit!
Teufel.
Christenthum?
Ja Gold und Geldgier ist es, was sie antreibt,
Spanien bedarf nitjht Goldes, hat's in sich;
Lasst sie nur suchen, ich wiH's zu Tage fördern,
Meine unterird'schen Diener sollen's weisen;
Doch nie gesehenes Land und Meer lass du
In meinen einzigen Registern laufen,
Und handle nicht an mir mit solchem Unrecht.
Vorsehung
Diese Eroberung muss zu Stande kommen.
TeufeL
Hab' ich nicht Macht? Bin ich nicht stark und klug?
Wir treffen uns dort drüben, er und ich.
(Geht ab.)
Vorsehung.
Führ', Phantasie, ihn zum König Fernando!
Götzendienst.
So geht man um mit mir?
X. 5
66 I^as spanische Dram.
Phantasie.
Komm, Freund Columbo.
Columbo.
Ist's möglich, Phantasie? auf deinen Schwingen?
(Sie verschwinden.)
Imag. ^Que es lo que piensas, Colon.
Que el compas doblas y juntas?
Col. ^Quien eres, que lo preguntas?
Imag. Tu propia imaginacion.
Col. Pienso que el que es pobre y sabio
muere en el mundo sin fama.
Imag. Ya de la que a ti te Uama
rompe la trompeta el labio.
Col. Quiero boluerme a mi tierra,
que no hallo en nadie favor.
Imag. Espana te ofrece honor
en acabando la guerra.
Col. La de mis desdichas sigo,
dexame yr a descansar.
Imag. Ya no te puedo dexar,
que te he de Ueuar conmigo.
Col. ^Adonde quieres lleuarme?
Imag. Asete a mi fuertemente.
Col. Imaginacion detente,
que quieres desesperarme.
Imag, Conmigo has de yr, ven tras mi.
Col. ^A donde me precipitas?
Imag. Donde lo que solicitas
veas si ha de ser ansi.
(Llevansele en el ayre, y Uevele al otro lado del teatro, donde se descu-
bra un trono, en que este sentada la Providencia, ya los lados la
Religion Christiana y la Idolatria.)
Atiende en aquesta Audiencia
de tu negocio el cnydado.
Col. ^Q^iöii jiizga en aqueste estrado?
Imag. La divina Providencia.
Con SU retorica vana
la idolatria te ofende.
Col. ^Quien es la que me defiende?
Imag. Es la Religion Christiana.
Ya divina Providencia
la christiana Religion
al gran Cristoval Colon
ha traydo a tu presencia.
Colon's Vision. 67
Prov. <iQue dizes, Holatria?
Idol. Que a mi possession me atengo.
Rel. Yo, que a pretenderla vengo,
porque de derecho es mia.
Idol. Tras afios inmimerabiles,
que en las Indias de Ocidente
Vino enganando la gente
Con mis errores notables.
Tu, Christiana Religion,
por medio de un hombre pobre
quieres que tu fe la cobre
estando la possession.
El demonio en ellas viue,;
la possession le entregue.
Rel. quien possee con mala fe,
en ningun tiempo prescribe.
ya estä muy averiguado
que desde su Redencion
me usurpas la possession,
todo lo tengo prouado.
El testamento de Christo
a la Iglesia presente,
ella la heredera fue,
como en el traslado has visto.
Idol. Que no entiendo testamentos.
Rel. Estä con sagre firmado,
Con siete sellos sellado
de los siete Sacramentos.
De la fe las Indias son,
Dios quiere gozar su fruto,
, buelue le infame el tributo.
Idol. Ya no tiene redencion.
Prov. Pues de lo que estä cobrado
por la falsa idolatria
no ay hablar Religion mia,
vaya a mal lo mal ganado.
Esta cenquista se intente,
que para Christo ha de ser.
Idol. Yo la pienso def ender
Con armas, industria y gente.
(JÜnos Indios ignorantes
que adoran sola la luz,
adoraran vuestra Cruz?
Rel. Y tan presto, que te espantes.
68 i>as spanische Drätoä.
Idol. No pennitas Providencia
hazerme esta sinjusticia
pues los lleva la codicia,
a hazer esta diligencia
So color de Religion,
van a buscar plata y oro
del encubierto tesoro.
Prov. Dios juzga de la intencion.
Si el, por el oro que encierra
gana las almas que ves,
en el cielo ay interes,
no es mucho le aya en la tierra.
y del Christiano Fernando
que da principio a esta empressa,
toda la sospecha cessa.
(Dentro un demonio.)
Dem. Licencia de entrar demando.
Prov. ^Quien es?
Dem. El Key de Ocidente.
Prov. Ya se quien eres maldito; entra.
(Entra aora.)
Dem. 0 tribunal bendito,
Providencia etemamente.
^Donde embias a Colon
para renovar mis danos?
^no sabes que ha muchos anos
que tengo alli possession?
No despiertes a Fernando.
Dexale andar en sus guerras,
las no conocidas tierras
andas aora ensenando
En ti caben sin justicia.
Prov. Calla boca de maldad.
Dem. No los lleva Christiandad,
sino el oro y la codicia.
Espana no ha menester
oro, que oro tiene en si;
sepanlo buscar alli,
que aun yo lo bare parecer
Mis subterraneos ministros
lo mostrarän. Dexa estar
la no vista tierra, y mar,
sino en solo mis registros.
No me hagas este agravio
Eey Chico's Abschied von Granada. 69
nisch-mauiischen Emirats, Unterwerfung und rührend ergreifen-
der Abschied von Granada. i)
Prov. La conquista se ha de hazer.
Dem. Y yo no tengo poder,
no soy fuerte, no soy sabio.
(Vayase el demonio.)
Vaya en bnen hora que allä
nos aucudremos yo y el.
Prov. Ve Imaginacion con el
Donde el Rey Fernando esta.
Idol. Bien tratas la idolatria.
Imag. Vamos amigo Colon.
Col. (iQue es esto, Imaginacion
es possible que ires mia?
(Vanse y cierrase el trono.)
1) „Leb wohl, berühmtes, herrliches Granada,
Du Spaniens Lorbeer, der den Wipfel birgt
Im lichten Schneeglanz der Sierra Nevada,
Die doch von vielem Blut steht roth gefärbt.
Leb wohl, mein Albaicin, geliebte Alhambra,
Leb wohl, Generalife, o meine Heimath!
Des Himmels Zorn hat mich aus dir verbannt
Und dich dem Christenthum dahingegeben.
Vom höchsten Thurm bis in die Tiefen nieder
Seufzt nun die Noth, mein Elend zu beweinen,
Was sonst in meinem Glück sich warm gesonnt.
Kleinfürst schilt mich die Welt bis diesen Tag,
Doch klein soll mich die Welt nicht für der nennen,
Dem ein so grosser Schmerz im Busen wüthet."
A Dios famosa e inclita Granada
Laurel de Espana que su freute cierra
blanca y hermosa en la nevada sierra,
bermeja ya, de sangre derramada.
A Dios el mi Albaycin, y alhambra amada
ä Dios Generalife, a Dios mi tierra,
que ya de vos la embidia me destierra
que se ha juntado a la Christiana espada.
De la torre mas alta a lo profundo
gima tu pesadombre, a quien suplico
Llore mi mal si le alegrö mi dicha,
Si el Eey Chico hasta aqui me llama el mundo
No me Uame de oy mas el mundo chico
pues ha cabido en mi tan grau desdicba,
70 Das spanische Drama.
Wir sind wieder im Palastsaale zu Toledo, und aber- und
abermals setzt Colon seinen Entdeckungsplan, diesmal dem ihm
wohlwollenden Grossschatzmeister, auseinander, um letzt-
gültig den ersten Act mit seinem dem katholischen Königspaar
vorgetragenen Anerbieten einer „neuen Welt" zu schliessen, be-
hufs deren Entdeckung er vom Könige Fernando die verlangte
Geldsumme von 19,000 Ducaten angewiesen erhält, begleitet von
Königin Isabels Vertrauenszuspruch und Eeisesegen. i)
Des zweiten Actes erste Scene spielt auf dem Verdeck
des Admiralschiffs. Sie stellt die gegen Colon ausgebrochene
Meuterei dar. Seiner Zeit ein dramatisches Schaustück von kühner
Neuheit, die noch als Nachahmung 2) auf der Berliner Hofbühne
„packte". Nicht minder originell ist die nächstfolgende auf „ei-
ner Insel" der neuen Welt von den Eingebornen gespielte Scene,
die erste wohl dieser Art, an Colorit und Charakteristik bewun-
demswerth. Ein Hochzeitslied, gesungen und gesprungen von In-
dianerinnen, begrüsst des Häuptlings Dulcankeljin und Ta-
cuana's Vermählungsfeier. ^) Der Häuptling Dulcan hat einem
Nur Othello's Abschied von seinen Waffen, Kriegsruhm und Trophäen
greift rührend mächtiger und schöner an's Herz, weil sein Lebewohl aus
einem wahnverstörten und doch heroischen Herzen hervorbricht.
1) Isab. „Ein so begeistertes Verlangen muss
Der Himmel, mein' ich, sichtbarlich begünstigen
Und mein Eath ist, dass er die Keise wage."
2) In Werder's „Columbus" dehnt sich diese Verdeckscene zu einem
ganzen wirkungsvollen Act aus.
3) „Heut im schönen Schein der Sonne
Heut im Sonnenschein,
In der schönen Morgensonne,
Heut im Sonnenschein,
Da verbinden sich in Wonne
Heut im Sonnenschein
Dulcankeljin und Tacuana
Heut im Sonnenschein.
Phöbus er und sie Diana
Heut im Sonnenschein,
Dem Caziken, unsrem Schönen,
Heut im Sonnenschein
Colon und die Rothhäuter. 71
andern Caziken, dem Tapirazä die Gattin, Tacuana, gewalt-
sam entrissen, die ihren Hass gegen den Tyrannen in ihrem,
dem rechtmässigen Gatten verpflichteten Herzen verschliesst. ^) So
charakteristisch der gegen Recht und Gesetz stumpfe Gewaitsinn
des wilden Rothhäuters ist, hätte Lope doch an seine national-
stolze Dichterbrust demüthiglich schlagen müssen, in Erinnerung
so manches seiner Landesfürsten, insonders König Pedro's I. von
Castilien, der solcher Raubacte mehr denn einen ausführte, und
noch obenein mit dem Blute der Ehemänner, deren Frauen Pedro L
entrajßft und geschändet, sich tätowirte. Auf welcher Seite, pa-
triotisch-hochsinniger Colon -Dichter, der Caziken -wilde Blut-
Soll sich unsre Braut gewöhnen
Heut im Sonnenschein,
Sey das Paar und unsre Feier
Heut im schönen Schein der Sonne,
Heut im Sonnenschein."
Oy que sale el sol divino,
Oy que sale el sol:
Oy que sale de manana,
Oy que sale el sol:
se Junta de buena gana
Oy que sale el sol:
Dulcanquellin con Tacuana,
Oy que sale el sol:
el, Febo, y ella Diana,
Oy que sale el sol:
ya esposa de tal esposo,
Oy que sale el sol:
Consagre el canto famoso:
Oy que sale el sol divino,
Oy que sale el sol.
1) Tacuana (für sich). Wehe mir.
Wenn ich wie mir das Herz spricht, reden wollte!
Verstellung zügle des Tyrannen Wuth,
So lang das Glück ihm beisteht, nicht das Recht.
Toc. Oy de mi
Si como quisiera hablara.
Dissimulad cora^on
la fuerza de este tyrano,
mientras que tiene la mano
pas Ventura que ra^on.
72 Das spanische Drama.
götzendienst verderblicher rasete: diesseits oder jenseits der Säu-
len des Hercules, ob bei den Pedro's L und Pelipe's und deren
Vicekönigen in der neuen Welt, oder bei den Dulcankeljin's und
sonstigen Häuptlingen der kupferfarbigen Menschenfresser West-
indiens — dies möchte dein erfindungsreicher, von Kuhmesglanz
deines Volkshelden gesättigter Komödienpinsel nicht genugsam
erwogen haben, du grösster aller spanischen Nationaldichter! Den
wilden Tapirazä, den lässt du vom Gebirge mit einer Keule
bewaffnet hervorbrechen, um den an ihm und seinem Weibe be-
gangenen Gewaltraub zu rächen, oder zu sterben zu seines Wei-
bes Füssen, i) Es wird sich offenbaren, ob du in ähnlichem
Sinne deiner Pedro's und anderer spanischer Caziken Hel-
den-Comedias gedichtet hast. „Ergreif ich dich" -~ schnaubt
der wilde Hahnrei-Häuptling, Tapirazä, über den wilden Ehe-
schänder, Dulcan, die Keule schwingend, die Pedro I. über die
von ihm beschimpften Gatten schwang:
„Ergreif ich dich, schleudr' ich dich an den Boden,
Dass du der Erde Mittelpunkt durchstichst
Und auf der andern Seite kommst zu Tage!'* 2)
Als dein eigener Gegenfüssler, als König Pedro L von Casti-
lien! So schnauben aber, du Stromesurne, wie^des goldreichen
Tajo unerschöpflich strudelnder Komödien-Goldkrug! — so grol-
len deine Comedias die hunnischen, buhlsüchtigen, mörderischen
Blutkaziken nicht an.
1) „Doch ich fürchte mich nicht und hier steh' ich!
Zu Füssen meines Weibes wiU ich sterben.
Kämpf mit mir
Um diese Keule!" . . .
Pero no he temido yo,
que aqui me tienes presente.
Donde solo a morir vengo
a los ojos de mi esposa . . .
juega conmigo esta ma^a . . .
2) Si te coxo he de arrojarte
de suerte al centro profund 0
que has de atravesar el mundo,
y pastar de la otra parte,
Aufrichtung des Kreuzes. 73
Den Keulen - Zweikampf trennt der Entdeckungsschrei von
aussen: „Land! Land! Land!" Land — dessen iberische Gegen-
füssler sich vor den seinigen dadurch auszeichnen, dass sie zu-
gleich mit den Menschen die Länder fressen; Menschenfresser
und Länderfresser auf Einen Bissen, unter frommen Anrufen:
„Heilige Maria!" „Heiliger Johannes!" „Heiliger Petrus!" Dahin
verständigt denn auch Kazike Dulcan den Indianer Aute, der
dahergerannt kommt, meldend in keuchender Eile von scheinba-
ren „Häusern", die als Thiere in Bewegung sind, in deren In-
nerem Leute hausen, „die auf dem Kopf und selbst in den Ge-
sichtern führen Busch- und Haarwerk." „Unwissender" — be-
lehrt ihn Dulcan:
„Unwissender, was sagst du? Das sind Fische,
Fische, die brüUend durch die Insel ziehn,
Um sich mit Menschenfleische zu ersätt'gen;
Sie haben jene Leute eingeschluckt,
Die jetzt in Angst nach ihren Göttern rufen
Und wegen Ueberfrasses sie an*s Ufer
Ausspeien, jedesmal mit mächtigem Donner,
Der ihnen aus dem Eingeweid hervorbricht." i)
Die von den hölzernen Walfischen ausgespieenen weissen
Buschmänner und Heiligen-Anrufer beim Verschlucken ganzer
Erdhalbkugeln treten nun auf. Die Indianer stieben entsetzt
davon. Colon's Bruder, Bartolomeo, fällt sogleich über das
von Cr ist oval als „Land! 0 erwünschtes Land!" begrüsste
Eiland her, um es, wie das Raubthier seine Beute beleckt, unter
Küssen zu verspeisen. 2) Colon pflanzt das ihm vom Pater dar-
1) (iignorante, que dizes?
Peces son, peces que braman,
que andando por essas islas
a hartarse de came humana,
Se han comido aquessos hombres
que a vozes sus dioses Uaman.
y con la gran pesadombre
los vomitan en la playa,
dando un trueno cada uno
que arrojan de las entranas.
2) Bar toi. „Ich küsse dich,
Geliebte Erde!"
74 r^as spanische Drama.
gereichte Kreuz auf: „Dies soll der Leuclitthurm seyn, der die-
ser Welt ein neues Licht entzündet." 0 Ach! an's Feuer denkst
du nicht in deiner Taubenunschuld, Colombo! an's Scheiterhau-
fenfeuer, das die spanischen Patres mit Christi Marterholz wie
mit einem brennenden Holzscheit anzünden werden! Colon, Pa-
ter Buil, Bartolomeo und die Andern überbieten sich in
verzückt poetischen Apostrophen an das Kreuz. 2) Durch die
Kreuzeserhöhungs - und Aufrichtungsfeier bricht die Indianerin
Palca, die mittelst Zeichen, begleitet von gutem a parte
gesprochenen Spanisch, sich mit den „schönen, liebreichen
Männern"^) verständigt. Zunächst verhandelt die Zeichensprache
Bartol. yo te beso, amada tierra.
1) Colon. Padre dadme aquessa Cruz,
que aqui la quiero poner,
que este el farol ha de ser
que de al mundo nuevo luz.
2) Colon. „Glorreich Bett,
Worauf genagelt uns der Gottmensch starb.
Du bist das Lichtpanier wider die Sünde . . .
Pater. Du Mast des schönen Schiffes unsrer Kirche . . .
Bartol. Du heiliger Stab Mosis, der dereinst
Das rothe Meer getheilt, Leuchthurm und Compass ! . . .
Arana. Du grüner Siegeslorbeer vom Haupte Christi . . .
Du Gold, inmitten aufgestellt der Schlacken
Schnöder Abgötterei" . . .
Und dessen heiliger Dienst entweiht ward durch schnöde Abgötterei, ge-
trieben mit dem die grössten Gräuel und Frevel Übergleissenden Gold-
götzen !
Col. Cama ilustre donde Dios
hombre murio echado en ella . . .
Fr ad. Arbol de la nave hermosa
de la iglesia.
Bart. Vara de Moysen divina
que dividio el mar bermejo
farol, norte, luz, espejo . . .
Ära. Verde laurel de victoria
de la cabeza de cristo . . .
Oro en medio de la escoria
desto falsa idolatria . . ,
3) hombres hermosos — amorosos,
Palca und Glaskorallen. 75
Über Essen und Trinken. Palca versteht sich aufs Tischlein
deck dich. Colon gewinnt ihre Gastfreundschaft durch jenen
seitdem so erfolgreich bewährten Wilden-Köder und Angelhaken :
Spiegelchen, Schellen, Glaskorallen, wofür die Farbigen
den Weisshäutern Grund und Boden, ganze Ländergebiete, Welt-
theile sammt edlen Metallen und Edelsteinen hingeben, See? und
Seligkeit in Kauf: wie ja die Spiegel-, Schellen- und Glasperlen-
tauscher selber für ähnliche Sächelchen auch ihr Gut und Blut,
ihre Seel und Seligkeit, ihre Menschenwürde, Menschenverstand,
Freiheit und Gewissen den Patres preisgaben. Gegenfüssler, wilde
oder cultivirte — beim Licht besehen, ist der Unterschied nicht
gar gross. Beiderlei Gegenfüssler sehen sich im Pater-Spiegel-
chen vierbeinig und ergötzen sich am Anblick, wie Palca. Der
wilde und civilisirte Gegenfüssler, Beide schütteln die Schelle vor
den Ohren und freuen sich des Glöckchens, wie der Maulesel,
und greifen, wie dieser, noch eins so frisch in's Geschirr, oder
fallen gar, wie das Lama der Peruaner, beim Klingeln auf die
Kniee. Und die Glaskorallen? Seht doch den Buddhadiener, ob
er nicht die Betkorallen seines Eosenkranzes so stillentzückt durch
die Finger schlüpfen lässt, wie seine Gegenfüsslerin, Lope's In-
dianerin, Palca, die Glasperlen der schmucken, ihr vom Pater
gereichten Handwurzelschnüre! Kaum entfernen sich die Ent-
decker der neuen Welt, sind auch schon die Indianer furcht-
sam neugierig herbeigeschlichen und staunen verblüfft das aufge-
richtete Kreuz an. Dulcan erblickt darin den Pflock, woran
die „Ausgespienen" ihre „Meereshäuser" (die Fische) festbinden.
Ante möchte es lieber für ein Wahrzeichen halten, „den Son-
nenlauf am Schatten zu erkunden, den wahren Mittag ihres Lichts
zu finden." 1) Deutungen, wie man sieht, mit christlich-mysti-
schen Anspielungen auf das Kreuzessymbol, die sich wunderlich
genug im Munde von wilden Indianern ausnehmen; für die spa-
nisch parallele Doppelsichtigkeit aber keineswegs wunderlich, son-
dern rechtgläubig wunderhaft und wunderglaubwürdig, womit
1) Ante pienso que es senal,
para en su sombra entender
del sol el curso, y saber
de la luz el medio igaal.
7Ö Das spanische Drama.
hinwiederum des Kaziken D nie an Aufforderung an seine India-
ner: das Kreuz zu Boden zu werfen, recht gut verträglich
und vereinbar. Es fallen darüber einige Flintenschüsse von
aussen. Die Indianer stürzen vor Schreck zu Boden, und be-
kehren sich augenblicks, mit, Ansprachen an's Kreuz, die den
vorhin von den spanischen Yerherrlichern desselben abgehaltenen
Adorationen an frommpoetisch inbrünstigen Gleichnissen nicht
nachstehen.!) Nun bringt ihnen Palca die von den „liebrei-
chen" Fremdlingen dargebotenen Geschenke: die Schellen
— an Hand- und Fussschellen denken dabei die rothhäutigen
Naturkinder nicht entfernt. Fällt doch Kazike Dulcan, beim
Erblicken der niedlichen Schellen, in ein Wonnetänzeln, wie der
Monostat in der „Zauberflöte" bei Papageno's Klingelkasten. '^)
Die Spiegel, „o Himmel!" — Sie sehen sich, beim ersten Blick
aufs Glas, zu doppelsichtigen Spaniern; Jeder sich selbst par-
allel und doppelt, und Jeder zugleich die Anderen ! Dabei über-
J) Tacuana. ... Du heiiges, du schönes Holz! . . .
Wir aUe sind bereit, dich anzubeten.
Dulcan. Schon auf den Knieen liegen wir vor deiner
Unfassbaren Majestät, du, reicher, süsser,
Als jedes Zündholz, würdig, dass der Phönix,
Der bis zur Sonn' auffliegt, auf dir stiU sitze . .
(„in Dir ende'*, in Deiner Gluth sterbe und wieder auflebe.)
s. w.
Tac. Palo santo, palo hermoso . . .
Que ya todos te adoramos
Dulc. Ya de rodillas estamos
a tu Magestad inmensa,
Palo mas rico y suave
Que el cinamomo y canela,
digno que el Fenix, que buela
hasta el sol, en ti se acabe.
Ansi fenesca su vida
en ti madero famoso,
y de tu fuego oloroso
nasca otra vez consumada
2) „Seht an! Lass klingen! 0 welch süsses Ding!''
Suena a ver, que Hnda cosa,
Sacra Pameö. 77
rascht sie Colon mit seiner Mannschaft. Flugs retten sich die
wilden kupferfarbigen Tauben auf die nächsten Felsen. Die Spa-
nier kirren und locken sie wieder heran; der Pater mit dem
Kreuz 1) als Stellholz im Taubenschlag. Colombo hat seinen
Plan bezüglich der wilden indianischen Tauben schon gefasst:
„Von diesen, denk' ich, zehn einzufangen, einzuschiffen, sodann
Thier und sonstige Vögel, was hier des Ungewohntesten sich dar-
beut." 2) Thiere und Vögel — Lumperei! Gold! Gold! gesticu-
liert der Mitargonaute Pinzon den Indianern vor, bis zum Fin-
gerkrampf. Land! Land! Gold! Gold! ist des Steuermanns Pin-
zon Eaubvogelschrei ; das goldene Vliess, dies nur ist der spani-
schen Ärgo Fahrtpreis und Ziel, dessen Abbild in kolossalstem
Maassstab das westindische Kolchis, die neue Welt, darstellt, wie
Iberiens Conterfei, dem Strabo zufolge, eine Stierhaut ist, deren
Tajo- Vergoldung aber nicht so stichhaltig, wie des Flusses Pak-
tolos am Kolchischen Vliesse erprobte Durchgoldung. Drum schreit
und gesticuliert Pinzon immer eifriger nach Gold^), und Colon
nach Land, ^) Argonaute Arana springt ellenhoch vor Ver-
gnügen „über das Gold, das Colon ausführen wird." Colon's
„Vorstenen wül ich ihnen unser Kreuz;
Bereits beginnen sie es anzubeten . . .
VS^elch offenbares Wunder,
Dass hier die wilden Thiere, blind und stumm, es
Bereits verehren!**
Prade. Mi Cruz les quiero sacar,
ya la empie9an a adorar
que müagro tan patente,
que estos animales rudos
la adoren ciegos y mudos . . .
2) Diez de estos pienso Uevar.
Llevare animales y aves
Los que aqui estranas huviere.
3) Colon. Du meinst wohl Gold?
Pinzon. Nur dieses.
4) Colon (gegen die Indianer gewendet.)
Giebt's weiter hier auch Land noch? .
Ein grosses Land muss es noch geben.
78 I^as spanische Drama.
Gegenversicheruüg: „des Volkes Erlösung ist mein höchster
Schatz" 1) — ist sie eben so lauter, so goldrein und acht, wie
Arana's Freudensprung? Der grosse Münzwardein und grösste
spanische Nationaldichter, Lope, betont seiner Weltentdecker
Hauptmotiv, die Propaganda fides, zu nachdrücklict, um nicht an
die Aechtheit zu glauben. Andrerseits mischt er wieder so viel
kupferhaltigen Beischlag in Colones Glaubensgold, dass sich dieses
letztgültig doch und aberdoch mit wirklichem Erdgrubengolde
als irdischer Schlacke versetzt, ausweist. Dem glaubens- und
bekehrungseifrigen Entdecker der vermeinten Goldküste am Ost-
rande der grossen Tartarei missfällt blos das Eine, dass Pinzon
gar so voreilig nach Golde verlangt 2), und dass er nach den
inzwischen von einem Indianer herbeigebrachten Goldbarren gar
so gierig greift. ^) Und der kurze Meinungsaustausch gar zwischen
dem Pater und dem Mitargonauten Terrazas!
Pater. ,,Du küsst das Gold?
Terrazas. Ja, während Du bekehrst."'*)
Das Gastmahl ferner, das Kazike Dulcan seinen gold- und län-
derhungrigen Entdeckern im königlichen Zelte bereiten lässt:
„Ante, stich mir vier der Knechte ab,
Doch von den fettesten, die aufzutreiben,
Mit andrer Waldeskost bring sie gebraten
Zu Tisch uns."5) —
Und wenn wir endlich, feinen Ohres, auf das hinhorchen, was
zwischen den Zeilen von Colon's, den zweiten Act schliessen-
1) La salvacion desta gente
es ml principal tesoro.
2) De que lo pidas tan presto,
me pesa.
3) Tom ad con menos codicia.
4) Fr. Que besas las barras?
Terr. Si,
Mientras les dizes la fee.
5) Mata Ante quatro criados
de los mas gordos que haUaras,
y entre siluestres manjares
los pon en la mese assados.
Colones Rückfahrt. 79
den Worten leise klingt, so ist es schier, als töne es von den
geisterhaften Hämmerchen der Bergmännlein in den Goldgruben
der neuen Welt; wo es nicht gar das allerfeinste Goldschmiede-
getön der Kobolde der spanisch Lope'schen Ironie ist, ein kunst-
heimlicher Tick des spanischen Geistes , der am hellsten in den
Meisterwerken des Cervantes, und auch schon in den Poesien
des Erzschalkes und Erzpriester von Hita, und behutsamlichst
in Situationen verschleiert in den Komödien ihres Conipositionsver-
wandten, grossen Kunst-Nationalitätsgenossen und Genies, in den
dramatischen Kunstwitzesspielen Lope de Vega's anklingt, ab-
sichtslos, wenn man will, unwissentlich vielleicht: gleichwie Elf en-
giöcklein an der Blumenmütze von Oberon's winzigem Hofschalk,
ja dass es fast nur ein inneres Ohrenklingen des zwischen Scherz
und Ernst spielerisch dichtenden Geistes scheinen könnte. 0
Schwingt dieser ironisch-traumhafte Ton nicht auch in der
ersten Scene des dritten Actes nach, wo Colon mit seinen
westindischen Entdeckungsproben, den kupferhäutigen Insulanern
und anderem Gethier und Gevögel, bereits abgesegelt ist nach Spa-
nien? Bebt der leise Schalk- und Spottton nicht im Gespräche
der beiden, unter Oberbefehl von Colones Bruder und Stellvertre-
ter, Bartolomeo, auf der Insel Hnanahar zurückgebliebenen
Spanier, Arana und Terrazas mit goldenem Ausklange nach?-^)
1) Col. „Heut, Himmel, heft' ich meinen festen Glauben
An diese zweite neue Welt. Dir Spanien,
Hinüber bring' ich sie!
Alle. Hoch! Neue Welt!^'
Col. Cielos oy fundo
La fee en otro mundo nuevo.
Espana, esto mundo os Uevo,
nuevo mundo.
Tod OS. nuevo mundo.
Hoch das weltgrosse goldene Yliess, das der katholische Jason „Dir, Spa-
nien'*, zu Füssen legt, als neuweltliches Emblem für die abgescheuerte
Tajovergoldung deines ursprünglichen geographischen Abbildes : der Stier-
haut.
2) Terraz. „Ja die Goldgier,
Von der ein grosser Dichter sagt, es sey
Kein Alter, keine Schranke, die sie nicht
80 l^^s spanische Brarüa.
Und tönt er nicht gar wunderlich auch in der Anschlussscene
zwischen den zwei spanischen Weltwindbeuteln und der schönen
kupferbraunen Häuterin, Tacuana, nach, die ihre Bitte, sie
„vom tyrannischen Kaziken" zu befreien und ihrem Gatten zu-
rückzugeben — mit einer Anbetung des Kreuzes, einer Andacht
Sich unterwürfe, heute unterwirft
Alles der Schatz der neuen Welt . . .
Arana. Du hast ganz recht, und merk dir, dass das Gold
Chimäre ist, gleichwie des Cid Goldkisten.*)
Zum Teufel, wer zwischen Toledo und
Madrid dich hätte!
Terraz. In Sevilla war' es
Am rechten Platz bei Austern und Oliven . . .
Gott gebe, dass wir in die Lage kommen,
Um unsrer Schätze froh zu werden; hier
Sind sie zu wenig nütz.
Arana. Und sind wir dort.
Wird sich der Geiz zurück nach hiesigem sehnen."
Terr. La golosina del oro,
de quien deze el gran poeta,
que no ay edad, ni decoro
que no sugete, oy sugueta
del nuevo mundo el tesoro . . .
Ära. Teneys razon, y adverti, ,
que estä en fe este oro, o quimera
Como las arcas del Cid
pese a tal quien lo tuuiera
entre Toledo, 6 Madrid.
Terr. Eazonable era en Sevilla
entre azeituna y ostion (ostra)
Quiera Dios que buelta demos
dond el tesoro gozemos
que aqui poco gusto da,
Ära. y quando estemos aUä
lo de acä codiciaremos.
Ein Schlaraffenland hat Columbus, ein Eldorado, den spanischen Büss-
lingen entdeckt! Dieses Pudels Motivkern kam von vornherein zutage.
*) Mit Steinen gefüllte Kisten, die, erzähltermassen, der Cid als gold-
gefüllte zween Juden angeschwindelt. Gesch. d. Dram. VIII. S. 315. 1.
Die Tochter der Wildniss. g|
zum Kreuze % einleitet, als wollte der Dichter das heilige Nebeu-
motiv als Sehlagschatten über jenes frivole Kernmotiv seines Zeit-
alters werfen? — Terrazas erbietet sich zum Erfüller ihrer
Bitte — aber mit welcher reservatio mentalis, richtiger mentula?
Neiget doch nur das feine Satyrohr, das den Koboldstimmchen
zwischen den Zeilen zu lauschen versteht, und horchet!-) AVie
trefflich weiss die schöne Wilde, die Tacuana, die das Spani-
sche im Zwischenact erlernt hat und nun fertig spricht, und
schon ganz als Spanierin denkt und fühlt, unbeschadet der An-
dacht zum Kreuze, wie trefflich weiss diese zwischen den Zeilen
in Terrazas' Seele zu lesen ! Unvergleichlich fertiger, als er in ihrer
1) „Das Kreuz, das der gebenedeite Mönch (Padre Buil)
Uns predigte -—
Werd' angebetet, von Haiti an bis
In's schöne Chile hin, von allem Volk!
Das Herz stärk uns die Messe, der wir harren!*^
{Vi. s. w.)
Tac. y la Cruz que nos predica
aqueste bendito Monge
que la truxo en sus espaldas
por la redencion del orbe
Desde Haj^ti a la hermosa Chile
generalmente se adore
y la Missa que esperamos
muena nuestros cora9ones.
Ära. ^Donde la barbara llevas?
2) Arana. Wohin willst mit der Wilden du?
Terraz. Die Liebe
Erbarmt sich meiner Noth.
Wohin denn, denkst du
Als wo ich meiner kranken Lust kann fröhnen?
Bin ich aus Fleisch denn oder aus Erz gegossen?
Terr. Amor mis quejos soccorre.
Donde quieres que la lleve,
sino a lugar que la gozen
mis necesitados bra90s
^soy yo de carne o de bronze?
X. 6
82 I^as spanische Drama.
Seele. ^) Wie Terrazas mit Taeuana, so schnäbelt gleich
darauf Arana mit Palca. Terrazas geht indess noch weiter:
er bindet dem Dulcan, Kaziken von Gwanahani, den asturi-
schen Bären auf, dass Tapir azü mit seiner Gattin, Taeuana,
nach Haiti entflohen, und verspricht, die Schöne ihm wiederzu-
bringen, wenn er, Dulcan, den Christenglauben annimmt und
spanisch-katholisch wird. Was meint man zu dieser Zwischen-
zeilen-Musik? Oder wäre auch dies blosses Ohrensausen vom
1) „Fürwahr, der Spanier ist doch wohl kein Gott,
Denn mein Gemüth weiss er nicht zu errathen,
Da ich doch schmacht' um seine Lieb' allein
Mit aufgeputzten Lügen trat ich vor ihn,
Nur ihm ergeben, dass er weg mich raube.
Er denkt gewiss er thue mir Gewalt,
Und lohnt mir mein gefährlich Wagstück nur,"
Tac. Basta que aqueste Espanol
no es Dies, pues que no conoce
el pensamiento que traygo
perdida por sus amores.
que con aquesta invencion
fingiendo tales razones
vengo a sus bra90s rendida
porque ansi nie Ueve y robe.
El piensa que me haze fuer9a,
y amor sin fuer9a me pone
donde descanse mi pena . . .
Aus einer Conjunction der Gestirne Venus und Mercur leiteten die
damaligen Astrologen, die Astrologen des europäisch-amerikanischen, des
westöstlichen Divans, die Lustseuche her. Bekanntlich hat dieselbe auf
der Insel Haiti, dem Geburtseiland der schönen kupferbraunen Taeuana,
ihren Ursprung, und gleichfalls infolge einer Conjunction von spanisch-
italienischer Lepra und Otahaitisch localem Lustgift. Sollte es denn gar
so absonderlich klingen, und sollten wir nur unser eigenes Ohrenklingen
zwischen den Zeilen Lope'scher Composition — ja nicht Intention ! — ver-
nehmen, wenn wir die dramatisch-komödische Ahnmutter jener beiden ge-
nannten Conjunctionen, der astrologischen und pathologischen, in der Con-
junction des spanischen Lazarus, Terrazas, mit der Otahaitischen kupfer-
rotben Kypris*), Taeuana, begrtissen?
*) Kypris bedeutet ,, Kupferinsel".
Haiti's Bekehrung. 83
Windfang in der Ohrenmuschel? i) Pater Buil vollzieht die
Bekehrung auf Haiti und liest der Indianerin die erste Messe.
Auf Gwanahani vertritt der Conjunctionist Terrazas den Pater,
erzählt dem Kaziken, Dulcan, die Schöpfungsgeschichte, Luci-
1) Terr. Doch geb' ich Dir mein Wort, ist erst die Messe
Gelesen, dann steh' ich mit Feuer und Schwert
Bereit zur Hülfe Dir, bei meiner Ehre!
Dulc. Und Du versprichst das Weib mir einzufangen?
Terr. Dir bring ich sie!
Dulc. Damit ist's gut, Rodrigo,
Und mehr kein Wort. Wann kommt der Pater an?
Terr. Ich glaube, dass er morgen hier seyn wird.
Dulc. Und Messe lesen?
Terr. Freilich.
Dulc. Mich verlangt
Gleich lebhaft, ihn zu sehn und sie zu hören.
Komm und gieb an, wie den Altar man schmücke.
Terr. Du thust's zu Gottes Ehr.
Dulc. Ich bin^s schuldig.
(Ab.)
Terr. Y mi palabra te doy,
que la missa celebrada
Con mi rayo y con mi espada
te ayude a fe de quien soy
Dulc. ^Que la palabra me das
de cobrar mi esposa?
Terr. Digo
Que la traere.
Dulc. Pues Rodrigo,
essa me basta y no mas.
<^Quando el Padre viene?
Terr. Creo
que estarä manana aqui.
Dulc. ^Y dirä la Missa?
Terr. Si.
Dulc. Verle y oyrla desseo.
Ven y daräs la instruccion
del altar del sacrificio.
Terr. Lloräs a Dios gran servicio.
Dulc. No es poco en esta occasion.
Miscet Sacra profanis ~ und so, dass es der Verfasser des 'Candide' nicht
besser könnte!
0*
84 üas spanische Drama.
fer's Sturz, des Weltverderbers, beider Welten, der alten und neuen ^),
und die durch Christum bewirkte Erlösung. Die Bekehrungs-
1) — „Dieser seinem Gott Abtrünnige
Hasst seit dem Tag die Menschheit und sinnt nur,
Wie lügnerisch er sich zum Gott aufwerfe,
Und da ihm unter euch besserer*) Vorschub ward,
Spricht er zu euch und nennt sich euren Gott.
Und so betrügt er euch, so weit ihm möglich.
Er kriecht in eure Götzen
Doch Christus
Betrübt es, dass der unter euch regiert.
Da er sein Blut am Kreuz für euch gelassen.
Darum befahl er
Dem allerchristlichsten und weisen König
Ferdinand von Spanien, dass er euch Columbo
Zusend', euch seinem Glauben zu erwerben . . .
Dulc. Weitläufig und verwickelt und sehr schwierig
Scheint mir das Alles. Lasst den Pater kommen,
Dass wir die Sache gründlicher erörtern . . .
Este rebelde a su Dios
desde entonces odio tiene
ä los hombres, y procura
ser dios enganosamente.
Y assi como entre vosotros
mas ocasion se le ofrece,
os habla, os dize que es Dios,
y OS engana quanto puede.
Metese en estas estatuas . . .
Pues condoliendose Christo
de que entre vosotros reyne,
que le costasteys su sangre,
en la Cruz, muerta la muerte;
AI Eey Fernando de Espana.
Christianissimo, y prudente,
manda que a Colon embie
este que a su fe os conuierte . . .
Dulc. Muy largo e intricado, y muy dificil
todo esso me parece, venga el padre
y trataremos con espacio desso . . .
*) besserer — o belzebubischer Alexandriner!
Des Kaziken Monolog. 85
predigt hält Terrazas, unangefochten von dem Gold- und Lust-
teufel, der ihm — und vielleicht schon als Lustteufelseuche —
in den Knochen spukt. Mittlerweile ist Pater Buil nach Gwa-
nahani zurückgekehrt. Bartolomeo erwartet den Kaziken Dul-
can bei der Messe, der, allein geblieben, nachstehendes bedeut-
sames Selbstgespräch ventilirt:
Dulcan. „Verwirrt bin ich; mein Ja klingt mir wie Nein,
Was soll ich thun? Soll meinen Ongol^) lassen
Für diesen fremden Christus, den Gottmenschen,
Den spanischen Gott? Soll Mond und Morgenstern,
Die Nacht, den Tag, Himmel und Sonne lassen?
Und lass' ich sie, weiss ich mir keinen Grund,
Dass ich ihr Licht lass' und dies Kreuz verehre.
An dem ihr Gott gelitten.
Unmöglicher ist nichts als alten Glauben
Verlassen und unsre furchtbar mächt'ge Sitte.
(Der Teufel tritt auf in Indianergestalt und fasst Dulcan
bei der Schulter.) „Wohin" — brüllt Teufel Ongol den Ka-
ziken an —
„Wohin willst Du?
Dulcan. Zur versprochnen Messe.
Teufel. 0, wie so lächerlich erscheinst Du mir
Mit dieser Lügenfreundschaft! Die begehren
Nur Gold von Deinem Indien und sie stellen
Sich heilig, spielen hier die Christendemuth ;
Inzwischen kommen Andre an, die euch
Sämmtliche Schätze aus dem Lande schleppen,
Jener Andre 2) ist ja schon in Spanien."
Den noch unschlüssigen Dulcan schleudert der indianische
Goldteufel oder Gold-Ongol mit der Nachricht, dass ihm sein gu-
ter Freund und Bekehrer, Terrazas, die Tacuana geraubt
„und heute sie in seiner Hütte erkannt", in das Kaziki'sche Höl-
lenfeuer eifersüchtiger Wuth, so prellschwunghaft, dass Dulcan
noch fürchterlicher als Teufels-Ongol brüllt:
,,0 schnöd, unmenschlich Volk! erbarmungslos.
Unter euren Glaubensfetzen schlecht verhüllt!
1) Götze. — 2) Colon.
86 Das spanische Drama.
0 Spanier, ihr Verräther! — Waffen, Leute!
Indianer zu den Waffen! i)
Man nenne den Columbus- Dichter, der sich bis zu dieser
historisch -psychologischen Kühnheit des Widerwillen vom See-
len- und geschichtskundigen Wahrheitsgeiste entflammten und
hingerissenen Genius emporgeschwungen hätte! Fände sich ein
solcher deutsch-protestantischer, überhaupt freigeistischer Colum-
bus-Dichter, dann wäre ein solches psychologisch-historische Pa-
thos eben kein Ausbruch dichterischer Kühnheit und dichteri-
schen Genie's ; denn ein sothaner Columbusdichter spräche ja nur,
wie ihm der Schnabel gewachsen ist, und träfe auf die schönsten
Schallhöhlen und Röhren in den Schädeln seines Publicums. An-
Que hare, dexare nii Ongol
por este Christo estrangero,
Dios hombre, y Dios Espanol
Pero si lo dexare
aunque la causa no se
de que auenture su luz
por esto que Uaman Cruz,
en que su martyrio fue . . .
No ay cosa mas impossible,
que dexar la antigua fee,
y a la costumbre terrible . . .
Dem. (fDonde vas, Dulcan? detente
Dulc. A la Missa prometida.
Dem. 0 que gracioso que estäs
Con esta amistad fingida.
Estos codiciando oro
de tus Indias, se hazen santos
fingen Christiano decoro
rnientras vienen otros tan tos,
que Ileven todo el tesoro.
Que ya el otro llega a Espana
Dulc. 0 gente vil inhumana
fuera de piedad desnudas
Con pieles de ley Christiana.
0 Espanoles, o traidores
jArmas gentes, Indios alarma!
Das goldene Ei des Columbus. 87
ders liegt die Karte bei Lope ; bei einem spanischen Bühnendich-
ter jener Zeit, bei einem erzkatholischen, Idrchlichfrommen, or-
thodoxgläubigen spanischen Dichter wie Lope, dessen oft bis zum
Fanatismus erglühter Kircheneifer gelegentlich wieder mit dem
übermächtigen Genie, wie mit der vom Gottesschütteln des Wahr-
sagergeistes überwältigten und schäumenden Pythia, durchgeht.
Alsbald freilich und endgültig erschrickt das durchgegangene
Genie eines noch so grossen Poeten, der im Grunde des Herzens
immerhin Dichter-Pfaffe bleibt — sein Genie erschrickt und er-
zittert vor der eigenen Kühnheit, wie ein scheugewordenes und
plötzlich zum Stillstand gebrachtes Pferd. Ein solches Genie
kriecht gleich wieder zu Kreuz, und derselbe poetische Feuer-
geist, der vermöge einer instinctiven oder inspiratorischen Com-
positionsliste sein göttlichstes Pathos dem Teufel in den Mund
legt — derselbe Feuergeist beschwört, wie hier, in seiner ortho-
doxen Glaubensangst sechs Teufel in den Tempel vor den
Altar mit einem Kreuze darüber, und lässt den Obersten der
sechs Teufel, beim Zusammenstürzen aller Götzenbilder im
Tempel, sich krümmen und ein Sonett heulen, das mit dem Vers
beginnt :
,, Besiegt bin ich, da siegtest Galiläer!"i)
Und, nachdem die Teufel verschwunden, und der Kazike Dul-
can, mit Terrazas im Kampfe, Keule gegen Schwert — in
den Tempel eingedrungen, da lässt ein Dichter wie Lope das ei-
gentliche, von keinem Columbusdichter, ausser ihm, geahnte Kern-
motiv der Entdeckungshelden in den Columbus-Dramen seinen
Kaziken noch einmal, wie einen Kehrreim, von sich schnauben:
,,Mit falscher Lehre und mit Lügengöttern
Kommt ihr, um Gold und V^eiber nur zu rauben'/'^) __
Mit welcher Palinodie löst sich nun das von selbst ob seiner Ver-
messenheit erbangende poetische Genie — löst es sich vom Schei-
terhaufen, den der Dichter-Pfaffe in seinem Innern schürt? Wo-
1) Vencido soy, venciste Galileo.
2) Con falsa relacion y falsos dioses
vos venis a robar oro y mugeres.
88 Das spanische Drama.
mit? ei, mit einem Spectakelstück, Wunderstück, einer Comedia
de teatro — oder de ruido-Mirakel wie hier. An Stelle des von
den tumultuirenden Indianern in's Meer geschleuderten Kreuzes,
erhebt sich ein zweites gleiches Kreuz unter Musikklängen, bei
dessen Anblick Kazike Dulcan in Extase geräth, wunderver-
zückt stammelnd:
„Doch horch! Was ist? Da grünt der Stamm aufs neue!
Himmlische Sonne !i)
Wahrlich, wahrhaftig ist der Christenglaube,
Und wer dem widersprechen wollte, sterbe!
Sterbe — mit der Ketzermütze und dem Sanbenito angethan,
worauf nicht sechs, worauf eine Legion Teufel durch umgekehrte
Flammen hüpfen und springen, deren Spitze unterwärts, der Hölle
zugewandt, lodern — Teufel, die aber doch immer wieder nur
dem Ongol, dem westindianischen Gold- und Menschenfresser-
teufel, wie ein Höllenei dem andern, gleichen!
Das letzte Columbus-Tableau entfaltet sich im königlichen
Hoflager zu Barcelona: vor den mit weitaufgesperrten Mäulern
und Augen staunenden Hofschranzen. Das Schlussscenenbild stellt
Cristoval Colon's Triumpheinzug dar mit seinenä Gefolge von
wilden Indianern, Papageien und Affen, wie heutigen Tags ein
Marktbudengaukler mit wilden Männern und ähnlichen natur-
historischen Merkwürdigkeiten umherzieht — zu Colon's Zeiten
aber hatte dies, als Weltentdeckungsschauspiel, eine unermessliche
Bedeutung, eine Tragweite, neben welcher die Folgewichtigkeit
von Triumphzügen, wie die eines Pompejus, eines Julius Cäsar,
zur Schauparade einer Faschingsprocession, eines Kunstreiterein-
zugs, eines Bären- und Affentanzinusik - Spectakeis zusammen-
schwindet.
„Columbo" (meldet die Theateranweisung unseres üeber-
setzer-Jambisten) „im Reisekleid, sechs halbnackte und bemalte
1) Mas escuchad, que reverden el tronco,
Que es esto sol divino
Sin duda que es verdadera
la Christiana Religion,
Quien dixera que no, muera.
Colon's Triuniphzug. 89
Indianer, ein Fage mit einer Schüssel mit Goldbarren, ein
zweiter mit Papageien, Falken etc. kommen im Zuge" vorbei-
defilirend vor den katholischen Majestäten und deren Hofgefolge.
König Fernando's huldreiche an den vor ihm knieenden Colon
gerichtete Begrüssung nimmt nur der Weltgeschichte die Worte
von der Zunge:
,, Erhebe Dich, Du neuer Alexander
Der zweite, obwohl grösser als der erste!
Denn nicht nur Spanien eine zweite Welt,
Du schenktest Gott auch ungezählte Seelen.
Cristoforo, Dein Name schon giebt Zeugniss,
Denn Christus gleich übst Du Erlösungs werke.
Wie einst der Heilige deines Namens schon
Die Menschen trug durch ein bekannt Gewässer,
So Du die Fremdlinge auf Deinen Schultern,
Den Vielgewalt'gen .
So nehm' ich denn das triftigste Geschenk,
Das je ein Sterblicher bot einem König . . .
Mit welchem Lohn könnt' ich Dir das bezahlen?
Du seyest Herzog von
Veraguas und der See Grossadmiral.'* i)
Die Ehrenketten ungerechnet, womit geschmückt der Lehnsherr
des mächtigsten der Könige der Christenheit, den er mit einem
1) Rey. Al9aos, Alexandro nuevo,
aunque mayor y el segundo . . .
que a Espana aveys dado un mundo
y a Dios infinit as almas.
Cristoval, vuestro apellido
os da alaban9a Colon,
que autor de tal Eedencion
algo de Christo ha tenido.
Vos Cristoval, como el Santo,
destos mares ya vezinos
os passays los peregrinos
en hombros que pueden tanto . , ,
Recibo el don mas profundo
que ha dado a Rey hombre human o .
Por el quäl, no se que paga
os pueda dar . . .
Ya soys duque de Beraguas
y Almirante de la mar.
90 Das spanische Drama
Welttheil von Grösse der Erdhalbkugel belieh, seinen zweiten
Triumpbeinzug in den Kerker hielt. Das vom grossen Cristö-
foro dargebrachte Gold überlässt König Fernando der Kö-
nigin Isabel, die es der Kirche von Toledo weiht: „Sie nehm'
es in die kräftigste Verwahrung." Sie hat einen guten, einen
kräftigen Magen, sie kann auch Goldbarren, jede Barre ein Welt-
theil, vertragen. Das Königspaar zieht sich mit Herzog Co-
lumbus zurück, um von ihm die merkwürdigsten aller See-
fahrerberichte zu vernehmen. Auf der Bühne bleiben nur
D. Alonso und Gonzälo de Cardova. Alonso preist Ge-
nua glorreich, unter deren ruhmgekrönten Helden Colombo als
der höchste sich erweise, i) Gonzälo lässt sich den Werth der
Goldbarren von Alonso berechnen, der sie auf das Doppelte des
von Colon erhaltenen Darlehns schätzt — ein gutes Geschäft je-
denfalls, die rückständigen Barren mit Juwelen und die tausende
der fremdartigsten Vögel, die allesammt goldene Eier legen, und
„die neuen Vasallen" 2) ungezählt, deren Blut statt eisen-,
goldhaltig ist, wie das Goldschmiedefeier der Inquisition zutage
legen soll, das den neuen Vasallen den Goldgehalt aus den Adern
herausschmelzen wird, behufs dessen diese neuen Vasallen eben
wieder auf der Bühne „zur Taufe" erscheinen mit ihren Pathen,
den katholischen Majestäten. „Unter Musikbegleitung werden
Taufschüssel und Kannen getragen, dann folgen die Indianer
und hinter ihnen die Majestäten, voran Colombo mit einer
Fahne, worauf sein Wappen mit einer Inschrift ringsum." ^)
1) Contador mayor.
Gloriosa Genova estes,
oy tu Eepublica vista
Nuevas y alegres colores,
pues entre tus Capitanes
tan heroycos y galanes,
es Colon de los mejores . . .
2) y aqnestos nuevos vasallos.
3) Cap. ya salen a bautizallos.
Cont. Los Reyes son los padrinos.
(Con musica entre accompanamiento fuentes y aguamanil, y los Indios
y los Reyes detras, y antes dellos Colon, con una bandera con sns armas,
y una letra a la redonda.)
Lope's Castrucho-Comedia. 9j^
0 der kurzsichtigen Menschen- Vorschau! Welches Küchlein
aus dem Ei des Columbus endgültig hervorzuschlüpfen berufen
ist ~ davon haben die spanischen Majestäten, hat die von ihm
eingesetzte spanische Inquisition, hat der grosse Cristöforo selbst,
der das Ei doch legte, keine Ahnung -— : Das Küchlein
Washington!
Für unsere Geschichte aber hat Lope, als Entdecker des
Columbus-Drama's, in dem seinigen das Columbus-Ei dem Teufel
in die Wirthschaft gelieckt, der einen ganzen Schwärm von Co-
lumbus-Dichtern ausgebrütet, die, übereinandergestellt, so dass
ein Cristöforo den nächstfolgenden auf der Schulter trüge, all-
insgesammt dem Dichter des ,nuevo mundo', nicht etwa als Poe-
ten überhaupt, die ihm, speciell als Columbus-Dichter, nicht an
den Kniegürtel reichen.
Fügen wir in die erste Gruppe noch Lope's Soldaten-Stück:
El Eufian Castrucho^),
als tetralogisches Satyrspiel ein.
Unter Lope's Comedias de Costumbres ist dieser Kufian der voll-
gültigste Vertreter des niedrig-komischen Genre's. Ein Held vom
grobschrötigen Entremes-Kaliber als Hauptfigur eines Charakter-
und Sittenlustspiels. Um den Rufian gruppiren sich durch Sitten
ebenbürtige Standespersonen, Offiziere der spanischen Truppen
in Italien, wo die Komödie spielt. Dem Kufian im spanischen
Sinne, wonach ein solcher mehr als Gauner-ßaufbold , denn als
Kuppler 2) hantirt und letzteres Geschäft nur nebenher betreibt,
vermöge seines Gaunergewerbes nur mitnimmt — steht eine
Rufiana im italienischen Wortverstande zur Seite, die Kupple-
rin Teodora, die der Sargento (Sergeant) Don Alvaro selbst
mit der spanischen Stamm-Urmutter des Kuppler - und Zigeuner-
wesens, mit der * Gele st in a' zusammenstellt. 3) Besagte Teo-
dora hatte aus Sevilla ein Mädchen Namens Fortuna nach
Italien gebracht, um deren freie Gunst sich das spanische Offi-
1) In dem uns vorliegenden Bande (Doze Comed. de Lope de Vega
etc. qiiarta parte. Barcel. 1614) lautet der Titel: ,,La famos a Co me-
dia'' del Galan Castruclio. — 2) Der spanische 'alcahuete'. —
3) Como aquesta tercera de Calisto.
92 I^as spanische Drama.
ziercorps in Neapel so eifrig bewirbt, als wäre unsere kleine
Fortuna die Kriegs-Glücksgöttin, die grösste H — nicht blos von
Babylon, sondern von aller Welt — kurz, die Göttin Fortuna
höchstselbst in Gestalt eines den Liebesnektar kredenzenden
Eegimentstöchterchens, einer zierlichen Lagerschenkin, auch Mar-
ketenderin genannt. Fortunchen, von Vorkaufsrechtswegen, Ca-
strucho's Liebchen, erregt durch Begünstigung der spanischen
Besatzungskriegshelden : des schon erwähnten Sargento,DonAl-
varo, des Alferez (Fähndrich), Don Jorge und des Capi-
tan Don Hector, ihres Galans Castrucho Eifersucht so
wenig, dass dieser den Galan hinter den Eufian versteckt, so
oft jene Kriegstapfern Fortuna's Gunst mit Geld und Preciosen
zu erkaufen sich beeifern, und wobei Castrucho unverbrüch-
lich auf dem Posten ist, um dem hinter'm Eufian versteckten
Galan beide Augen mit beiden Händen zuzudrücken, und mit
den Augen des Eufian bei dem Tächtelmächtel durch Fortuna's
vergoldete und beringte Finger zu sehen, um Gold und Einge,
und sonstige Liebesgeschenke zu verprassen und zu verwürfein.
Ein Skandal für die gestrenge Kuppelmutter Teodora, ein so
empörender Skandal, dass sie ihre ganze Beredsamkeit aufbietet i),
um Fortunchens Anhänglichkeit an den Galan zu erschüttern,
den bei ihr der Eufian nur vorschiebe, um sich hinter dessen
Eücken die von den Besatzungs- Unter- und Oberoffizieren dem
Schätzchen Fortuna gespendeten Liebesgeschenke vom Galan
zustecken zu lassen, wenn nicht in Güte, mit Gewalt, in welchem
Falle der Eufian wieder den Galan hinter sich wirft, und als
bramarbasirender Eaufbold Liebchen und Sündenmutter in's Bocks-
horn jagt, bis sie herausrücken. 2) Darum versteht auch unser
1) Teod. Que cosa es esta, que una mo9a hermosa .
a conquistar el mundo poderosa
perdida siga a un hombre . . .
que es un picano, un feo
Un publice rufian.
2) Teod. Tenle hija,
abre el escritorio, y dale
aquella negra sortija.
Halt ihn, Töcbterchen,
Oeffne den Schrein und gieb ihm
Jenen schwarzen Eing.
Lager-Helden. 93
Castrucho keinen Spass, wenn die Herren Castrenses, die
Kriegslager -Kitter, die martialischen Castmchos von der Be-
satzung bis zum General en Chef hinauf, ihm seinen Schatz,
Schatz im eigentlichen Sinne, sein Portunchen, sein Fortunatus-
Täschelchen, wegstipizen, entführen wollen. Da ist er gleich hin-
terher, um es ihnen zu entreissen, als z. B. dem Sargent o,
der mit Portunchen, bei nächtlicher Weile, auf dem Wege
ist, sie auf sein Zimmer zu bringen, behufs einer partie
fine, welchem Sargento aber der Alferez mit einigen Frem-
den das Glückskind abjagt, welchem Alferez wiederum Capi-
tan Don Hector im Begriffe steht, das Dämchen vom Munde
wegzuschnappen, welchem Capit an aber Castrucho, als der
begünstigtste Glücks-ßitter, es wegfischt, um das weisse Huhn,
das ihm goldene Eier legt, in den Nestkorb heimzutragen. ^)
Hähne im Korbe so viel Hühnchen Lust hat; nur nicht im Nest-
korb, worin er als Haushahn der ausschliessliche Hahn im Korbe:
der Goldhenne Ritter und Vertreter/^) Im zweiten Act hetzt
Castrucho die drei Garnisons-Liebhaber an einander, um jeden
einzeln zu rupfen, indem er je einen als Inhaber des Eegiments-
töchterchens den beiden Nebenbuhlern bezeichnet, so dass sich
der Triumvirat, wie der römische, untereinander in den Haaren
liegt, nur darin einmüthig, dass sie selbdritt, dem Castrucho zum
alleinigen Vortheil, Haare lassen, bis Mutter Teodora den ha-
dernden Triumvirn unter den Puss giebt, dass Castrucho auf
Portunchen Beschlag gelegt, und sie in seiner Stube versteckt
1) Castr. Yo soy el que la he quitado
a los que de aqui se van,
Alferez y capitan
y el Sargen tillo alcorzado,
Camine a casa badana . . .
Camine floresta humana.
Ich bin's, der sie Euch entwand,
Jene, die von dannen gan,
Fähnderich und Capitan
Und Sergeäntchen von Dragant.
Kehre heim nur goldnes Mätzchen,
In den Nestkorb, holdes Schätzchen.
2) Qiüen os ampara y cobija
94 T)as spanische Drama.
hat. Nun vereinigen sich die Dreimänner von der Fortnnabesatzung
zu einem gemeinschaftlichen Angi'iflf auf Castrucho, der ihm
den Garaus machen soll Teodora in der Freude ihres Her-
zens, ist von Castrucho's Ende so überzeugt, dass sie, beim
Schein ihres Nachtlichts, ihrer vor Schmutz glänzenden Nacht-
haube und ihrer Brille 0 am Fenster, den unter demselben nach
Einlass fluchenden Castrucho für dessen Grabgespenst hält,
worauf ein Wettstreitgespräch von gegenseitigen Laster- und
Schimpfapostrophen in eine Versform von der komisch wunder-
barlichsten Wirkung in Ganz- und Bruch versen sich entwickelt.^)
Mit einmal springt die drollig-lästerlichste aller Fenster-Tenzonen
zwischen Eufian in spanischer und Eufiana in italienischer Be-
deutung in einen Wettkampf von sich überbietenden Wechsel-
Schmeichelreden in derselben Vers- und Eeimart über, infolge
eines Goldkettchens, das Castrucho beim Nachtlicht in der
Hand der alten Kuppelvettel glitzern sieht, und infolge eines
Gewinnantheils, den Castrucho, beim Erblicken der Kette, der
alten Schwer nothshexe mit dem unübersetzbaren Gesicht, mit
der „cara de mona'', in Aussicht stellt. ^'^) Mit offnen Armen in
1) (Teodora a la ventana can una toca suzia, antojos, y mi candil.)
2) Castr. Abre, a los diablos te doy
Cozinera de Cayfas,
Abre la puerta vejona,
Cara de mona.
Abre hechicera, bruja,
la que estraja
quantos ninos ay de teta,
por alcuheta.
Teod. No te alborotes
Vellaco ruffian, ladron
Y gran lebron . . .
esta casa tiene dueno,
que a buen sueiio
estä con fortuaa agora
vete en malata hora.
3) Castr. Abre amiga de mis ojos
Y estos enojos
Se queden luego a una parte
que quiero darte
Der Obersferieral von Fortuiia's Eeitergaicle. 95
der geöffneten Hausthür empfängt Teodora den Genossen sammt
Gewinns- und Teufelsantheil, der in einem Messerstich besteht, ^)
So endet Acto segundo.
Castrucho konnte sich nur von dem ihm zugedachten Prü-
geltodtschlag dadurch lösen , dass er jedem der drei Würger für
die nächste Nacht die Fortuna verhiess. Diese hatte aber die
vornächste Nacht beim Ober gener al der spanischen Besatzung
zugebracht, welchem sie Mutter Teodora überliefert, nachdem
sie mit einer Schilderung der Keize des kaum sechzehnjährigen
Töchterleins 2) seine Erwartungen aufs äusserste gespannt hatte.
Als der Obergeneral, nach genauer mit dem Original vorge-
nommener Prüfung, sich von der Treue der Schilderung Teo-
dora's überzeugt hatte, schickte er dasselbe durch seinen Feld-
wachtmeister (maese de Campo), Roderigo, der Teodora zu-
rück. Maese de Campo, der bei der Schilderung zugegen ge-
wesen war, glaubte seinerseits, sich als Maese, vor Ablieferung
des Originals, von der Wahrheit der Schilderung ebenfalls über-
zeugen zu sollen, und brachte zu dem Behufe Fortunchen auf
sein Zimmer, wo er mit dem Vergleiche des von Mutter Teodora
entworfenen Bildes mit dem leibhaften ürbilde gerade beschäftigt
war, als Castrucho seinen jedem der drei Mordgesellen, Ca-
pitan, Alferez und Sarge nto versprochenen Lösepreis in
barato de una ganancia
de importancia.
1) Teod. Ya esta abierta.
entra hijo de mis ojos
110 aya enojos
dame aquessos bra^os.
Castr. Toma
vieja mahoma.
Teod. Que me mata,
ay que ra,e ha muerto.
2) Teod. Tengo una hija toa bella
que dexo de ser donzella
par no teuer que comer,
no tiene diez y scis anos,
fresca como una camuessa,
ayer la mire en los banos
con una pierna tan gruessa
y unos peziios tamanos u. s.
96 Das spanische Drama.
natura entrichten musste, und zwar jedem zur selben Nacht und
Stunde. Um in der Hauptsache wenigstens als Ehrenmann sein
Wort zu halten, beschliesst Castrucho, jedem der drei lebens-
gefährlichen Besatzungs- und Berennungsgenossen unter dem
Schleier der Nacht gleichzeitig ein Liebchen als seine Fortuna
in die Arme zu führen: dem Capitan: die vielerfahrene, hoch-
geschulte, an Fachgelehrsamkeit in ihrer speciellen Wissenschaft
nur von Celestina übertroffene Mutter Teodora^); den beiden
Anderen seine zwei Burschen, Beltranico und Escobarillo —
Beide, zum Glück, verkleidete Dirnen: Beltranico, in dessen
Hosen das Dämchen Brisena steckt, dem Fähndrich Don
Jorge, der liebesfahnenflüchtig ihr davongelaufen; den Esco-
barillo, dessen Burschenwamms und Büxen die Reize der Dame
Lucrecia füllen, dem Sargento Don Alvaro, ihrem Tarquin,
dem sie mit dem Lucreziendolch in der Hosentasche nachläuft,
um ihn zur Lösung seines Eheversprechens anzuhalten.
Die Katastrophe, die fürchterlichste für das Fortuna-Trium-
virat, enthüllt sich vor der ganzen vom General zusammenge-
trommelten Besatzung, vor welcher Capitan Hector mit sei-
ner verschleierten Fortuna erscheint, der altclassischen näm-
lich in Rücksicht auf das Beiden gemeinsame ehrwürdige Alter;
demnächst Alferez Don Jorge mit seinem dreifach ver-
schleierten Liebchen: verschleiert als Castrucho's Stubenbursche
Beltranico, als Dame Brisena und endlich als vermeintes
Fortunchen, und der dritte Fortuna-Ritter, der S a r g e n t o D o n
Alvaro mit seiner dreifach verschleierten Nachläuferin Esco-
barillo-Lucrecia-Fortuna. Welche Enthüllungen, als auf
Befehl des Generals die Schleier sich lüften! Und welche
Capitan- Alferez-Sargento-Gesichter, als auf abermaligen General-
befehl Jedem seine Entschleierte zu heirathen, oder sich hän-
gen zu lassen, freigestellt wird! Capitan kommt mit dem
Schrecken davon, und Castrucho führt die Braut heim, For-
tun che n in Person, die ihn vom General, als ihren ersten und
noch immer geliebten Herzens-Castrucho, zum Gemahl erbeten.
1) Que al Capitan, ya yo tengo
una vieja que le dar
que le sabrä regulär . . .
Lope's Geschichtskomödie von den Benavides. 97
Von rechtswegen nrnsste der General der Besatzung das General-
liebchen der Besatzung heirathen. Das Genre preisgegeben, trägt
doch der ßufian-Castrucho den Stempel von Lope's Genie,
leichtfertiger Meisterschaft und seiner in Behandlung der anrüchig-
sten Komödienprobleme noch immer fesselnden Grazie aufge-
drückt. Der Versöhnungsreiz des multum amavit umfliesst selbst
sein Portunchen mit der Magdalenen-Glorie einer in ihrer Naive-
tät unbussfevtigen Magdalene.
Comedia famosa de los Benavides.
Bewegt sich, wie alle spanischen Comedias famosas, in einer
Ellipse mit zwei Brennpunkten, deren erster hier eine Ohrfeige,
der zweite eine brautpärliche Geschwisterliebe ist. Die
Ohrfeige, altehrwürdig, wie die vom Vater des Cid davongetragene
und ihre Zeitgenossin, empfängt der greise Hidalgo und rico
hombre, Mendo de Benavides von der kriegstapf ern, recken-
haft wuchtigen Tatze des Mohrenfressers, Payo de Viva r. Es
ist eine politische, aus Partei- und Staatsgründen aufgeflammte
Ohrfeige, in welche sich ein heftiger, zwischen Mendo de Be-
navides und Payo de Vivar, wegen des Vorrechtsanspruchs
auf Obhut über den sechsjährigen König Alfonso^), entbrannter
Streit, aussen vor der Thür der ersten Scene erster Jornada,
entlud; eine bei Tagesanbruch, bei des „ersten Tages" Anbruch
und Vorhangsaufgang, hinter den Coulissen, versetzte Ohrfeige:
„Ich will ihn" (den Eey nino nämlich, das König-Kind) „mit mir
nehmen" — hört man Payo's Bärenstimme rülzen. „Her mit
dem König, Bauerknecht!" — „Du lügst!" schreit Mendo —
1) Ein romanzensagenhafter Komödienkönig, der hier als Sohn des
Bermudo IIL, Königs von Leon und Astnrien, mit welchem dieser Kö-
nigstamm in der zweiten Hälfte des 10. Jahrh. erlosch, eingeführt, und
als sechsjähriger Wechselbalg dem König Alfonso unterschoben wird,
jüngstem Sohne König Fernando 's I. von Castilien, der ihn bei der
Reichstheilung zum Herrn von Leon und Asturien bestimmte. (Gesch. d-
Dram. VIII. S. 297. 301.)
X. 7
98 Das spanische Drama.
„So nimm !" — schallt's und backpfeift's in Einem. ^) Herein-
stürzen auf die Scene der beschimpfte Hidalgo-Landwirth, von
asturisch-altgothischem Bauernadel, der Pelayo-entsprossene Ca-
ballero-Labrador mit der brühwarmen Tachtel auf der angestamm-
ten Backe , und zugleich mit ihm der gepanzerte Kriegsfeldstier,
der über Mendo's ehrwürdige, furchenreiche Kinnlade eine schmach-
voll fünfspurige Furche gerissen. Mendo: die Hand am Schwert-
griff; der Auerstier Payo: ausholend zum Bauch-aufschlitzenden
Hornstoss; hinterher drei andere heraldische Bestien oder Käm-
pen — „Kämpen" in der ahnenthümlich abstammungsbürtigen Ur-
sprungsbedeutung von „Wildschwein" oder „Keuler" — sich zwi-
schen die Streitenden werfend. Eine zweifellos ungestüme, nach
Art dieser von vornherein mit der Expositionsthür in's Haus fal-
lenden Comedias famosas, stürmisch bewegte, mit dem Ton-
schlüssel — einem ganzen Bund von Tonschlüsseln — den Grund-
ton anschlagende, genauer: in's Gesicht oder Löcher in den Kopf
schlagende Eingangs- und gleich auch Einschlagsscene ; eine
solche nämlich, die yorweg, aus heiterem Himmel, in den Zu-
schauerraum mit Beifalldonnerwiderhall einschlägt. Als Ersatz
für die von den drei ritterlichen Mitgliedern des Antiohrfeigen-
vereins auseinandergehaltenen Hiebe, fallen gegenseitige Schmähun-
gen und Schimpfreden in Quintillen (Fünfvers), fünffingrigen Maul-
schellen zum Verwechseln ähnlich. 2)
1) Payo. Yo le tengo de Uevar . . .
jSuelta al Rey, villano!
Mendo. mientes. Payo. toma.
2) Mendo. Los dedos que en ellas pones
dizen, si al honor los mides
en estos cinco reglones . . .
Die fünf Finger und die fünf auf seiner Wange geschriebenen Zeilen, kön-
nen so gut auf diese, wie auf die an den fünf Fingern abgezählten Quin-
tillen gehen; um so mehr, da Mendo seine Backe mit einem Blatt Papier
vergleicht, worauf der Schimpf mit einer fünffingrigen Feder in lebendigen
unauslöschlichen Zügen verzeichnet steht. ,,Aber weh der infamen Feder,
wenn über sie das Federmesser kommtl^**)
Mi cara sera el papel
y assi vivira la suma
Ein Geschwister-Findlings-Liebespaar. 99
Der zweite Brennpunkt unserer Komödien-Ellipse, die gegen-
seitige Geschwisterliebschaft, entbrannt zwischen dem vermeinten
rindlingsburschen, Sancho, und seiner für ihn incognito-
Pindlingsschwester, Sol, dieser zweite Brennpunkt der Komödie,
anstatt, gemeinschaftlich mit dem andern Focalpunkt, durch Ver-
minderung seiner Excentrität, seiner Entfernung vom Mittelpunkt
der grossen Axe der Ellipse, durch stätige Annäherung folglich
an diesen, die episch-elliptische Langkreisform, dem dramatischen
Bewegungsgesetze gemäss, in die Zirkelform auszurunden: rücken
beide Brennpunkte, während des Umlaufs der Komödie', immer
weiter auseinander, so dass zuletzt der Umkreis der Ellipse in
Eine platte Linie zusammenfällt. Mit anderen Worten: In Lo-
pe's Benavides-Komödie laufen die beiden Grundmotive so un-
vermittelt, so gleichgültig aneinander her, wie kaum in einem
seiner uns bekannten Stücke. Sie scheint uns daher auch in
Composition und Durchführung die am wenigsten dramatische
von allen, und dürfte mehr denn irgend eine als Beispiel und
Beleg für den grundinnerlich episch-novellistischen oder episch-
romanzenartigen Baustyl und architektonischen Charakter des
spanischen Drama's aufgestellt werden. In dieser Beziehung wäre
Lope's Comedia famosa, 'Los Benavides', die Comedia famosisima
schlechthin.
Das auf M endo' s Grund und Boden angeblich ausgesetzt
gewesene und von ihm und seiner Tochter, Clara, unter dem
Bauerngesinde auferzogene Findlingspaar, Sancho und Sol, ver-
kehrt im ersten und zweiten Act als Brautpaar miteinander, das,
in liebevoller Zärtlichkeit wetteifernd, Tag für Tag der hingehal-
tenen Hochzeit sehnsüchtig' entgegenharri^) Mit dem Motiv der
1) Oy es Sol tu amada esposa,
y seras de Sol maxido
sagt das Bauerbräutchen Sol.
No dudo
Que oy ml esperanca se acaba,
y Uega la possession
de aquel mi esperado bien
de afrentas que has puesto en el;
mas ay de la infame pluma
que espera el corte cruel.
100 I^äs spanische Drama.
unschuldig unbewussten Incestliebe wechselt Mendo's Ohrfeigen-
motiv ab, in fortschrittlosen Wiederholungsscenen eines monoto-
nen Situations- und Affectspiels, bald auf Mendo's Baueradelhof
und Heimathssitz, Benavides in Asturien, bald zu Leon, in der
Hauptstadt des König-Kindes Alfonso. Zwei Acte hindurch blei-
ben diese scenisch einander ablösenden Affecte stationär und,
wie des Geschwisterpaars Hochzeit, in der Schwebe, Hie und
da ein Streiflicht von einem Motiv aufs andere i) ruft keine con-
flictvoU dramatische Wechselwirkung hervor, keine sich steigernde
Erregung in der Eintönigkeit von Mendo's ewigen Klagen über
seine Beschimpfung und ewigem Wiederkäuen seiner Maultasche,
und ebenso wenig in den dieselbe Liebesarie ableiernden Scenen
des Geschwisterbrautpaars mit Sancho's refrainartig wiederkehren-
der Wortspielverherrlichung des Namens „Sol" (Sonne), welche
Wortspiel-Sonne ebenso in seinen Liebesscenen mit Sol nie un-
tergeht. Und selbst nachdem wir aus Clara's Munde das Find-
lingsgeheimniss erfahren; und selbst nachdem sie ihrem Vater
Mendo, auf sein wiederholtes, die weitläufig erzählte allgemeine
Vorgeschichte und Specialgeschichte seiner Ohrfeige beschliessen-
des Klagebedauern, betreffs ihrer Nichtverheirathung und seiner
Enkellosigkeit, das Geständniss ablegt: das Liebespaar, Sancho und
Sol, seyen ihre, mit König Bermudo, des König-Kindes»
Alfonso, hochseligem Vater, erzeugten Kinder, und nicht nur
unter einander, sondern auch des König-Kindes Geschwister —
wie schwach wirkt selbst da noch diese Entdeckungs-Peripetie
auf Fortgang und Entwickelung des Stückes! Wie schlurrt und
schleift Mendo's Grossvaterentzücken über den plötzlich gewon-
nenen Enkel-Eächer , in den Pantalon-Pantoffeln und die Hand
fäUt ihr Sancho bei, hüpfend vor Freude, so hoch sich mit Klotz- oder
Bauersepartschuhen (abarcas) hüpfen lässt.
1) Wenn Mendo z. B. sich einen Enkel wünscht der seine Schmach
räche: und in der betreffenden Scene mit seiner Tochter Clara schmerz-
lich bedauert, dass sie nicht geheirathet hat:
Si tu te huuieras casado,
por dicha tuviera un nieto,
por quien tuvieran respeto,
al rostro que han deshonrado.
FehlstÖsse vom Dichter wie von seinen Personen. 101
an der geschwollenen iPacke, durch so und so viel Scenen, wäh-
rend dritthalb Jornadas, immer noch hin und her, mit ungeroche-
ner Maulschelle! Der Misslage, in die Clara sich durch ihr
Geständniss versetzt, nicht zu erwähnen, dass sie unter ihren Au-
gen — seit sechs Jahren! — zwischen den Geschwistern, ihren
Kindern eine Incestliebe spielen liess, deren zufällige Unschuld
wahrlich nicht ihr, der Mutter, Verdienst ist.
Und welche irgendwie durchgreifende Folge Wirkung hat S au-
ch o's Erscheinen im Palaste des Kind-Königs zu Leon mit
Mendo's ein todter Buchstabe bleibendem Herausforderungsbrief
an seinen Beschimpfer, Payo de Vivar? Hat des roh schmäh-
süchtigen, den im Bauernkleide eingetretenen Sancho „Villano*'
schimpfenden Payo Angriff auf Mendo's Bestellboten? Hat San-
cho's des Payo Klinge parirender Bauernknüppel? Hat Payo's
dem Sancho zugestandner Zweikampf mit einem seiner Diener,
da er selbst, Payo, sich unmöglich als Hidalgo mit einem
Bauerntölpel schlagen könne? ^) Alle diese Incidenzen sind fol-
gelos und gehen — in die Brüche? — thäten sie doch so viel
mindestens! nein — gehen in's völlig Leere aus. Kennt doch
Sancho, auch nach dieser Scene mit Payo, bis weit in die
zweite und dritte Jornada hinein, noch immer den Payo
nicht! Und stösst auf seinem zweiten Auszug nach Leon, von
Mendo und Clara zu dem Zwecke bewaffnet und ausgerüstet,
aber bis jetzt immer noch in Unkenntniss über sein Verhältniss
zu ihnen gelassen — statt den Payo, stösst Sancho auf seinem
zweiten Eachezug einen ganz Andern, ünbetheiligten , einen der
Hofritter in den Kind-Königs Zimmern, den Lain Tellez, die
allermüssigste Person im Stücke, nieder, des Glaubens, dieser sey
der Payo! Und rühmt sich auch, bei seiner Eückkehr, dem
Mendo gegenüber, dass er den Payo ermordet. 2) Entspringt
nun aus der Verwechslung etwa eine entscheidende, dramatische
Folge, ein Katastrophenmoment? Nicht im geringsten. Als Bo-
1) Payo. mira yo soy Cauallero,
y es reprouado en mi honor
renir con un labrador.
2) porque dentro de palacio
he dado a Binar la muerte.
102 I^as spanische Drama.
tenlohn für diesen in's Blaue verlaufi||den Fehlstoss erhält
- Sancho von dem, seitens Sancho's, unwissentlich getäuschten, und
wiederum auch seinerseits ergebnisslos getäuschten Mendo —
erhält Sancho als Botenlohn die Kunde von seiner Enkelschaft,
und dass der König Bermudo sein Vater; nicht aber, dass
Sol seine Schwester. Warum nicht? Damit dieses ärgerliche
Verhältniss noch eine Weile hingezogen werde für nichts und
wieder nichts, blos damit Sancho seine Wortspiele mit „Söl"
und „Sonne" noch ein klein weniges todt hetze. ^) Dann erst ver-
nimmt „Freund Sancho", dass Sol seine Schwester, dass sein
Liebespiel mit Sol zu Ende. Scheint die „Sonne" noch so schön,
einmal muss sie untergehn — der Wortspiele unbeschadet, un-
verwehrt und vorbehaltlich, mit denen er sich nun noch in der
darauf folgenden Scene, der letzten der zweiten Jornada, gütlich
thut, in seiner Abschiedsscene von der Schwester, als seiner
Braut, zu der er nun in sein Aphelium, seine Sonnenferne tritt
auf unbestimmte Zeit. ^) S ancho. „Lebe wohl, unmögliches Ge-
mahl!" — Sol. „Unmöglicher Gemahl, lebe wohl." ^) A Dios im-
possible esposa. — Könnten wir doch auch sagen: jAdios impos-
sible Comedia famosa! mit einem aufrecht stehenden und mit
einem auf den Kopf gestellten Ausrufungszeichen. „Leb wohl,
famose Komödie, ein für allemal!" Noch bannt uns, wie des
schlafenden Faust eingefangenen Gesellen, das „Pentagramm", die
1 que a Sol quiero, a Sol adoro,
Mendo dame a mi Sol claro . . .
El signo soy de Leon*)
que no el Leon coronado,
porte aqueste Sol por mi,
pues me ha quemado seys anos.
2) Por dezillo que es mas cierto,
mi Sol, y luz soberana
Soy tu hermano, y tu mi hermana
hasta este tiempo encubierto.
3) San eh. ja Dios impossible esposa!
Sol. [impossible esposo a Dios!
*) Wortspiel im Wortspiel: Leon als Königreich, und der „Löwe"
Thierkreis und als Gespiel der „Sonne".
Amphibische Nachwüchse. 103
dritte Jornada, „Pentagramm'', in Ansehung des mystischen
Fünfecks auf Mendo's Backe, das noch keinen Rattenzahn gefun-
den, der es löse und entbanne.
Was wird nun mit den auseinandergerissenen Herzen des
Geschwisterbrautpaars? Das Mindeste, was man erwarten durfte,
wäre, dass sie verbluten; dass die hinschmelzenden Herzen min-
destens, wie Arethusa und Alpheus oder Nymphe Salmacis und
Hermaphrodit sich mit einander vermischten; dass die grausam
Getrennten, wie nach der Sage ein ähnliches Liebespaar mit den
entseelten, gleich Baumzweigen die Gruftwand ihrer Nachbar-
gräber durchbrechenden Armen sich umfassten — dass auch sie
in ihren Gräbern mindestens sich die Hände reichen würden.
Nichts von alledem! Dergleichen tragischen Ausgang einer ge-
schwisterlichen Incestliebe verböte ja schon die auf ein fröhliches
Ende sich spitzende Comedia; zumal eine Comedia famosa wie
die der Benavides, wo die Scenen sich polypenartig fortpflanzen.
Da können und müssen, von solchem dramatisch-plastischen Bil-
dungsgesetze bestimmt, sich denn auch folgerecht die blutenden
Herzhälften unseres Geschwisterliebespaars so rasch und unver-
merkt ergänzen, wie den Krebsen, anstelle der ausgerissenen
Scheeren und Schwänze, neue nachwachsen. So finden wir San-
cho's Herz schon in der zweiten Scene der dritten Jornada
mit dem einer ihm aus heiler Haut mittlerweile zugewachsenen
Dona Elena verschmolzen und vollkommen wiederhergestellt.
Die Neubildung erfolgt um so rascher, da Elena die Schwester
des vermeintlich von Sancho erdolchten Payo de Vivar ist,
dessen Regeneration Sancho, kraft eines ähnlichen rhinoplasti-
schen Naturprocesses, bewirkt glauben muss, aufgrund von Ele-
na's Versicherung, sie habe eben ihren aus Leon wohl und mun-
ter heimgekehrten Bruder, Payo, frisch und gesund in seinem
Schlosse verlassen, i) Sancho könne sich selbst davon überzeu-
gen, wenn er ihr folgen, und sich ihrem Bruder als ihren Le-
bensretter aus den Armen eines Bären, der sie im Schlafe über-
fallen, von ihr wolle vorstellen lassen. Diesen Bären hatte
Elena. Payo de Vivar mi hermano
Vino aora de Leon,
buen hombre, contento y sano .
Digo que estä en su castiUo,
104 I^s-s spanische Draraa.
Sancho der Elena, die er unter einem Baum schlafend fand,
als sie erwacht war, aufgebunden. ^)
Gleichermaassen hat sich auch Sol's Herzhälfte durch Zu-
sammenwachsung mit der eines, behufs dessen, durch spontane
Zeugung unter Einfluss der Sonnen- oder Sol-Wärme entstan-
denen Hidalgo aus des König-Kindes Gefolge, Namens Inigo
Arista, imwege äquivoker Wiedererzeugung, inzwischen rege-
nerirt. Selbstverständlich schwitzt der Sonnenerzeugte Sol- und
Wortspiele aus allen Poren. 2) Sogar die Wortspiele, Sancho's
vom Munde ihm abgeschnittene Wortspiele mit „Sol" und
„Sonne" wachsen dem liiigo Arista als neue Krebsscheeren
wieder und setzen das Geschäft fort. Zu Mendo's untröstli-
chem Kummer ist seine Ohrfeige demselben Regenerationspro-
cesse unterworfen: Sie entsteht immer vonneuem; Sancho's
Operation zumtrotz, der sie doch mit seinem Dolche entfernt zu
haben sich berühmte. Dazu wächst sie auch noch, nicht wie
beim Krebse die abgeschnittenen Glieder, sondern als tödtlicher
Wangenkrebs, nach. Sancho, seiner Liebe zu Payo's Schwester
Elena unbeschadet, schleift heimlich» sein Messer zu einem wie-
derholten Schnitt, während Payo, auf den Bären hin, den
Sancho seiner Schwester Elena aufgebunden, den tapfern Bären-
tödter, absehend von dessen Bauernthum, zu seinem Schildknap-
pen, gelegentlich der vom König-Kinde, auf Mendo's An-
dringen vorgeschriebenen Vorladung zum Zweikampf, wählt und
wappnet. ^) Der Daus ! eine neue Verwickelung, um welche noch
1) Fingir quiero
(sagt er beim Anblick der schlummernden Schönen)
que algun osso
baxa del monte par ella.
2) Inigo. Si Sol era.
Que milagro que me hiziera
Arder el alma en su Uama.
Ay Sol, Etiope soy,
Negro del alma, y esclavo.
Zu einem „seelenschwarzen Aethiopen und Negersclaven*', sagt liiigo
habe ihn Sol verbrannt.
3) Yo le dare
vestido y armas primero.
Der abgejagte Kind-König. 105
obendrein wilde Mohrenausfälle, wie die Waffentänze derKureten
um die Wiege des kretischen Götterkönig-Kindes, lärmten und
tobten. Geschieht nun aber auch danach? Wird Sancho die
neue Verwickelung wenigstens entwirren helfen? Als Ehrenrächer
seines Grossvaters und gleichzeitiger Schildknappe des Entehrers
Payo? Als natürlicher Bruder des König-Kindes und als Anbe-
ter vonPayo's Schwester? Wird Sancho in letzter Stunde min-
destens diesen parallelgegensätzlichen Berufen zumbesten der
Entwickelung nachkommen? Nicht Einem kommt er nach! Wie
vorhin mit dem Dolche, so stösst er auch hier wieder daneben.
Anstatt nun diese ihm von der Katastrophe zugewiesene Auf-
gabe dem Ziele zuzuführen, improvisirt Sancho die Befreiung
des bei einem Mohrenausfall geraubten König-Kindes, Alfonso,
so dass Mendo, dem aus seinem Kinnbackenknochen ein Rä-
cher-Engel auferstehen soll, sich gemüssigt sieht, seine Ehren-
rache selbst in die Hand zu nehmen, und den sich eher seines
Todes als solcher Improvisation versehenden Payo mit einem
Dolchstoss niederzustechen. Potztausend und aber Tausend! Nun
wuchern gar noch aus dem wilden Fleisch der Katastrophe frische
Verwickelungen auf, und wie aus faulem Bocksblute, dem Plinius
zufolge, Krebse entstehen sollen, so kriechen aus Payo's improvi-
sirt vergossenem Blute neue Krebse mit eben nachgewachsenen
Scheeren und Schwänzen hervor in Gestalt des edlen Prauen-
paares Clara und Elena, die, den Panzerkrebs um die Brust
geschnallt und mit Schilden und Schwertern bewaffnet, aufeinan-
der losgehen, Clara den Kampf für ihren, von Elena als Meu-
chelmörder und Verräther geschimpften Vater Mendo; Elena
für den improvisirten Brudermord aufnehmend, i) Das Schreck-
lichste, nur nicht das, was man erwartete, wäre, noch hinter dem
Rücken der Katastrophe, geschehen, wenn nicht die letzte Scene
als nachletzte, den Sancho mit dem den Mohren abgejagten
Kind-König auf den Armen herbeiführte und mit der Krone
auf dem Kopf, die ihm die vorletzte Scene als rechtmässigem
Nachfolger seines, wie sie glaubte, von den Mohren ermordeten
1) Clara, paes biielues por tu hermano
defender mi padre quiero.
iSuelta Senor essa espada!
106 1^3-s spanische Drama.
König-Brüderchens, Alfonso, aufgesetzt hätte. Solmit Inigo
Arista, aus dem edlen Stamme der Lara's, Elena mit Kron-
prinz, Sancho Benavides-Bermudo verquicken zu einem
von der Comedia selber unvorhergesehenen Ehepaare, wie es
Goldmachern zu passiren pflegt, denen ihre Mischungen unter der
Hand zu etwas ganz Anderem gerathen, als sie beabsichtigt hat-
ten. Mit dem stehenden Auskehrspruch und der Krone auf dem
Kopf empfiehlt noch zuletzt der muthmaassliche Thronerbe von
Leon und Asturien, Benavides junior, und Bermudo senior in
Einer kronprinzlichen Person, dem Publicum die Comedia , deren
Hauptheld er ist, als — erschrick nicht, guter Leser! als die
Comedia des ersten Benavides i), einen zweiten in Aussicht
stellend, dessen Existenz uns ein unerforschliches Geheimniss ge-
blieben und, will's Gott, bleiben soll.
Las flores de Don Juan, y Rico e Pobre trocados.
(Die Blumen des Don Juan, und Keichthum mit Armuth, Armuth mit
Eeichthum vertauscht.)
Abermals ein Stoffmotiv, das auch Shakspeare in seinem
Lustspiel 'As you like it' („Wie es euch gefällt") benutzte.^)
Sein 'Orlando', der vom altern Bruder und Stammerben Oliver
unterdrückte jüngere Bruder, ist in Lope's Comedia der Titelheld,
Don Juan, und „die Blumen" zielen auf dessen Gewerbe. Des
Nothdürftigsten vom unnatürlichen Bruder beraubt, treibt Don
Juan nicht ohne Beziehung auf den Namen seiner angebeteten
Schönen, La Condesa de la Flor 3) (Shakspeare's ßosalinde),
1) Sancho. aqui acaba la comedia
del primero Benavides.
2) Bekanntlich nach Thomas Lodge's Schäferroman: *Eosalynd
Euphues golden Legacy' etc. 1598. 4. Andern zufolge wäre Shakspeare's
Quelle die gereimte Erzählung eines Zeitgenossen Chaucer's gewesen : 'The
Coke's Tale ofChamelin', die ihrerseits aus einem französischen, wohl
normannischen Conte geflossen seyn mochte. (Vgl. Simrock, Quellen zu
S. 280 ff.) Wahrscheinlich folgt Lope de Vega dieser französischen Vor-
lage, oder einer spanischen Bearbeitung derselben. — 3) „Alle und jede
Frauennamen nach Blumen wurden ursprünglich aus dem Munde Lieben-
Lope's Comed. Las Flores de Don Juan. 107
ein Blumengeschäft 1), das ihn ernährt. Spakspeare's rührend
getreuer biederherziger Diener „Adam", Lope's German, steht
in einem ganz ähnlichen Verhältnisse zu seinem Herrn, Don
Juan. 2)
Lope eröffnet sein in Valencia spielendes Stück mit einer
Toilettenscene des altern Bruders, Don xA Ion so, der, ein ver-
schwenderisches Leben führend, aus der Hand seines Schwertfe-
gers (Bspadero) einen bestellten höchst kostbaren Degen und ei-
nen vergoldeten Dolch empfängt. Dem Schwertfeger folgt auf
dem Fusse der Goldarbeiter (platero) mit einer prachtvollen
Halskette (cabestrillo). Der Junker schmückt sich für den Jo-
hannestag, der in Valencia mit besonderer Pomphaftigkeit ge-
feiert wird. Hierauf bringen ihm seine Lustgesellen, die mit
DonAlonso die Nacht am Spieltische und bei Gelagen mit
zwei Buhldirnen Eosela und Celinda, durchgeschwärmt, den
Morgengruss. Die Unterhaltung, der Gesprächston folcher Cava-
lierchen- Wüstlinge ist auf's glücklichste der Zeitmode abge-
lauscht; schaales, abgestandenes Gewitzel, Faseleien, Abhub der
schwelgerischen Gelage in übernächtig katzenjämmerlicher Stim-
mung; ein Conversationsbild der Morgenstunde im Salonleben
dieser aus faulen Austern aufglänzenden und, dank der Fäulniss,
leuchtenden Irrwische aller Zeiten. Als erste, Grundton und
Grundstimmung des Stückes anzugeben bestimmte, das Geschick
des dramatischen Helden vorbereitende und vorandeutende Expo-
sitionsscene jedoch, von mindestens fraglicher Angemessenheit und
Berechtigung. Im Exponiren seiner Stücke, wie die spanischen
Dramatiker des 17. Jahrh. überhaupt, ein kunstmeisterlicher Vir-
tuose, verliert sich Lope de Vega hier in Ausmalen von Mode-
bilderchen, die mit dem Hauptthema nichts gemein haben.
Alonso's Verhältniss zu seinem Bruder wird in der ganzen
Reihe der ersten Auftritte mit keinem Worte berührt. Shak-
der ihren Geliebten kosend gegeben und soUen die innigste Vorstellung
glänzender, duftender Schönheit darlegen." J. Grimm: „lieber Frauen-
namen aus Blumen*'. Kl. Schriften Bd. II. S. 387. — 1) In Lodge's
Schäferroman Rosalynd heisst dieser jüngere Bruder 'Eosader'. Blumen,
Rosen klingt auch in der Erzählung an. — 2) Rosader's treuer Diener
ist in Lodge's Erzählung ein alter Engländer, Namens Adam Spencer.
108 ^^^ spanische Drama.
speare versetzt uns sogleich mit dem ersten Eintritt Orlando's
und Adam's in medias res; und diesem auf der Ferse
folgt der ältere Bruder, Oliver, das Conflictthema vorweg,
wie in einer Meisterouverture, in vielen Accorden hereinstürmend,
dieweil Lope's vier bis fünf Eingangsauftritte mit Stimmen der
Instrumente gleichsam sich vergnügen; ein Ohrenschmaus für jenen
chinesischen Gesandten, dem solches Stimmen das beste Musik-
stück in der Oper dünkte. Lope's fünfte Scene erst führt uns
Don Juan mit seinem Diener Germän vor; Don Juan, als
Contrast zu des Bruders Prunkkleidern, im ärmlichen Friesrock
(bayeta). Wegen des unwürdigen Anzugs stellt Don Juan den
Haushofmeister seines alten Bruders, Otavio, zur Kode. Bei
Shakspeare lässt Orlando die aus dem Gehren seines groben
Kittels gezückten Dolche des Vorwurfs vor den Augen des pflicht-
vergessenen Bruders blitzen. „Ich habe so viel vom Vater in
mir, als ihr." Dies dem Bruder in's Gesicht, zündet ganz an-
ders als Don Juan's, hinter des Bruders Bücken, dem Diener
auftrumpfende Frage: „Bin ich ein Bastard denn, der ausgesetzt
ward vor der Thüre seines Hauses?" i) Und worauf pocht Don
Juan zunächst dem Haushofmeister gegenüber? dass ihm doch
der in Hüll und Fülle schwelgende Bruder ein neues Kleid zum
Johannistage machen lasse: „Da es doch kaum ein Kartengeld
ihm kostet, mich neu zu kleiden auf Sanct Johannistag." 2) Mit
welchen feurigen Ruthen peitscht Shakspeare's Orlando dagegen
die Ehr- und Pflichtvergessenheit des Bruders? „Mein Vater
legte euch in seinem Testament auf, mir eine gute Erziehung zu
geben. Ihr habt mich wie einen Bauern gross gezogen, habt
alle Eigenschaften, die einem Edelmann zukommen, vor uns ver-
1) ^Soy algun bastardo ecfiado
A la puerta de su casa?
Gegen die aus der Uebereinstimmung des Wortlauts gezogene verführeri-
sche Folgerung einer Entlehnung — vonseiten Shakspeare's natürlich —
woUen wir uns noch immer mit dem Wachse des Ulysses die Ohren ver-
stopfen. So viel nur sei bemerkt, dass wir in Shakspeare's Erzählungs-
quelle nichts von diesem Wortwechsel fanden.
2) Fuera mucho de barato
Vestirme para San Juan,
Shakspeare und Lope de Vega. 109
borgen und verschlossen gehalten. Der Geist meines Vaters
wird mächtig in mir, und ich will es nicht länger erdulden,
darum gesteht mir solche üebungen zu, wie sie dem Edelmanne
geziemen" u. s. w. Verwunderlich, dass der englische Bürgers-
sohn dem Spanier, dem gebornen Dichter-Caballero zeigen muss,
wie ein in seinen ritterlichen Ansprüchen und Eechten vom
Bruder gekränkter und verwahrloster junger Edelmann dem Un-
terdrücker die Hölle heiss macht, und dass der aufs Ritterwesen
aus nationaler Hochbrüstigkeit immerdar pochende Spanier seinen
Don Juan wie einen verschämten Armen, Hausdiener oder Haus-
narren beim Schaffner seines gewissenlosen Bruders um ein neues
Wamms zum Johannisfest betteln lässt! „Was, sprichst du Bett-
ler auch ein Wörtchen drein?" fährt Otavio gegen Ger man
auf. Nicht mehr Bettler, als mein Herr Don Juan, könnte Ger-
män erwidern, und trumpft auch in diesem Sinne den Otavio
ab. 1) Otavio entfernt sich, mit vornehmer Grossmuth sich er-
bietend, ein gutes Wort für Don Juan bei dessen Bruder ein-
legen zu wollen! Don Juan verschluckt die Demüthigung und
zerstreut sich bei einer Partie Ecarte mit Germän oder was es
für Kartenspiel ist. 2) Während des Spieles treten die beiden
Liebchen des Alonso, Rosela und Celinda, verschleiert ein.
Sie unterhalten sich abseits und unbemerkt über Don Juan's un-
glückliche Lage, der eifrig zwischendurch in einem Paralleldialog
mit seinem Diener Trümpfe wechselt. Germän bemerkt die
Dämchen zuerst. Don Juan bietet den Spieleinsatz den unbe-
kannten verschleierten Mamsellchen an, die das Geschenk, im
Betrage von drei Eealen als Kartengeld (barato) „mit beiden
Händen" annehmen. Celinda, welche den bemitleideten Jüng-
ling in's Herz geschlossen, reicht ihm als Gegengeschenk ihre
Börse mit „hundert kleinen Scudo's"; die er gleichfalls einsteckt.
Ingleichen ein Ringlein, das ihm die verschleierte Rosela zum
Andenken bietet. All das verträgt sich mit dem spanischen
Ritterwürden- und Ritterehrbegriffe vortrefflich. Kann sich der
1) „Der Titel kommt mir zu von Rechteswegen,
Weil ihn mein Herr führt nach dem hohen Willen
Seines Herrn Bruders.'*
2) „AI triunfo", „TriumpfspieP* nennt es Don Juan.
110 Das spanische Drama.
junge Caballero doch nun standesgemäss auf Sanct Johannis mit
einem neuen Kleide zeigen, i) Schön und gut! Greift denn aber
auch diese episodisch unerfreuliche Scene im Picarescostyl noth-
wendig in das Getriebe der Handlung ein?
Don Alonso mit den Galgenbrüdern betreten nun den
Vorsaal und nehmen Don Juan aufs Korn. Alonso beab-
sichtigt den Bruder nach Flandern in den Krieg zu schicken,
damit er als Krüppel zurückkehre; dann soll er „neue Kleider"
bekommen. Auf Fürbitte eines der Zech- und Spielgenossen, dem
Bruder zum Johannisfeste ein Kleid zu schenken, erwiedert Don
Alonso: „Ich thu' es nicht, bei meinem ßitterwort!" und geht
in den Saal zurück. Aus Mitleid drücken die Wüstlinge dem
Don Juan ihre „Kartengelder" in die Hand. Er verwahrt sich
zwar gegen die Zumuthung, als hätte er um ein Almosen gebe-
ten 2), drückt aber doch die Hand zu, eine andere Bitte aus-
sprechend, Capitain Leonardo, einer von Alonso's Schmaus-
und Spielfreunden, möchte ihm ein Pferd auf morgen (zum
Johannisfeste) leihen. Der edle ritterliche Schmarotzer stellt ihm
den Schimmel zur Verfügung. Die Freunde wollen an Freige-
bigkeit nicht nachstehen und laden den ausgehungerten Bruder
zu Tische ein. Germän, Don Juan's treuer Hausdiener, giebt
seiner Anhänglichkeit an den jungen Sohn des seligen Herrn
1) — Sean quien fueran.
Yo tengo dineros ya
Para salir mas galan
Que el sol, de San Juan el dia.
„Was kümmert's mich?"
(wer die beiden Franenzimmerchen waren)
„Bin ich jetzt doch bei Geld
Um lichter als die Sonne mich zu zeigen
Auf Sanct Johanns.**
Auch Shakspeare's Orlando nimmt eine goldene Kette als Ehrengeschenk;
von Wem, an? Von einer Königstochter; und bei welcher Gelegenheit
an? Nach seinem sieghaften Ringkampf mit dem Athleten Charles ; nimmt
die Kette von Rosalinden an, mit deren Herzen ihn eine noch beiden ge-
heimnissvolle Liebeskette verknüpft! (1. 2.)
2) „Fast sieht es aus,
Als hätt' ich um Almosen euch gebeten,
Und freilich seh' ich aus, als hätt' ich's nöthig."
ö
Wegscheide. 111
mit den Worten Ausdruck: „Der Himmel hat ein Einsehn heut
mit mir, für mich fällt auch ein Brocken vor die Thür." ^)
üeberall die niedrige Leibesnothdurft, beim Herrn wie beim Die-
ner. Der rührende Schmerz des jungen Edelmanns, die tiefe
berechtigte Erbitterung, die Empörtheit seiner Seele ob der grau-
samen Herzlosigkeit des Bruders, ob seiner geistigen Verwahr-
losung und Unterdrückung, erfährt vonseiten des spanischen Dich-
ters eine ähnliche Zurücksetzung, wie sein Don Juan von Don
Alonso.
Hier scheiden sich die Wege von Shakspeare's und Lope de
Vega's in dem einen Conflictmotive übereinkommenden Lustspielen.
Shakspeare, Schritt haltend mit Lodge's Erzählung— eineWaldein-
samkeits-Komödienidylle Vbll der wunderbarsten Contrastspiegelun-
gen kunsttiefer Ideensymbolik, worin er unter den dramatischen Dich-
tern — Aeschylos und etwa noch ein Paar indische Bühnendich-
ter ausgenommen — keinesgleichen hat, und wovon seine Vor-
lagen und Stoffquellen sich nichts träumen lassen. So z. B. im
Vorbeigehen bemerkt — die Beleuchtungsreflexe, die auf beide Brü-
derpaare, — Herzog Friedrich, und dessen von ihm vertriebenen
rechtmässigen, im Ardennerwald sein Verbannungsidyll hinleben-
den Herzog, — und auf das Brüderpaar Oliver und Orlando fallen. In
Lodge's Erzählung treten die beiden Herzoge nicht als Brüder in
Gegensatz. Ferner — ' um noch einen Zug anzudeuten — • die im
grillenhaften, melancholisch hyperidyllischen 'Jaques', der schä-
ferlichen Stimmung des verbannten, naturschwärmerischen, wäl-
derfrohen Herzogs beabsichtigte satirisch gegenbildliche Vexir-
figur. Kurz, all' die Schachten, Goldbergwerke und Diamanten-
gruben von dramatisch poetischen kunstintentionellen Gegenspie-
gelungen, die auch in diesem Lustspiele Shakspeare's sich uns
aufthun werden, neben welchen die Conflictcontraste der ersten
und grössten Bühnendichter wie artige Zierrathen, schmucke
1) Dios me ha venido a ves, qua eii el tinelo
Comiera mucho hueso, palo y pelo
Gott kam mir zur Hülf : in der DienerzeUe,
Aess' ich Knochen nur und Prügel in der Pelle.
('pelo' bedeutet „Haar", hier Wortspiel zu *palo', „Prügel mit Haut und
Haaren".)
112 ö^s spanische Drama.
Bordüren und kostbare, doch oberflächlich an Säumen und Eän-
dern der Gewände angebrachte Stickereien sich ausnehmen. Wäre
etwa Lope de Vega's in unserm Stücke durchgeführter, dessen
zweiten Titel: Glückswechsel von Eeichthum in Armuth und von
Armuth in Reichthum, brodirender Gegensatz kein solcher in
Gold- und Silberspitzen flimmernder, mit der Gewandfarbe ge-
fällig abstechender Eandstreifenbesatz, der sich leicht und be-
quem abnehmen und gelegentlich an ein anderes Hof- und
Staatskleid von Perlenstickereien, anheften Hesse? Dem Kunst-
principe blosser, noch so geistvoll feinen und pikanten Unterhal-
tung ist eben nur die glänzende Toilettenhülle der Poesie abzu-
gewinnen. Die poetische Lust, die Kunstergötzung ist, wie die
Liebesgöttin, eine Schaumgeborene, aber emportauchend aus ei-
nem von meerestiefen Ideen gährendem und leuchtendem Schaume.
Lope de Vega's durchhin aphrodisische Komödien feiern auch die-
sen Ursprung der Liebesgöttin aus Meerschaum, aber ein Meer-
schaum im Sinne der Kunstkabinette. Wunder von Nippsgebil-
den, kunstrein geschnitten aus dem zu erdigen Resten verdunste-
ten Seeschaum; oder auch als Fontänengruppen in königlichen
Parks und Ziergärten, jenen Ursprung darstellend, umsprüht von
blitzenden Wasserstrahlen und Schaumperlen.
„Gräfin de la Flor" in einem Mantel mit Gold ver-
brämt und einem Hut mit Federn; ihre Freundinnen Dona Con-
stanza und Doiia Ines in Mäntelchen und Hüten, am Mee-
resstrande bei „Sonnenaufgang", bilden sie nicht eine ähnliche
aphrodisische Gruppe, von blendendem, zauberischem Glanz der
Toilette, nicht blos der eigenen, sondern auch der scenischen
Toilette, rings umschimmert, wie eine Fontänenstatuengruppe, vom
Schleiergewebe ihrer nassen Gewände? Und Ein Glänzen auch
das, was sie sprechen! Gleich dem Funkeln der Rieselklänge,
die von den Lippen solcher von Springquellen umrauschten Göt-
tinnen-Bildergruppen tönen ^), im Einklang mit dem morgen-
frischen seedurchhauchten „Gesang hinter der Scene." ^)
1) Ines. „Fürwahr, das schöne Meer glänzt doppelt schön
An einem solchen Sanct-Johannismorgen . . /'
Gräfin. „Das schöne Wasser lacht mir an das Herz."
2) ^Como retumban los remos,
Madre, en el agua,
Ein Schiller'scher Taucher-Sprung. 113
Unter den zu ßoss schautummelnden Rittern am Meer-
strande erkennt Dona Costanza Alonso's Bruder, Don Juan,
über dessen „neuen Eock^' sich Gräfin de la Flor wundert und
Doiia Costanza über den Schimmel. ^) Die Gräfin heisst ihren
alten Knappen (escudero), Durango, in ihrem Namen bitten:
„Er möcht' auf dieser Brücke hier im Meer gestreckten Laufs
die Sporen geben." Der Stallmeister macht sie auf das abschüssig
iu's Meer sich senkende Brückenende aufmerksam. Die hoheFrau be-
harrt bei ihrer liebesprobelaunischen Zumuthung. Durango be-
stellt an DonJuan de Fox der Herrin Aufforderung. Don Juan
sprengt los — plansch ! stürzt er mit dem Schimmel in's Meer.
Nun fährt die Gräfin mit den beiden Freundinnen vor Schrecken
empor. Dona Ines hält Schimmel und Eeiter für verloren.
Gräfin ruft: „So müsst' ich mich in Thränenflut ertränken,
wie er ertrunken in der Meeresflut." — Doch ward dem Frauen-
hold der Sturz zum Heil, „es riss ihn nach oben." Das Wie
und Wo führt Durango aus in einem malerischglänzenden Schil-
derungsbilde, das von Salzflut glüht in der Morgensonne. Grä-
fin de la Flor schickt dem triefnassen Schimmelritter ihren
„gesteppten Mantel" (herreruelo afoi-rado), in abgebrochenen An-
deutungen, als Lohn für Don Juan's „heldenmüthiges" Sturzbad,
des Mantels süssen Kern, ihr holdes Selbst, durch den Dunst-
schleier der Anadyomene schimmern lassend, wenn solcher Hel-
denmuth „mit Unmöglichkeiten" sich zahlen Hesse. ^) Beim Em-
pfang des gesteppten Mantels erklärt sich der mit nassen Haaren,
in eine Pferdedecke gehüllt, auf der Bühne erscheinende Don
Juan stolzfreudig zu einem „Wasser-Mucius"^), als Pendant
Con el freseo viento
De la manana.
„Wie die Ruder klatschen,
Mütterchen, in der Flut!
Wie der frische Seewind
Thut dem Morgen gut!**
Wetter! was für Trochäen unsere Jambe schnalzen kann!
1) „Seht wie er heut kommt stattlich angesprengt
Ganz weiss und auf dem Schimmel.**
2) Porque nunca de imposibles
Se pagan hechos gallardos.
3) He sido Mucio de agua . . .
X. 8
114 Das spamsche Drama.
zum Peuer-Mucius, jenem Scaevola nämlich mit der verbrannten
Hand, ja zu einem Fegefeuer-Mucius oder Curtius, sich hochbegeistert
gelobend: „Obschon ich freilich nicht bin ihresgleichen, so würd'
ich doch, wenn sie's befehlen wollte, Bei Gott, mich in das Fege-
feuer stürzen, So rasch wie von der Brücke." ^) Doch verläugnet
der feuer- und wasserdichte Frauenritter seinen Grundzug: de-
muthsvoUe Selbstbescheidung, nicht. G e r m a n ' s Eath : der Gräfin
den Hof zu machen, sich um ihre Liebeshuld zu bewerben, weist
Don Juan, der Zuchtruthe seines Bruders alle Ehre gebend, als
ein Unerreichbares, Unmögliches zurück: „Welchen Kang hab'
ich, Und welche Schätze, um nur dran zu denken, Mit Gräfin de
la Flor es aufzunehmen?" 2) Lassen wir den Duckmäuser indess,
Lope'n zulieb, als jenen Leu im Heldenbuch gelten, und dass,
wie dieser seinem Herrn, auch unser Seelöwe seiner Herrin, als
treuer anspruchsloser Hund folge. Denken wir uns ihn als einen
jungen, im Käfig geworfenen wohldressirten Menagerielöwen, der die
liebkosende Reitgerte seiner ihn fütternden Wärterin küsst und
deren ihm in den Rachen gestecktes Händchen so unbehelligt
fahren lässt, wie Don Juan die hochadelige Hand der grossen
Dame, Condesa de la Flor.
Der zweite Act ist der Contrast- Bewerbung des lieder-
lichen durch Schwelgerei verarmten altern Contrastbruders, Don
Alonso, um die Hand der begüterten Dona Costanza, und
deren hohnvoller Abweisung seiner Freite gewidmet. Beiher geht
Don Juan's entsagungsvolle Hingebung an die schöne Gräfin
de la Flor, die verlobte Braut des erwarteten sicilianischen Mar-
ques Alejandro. Einem Marques die Braut, ihm noch dazu eine
Condesa abgewinnen wollen, muss einem Don Juan, wie die-
sem Kehrbild zu Mozart's Don Juan, ein Act des Wahnsinns
scheinen. Er lässt es bei lunatischen Blicken, bei nächtlichem
Emporschmachten zum Fenster der Gräfin bewenden, ganze
1) Der Text übernimmmt blos den Sprung vom (Thurm) ^Micalete'
Del micalete me echära,
Como del puente, por Dios.
2) dQ^® calidad, que tesoro
Tengo yo, para emprender
La Condesa de la Flor?
Bruder-Scene. Ij5
Nächte lang, wie ein Kranich, stehend auf Einem Entsagungsbein,
und in der andern Klaue, wie der Kranich den wachsam erhal-
tenden Stein, seinen schweigsamen, und über diese Schweigsamkeit
wachenden Mund haltend. ^) Die Scenen verhaltener und zurück-
getretener Liebe verschränken sich mit Spielscenen bei Don
Alonso, der sein Alles auf die letzte Spielkarte in Dona Costan-
za's mitgiftreicher Hand gesetzt hat. Den an sich trefflichen und
des Meisters würdigen Scenen möchte doch, inanbetracht des
Hauptmotivs, zu viel Spielraum eingeräumt seyn. Näher zum
Endziele trifft Don Juan's seinem nichtsnutzigen Bruder vor-
getragener Wunsch, nach Flandern zu gehen und dort Kriegs-
dienste zu nehmen. Alonso findet wohl das Vorhaben nach sei-
nem Geschmack, nicht so das dazu nöthige Reisegeld, das er mit
dem Degen als die „Unverschämtheit eines Lumpen" dem Bru-
der in's Fleisch zu kerben willens ist, und davon nur absteht auf
die endlich sich ermannende Drohung Don Juan 's, ihm, wie
er den Degen zöge, Kleid und Knochen zu Fetzen zu hauen. ^)
Dass Don Juan nicht längst diese Fetzen aus des Bruders Kleidern
klopfte! Er hätte sich vielleicht dann auch Manns gefühlt, mit
dem sicilianischen Marques Alejandro um die Braut zu rin-
gen, siegreich, wie Orlando den herzoglichen Klopffechter Charles,
1) Gräfin. „Wenn sprechen heisst ein stets ergebnes Blicken
Mit jenem Ausdruck, der dich so entzückt,
Dann hat Don Juan mir hundertmal gesprochen;
Mit seiner Zunge aber that er's nicht.
Durango. Wann hätte je Don Juan
Ein Auge noch verwandt von deinem Fenster?
Costanza. Erbarme dich doch dieser armen Seele.
Gräfin. Ich muss mich hüten; gleich würd' es berichtet
Dem grossen Herrn, dem ich bin zugesagt/'
Don Juan: Ritter Toggenburg. Die Gräfin: Die „Nonne" in Uhland's
Ballade, der weibliche Ritter Toggenburg. Ein spanischer Ritter Tog-
genburg? Selbst Macias hatte sich für die Rolfe bedankt! Eine spani-
sche Entsagungsnonne? Mit jedem Blatte schlägt selbst der Cancionero
den grossen spanischen Tagessittenschilderer auf den erfinderischen Mund !
2) — pues estos brazos
Te harän vestido y carne mil pedazos.
\IQ Das spanische Drama.
in „Wie es euch gefällt'S zu Boden boxt, i) Doch durfte dies
eben Don Juan des Contrastes wegen nicht, den es dem Spa-
nier vor allem zu zeichnen und durchzuführen oblag; die stärksten
Schatten dicht neben den blendendsten Lichtern in paralleler Ab-
wechselung: Spagnoletto's als Mantel- und Degenkomödiei), deren
ständiges Grundproblem, das gleichfalls zwischen Höllen- und
Empyreumsbeleuchtung taumelnde Martyrium der L i e b e sl e i d e n-
schaft, bildlich, wie beim Maler das martyrologische Motiv über-
haupt vorwaltet. Je intensiver und fleischlicher Marterbrunst und
Folterqualen im Gemälde dargestellt erscheinen, desto flagranter
und kunstkirchlicher ringen um die Martyrerpalme auch die, dem
Motiv entsprechenden, brünstigen Lichter und Schatten. Glei-
chermaassen sammelt die spanische Komödie alle feurigen Strah-
len des Liebemotivs in den Brennpunkt der Leidenschaft,
der von Eifersucht durchglühten Leidenschaft, nicht der Liebe:
dergestalt, dass, je foltersüchtiger das Herz von Eifersuchtsqua-
len, wie im spanischen Martyrium-Gemälde des Blutzeugen
Fleisch und Eingeweide von Messern, Haken und Geisseistacheln,
zerrissen und zerfetzt werden, — dass ähnlich auch in der spa-
nischen Komödie einem solchen Matyriumbilde der in Leiden-
schaftsliebe verwilderten Liebesleidenschaft eine um so glorrei-
chere Siegespalme zufällt. Weit entfernt, dass der Leidenschaft
üebermaass in der spanischen Liebeskomödie zur Sühne, zur
dramatischen Katharsis, zur Purification des üebermaasses, durch
Erkenntniss und Empfindung des poetischen Gleichgewichtes der
Triebe und der Vernunft gelange: erblickt der spanische Dichter
und Zuschauer in dem Üebermaass als solchem die Glorification,
die höchste Läuterung, die aus den dramatischen Conflicten sich
erhebt, wie die heilige ßosalia aus den Flammen des in Kosen-
haufen verwandelten Scheiterhaufens. Insofern kann die Capa y
espada-Comedia gleichfalls nur für ein Auto gelten, und Komö-
dienheld und Heldin gehen aus dem Fegefeuer ihrer Liebes- und
Eifersuchtsraserei nicht als entsündigte Büsser, sondern als ver-
klärte Glaubenszeugen und heilige Apostel dieser Käserei hervor, die
für ein spanisches Herz ein eben so unantastbares blindlings zu
1) Celia. „Es ist der junge Orlando, der den Einger und dein Herz
in einem Augenblick zu Falle brachte.** ,,Wie es euch gefällt".
Liebe und Ehe in der span. Komödie. 117
verehrendes Dogma ist, wie irgend ein Kirchendogma. Spricht ein
orthodoxer Glaube an dieses von allenjSünden und Verbrechen los; so
ist dem Liebeshelden der spanischen Komödie die grosse Sünde, das
Schmachvollste, Ehrloseste, um desünmaasses und der Zügellosigkeit
seiner Liebesleidenschaft willen, vergeben, und in demselben Verhält-
niss vergeben, als diese Leidenschaft gesetzloser, dämonischer, ver-
nunftwidriger, gottloser sich erweist. Das Element der höchsten Lie-
besseligkeit ist der spanischen Komödie nicht der Himmel, nicht das
Paradies, sondern das höllische Feuer. Der Austrag der Liebesirren
durch schliessliche Vermählungsweihe oder doch mindestens un-
ter dem Deckmantel heimlicher Ehe^), ist nur eine Rücksicht,
die mehr dem Sacrament der Kirche, als dem Komödienbrauche
gilt, so wie die der spanischen Komödie des 17. Jahrh. zur Zierde
und Ehre gereichende Vermeidung der ehelichen Komödienskan-
dale, die das gleichzeitige französische und englische Lustspiel als
eine Schule des Ehebruchs und der Eheverspottung brandmarkt,
im Grunde ebenfalls aus der Scheu vor Entheiligung eines Sa-
cramentes, und noch mehr vielleicht aus der Scheu vor den kleri-
kalen, vor den kirchen- und profanfürstlichen, offenkundigen Ent-
weihern desselben, sich ableiten liesse; welcher Scheu und Rück-
sicht wohl gar auch das dramaturgische Kunstprincip jener Poe-
tik entspringen mochte, die als Fundamentalsatz, als kategori-
schen Kunstimperativ gleichsam für dramatische Spiele und Dich-
ter das Postulat aufstellt: die Zuschauer um jeden Preis und
wenn es seyn muss, aufkosten der Kunst selber, zu amüsiren, nur
nicht aufkosten der skandalösen Unsitte, was bekanntlich so viel
hiesse, als aufkosten der guten Sitte der feinen Welt.
Scheint nun Lope in seiner uns beschäftigenden Komödie:
„Die Blumen des Don Juan", durch eine von der geschilderten
VS^eise abweichende Behandlung des Liebe- und Eifersuchtsmotives
zu überraschen, indem er letzteres ganz aus dem Spiele lässt,
und, behufs lUustrirung des Liebesthema's, einen Galan vorführt,
1) Casete con gran secreto
Y cree que corresponde
Esto ä ser noble y cristiano,
Y lo contrario se opone.
Lope de Vega. „Los Embustes de Celanro". IIL esc. V.
\\^ Das spanische Drama.
der seine Liebesleidenschaft durch Bekämpfung derselben, durch
Vergrabung seines Liebespfundes, durch Erstickung der Leiden-
schaft mit allen vier Zipfeln seines geflickten Bescheidenheits-
mantels oder schäbigen Flausches und gleichzeitig mit den
Zipfeln des „gesteppten Mantels" der Gräfin, die er allesammt
sich und seinem Liebesgeständniss in den Mund stopft ■— scheint
Lope mit solchem arte nuevo seinen dramaturgischen arte nuevo,
die Mehrzahl seiner eignen nach diesem arte componirten Komö-
dien und nebenher unsere obigen Ausführungen aufs Maul zu
schlagen : so wird jeder Kundige doch sogleich diesem Scheine
des Scheinens auf den Grund sehen und erkennen, dass wir es
hier mit einer auf die Spitze gestellte Spitzsäule zu thun haben,
mit der gewöhnlichen auf die Spitze getriebenen Liebesleiden-
schaft nämlich, nur dass diese, als umgekehrte Pyramide, mit
der Spitze auf des Helden verborgenster Herzensfalte steht, wäh-
rend die Basis, die verschwiegene Zunge, deckend und verheim-
lichend darüber lagert. Mit andern Worten: dass die sonstige
Ueberspanntheit der wie toll sich gebärdenden Liebesleidenschaft
und Liebessprache hier in das üebermaass von entsagender
Liebesdemuth sich verkehrt und umschlägt, mehr zugunsten und
im Vortheil der Ueberraschung durch eine neue Finte und Volte
des stereotypen Liebemotivs, als im Besten der psychologisch-dra-
matischen Kunst und einer naturwahren Charakterschilderung,
insbesondere einer wahrheitsgetreuen Schilderung des spanischen
Lieberittercharakters und spanischer Herzensliebe.
Mit Fusstritten von seinem Bruder aus dem Hause gestossen,
sieht sich unser Opfer verschwiegener Contrastenliebe und bruta-
len Bruderhasses nach einem Handwerk als Existenzmit-
tel um. Don Juan hat von seiner Schwester das Talent
geerbt, künstliche Blumen aus Seide und Gummi zu verfer-
tigen i), die sein treuer German auf der Strasse von Thor zu
Thor zum Verkauf ausbietet. Unstreitig, wenn nicht das ritter-
lichste, das zierlichste der Handwerke, zumal in einer Komödie,
wo das Liebesheldenpaar durch die Blume seufzt und schmachtet.
German ruft seines Herrn Meisterwerke aus Gaze, Draht und
1) Yo se hacer flores con primor notable
(Que lo aprendi de cierta hermana mia.)
Der Blumenhändler. 119
Gummi eben vor den Palastfenstern der Blume aller Blumen
aus, der Blumengöttin selber, der Condesa de la Flor, der Her-
zensflora seines Gebieters, der sich einen „Mustergarten" nennt 0?
Mustergarten von lauter bescheidenen Veilchen, bis auf den Ritter-
sporn, der vom Veilchen noch die Farbe trägt. Die Gräfin lässt
den „Blumenmann", nicht in Person, seinen Stellvertreter, den
die Blumennamen ausrufenden Ger man durch ihren Knappen
Durango in den Saal heraufholen. German erschrickt, als er
die Gräfin und ihre Freundinnen, Costanza und Ines, erblickt
und möchte sich am liebsten mit seinem Körbchen voll Seiden-
blumen aus dem Staube machen. Doiia Costanza hat ihn aber
schon als Don Juan's Lakai erkannt. „Nie ging ein Vogel tölpi-
scher in's Garn", kratzt sich German hinter den^Ohren. In sol-
cher Lage gilt es, Farbe bekennen, German erzählt den Da-
men, wie sein Herr Blumenfabrikant geworden, und bittet nur
um Verschwiegenheit, sonst schlägt ihm der Blumenkünstler Arm
und Bein entzwei. Nun geht es an ein Blumenabkaufen zu fa-
belhaften Preisen. Für ein Veilchenbouquet giebt Dona Ines
zwei scudos, Dona Costanza für ein Paar Lilien eben so viel.
Gräfin de la Flor lässt von Durango den ganzen Korb leeren
und, statt der Blumen, mit Ducaten füllen, goldene Rosen, die
als Peterspfennige den Päpsten so lieblich duften. Durch die
Liebesscene dieser Blumenkomödie scheint der Hauch des indi-
schen Liebesgottes, Käma, zu wehen, dessen Bogen aus Zucker-
rohr geschnitzt und die Pfeilspitzen aus duftigen Blüthen beste-
hen. Die würzigsten solcher Pfeilspitzenblüthen schnellt die Gräfin
de la Flor von den Rosenlippen sub rosa, mit den Worten:
,, Nehmt German; eure Blumen konnten wohl
Noch schönre Früchte tragen, wenn die Hand
Nicht lässig ward, die sie so fein gebildet/' 2)
Und fertigt er mehr, so bring sie mir in's Haus ;
,,Wir wollen sehn, ob aus so reichem Flor,
Nicht eine Wurzel Keim fasst/'
1) Soy de un j ardin particular modelo.
2) Tomäd, German; que pudieran
Dar otro fruto si el tiempo
No helara las manos deUas.
120 jDas spanische Drama.
Ein Wink mit dem Zaunpfahl — aber immer *) durch die
Blume! Germ an versteht denn auch den Wink nicht und
fragt blödiglich, wie nur sein Herr fragen könnte: „Was meinen
Euer Gnaden?"
Ger man entfernt sich, da erscheint Don Alonso's Freund,
Don Francisco, als dessen Handanträger bei Dona Costanza,
die ihm für den Absender den Korb mitgiebt ohne Blumen.
Ein wo möglich noch misslicheres Selam steht Germ an im Be-
griff von seinem Herrn zu empfangen: einen Rosenstock nämlich
ohne Rosen, weil Gräfin Hipölita de la Flor durch ihn erfahren,
dass er, Don Juan, Weiberarbeit verrichte. 2) Todt schlug' er ihn,
„hätt' er ihm nicht so Vieles zu danken", insbesondere den reich-
lichen Erlös für die Blumen, der ihm eine Soldatenuniform und
die Reise nach Flandern bestreiten soll. Aus der 18. Scene des
2. Actes, die, gleich so mancher anderen, mehr Conversations-
als dramatische Scene ist, theilen wir, beispiels- und wunders-
halben, noch ein Stückchen Gespräch mit, das die Gräfin mit
ihrem alten Schildknappen, Durango, im Beiseyn der unzer-
trennlichen zwei Freundinnen, Costanza und Ines, wechselt.
Die Gräfin hat den alten Bereiter mit seiner Eifersucht auf
seine Frau geneckt und meint: „Ein Eifersüchtiger findet doch
kein Mittel, das ihm erprobt, ob seine Kinder sein.*' Durango
illustrirt die Bemerkung durch ein Geschichtchen:
„Es war ein Bauer jüngst,
Dem jährlich seine Frau ein Kind gebar;
Er liebte dieses Weib, doch graut' es ihm,
Ob seine Kinder auch sein eigen Blut,
Um in dem Streitpunkt nun aufs Klare sich
Zu setzen, kam er auf 'nen närrischen EinfaU —
Gräfin. Was that er?
Duarngo. Er castrirte sich 3); denn so
Dacht' er, wenn seine Frau gebäre,
Sey's ausser Zweifel, dass sie ihn betrüge.
1) Si biciera mas, me las Ueva
A casa, per ver si en tantas
Alguna esperanza siembra.
Y iojalä pudiera ser!
2) Olicio de mujeres delicadas.
3) Mandose castrar.
Lope's und Shakspeare's freie Komödiensprache. 121
Costanza. Das Mittel scheint mir etwas theu^r erkauft.
Gräfin. Doch sicher wär's, und ich empfehF es euch.
Durango. Ich danke, will mich ausserdem behelfen.
Gräfin. Manchem begegnet's wider seinen Willen."
Drollig genug! Das Drolligste aber ist, dass Lope dergleichen
von und vor Frauen der auserlesensten Gesellschaft aus höchster
Sphäre in einer Komödie zur Sprache bringt, die das zarteste
Liebesverhältniss behandelt und durch den Mund der Liebesheldin
dieser nur Blumendüfte und Blumenthau athmenden und davon
lebenden Liebe! Ein Beweis, dass der damalige Gesellschaftston
in den vornehmsten Kreisen kein Arg dabei fand, und dass
Frauen mit einem aes triplex von hochgesinntem Keuschheits-
stolze in der Brust, und mit einem stachelbesetzten Venusgürtel
als Abwehr und Schutz- und Trutzwaffe ihrer weiblichen Ehre,
Schaam und Tugend um den Leib geschnallt tragen konnten,
und doch kein Feigenblatt vor den Mund nahmen. Finden sich
doch, wie männiglich bekannt, weit häufigere und stärkere Be-
lege hiefür, als bei Lope, der noch als ein Meister von Zartge-
fühl und Wohlanständigkeit gepriesen werden darf, finden sich
doch die reichlichsten Belege hiezu bei dem in letzter Kunstab-
sicht sittlichstrengsten, keuschesten, ja heiligsten der dramati-
schen Dichter,"^ bei Shakspeare! Dessen jungfräulichste Mädchen,
makellose Tugendspiegel und Keuschheitsheldinnen, geschlecht-
liche Bezüglichkeiten sich erlauben, als hätten sie aller Schaam
den Kopf abgerissen. Gleich in dem Seitenstück zu Lope's „Blu-
men des Don Juan", in Shakspeare's Lustspiel; „Wie es euch
gefällt", gestattet sich das Mädchenfreundschaftsideal, das jung-
fräulich holdeste der Prinzessinnenpaare, die jemals die Bühne
verherrlicht, gestatten sich Kosalinde und Celia, letztere nament-
lich Aeusserungen, Zweideutigkeiten, worüber, gelinde ausgedrückt,
ein Badeknecht den Kopf schütteln würde : ^)
,,Und wo wir gingen, wie der Juno Schwäne
Da gingen wir gepaart und unzertrennlich." 2)
1) So sagt Celia einmal zu der als Page verkleideten ßosalinde : „Du
hast unserem Geschlecht in deinem Liebegeschwätz geradezu übel mitge-
spielt. Wir müssen Dir Hosen und Wams über den Kopf ziehen, damit
die Welt sieht, was der Vogel gegen sein eigenes Nest gethan hat/*
IV. 1. — 2) I. 2.
122 I^^s spanische Drama.
Ein so prächtiges Bild fürstlicher Gepaartheit, jungfräulicher
Seelenfreundschaft und schaamhafter Lauterkeit zweier Königs-
töchter konnte zu Shakspeare's und Königin Elisabeths Zeit un-
berührt vom Schmutze verfänglicher Eedeweise bleiben! Wie ja
eben auch die lichtweissen Schwäne von dem Schlamme unbe-
fleckt blieben, worin sie mit ihren schwarzen, der Farbe nach,
schlammverwandten Schnäbeln wühlen. —
Von German, der im Soldatenfederhut daherspreitzt, erfährt
die Gräfin Don Juan's Entschluss, Valencia zu verlassen und
nach Flandern zu gehen. Sie erschrickt bis in's Herz hinein 0,
so tief, dass auf den Schreck die Entscheidung, die Komödien-
Katastrophe, wie der Wasserschwall bei emporfahrendem Eöhren-
stempel herbeistürzt, und Don Juan, welchem German den
Eindruck brühwarm mittheilt, am Schlüsse des zweiten, vorletzten
Actes, nun selbst an der Gräfin Liebe zu ihm glauben muss'^),
und als Schlussparaphrase den zweiten Titel der Komödie: „Ar-
1) Costanza (ap. a la Condesa).
La color se le ha mudado.
Costanza (heimlich zur Gräfin).
Das Blut lässt eure Wang' im Stiche.
2) J). Juan. Ein Labyrinth des Irrthums ist die Liebe,
Wenn's aber wahr ist, was einst Dante sagte:
Liebe wird stets dem Liebenden vergeben,
So wie Petrark in seinen Zauberversen:
Ein Herz aus Erz und Marmor müsst' am Ende
Der nie gestillten Liebesklage weichen.
So kann ja wohl Gott Amor selbst einmal
Das Herz einer Hipolita berühren:
Du bist ein Weib; Du sahst mich manchen Tag
In Sonnengluth wie in der Nächte Frost
Die angestellte Wuth des Missgeschicks
Vor Deiner Schwelle Heiligthum beseufzen,
Dem goldnen Wagen dieser Herrin folgen
Anbetend wie ein indischer Götzendiener.*)
So viele Lieb' und Elend hat ja wohl
In Deine Seele ihren Schmerz gegraben.
*) Helena. — „Gleich dem Indier,
Gläubig in seinem Wahne flehend, ruf ich
Die Sonne an" . . .
Shaksp. „Ende gut Alles gut." I. 3.
Lope*s u. Shaksp. Mangel an einem Plan in den bezügl. Komödien. 1 23
muth und ßeichthum ihre Rollen tauschen" (El rico y pobre
trocados) anzufügen, sich nicht entbrechen kann.
Von der Vertauschung zeigen schon, in der ersten auf der
Strasse spielenden Scene des dritten Actes, Dona Costanza's
Eingangsworte an die Gräfin de la Flor, die eben vom Ball
kommt: Dass Don Juan im Tanzsaaal alle Männer verdunkelt.
„So wahr ich lebe, seine Armuth hat den ßeichthum auch der
Reichsten ausgelöscht.'' i) In seiner Soldatentracht, in der er mit
Germ an auch jetzt den beiden, bei seinem Anblick sich schnell
verschleiernden Damen begegnet. Don Juan's erstes Zusammen-
treffen und Gespräch mit seiner imstillen angebeteten, und bei
dieser ersten Unterredung mit ihr noch verschleierten und von
ihm unerkannten Göttin. Ein seltsames, dramatisch planloses,
gegenseitig verschwiegenes Lieben par distance. Der Mangel ei-
ner dramatischen Verwickelung und eines eigentlichen Komödien-
plans lässt sich auch an Shakspeare's *As You like it' rügen;
doch führt er, seiner Erzählungsquelle folgend, das Liebespaar,
Prinzessin Rosalinde und den bedrohten Orlando, im Ardenner-
walde aufs anmuthigste zusammen. Rosalinde, in Pagenanzug,
neckt sich dem sie nicht erkennenden Orlando scherzweise als
Rosalinde auf. Der in Liebe zu seinem, wie er denkt, fernen,
ihm entschwundenen Ideale verschmachtende Orlando geht auf
den Scherz ein, in der Einbildung mit dem autoptischen Schein-
truge die Sehnsucht nährend, wie der Durstige in der Wüste an
der scheinbar nahen mit Quellwasser ihn neckenden Luftspie-
gelung sein Lechzen täuscht. Rosalinden sind Orlando's scherz-
haft an den Pagen als imaginären Stellvertreter des fernen Her-
zensidoles gerichtete Liebesgeständnisse wahrhafte Bekennt-
nisse, Seelenergüsse, die an die rechte Adresse gelangen, die-
weil die Hälfte von Orlando's Liebesseufzern auf die bewusste
Aufschieben drum will ich das Unternehmen
So lang, bis die Gewissheit mir geworden,
Dass meines läst'gen Diensts Du müde bist.
1) Que un hombre como Don Juan
Fuese anoche el mas galan
Que lucio mas su pobreza
Que la riqueza major.
124 I^a,s spanische Drama.
Täuschung kommen, dass er in seinen eigenen Beutel lügt, der
noch dazu sein Herzbeutel, und der sich gleichwohl unterm Be-
lügen mit dem lautersten Liebesgolde füllt. So entspinnt sich
der verscherzte Lustspielknoten doch wieder zu goldnen Intriguen-
fäden einer idyllisch lieblichen und zugleich acht lustspielartigen
Herzensverwickelung, mit einem Anhauch von phantastischem
Reiz und Märchenzauber, der um diese ganze Waldeinsamkeits-
und Verbannungs-Einsiedelei spielt. Dahingegen in Lope's Glück-
wechselkomödie die scharfe Tagesbeleuchtung des durchaus rea-
listischen, und durch die übliche Schablone der Salon- und
Strassenbegegnisse gezeichneten Contrastiruugssittenbildes jenen
Mangel an Durchkreuzungs-Conflicten und Verflechtungen der
Incidenzen eines regelrechten Komödienplans um so auffälliger
hervorstellt. Dafür hat aber der Spanier seinem Charakter- und
Wendeglücksgemälde, einem der lichtesten seiner Sittenlustspiele
von der hellsten Tönung, bei allem scharfen Abstich gegen die
starken Schattenpartien, — hat Lope seiner wesentlich peripeti-
schen Komödie, wo Handlung und Katastrophe ganz und gar in
der Peripetie aufgehen, und worin sich Fortuna's Kad aus freier
Hand gleichsam, ohne Intriguenplan, ja ohne die Glücksgöttin,
die aus Caprice doch mindestens ihr Kad mit einem Fussschnipp-
chen zum Spinnrade schlägt, um welches der Faden läuft, woran
die wechselnden Geschicke schweben — hat Lope dieser Glück-
spiel- und Liebezufallskomödie ohne Liebesintrigue einen Schluss-
act abgewonnen, der, an sich betrachtet, zu den glücklichsten
Würfen seines dramatischen Genie's zählt.
Noch eine Probe ritterlicher Galanterie glaubt die verschlei-
erte Gräfin dem Don Juan auf der Strasse zumuthen zu müs-
sen. Sie ersucht ihn, ihr aus dem Waarenlager jenes Mailänder
Handelsherrn dort Bordüren zu besorgen. Kaufmann Laurencio
tritt aus dem Laden. Don Juan bestellt bei ihm die Garni-
turen und noch ein Stück Mailänder Tuch dazu, statt baaren
Handgeldes die Wosse, geldbaare Hand mit Handschlag anbie-
tend , als vorläufige Abschlagszahlung. ^) Flugs will der weisse
1) Y por vida de Don Juan
(Mostrad Laurencio esas manos)
De pagaros del primer
Handschlag als Handschilling. 125
Kabe von Waarenhändler das gewünschte Zeug herbeiholen. Die
Gräfin flüstert ihm in's Ohr, nichts von Don Juan zu fordern,
den sie nur im Scherz auf die Probe stellen wollte % und über-
reicht dem Kaufmann einen kostbaren Demant als Sicherheits-
pfand, dass sie ihm den Betrag sogleich senden werde. Der
weisse Rabe lehnt das Juwel ab: „Mehr Ehr' ist mir, zu dienen
einem Herrn, wie Don Juan ist, als alle Güter Mailands" und
huscht in seinen Laden zurück mit Don Juan's Handfeste in der
Tasche. Auf Grund des galanten Pumps wünscht die Gräfin,
dem ritterlichen Gutsager in ihrem Hause den Dank abzustatten.
Don Juan entschuldigt sich mit dem Ritterdienste, den er einer
hohen Frau geweiht, die er durch einen solchen Schritt zu be-
leidigen fürchte. Auf die Gegenbemerkung der Gräfin, jene hohe
Dame erwarte ihren Bräutigam, einen sicilianischen Marques, ver-
setzt Don Juan:
„Ich weiss, dass meine Niedrigkeit die Gunst
Der hohen Frau nicht werth ist zu erwerhen.
Doch soll es seyn, dass sie sich auch vermählt,
Ob sie zu Eis auch friert, zur Flamm entzündet,
Kann ich verhindern, ewig sie zu lieben? 2)
Gräfin. Wenn ich nun einen Auftrag von ihr hätte?
D. Juan. Dann stand' ich allerwärts zu euren Diensten.'*
Sie scheiden, und nun — und wie ä propos! — tritt der Bräu-
tigam aus Sicilien, der Marques AI ej and ro in ßeisekleidern
Dinero que me han de dar
Para partirme.
„Und nehmt, Laurencio, diese Hand zum Pfand
Beim Leben des Don Juan euch zu bezahlen
Vom ersten Reisepfennig, den ich finde."
1) Por probarle me he burlado.
2) Yo se que la suerte mia
No merece su valor;
Mas que importa que se case,
Que me hiele 0 que me abrase,
Para que la tenga amor.
Ein schreiender Anachronismus diese Troubadour -Liebe zu Lope's Zeiten,
der aber als solcher gerade von einschlagender Bühnenwirkung seyn
mochte. Je hohler die Felsklüfte, desto schallender das Echo auch des
kalten Donners.
126 I^as spanische Drama.
mit Dienern und Gepäck auf; ein hochadeliger Gracioso-Pedant
vom reinsten Brillantwasser. Lässt sich eine solche Figur zweck-
mässiger in eine Lustspielkatastrophe hereinstellen? Marques
Alej andre will alle Anstalten getroffen wissen, um bei seiner
hohen Braut hochaufgeputzt mit seiner gesammten Dienerschaft
in grosser Gala die Aufwartung zu machen. Gleichzeitig mit
diesen Anstalten hat die hohe Braut Don Juan mit German
von ihrem Escudero Durango in den beleuchteten Garten ihrer
Freundin, Dona Ines, einführen lassen. Gräfin Hipolita
begrüsst ihn holdseligst, in doppelte Verschleierung gehüllt: in
den Komödienschleier, den eine Spanierin mit zur Welt bringt, und
in den Sternenschleier einer Valencianischen Nacht. Mit bestem
VS7"illen vermag aber Don Juan nicht, aus Rücksicht auf seine
hohe Herzensdame, in deren ausschliesslichem Dienste sein Herz
nun einmal, sey's auch erfolglos, schlägt, der unbekannten Gön-
nerin, die ihm das Stelldichein bewilligt, „Liebe vorzulügen." Es
folgt nun für die vor ihrem Schleier verschmähte Gräfin die
schmeichelhafteste Liebeserklärung, die von der Gräfin hinter
dem Schleier mit Wonne eingesogen wird. Es kitzelt sie, ihr
von Don Juan vergöttertes Gedankenbild zu bestichein, um sich
desto überschwänglicher von ihm vergöttern zu lassen. 0 So wie
sie seinem, will sagen, ihrem Ideal, mit einem Wörtchen zu nahe
tritt, ist Don Juan auf dem Sprunge, sich zu entfernen. 2) 0 um
1) Es angelica, es divina,
Trarparente, cristalina;
Mujer que si la mirais,
Sospirarais por ser hombre,
jAy de mi humilde fortuna!
„Sie ist ein Engel, stammt von Götterart,
Durchsichtiger Natur, pur wie Kry stall!
Säht ihr sie, Weib, ihr müsstet darum seufzen
Dass euch der Himmel nicht als Mann geschaffen,
0 dass ich solch ein armer Teufel bin!
2) Condez. La pobreza
Os hace desvanecer.
D. Juan. Pobre ö no, yo me contento
Con ser rico deste bien
Gräfin, „Die Armuth hat euch den Verstand verwirrt.
Marques Alejandro. 127
einen solchen spanischen Komödienschleier, den, wie Göttin Leu-
kothea, die spanische Comedia ihrem im Meere [seiner Erfindun-
gen rathlos und aufs Gerathewohl umherschwimmenden Dichter
in dem Augenblicke zuwirft, wo ihm die Schwimmkraft auszu-
gehen droht und er den Krampf in die Waden kriegt! Hinter
dem Schleier — dieser glücklichsten Erfindung des spanischen
Drama's, dem Aufzugsgewebe ihrer Lustspielintriguen, dum stehen-
den Zettel und Einschlag ihrer Verwickelungen — hat sich die
Gräfin bis zur Gipfelhöhe des Entzückens von Don Juan's Ver-
herrlichungen emporschwingen lassen; sie berührt mit dem ver-
schleierten Scheitel die Sterne, jeder Stern ein Liebesstern, und
ruft dem alten Knappen Durango, der den eingetroffenen Bräu-
tigam aus Sicilien, Seine Gnaden den Marques Alejandro,
anmeldet, zu: „Was Bräutigam? Was Gemahl? Ich weiss von
keinem künftigen Gemahl, als Herrn Don Juan." ^) Zum Erstau-
nen der beiden Freundimien, Costanza und Ines, die inzwischen
eine verschleierte Unterhaltung mit Germ an gepflogen, unter
Anwandlungen seinerseits, mit der kühnen Hand jenes Jünglings
in Schiller's Ballade: 'Das verschleierte Bild zu Sais', dem Va-
lencianischen Isispaar die Schleier abzureissen mit Allem was
drum und dran hängt. Nachdem sie nun selbst sich entschleiert,
macht Ger man Anstalten, in die Erde vor Schreck zu sinken,
über die ungenirte Art, womit er ihnen zusetzte: „Wie Küchen-
menscher hab' ich sie behandelt; das ist mein letzter Tag/' 2)
Dass sein Herr vor der nun gleichfalls schleierlosen Gräfin im
Staube daliegt, anbetend, und ihre Erklärung, dass er von heute
ab ihr Gemahl, GrafdelaFlor, mit Thränen erwiedernd zu
ihren Füssen hingeströmt^"^), versteht sich von einem Sonnenan-
D. Juan. Arm oder reich ich fühle luich beglückt
Im Eeichthum dieses Schatzes meiner Seele/*
1) Yo no tengo otro marido
Que el senor Don Juan.
2) Que como ä viles fregonas
Las he tratado! Hey perezco.
3) Cond. que no quiero
Marqueses, condes ni duques,
Sino un pobre tan discreto,
Tan prudente, tan galan
Y tan firme caballero,
128 ^2,s spanische Drama.
beter, dessen Herz eine Sonnenblume, von selbst. Welche Nacht
zieht über den „Grafen de la Flor" dahin , voll goldener Him-
melsblumen, von denen sich unser Blumenkünstler nichts hatte
träumen lassen; und glühend wie die Vermählungsküsse ^) , die
er mit der nun ganz entschleierten Gemahlin-Blume wechselt,
einer Victoria regia schwimmend wie eine Sonne auf einem Won-
nesee! und welcher Tag auf diese Nacht geht dem Bruder
unseres auf Eherosen gebetteten Grafen de la Flor, dem Don
Alonso auf, mit dem er die Glücksrolle wechselt! Alonso,
durch Spiel und Lotterleben an den Bettelstab gebracht, und der
von ihm misshandelte, ausgestossene, seines Erbes beraubte Bru-
der über Nacht aufgeblüht, in Einer Brautnacht wie der Eosen-
busch, den die persische Prinzessin Mandane in ihrer Brautnacht
ihrem Schoosse im Traume entspriessen sah; überschüttet wie
aus einem goldenen Füllhorn mit allen Beglückungen des Him-
mels und der Erde in den Armen einer Gattin, die eine Idalia
und ein rosiges Paphos zugleich, hingegossen auf die üppigen '
Pfühle ihres Ehehimmelbettes! Und er, Alonso, der Aus-
würfling seines eigenen Hauses, ein Bettler vor des jungem Bru-
ders goldener Paradiesesthür, den er bespieen und mit Füssen
hinausgestossen aus seinem Hause! Und hiermit noch nicht ge-
nug, stellt die Contrastsituation vor dieselbe Thür auch noch den
Marques AI ej andre mit seiner gesammten Dienerschaft im
höchsten Hochzeitsstaat, als Gräfin Hipolita's de la Flor erlauch-
ten Bräutigam in Floribus. Er klopft an und vernimmt vom
Knappen Durango, angesichts des als Bettler dastehenden
Alonso: „Don Juan de la Flor, Herr, ist ihr edler Gatte."
„Die Gräfin bin ich, die nicht Grafen, nicht
Marquesen, Herzoge, noch sonst wen will,
Ansser einem armen, sehr verständigen.
Treu feinen, tugendhaften Cavalier."
1) In Dona Ines Garten sagte schon die Gräfin de la Flor:
„Ihr seyd von heut an der Graf de la Flor,
Und so entschieden giebt sich meine Liebe,
Dass ich heut schon den Erzbischof gesprochen
• Und er mir Dispensation ertheilt,
Dass unsere Hände man noch heut verbinde.**
0 um einen spanischen Erzbischof zum spanischen Komödienschleier!
Der Hochzeitsstraiiss am Leiidemaiii. 129
Marques Alejandro besteht auf seinem Bräutigäms-Blumen-
strauss im Knopfloch; Durango auf seiner Versicherung:
„Mein aufgeräumter Herr, ihr mögt bedenken,
Dona Hipolita und Herr Don Juan
Verschlafen heut den ersten Liebestraum,
Denn erst am Abend wurden sie getraut.'^ i)
Und bettet den Hochzeits-Marques auf ein Dornenbrautbett, und
pflanzt dem Bettelbruder Alonso einen Dornstrauch in's Herz,
das von blutigem Neid überquillt 2) , als Ger man, der im rei-
chen galonnirten Kleide eines Haushofmeisters hinzugetreten, kei-
nen Zweifel mehr an Durango's erstatteter Auskunft zulässt.
Alonso schleicht davon mit der Dornruthe auf dem Rücken,
und Marques Affenschwanz mit dem Hochzeitsstrauss an der Brust,
um zu sehen, „ob Recht noch in der Welt ist."^*^)
Man denke sich nun die Lendemain-Scene in der Gräfin
Zimmer als Gegensatz. Das junge gräfliche Ehepaar im reichen,
weichen, blumenduftigen Morgenanzuge. Beider Seelen, Beider
Herzen ergossen in Einen Wohlgeruch nicht nur der Liebesin-
nigkeit, auch des Wohlthuns; Don Juan's Herz in die mitleid-
volle, brüderlich erbarmungsselige Bitte an die Gemahlin, die von
seinem Bruder verpfändeten Ländereien und Kostbarkeiten zu
verabfolgen. — Sie küsst ihm die Bitte, noch unausgesprochen.
1) Desenfadado seiior,
Pienso que durmiendo estän
Dona Hipolita y Don Juan
El primo sueno de amor;
Que anoche se desposaron.
2) „Von hinnen komm,'* — sagt Alonso zu seinem Begleiter, Ota-
vio, ehemaHgen Spiel- und Zechbruder, jetzt Bettler wie er selbst und
loddrig, wie Alonso's Jamben:
„Von hinnen komm, eine Gescliichte müsst' ich
Hier hören reichen Glücks und die vor Neid
Mich bersten machte."
3) Hoy veremos
Como palabras se dan.
X.
130 ^^^ spanische Drama.
von den Lippen, und hat sie mit dem Kuss gewährt, i) 0 der
beseligenden Erfüllung! Sie heisst Durango ein Kästchen brin-
gen; öffnet es — „Wie?" — ruft Don Juan — „Blumen drin?''
Gräfin:
,,Ja, jene Blumen, Lieber,
Die ihr verfertigt, German für euch feil bot.'* 2)
Ein Blumenräthsel, das ihr Eosenmund mit zärtlichen Küssen
entsiegelt. 3) Und nun lästere man und sage: die Ehe mit einem
solchen Lendemain sey kein Sacrament! Und läugne dann, das
Gegenbild daneben gehalten: es gebe keine Hölle! auf Alonso's
Bettelbrief an seinen Lotterbruder in Glückesfülle , am Spieltisch
und an reichbesetzter Tafel, den er im Briefe um ein Almosen
von 100 Ducaten ansprach, ist mittlerweile die Antwort einge-
laufen, die Alonso eben liest — rund abgeschlagen! Timon,
Timon! Am Bettelstab ein Timon, im üeberfluss ein Lump, und
werth daher, dass man dir mit deinem eignen Bettelstabe den
Lump von innen und dessen äussere Abzeichen, die Bettlerlum-
pen, vom Leibe und aus dem Leibe schlägt. Schmachvoller,
schmerzlicher als solcher Lumpen-Exorcismus dünkt ihm seines
Genossen, Octavio, letztes Auskunftsmittel, des Bruders Mit-
leid anzuflehen. Don Alonso schaudert vor dem Gedanken
zurück: „Diese Schmach bringst Du über die Lippen?" Ver-
1) Gräfin. „Kein Wort mehr! Heute sey'n sie eingelöst*' , . .
Condesa. No digais mas, advertid,
Hoy todos se quitarän . . .
2) D. Juan. (i,Flores teneis dentro?
Condesa. Si.
Estas son aljuellas flores
Que soliades hacer,
Y German trajo de vender.
3) „Die bleiben hier verwahrt, ja, und ich wünschte,
Sie wären in Demant gefasst. Wenn jemals
Ihr euch beigehn lasst, eure Frau zu quälen,
So weis' ich diesen Schatz euch vor.'*
Der Liebesgöttin aus Blumenbüscheln geflochtene Strafruthe für den un-
artigen Amor!
Lope's Alonso und Shakspeare's Oliver. 13 t
hungerte Lippen kennen keine Schmach. Octavio dringt in den
Zaudernden mit allen Stacheln der Noth und des Elends ein.
Don Juan lasse zudem in der Dunkelheit Almosen vertheilen,
um die Empfänger nicht zu beschämen. Alonso — Noth bricht
Eisen — wankt heran an Don Juan's Hausthür, aus welcher
Don Juan mit German eben bewaffnet tritt, um des Mar-
ques gegen ihn aufgebotene Kotte, die der Graf vor seinem
Hause vermuthet, würdig zu begrüssen mit Schwert und Schild.
Auf German's an Alonso und Octavio gerichtete Frage:
„Seyd ihr von Marques Alejandro's Bande?" erwiedert Alonso:
„Wenn schwere Noth für scharfe Waffe gilt, so treten wir
bewaffnet vor Eu'r Thor. Welchen von Euch nenn' ich den
Herrn Don Juan?" Juan. „Don Juan de Fox, Graf de la Flor,
bin ich." Und nun entwickelt sich eine Katastrophenscene zwi-
schen den beiden Brüdern von einer schier tragischen Kraft,
einer kathartischen Wirkungsstärke und versöhnungsmächtiger,
grossartiger Rührung, die — das Gottessiegel des dramatischen
Genie's, ja des erhabenen Tragikers! — die diese Begegnungs-
katastrophenscene als eine geistesverwandte mit jener heroisch
erschütternden Scene zwischen Coriolan und Aufidius in Shakspea-
re's gewaltigster Römertragödie ^) kennzeichnet und adelt. Wir
legen sie zur Selbstbeurtheilung unseren Lesern vor 2), zugleich auf
1) Ooriol. V.
2) D. Juan. (:,Quien sois vosV
D. Alonso. Un caballero
De noble y clara prosapia,
Que ha venido ä no tener
Mas que aquesta pobre capa.
Quiere irse ä Flandes; y viendo
Que la fortuna voltaria
Os ha puesto en tal estada
(Que unos ensalza, otros baja),
Viene a pediros limosna
Para hacer esta jornada.
D. Juan. Esa, senor caballero,
Dare yo de buena gana.
Pero si esta es invencion,
Y al henchiros de oro y plata
9*
132 r^as spanische Drama.
Oliver's Einführung am Schlüsse von „Wie es euch gefällt" hin-
weisend, und an des Lesers Gutachten appellirend : ob dieser Oli-
Las manos, me henchis el p'echo
Del plorae de alguna bala,
No serä la culpa vuestra.
Hacedme, merced, y tanta,
Que aqui solamente entreis.
D. Alonso. ^Adomde?
D. Juan. A la pomiera sala.
D. Alonso. No puedo donde haya luz;
Porque si me veis la cara,
En vez de darme limosna
Me atravesareis la espada.
D. Juan. ;Yo ä vos! Pues que me habeis heche?
D. Alonso. (Ap.) Las lagrimas se me saltan.
D. Juan. Tomad de mi caballero,
Si lo sois esta palabra,
Que aunque fuerades mi hermano,
Que es la cosa mas ingrata
Que Dios ha hecho en el mundo
Estas venas me rasgära
En viendoos pobre; que yo
Lo he vido tanto en su casa,
Que viendo un pobre, si es noble,
Se me rasgan las entranas.
D. Alonso. Como sufriran las mias,
Hermano, tales palabras?
Yo soy Don Alonso, yo,
Que vengo a darte venganza.
Vesme aqui a tus pies, Don Juan.
D. Juan. Senor mio de mi alma.
4 Vos a mis piesl Yo ä los vuestros.
Entrad, esta es vuestra casa
jVos en la calle ä estas hora!
Venid, hermano, conmigo.
D. Alonso. Mi senor, los ojos hablan.
Don Juan.
Wer seyd Ihr?
Don Alonso.
Ein Edelman von hohem
Geschlecht, der so herunter ist gekommen,
Lope^s Alonso und Shakspeare's Oliver. 133
Dass er nichts mehr als diesen Bettlermantel
Sein eigen nennt. Er ist jetzt im Begriff
Nach Flandern abzureisen, und in Betracht,
Dass wankelmüthiges Glück euch so gesegnet,
Wie es Einen erhöht. Andre erniedrigt.
So spricht er euch um ein Almosen an,
Dass er die Reis* im Stand sey anzutreten,
Don Juan.
Das, Herr, sey euch gewährt von ganzem Herzen.
Wenn es indessen eine List nur wäre,
Dass ihr, mit Gold und Silber euch die Hände
Füllend bei mir, zum Dank dafür die Brust mir
Mit einer Kugel Blei beschwert, dann komme
Die Unklugheit auf meine Rechnung, Herr.
Thut mir die Liebe jetzt und tretet hier
Herein.
Don Alonso.
Wohin?
Don Juan.
Nur in den nächsten Vorsah
Don Alonso.
Unmöglich, wenn ein einzig Licht darin.
Denn hättet ihr erst mein Gesicht erblickt,
So stiesst ihr, statt Almosen mir zu geben,
Den Degen in die Brust mir.
Don Juan.
Wie? ich euch?
Was hättet ihr denn wider mich verbrochen?
Don Alonso.
0 meine Thränen drängen sich hervor.
Don Juan.
Hört denn ein Wort von mir, Herr, wer ihr seyd.
Und wenn ihr gar mein eigner Bruder wärt,
Der gegen mich das undankbarste
Geschöpf, das Gott je schuf, gewesen, dennoch
Riss' ich das Blut mir aus den eignen Adern,
Eh' ich euch sollt' in Armuth sehn, denn ich
Stand einst in seinem Haus in solchem Elend,
Dass, seh' ich einen armen Edelmann,
Mir ist, als ob's mein Eingeweid zerrisse.
Don Alonso.
Und meines, Bruder, soll dies Wort ertragen?
Ja, ich bin Don Alonso! sieh, ich komme.
134 Das spanische Drama.
ver der Katastrophe ^) den der Exposition zum poetisch - dra-
matischen Austrage bringt, oder als dessen, mithin als sein eige-
ner Wechselbalg daherschlenkert, um sein unmenschliches, un-
natürliches und ruchloses Verhalten gegen deti Bruder, ganz ge-
niüthlich, als ob nichts zwischen ihnen vorgefallen wäre, aus un-
serem und aller Betheiligten empörtem Innern wegzulächeln mit
einem textgetreuen, nach Lodge's Erzählung der Celia und ßosa-
liude abgestatteten Berichte: wie er im Ardennerwalde einge-
schlafen, und wasmaassen er unfehlbar von einer grüngoldnen
Schlange nebst Löwin, die ihn beide beschlichen, verspeisst wor-
den wäre, wenn ihn sein Bruder Orlando nicht von den ungebe-
tenen Gästen befreite. Auf welche Sühne hin Oliver seinen Bru-
der Orlando, dem er sich tödtlicher und verderblicher, als Schlange
und Löwin zusammengenommen, erwiesen — ohne weiteres auf-
fordert, für ihn um Aliena's (Celia' s) Hand zu werben, die ihm
diese denn auch, leichten Herzens, gewährt, dem „unnatürlichen"
Bruder, den sie in den ersten Acten, ob dieser durch keinerlei
entsprechende Genugthuungsreue gesühnten „ünnatürlichkeit", ver-
abscheut hatte. Ueber dem im Walde eingeschlafenen Oliver der
Katastrophe ist — magnus dormitat Homerus — zugleich der
grösste aller dramatischen Dichter, und vielleicht nur dieses ein-
zigste Mal in seinen Dichtungen, selber eingeschlafen. Oliver, am
Schluss des Lustspiels „Wie es euch gefällt" ist eine vereinzelte Aus-
nahmsfigur unter Shakspeare's gebranntmarkten Verbrechern, das
einzige Subject, dem zuletzt Lodge's Novelle als Zettel aus dem
Munde springt, wie es uns nicht gefällt. Doch getrost! Die
Schlüsselchen zu diesem Shakspeare-Eäthsel tragen- wir in der
Dass du an mir die volle Eache nehmest.
Sieh hier zu deinen Füssen mich, Don Juan!
Don Juan.
Herr meiner Seele! Und ihr solltet liegen
Zu meinen Füssen? Nein, ich zu den euren!
Tretet herein! Dies Haus ist euer Haus.
0, ihr um diese Stund* auf offner Strasse? . .
Kommt, kommt, mein Bruder.
Don Alonso.
Herr, die Thränen sprechen.
1) IV. 2. -
Lope's Alonso und Shakspeare's Oliver. 135
Tasche und werden, wilFs Gott, seinerzeit den krausen Bart im
Gewinde, Gefieder und Gesperre des ßäthsel-Schlosses nicht er-
folglos wirken und die Eiegel heben lassen.
Durango meldet die vom Vicekönig befohlene Verhaftung
des Marques AI ej andre, weil derselbe dem Don Juan nach
dem Leben trachte. Die im Vorsaal des gräflichen Palastes spie-
lende Schlussscene bringt Alles in's Gleiche. Der Vicekönig
erscheint als Vicegott aus der Maschine und als Knotenlöser mit
Marques Alejandro, Alexander und Knoten in Einer Person. Von
Amtswegen schlägt der Vicemaschinengott den Betheiligten vor:
„dass man zum Frieden sich die Hände reiche." Dona Co stanz a
reicht die ihrige dem DonAlonso und der Marques die seinige
der Dona Ines. Don Juan richtet das vorletzte Schlusswort
an den Zuschauer-„Senat": „So schliessen sich die Blumen des
Don Juan." Die Gräfin das letzte:
,,Euer Gnaden irren sich; der Dichter meint,
Eeichthum und Armnth wechseln die Rolle,
Und dieses sey des Stückes bester Titel."
Ein Stück in Stücken; aber jedes Stück ein Stück Gold oder
doch ein Goldstück. Ein Blumenstück, die Blumen lose in einer
Vase vereinigt, gemalt von einem Huysum oder Velasquez der
spanischen Komödie. Ein Glückswechselspiel geschüttet aus For-
tuna's goldnem Hörn, dem die Glückgüter wie der Sternschnuppe
die Funken entsprühen, und als erdige trübe Aerolithen nieder-
stieben — aus der Glücksgöttin Goldhorn nämlich und aus dessen
unter die Sterne versetztem Himmelszeichen: Giesskanne der Stern-
schnuppen, — dieweil die Meteorsteine, in die sich Lope's Füllhorn-
. Sternschnuppe auflöst, in einen Juwelenregen sich ergiessen. ^)
1) Das lockere Gefüge dieser Komödie, die fehlerhafte Vertheilung
und das Auseinanderfallen der gut erfundenen Incidenzen und Situationen
rügt auch der spanische, mehrgenannte tapfere Kritiker, Don Alberto
Lista; En esta comedia, que fue unas de las primeras de Lope, pues
se halla en la lista del 'Peregrino en su patria' se observa mas que
en otra alguna la pesima distribucion de los incidentes, que echa ä per-
der un escelente asunto. AI mismo tiempo que se admira su invencion
en multiplicas situaciones, se siente que no las hubrese unido todas ä un
principio, ä tina invencion comun. Leccion. p. 182. Von der letzten meister-
haften Scene zwischen den beiden Brüdern bemerkt Lista, dass in dersel-
j^35 Das spanisclie Drama.
Carlos el Perseguido (der verfolgte Carlos).
Diese Komödie wirft den Vorschatten zu dem ehebrecheri-
schen Liebesmotive in Lope's Drama, *Castigo sin Venganza'.
Nur bleibt im „Verfolgten Carlos" die ehebrecherische Liebe
einseitig, ist auch keine blutschänderische, und beschränkt sich
auf das Gelüste der Frau Potiphar, das aber auch insofern bei der
blossen Einschichtigkeit es bewenden lässt, als es nicht einmal durch
eine vom Erfolg gekrönte Anklagerache ihre Lust an dem keu-
schen Joseph dieser Komödie, am Titelhelden Carlos, büsst,
indem der Gemahl unserer Frau Potiphar, die sich, wie in der
„Eachelosen Straf-Comedia" , Casandra nennt, den von ihren
verleumderischen Anklagen verfolgten Joseph oder Carlos, an-
statt ihn zu bestrafen, mit Gunstbezeugungen und Ehren auszeich-
nungen belohnt, infolge dessen die Komödie vom verfolgten Car-
los gewissermassen den Titel des Castigo sin Venganza umkehrt
und sich in eine Comedia: Venganza sin Castigo, „Rache ohne
Strafe" oder „rachelose Eache", umstülpt; ganz anders noch,
als wir diese Polypenumstülpung von der Komödie mit
tragischem Ausgange, 'Castigo sin Venganza', an sich selber werden
vollziehen sehen. Kurz, unsere Frau Potiphar- Casandra, die
Gemahlin des Herzogs von Burgund, wird, durch das ganze
Stück hindurch mit ihrer Potiphar-Klage vom Herzog-Gemahl
abgewiesen und auf die drei ersten Buchstaben der Potiphar, auf
den Pot, gesetzt. Der Verfolgungs-Process wegen ehebreche-
rischen Conats, der Joseph-Potiphar-Process , verläuft nun so:
Carlos ist der Günstling des Herzogs von Burgund, dessen
Gemahlin Casandra darauf brennt, seinen Günstling zu dem
ihrigen zu machen. Nun ist dieser seit sieben Jahren heimlich
mit des Herzogs Schwester, Leonor, verwittweten Herzogin von
Cleve, vermählt; ein Umstand, der dem Carlos die keusche
Josephsfahrt nicht unerheblich erleichtert, so dass Herzogin-Po-
ben nicht von Fehlern, Mängeln, Verstössen gegen die Kegeln die Rede
seyn könne. In dieser Scene sey vielmehr Alles und Jedes auf's Voll-
kommenste durchgeführt, gehalten und vollendet: 'En esta escena no hay
que hablar de defectos ni de faltas de reglas ni de nada, todo esta per-
fectamente sostenido y desempenado." p. 188.
Lope de Vega's Potiphar-Komödie 'Carlos el Perseguido'. [37
tiphar nicht blos nichts von seiner leibhaften Person, sondern auch
nicht einmal ein Stück von dem, was er am Leibe hat, nicht
einmal das corpus delicti, seinen Mantel, in Händen behält, schon
deshalb nicht, weil er ihn zum Bedecken und Verhüllen seiner
Geheimehe mit Prinzessin Leonor, des Herzogs Schwester,
braucht. Die heimliche Ehe seiner Schwester mit seinem Günst-
ling, Carlos, bleibt für den Herzog so ahnungslos verborgen,
dass er Leonoren's Hand dem um sie werbenden Grafen Ludovico
zusagt, und als Morgengabe die vom Eidam in spe ihm angebo-
tene Uebernahme der Kriegskosten im Kriege gegen Frankreich
mit Vergnügen annimmt, die Hochzeit bis nach Beendigung des
Krieges und nach Zahlung der Kosten verschiebend, mit dem Vor-
behalt, dass Ludovico's Bewerbung um Leonor bis dahin
ein Geheimniss bleibe. Der Prinzessin geheime Brautschaft geht
Hand in Hand mit ihrer, der parallel geheimen, Ehe, nur dass sie
in dieses Geheimniss eingeweiht ist, in jenes aber nicht. Selbst-
verständlich geht der erste Act nicht zu Ende, ohne dass Ca-
Sandra- Potiphar mit ihrer Conatklage bei dem Herzog-Gemahl ab-
fällt, der den knieend seine Unschuld betheuernden, und auf seinen
umgehängten Mantel, als unverwerflichsten ünschuldsbeweis, sich
berufenden Günstling emporhebt und in die herzoglichen Arme
schliesst, den Mantelträger seiner ungeschmälerten Huld und
Gnade und den Mantel selbst seines unerschütterlichen Vertrauens
in die Unschuld des Trägers versichernd, so lang ein Faden an
ihm ganz ist. Dem Abpaarungs-Parallelismus zulieb kommt noch
ein zweiter Bewerber um Leonoren's Hand, Caballero Feliciano,
zum Vorschein, der seinen Mitbewerber, Ludovico, wenn nicht
bei der Prinzessin, jedenfalls in der Gunst des Publicums, durch
die erfreuliche Scene aussticht, zu welchem seine Wonne über
die von Leonor ihrem heimlichen Gatten für dessen Liebessonett
gespendeten Gunstbezeugungen Veranlassung bietet, welche Gunst-
bezeugungen Don Feliciano als Liebespfänder an seine Kappe
steckt, eine Narrenkappe vom selben Zeuge, woraus Malvoglio's
Kappe geschnitten ist.
Was uns überraschen muss, ist des Herzogs von Burgun d
gunstfreundliche Entgegennahme des von Carlos ihm vor Thor-
schluss des zweiten Actes abgelegten Geständnisses betrefi's
der Geheimehe mit seiner Schwester Leonor. Warum — so
138 ^^^ spanische Drama.
fragen wir uns — dieses hermetisch mit sieben Siegeln verschlos-
sene Geheimniss, und zudem noch angesichts solcher gefährlichen
Potiphar-Angriffe auf Leib und Leben, so ängstlich bei dieser
holdseligen Gemüthsbeschaffenheit des Herzogs bewahren, zumal
dasselbe unter der Aegide des Landesgesetzes steht, wonach eine
burgundische Wittwe, und wäre sie eine Königin, eine zweite Ehe
mit jedem beliebigen Manne eingehen könne, von noch so niedri-
ger Herkunft und Stellung, und selbst mit ihrem Bedienten! 0
Ueberraschen muss uns ferner die Ohrfeige, die der Narr 'Coco',
im Auftrage der vom Schicksal verfolgten statt verfolgenden, es
nicht einmal zum Schicksal einer Potiphar zu bringen vermögen-
den Herzogin Casandra, dem Carlos vor allen Hofleuten ge-
ben soll, und die der Narr, statt dessen, der hohen Auftraggeberin
steckt. Vielleicht aber auch dies inkraft einer burgundisch landes-
gesetzlichen Bestimmung. Prudencio, Feliciano — die her-
zogliche Potiphar in der Tinte hetzt die Beiden, hetzt das ganze
Theaterpersonal gegen Carlos — Alles umsonst. Dem Pru-
dencio geht Carlos so liebenswürdig um den Bart, dass er
aus einem von Casandra auf den verfolgten Carlos gehetzten
Jagdhund ein liebkosendes Windspiel wird, das dem Carlos Hände
und Füsse leckt. Feliciano, aufgehetzt von Casandra, un-
sern Carlos beim Herzog, ihrem Gemahl, als eines gegen ihn
beabsichtigten Vergiftungsversuchs anzuklagen — Feliciano ent-
deckt die Anstiftung dem Herzog, nicht den Vergiftungs- An-
schlag. Eine verunglücktere Potiphar mit so vielen Josephsmänteln
in Händen, wie Herzogin Casandra, hat die Theatergeschichte
nicht aufzuweisen. Ihr Potiphar -Pech ist jetzt schon maasslos,
zum Verrücktwerden vor fehlgeschlagener Verfolgungswuth, wie
erst, nachdem sie vom Herzog Namen und Person von Carlos'
heimlicher Ehehälfte erfahren! Sie verfällt nicht nur selbst in Ei-
fersuchtsdelirien und Wuthausbrüche , sie steckt auch Carlos' Gat-
tin, verwittwete Herzogin von Cleve, geborne Prinzessin von Bur-
gund, mit einer der improvisirtesten Eifersuchtsrasereien der 4)a-
nisch-burgundischen Bühne an, mit einer Eifersuchtstollwuth, die
beiderseits dahin gedeiht, dass die zwei Candidaten des Eifer-
suchtstollhauses um das Vorrecht kämpfen, den Sprössling von
1) Por humilde que fuese, o su criado,
Eingeständniss. 139
Carlos und Leonoren's heimlicher Ehe, deren Geheimsöhnchen
Grimaldico, als Bacchantinnen des Eifersuchtswahnsinns, mit
den Zähnen zu zerreissen. Den Wetteifer schlichtet der vom
Kriege, den er für den Herzog auf seine Kosten geführt, zurück-
gekehrte Ludovico, durch freiwillige üebernahme der Ermor-
dung des kleinen Grimaldico aus Eifersucht auf Carlos, der
ihn um die Kriegskosten und um Leonoren's Hand gebracht. Nun
folgt ein Monolog des wegen seines unfindbaren Kindes sich zu-
tode ängstigenden Vaters, und auf den Monolog eine Glückselig-
keitsscene zwischen dem Vater und dem aus seinem Versteck
hinter dem Gebüsch plötzlich als kleiner Ziethen aus dem Busch
ihm entgegenspringenden Söhnchen, — ein Monolog, eine Scene,
an sich beide von ergreifend, von erschütternd schöner Wirkung,
aber leider eben nur an sich, und auf ihre Herbeiführung, Mo-
tivirung bezogen, in das Gegentheil solcher Wirkung, in die Pa-
rodie des ganzen Stückes umschlagend. Ist der Harlekin, den der
Taschenspieler unversehens aus der Pastete springen lässt, darum we-
niger ein Harlekin, wenn er im tragischen Costüm vonSchiller's altem
„Moor" z. B. aus der Pastete springt? Und die Pastete weniger
Pastete? Und tranchirt und zerlegt, nach dem Harlekinssprung,
die Pastete weniger nicht sowohl ein Mahl für Götter, als für deren von
Brutus ihnen substituirten Stellvertreter, — um nicht auf Götter, aus
Respect vor dem Dichter, zu reimen: Köter? Den Harlekins-
sprung krönt die erst zu allerletzt am Ende aller Enden erfolgte
Entlarvung der Herzogin Casandra, die aus ihrer unglückse-
ligen Potiphar-ßolle von Anfang bis Ende fällt ohne jegliche
Larve. Nach der Entlarvung wird sie vom Herzog, ihrem Ge-
mahl, verbannt, dessen Stirnschmuck das bleibt was er ist, war
und seyn wird, wenn er auch die ihm von seiner nothgedrungenen
Diana von Carlos' Gnaden mit Verfolgungshunden angehetzten
Aktäonshörner wie Theaterdolche beliebig ein- und ausschieben
kann, oder als Hörner eines Cocu-Maskendominos zurückziehen
und emporschnellen, und deren Glöcklein das ihm von M. Enk
gespendete Lob „selbstbewusster Milde und Würde" ^) ausläuten
und ausklingeln lässt. Endlich wird auch vom milden und wür-
devollen Herzog seines Günstlings, Carlos, landesgesetzliche Ehe
1) Studien über Lope de Vega S. 21.
140 I^^s spanische Drama.
mit Leonore von Burgund öffentlich anerkannt, und Carlos
zum ßeichserben eingesetzt.
Los Teiles de Meneses.
So oft Lope den landschaftlichen Grund des idyllischen Dra-
ma's betritt, verstärkt, verjüngt sich seine dichterische Kraft, dem
Baum im Frühling vergleichbar, der, frisch aufgrünend aus safti-
gem Erdreich, in thauiger Blüthenschönheit glänzt, wie ge-
schmückt mit Krone und Hermelin. Seine Dilogie: Los Tel-
los de Meneses, rechtfertigt das Gleichniss nach beiden Sei-
ten: Sie blüht in maienhaftem Naturschmuck, und prangt, durch-
flochten von königlichen Kleinodien,, zugleich auch als jene Pla-
tane, deren Aeste der persische König mit seiner goldnen Hals-
kette umwand; oder als einer von den Juwelen tragenden aus
gediegenem Gold und Silber ciselirten Bäumen im Palastgarten
des alten peruanischen Kaziken. ^) Ja Lope's ländliche Dilogie
konnte im Doppeiglanze jener zwei von Montavilla in seiner Rei-
sebeschreibung geschilderten Paradiesesbäume zu blitzen schei-
nen: des „Sonnenbaums" mit goldenen und des „Mondbaums" mit
silbernen Blättern: so aber, dass der Mondbaum durch den Son-
nenbaum sich epheuartig schlänge, und die Blätter abwechselnd
gold- und silberglänzig, wie Zwischgold, flimmerten. Doch wozu
in's Weite schweifen? Sprosst doch Lope's pastorale Baum- und
Königsdilogie aus demselben Boden, worin der urmythische Hespe-
ridenbaum mit den goldenen Aepfeln wurzelte, durchschlungen
von dem gekrönten goldschuppigen Königsdrachen. Und wäre
dieser Baum auch nur ein Orangenbaum gewesen, so darf er
doch, selbst nur als solcher, vermöge der Gleichzeitigkeit seiner
Silberblüthenfülle und Früchtegoldpracht — jeder Apfel ein Reichs-
apfel — darf er doch, bezüglich unserer Doppelmetapher, für voll
gelten: duftige Naturblüthe, und durch das dunkle Laub der
Goldorangen Glühen, wie jenes Hesperidendrachen Kammkrone
durch das Gezweige glühte, und wie der Orangenwechsel durch
zumale Gemeinsamkeit von Frucht und Blüthe, so erscheint in
Lope's Doppelkomödie Alles dilogisch, gleichsam als vervielfältig-
1) Gesch. d. Dram. III. S. 528.
Lope's Com. Los Tellos de Meneses. |4l
tes Abbild dieser Gemeinsamkeit. Dilogisch im Ganzen und Ein-
zelnen : Als ursprünglich unbeabsichtigtes Komödienpaar i),
wo denn der erste Theil den zweiten wie naturwüchsig aus sei-
ner Wurzel — will sagen aus der Doppelwurzel des spanischen
Parallelschemas — hervorgetrieben hatte. Dilogisch: durch die
beiden Tello's, Vater und Sohn, und das Widerspiel ihrer
Charaktere: der Vater, ein Bauer-Krösus, ein fürstlich begüterter
Edelbauer, ein Gothe vom alten Styl, in seinem Haushalt, in
Tracht und Lebensweise, bis zum Geize, Knauser und Sparer,
und strenger Knapphalter seiner Leute ^) ; in grossen Dingen aber,
wo es gilt, Bauernadel, Hausehre, Reichthum und Ansehen in
festlichen Glanz zu setzen, ein König in Freigebigkeit und Pracht-
liebe auf seinem anderthalb Meilen umfassenden Eigenheimwesen
und Grundbesitze. Der Sohn, verschwenderisch, schmuckjunker-
lich, putzsüchtig, ein bauernritterlicher Majo und Stutzer-Galan
nach städtisch-höfischem Zuschnitt ^), ein modischer Villano-cabal-
lero, ein geschniegelter labrador-fidalgo, sich brüstend mit seinem
1) In tomo XXI. der 'Comedias' des Lopa schliesst das Stück 'Los
Tellos de Meneses* ohne Hinweis anf einen zweiten Theil.*) — 2) Den
Knecht Silvio peitscht er ans dem Hause, weil er ihm ein Ferkel mit
drei Beinen zurückgebracht, das vierte Bein also dem Ferkel abgeschnit-
ten und gefressen habe. Auf dem Fusse folgt diesem Ferkelbeine ein Al-
mosenritter, der den alten Tello um eine Beisteuer zum Bau einer Kirche
angeht. Noch heiss vom Durchpeitschen seines Knechts wegen eines Fer-
kelbeins, bewilligt der alte Pfennigfuchser aus splendider Freigebigkeit
3000 Ducaten zum Kirchenbau.
3) vestido ä lo cortesano.
*) — aqui la historia acaba
De los Tellos de Meneses
Godos de la antiqua Espana.
Ein Beweis, merkt Hartzenbusch , der Herausgeber von Lope's Comed.
escog. in der Bibl. de Art. Esp. (t. 24) an — Ein Beweis, dass Lope bei
der Abfassung dieser Comedia an keinen zweiten Theil dachte („lo, que
prueba, que quando la escribio, no pensaba en segunda parte*'.) Erst in
neueren Ausgaben findet man die zwei Verse zu obigem Schluss hinzu-
gefügt;
Hasta la segunda parte
Que refiera sus hazanas.
142 I^as spanische Drama.
Adel durch die Mutter und mit seiner altgothischen Abstam-
mung durch den Vater. ^) Zu diesem dilogisch-landschaftlichen
Gegenbilde von Vater und Sohn 2) giebt der altgothische König
Ordono von Leon mit seiner Tochter Prinzessin, der Infanta
Dona Elvira, das dilogisch-königliche Seitenpaar ab. Die In-
fantin soll and en Mohrenkönig, Tarfe, sich vermählen, den sie
verabscheut.^) Sie entflieht, verdingt sich als Magd Juana, im
Hause des Tello , knüpft ein Liebesverhältniss mit dem schmucken
Bauerjunker, Tello, an, wird vor der Hochzeit seine Frau im
dilogischen Liebeszwangwege'*), dem König Ordono Vater, der
sie, als Tischgast des alten Tello, an ihrem Einge erkennt, mit
seinem väterlichen Segen die gesetzliche Weihe ertheilt. Das
erste Stück der Dilogie mit einer Verbindung schliessend, die im
zweiten wieder dilogisch auseinanderfällt, wo denn das ungleiche
Ehepaar dem endgültigen Komödienaustrage zulieb, wie das Zwie-
stück zu Einem Stücke, sich zu jenem Einen Leibe wieder gattet,
den Mann und Weib vorstellt, der aber in unserer Dilogie im-
1) — aunque Tello nii padre
Es labrador, por mi niadre
Hidalgo y noble iiacij
Y el en toda la montana
De Leon sierapre ha tenido
Fama de ser bien nacido
Y de los godos de Espana.
2) Das der Knecht und Gracioso Mendo der als Bäuerin verkleideten
Infanta contrastirend schildert (II. 2):
Y asi, en cita casa agora
TeUo el viejo es agro y Tello
El mozo es dulce.
,,So süss*' — malte Mendo das Bildniss des jungen Tello aus — ,,so
süss, dass er den Weibsen wie Zuckerteig schmeckt, die auf ihn, wie die
Fliegen, erpicht sind'*:
Es un mancebo galan,
Que puede servir de alcorza,
Tan dulce, que algunas hembras
Se le Uegan como moscas.
3) Infanta. Primero pudiera ser
Volverse gloria el infierno
Que ser de Tarfe mujer.
4) Inf. — Tello me hizo fuerza.
Gegen bilder von Yater und Sohn; Vater und Tochter. 143
mer nur der einheitliche Scheinleib bleibt, den ihr Charakter
bedingt.
Das Zweitheilige bewährt sich nicht blos in den üblichen
übers Kreuz gespannten Eifersuchtsdoubletten, hier von Mendo,
der sich um Juana's (Infantin) Liebe bewirbt, und von Laura,
des jungen Tello Base und präsumtiver Braut, vertreten — das
dilogisch Zweitheilige erstreckt sich selbst auf Episoden und Li-
cidenzen. Findet etwa der von ihrem Begleiter auf der Flucht,
dem Hofcavalier, DonNuno, anderinfanta verübte Juwe-
lenraub ^) nicht sein dilogisches Ergänzungsstück in dem Eaube
des zugleich kostbarem, weil unersetzlichen Ehrenschmuckkäst-
chens, den der junge Tello an der vermeinten Juana (Infanta
Elvira) auf einem Lustritt mit ihr, in einem „dichtverschlunge-
nen Waldgehege", begeht? 2) Theilt Hofcavalier Don Nuiio
nicht seinen dilogisch-parallelen Raub mit dem Dorfcavalier
Tello, wenn er Dona Elvira's Schmuckkästchen für sich behält,
und diesem ihr unschätzbarstes Schatzjuwel überlässt, das Infan-
tinnen so verheimlichen, so heilig wahren, wie ßahel ihre Haus-
götter, worauf sie, um unahnbar sie zu bergen, sass? Die Ein-
zigperle (unio) in des Magdthums Venusgürtel, die jene Cleopa-
traperle und die Peregrina-Perle von Grösse eines Taubeneis in
Philipps IL Krongeschmeide an Werth und Seltenheit überstrahlt,
kurz, ein Kleinod, das Kaiser Augustus' Vater an seiner Frau im
Traume als Sonne hat leuchten sehen. ^) Und dies spart der bie-
dere Hofcavalier Nuno, eine Tereus-Anwandlung 4) bekämpfend,
dem jungen Tellö auf, der dilogischen Zweitheilung zugefallen,
die auch der Ring symbolisch andeutet, den Nuno aus dem
geraubten Schmuckkästchen nimmt und ihn der Prinzessin, die
1) I. esc. VII. — 2) — aquella intrincada selva (III. IV.) Darauf
beziehen sich die schon angeführten Worte der Infanta: 'Tello me hizo
fuerza'. — 3) Somniavit et pater Octavius utero Atiae jubar solis exortum.
Suet. Aug. CXCIV,
4) Que en esto monte pudiera
Dando lugar al deseo,
Hacer que del vil Tereo
Menor la tragedia fuera
Y esta montana tuviera
Otra Filomena hermosa.
144 Das spanische Drama.
darum gebeten, in aller Ehrerbietung zurückgiebt, sich mit den
übrigen Schmucksachen eiligst entfernend, um nicht, wie er mit
einem tiefen Abschiedsbückling ausdrücklich bemerkt, gegen den
der Infantin schuldigen Kespect zu Verstössen, i) Es ist derselbe
Ring, den König Ordono, an der Speisetafel des alten Tello,
dem er für ein Anlehen von 100,000 und ein Geschenk von
50,000 Ducaten sich verpflichtet fühlt, mit einem Bissen aus ei-
ner für ihn eigens zubereiteten Schüssel zwischen die Zähne be-
kommt 2) ; derselbe Ring , woran der König seine todtgeglaubte
Tochter erkennt, und derselbe, der die ohne Zustimmung des
königlichen Vaters geschlossene Nothehe als legitimirender Ehe-
ring gesetzlich weiht.
Welchen Ehering aber König Ordoilo's Sohn und Nachfolger,
Alfonso IIL, nach neun Jahren, wieder zerbricht; den Ring
figürlich; die Ehe wirklich und thatsächlich ; die Ehe seiner
Schwester, der Infantin Elvira, mit dem Ackerbauernsohn, dem
mit goldner Pflugschaar pflügenden Korn- und Hafer-Prinzen,
Tello de Meneses. Mit dem Ehering bricht die Comedia selber
l) Que voy liuyendo de ti
Por no perderte el respeto.
An diesem Hofcaballero rächt Lope die Beraubung einer Infantin fürch-
terlich. Nach einem Monolog im Walde voll Gewissensbissen im hohen
tragischen Styl*), wird Don Nuiio von M endo 's auf einen Bären abge-
schossenen Bolzen getroffen und getödtet. Mendo findet den von Nuno
kurz vorher vergrabenen Juwelenschmuck der Infantin, die ihn durch
Mendo zurückerhält. — 2) (Va el Key ä comer y topa con la sortija en
los dientes.)
*) En mis imaginaciones
No hay rama en esta ocasion
Que no sea un rey de Leon
Y cada rey mil leones.
Lo que me da mas cuidado
Son las joyas, enemigos
Que han de servir de testigos .
(Dan voces dentro.)
Gritos dan. Todo me asombra;
Que espanta su misma ombra
A quien dice y hace mal.
Erkennungsring. 145
in zwei Stücke, deren dilogisch zweites wir eben in der 'segunda
Parte' de los Teiles de Meneses vor uns haben, welche segunda
Parte ihrestheils wieder in noch einen zweiten Titel zerbricht:
'Valor, Fortuna yLealtad'. i) Während der neun Jahre
wurde die Ehe des königlichen Bauerschwagers mit zwei Spröss-
lingen gesegnet» Der ältere zählt acht Jahre, der zweite kaum
so viel Tage, und harret seiner Taufe, die der alte Tello so
prächtig vollzogen wissen will, dass man von der Herrlichkeit in
Leon erzählen soll, als von einem Wunderereigniss. 2) Den Hass
des kinderlosen Königs Alfonso gegen die Schwester und ihre
Sippschaft schürt Conde Don Arias, Einer von den Oberhof-
leibohrenbläsern der Könige im allgemeinen Theater-Inventarium.
Don Arias legt einen besondern Accent auf die Nachfolge, und
kitzelt sich an des Königs Schauder vor dem Gedanken, dass ein
Tello Thronerbe sey. ^) Der von Mendo überbrachte Brief des
alten Tello sammt dessen Geschenk, bestehend in zehn der pracht-
vollsten Hengst- und vier Stutenfohlen, die Phaeton an den Gala-
Sonnenwagen spannen durfte *) , steigern des Königs Widerwillen,
anstatt ihn zu besänftigen. Und mehr noch die sechs Saracener-
schwerter, die zehn goldgeschirrten jungen Hengste und zwanzig
Schilde mit den Wappen von Castilien und Leon, die der junge
Tello seinem königlichen Schwager durch Mendo zuschickt. Höh-
nisch fertigt König Alfonso die Boten ab, empört ganz beson-
ders über des alten Tello dreiste Ansprache im Brief, der den
1) „Tapferkeit, Glück und Treugesinntheit". Diese Ueberschrift fand
Hartzenbusch in dem von ihm, behufs Neudruckes für die Bilbl. des Riva-
deneyra benutzten Exemplar alter Ausgabe ohne Jahreszahl und Druckort.
In späteren Ausgaben lautet der üeberschriftstitel: 'Valor, Lealtad y
Ventura (Glück, Abenteuer) de los Tellos de Meneses'. (Teatro de Frey
Lope de Vega Carpi. z. B. t. HI. No. 144.)
2) Que el bautismo se celebre
De manera, que se escriba
Por cosa rura en Leon.
3) jUn pobre labrador, senor de un valle,
Con dos hijos que heredan mi corona,
Y yo sin ellos!
4) Que los pudiera poner
AI carro de oro Faetoüte.
X. 10
146 I^as spanisclie Drama.
gekrönten Bruder als „Sohn" zu begrüssen wage. ^) Conde Arias
tröpfelt Oel in's Feuer mit Aparte's, die den Grund und Boden
schmecken lassen, wo die Oliven zu diesem Oele wachsen. ^) Sein
Oel in's Feuer träufelt zugleich Tello's letzte Oelung, sein, Don
Arias', Salböl.
Noch vor erhaltenem Rückbescheide auf seinen Brief an
den König verwünscht der Alte in einer Zankscene mit dem
jungen Tello, wegen der kostspieligen Kutsche, die derselbe
für seine königliche Gattin angeschafft — verwünscht der Alte
jedes Obenhinaus, jede Eangsucht über den eignen Stand hinaus
mit einer idyllischen Begnügsamkeits- und Stilleben-Philosophie,
wovon seine Variante über Horazen's 'Beatus ille' bereits in der
ersten Hälfte unserer Dilogie die unverwerflichste Probe geliefert
hat. ^) „Ah Tello !" seufzt in der zweiten Hälfte als Nachhall des
Beatus ille der alte Schwiegervater einer Königstochter und Kö-
nigsschwester, der die paterna rura mit dem goldenen Kalbe exer-
cirt, und, unbeschadet des Beatus ille, sich doch im Herzen ob
der Königskrone kitzelt, die er in sein altgothisches Familien-
wappen aus den Schollen hervorgeackert bobus suis. „Ah Tello,
wollte Gott" — ruft er — „dass wir beide in diesem von Wein-
reben umlaubten Gemäuer traulich umfriedet, und ohne Kö-
nige ausruhen möchten!" Und rückt dem Sohne die alte Er-
fahrung nah, „wie Hochmuth stets dem Falle vorausgehe, und
wenn er die Sohle dem Mond auf die Stirne setzte." Selbst die-
ses Gleichniss zeigt, dass der alte Tello noch mondsüchtig höher
hinaus will, als der Sohn; und nebenbei beweist das geistreich
1) iHijo me llama ä mi Tello insolente!
2) jOh Elvira! muerto Tello, seräs mia.
Y a pesar de las partes mas contrarias
Key de Leon Don Arias.
0 Elvira! Stirbt Tello, wirst Du mein.
Und, trotz gehässig feindlichster Part ein,
Wird Don Arias Leons König seyn.
3) Esc. VI. Der epodische Monolog beginnt:
jCuan bienaventurado
Puede Ilamarse el hombre
Que con escuro nombre
Vive en su casa . . .
Der alte und der junge Tello, 147
glänzende Bild, womit er in Parenthese obigen, dem Mond in's
Gesicht versetzten Fusstritt erläutert: dass der Bauer als Millio-
när auch über das Gehege seiner Standesbildung hinausgeilt,
worin er in den Mondflecken die Tapfen erkennt, die des vom
Glücke Begünstigten strebsüchtiger Fuss zurückgelassen, i) Es
könnten — so meint unsere Parenthese — es könnten wohl
eher jene Mondflecken von Köpfen wie der Deinige, altgothisch
stolzer Meneses! herrühren, von Köpfen, die im Mond eine Krone
erblicken, auf die ihr hochstrebender Scheitel — wie der Lerchen-
falk auf die sonnentrunkene Lerche — stösst, oder wie der lyri-
sche, Sternensüchtige Dichter auf die Sterne : sublimi feriam sidera
vertice! So krönen- ja Überkronenstolz klingt des alten Tello
hochfliegende Selbstbescheidung, wenn er, nach Mendo's Be-
richt über König Alfonso's Aufnahme von Brief und Geschenken,
ausruft: „Kinder und Enkel, ihr erfreut euch eines Vermögens
und Grundbesitzes, dass ihr als Könige leben könnet, ohne Kö-
nige zu seyn. Auf! Nicht ist mehr Wartens Zeit. Heute noch
soll Ordono" (der neugeborne Enkel, der Infanta zweites Söhn-
lein) „die Taufe empfangen, und sein Bruder" (der achtjährige
Enkel Garci-Tello) „Pathe seyn. Putz' ihn auf, Elvira, und
gürte ihn mit Schwert und Dolch!" 2) Spricht der Alte nicht
1) !Ah Tello! Pluguiera a Dios
Que en aqueste verde muro,
Sin reyes, ä lo seguro
Descansäramos los dos!
Conozco tu gran fortuna;
Pero dime: <sä quien levanta?
Puesta que ponga la planta
En la frenta de la luna
(Que aquellas manchas que ves
Pienso que pisadas fueron
De dichosos, que pusieron
Sobre su rostro los pies.) . . -
2) Mis hijos y nietos ~
Hacienda teneis y tierra
Adonde poseis la vida
Siendo reyes, sin ser rej^es . . .
En, no hay mas que aquardar
10*
148 ^^^ spanische Drama.
als rex denique regum und hüllt er sich nicht, besitzesstolz, in
seinen modrigen Bauernkittel wie in einen Purpurmantel? Und
doch ist dieser alte Tello ein Prototyp des asturischen Edelbauern,
in welchem ein halber Pelayo und ein halber in idyllischem Be-
hagen schwelgender Lope steckt, die zusammen einen ganzen
Kerl und den prächtigsten Helden zu einer dilogisch-landschaft-
lichen Comedia abgeben. Die stolze Grossvaterfreude, die er an
seinem schwertumgürtet so prinzlich daherflunkernden achtjähri-
gen Enkel Garci-Tello hat! Königlich — die Phrase ist
dem Alten aus der Seele gesprochen — königlich freut er sich
über den Jungen, den legitimirten Bastard von Kronprinz und
Zwiebelkönig! Der Patriarch von altem Ducatenmann, der auf die
Könige s . . . aber Ducaten, hängt dem halbprinzlichen Enkelchen
eine goldene Kette um und setzt ihm ein Jahrgeld von tausend
Ducaten aus für seine Garderobe. ^) Bei allen drei Königen!
Diesem König aller Frei- und Edelbauern fehlt nur ein Alexan-
der, um ihn vom Pfluge weg zum Könige krönen zu lassen; wo
der Alte nicht selber an Hochsinn ein Alexander ist, ein König-
macher im dritten Gliede mindestens, wie uns eben Garci-
Tello zeigt und noch zeigen wird. Pocht der kleine Säbel-
schlepper doch jetzt schon, beim Taufzuge aus der Kirche, auf
die Brust, dem Pfarrer, der den Tello's wünscht, dass ihre
Enkel Könige von Spanien werden, goldne Perspectiven eröffnend :
„Wenn ich König wäre, würde ich den Pfarrer zum Erzbischof
machen." 2) Der Heimzug wird auf dem Wege zum Kindtauf-
schmause von einem Getös unterbrochen, das die Ankunft des
Königs, in Begleitung seines Fuchses mit dem Büschel Ohren-
flöhe in der Schnauze, des Conde Arias, ankündigt,
König Alfonso tritt daher, wie der Löwe, der da sucht,
wen er verschlinge. Wenn nicht zerreissend gerade, so legt er
Hoy Ordofio se bautiza:
Sea padrino su hermano,
Vistele de gala, Elvira,
Y cinele espada y daga.
1) Mil ducados os senalo
Cada ano para vestiros.
2) Cura. Flegue a Dios
Absoluter Höflings-König. 149
doch die Tatze an die Schwester-Infanta, um sie dem Gatten zu
entreissen. i) Sie aber klammert sich an ihre zehnjährige Ehe
mit den Krallen der Weibes- und Muttertreue, die noch stärker
als Löwenpranken 2) , nur nicht — der Juno Lucina sey es ge-
klagt! ~~ stärker nicht als solche Fürstentatzen, die ihre Klauen
in Herz und Seele schlagen. Blutend lässt die Mutter und Gat-
tin ihr Herz bei Mann und Kindern zurück, von tyrannischer
Doppelgewalt entrafft: des Bruders und Königs. Zumal wenn
diesem, auf frischer That, gleich eingangs des zweiten Acts,
nachdem sich selbst zwei seiner Bischöfe, betreffs der Ehe-
lösung, für incompetent erklärt und den König an- den Papst
verwiesen — zumal wenn den Gewaltfürsten sein Ahitophel,
Arias, an den „absoluten" König verweist, den der Monarch zu
vertreten und zu behaupten habeJ) Hei, wie trumpft dem ab-
soluten König der alte Tello auf, der eben mit dem acht-
jährigen Enkel, Garci -Tello, vor Alfonso HL erscheint, und
als Ebenbürtiger*) dem königlichen Schwäher und Oheim die
Veais reyes cstos nietos! . . .
Garci -Tello. Si yo, Senores, reinara
Hiciera al Cura arzobispo.
1) Que, puesto que estä casada
Con Tello, no esta ä mi gusto.
Obgleich vermählt dem Tello, ist die Ehe
Doch nicht nach meinem Sinn . . .
2) Infanta. Si yo quiero ä mi marido,
y el me quiere (^hay ley que valga
Para que me aparte del?
Wenn meinen Mann ich liebe
Und er mich liebt, giebts ein Gesetz,
Das stark genug, um uns zu trennen? . . .
^A que tigre le quitäran
Dos hijos y su marido?
jAh consejos de don Arias!
Welche Tig'rin Hesse rauben
Sich zwei Kinder und den Gatten?
Ha, Rathschläge des Don Arias'!
3) Alias. Si vuestra alteza toma,
Como absoluto rey, el caso ä pechos.
4) Y no es mejor el Conde de Castilla
150 ^^-s spanische Drama.
Leviten liest! Weil er, Tello, als Ackerbauer das Feld bestelle,
sey er darum etwa zu schlecht für so hohe Verwandtschaft? —
Bauern, Hirten, waren auch unseres Herrgotts (Christi) Aelter-
väter. ^) „Gebt mir die Infantin wieder, und ich lass' Euch da-
für meinen Enkel" '^), den kleinen Garci- Tello, das Tüpfel-
chen auf dem I der vom Alten dem Könige gelesenen Leviten,
und der auch schon sein Schwertlein, als seinen Accent, dem
König gegenüber geltend machte. Der König bemerkt: „Da
nimmst Du Dich gut aus mit Deinem Schwerte'', worauf der
kleine Campeador versetzt: „Ich kam zur Welt mit ihm." 3)
König Alfonso geht den angebotenen Tausch ein; er giebt die
Schwester ihrem Gatten wieder und behält dafür den kleinen
Neffen bei sich mit dem Cid- oder Rolandschwert in der
Knospenscheide. Eine Bedingung behält sich der König vor,
die er den alten Tello alsbald werde wissen lassen. Don Arias
kommt und drückt sich, wie ein mit Ricinusöl abgetriebe-
ner Spulwurm, und „geht ab" wie ein solcher, nur dass er
das „Abgehen" infolge des vom König erhaltenen Auftrags, die
Infantin dem alten Tello zu überliefern, noch in einem Aparte:
„ich gehe sterbend ab"^), zu erkennen zu geben zu müssen
glaubt.
Die schriftlich von Mendo überbrachte Bedingung des Kö-
nigs lautet äahin: dass Tello's Ehefrau sich nicht mehr 'Infanta,'
sondern Elvira de Meneses nenne. Freudigstolz ruft Elvira, der
schlichte Name ihres Gatten ehre sie mehr, als der Titel einer
Prinzessin von Leon. ^) Sie kenne keine gTössere Ehre, als Tello's
Que Tello de Meneses. jVive el cielo!
Und beim lebendigen Gott! kein Bessrer ist
Castiliens Graf als Tello von Meneses.
1) Los abuelos de Dios fueran pastores.
2) Dasme la infanta y os dare mi nieto.
3) Rey. Bien pareceis con espada
Garci-Tello. Con ella naci, Senor.
4) Muriendo voy.
5) Que por mas honor lo tengo,
Que el titulo de Leon.
Der kleine Hidalgo. 151
Weib ZU seyn. i) Des alten Tello spanische Königstreue (Lealtad)
beugt den altgothischen Bauernstolz unter des Königs Willen '^),
und beugt, inbetracht seiner psychologisch nicht ganz mit dieser
Unterwürfigkeit vereinbaren, so ansprechend hochgemuthen Hal-
tung dem Könige gegenüber — beugt des Alten Charaktertreue
noch unbedingter und tiefer unter das spanische Parallelgesetz,
dessen Dualismus sich bis in die innersten Motive der dramati-
schen Charakteristik, wie Wurzelfasern in den Felsen, einsenkt
und auch, wie diese den Felsblock, den festesten Charakter
sprengt und spaltet. Nach demselben Formations- und Trans-
formationsgesetze ist der selbstverständlich als todt abgegangene
Spulwurm ^) in seiner ursprünglichen Gestalt als Ohrwurm wieder
auferstanden und beschleicht des Königs Ohr mit dem Käthe,
sich der beiden Tello's, die des Königs Leben durch Anwart-
schaft der Nachfolge gefährden, zu entledigen. 4) Die Unterre-
dung behorcht auf gut spanisch-dramatisch der kleine Garci-
Tello, der, wie mit dem Schwert, so mit dem Schema des spani-
schen Drama's zur Welt kam, und denn auch, inkraft beider an-
geborenen Gaben aus dem Horchversteck mit blanker Klinge her-
vor- und auf Don Arias einspringt, ihn fordernd zum Zweikampf.
Der König verweist dem aus der Eierschale gesprungenen Ber-
nardo del Carpio, dessen Miniatur der Kleine eher scheint, als
ein naturwahrer achtjähriger Garci-Tello — verweist ihm den«.
Mangel an Ehrfurcht vor der königlichen Gegenwart, und der mir
gabelförmigem Hintertheil schwänzelnde, in Ermangelung eines
Giftstachels oder Giftbeutels sich selbst und ganz und gar als
solcher in ein Königsohr einschleichende Ohrwurm vertröstet den
Helden-Embryo des spanischen Drama's der Zukunft auf den mit
dem bescheidenen Scepter gleichzeitigen Bart der Zukunft, der
ihm einst wachsen zu sollen verheissen seyn möchte, bis zu wel-
1) — que no tengo
Mas honra yo que ser tuya.
2) Eso es justo que el rey manda.
3) Muriend voy s. o.
4) Para asegurar tu vida,
(;,Que impartaii dos Montaneses?
152 Das spanische Drama.
ehern Ereigniss er, Arias, die Annahme der Herausforderung
vertagen müsse. ^)
„Zupfst Du mich jetzt an meinem zukünftigen Bart" —
knirscht Kleinroland mit den Milchzähnen — „soll am ersten mir
keimenden Kinnhärchen Dein Leben hängen! — Oder glaubst
Du, wenn ich einen Bart bekomme, dann noch zu leben ?"^) —
und schwenkt ab, gar gefährlich fuchtelnd mit seiner Durindane
in herba.
Doch wie mit guter Manier den Tello aus dem Wege räu-
men? fragt Alfonso III. seinen spiritus infernalis, mit dem der
kleine Eisenfresser den königlichen Oheim wieder allein gelas-
sen. „Wie?" ^) — bläst Arias in's Königsohr — dafür lasset den
Almanzor sorgen, der mit seinen Mauren eben nur, wie geru-
fen, in Euer Guadarrama-Gebirge eingebrochen. Ihr habt blos
den jungen Tello mit tausend Mann den Saracenen in die
Lanzen und Krummsäbel zu jagen, die dann schon wissen wer-
den, wie sie mit Tello und den Tausend, dank des alten Tello
Ducaten, feldrüstig gemachten Tausend Bauern fertig werden."
„Hey da!" — schnippt König Alfonso III. mit Daumen undZeige-
linger — „das klappt! auf die Weise, guter Arias! wird sich's
machen lassen!^) — Es macht sich aber in der Eegel ganz an-
ders, als die Alfonso's und ihre Ohrwürmer miteinander abkarten,
-^ie Titelüberschrift unserer Tellos-Comedia: „Valor, Fortuna y
Lealtad" muss est noch ihr letztes Wörtchen, das auch ihr
erstes ist, sprechen: nämlich „Valor", „Tapferkeit", nachdem sie
den beiden anderen, „Glück" und „Treue", gerecht geworden, und
1) El cetro os dara la edad,
Y el tiempo la barba al rostro:
Para entonces yo recibo
El desafio, antes no.
2) Quando tenga herbar yo
^Habiades do estar vivo?
3) Don Arias, Pues quitad la vida ä Tello.
Key. Eso ^icomo puedo hacello?
Sin que mal parezca, yo.
4) Rey. Pues, Don Arias,
Miiera Tello desta suerte,
Held Tello. 153
eine vom Glück gekrönte „Tapferkeit" muss es seyn; einmal der
'Comedia' wegen, die sich den glücklichen Ausgang nicht neh-
men lässt, und auch der 'Fortuna' wegen, die in der Ueberschrift
gleich hinter 'Yalor' folgt, um im letzten, dem dritten Act, ihr
Füllhorn über den tapfermuthigen Yalor auszuschütten und ihn
mit dem Siegeskranze zu krönen. Fortuna's Füllhorn spiegelt
sich in Mendo's Schilderung des Treffens im Guadarrama-Ge-
birge und seinem in zweihundert Redondillen-Versen voller glocken-
lauten A-Assonanzen sich ergiessenden Berichte von des jungen
Tello %nd dessen Tausend, dank des alten Tello Ducaten, aus-
gerüsteten Bauern, unter Mitwirkung des spanischen Schutzpatrons
Sanjago, des heil. Millan und der heil. Jungfrau i) — selb-
dritt als Schmuckfiguren auf Tello's Kriegshelm prangend — und
inkraft ihres wunderthätigen Beistandes über die zahllosen Sa-
racenenschaaren errungenem ruhmvollen Siege. Und Fortuna's
dem kriegsmuthigen 'Valor' des jungen Tello und dessen
des alten Tello königstreuer 'Lealtad' dargereichten Euhmes-
kranz, ihn verbildlicht als Schlusstableau die huldreiche Ehren-
spende, die der König in höchsteigener Erscheinung beiden Tel-
lo's, Vater und Sohn, zuerkennt 2), Beide, zunächst aber, da der
junge Tello, den der König hierzu entboten, am Schluss unsicht-
bar bleibt, zunächst den alten Tello, als seinen könig-
lichen Schwager, auf Antrag des kleinen kronprinzlichen Neffen,
Garci-Tello, durch die Aufforderung, „sich zu bedecken'', zum
1) Y encima de su celada
Puso (Tello) Ulla imagin pequeila
Del Santo Padron de Espana
En forma de Caballero,
Cuyo lado acompaiiaba
San Millan monje, que suele
Hacer del bäculo espada.
En unas doradas nubes
Sobre los Santos estaba
La que volviö en ave el Eva
Siempre limpia y siempre santa.
2) Rey. Favores, honras, decoros
Pedid, Tello. -
Solo a honraros he venido.
154 I^as spanische Drama.
Granden von Spanien erhebend, i) Mit der Scblussscene, wo der
König in der vom alten Tello erbauten Kirche den achtjährigen
Neffen, Garci-Tello, feierlich zum Ritter schlägt, schlägt die
Comedia gleichsam ihr Pfauenrad, als prachtvolles Schweif-Ta-
bleau. Jedes Wort in des Königs Eitterweihespruch ist ein him-
melblau leuchtendes Juno- Auge im Pfauenschweif. ^)
Soll uns noch gar der, leider, auch für die Königsohr- Viper
glückliche Komödienausgang behelligen dürfen, die Ohr- Viper, die,
umgekehrt wie die Aesculapschlange, welche durch Ohrenbelecken
heilte, Königsohren sammt Zubehör mit ihrem Züngeli# vergif-
tet? Die viel zu gutmüthige und allzu versöhnliche Comedia lässt
die Ohrklapperschlange, Arias, sich schmiegsam zärtlichst von
Laura, der ursprünglichen Parallel-Liebhaberin zur Infanta, um
die Finger ihrer erbetenen Hand wickeln. Comedia entschuldigt
dies, dem sie deshalb zu Rede stellenden Garci-Tello gegen-
über, durch der Infantin Mund, mit der Gegenwart des Kö-
1) Rey (zu Garci-Tello). '
Cubrid, cubrid, la cabeza.
Garci-Tello. Honrad, Senor, por mi madre
A mi padre. —
Rey. Yo lo hare
Garci-Tello. Porque no mi cubrire,
Si no se cubre mi padre.
Rey (zum alten Tello).
Cubrios, seiior cunado,
Que lo manda mi sobrino.
2) Rey (ä Garci-Tello).
En el suelo
Poned la rodilla. Oid
Hoy, que os hago caballero,
Garcia con ateneion
A lo que os obliga el serlo,
Mientras que os cino la espada
En cuyo desnudo acero
Escribireis mis palabras,
Que os han de servir de espejo.
La ley de Dios sobre todo,
Defendereis lo primero:
Guardereis lealtad al Rey,
y a SU justicia respetoj
Lope de Vega's ,,Ende gut Alles gut''. 155
nigs^), die keinen, ob noch so gebieterisch von der poetischen
Gerechtigkeit, auch Komödiengerechtigkeit, geforderten Vergel-
tuugs-ünglimpf, selbst nicht in Form komischer Beschämung,
zulasse. Das würde gegen die von der spanischen Komödien-
Etikette vorgeschriebene Ehrfurcht vor der Heiligkeit eines spa-
nischen,''auch eines Komödienkönigs, eines sacrosancten Key ab-
solute y neto auf's ärgerlichste und sträflichste Verstössen.
Dem specifisch- spanischen Nationaldoppelstücke, unter Lo-
pe's Dramen einem der vorzüglichsten solcher Färbung und
Tendenz, kommt auch dieser Zug, diese Königsvergötzung zu-
gut, aus deren Theater -Maske der Dichter, wie der Baals-
pfaife aus der Bauchhöhle des Tempelabgotts die Orakel, seine
höfisch -bigotte Loyalitätsadresse als dramatische Fabelmoral
vorträgt.
La Hermosura aborrecida
(Die verschmähte Schöne).
Eines von Lope's bemerkenswerthesten Novellenstücken im
historischen Rahmen. Für uns noch durch den umstand von
En las guerras de los moros
Jamäs volvereis huyendo,
Porque los hombres fidalgos
0 vencen ö quedan muertos.
Saldreis al campo, Garcia,
Si os Meieren algun reto;
Y todo pleito homenaje
Guardareis, 6 libre 6 preso.
No consentireis que agravien
Mujer ninguna: todo esto
Habeis de jurar aqui.
1) DonArias. A tanto favor no puedo
Eesponder, sino humillarme.
(Danse las manos Laura y Don Arias)
Garci-Tello. Seilora, sabeis que tengo
Desafiado ä Don Arias
Infanta. Hijo, tambien os ad vierte
Que no puede haber agravio
Delante del Eey.
156 I^äs spanisclie Drama.
besonderer Anziehung, dass die Novellenfabel im Grundmotiv mit
Shakspeare's „Ende gut Alles gut" übereinstimmt; mit der Maass-
gabe freilich, dass bei Shakspeare die Verschmähung, wie in der
Novelle, eine Jungfrau trifft; Lope's „verschmähte Schöne", Dofia
Juana, dagegen, von ihrem Gatten, Don Sancho de Guevara,
der in Liebe um sie geworben, nun aus lieber druss verab-
scheut und verläugnet wird» Einem gesunden ürtheile muss von
vornherein ein Pathos, wie ehelicher üeberdruss, Uebersättigung,
als dramatisch-psychologisches Motiv widerstreben. Es ist eben
so unschön wie unsittlich, mithin kunstwidrig. Je mehr, wie
hier der Fall ist, die äusseren und inneren Vorzüge des vom
Gatten verschmähten und misshandelten Weibes in das günstigste
Licht gesetzt werden, um so empörender für das Kunstgefühl
wird des Mannes Widerwillen, und dramatisch um so unmotivir-
ter, unberechtigter, unerklärlicher, und daher verwerflicher. Das
grandios Gehässige, zumal infolge einer blossen launenhaften
Stimmungswandlung vonseiten des Gatten, und gegen sein schuld-
loses, mit allen Tugenden, allen Seelen- und Körperreizen ge-
schmücktes Weib gerichtet, kann nur Ekel und Abscheu vor
einem solchen Ehemann erregen. Wenn nun gar diese rohe,
cynische, nur aus der Verworfenheit des Mannes, wie ein Gift-
schwamm aus einem faulen Baumstamme, entsprungene Antipathie
gegen die musterwürdige Gattin als Folie ihrer Trefflichkeit,
wie in unserem Stücke beabsichtigt ist, dienen soll: dann wird,
nach unserer Empfindung, durch eine so schmutzige Folie ge-
rade das Gegentheil bewirkt, indem >ine der Eadicaltugenden
des Weibes: Frauenwürde, von solcher Folie weit mehr be-
fleckt, geschmäht und entehrt wird, als ihre aufdringliche, auf-
sässige, klettenhafte , durch üeberlästigkeit den Widerwillen des
Mannes nur steigernde, ja die Antipathie motivirende eheliche
Liebestreue ihr unsere Sympathie zu gewinnen vermöchte. Selbst
die eheliche Liebe kann, bei aller Berechtigung und Heiligkeit,
einen Punkt des üebermaasses, insonderheit die zur Schau ge-
stellte, nachläuferische, mit ihrer verfolgungssüchtigen Anhäng-
lichkeit die Abneigung des Mannes bis zur Verzweiflungswuth
hetzende Gattenliebe, — sie kann einen Grad erreichen, wo die
Frau, im Widerspruch mit ihren unveräusserlichen, unter keinerlei
Umständen preiszugebenden Pflichten gegen sich selbst, gegen
Das katholische Königspaar. 157
ihr weibliches Zart- und Scharagefühl, die Wurzel ihres Frauen-
werthes: stille, demuthsvoUe Duldung, das Martyrium einer sich
im Verborgenen verzehrenden Liebestreue, tödtet. Leidenschaft-
liche, unverwindbare Liebe eines Weibes zu einem schlechten
Kerl von Ehemann ist kein Märterthum, kein weibliches Helden-
thum mehr: ist eine unselige Schwäche, die, wenn sie bis
zu öffentlichen Kundgebungen und Schaustellungen sich verirrt,
lächerlich und verächtlich werden kann. An's Ehekreuz sich
inbrünstig, krampfhaft, unentreissbar festklammern aus Gatten-
liebe, ist weiblicher Heroismus, höchste Frauenehre, rührend, gross
und erhaben. Das Ehekreuz aber noch im Eheschandpfahl
vergöttern; die Selbstausstellung auf öffentlichem Markt als
höchste Beglückung erkämpfen; dem zum Halseisen geschände-
ten Bande, wie einem Ehrenschmuck, entgegenschmachten; sich
mit dem Ehejoche, noch als Galgenjoch, wie mit einer Frauen-
krone schmücken: — Nun, eine ehelich liebeswüthige Pranger-
anhänglichkeit solchen Schlages habe denn was ihr Herz be-
gehrt 1 sie feiere den Triumphzug ihrer ehelichen Liebestreue,
quand memo, zusammen mit ihrem Ehepranger auf einen Esel
rückwärts gebunden, und dessen Schwanz in der Hand haltend,
und werde, die Röcke über dem Kopf zusammengewickelt, von
einer Schaar Laren und Penaten, Gott Hymen an der Spitze, von
Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf mit Kuthenbündeln , geflochten
aus Myrthenzweigen und Stengeln von Ehrenpreis -Frauenflachs,
bis aufs Blut gepeitscht!
Zu der Novellenfabel liefert das „katholische Königspaar",
Fernando und Isabel, die geschichtliche Einfassung, dem
Brauche der spanischen Hofkomödie gemäss, die in der Regel
das Geschichtliche, nicht selten sogar in dem eigentlichen histo-
rischen oder heroischen Schauspiel, als Beiwerk und Arabeske be-
handelt. Wir glauben diese Compositionsweise mit dem Ursprung
des spanischen Novellendrama's in Zusammenhang bringen zu
dürfen, den wir aus jenen, schon im 13. Jahrhundert üblichen
Hof- und Palastfesten ableiten, welche, bei Schmaus, Gesang
und Spiel und als Erholung von den geschichtlichen
Thaten, Kriegsmühsalen und stetigen Fürsten- und Adels-
kämpfen, vorzugsweise abgehalten, den Hofdichtern, den poeti-
schen Cermonienmeistern gleichsam dieser Palast-Unterhaltungen,
158 Das spanische Drama.
Gelegenheit gaben, die Tapferkeit des ritterlichen Heldenthums
im Verein mit holder Frauenschönheit und Galanterie zu besin-
gen, als höchsten Ehrenlohn und ßuhmespreis vollbrachter Krie-
gesthaten, Frauendienst und Frauenhuld in ihren Reimspielen
feiernd und verherrlichend. „In diesen galanten Assembleen" —
bemerkt einer der gründlichsten Kenner der spanischen Volks-
und Hoffeste im Mittelalter — „wechselte die von Poesie und
Gesang unterstützte Musik, auch sie nur Liebe und Heldenthaten
athmend, mit gesellschaftlicher Unterhaltung", und in diesen mu-
sikalisch-gesellschaftlichen Hofliederspielen „eiferten die lyrischen
Dichter jener Zeit im Wettstreit, um mit ihrer schwungvollen
Begeisterung und ihrem Enthusiasmus zu prunken, und Thaten
kriegerischer Tapferkeit und den Zauber der Schönheit in den
Himmel zu erheben." ^ In Lope's Comedia: „Das Unmöglichste
von Allem", konnten wir uns der reizendsten Anklänge an die-
sen Ursprung der spanischen Conversations- oder Gesellschafts-
dramen, an den Ursprung der Mantel- und Degenspiele erfreuen,
und es muss Wunder nehmen, dass weder Jovellanos noch seine
Nachfolger diese Ableitung und Entwickelung hervorheben. Das
merkwürdigste Gegenstück zu der galanten Hof- und Eitterkomö-
die bildet in Composition und dem dramatischen Verständnisse
nach, jene früheste, der spanischen Dramaliteratur einzige Tragi-
komödie, jene erstaunliche Ausnahmsschöpfung: Cota-Eoxas' „Ce-
lestina", in welcher wir eine tiefere Verwandtschaft mit dem ei-
gentlichen Geiste des im Shakspeare-Stücke zu höchster Macht
und Poesie entfalteten Kunstdrama's, als in der spanischen Hof-
komödie des 17. Jahrhunderts, erkennen durften.
Den Ort der Handlung zuLope's Stück bietet der für Fernando-
lsabel-Dramen stehende Schauplatz: Das Lager vorGranäda.
1) En estas galantes asambleas — la mnsica, qne ayudada de la
poesia y el canto alternaba con la conversacion , ö la cubria, tan poco
sonaba sino amores y hazanas, y en ella los trobadores o poetas liricos
del tiempo pngnaban por ostentar su estro y entusiasmo ya levantando al
cielo las proezas del valor, ya los encantos de la hermosura. Me moria
sobre las diversiones püblicas escrita por D. Gaspar Melchior de Jo-
vellanos etc. y leida en Junta publica de la real Academia de la Historia
el 11. Julio de 1796. Madr. 1812. W^ieder abgedruckt: Obr. de Jovell
Bibl. d. Aut. Esp. I.
Juana und Königin Isabel. 159
Frischweg stellt uns sofort die erste Scene das Hauptmotiv in
fliegender Handlung vor Augen: die ihren entlaufenen Gatten,
Sancho de Quevara, festhaltende Doiia Juana wird mit dem
Dolche von ihm bedroht, wenn sie nicht „loslässt." i) Sie be-
schwört ihn umzukehren, und ihr zu folgen in die Heimath. „0
lieber Tod von eines Mauren Hand!" — und reisst sich los und
über Hals und Kopf davon. Juana ringt die Hände ihm nach:
„Bleib Undankbarer! ... 0 wer wird's glauben, dass je höh'r
der Hass, sich um so mehr die Lieb' in mir entzündet?" Köni-
gin Isabel, die eine klagende Frauenstimme vernommen, tritt
aus ihrem Kriegszelte. Knieend giebt Juana Kunde von ihrem
Geschick. Von edlen Eltern abstammend, um Schönheit gemhmt
und von tausend Freiern umworben, wurde sie von ihren Eltern
einem Sancho de Guevara überliefert, „jenes Blutes, das einst in
ßäuberzügen war berüchtigt." Nach vier Monaten schon ward
er ihrer überdrüssig. Das Volk nannte sie bald nur die ver-
schmähte Schöne und die Geduld im Elend. ^) „Seine besten Stun-
1) Sancho. Mujer que desde Nava^rra
Hasta Granäda ha venido . . .
iVive Dios, que estoy por darte
Lo que tu infamia merece!
Juana. Gastaste mi rica hacienda
En tus vicios, juego y damas . . .
Wir folgen Moritz Rapp's hinkender Jambe auf dem Fuss, die zu
den trochaischen Redondillen, die der Spanier aufspielt, jambische Elf-
sylbler humpelt; wie wenn man zu einem Galopp oder einer Masurek wal-
zen wollte.
Sancho. Weib, die Du toll dem Bettler von Gemahl
Läufst aus Navarra nach bis nach Granäda . . .
Bei Gott, wie Du's verdienst, werf ich Dich weg.
Juana. Wohl mein Vermögen hast Du durchgebracht
Durch Deine Laster, Spiel und schlechte Weiber.
2) Si me llegaba de noche
Por las espaldas ä asirle
Ann que estuviese dormido
Bramaba por desasirse.
,, Rührt' ich bei Nacht zufällig ihm die Schulter,
Schüttelt' er selbst im Schlaf sich von mir ab.*'
IßO I^^s spanische Drama.
den und sein Gut gingen mit Spiel und schlechten Weibern
drauf/' Die rücksichtslose Anklage des Mannes bei der Köni-
gin, und gleichsam bei erster Begegnung, mag sich mit der ge-
kränkten Liebe einer spanischen Ehefrau abfinden; ob aber ein
Drama, das diese Liebe und deren Heldin oder Martyrin poetisch
feiern will, Amen dazu sage, möchte doch noch dahingestellt
bleiben. Sancho — erzählt Juana der Königin weiter — läuft
endlich davon; sie, wie ein Häscher, dem er entsprungen, ihm
nach bis Granäda, wo er in Kriegsdienst trat, „Amors Luchs-
auge" ihn aber bald ausgewittert, und erzählt haarklein Alles bis
auf den Dolch, den Sancho gegen sie schwang, wie gegen eine ihn
brünstig umarmende Bärin, die ihn verfolgt und eingeholt. Kö-
nigin Isabel, die eine Thurmerstürmung abruft, verspricht ihr
Hülfe, natürlich im Profossenwege, und nimmt die, wie der huck-
pack aufsitzende Teufel in des h. Medardus Genick, in den
Nacken ihres Mannes, als Eheteufel aus Liebe, verbissene Gat-
tin in ihren Dienst.
Bei Erstürmung des Thurms zeichnet sich Sancho durch
„bewundernswerthen Muth" aus. Dem ihn lobpreisenden Könige
Fernando gegenüber, rühmt sich Sancho seiner Abstammung
aus altehrwürdigem Eäuberblut. i) Höchlich erbaut ob solcher
Herkunft 2), wünscht der König das tapfere ßäuberblut um seine
Person zu wissen, als aufwartenden Kammerherrn bei Tische. ^)
\) Don Sancho de Guevara nie apellido
Sangre de los Ladrones ...
I. Esc. IV.
2) Mucho huelgo de haberte conocido . . .
y este confirman
Las nuevas que crecibo, de la sangue
Que has heredade de tan noble stirpe.
„Und was Du sagst von Deinem Haus und Blute,
Ehrt Dich Dein Stamm nicht minder als Du ihn."
3) Yo gusto de que quedes en mi casa
Y que mi sirvas en mi mesa gusto
Que esto se debe, y mas, ä los que vienen . . ,
A la sagrada empresa que prosigo.
„Denn Leute solcher Art die thun uns noth
Für unser gottgeweihtes Unternehmen.
Das klingt königsatirisch, ist aber vom Dichter ganz ehrlich gemeint.
Sancho und Juana. 161
Hinzu tritt Königin Isabel mit ihrer neuen Dienerin, Juana.
Die Situation ist wirksam. Des Königs neuer Diener, angesichts
der neuen Dienerin der Königin, giebt ein pikantes scenisches
Begegniss. König und Königin ziehen sich mit Gefolge in
ihr Z^lt zurück. Sancho und Juana bleiben allein auf der
Bühne. Sancho droht ihr in jedem Worte mit dem Dolche
gräulichen Tod, wenn sie nur Miene mache, ihn zu kennen. Der
Königin soll sie sagen: ihr Mann sey umgekommen, sonst bringt
er sie um. Das Eäuberblut droht so gTässlich, dass Juana aus
Liebe nachgiebt. ^) Aus Gattenliebe ertragene Misshandlungen
vom Gemahl — 0 Hermione, o Imogen! warum wisst denn Ihr
noch in solcher Erniedrigung Euere Frauenhoheit zu bewahren?
Hiezu freilich wirken die Gatten wesentlich mit: ein von Eifer-
suchtswahn verblendeter König, und ein Mann, Mannes Muster-
bild, ein Kriegs- und Liebesheld, wie Posthumus! Schnöder,
ehr- und pflichtvergessner Eheflüchtling aus wüster Antipathie
und Sehnsucht nach einem ungebunden liederlichen Leben, Bandit
vonhausaus, eine Canaille durch und durch bis auf die einzige
eben auch Canaillen und Bestien auszeichnende Eigenschaft:
Kampfesmuth — ist es möglich, dass der rohe Abscheu eines
solchen Wichtes, seine niedrigen schimpflichen Kränkungen, nicht
auch das noch so wackere, tugendhafte, edle Weib entwürdige
und ihr Erdulden solcher Schmach brandmarke? Was thut
Juana? Als einzigste Gunst für das Erdulden, für ihren himm-
lischen Gehorsam, bittet sie sich den Seelentrost aus: „Dass
meine Arme Dich umfassen. Liebster!" 2) Er weigert den üm-
armungskuss aus so anhörbarem Grunde, dass der Zuschauer für
ihn gegen das unglückliche Weib Partei nehmen könnte. ^) Graf
1) Por quien lo pides lo hare
Porque veas la grandeza
De mi amor. I. Esc. IV.
„Aus Liebe zu Dir tliu' ich's,
Dass Du den Abgrund dieser Lieb' ermessest.
2) Que te despidan mis brazos
De los tuyos, amor mio.
3) (iQue importan tibios abrazos
Entre pechos disconfornies ?
X. n
162 üas spanische Drama.
Bertrain's der Helena in „Ende gut Alles gut" verweigerter Kuss
durfte nur als rauhe Unfreundlichkeit, als eigensinniger Mangel
an Courtoisie empfunden werden und deshalb Theilnahme und
Mitleid für die Verschmähte nur erhöhen. Bertram liebt blos
nicht die Helena aus Adelsstolz, und verschmäht in ihr „des ar-
men Arztes Kind." In einer traulicheren Stimmung, nachdem
Graf Bertram der Helena Briefe für seine Mutter mitgegeben,
entzittert ihr gleichsam in scheuer Demuth die zaghafte Bemer-
kung beim Abschiede vom Grafen: „Nur Fremd' und Feinde
scheiden ungeküsst." Bertram, statt aller Antwort: „Ich bitt'
euch, säumt nicht, setzt euch rasch zu Pferd." Helena: „Ich
füge dem Befehl mich , theurer Herr." ^) Wie zart hier alles
abgetönt! so dass Helena unser inniges Mitgefühl erwirbt, und
Graf Bertram, der seinem Charakter und der Situation doch ge-
treu bleiben soll, nicht unser Missfallen, nur ein leises Bedauern
seiner unbeugsamen Sinneshärte erregt. Ja die Weigerung ist
dramatisch geboten und der Abschiedskuss unmöglich, ohne bei-
der, Helena's wie des Grafen, gegebene Beziehung zu gefährden,
wo nicht umzuwerfen.
König Fernando kann sich nicht genug in Gnadenbewei-
sen und Auszeichnungen seines neugebackenen Günstlings und
Lieblings, Sancho de Guevara, überbieten. Anstelle eines
eben gefallenen Hauptmanns und Comthurs, erhält Sancho des-
sen Amt, Kreuz und Compagnie. Doch hat auch König Fer-
nando inzwischen eine unvermuthete Beförderung, und zwar von
der Peripetie der Komödie, erfahren, die ihn zum geheimen Gön-
ner der — Juana erhob, wie der König in einem diese Lust-
spielwendung andeutenden Selbstgespräche verräth. ^) ünbewusst
Was hilft denn ein lau Umarmen,
Wenn sich die Herzen nicht entgegenkommen.
1) „Ende gut Alles gut." Act II. am Schluss.
2) Yo vi la sin par belleza
Desta navarra mujer . . .
Confieso que le rendi
Las armas y las banderas . . .
Pero aunque no suele amor
Las resistencias sufrir . . .
Kennzeichen des Genie's. 163
in die verschmähte Gattin seines neuen Schützlings verliebt, Yo el
Eey, und noch überdies in die neue Schutzbefohlene der Königin, sei-
ner Gemahlin, der heiligen Kriegsheroine ~ eine Peripetie fürwahr,
die Lope's fruchtbarem Entwickelungsgenie alle Ehre macht und
die überraschendsten Situationstrümpfe der Komödie in die Hände
spielt, wenn auch im Eücken der spanischen Geschichtsmuse!
Juana — erster Trumpf! — tritt ein, ebenfalls in ein Selbst-
gespräch vertieft, und mit der gewichtigen, thränenvoUen Zwei-
felfrage: „Darf ich mit Wahrheit das noch Liebe nennen, was
in mir wächst, nach Maass, als er (Sancho) mich hasst?" Der
König erblickt sie: „Das ist das Weib, die mir gefährlich
wird" — und fragt: „Sag, was hast Du zu weinen, Dona Juana?"
Sie, eingedenk des Dolches, den ihr Gatte Sancho, — gleich jenem
indischen ünthier mit Löwenkopf und Scorpionstachel, das diesen
dem Verfolger entgegenstreckt, — auf ihre ihm nachstellende Lie-
bestreue zuckt, — Juana, eingedenk des liebespfeilförmigen Scor-
pionschweifstachels , des einzigen Rüstzeuges, ach, das der Gatte
aus dem ehelichen Arsenal behalten, — und eingedenk des ihrer
Liebe abgedrungenen Versprechens: Juana giebt dem Könige
als Grund ihrer Thränen den Tod ihres in einem Treffen gegen
die Mauren gebliebenen Gemahles an: Zweiter Komödientrumpf!
Wie schlagfertig das ihr von Dolch und Liebe abgepresste Vor-
geben^ und wie scenisch trefflich es mit des Königs geheimen
Wünschen zusammenklappt! Die Gattenlose kommt diesen
Wünschen auf halbem Wege entgegen. Mit solchen Würfen le-
gitimirt sich das dramatische Genie, ecce Signum! „Ich nehm'
Antheil" — versichert ihr der König — „an Deinem Schmerz,
und rechne auf meinen Schutz hinfort." Wir glauben ihm auf's
ßevolucion he tomado.
De andar siempre con cuidado . . »
La condicion de Isabel
No sufre burlas de celos.
„Ich muss gestehen, diese Navarresin
Das ist ein majestätisch Weib; ihr könnt' ich
Die Waffen strecken ...
Doch lässt sich schon Amor nicht gern befehlen
So muss ich. doch diesmal behutsam lauern,
Denn Isabel versteht da keinen Scherz.
11*
154 J^^s spanische Drama.
Wort. Trümpfe auf Trümpfe! Im Augenblick, wo Juana,
dankgerührt, das Knie beugt, erscheint die Königin von der
andern Seite. Das nennt man eine Situation! Als Vater solcher
Situation verdient Lope eine Extraunsterblichkeit, und eine Extra-
capelle im Rühmestempel der spanischen Comedia. Der frappir-
ten Königin macht der König einige Verlegenheitswippchen
vor, empfiehlt die durch den Tod ihres Gatten Beraubte und des-
halb in seinen Schutz Genommene dem gleichen Wohlwollen der
Königin und — ab in sein Zelt. Königin Isabel, die nicht
anders, als den Sancho für den als todt von Juana benannten
Gatten halten muss, ermahnt die trauernde Wittwe, sich schick-
lichermassen in ihr Zelt zurückzuziehen. Des kurzen, aber inhalt-
reichen Selbstgespräches der Königin noch kürzeren und inhalt-
reicheren Sinn fasst der Monolog in den bündigen Entschluss: . . .
„Das soll die Lieb' ihm (dem Könige) vertreiben, denn sobald
der Anstand es gestattet, vermähl' ich sie von neuem" . . . „Da
gilt es schnell den Eiegel vorzuschieben." Nun tritt — Ein
Trumpf sticht den andern! — Sancho auf, im Selbstgespräch
ganz trunken von des Königs Gnade, i) Königin Isabels stau-
nende Augen! Aber die ebenso Kluge wie Heilige, und ebenso
Weiblichhochherzige wie Heldenmüthige dämpft sogleich den
Staunblick, und hat im Stillen schon ihren Anschlag gefasst.
„Guevara" — fragt sie — „bist Du vermählt?" Sancho, wie
Einer, der von einem Selbstschuss sich festgehalten glaubt, und
denkend, sein Weib habe ihn doch verrathen, stammelt Bekennt-
nisse, aber nur halbe — und auf dem Sprung, Kehrt zu machen,
vorgebend, er höre eine Trommel und finde den König nicht in
seinem Zelte. Die List in tausend Aengsten gelingt ihm. Die
Königin denkt an einen Maurenausfall und will ab. Für „dies-
1) Que en hacer hombres, los reyes
Se parecen mucho ä Dios,
AI lado del gran Fernando
Hoy comienzo ä tener ser . . .
I. Esc. XIV.
„Könige schaifen Menschen ja, gleich Gott;
So durch Fernando fang ich an zu seyn."
Das ist Lope's orthodoxer Königsglaube, von keiner ketzerischen Ironie ge-
trübt!
Tello und Parolles. |65
mal'' hat Sancho den Kopf aus der Schlinge gezogen, lässt aber
doch diesen Kopf hängen, voll Besorgniss ob der Schlinge, die
über demselben schweben bleibt. Nun folgt eine episodische Sol-
datenscene, die wir wegen einiger, zwischen dem Soldaten Tello
— vormals Poet, jetzt Kriegsmann mit einem Anflug von Ei-
senfresser— wegen einiger mit Sancho gewechselten Aeusserun-
gen nicht ganz unbeachtet lassen mögen: '
Sancho. „Ihr seht mir danach aus, als ob Fortuna
An euch schon ihre Launen manchfach übte."i)
Tello (zieht seine rostige Klinge vor).
Meine Tizona das, die nie verdutzt ist,
Meine Colada2) das
Mit dir that ich die unerhörtsten Thaten. 3)
Wir hüten uns wohl, aus solchen Anklängen irgend eine, auf
Entlehnung witternde Folgerung zu ziehen; wollen indess gleich-
wohl diese in zwei motivverwandten Stücken vorkommenden An-
klänge doch ad notam nehmen.
König Fernando, mit Sancho allein, vertraut ihm den
Argwohn der Königin, betreffs jenes biskayischen Weibes:
Die Königin hat diese Grille, dass sie.
Wo sie nur glaubt, ein Fünkchen auszuwittern
Von Leidenschaft, sie rasch den Kiegel vorschiebt.
Ihr Mittel ist, dass sie alsbald die Verdächtige
Vermählt und dann beiseite schiebt, dann denkt sie.
Ihm aus den Augen aus dem Sinn. Doch diesmal
Macht' ich ihr gern den Strich durch ihre Eechnung. ^)
1) Parolles (zum Narren Monsieur Lavache). ,,Aber nun, Herr,
bin ich in Fortunens Morast muddig geworden und rieche etwas streng
nach ihrer Ungnade**, und wiederholt zu Lafeu: ,,Ich bin ein Mann,
den Fortuna jämmerlich zerkratzt hat." Ende g. A. g. V. 2. — 2) Uns schon
als Kriegs Schwerter des Cid bekannt. — 3) Parolles. „Edle Paladine,
mein Schwert und das eure sind Blutsfreunde. Treffliche Degen und junge
Eecken . . . Im Regiment der Spini werdet ihr einen Hauptmann Spurio
finden mit einer Narbe . . . Diese gute Klinge grub sie ein.'' II, 2.
4) Tiene la reina un remedio
Siempre que me ve en los ojos
Algunos tiernos antojos
Que es ponerme tierra en medio
Esta, Don Sancho, es su ciencia;
55 ;[ Das spanische Drama.
und entdeckt ihm, die Königin wolle die Navarresin (Juana) an
einen Sevillaner verheirathen. Um diesem Vorhaben seinerseits
einen Riegel vorzuschieben, hat der König den Plan ausgedacht,
dass Sancho mit einigen von seinen Leuten, als Mauren ver-
kleidet, die Biskay erin (Juana) stehlen, nach der Quelle Dindä-
mar entführen und dort bis auf weiteres in seinem Zelt bewa-
chen soll. Sancho, wie bei gelindem Feuer geröstet, findet den
Plan unübertrefflich und beeilt sich, von den feurigen Ruthen
der Verzweiflung gejagt, des Königs Anschlag auszuführen, wim-
mernd in den Bart:
„Nun mein eigen Weib
Soll ich in meinem Zelt verborgen halten?
Q iiätt ich's gestanden!"
Zu seinem Missgeschick begegnet ihm die Königin, die eben
dem Sevillaner, Don Luis de Narvaez, einem Caballero im
Gefolge des Königs, von ihrem Project, die Juana mit ihm
zu verheirathen, Kenntniss gegeben, das sie nun auch dem
Sancho, zu dessen sich steigerndem Entsetzen, mittheilt. Nar-
vaez, der Juana herbeiholen sollte, meldet, der König habe sie
nach Dindamär schaffen lassen von einem Escudero begleitet.
Sancho muss nun spornstreichs der Entführten nachsetzen, und
Königin Isabel selbst begiebt sich mit Narvaez hin nach der
Quelle bei Dindamär. Ein einziges Häkchen könnte dieser treff-
lichen Verwickelung sein naseweises nisi zurümpfen: da die
Königin aus Juana's ersten Eröffnungen ^) von Juana's und Sancho
de Guevara's ehelichem Verhältniss unterrichtet ist, wie kann es sie
gemuthen, dasHeirathsprojectaufdiese Spitze zutreiben? Sie deutet
die Verlegenheit zwar in einem Aparte an, das ein Hauptbedenken
ausspricht: „Erklärt er sich erst, kommt Alles zu spät."'^)
Porque luego me la casa,
Y con esto el amor pasa
A los olvidos de ausencia.
Esc. XVII.
1) s. 0. S. 159 f.
2) Eeina (Ap.).
Mas (Jque digo? Que es p erder
Con celos desta mujer
Mi modestia natural.
Einige nisi's. Iß7
Welcher „er"?i) Der König offenbar. Doch wenn San c ho
dieser „er" wäre, der sich erklärte? Dann fiele die ganze
schöne Verwickelung mitsammt der Komödie in's Wasser des
Brunnens bei Dindamär! Blinzeln wir über das naseweise
nisi hinweg, das ja in die besten Komödienknoten sein Ha-
kennäschen zu stecken pflegt, und folgen wir der entführten
Juana an den Brunnen von Dindamär, wo auch schon Sancho
mit vier Soldaten, als Mauren verkleidet, eingetroffen, und gleich
nach ihm, Königin Isabel mit Narvaez, der eben dazu
kommt, wie die Vermummten sich der Juana bemächtigen, und
dicht der Königin auf dem Fuss der König nachgeschlichen.-)
Die Fortführung der Juana durch einen „Jäger Vargas", gegen
den Plan des Königs, dass Sancho mit einigen Soldaten als Mau-
ren verkappt Juana in Sicherheit bringen sollten, Sancho's
nachzüglerische Verfolgung der Juana, im Auftrag der Königin,
und dass diese die Vermummten für wirkliche Mauren hält —
lauter kleine beiläufige nisi's — die Lope's flüchtige Erfindungs-
eile aus seinem Schreibärmel schüttelte, diesem vollen Säsack mit
dem „Loch im Aermel" — das den Weizen unter Dornen sät —
blinzeln wir auch über die in eilfertiger Zerstreuung nebenher
verstreuten nisi's hinweg, aus Rücksicht auf die wirksame
Pero tarn poco es razon
Que por mi culpa suceda
Lo que remediar no pueda
Con declarada pasion.
Esc. XXVI.
1) Isabel (für sich).
0 dieses Weib und meine Eifersucht
Drängen mich ganz aus meiner Fürstenrolle.*)
Doch darf ich es so weit nicht kommen lassen ;
Erklärt er sich erst, kommt Alles zu spät.
Die Zweideutigkeit verschuldet die Üebersetzung.
2) ,, Argwöhnisch ob der Eifersucht komm ich
Der Königin auf dem Fusse nachgeschlichen."
Con saspechas de sus celos
Vengo siguiendo ä la Keina.
*) ,, Meine natürliche Bescheidenheit' S sagt der Text, (,,mein bescheid-
nes Natureir').
168 Das spanische Drama.
Schlusssituation des ersten Acts! — Allgemeine Entlarvung: der
Maure Sancho und seine Soldaten stehen mit entlarvten Ge-
si6htern da. König und Königin sehen sich an mit Gesich-
tern, die ihre Projectenmaske fallen gelassen. Mit der abgenom-
menen Maurenlarve tritt Sancho, hart von der Königin be-
drängt, zugleich aus der Vermummung seiner Incognito-Gatten-
schaft heraus, und nimmt auch der Juana seine ihr aufgeklebte
Pechmaske des Stillschweigens vom Gesicht. Sogar seine Haupt-
mannschaft lässt Sancho wie eine Maske fallen, von der Kö-
nigin, mit Zustimmung des Königs, zum Vicekönig von
Navarra ernannt und seine unfreiwillig von ihm wiedereroberte
Juana zu Navarra's Vicekönigin. Juana (seitwärts). „0
welch Glück fand ich!" Sancho (auf der andern Seite). „Wel-
ches Missgeschick ! Besser arm und allein, als mit ihr König!" —
Welches „Ende gut" des ersten Actes! Und welcher biskayische
Schädel von Navarresen, der sein Weib, und ein solches Weib,
so grimmig hasst, nicht wie ein Navarrese eine Navarresin, son-
dern wio ein Franzose einen Deutschen nach dem Versailler Frie-
densschlüsse vom März 1871.
0 du ärmste Vicekönigin von Navarra! Eines Gatten, wie
Sancho de Guevara, des nun gar Königs- Vicenamensvettern,
giftiger und, je weniger verschuldet, um so wilderer Hass gegen
sein Weib, kann eines solchen Eheteufels viceköniglicher Ingrimm
nicht zu der mordsüchtigen Wuth eines Königs Pedro des Grau-
samen entbrennen, den wir seine nicht minder als Juana un-
schuldige, liebevolle und liebreizende Gemahlin, Königin Bianca
von Frankreich, mit gleichgrundlosem Hasse verfolgen sahen i),
und schliesslich ermorden? 0 du unglückselige Schicksalsgenos-
sin der Königin Bianca, o du beklagenswürdigste Juana, Vice-
königin von Navarra! Gleich an der Schwelle des zweiten Actes
lässt dein viceköniglicher Gemahl, Sancho, den armen Vetter
aus seinem Palast zu Pamplona werfen, mit dem Vorsatze, dich
selbst, und noch heute aus dem Wege zu räumen! 2) Noch zit-
1) Gesch. d. Dr. VIII. S. 595 ff.
2) Heute noch schaff' ich sie vom Halse mir.
Yergieb mir, Himmel, werd' ich drum blutdürstig!
Lamm und Wolf. 169
tert das letzte Wort des Vorsatzes bei Dona Juana's Eintritt
in der Brust; es bebt in Sancho's Aparte-Echo aus: „Die Schänd-
liche muss heut mir aus der Welt!" Er schüttet eine Fluth von
Schmähungen über sie aus wegen ihrer armen Verwandtschaft.
Erbangend wie das „arme Lamm" in der Fabel, mit dem sie sich
vergleicht i), das der über ihm am Trinkquell stehende Wolf an-
ranzt: „Was trübst du mir das Wasser?" — ähnlich erbangend
fragt Juana: „Wie ist da zu helfen?" — „Das einzige Mit-
tel" — knirscht der blutdürstige Wolf — „wäre nur dein Tod."
Und sein Absehen? — Hoffahrt mischt sich nun noch in seinen
Grimm: „Dass mich der König standesgemäss vermählte." Juana
giebt ihm zu bedenken: ihr Tod bliebe doch nicht geheim und
würde sein Leben gefährden, und schlägt ihm vor — sie, mehr
als Engel und deshalb weniger als menschlich Weib — schlägt ihm
vor, ihm, mehr Teufelsfratze als Teufel — freiwilliges Verschwin-
den aus der Welt 2)- und das noch nicht genug! Selbstpreisgebung
ihrer Prauenehre, ihres guten Rufs! „Dann darfst Du meine
Ehre, Herr, preisgeben; sag nur ich sey Dir untreu gewesen."^)
Hoy pienso darle la muerte
Cielo, el rigor perdonad.
II. Esc. IV.
1) Bebia un cordero humilde etc.
2) Finge que me has enviado
A Vizcaya, y vuelva en un breve
Quien diga que muerta soy
Porque yo secretamente,
Con pobre traje me ire
A esas sierras, cujas nieves
Me sepulten mientras viva
Pues la tierra no me quiere.
„Sag Du habst nach Biskaya mich gesandt
(„habst nach'* — so rappst auch Moritz Kapp's Jambe Lope's Vers in
Plunder! — („habst nach**)
Und lass durch Jemand meinen Tod Dir melden;
Denn dort will ich geheim, in armer Tracht
Verborgen, im Gebirge mich verstecken,
Der kalte Schnee sey mein lebendig Grab
Weil man mich doch auf Erden nicht mehr will"
3) Yo te doy licencia entonces
170 Das spanische Drama.
Ein solcher Selbststurz aus dem Ehebetthimmel in die Hölle
selbstschänderischer Entehrung und Verrufs, aus Gattenliebe, Liebe
zu einem solchen Gatten! — teufelt ein Sturz wie dieser nicht
auch das Engelweib in einen Dämon frevelvoller Liebestreue um?
0 du schöner Morgenstern, leuchtend aus dem Schmutze sünd-
hafter Selbstaufopferung für einen solchen Koth von Gatten!
Diese Schmach, diese Versündigung eines grossen Dichters an
dem reinen Frauenideal, an dem poetischen Motive, an der hohen
Psychologie, der wahren Frauenherzens- und Seelenkunde, dieser
kunstverpönt grelle Abstich von üebermaass an Licht zugunsten
der Weibesverherrlichung, und an Schatten (dem biblischen Satan)
aufseiten des Mannes, diese beabsichtigte üebertreibung, sie musste
eine Kunstsühne, eine dramatische Genugthuung erfahren! I mö-
gen ist diese Sühne! Und eine gleichzeitige! Blitz und Schlag!
Der dramatischen Muse Kachestrahl und hier als ihres Selbst-
rächergeistes verzehrend reinigender Himmelstrahl!
Sancho el Bravo giebt seinem Alp in Elfengestalt seinen,
eines Ober- richtiger ünterteufels würdigen Segen auf den Weg. 0
Auf ihr Lispelflehen :
„Ob Du vielleicht mit Deinem Arme noch
Den letzten Trost dem armen Nacken schenktest?*'
schnaubt das ünthier:
„Sieh zu,
Dass Deinen Nacken
Statt eines Armes, wie Du meinst, ein Strick
Umschlösse.'*
Und mach, dass Du fortkommst! —
Juana. „Ich gehe, Lieber, Dich zu sehen.
Verweil' ich nur. Leb wohl, geliebter Sancho 12)
Que en el mismo honor nie afrentes
Di que te fui desleal . . .
1) — »Geh, Juana, Deines Weges,
Wo in Verborgenheit Du noch der Tage
Geniessen magst, die Dir der Himmel schenkt.
Nur hüte Dich vor jeglicher Enthüllung,
Denn kämest Du mir vor das Auge wieder.
Nicht tausend Leben hielten Deinen Tod auf."
2) Juana. Sancho, advierte.
Der Student beim Bauerntaiiz. 171
So geh denn — müssen wir mit einer empörten ünmuthsthräne
ihr nachrufen ~ so geh denn in tausend T — Namen, geh' „im
Gebirge Dich verstecken", oder gleich lieber auf den Blocksberg
zum Hexensabbath, Du Teufelsanbeterin!
Erquickend wirkt der auf diese peinliche Abschiedsscene fol-
gende Bauerntanz im Freien, zur Feier des Sanct Johannes-
festes, begleitet von Gesang mit dem ßundreim : „Mädchen, pflückt
die Rosen!" Hier ist Lope wieder in seinem eigenthümlichen
Element, der landschaftlichen Idylle. Und hier gewinnt auch die
in Tracht eines Studenten auftretende Dona Juana unser gan-
zes Herz wieder, das ihr immerhin den halben die Kirchweih
verunglimpfenden Monolog von Herzen geschenkt hätte, insonder-
heit die zwei, an ihren Gatten im Geiste gerichteten Verse:
„Und die Du nicht ermorden mochtest, hoift
Nach Möglichkeit, einst wieder Dein zu werden."
Student Juana bittet den anwesenden Pfarrer um ein Viati-
cum^) und erklärt sich bereit, beim Barbier, der sie dazu auf-
muntert, die Chirurgie zu erlernen.
Que hoy me muero para ti
San c ho. ^Pues que quieres si te mueres?
Juana. Que si quiera con tus brazos
Esta garganta consueles
Sancho. No te fias de mi enojo;
Que podrä ser que te apristen
De forma, que pidas brazos
Y se te vuelvan cordeles . . .
Acaba.
Juana. Ya voy, mi bien;
Que esto es detenerme ä verte,
Adios, mi don Sancho amado.
1) Juana. Domine, ein Viaticum, ich reise
Als ein armer Schüler. Um Gottes willen
Schenkt mir etwas.
Pfarrer. Quam artem profiteris.*)
Juana. Grammaticam .
- Pfarrer. Sehr wohl, bleibt über Nacht
Bei mir, et mecum manducaberis. **)
*) „Welche Kunst übst Du?'* — **) und Du sollst mit mir speisen.
172 I^as spanische Drama.
Wir sind wieder im Saal beim Vicekönig in Pamplona,
den wir in tiefer Trauer um die verstorbene Gemahlin finden,
deren Tugenden er als trostloser Wittwer vor Kanzler und Ca-
valieren preist mit der Ueberschwenglichkeit eines für solchen
Zweck bei den alten Eömern gedungenen Klageweibes. Die Gat-
tin, jammert Sancho, sey auf einer Brücke, über die sie mit
ihren Verwandten zog, verunglückt. Die Brücke brach unter
ihnen ein, allesammt im Fluss begrabend. Als Gnade werde
sich sein Schmerz von den Majestäten ausbitten, sein Amt auf
andere Schultern zu übertragen, „dass ich einkleide mich in
fromm Gewand, zu Gottes Ehre mein Leben zu beschliessen."
ßeineke Fuchs, wenn seine Burg Malapartus nicht in Pamplona,
sondern im tiefsten Schlund der Hölle läge, könnte nicht herz-
brechendere Thränen vergiessen und frommere Vorsätze fassen.
Sancho gewinnt förmlich in dieser Scene. Die Heuchelei macht
ihn fast liebenswürdig; vermenschlicht ihn doch gewissermaassen.
Kanzler und Hofherren wischen sich denn auch mit ihren
Trauerfloren die Augen. Kaum wenden sie den Rücken, wirft
Sancho den Trauermantel ab, und lässt sich von seinem Gele-
genheitsmacher, Tello, ein Festkleid reichen, zum Empfange
der von diesem bestellten drei Buhldirnen. Juchhei!
„Mich kann einmal nichts besser amüsiren
Als glatte Wangen und frisches Lippenpaar.* ^
Und zu den Musikern, die er mit Tello auf der Strasse trifft:
„Lasst Vers und Prosa klingen.
Frei sey die Lust und jeder Kitzel ledig!
Spielt! Singt! Kein Mädchen hier bleib euch verschont."!)
Der Bruder Liederlich ist an dem verruchten Kerl noch das
einzige gesunde Haar, woran ihn sein mit Leib und Seele dem
Eheteufel des ehelichen 'Inferno d'Amore' 2) verschriebenes Weib
möglicherweise aus dem Höllenpfuhl ziehen könnte. ^)
1) Anden las musas, ruede verso y prosa
Sueltese el gusto y corran los deseos,
Taned, cantad, no quede moza hermosa . . .
2) Vgl. Gesch. d. Dram. VIII. S. 806, A. 4. — 3) Die geraeine W^üstheit und
Verlumpung ähnlicht unseren Vicekönig immer mehr der kleinbürgerlichen
Lasterhaftigkeit des * London Prodi gal' an, des Titelhelden eines der
Der bartlose Barbier. 173
Täuschen wir uns nicht, sehen wir die Spitze des Härchens
schon aus dem Pfuhl zum Vorschein kommen: Belardo's, des
„Altschultheissen" (Alcalde) Töchterlein, Costanza, in das Stu-
dentchen, dermalen Dorf barbierchen -Juan a, sterbensverliebt. Das
zierliche Bartkratzerchen, das sich Rodrigo nennt, wird zur
Liebeskranken gerufen. Nach langem Hin- und Herfragen, Puls-
greifen, den Sitz der Krankheit erforschend, merkt Juana-Ko-
drigo endlich von Costanza's handgreiflichen Andeutungen, wo
bei ihr der Haase hüpft, und bemerkt „beiseite": „Auf derlei
Dienst bin ich nicht examinirt" — „mein Herzens -Eodrigo!
Nur einen einzigen Kuss !" — brennt Costanza's Liebesfieber. —
Damit kann das unbebartete Barbierchen dienen. Vater Belardo,
der dazu kommt, meint: er setze ganz richtig den Verband.
Juana sagt ihr Kecept her, das unter andern eine Unze Bims-
stein und eine Drachme faserichten Asbest enthält : „das wird er-
problematischen Jugendstücke Shakspeare's von verwandtem Thema, dem-
gemäss Luce, das junge, schöne, fromme, tugendhafte*) Eheweib des
„Londoner Verschwenders", durch ihre dem Fluche der Eltern und der
stumpfen Liederlichkeit des Mannes abgekämpfte Selbstaufopferung und
unerschütterliches Festhalten an dem im niedrigsten Lumpenleben Versun-
kenen diesen zur Erkenntniss und Umkehr auf den Weg eines geordneten,
gesitteten Wandels bringt und in die Umfriedung einer liebevoll eheli-
chen, beglückenden Häuslichkeit zurückführt.
*) The holy church pronounced there words but now
— so eifert knieend vor dem ihr fluchenden Vater die junge Gattin —
I must not leave my husband in distress.
Die heilige Kirche sprachs nur eben aus:
Dass ich vom Gatten in der Noth nicht lasse.
Die Berufung auf das am Traualtar eingeschärfte Gottesgebot unterschei-
det die auf Tod und Leben verpflichtete Gattentreue dieser Luce wesent-
lich und zu ihrem Vortheil, und auch in dramatischer Beziehung zu ihren
Gunsten, von Dona Juana's gattenbrünstiger Treusucht. Der ^London
Prodigar — ob Shakspeare's oder nicht, beiläufig dahingestellt — scheint
nns um deswillen auszeichnenswerth , weil derselbe im ostwestlichen
Sagenkreise dieses Motivs ehelicher Frauenstandhaftigkeit und Selbst-
aufopferung, seit der Griseldis, unseres Wissens, der einzige Ver-
such ist, das Problem in engbürgerlicher Sphäre zur Geltung zu
bringen.
174 ^as spanische Drama.
wärmt ihr auf den Leib gelegt, dann werden sich die Zuckun-
gen verziehen" — und empfiehlt sich. Costanza schmachtet dem
davonhüpfenden Herzenschirurgchen nach, im Stillen denkend:
0 wärst Du der Bimsstein, Du der faserichte Asbest! So endet
der zweite Act, von Styl und Ton des ersten, wohl auch
vom Stimmungsmotive und von Juana's Gemüthsverfassung ab-
biegend, und an den Charakter des schelmischen Singspiels an-
streifend.
Aus dem kleinen Wundärztchen wird im dritten Act der
„grosse Arzt aus Navarra", von welchem ürbano, Kammerdie-
ner des in seinem Palast zu Barcelona krank darniederliegenden
Königs Fernando, einem greisen Verwandten der für todt gel-
tenden Juana, dem Arnaldo, der im Keiseldeid als Fremder
mit tJrbano auf der Strasse in Barcelona zusammentraf, das
Nähere mittheilt, nebst umständlicher Erzählung jenes auch ge-
schichtlich überlieferten, an König Fernando, nach Eroberung
Granäda's und nach dessen Rückkehr in Barcelona von einem
Wahnsinnigen verübten Mordanfalles, infolge dessen der König
an der „vier Finger breit" in den Nacken eingedrungenen Wunde
lebensgefährlich erkrankt war. Die rasche Heilung verdankte
der König einem jungen Doctor, Namens Eodrigo, aus Pamp-
lona. Hier berührt sich das Motiv wieder mit dem in Boccac-
cio's Novelle, und in „Ende gut Alles gut." Der junge Wund-
arzt Eodrigo kann heimliche Kusshändchen wechseln mit Boc-
caccio's Giletta di Narbona und mit Shakspeare's Helena, seinen
beiden Schwestern in Aesculäpio. Der würdige Greis, Arnaldo,
Einer von den aus dem Palast in Pamplona vom Vicekönig
Sancho mit Fusstritten verjagten Vettern Juana's, kommt zum
Doctor Eodrigo in seine Vaterstadt Pamplona. Arnaldo sieht
ihn nun vor sich im Doctorhütchen , verblüfft von der Aehnlich-
keit mit seiner todtvermeinten Base, Juana, deren trübseliges
Schicksal der Alte ab ovo ad poma dem Doctor, und leider auch
uns, wiederkäut. Arnaldo erscheint 'in Barcelona als Ankläger
des Mörders seiner Base bei den Majestäten, dem katholischen
Königspaar, das ihm die Audienz im Palaste erspart, auf der
Strasse ihm entgegenkommend. Königin Isabel versichert dem
Lebensretter ihres königlichen Gemahls, dass jegliches Gesuch
imvoraus ihm gewährt sey. Sofort tritt Juana als Anwalt für
Juaiia als Leibarzt. 175
den wackern Greis Arnaldo ein, sein Anliegen vortragend,
dessen Gewährung sie als ihren vollen Lohn dahinnehme.
Die Klagebitte erfleht vom Königspaar Abhülfe für Navarra. ^)
und im Handumdrehen wirft sich der junge Wundarzt zum
Eechtsgelehrten auf, zum Verhörsrichter des Bedrückers Na-
varrischer Jungfrauen, des Don Sancho de Guevara 2), um
hinter Boccaccio's Rücken der Giletta und der Helena in „Ende
gut" und um gleichzeitig, im Rücken der Gesta Roma-
norum und des Giov. Fiorentino, der „Diana von Belmonte'' und
der „Porcia" im „Kaufmann von Venedig", ihren beiden Schwe-
stern in IJlpiano, die Hand zu reichen und beiden coUegialische
verstohlene Blicke zuzublinzen. Inzwischen hat ■— o des Nacht-
alps von Navarra und von dessen Frauen und Jungfrauen! —
hat Vicekönig Don Sancho sein Druckgewicht als Nachtmänn-
chen oder Nachtmar auch die Co stanz a, das feurige Töchter-
chen des Belardo, Alcalden von Pamplona, fühlen lassen. Nun
weint und weint die Aermste zweien Liebesflüchtlingen nach:
mit dem einen Auge dem Sancho, der ihr als Andenken den
Pansa^) zurückgelassen, und weint mit dem andern Auge ihrem
lieben Herzensbarbierchen , Rodrigo, und deshalb vornehmlich,
nach, weil er ihr des Sancho Pansa — als Vicekönig der Insel
Bahataria auch Standesvetter von Sancho, Navarra's Vicekö-
nige — dass Rodrigo ihr des Sancho Pansa hochansehnlichen
Familiennamen nicht wenigstens als gage d'amour zurückgelas-
1) „Das em Tyrann erdrückt . . .
Ihr wisst schon, wie er ist ein Jungfernräuber,
Ihr wisst, wie er nicht der Vermählten schont,
Und welchen üebermuths er sich erfrecht . . .
Drum meine Bitte zielt dahin, ihr möget
Wen senden mit geheimer Vollmacht wie
Mit öffentlicher, dass er den Don Sancho
Gefangen stelF euch vor seinen Gerichtsstand/*
Letzteren Hinkefussfünfjambenvers schlurrt wieder Eapp's lahme Jambe
wie einen Holzschuh hinterher.
2) Macht mich zum Richter, den Process zu leiten
Und den Gefangnen vor eu'r Angesicht
Zu führen; andern Lohn begehr' ich nicht
Als meinem Vaterland den Dienst zu leisten.
3) „Dickbauch^S ,, Pansen'*.
176 üä-s spanische Drama.
sen. Kodrigo ! Das unschuldige Blut ! Keines Trugs, keiner Täu-
schung, vollends solcher Täuschung, fähig. Und dieser gar mit
dem Bartscherersprichwort: „lieber den Löffel barbieren", aus-
gedrückt — schlechterdings unfähig, einmal weil er keinen, kei-
nen Löffel nämlich, hat, und zum andern weil Costanza kaum ein
Milchhärchen , geschweige sonst ein Haar auf den Zähnen zum
barbieren hat, und selbst diese nur braucht, nicht um des Löffels
sich zu erwehren, sondern um ihn festzuhalten. Dieses wichti-
gen ümstandes vermuthen sich aber beide Mädchen nicht, weder
Belardo's des gestrengen Altschultheissen verliebsames Töchter-
chen Costanza, noch ihre Freundin, Flora, die der Gespielin
als einziges Auskunftsmittel, den 'Pansa' unter die Haube ^) zu
bringen, rathet:
„Lass Deinen Vater in der Stadt Eodrigo
Verklagen, er hab an Dir Gewalt gethan."^)
Ja selbst Belardo, seines Dorfes hochweiser Salomo-Schultheiss,
dem Flora auch schon frischweg die vom davongelaufenen Bart-
putzerchen Kodrigo an seiner Tochter verübte „Gewalt" mitge-
theilt, ruft freudig: 3) „Unsinn ist es, ein Weib vor des Bar-
biers Händen behüten wollen"^) . . . „Ruf mir Costanza; zu
dreien wollen wir den Feind verfolgen. Hat sie vielleicht Zeu-
gen?" Flora. „Zu dem Geschäft braucht man keinen Zeugen."
Belardo. „Da hast Du Eecht"^) . . .
Im Palastsaale zu Pamplona treten zwei Reihen Be-
waffneter zu beiden Seiten ein. Hierauf Dona Juana im
Ritterkleide von Santiago, mit Gefolge. Der vierte Costüm-
weehsel: Student, Barbier, Doctor, Santiagoritter — genau nach
Lope's Poetik, gen. Arte nuevo, welche dem dramatischen Dich-
1) „Pansen" und „Haube" so heissen bekanntlich im Wiederkäuungs-
apparat zwei der fünf Mägen.
2) Haz: que tu padre se queje
De Eodrigo en la ciudad,
Diciendo que te forzo.
3) „Im ganzen freut es mich."
4) Que es necidad pretender
Que se guarde una mujer
De las manos de un biirbero.
5) Tienes razon te confieso.
Jnana als Verhörsrichter. 177
ter als Grundregel und oberstes Gesetz einschärft: alles zur Un-
terhaltung des Theaterpublicums aufzubieten, das für sein Geld
Purzelbäume vom Dichter verlangen kann. ^) Der Santiagoritter
Juana kündigt demVicekönig Sancho de Guevara an: „Ich
komme nicht, Dich zu fangen, sondern nur den ProcessDir ein-
zuleiten." Den Vicekönig zwickt und kneipt die Nemesis aber
für's erste noch „beiseit" : „Mir ist als hört ich mein verschmäh-
tes Weib!" . , . „Giebt's etwas Aehnlicheres, als der und mein
Weib?" 2) . . .
Die Nemesis zwickt ihn, aber nur nicht sein Gewissen.
Sein nächstes Aparte äussert den Eiitschluss: den Santiagoritter,
der mit Vollmacht des Königs erscheint, ihn zu richten, wegen
der Aehnlichkeit mit dem verhassten Weibe, zu ermorden.^)
Um der blossen Aehnlichkeit willen! Welch eingeteufelt ab-
stracter Hass, dessen nur ein spanischkatholisches, nicht blos
;, Räuberblut", dessen überhaupt nur ein spanischkatholisch ge-
züchtetes Herz und Hirn fähig ist ! Sancho's letztes „für sich" in
dieser Scene ist: „Nichts Gutes kommt von meines Weibs Ge-
sicht."^) Dieselbe abstracto Zähigkeit wie Sancho's obligater
Hass, legt Juana's Gattenliebestreue an den Tag. Das Abstracte
1) Gesch. d. Dram. IX. S. 629 f.
2) Juana. Y yo no vengo a prender
que, solo vengo ä informar
Sancho. (Ap. Pareceme que oigo hablar
Mi ahorrecida mujer)
^Hay cosa mas parecida
A la mujer que perdi?
Esc. X.
3) No solo a mi dona Juana
Me hace mal, mas todo aquello
Que la parece, pues dello
Recibo pena inhuman a,
Intentar tengo su muerte.
„Nicht Doiia Juana blos hiess all mein Unglück,
Auch Alles, was ihr ähnlich sieht, muss mich
Vernichten; nein, eher ermord' ich ihn.** ,
4) D. Sancho (Ap.)
No puede hacer cosa buena
Quien parece a mi mujer.
X. J2
178 1^3-s spanische Drama.
besteht in der gleichsam dogmatisch-orthodoxen Erschöpfung des
allgemeinen Begriffes von Hass und Abscheu gegen sein Weib
einerseits, und, als Contrastschilderung, in der Verbeispielung des
allgemeinen Begriffs von probehaltiger Frauentreue aus Gatten-
liebe in des Wortes formalster Bedeutung, woran selbst der brave
Yetter und biderbe Greis, Arnaldo, Anstoss nimmt, der dem
Santiagoritter und Untersuchungsrichter, in welchem Arnaldo
noch immer nicht seine Base, Juana, wittert, über dessen scho-
nung^volles und vertuschendes Vorgehen bei der Untersuchung
verwundert die verfängliche Frage stellt: „Sag mir, kommst Du
als Richter oder als Freund ihm?"^) — „als Freund ihm" (dem
Sancho) schleift zwar wiederum Rapp's Hinkefuss- Jambe als
Schlurrpantoffel nach, aber die Frage ist berechtigt und am
Orte. Don Sancho belauscht, hinter einem Vorhang, als spa-
nischer Wand, versteckt, das Zeugenverhör. Seines Freundes und
Kupplers, Tello, erste Zeugenaussage bestätigt nur dem vice-
königlichen Inquisitor das Sprichwort: Wer da horchet hinter der
Wand, spanischen oder nicht spanischen Wand, der hört seine
eigene Schand. Tello' s Aussage silhouettirt an der Wand einen
Schattenriss seines Herrn mit dem Storchschnabel, so ähnlich und
getroffen, als ob die Wand eine Glasthür wäre, durch welche
Don Sancho's leibhaftes Gesicht sich sehen liesse. 2) „Das war
nur möglich" - wirft Verhörsrichter Juana ein — „wo Du
Kuppler warst." Sancho (für sich, hinter dem gläsernen Vor-
hang): „0 würdiger Cavalier! Soldat von Ehre!"*^) „Ein zwei-
1) 0 veniste por juez,
0 veniste por amigo.
2) — ^fBev verrufenste der Römer
Kommt seinen Lastern nicht von ferne gleich ,
0 wenn das Cabinet hier sprechen könnte,
Wie viele Häuser kämen um ihren Glanz!''
El romano mas culpado
Eternamente ha llegado
A SU lascivo vivir . . .
Ay si hablara este retrete,
0 mil casas que ha rompido!
3) Oh Caballero famoso!
Soldado enfin.
Don Sancho und Shj^lock. 179
ter Daniel." — Letzteres ruft zwar Graziaiio in Shylock's ent-
sprechender Verhörsscene , konnte aber ebensogut Don Sancho
rufen, entzückt über des jungen Santiagoritters und Richters
Führung seiner Sache, wie Graziauo und Bassanio von des jun-
gen Advocaten „Balthasar" Instruction des Rechtshandels sich er-
baut zu fühlen alle Ursache haben, i) Kurz, Don Sancho,
Shylock und Bassanio in Einer Partie — letzterer nämlich in-
sofern er dem jungen Richter so in's Herz gewachsen, wie Don
Sancho dem seinen — lacht sich denn auch, wie jene Beiden,
in's Fäustchen, nur dass ersieh für beide gleichzeitig kitzelt,
während Shylock über das Verhalten des jungen Doctors zuerst,
und Bassanio, als besserer Lacher, zuletzt lacht. Das Pfund
Fleisch aber, und mit dem dazugehörigen Tropfen Blute gut ge-
nossen, reichlich abgewogen, muss Tello hergeben, dem Richter
Juana hundert Peitschenhiebe aufmessen lässt. „Kann man
liebreicher ein Richteramt verwalten?" reibt sich Sancho hinter
dem Vorhang vergnügt rufend: „0 nachsichtiger Richter!" die
Hände.-) Den zweiten Belastungszeugen, Ricardo, welcher bei
Nachtmusiken, die Don Sancho seinen Dirnen brachte, Tenor
gesungen, schickt Juana, als strenger Untersuchungsrichter, der
an dem Inculpaten noch kein crimen laesae, keinen Verrath an
König und Land, hat finden können, und alles üebrige für Ju-
gendstreiche, für nichts achtet'^) — schickt Juana auf die Ga-
leere, wo Ricardo seinen Tenor nach dem Rudertact drei Jahre
lang üben könne, und ausserdem mag der Profoss zu Ricardo's
Mittel- und Mittlerstimme den Tact mit hundert Strophen hinten
1) Parolles' Verhör (IV. 3) streift gleichfalls an das von Tello, und
Graf Bertram erhält, wie Don Sancho, aiis dem Munde seines Dieners
und Gelegenheitsmachers, Parolles, seinen Senf: ,,icli kenne diesen Grafen
als einen gefährlichen, liederlichen Burschen*' u. s. w. An eine Benutzung
vonseiten Shakspeare's ist trotz alledem auf hundert Meilen noch immer
nicht zu denken; hinter's Ohr wollen wir es uns aber doch schreiben. —
2) Shylock ruft: „0 weiser und gerechter Richter!" „0 höchster gerech-
ter Richter!"
3) Mirad; que cargos tan graves!
Que mi homhre mozo lo ha sido.
<jHa hecho traicion al ReyV
^.Vendio en Navarra la entradaV
i2*
180 I^^s spanische Drama.
schlagen. ^) Ein dritter Helfershelfer bei des Vicekönigs „Ju-
gendstreichen", Mauricio, kommt mit fünfzig Stockstreichen davon.
Nun springt Sancho, der junge Springiusfeld, aus seinem Ver-
steck hervor, schliesst seinen Spruchrichter voll Entzücken an's
Herz mit der Versicherung:
„Dass einem Weib, die Euch sehr ähnlich sieht,
Die ich verabscheute von ganzer Seele,
Alles aus mir zu machen heut gelänge/' 2)
Hiermit spräche das Stück sein „Ende gut Alles gut." Nach
spanischer Bühnenetiquette darf dieses aber nur der stehende
Gott aus der Maschine, der König sprechen, der denn auch
schon aus Barcelona und Zaragoza zu dem Behuf eingetroffen,
als doppelter Maschinengott, im Verein mit seiner Parallelherr-
scherin, Königin Isabel. Juana, knieend vor dem Königspaar,
brennt nachträglich mit dem abgehaltenen Protokoll den Beklag-
ten rein von aller Schuld, bis auf die kleinen unverfänglichen
Peccadillen, dass er „Nachts buhlen gegangen" — was doch in
den Augen einer Gattin das schwerste Vergehen scheinen musste,
und was doch Juana selbst, bei ihrer ersten Begegnung mit der
Königin, als Hauptanklagepunkt gegen ihren Eheflüchtling geltend
machte. Ihre liebeswüthige Ehemannstollheit hat dennoch im
Verhältniss der Brutalitäten und bestialischen Behandlung ihres
Ehegötzen zugenommen, und erschwingt zu allerletzt den Gipfel-
punkt, wo der Alcalde Belardo als ihr Ankläger, des vermein-
ten Barbiers Rodrigo, des Verführers und Entehrers seiner
Tochter, Costanza, als Ankläger des „jungen Herrn mit dem Or-
denskreuz auf der Brust" vor das Majestätenpaar tritt, über-
gehend auf Don Sancho's Schandthaten , „der sein eigenes
Eheweib ermordet." Die Doppelanklage macht freilich Juana,
1) Lleve el verdugo el compäs
Con cien azotes deträs
Y tres ailos de Galeras.
2) Tanto amor os he cobrado
Que ä una mujer que os parece,
Y que ml alma aborrece,
Hoy la hubiera perdonado.
Das katholiische Königspaar als Maschinengötterpaar. \g{
aus dem Incognito und dem Mannsanzuge plötzlich springend,
zunichte. Hat sie Don Sancho denn nicht wirklich und zu wie-
derholten Malen ermorden wollen? Und ist das Fehlschlagen
des letzten Mordversuchs sein Verdienst? Von der Schändung
und Schwängerung der in diesem Zustande mit ihrem Vater ge-
genwärtigen Costanza ist weiter keine Rede. Der Vater, Be-
lardo, ist auf's Maul geschlagen; Costänzchen auf das „Pänz-
chen", dass sie Au! sagt, aber ein verhaltenes, verschämtes iVu! ^)
Und dann kein Mum mehr. Königin Isabel, als Maschinen-
göttin, decretirt: „Nun ist Zeit, nicht mehr zum Untersuchen,
zum Vergeben." König Fernando bestätigt dem Sancho das
Vicekönigthum und legt noch die Comthurei hinzu, „die er der
schönen Frau versprochen." Königin Isabel octroyirt dem Ehe-
paar eine Umarmung, die Don Sancho, der Vicekönig-Comthur,
an seiner Frau vollzieht, hochentzückt und gattenselig aufjauch-
zend: „Vergöttern, ich gelob' es, will ich Dich!''-) Und der
Dichter, der an seiner Comedia gehandelt hat, wie Don Sancho
an seiner Gattin Juana und seinem Liebchen Costanza, der Dich-
ter verspricht durch seines Mitschänders, Don Sancho's,
Mund, dem 'Senado' (Publicum), im heimlichen Bewusstseyn sei-
ner kleinen poetischen und technischen Peccadillen, einen „zwei-
ten Theil" zu der Comedia: 'La hermosura aborrecida' ^), wo-
mit er es aber, beim blossen Versprechen es bewenden lassend,
zu halten gedenkt, wie sein Held, Don Sancho, mit seinem Ge-
löbniss, „vergöttern will ich sie." Ist das ein Ende gut, oder
die Absolution eines Beichtpriesters ohne Sündenbekenntniss?
In der von Terentius als Compositionskunst zuerst angewandten
'Contaminatio'4), Verarbeitung und Verschmelzung verschie-
dener Komödienmotive und Argumente in Ein kunstgerechtes
1) De verguenza estoy corrida.
2) Adorarla te prometo.
3) Prometiendole al Senado,
Para despues de algun tiempo,
Darle la segimda parte
De tan extrano suceso.
4) Gesch. d. Dram. II. S. 570. 575.
|§2 J^^s spanisclie Drama.
Lustspiel — in solcher Gestaltungsteclinik begegnen sich die bei-
den grossen dramatischen Dichter, Lope de Vega und Shak-
speare. Mit welchem problematischen, wo nicht anbrüchigen
Verschmelzungserfolge vonseiten des Spaniers haben wir bereits
zu erproben Gelegenheit gehabt, und werden diesen Erfolg an
einer Reihe von Analysen noch fernerhin erproben können. In
welcher höchsten Kunstvollkommenheit der grosse englische Büh-
nendichter jene Verschmelzung, jene Contaminatio zustande
brachte — Das an seinen Dramen zu untersuchen und dem Leser
überzeugend zur Anschauung zu bringen, wäre für uns die Er-
füllung unseres Lebenswunsches, *a consummation devoutly to be
whished', der reichste überschwängliche Lohn für den Arbeits-
schweiss, den uns dieses mühevolle Werk kostet, und die süsseste
Genugthuung für die schnöden Unbilden, die dasselbe gerade von
Solchen erfahren, deren einziges Verdienst im Arbeitsschweisse
besteht, und die es vielleicht eben deswegen unserem Geschichts-
werke nicht vergessen und vergeben können, dass es ihre Kopf-
ausdünstungen überflüssig machte oder ihnen ersparte; wo sie
ihm nicht gar um deswillen bitterböse grollten, weil ihnen der
scharfe Geisteshauch den Kopfschweiss zurücktrieb, aufs Gehirn
warf und das Wasser darin, das der gelehrte Stirnschweiss ab-
leiten sollte, infolge des zurückgetretenen Schweisses, einen hy-
dropisch lebensgefährlichen Zufluss erfuhr.
Tausendfältig lässt Lope de Vega dasselbe Problem: ein von
Liebesleidenschaft bewegtes Frauenherz, wie einen facettirten
Brillanten im Sonnenlicht, im Doppelstrahl von Liebe und Eifer-
sucht, Liebe und Ehre, oder auch mit diesen Conflict-Dualitäten
wechselnd, in allen möglichen Farbennuancen spielen. Den einen
Gedanken: die Siegesgewalt der über Alles triumphirenden Liebe,
unterwirft er, wie der Physiker sein Phänomen, den mannig-
fachsten Experimenten. Nicht die Liebesidee, nicht dramatisch-
dialektische Ergründung und Offenbarung des Wahnes der Lei-
denschaft als seelenbildender, zu weihevoller Gemüthsläuterung
und zu idealer Glückseligkeitsstimmung sich aus den inneren
Bestürmungen hervorklärender, kathartischer Macht, nicht dieser
höchste Endzweck der dramatischen Kunst waltet in seinen Büh-
nenspielen, seinen Liebeskomödien. So wenig wie der Physiker
nach Wesen und Idee des Lichstrahls, der Farbe, des Schalles,
Lope de Vega's Komödie: 'Der Hund des Gärtners'. IS3
oder sonst eines Naturphänomens forschen will und mag, einzig
allein auf dessen Erscheinungsspiele und durch Eechnungen und
Messungen ermittelten Gesetze bedacht: eben so wenig kümmert
sich unser grosser spanische Dramatiker um jene letztgültigen
Wirkungen und Ergebnisse: ihm ist es lediglich um das
psychologische Experiment und dessen überraschende Eesultate
zu thun.
Welche neuen Erscheinungen, welche merkwürdigen Wandel-
spiele des weiblichen Herzens lässt nun der erfindsamste, ver-
suchsmeisterliche, tausendkünstlerische, dramatische Experimen-
tator in einer seiner glänzendsten Liebeskomödien:
El Ferro del Hortelano
(Der Hund des Gärtners)
behufs Bestätigung des urphänomenalen, der Liebe Allmacht
und ünbesiegbarkeit verkündenden und ihren unaufhaltsamen
Triumphzug durch das von heissen Zwiespaltskämpfen durchwogte
Frauenherz besiegelnenden Gesetzes, sich entwickeln?
In Diana's, einer neapolitanischen Gräfin von Belflor,
jugendlich feurigem Herzen glimmt, ihr selbst noch kaum be-
wusst, ein Liebesfunken, den ihr Secretär, Teodoro, auch ihm
unwissentlich, erregte. Der Gräfin adelsstolze fürstliche Geburts-
hoheit überwacht den schlummernden Funken, nicht, wie die
Vestalin das heilige Feuer, um ihn zu hüten, sie überwacht
vielmehr sein, des Funkens, Erwachen, dass er nicht geweckt
werde, nicht von dem leisesten Bewusstseyn der Gräfin selbst.
Nun gleicht aber das Licht eines solchen schlummernden Lie-
besfunkens mehr dem Hellsehen eines in magnetischen Schlaf be-
wusstlos versunkenen Auges, als dem eines Hasen, der mit offenen
x\ugen schläft. Vermöge dieser Eigenschaft erhellt so ein Lie-
besfunken das noch so unbewusst ihn bergende Herz dergestalt,
dass die Helligkeit durch die Herzgrube hindurchscheint, und
diese wie im Schlaftraum, zum Schrecken der gestrengen, ahn-
mütterlichen Hüterin, der vorgedachten fürstlichen Geburtsbe-
wusstheit, aus der Schule schwatzt, in deutlich vernehmbarer
Herzgrubensprache: Equidem dormio, sed cor meum vigilat.
In solchem Zustande zeigt sich uns, Eingangs des ersten
184 ^^^ spanische Drama.
Actes, das Herz der Gräfin Diana, als sie bei nächtlichem Dun-
kel einen Mann aus einem ihrer Zimmer entfliehen sieht und sich
staunend fragt: War es ein Mann, den ich erblickte? War's
ein Traum, der mich betrog? He! schläft denn Alles? i) „Traum'*,
„Schlaf" — ja wohl! Traumschlaf; deines Herzens Liebestraum-
schlaf, geburtshoheitlichstolze Gräfin! Der saalflüchtige Mann
war kein anderer, als ihr Secretär, Teodoro. Der Gräfin ihm
nacheilender Diener, Fabio, bringt blos des Entflohenen Hut zu-
rück, den er ihn auf die Flmiampe habe werfen sehen, um sie
auszulöschen, und unerkannt zu entwischen. Gräfin Diana lässt
ihre Mädchen rufen. Mit ihnen schleicht sich zugleich die rüh-
rigste, geschäftigste der Zofen ein, aber eine unsichtbare, die das
Feuer im Hause beschickt, und fleissig schürt, und den Blase-
balg gar nicht aus der Hand legt; nicht eben um das Küchen-
und Kaminfeuer — um das Liebesfeuer im Herzen zu fachen, ob
das Fünkchen noch so unbemerkt und kleinwinzig unter der
Asche der sechzehn, der sechzig, der hundert Ahnen schliefe;
und je unbemerkter, desto heller, lichterloher es zu fachen. Wer
von uns hätte die unsichtbar sich einschleichende Zofe nicht
schon errathen, nicht die Schürteufelin als Aschenbüttel der spa-
nischen Komödie erkannt? Aber als heimtückisches, bnuidstifte-
risches Aschenbrödel: Die Eifersucht!
Gräfin Diana nimmt ihre beiden Kammermädchen, Anarda
und Marcela, in scharfes Verhör. Unbeschadet der Freund-
schaft für Marcela, sagt Anarda aus: die Erscheinung des Se-
cretärs in der Gräfin Zimmern habe der Marcela gegolten. Was
meint Gräfin Diana hierzu? Fühlt sie noch immer nicht, oder
darf und will sie nicht fühlen, dass sie innerlich zusammen-
zuckt? — Genug, das heimliche Zusammenzucken wird ganz
und gar latent in ihrem Aparte: „Ich bin beruhigt, da es um
meinetwillen nicht geschah." 2)
1) ;Hola! (^No hay une hombre aqui?
Pues no es sombra lo que vi,
Ni sueno que me ha burlado.
jHola! ^Todos duermen ya?
2) Diana (ap.) Con mas templanza me siento
Sabieiido que no es par mi.
Marcela's Verliör. 185
Nun aber in Marcela's Verhör! Wie ganz anders
faucht da schon des unsichtbaren Schürkobolds Blasebälglein in
die Ahnenasche! — Wie glühend roth äugelt der darunter ver-
steckte Funken hervor, als wär's der Widerschein von der Ko-
boldin schadenfrohem Gluthblick! Marcela's argloses, naives
Geständniss ihrer, von Teodoro er\viderten Liebe, hu! wie sprüht
es den Eifersuchtsfunken an, gleichwie mit gereizten Schlängleins
leisem Zischen. Erbangend fragt Marcel a: „Kann ich dafür,
dass Teodoro so albern ist, mir überall, wo er mich treffen kann,
zwei Dutzend Liebesworte nachzuwerfen?" Diana, mit spott-
höhnischem Funkenzischen: „Zwei Dutzend? ei, ein wohlgeseg-
net Jahr, wo sie nach Dutzenden zu kaufen sind!"i) Vernimmt
Diana das Zischen? Gewahrt sie den blitzenden Funken? —
Im Nu knistert es, wie von Käucherpulverduft umwölkt, womit
ihn, Diana — verhüllt. Marcela's zaghafter Versicherung, dass
Teodoro „seine Liebe, ja Ehr' und Zucht auf's Ziel der Ehe rich-
tet'S begegnet nun Diana mit gnädiglicher Frage: „Soll ich's
vermitteln?" Doch müsse sie den Schein des Grolles noch be-
wahren. '^) Knistern vom Räucherpulverduft huldvoller Herrinnen-
Güte, Zischen vom darunter aufblitzenden Eifersuchtsfunken ver-
mischen sich so gunstfreundlich, die Stäubchen des gestreuten
Äromapulvers und die der darübergestreuten Ahiienasche •^) kräu-
seln so traulich durcheinander, dass Gräfin Diana die liebevolle
Ermahnung: „Tiefes Geheimniss verhülle, was du thust" ^), die
1) Marcela Estä Teodoro tan necio,
Que donde quira me dice
Dos docenas de requiebras.
Diana. iDos dncenas? jBueno a fe!
Bendigo el buen ano el cielo
Paes se venden por docenas.
2) Diana. Sustentar mi enojo quiero.
3) „Ob ich, Marcela, die Vermählung auch
Gestatte, wenn es Zeit, so fordert doch
Mein Ruf, mein edler Name grosse Rücksicht . . .
4) Diana. Marcela, aunque me resuelvo
A que OS caseis, cuando sea
Para ejecatarlo tiempo,
No puedo dejar de ser
|g() Das spanische Drama.
Bie an Marcela zu richten glaubt, doch nur ihrem eigenen Her-
zen zuflüstert. Worauf wir aber zumeist gespannt sind, ist Dia-
na's erstes Selbstgespräch. Ihre Geistes- und Herzensverfassung
muss nach Monologen lechzen, wie der gejagte Hirsch nach Was-
ser. Unsere Komödie ist zugleich ein Beleg für die conditio sine
qua non dramatischer Monologie unter gewissen Umständen, und
auch ein Beleg für Lope's Meisterschaft, solche Situationsstim-
mungen in Selbstbekenntnissen zu entladen, „Des Gärtners Hund"
ist vor allem die spanische Komödie der Monologenkunst. Die
selbstgesprächlichen Herzensergüsse, in der Kegel das Schnap-
pen und Gähnen eines wasserlosen, im Sande sich abarbeitenden
und verendenden Fisches — hier sind sie das Wasser auf die
dramatische Mühle, auf die Räder der dramatischen Handlung.
Die Mittheilung der Monologe ist daher geboten; des ersten der
Gräfin zunächst, des Brenn-, Kern- und Krystallisationspunktes
ihrer Innern Conflicte im ersten Act. Zugleich erhält der Leser
einen Vorschmack von der meisterhaften mit dem Original an
Kunst und Feinheit wetteifernden „Nachbildung" des uns schon
durch; die Verdeutschung von Lope's Comedia 'Das Unmög-
lichste von Allem' rühmlich bekannten Herrn Ludwig
Braunfels. Diana hat die im Lobpreise Teodoro's sich ge-
fallende Anarda barsch sich entfernen heissen und bleibt
allein. ^)
Quien soy, como ves que debo
A mi generoso nombre.
1) Diana.
,,Und ist das Alles wahr? — Es ist nicht wahr.
Zwar geistvoll ist er. — Andre sind es auch!
Und schön? 0 nein. Nur hat sein Antlitz Etwas
Das wie ein Räthsel zur Betrachtung lockt.
— Und treu und gut? — Warum soll denn der Diener
Nicht treu seyn, wenn die Herrin gütig ist? —
Sie liebt ihn, weil sie seines Gleichen ist.
— Marcela seines Gleichen? Nimmermehr!
-- Sie fühlt sich glücklich; und ich soll ein Glück
Jetzt kennen lernen, und es selbst entbehren!
0 brach' in dieses glatte, klare Leben
Ein finstrer Sturm des Unglücks ein! Mir ist
So weh! was ist das? — Neid? — Was sagt' ich da?!
Der spaniöcbe Gracioso u. der Servus der röniisclien Köinodie. 187
Teodoro's, dem Factotum der spanischen Komödie, dem
Diener, abgelegte Herzensbeichte, dialogisirt eben blos den
gleichlautenden Contrastaffect und Zwiespalt zu Diana's Geistes-
verfassung, den die Gräfin für's erste noch in Aparte's und Mo-
nologen verräth. Genau betrachtet, sind die meisten derartigen
Zwiegespräche zwischen Herrn und Diener im spanischen Drama
zu Dialogen gespaltene Selbstgespräche , derart dass dem Diener
das Handeln, dem Herrn das Pathos zufallt; nicht wie in der
römischen Komödie, wo der Servus das odium seiner zugunsten
des jungen Gebieters ausgeführten Streiche als dessen Sünden-
bock trägt, und daher in seinem Charakter immerdar handelt;
dramatischer folglich, als der spanische Gracioso-criado, der, sei-
nem Herrn gegenüber, mehr den lustigen Eath spielt, die Lie-
besintrigue als dessen Agent und Charge d'affaire leitet, und ne-
benbei sich des eigenen Antheils und Beitrags zur Handlung als
Neid auf die Sclavin um des Sclaven willen V
Ich hasse diese Magd! — Sey still, Diana;
Du neidest, hassest nun zum Erstenmal.
0 welch ein Fluch muss Liebe seyn, wenn schon
Das Schauspiel fremder Liebe sündig macht!
Doch ist es wirklich Neid? ist's nur ein Sehnen
Nach etwas Unbekanntem? — Gut; ich will
Ihn selbst darüber fragen. - Ihn? o nein! (ab.)"
Die freie Wiedergabe duftet vielleicht nur als wohlriechendes Wasser
vom Parfüm der Herzensstimmung, den die Sonettblume des Originals
zarter und voller athmet.
Mil veces he advertido en la belleza,
Gracia y entendimiento de Teodoro,
Que ä no ser desigual ä mi decoro,
Estimara su ingenio y gentileza.
Es el amor comun naturaleza;
Mas yo tengo mi lionor por mas tesoro;
Que los respetos de quien soy adoro,
Y aun el pensarlo tengo por bajeza.
La envidia bien se yo que ha de quedarme;
Que si la suelen dar bienes ajenos,
Bien tengo de que pueda lamentarme.
Porque quisiera yo que, por lo menos,
Teodoro fuera mas, para igualarme,
0 yo, para igualarle, fuera menos. (vase.)
IS8 Das spanische Drama.
Leistung für seine Person und seinen dramatischen Charak-
ter durch ein3 Liebschaft mit der Zofe entledigt, wodurch er
aber wieder mir seine dramatische Selbstständigkeit, die der rö-
mische KomoJien-Servus bewahrt, preisgiebt, indem er sogar sein
individuelles Liebespathos zur Parallelparodie der Leidenschaft
seines Herrn schematisirt. Doch zählt dieser Tristan zu den-
jenigen Dienerrollen in Lope's Komödien, die den knotenschürzen-
den Servus der römischen Komödie mit dem Gracioso, als Dou-
bletten-Parodie zum Gebieter, in Eine Doppelfigur verbinden.
Tristan, jedoch mit überwiegendem Servus-Charakter; ein Vorzug,
der ihn als einen der dramatisch betheiligtsten und die Ko-
mödie bewegendsten Diener-Gracioso's der spanischen Bühne aus-
zeichnet.
„Liebt Ihr Marcela denn so heiss" — fragt Tristan sei-
nen Herrn, den Secretär Teodoro — „dass Ihr im Saal der
Gräfin mit ihr kosen müsst?" Aus der Antwort erfahren wir,
dass Marcela Teodoro's räthselhafte Schwermuth sich und ihrer
Liebe zugute deutet. ^) Gewissensrath, oder Intriguenrath, Tristan
merkt schon wie der Haase hüpft, und rathet seinem von pro-
blematischster Liebe für Marcela schwärmenden und hinter dem
sich selbst vorgemachten blauen Dunste die eigentliche Herzens-
flamme vor sich selber verbergenden jungen Gebieter, sich mit
dem blauen Dunst nicht selbst hinters Licht zu führen, sondern
vielmehr mit der eigentlichen Herzensflamme der Gräfin ein
Licht aufstecken zu wollen. Das rathet Herrn Braunfels'
„Tristan^' '^) ; folgerichtig inanbetracht der Pendelschwingungen zwi-
schen Gräfin und Zofe, die auch das Herz von Herrn Braunfels'
„Theodor" ausführt, im Unterschiede von Lope's Teodoro, der
im blauen Dunst der Selbsttäuschung, betreffs seiner Liebe
1) Die Lösung suchend, hielt Marcela sich
Am Ende selber für des Eäthsels Lösung;
Und meinem Schmerze, den sie so gedeutet,
Bot sie sich an als Arzt und Arzenei . . .
2) „Lasst ab von dieser Liebe (zur Marcela), rath ich Euch" . . .
Und am Schluss der Scene:
„Doch halt; noch ein Recept will ich Euch schenken:
Nehmt Eurem Blick Diana nur zum Ziel!*'
Ein Liebessonett durch die Blume. 'Ig9
für Marcela, noch bis über die Ohren duselt.^) Da denn nicht
minder folgerichtig Lope's Tristan seinen Herrn vor der Zofen-
liebe warnt, vorerst in Rücksicht auf Teodoro's Secretärstelle bei
der Gräfin, die solche Liebelei in ihrem Hause nicht dulden und
ihn fortschicken würde. ^) Welches Verhalten das psychologisch
ichtigere und feinere, wollen wir nicht erst heraustifteln. Je-
denfalls lässt Teodoro's ehrliche Selbsttäuschung und unwis-
sentliche Täuschung der armen, ihn vom Herzen liebenden Mar-
cela, seinen ohnehin in ein bedenkliches Hin- und Herschwan-
ken gestellten Charakter minder leichtfertig und unedel inbezug
auf Marcela erscheinen, als „Theodor' s" gleich anfängliches und
halb und halb geständliches Versteck spielen mit seiner wahren
und vorgeblichen Liebe; als „Theodor's" Fickelfackel mit seiner
wirklichen Herzensflamme unter dem löchrigen Scheffel seiner
Scheinliebe für Marcela.
Mittlerweile hat Diana's innerer Kampf ihrem geburts-
und hoheitsstolzen Herzen ein verblümtes Liebesgeständniss in
Form eines Sonettes abgerungen, das sie dem Teodoro, als für
eine Freundin gedichtetes, mit der Bitte überreicht, ihr, da sie
von Liebessachen nichts verstehe, ein besseres zu schreiben.-^)
Secretär Teodoro leistet der Gebieterin, unter den schmeichel-
süssesten Verwahrungen seiner Unzulänglichkeit neben ihrem poe-
tischen Genie, dienstbeflissenst Folge, und bringt ihr das, in ei-
nem Nebenzimmer, während Gräfin und Tristan sich gegen-
seitig inbetreflf Teodoro's, auf den Zahn fühlen, von ihm entwor-
fene Sonett-Selam. Es versteht sich von selbst, dass die zwei
Parallelsonette ein gegenseitiges Liebesgeständniss so einheitlich
darstellen, wie Revers und Avers die numismatische Identität
J ) En las gracias de Marcela
No hay defetos que pensar,
Yo no la pienso olvidar.
2) Trist. Dejar de amar ä Marcela,
Pues la Condesa es mujer
Que si lo llega ä saber,
No te ha de valer cautela
Para no perder su casa.
3) — aunque yo ignoro
Teodoro, cosas de amor . .
190 I)as spanische Drama.
einer Medaille bildet, die als Votivmünze dem wäclisernen Her-
zen irgend einer Heiligen aufgeheftet werden soll. Nachdem ein
Jeder das andere Sonett mit dem Blatt vor dem Mund als Sor-
dine gelesen, und die Herzenssprache in diplomatischen Chiffern
ausgetauscht, spielt noch eine Weile das „Wort des Liebesräth-
sels von Mund zu Mund" : ein Turteltauben-Schnäbeln, wobei das
Taubenpaar sich ja auch gegenseitig die Schnäbelchen zuhalten
und zudrücken und sich dessunbeschadet verständnissinnig küs-
sen. Gräfin und Secretär, jedes behält sein Tauschgedicht. Diana —
um dem gräflichen Hochmuthsteufelchen in ihr das letzte Wort
der Scene zu lassen, pour sauver Tapparence - Diana will ihr, viel-
mehr sein, Sonett behalten, um es zu prüfens bevor sie es zer-
reisst. „Zerreissen?" — fragt Teodoro zärtlich betrübt. „Was
liegt" — deutet die Gräfin, sich entfernend, sibyllinisch an —
„was liegt daran, dass er (der Brief, el papel) verloren gehe?
Kann ja doch Grösseres verloren gehen!" ^) Darüber glossirt
Teodoro's Monolog und zupft und rupft, wie Faust's Gretchen, an
der Sternblume: „liebt mich" - „liebt mich nicht" — eine
Quart-Columne lang — hütet sich aber das letzte, entscheidende
Blumenblättchen auszurupfen, worüber noch so mancher Monolog
voll Liebeszweifelkämpfe und so manche zerpflückte und verzet-
telte Sternblume in die Brüche gehen muss. Und in solches
Prellschaukeln seines Herzens zwischen Himmel und Hölle plumpst
die treuherzige Marcela mit ihrer freudevollen Neuigkeit mit-
ten hinein ! Die Gräfin — strahlt ihr Gesicht — willige in ihre,
Marcela's, Vermählung mit ihm, mit Teodoro!. Just beimMonolog-
schluss, im letzten Schaukelsprung begriffen, da gerade stürzt,
auf Marcela's jubelhelle Botschaft von der Einwilligung der
Gräfin, Teodoro's Herz aus allen Himmeln. „Mich täuschte meine
Thorheit" — klagt sein Aparte — „Schmach, dass ich gewähnt,
was sie gesprochen, gelte mir!"-) — Und wirft sich ohne wei-
1) Diana. — auuque bien sarä
Easgarle
Teod. <:, Easgarle V
Di an. Si;
Que no importa qne se pierda,
Si se puede perder mas.
2) Teod. (ap.) Mi ignorancia nie engano.
Lope\s Geniestreiche. |91
teres aus der Pfanne, worin er eben im eigenen Fett seiner bang-
seligen Liebeszweifel geschmort, in die feurigen Kohlen von Mar-
cela's Liebe, an deren wonneglühendem Busen ihn die eintretende
Gräfin erblickt. Die Situations- die Scenenfolge allesammt
Meisterstriche theatralischer Kunst. Nicht leicht möchte selbst
unter Lope's Komödien sich eine zweite finden lassen, wo die Vir-
tuosität im Durcheinanderknüpfen dramatischer Parallelconflicte
und Zwischenfälle mit dem Scheine dramatisch-psychologischer
Dialektik so genialisch, so überraschend, so täuschend spiele, wie
in dieser. Welche Musterkarte von gegenseitig sich balanciren-
den Zwiespältigkeiten! Der Gräfin ünschlüssigkeitszwiespalt
zwischen Familienerbstolz und Liebesleidenschaft; ihres Se-
cretärs Teodoro zwischen einer Pseudoliebe und wirklichen
Leidenschaft pendulirender Seelenzustand ; wobei noch ausser den
erstem, die Irrliebe, sich in eine passive Nothliebe und in eine
joden Augenblick sich des Widerspruchs innewerdende Täu-
schungsliebe, als ihre ünterabtheilung, spaltet, im schwebenden
Gleichgewichte mit dem Herzensschwanken der Gräfin. Und um
nach allen Seiten hin das dialektische Parallelspiel der psychologi-
schen Dualität zu wahren: der Zwiespalt in Marcela's Lage, die
ein Liebesverhältniss mit Fabio, dem Haushofmeister der Gräfin,
um Teodoro's willen aufgegeben, während Fabio sie noch immer
treusinnig liebt, so dass Marcela und Fabio in ihrer Be-
ziehung zu einander das Gegenpaar zu dem Verhältniss zwischen
Marcela und Teodoro abgiebt, indem letzterer zu Marcela die
Stellung einnimmt, die Marcela dem Fabio gegenüber be-
hauptet, und hinwiederum dieser der Marcela mit der Liebes-
treue anhängt, die sie dem Teodoro aufdrängt! Das von Gräfin
Diana verschmähte und in unverbrüchlicher Schicksalsgleichheit
mit verzweifelt paralleler Langweiligkeit sich immer wieder an-
bietende Freierpaar, Conde Federico und Marques Ei-
cardo, vervollständigt das merkwürdige, mit unübertrefflichem
dramatisch -theatralischen Kunstgeschick und Genie, als ein
Meisterwerk psychologischer Komödien - Mechanik aufgebaute
Schaukel System paralleler Herzensbeziehungen und Kämpfe.
;Que necio pensaba yo!
Que hablaba eii mi la Coiidesa.
192 J^^s spanische Drama.
Aus Teodoro's zwiespältiger Umarmung lässt die angeb-
lich in ihrer hausherrlichen Ehre beleidigte Gräfin^) die
arme Marcela von deren Dienstgenossin, Dorotea, auf ihr
Zimmer bringen und daselbst einschliessen sine ira et studio,
wie die Gräfin versichert. 2) Nun weiht in der letzten Scene
des ersten Acts Teodoro die Gräfin Diana, auf ihren Wunsch,
in das Geheimniss seiner, trotz Umarmung und Eheversprechen,
unverfänglichen Scheinliebe ein, mit einer Klarstellung dieses
Verhältnisses , als hätte er es auf geflissentliche Täuschung der
armen Zofe angelegt. „Doch die zärtlichen Schmeichelworte" —
inquirirt die Gräfin — „reine Lügen! Tausend Lügen auf ein
Tröpfchen Wahrheit und das kaum!"^) Gräfin dringt auf den
Wortlaut. Jetzt gilt's, die Aequilibristik bewundern, mit welcher
Teodoro, der einzige Spanier in der Komödie, auf das Doppelseil
einer neuen Parallelspannung in Situation und Affectstimmung
hinanspringt, und mit welcher Kunstfertigkeit er seine, Marcela
gegenüber, vorgebrachte Liebesschmeiclxelei , der Gräfin insi-
nuirt!^) Erstaunlich, erstaunlich! In Diana's Rosenöhrchen
spalten sich sofort wieder diese auf zwei Adressen lautenden
Schmeichelworte : in flüchtige Eifersuchtsanwandlung und heim-
liche Beziehung der idolisirenden Schmeichelphrasen auf sich selbst ;
und spalten sich gleichzeitig auch auf Teodoro's Lippen in die
1) Teodoro, justo castigo
La deslealtad mereciera
De haber perdido el respeto
A mi casa.
2) No direis que esto es enojo.
3) Vistiendo de mil mentiras
Una verdad, y esa apena.
4) Ich sagt' ihr: Dieser Augen Zwillingspaar,
Sie sind die Sonnen meiner dunklen Welt;
Und dieser Mund, so purpurroth geschwellt,
So himmlisch — —
Teod. — „Esos ojos
(Le dije), esas ninas bellas,
Son luz con que ven los mios
Y los corales y perlas
Desa boca celestial ..."
Diana's Liebeswinke. 193
Doppelabsicht: die Gräfin auf die Eifersucht zu sondiren, und
zugleich mittelst der Sonde in ihr Herz ein Tröpfchen Liebesge-
ständniss zu flössen. Den Eifersuchtsstich lächelt Diana in
Gleichgültigkeit um^); die innere Lust, dass ihr die Schmeichel-
vergötterung gelte, springt flugs in die Mythe von jener Freundin
über, für die sie das Sonett von Teodoro hatte schreiben lassen, und
die noch immer rathlos geblieben, wie sie, die Freundin, bezüg-
lich des jungen Mannes, sich verhalten soll, der unter ihrem
Stande, und für den sie Liebe 2) fühle . . . Kurzum die gegen-
seitigen Haarspaltereien ihres doppelsinnigen Sichausholens gleiten
in ein beabsichtigtes Hinfallender sich entfernenden Gräfin
aus 3) , damit ihr Teodoro, durch Handreichung, aufhelfe. ^) Aus
dienstlicher Ehrerbietung bietet ihr der Secretär die in den Mantel-
zipfel gewickelte Hand: „Welche zierliche Unart!" — schmält
die Gräfin! — „Mit dem Mantel reichst Du mir die Hand?"^)
Teodoro stammelt Berufung auf seine Dienstesstellung. Sie aber
fasst ihn an dieser gerade beim Zipfel, nicht am Mantelzipfel. ^)
Der bedeutsame Wink, das Zittern ihrer Hand in der seinigen,
1) „Doch magst Du immer glühn bei ihren Reizen!" . . .
Que yo quiero que la quieras . . .
2) Para a quella amiga mia
Que ha dias que no sosiega
De amores de un hombre humilde.
3) Ein Situationseffect , dem wir in einer ital. Komödie des Cicognini
begegneten, den der Italiener, allem Anschein nach, aus dieser Komödie des
Lope in die seinige verpflanzte (Gesch. d. Dram. V. S. 707 E).
4) Diana. — \ky Dios!
Cai ^Que nie miras? Llega,
Dame la mano.
5) Diana. iQue graciosa groseria!
iQue con la capa la ofrescas!
6) — Ein Secretär,
— Sein Name zeigt es schon, — kennt seines Herrn
Geheimnisse, und muss geheim sie halten;
Das heisst: Lass es geheim sein, dass ich hier
Gefallen, wenn Du Dich erheben willst. (ab.)
Que agora eres secretario;
Con que te he dicho que tengas
Secreta aquesta caida,
Si leventarte deseas (vase.)
X. la
j94 I^^s spanische Drama.
der Wangen rosiges Erglühen und mehr solcher Selbstverräthe-
reien des Herzens — Teodoro ventilirt das Alles im monologischen
Schluss-Sonett des Actes und wirft dabei sein Herz, wie eine
heisse Kastanie, aus einer Hand in die andere, und fasst sich
endlich ein Herz, aber bis auf Weiteres nur so weit, um jede
Rücksicht auf die arme Marcela in den Wind zu schlagen ^\
was sich mit der Ehre eines spanischen Liebesritters sehr gut
verträgt und sie so wenig, wie eine Parallellinie die andere,
berührt.
Der zweite Act spinnt die Antithesen zwischen Gräfin,
Zofe und Secretär munter fort, mehr in verstärkten als ge-
steigerten Spannungen und in wechselnden Nebensprüngen, wo-
von wir, nach der umständlichen Zergliederung des ersten Actes,
nur die Hauptspitzen andeuten dürfen. Im Seligkeitsschwindel
seiner Liebeshoffnung zerreisst Teodoro Marcela's von Tristan
ihm überbrachtes, liebevoll zärtliches Briefchen ohne es zu lesen,
schaudernd ob der Aufschrift: „An Teodoro, meinen Gatten." 2)
Marcela findet die Stücke am Boden liegen und vernimmt von
Teodoro: Mit ihrem Brief zerriss er auch sein Verhältniss zu
ihr, und — Gott befohlen! 3) Diese ünwürdigkeit muss noch
Marcela's schneilversuchtes Wiederanknüpfen mit Fabio bemän-
teln, wodurch Beide, Marcela und Teodoro, für unsere Sympathien
abgethan sind! Schade um Marcela, die so rührend anmuthig
angelegt schien. Jetzt hat sich ihr Blättlein so gewendet, dass
am duftigen, von Teodoro's rauhem Hauch zerknitterten Röschen
nur der Dorn festsitzt, der Dorn, der die Aermste in der Gräfin
Auge bleibt *) ~ der Gräfin, die ihrem Kammermädchen, Anarda,
ihre Leidenschaft für einen Menschen niedrigen Standes bekennt,
1) Mas dejar ä Marcela es caso injusto;
Que las mujeres no es razon que esperen
De nuestra obligacion tanto disgusto.
Pero si ellas iios dejan, cuando quieren
Por cualquiera interes 6 nuevo gusto,
Mueran tambien como los hombres mueren.
2) (jMarido? iQue iiecio enfado!
3) Marcela, queda con Dios.
4) Diana. — no hay disgusto que sea
Para mi major agora.
Taillen -Frage. 195
entschlossen, ihre Standesehre gegen diese Leidenschaft zu wah-
ren J) Die plötzliche Enthüllung ihres Herzens vor der Zofe; der
ebenso plötzliche Vorsatz, ihre Standesehre als Löschhütchen auf
ihre Liebe zu stülpen, oder diese unter den Löscheimer ihrer Stan-
desehre zu stellen — reime diese Prauenherzenspsychologie mit
dem Verhalten der Gräfin im ersten Act zusammen, wer reimen
mag — unser sichbescheidendes ürtheil vermag aus solcher üm-
schlagspsychologie eines in Hoheitsstolz sich gleichsam vor sich
selbst verhüllenden Frauenherzens sich nur den Vers zu machen,
dass der zweite Act an dem ersten eben auch nur so hinläuft,
wie eine Parallellinie an der andern, ohne an eine Kreuzung oder
Verschränkung mit ihm entfernt zu denken. Es müsste denn der
unmittelbar darauf folgende Auftrag der Gräfin an Teodoro
einen solchen Rückgriff in den ersten Act bedeuten; der Auf-
trag: dem Marques Ricardo, dessen Taille, auf Befragen der
Gräfin, Teodoro vor der des Conde Federico den Vorzug
giebt — den Marques ihre auf ihn gefallene Wahl zu ihrem Gat-
ten anzukündigen. ^^) Verblüfft weiss sich Teodoro's Monolog aus
dieser plötzlichen Umwandlung, diesem psychologischen Umschlag
in Gräfin Diana eben so wenig einen Vers zu machen, wie Un-
sereins J) Kommst du mir so, so komm' ich dir so; stülpst du
dich mir nichts dir nichts, wie ein Handschuh, um, so kehr' ich
mich, dir nichts mir nichts, wie ein Strumpf oder eine Nacht-
mütze um; so kehr' ich — wie der Hund, gleichviel ob des
Gärtners oder eines Andern Hund, zu seinem vomissement —
kehr' ich zu meinem lieben Marcelchen zurück.'*) Die Rück-
kehrscene zwischen Teodoro und Marcela erschien dessun^'e-
1) — — es hombre
Que puede infamar mi hoiior . . .
— Yq quiero
No querer.
2) Diana. <iTiene el Marques major talle
Que mi primo?
Teod. Si seiiora.
Diana. Pues elijo al Marques: parte,
Y pidele las albricias.
3) Hai mudanza tan notable?
4) Queramos nuestra Marcela.
13^
196 ^^^ spanische Drama.
achtet dem grössten französischen Komödiendichter werth und
würdig, dass er sie, zugunsten einer ähnlichen Situation, nach-
ahmte ^), aber ohne an den Hund zu erinnern, qui retoure ä son
vomissement. Wie schon im ersten Act die trauliche Umar-
mung, beschleicht Gräfin Diana auch diese Versöhnungsscene
im zweiten, nur dahin modificirt, dass sie diese in Begleitung
ihrer Steigreifs- Vertrauten , Anarda, belauscht, und hinter bei-
den die unsichtbare Hauskoboldin der spanischen Komödie, ihr
Aschenputtel, die Eifersucht, mit ihrem ßlasebälglein daher-
huscht, das auch schon, der Gräfin im Kücken, arbeitet und
pustet.^) Ueber die zwischen Marcela und Teodoro von
Tristan zuwege gebrachte Versöhnung kommt das Gebläse der
Koboldin so in's Schnaufen, dass Gräfin Diana in Einem Athem
glüht und friert und dies der Anarda im Vertrauen bekennt.^)
Tristan erblickt die Gräfin zuerst und entflieht vor dem herein-
brechenden, vom Blasebalg angefachten Donnerwetter "*), das sich
in einem Brief entladet, den die Gräfin dem im tiefsten Her-
zen erbebenden Secretär ^) dictirt. Teodoro schreibt knieend ^) —
eine Vorübung zum Hinknieen beim Kopfabschlagen, das er er-
wartet.'^) Der Brief ist kurz, und scharf wie ein Beil: „Wenn
1) Tartuffe, Acte IL Sc. 3.
2) Diana (ap.)
Amor con celos despierta.
3) Anarda (ap.)
— me hielo, me quemo.
4) Tristan (ap.)
El cielo a tronar comienza:
No pienso ä gnardar los rayos. (vase.)
5) Teodoro (ap.)
Todo el corazon me tiembla.
6) Auch diese Scene und Situation hat Cicognini nachgeahmt. (Gesch.
d. Dram. a. a. 0. S. 713. )
7) Teodoro (ap.)
No me agrada este favor . . .
Que quien honra las rodillas
Costar quiere la cabeza.
„Die Gunst missfällt mir . . .
Und wer die Kniee ehrt, will an den Kopf."
Die Gräfin hatte ihm von Anarda einen Polster unter das Knie legen
lassen.
Was sich die Ptiastersteine erzählen. j^97
eine vornehme Dame sich einem Niedriggestellten erklärt hat,
ist es unverzeihlich von ihm, sich mit einer Anderen in ein
trauliches Gespräch einzulassen; wer aber sein Glück nicht zu
schätzen weiss, bleibt sein lebelang ein Thor." 0- Teodoro hat
den Brief gefaltet und fragt nach der Adresse: „Setze die Dei-
nige; der Brief ist für Dich" 2) — und geht mit Anarda ab,
die nicht nur die Scene voll Erstaunen verfolgte , die auch noch
der Gebieterin in's Gesicht sagte : „Du liebst!" — „Und das merkst
Du jetzt erst?" höhnt sie die Gräfin an. — „Doch Wen?" „Die
Steine — dummes Geschöpf! — erzählen sich davon, und Du
fragst noch?" Die Aufschrift, die sie nach diesen Worten den
Secretär aufs Brief chen setzen hiess, schreit der Anarda in's
Ohr, was die Steine im Hause murmeln J) Nur Teodoro rollt
noch, allein gelassen, den Brief zum Ohrtrichter und schiebt ihn
in die Gehöröffnung, um zu lauschen, was die Steine murmeln
und kann's noch immer nicht recht verstehen, ^) So viel hat er
indessen durch den Ohrtrichter verstanden, um mit gutem Ge-
wissen seinem Marc eichen, das ihn aufgesucht, sogleich wieder
den Laufpass zu geben, und ihr eine glückliche Ehe mit Fabio
zu wünschen, wonach er sich empfiehlt. Mit dem Ball treibt der
1) ,,Qiiando una mujer principal se ha declarado con un hombre
humilde, es lo mucho el termino de volver ä hablar con otra; mas quien
no estima su fortuna, quedese para necio/'
2) Pon, Teodoro, para ti.
3) Anarda. Pues ä quien tienes amor?
Diana. ^Aun no le conoces, bestia?
Pues yo de que le murrauran
De mi casa hasta las piedras.
4) Teod. iHay confusion tan extrana!
iQue aquesta mujer me quiera
Con pausas, como sangria,
Y que tenga intercadencias
El polso de amor tan grandes!
„Höchst seltsam, unbegreiflich! Dieses Weib
Liebt mich; doch ihre Liebe kommt und geht
Stossweise, wie beim Aderlass das Blut
Bald springt, bald wieder ausbleibt. Warum zeigt
Der Puls der Liebe so viel Stockungen?
Nie werd' ich sie verstehn.**
198 ü^s spanische Drama.
Schlägel kein muthwilligeres Spiel, als dieser Secretär mit dem
bald zu- bald abgeschlagenen Herzen des unglücklichen, von des
„Gärtners Hunde''-Komödie so grausam misshandelten Mädchens.
Sprachlos nachstarrend dem spanischen Rohrprellstock, presst sie ihr
seufzervolles Herz in den witzigen Vergleich des Teodoro mit
einem Schöpfeimer aus, den die Gunst der Gräfin füllt, wenn er
nieder- und ihn leert, wenn er emporsteigt, i) Dass er den
Doppeleimer an der Welle spielt, das weiss selbst Lope's Komödie
nicht, desto mehr wissen die Steine in unserem Hause davon zu
erzählen. Wie Teodoro die Marcela, so kurz fertigt Gräfin Diana
in der nächsten Scene den von ihr durch Teodoro zu ihrem Gat-
ten erkornen Marques ab, der wieder bereichert um einen Korb
mehr zu den vielen von der ihn heimschickenden Gräfin ihm auf-
geladenen leeren Körben, so stillvergnügt abtrollt, wie ein vom
Gemüsemarkt heimkehrender Esel. Und das Ballspiel, das Teo-
doro mit Marcela's, Marcela mit Fabio's Herzen angestellt, das
führen in der nächstfolgenden Scene zum so und so vielten Male
Teodoro und Gräfin Diana zusammen aus, trotz Brief, Knie-
polster und murmelnden Steinen. Sie werfen sich einander die
Herzen zu und zurück. Teodoro zuerst, der sich den „Thoren",
womit der Gräfin Brief an ihn schliesst, hinter das schwerhörige
Ohr geschrieben, und ihr nun stramm weg erklärt, dass er sie
liebe. ^) „Lieben?" — schlägt die mit Ahnenschild und Stamm-
baum bewaffnete Gräfin den Ball zurück — „Lieben?'' — ja wie
der Diener die Herrin allerunterthänigst zu lieben verpflich-
tet ist. Der schwerhörige Secretär versteht wieder nicht. ^) „Was
ist da nicht zu verstehen?" — giebt die Gräfin zurück. „Von
einer Dame meines Ranges muss ein Mann gemeinen Standes,
wie Du, die geringste Gunst als Glück und Ehrenschmuck für's
1) Que el estä como arcaduz,
Que cuando baja, le Uena
Del agua de su favor,
Y qiiando sube, le mengua.
2) ~ ya soy colpado
de necio . . .
Y osi, ä decir me rcsiielvo
Que te quiero.
3) Ese Icnguaje iio eiitiendo.
„Der Hiuid des Gärtners/' |99
ganze Leben schätzen und preisen." ^) Diesen Wink mit dem
Stammbaum als Zaunpfahl versteht er'^), aber krumm, und sieht
sich gemüssigt, der Gräfin in aller Ehrfurcht und ünterthänig-
keit, aber rundweg zu erklären: sie sey verrückt, wenn auch nur
stellenweis und mit lichten Intervallen.^) Sie schleudere ihn,
ärger als das stärkste Wechselfieber, zwischen Eis und Gluth hin
und her. Sie gleiche, mit Verlaub vor Ihre Gnaden, dem „Hund
des Gärtners", auf den die Komödie getauft ist, welcher Hund
selbst nicht frisst, aber auch keinen andern fressen lässt. ^) Sie
möchte ihm doch mindestens sein Marcelchen gönnen — „Jede
Andere, nur die nicht" — fährt die Gräfin auf, prasselnd und
sprühend, wie die Eifersuchtsflamme in Person. Nach der Mar-
cela kräht kein Hahn ! ■^) — „Wie, kein Hahn ? wenn ich sie liebe
1) Que de una mnjer, Teodoro,
Tan principal, y mas siendo
Tis meritos tan humildes,
Basta un favor muy pequeno
Para que toda la vida
Vivas honrado y contento.
2) „0 nun versteh' ich Euchl"
3) Teod. Gierte que vuseiioria
(Perdoneme si me atrevo)
Tiene en el juicio ä veces
Que no en el entendimiento,
Mil lucidos intervalos.
4) Mas vienele bien el cuento
Del perro del hortelano . . .
Pues coma e deje comer.
Wiederholt in seiner Folgescene mit Tristan, vom kunstverständigen
Bearbeiter und Nachbildner der Komödie aber, die diesen Hund im Titel-
wappen führt, dem Tristan in den Mund gelegt, und colorirt mit den
schönsten Parabelfarben :
Tristan. „Just wie des Gärtners Hund, der eine Ziege
Vom Kohlstrunk wegjagt; und da sie ihn bat:
jjFriss, oder lass mich fressen!*^ rief er barsch;
„Ich kann ihn nicht, Du sollst ihn nicht gemessen!"
Teodoro. — naturalmente
Es del hortelano el perro.
M come ni comer deja.
5) Que me case con Marcela , , .
Diana. Eso no —
200 ^^s spanische Drama.
und sie mich liebt -- sie anbete?" Klatsch! hat er den Blase-
balg im Gesicht, den der Gräfin ihr unsichtbarer Aschenputtel
in die Hand gespielt. Piffpaff! auf beide Backen, wie sie Juno
der Venus nicht schallender versetzte, und so maulschellen-ma-
jestätisch wie Juno ~ in der einen Hand den Stammbaum, in
der andern den Blasebalg und Funken speiend, wie die von ihren
Windschläuchen bearbeitete Schmiedeesse. „Schuft, infamer!^)
umbringen lass' ich Dich auf der Stelle!'' ~ „Was beginnen
Euer Gnaden?" — „Was ich beginne? Das beginn ich: Piffpaff!
Du Schmutzfink! Pitschpatsch! Du grober Tölpel!""-) Schallt und
klappt es, wie auf französisch Backpfeife und Blasebalg in das
nämliche Wort, „Soufflet", zusammenklappen.
Hierzu kommt — bewundert die komischen Kraft, womit die
neue Situationsincidenz einschlägt! — kommt des Marques Ri-
cardo Parallelfreier um seines „Mühmchens", der Gräfin Hand,
kommt Conde Pederico. Seine halbe Grafschaft gäbe er um
ein Tröpfchen des Blutes, das er aus des Secretärs gemaulschell-
ter Nase sickern sieht und betroffen-neidisch anglotzt. Eine Ohr-
feige — sey's auch in Gestalt einer Nasenfeige, von heisser, er-
strebter und umworbener Hand versetzt, o süsseste der Feigen!
0 um den beglückendsten der Backenstreiche ! 0 um die alsbald
zur bräutlich gereichten Hand sich entfaltende Handschlags-
knospe! 0 um der Mitgift und des Gatten-beseligenden Mahl-
schatzes holde Vorboten- und Herold-Dachtel! — glotzt der
gräfliche Freier und Vetter noch immer, offenen Mundes vor
leckerer Begier nach solchem Nasenschneller von glühend er-
sehnter Hand. „Ein kleiner Aerger" — erklärt Mühmchen Diana
dem neidverblüfften Vetter — „ein kleiner Aerger, wie das zwi-
Que Marcela no ha de ser .
— Que an Marcela
No hay remedio.
1) Diana. ;Picaro, infame!
Hare yo que os maten Ingo
Estos bofetones.
2) Teod. Que hace vusenoria?
Dian. Daros, por sucio y grosero
Estos bofetones.
Eine verliebte Ohrfeige. 201
sehen Herrn und Dienern öfters vorkommt." 0 Basta! — Mit
der Auskunft ist des Conde Freierbesuch abgefunden, dessen fei-
ner Eiecher aber sogleich herausgeschnüffelt hat, was hinter dem
„kleinen" nasenblütigen „Aerger" steckt. „Mich bedünkt" — giebt
er dem Fabio, nachdem die Gräfin sich entfernt hat, zu ver-
stehen — „mich bedünkt, dass hinter diesem Aerger ein Geheim-
niss verborgen liegt" ^), lässt der sein Original noch überfeinernde
deutsche Nachbildner den Conde Federico tifteln und nüsseln,
höfisch zart und des Conde Abgangsbemerkung vertuschend:
„Sein (Teodoro's) Schnupftuch ist voll Blut." ^) Das Capital aber,
das Teodoro aus diesem Schnupftuch und aus diesem Blute
schlägt! Erstens, die in einem monologischen Sonett ausge-
sprochene, nunmehr unbeirrbare, mit seinem Blut besiegelte Ueber-
zeugung: dass ihn die Gräfin liebt.*) Ein Schlag in's Gesicht
von Frauenhand ist die beste Handfeste und das sicherste Lie-
bespfand, und gar ein Schlag voll Nasenblut: Grafenkron und
Kittergut. Diana's hastige Wiederkehr, ihre zärtlich beherzte
Anfrage um Teodoro's und seiner Backe Befinden, ihr drin-
gendes Verlangen nach seinem Taschentuch ^) : ihre Grundangabe
auf Teodoro's „Wozu?" — „Weil das Blut ich liebe" ^) — es
brauchte gar nicht des vom deutschen Nachformer in Parenthese
angeschnörkelten Verschönerungszuges („küsst heimlich das Tuch"),
es braucht dessen gar nicht, um die binnen wenigen Augen-
blicken hochaufgelaufenen Zinsen zu berechnen, die Teodoro
1)
— enojos que pasan
Entre criados y duefios
2)
Yo sospecho
Que en estos disgustos liay
Algunos gustos secretos.
Ich argwöhne:
Hinter dieses Aergers Unlust
Liegt geheime Lust verborgen.
3)
Banole de sangre el lienzo.
4)
Si aquesto no es amor ^ique nombre quieres,
Amor, que tengan desatinos täles? . . .
5)
^Adonde tienes el lienzo V
6)
Teod. (SPara que?
Diän. Para que este sangre quiero.
202 Das spanische Drama.
sofort zum Capital in geschlagenem und geprägtem Ohrfeigengolde
schlägt; — die zweitausend escudos ungerechnet, die ihm die
Gräfin, auf Abschlag seines Mahlschatzes und ihrer Mitgift, vom
Haushofmeister ^) auszahlen lässt, und ohne ihr „Dazu" auf Teo-
doro's „Wozu?" in Anschlag zu bringen: nämlich „zu Taschen-
tüchern." 2) Zweitausend spanische Thaler zu Schnupftüchern --
0 des Blutgelds ! o der Goldgrube von rentabler Nase ! „Um den
Preis" — meint Tristan im Anhängselscenchen zum zweiten Act —
„kannst Du Dir ja stärkere vier Backpfeifen alle Nasenlang von
ihr ausbitten." ^) Zuletzt muss noch das Scenenendchen sein spitzes,
den Komödientitel bestichelndes Epigrammenstachelchen durch
Teodoro's Mund hervorschieben. Der Stachelvers besagt: „Nun
des Gärtners Hund gebissen hat, fängt er zu wedeln an."^) In
Lope's Act-ßestchen kommt Teodoro auf den Hund — des
Gärtners zurück ; in seines Verschönerers und den Terro del Hor-
telano' hofbühnengerechtleckenden Verfeinerers Schlussanhängsel
ist Tristan derjenige, welcher des Gärtners Hund beissen und
wedeln lässt; nicht ohne sinnreiche Hinzielung auf jenes andere
hundebetreffliche Sprüchwort: „Komm' ich über den Schweif, so
komm' ich auch über den Hund" — eine Zuversicht, die Lope's
kunstgewandter Abschleifer mit feinem Verständniss nur den
Tristan eben, die eigentliche dramatische Triebfeder der Ko-
mödie, aussprechen lassen durfte; den Tristan, der nicht blos
sich und seinem Herrn sammt dem übrigen Personal, der auch der
Komödie selber über ihren Titel hinweghilft, über den Schweif
und über den Hund, wie der letzte, der dritte Act zeigen
wird; ja worauf der deutsche „Theodor", den spanischen Teo-
doro überbietend, in seinem Abschlussseufzer zum zweiten Act
hinausweist, welcher Seufzer als Klageecho seines noch immer
1) — ä quien agora
Mande que te dien luego
Dos mil escudos, Teodoro.
2) Teod. ^Para que?
Dian. Para hacer lienzos.
3) Trist. Bien puedes tomar al precio
Otros cuatro bofetones.
4) No auda mal agora el perro
Pues despues que muerde, halaga.
Fabel ex tempore. 203
sich hin- und herschaukehiden Zweifels und Widerstreits, that-
unschlüssig, verhallt:
,,Dass Du (Tristan) den blöden Spass nicht lassen kannst,
Wenn ängstlich in mir streiten Lust und Qual!
0 Himmel gieb, dass diese Zweifel enden."
Den „blöden Spass" vorläufig noch in petto behaltend, denkt
Tristan im Stillen: Ei du blöder Zweifler! Du sammt Komö-
die, Titel und Zubehör, ihr alle stündet noch auf demselben Fleck,
trotz eurem ewigen Widerstreit zwischen Lust und Qual, trotz
euren, wie parallel an parallelen Stricken hängende Uhrgewichte,
immer wieder aufgewundenen und abgelaufenen Herzenszwiespälten,
ja, trotz eurer von der französischen Poetik — die das Dogma
der spanischen Komödie, wie so Vieles abgefugst — als die Seele
dramatischer Bewegung gepriesenen und eingeschärften Her-
zenskämpfe, „combats de coeur" genannt — Alle stündet ihr
noch auf demselben Fleck ohne meinen „Spass", den ich mir
für den letzten Act aufspare, und der allein euren Zweifeln,
euren combats de coeur und eurer Komödie ein Ende macht.
Des Spasses Hauptspass ist nun aber, dass Tristan, um
ein Ausgangsferment von dramatischer Handlung, um eine komi-
sche Katastrophe in die Komödie zu bringen, um diesen Gäh-
rungs- und Klärungstropfen von Fabelentwickelung, um dieses
Stückchen Sauerteig von letztgültiger Entscheidung und die dra-
matischen Ursachsmomente zusammenfassender Schlusswirkung in
die Conflicte zu werfen — dass Tristan dieses Handlungsfer-
ment, dieses Stückchen Sauerteig von dramatischer Fabel der
italienischen Komödie entraffen muss! So unfruchtbar sind
blosse Affectspiele, Seelenzwiespälte, innere Widerstreite, sind noch
so bewegte an Contrastsituationen, Wandlungen und Stimmungs-
umsprüngen noch so reiche Herzenskämpfe, und sind die noch so
leidenschaftlichen, mit noch so phychologischer Dialektik und fein-
meisterlicher Kunst gegeneinander abgewogenen combats de coeur
— so unfruchtbar sind sie an wahrhaft dramatischem Leben, an
dramatischer Triebkraft und Fortentwickelung zu einer aus den
Conflicten selbst, als Reflexen der Fabelmomente, mit poetischer
Noth wendigkeit entspringenden Katastrophe und Genugthuung!
Die conditio sine qua non zu solcher das ganze Stück durchwal-
204 I^^s spanische Drama.
tenden Schlusswirkung ist eben: die von der philosophischen Poe-
tik postulirte dramatische Fabel; ist ein äusserer, aber, wohlge-
merkt! dramatisch durchgeistigter, d. h. mit den inneren Herzens-
conflicten und Leidenschaften innig verwebter Vorgang, ohne wel-
chen die heftigste Gemüthserregung, die stärkste Leidenschaft, das
stürmischste Herz wie der im heissen Sande, und je heisser desto
vergeblicher sich abkeuchende und desto kläglicher sich todtzap-
pelnde Fisch. Natur und Kunst, äusseres und inneres Le-
ben — wo diese Wechselwirkung und Ineinanderspiegelung fehlt,
kommt nichts^ Gescheidtes zustande, am allerwenigsten im Drama,
dem vorzugsweis kunstidealen Abbilde jener aus anfüglicher Ge-
genwirkung that- dialektisch sich vollziehenden Ineinsgestaltung.
Das Naturmoment im Drama vertritt aber die thatsächliche Fabel
eben, die in Handlung gesetzten und nur als solche zur Erschei-
nung kommenden, als kunstwirkliche Naturerscheinung sich oifen-
barenden Affecte, Leidenschaften, seelenaufrührerischen, aus tief-
stem Lebensgrunde hervorgebrochenen Gemüthsstürme, gleich-
viel ob von geschichtlichen oder gesellschaftlichen, komischen oder
tragischen Motiven aufgeregt; ob in majorem gloriam welthisto-
rischer Ideen und Cultur-Ideale, oder häuslicher Gesittungsläu-
terung des Familienlebens durchgekämpft.
Darum Lob und Preis Dir, wackerer Tristan! für den küh-
nen Griff in die italienische Findlingskomödie, behufs eines
Schlussmotives wenigstens, in Ermangelung einer durchgängigen
Fabel und einer in den ersten zwei Acten vorbereiteten Ka-
tastrophe. Preis und Ehre Deinem herzhaften Griff, zu welchem
Dich ja schon der Boden, wo Dein improvisirter Austrags-An-
schlag gedeiht, der italienische Grund und Boden, der Schauplatz
der Komödie, Neapel, eignet und berechtigt. So stehst Du
denn als regelrechter „Armenier" vor Diana's ehrenfestem
Oheim Conde Ludovico, dem ein Söhnchen im Kindesalter
von türkischen Piraten geraubt worden, wie Du zu dem Behufe
erkundet, als Dir plötzlich im dritten Act, wo Dir und der rath-
losen Komödie die Katastrophe bereits auf die Nägel brannte,
der anschlägige Einfall kam, Deinen jungen Gebieter, Teodoro,
zur Ebenbürtigkeit mit Gräfin Diana, durch ein aus dem Aer-
mel geschütteltes Märchen zu lügen und zu trügen, da das Lie-
bespaar, Diana und Teodoro, unbekümmert um alles, was
Teodoro ein Findlings-Graf. 205
zwischen ihnen in den ersten zwei Acten vorgefallen, und selbst
der einzigen zur Noth dramatischen Fortschrittsbedingung in die-
sen zwei Acten: der gegenseitigen Liebesgewissheit nach so vie-
len Ab- und Rückschwüngen, ganz und gar vergessend — da das
Liebespaar doch wieder, und gleich in der ersten Scene des drit-
ten Acts, auseinanderschlägt: Teodoro, indem er aus heiler
Haut von der Gräfin die Erlaubniss, nach Spanien zurückzu-
kehren, erbittet^), und die Gräfin, mit thränenvoUem Rück-
blick auf die, als flammendsten Liebesbeweis seiner Wange auf-
geglühte Ohrfeige, ihm Glück auf den Weg wünscht, und mit
dem Reisesegen zugleich ein Reisegeld voii 6000 spanischen Tha-
lern anweist: Seine Abreise käme ihr gelegen, da ihr Vetter
und Freier, Federico, seit jener Ohrfeige sich eifersüchtig gegen
sie gebärde, was der Hoheit ihres Standes nicht genehm seyn
könne. Drum zieh' hin; „giebst Du auch Wasser meinen Au-
gen, so giebst Du durch Deine Entfernung doch Ehre meinem
Hause." 2) und wiederholt dem wieder Eingetretenen auf seine
Anfrage, ob er noch heute abreisen könne, dringend: Zieh' ab!
mach' mir das Herz nicht schwer, damit es im Balanciren mit
meiner Standesehre nicht durch üeberwucht deren Wagschale
emporschnelle. Geh' nach Spanien, Trauter! mach', dass Du fort-
kommst!^) Sie sagt das in zierlichem Spanisch, feiner, schmel-
zender, und lässt das Zünglein an der Schaukelwaage noch eine
Weile hin- und herspielen — Sinn und Meinung der Situation
aber entsprechen genau unserer Wiedergabe, und wenn diese pa-
1) — te pido
Licencia para irme ä Espaiia.
2) Y aunque des agua ä mis ojos,
Honra a mi casa daräs.
Que deste aquel bofetan
Federico me ha tratado
Como celoso, y me ha dado
Para dejarte ocasion,
Vete ä Espana; que yo hare
Que te den seis mil escudos.
3) Pero vete; que el amor
Lucha con un noble honor . . .
Vete, Teodoro, de aqui . . .
201) Das spanische Drama.
rodistiscli klingt, so ist die Paradie doch nur der Wiederhall des
Innern Gehaltes der Scene und der Gesinnung. Die unfreiwillige
Parodie wird noch auffälliger und anstössiger durch Teodoro's
muthmaasslichen Beweggrund zur Abreise: Furcht nämlich,
Furcht vor dem Freiergespann am Werbe-Karren voll erhaltener
Körbe; Furcht vor Marques Kicardo und Conde Fede-
rico — blosse Furcht vor deren bis zum Meuchelmorde gediehe-
nen Nachstellungen, wie er durch Tristan erfahren, den die
zwei Nebenbuhler, getäuscht von seiner Armenier-Maske, zur Er-
mordung des Teodoro geworben. ^) Wie üppig die Pilze der
Stegreifs-Motive aus dem Boden des dritten Actes vor unseren
Augen emporschiessen ! Einer dieser Schwämme sitzt an Conde
Ludovico's Stammbaum, im schönsten Purpur der brennenden
Liebe prangend, die Conde Ludovico eben nur rasch im dritten
Act, für Diana's Secretär, Teodoro, gefasst. Der ganze
Schwamm Stegreifspilze schiesst nun in den ßiesenpilz des vom
Armenier Tristan aus der Luft gegrijffenen Märchens auf: dass
nämlich Teodoro des Conde Ludovico von Piraten geraubter
Sohn ist, welcher Sohn ebenfalls ad hoc 'Teodoro' hiess; dass
sein, des Armeniers, Vater, den Knaben den Seeräubern abge-
kauft, ihn erzogen — dass er, der Armenier, den Geraubten, in
den Strassen von Neapel, hoch zu Ross, habe paradiren sehen und
ihn sogleich erkannte — kurz, einer von den Findlingspilzen, an
denen wir uns in der lateinisch -italienischen Komödie, wo sie
perennirten, Cholerasymptome gegessen, den aber Conde Ludo-
vico, wie der leckerste Champignon-Schwelger, als schmackhaf-
ten Blätterpilz, Agaricus deliciosus, mit Stumpf und Stiel ver-
schlingt und gleich auch vor Vaterwonne den Armenier mitfres-
sen möchte.^), und läufst Du nicht, frisst Du nicht, Hals über
1) In Marcela's unmittelbar nach Teodoro's Abschiedsscene mit der
Gräfin folgender Parallelscene , worin aiicli sie ihren Abschied von der
Gebieterin wünscht, giebt Marcela den Grund von Teodoro's Abreise mit
klaren Worten an: ,, Furcht vor Gefahr":
Dicen que se parte hoy,
Por peligros que recela,
Teodoro, ä Espaila.
2) Dame mil veces tus brazos;
Que el alma con sus potencias
Wettkam])f zwischen Liebe und Wahrheitsliebe. 2(i7
Kopf ZU seiner Nichte, Diana, die inzwischen dem Teodoro das
Ränzel hat schnüren und mit allerlei köstlicher ßeisezehrung,
Geld, Wäsche, Kleidungsstücken, vollpacken helfen, die feinen Perl-
chen, ihre dem Ahnenstolz heimlich entrungenen Abschiedsthrän-
lein, ungerechnet. Freudetrunken wirft Conde Ludovico seine
Findlingsbombe dazwischen, die, gleicli der Pistole des Taschen-
spielers, zwei Trauringe dem Liebespaar an die Goldfinger knallt.
Wer sich aber trotztem wieder in seinen Zwiespaltskampf zurück-
stürzt, ist Teodoro; in seinen schönsten, wie beim Preisringen,
als sehenswürdigstes Kraftstück zuletzt producirten Ringkampf
zwischen Liebe im Allgemeinen und Wahrheitsliebe im
Besondern, bis letztere, angesichts der Gräfin Braut, die Liebe
niederringt und unterkriegt. In dem entscheidenden Augenblick
stellt Teodoro, mit der nun hochbeglückten, ob seiner Eben-
bürtigkeit jubelseligen Braut, unter vier Augen, die ganze
Komödie durch Enthüllung von Tri st an' s Lug und Trug in
Frage: Sein Ehrgefühl, der Adel seiner Denkungsart, widerstrebe
solcher Täuschung. Ihm gelte Wahrheit über Alles — wie sein
Verhalten gegen Marcela bewiesen — er müsse daher auf seine
Bitte um Erlaubniss, nach Spanien abreisen zu dürfen, zurück-
kommen. 1) Fürwahr, schöne herrliche, ihn solchen Glückes wür-
digende, und zur Ebenbürtigkeit mit der fürstlichen Geliebten
zweifellos adelnde Selbstentsagung! die aber leider nur Teodoro's
unmännlicher, durch das ganze Stück von Eigenliebe, herzlosem
Wankelmuth hin- und hergezerrter Charakter in's Gesicht schlägt,
ehrenrühriger und beschämender, als der ihm von der Gräfin ver-
setzte Gesichtsschlag, den er sich durch ein Geldgeschenk ver-
süssen liess. Doch auch wieder ein Entsagungsentschluss, dem
an innerer Haltlosigkeit und trügerischem Gesinnungsscheinadel
nur das Festhalten der Gräfin an seiner auch erlogenen Eben-
Que es verdadera tu historia
en SU regocijo muestran.
1) Mi nobleza natural
Que te engane no me deja,
Porque soy naturalmente
Hombre que verdad profesa,
Con esto, pör ir a Espaiia
Vnelvo a pedirte licencia.
208 I^as spanische Drama.
bürtigkeit gleichkommt. Kein Festhalten aus frauenhaft hoch-
herziger Anerkenntniss eines solchen, vom edelsten Männerstolz
und Ehrgefühl der Liebe abgerungenen Opfers, wie etwa Minna
von Barnhelm sich einem Tellheim in die Arme wirft — nicht
von ähnlichem, sittlich hohem, heroisch weiblichem Seelenverwandt-
schafts- und inneren Adels Ebenbürtigkeitsgefühle bewältigt und
hingerissen, kann Gräfin Diana nun und nimmer von Teodoro
lassen: ihre Leidenschaft für den Secretär lässt nur darum nicht
locker, weil dieselbe jetzt in der Lage ist, sich mit Teodoro's
dreist erlogener, aber von Oheim, Familie, von aller Welt für acht
erkannter Ebenbürtigkeit abfinden zu können, und den Schein
ihrer Geburts- und Adelsehre doch vor der Welt jedenfalls zu
retten und gesühnt zu wissen. Das Auskunftsmittel, die Niedrig-
keit seiner Geburt zu verdecken, komme ihr erwünscht und ge-
legen. Er müsse ihr Mann werden, und damit Tristan, der
Einzige, der um das Geheimniss weiss, nicht plaudere, wird sie
ihn noch diese Nacht im Schlafe festnehmen und in den Brunnen
werfen lassen. 0 „Dabei müsst' auch ich seyn!" schiebt Tristan
den Kopf aus seinem Versteck vor, wo er Alles ad hoc behorcht
hat. Zum Glücke steht die letzte Scene vor der Thür, die vor-
geschriebene Aufbruchsstunde ansagend. Sie fährt mit einer
Prachtkalesche vor, deren mit der Grafenkrone geschmückten Kut-
schenschlag der vaterfreudige Conde Ludovico, neben ihm die
beiden den Familienjubel theilenden Exfreier, Marques Ei-
cardo und Conde Federico, und umgeben von seiner ganzen
Dienerschaft, dem wiedergefundenen Sohne öffnet, um ihn in's
väterliche Haus, an die Stätte seiner Geburt zu führen, doppelt
beglückt durch die Erklärung der Gräfin, seiner Nichte, dass sie
Teodoro's Gattin 2), infolge dessen der Conde zwei Kinder,
1) Yo he de sasar contigo;
Y porque Tristan no pueda
Decir aqueste secreto,
Hoy bare que cuando duerme,
En ese pozo de casa
Le sepulten.
2) Liidov. Dos hijos saco de aqui,
Si vine por uno.
Zwei Teodoro's in Einem. 209
Nichte und Sohn, in sein Haus bringe, ohne die leiseste Ahnung,
dass er deren zwei in dem einen Teodoro heimführt. Ja, zwei
regelrechte Parallelsöhne in dem Einen Teodoro: der Eine, für
den er Teodoro jetzt hält; der zweite, als den sich, eintretenden
Falles, Teodoro aus dem Pseudo-Findling über kurz oder lang
zu einem wirklichen Findlingssohne herausschälen könnte, behufs
welcher Eventualität Teodoro denn auch in einem der Gräfin un-
ter vier Augen so mannhaftedel und wahrheitsbeflissen abgelegten
Entsagungsgeständnisse die seine Geburt betreffende Frage offen
gelassen. In jenem Bekenntniss warf er bloss hin: „Ich kannte
nie meinen Vater" ^), kein Wort weiter über seine Herkunft hin-
zufügend. Heisst das nun nicht, die Möglichkeit einer Findling-
scliaft unter den Fuss geben? Hiezu sein Name 'Teodoro', be-
rührtermaassen, auch der Name von Conde Ludovico's geraubtem
Söhnlein. Ferner des Conde sonst völlig unerklärliche, vaterin-
nige Liebe zu dem ihm noch fremden Jüngling, dem Secretär
seiner Nichte und dann, beim vermeinten Wiederfinden, das her-
vorbrechende nur aus der Stärke des unbezwinglichen Naturin-
stinctes zu erklärende Vaterjauchzen — wer empfände nicht,
dass Lope, bei aller Flüchtigkeit und erfindsam vielschreiberischen
Eilfertigkeit, der intentionellste, an Busengedanken und versteck-
ten Compositionsabsichtlichkeiten reichhaltigste aller spanischen
Bühnendichter, auch diesen, Teodoro's Herkunft betreffenden Um-
stand in behutsam geflissentlicher Schwebe lassen mochte, um,
aus Rücksicht auf gewisse Empfindlichkeiten, die Missheirath zu
verschleiern; zugunsten der Annahme, Teodoro könnte doch des
Conde Ludovico's Sohn seyn, ein geheimes Hinterthürchen im
Rücken seiner Komödie anzubringen, und doch dabei auch sein
Komödienproblem durchzuführen? Uns aber zugleich inTeodoro's
Doppelfindlingsfigur, eines vorgespiegelten in der Komödie,
und eines eventuell wirklichen Grafensohn-Findlings jenseits der-
selben, zu den unzähligen, und von dieser Komödie reichlich
vermehrten Belegen für den als Gestaltungskategorie und Denk-
form gleichsam dem spanischen Gehirn eingepflanzten Parallel-
typus ein neues, gar merkwürdiges Exemplar an die Hand zu
geben! Theilt doch Lope's Comedia: „Der Hund des Gärtners"
1) -^ no he conocido padre.
X. 14
210 I^as spanische Drama.
in Pausch und Bogen jenes Doublettengeschick , indem sie in
zweifacher Gestalt vorliegt, nur mit verschiedenem Titel: einmal
als 'Ferro del Hortelano', dann, als Doppelgängerin ihrer
selbst, betitelt: La Gondesa de Belflor, benannt nach ihrer
Heldin, Diana, Gräfin von Belflor, und dem Moreto zugeschrie-
ben. Demgemäss denn auch der übliche, hier von Teodoro an
den 'Senado noble', das hochedle Publicum, gerichtete Empfehl-
und AbSchiedsspruch nur die Titelvariante in dem sonst identi-
schen Doppelstück zu berücksichtigen braucht:
Dando, con licencia vuestra
Del Ferro del hortelano
(de la Condesa de Belflor)
Fm la nuestra Comedia.
Darf nun Agostin Moreto, hinsichtlich des Duplicats zu Lope's
* Ferro del Hortelano', die Hände in Unschuld waschen: so hat er
doch zu der berühmtesten und kunstreichsten aller, nicht blos
spanischen Mantel- und Degenspiele, überhaupt aller Salonkomö-
dien hohen Styls, so hat er doch zu jenem Wunder des feinen Lust-
spiels, zu seiner Comedia, 'Desden con el Desden' (Donna Diana), eine
dem „Phönix" der spanischen Bühne, unserem Lope, beim Mau-
sern entfallene Feder erhascht, und selbige, — wie das Jesuskind in
der Legende einen aus Thon von ihm gebildeten Vogel, dem
Teufel vor der Nase, als schmuckes Vöglein mit himmlischem
Gefieder emporfiattern Hess — ähnlich als herrlichsten Junovogel,
als prachtstolzen, einen halben Sternenhimmel zum Juwelen-
schweifrad auflachernden Pfau sich aufschwingen lassen. Die dem
Lope bei der Mauser von Moreto gemauste Feder ist das Grund-
motiv in Lope's Comedia:
Los Milagros del Desprecio^)
„Die Wunder der Verschmähung"
die freilich Moreto's 'Donna Diana' erst zu diesen Wundern ge-
zaubert, und die sich uns hier, wie von selbst, als tetralo-
gisches Anschlussstück zur dritten trilogischen Gruppe darbietet.
War ja docli Lope's Genie einverständlich die Diamanten-
grube, woraus seine zeitgenössischen und Nachfolge-Bühnendichter
1) Dohrn, Spanische Dramen. 2. Th. „Die Mirakel der Ver-
achtung/'
Lope's Los Milagros del Desprecio. 211
SO manchen noch in der Druse oder in Schlamm- und Thonerde
eingeschlossenen Demant gewannen, kunstreich in Sternfacetten
oder Brillantspitzen schliffen, und dann in Thalia's Diadem und
Scepter funkeln Hessen. Gewannen — nicht selten wie die Neger,
die aus dem Sande gewaschenen Diamanten verschlucken, und
als Kronjuwelen wiedergeben: schliffen — gar oft mit den zu
Diamantpulver zerriebenen Splittern des entwandten Edelsteins
selber. Dergleichen Splitterchen mochten vielleicht auch von Lo-
pe's 'Milagros del Desprecio', Lope's „Verschmähungs- Wunderko-
mödie", abgesprengt seyn, die, zu Staub zermalmt, Moreto's „Ver-
schmähung für Verschmähung" zu jenem im Schmelzfeuer des
Frauenstolzes aufflammenden Liebessterne schliffen und putzten:
dem Wunder des Nichtverschmähens, vonseiten Moreto's näm-
lich, sich das Grundmotiv von Lope's 'Milagros' anzueigüen.
Beäugen wir ein Weilchen durch die Lupe Lope's 'Milagros
del Desprecio', auf das Grundmotiv hin, auf den Demant-
zapfen hin, um welchen sich Moreto's Kunstwunderwerk dreht;
und auch auf die Splitterchen hin, aus deren glänzendem Ver-
wesungsstaube — dem Diamantenstaube und Schleifpulver — Mo-
reto's Donna Diana-Solitär, wie ein verklärter Geist, Unsterblich-
keit strahlend, emporstieg.
Nicht aus Ahnenstolz, im Zweikampfe mit Liebesleidenschaft,
wie Lope's 'Diana de ßelflor' in vorbesprocheuer Komödie — aus
reinem, männerverachtendem Hasseszorn und Libussa-Stolze ver-
schmäht Doiia Juana ihre Freier, und unter diesen den mit
voller Herzensgluth um sie werbenden Don Pedro Giron —
wohl deshalb eben ~ am entschiedensten, und je mehr er sich
in Liebesbeweisen überbietet. ') So kann Don Pedro denn, wie
ein angeschossener Hirsch, nur an seiner Wunde lecken, aber
mit einer Flammenzunge, die seine Herzenswunde stärker und
stärker facht, bis sein früherer Diener Hernando, nach drei-
jähriger Abwesenheit, aus dem Kriege in Flandern wieder nach
Madrid zurückgekehrt, und den Gebieter in solchem erlösungs-
^Con que condicioii de ficra
Hallarä divertimientos
Tan rebelde corazon
Y tan extrana inclemencia?
212 I^as spanische Drama.
losen Zustande in der Liebeshalle brennen ^) findend, den „furchtlos
und entschlossen" der Cur sich unterziehenden Don Pedro zur Hei-
lung übernimmt ^) Feuer über ihn und seine Grillen: Neun' seinen
Namen nicht, Hernando!^^) Mit solchem Wort begegnet Dona
Juana dem behutsamen Versuche des sondirenden Hernando,
seinem vormaligen Herrn der geschwornen Männerfeindin in Erin-
nerung zu bringen — der unversöhnlichen Verabscheuerin der
Männerbrut, dieser Weibertyrannen, die so zärtlich, sanft und
freundlich vor dem Besitze, und nachher so grausam und so
schnöd hartherzig sich erweisen.^) Auf solchen Schlüssel hatte
Doiia Juana, unmittelbar vor Hernando's Eintritt, ihre Ton-
art, in einem Duo mit ihrer Zofe Leonor, gestimmt. „Ein weib-
licher Attila will ich gegen diese wilden Tyrannen seyn." ^) Und
Zofe Leonor im Losschlagen mit der Zunge auf das Männervolk,
wie ein Paar wettstreitende Canarienvögel, der Gebieterin „Ty-
rannen" übertyrannend/) Unter vier Augen mit Leonor, wen-
det Hernando sein Heilmittel versuchsweise zuerst bei ihr an.
Auf ihre Frage, wie es mit seiner Liebe stehe, wirft er behend
Verschmähung gegen Verschmähung als sein erstes Pflaster'),
1) De nulla redeinptio estäs
En el enfierno de amor . . .
2) Hernando. Si yo, Seiior, te curara
De tu amor, iqne me dijeras?
Don Pedro. Ya resuelto y sin temor
Ponerniö en tus inanos quiero.
3) Dona Juana. iPuego en el y en sus quimems!
Hernando, no me le nombres
4) — Estos tiranos
Tiernos suaves y humanos
Antes de la posesion,
y despues de ella crueles
Desabridos y ofensores.
5) Mujer Atila he de ser
Contra estos fieros tiranos.
6) Leonor. Muera mü veces, Senorä,
Esta canaUa traidora,
Tiranos de nuestro honor.
7) Hern, (ap.) El priraer emplastre es este
De la cura que he de hacer . , .
Abpaarungen. 213
das so lieblich, wie Asa foetida duftet: „Liebe?'' Für hundert
Weiber geb' ich keine zwei Maravidis auf Stecknadeln. Weiber!
Herr Jesus, was die stinken! i) Leonor's Rache schreitet schnell.
Zweien Pagen, jeder mit einem vergoldeten Silberbecken als Ge-
schenk von ihren, um Dona Juana's Liebesgunst werbenden Herren,
thut Leonor, im Namen ihrer Gebieterin, kund und zu wissen,
sie möchten sich nur gleich mit ihren Geschenken packen. Hier
in diesem Hause werden die Männer ein für allemal verab-
scheut. 2) Der aufs Haupt des ganzen Manngeschlechts nieder-
schmetternde Keulenschlag der rachefroh abschwenkenden Zofe
trifft selbstverständlich den vor den Pagen in dem stehenden
Horchwinkel der spanischen Bühne sich versteckt haltenden Her-
nando gleich mit, so nachdrücklich, dass er, dieweil die zwei
Pagen, jeder im Interesse seines Gebieters, sich zanken und auf
einander losfahren, ganz betäubt sich sachte drückt, und bei die-
ser Gelegenheit in der Betäubung beide vergoldete Silberbecken
mitgehen heisst, aber gleichfalls im Interesse seines Herrn und
der Komödienverwickelung, zu deren Gunsten er beiden Neben-
buhlern des Don Pedro aufbindet: die von ihnen als Liebeszei-
chen erhaltenen Silbergefässe hätte Dona Juana seinem Herrn,
Don Pedro Giron, geschenkt. Ein geschickt angezettelter Ein-
schlagsfaden in die Intrigue, der zu lustigen Dupirungen der
beiden Gäuche auf je zwei Freierfüssen führt, deren jeder, ge-
täuscht von seinem Pagen, in Dona Diana's Annahme seines Ge-
schenkes eine Bevorzugung seiner unwiderstehlichen Person er-
blickt, bald aber, dank Hernando's mitgehengeheissenen zwei
Silberschüsseln, in Don Pedro den allein Bevorzugten erkennen
muss, in dessen Hause Einer nach dem Andern sein Geschenk
Por aqui se ha de guiar
La cura; que en despreciar
Estä la primer sangria.
1) Leon. ^Tienes tu amor?
Hern. iQ,^Q es amor?
No dare por den mnjeres
Un ochavo de alfileres.
jMujeres! ; Jesus, que hedor!
2) Porque en esta casa estän
Los hombres aborrecidos.
214 I^as spanische Drama.
findet, das jedem von ihnen Her nando als einen von Dona Juana
seinem Gebieter gespendeten Huldbeweis vorzeigt. Man bemerke
im Vorbeigehen die durchgängig paarweise Gruppirung: Dona
Juana und Leonor: gepaart in der Männerabsage. Don Pe-
dro Giro n und Hernando: gepaart im Widerstrich gegen diese
Absage. Zu Leonor's scheinbar feindlicher Stellung gegen Alles
was Mann ist, aus Anhänglichkeit für ihi'en Herrn: Her nan-
do's fingirte Kriegserklärung an Alles was Weib heisst, aus
Treugesinnung für seinen Herrn. Don Alonso und Don Juan,
das obligate Freier-Duplicat in jeder Nebenbuhlerkomödie: ge-
paart mit zwei Schüsseln, zwei Pagen und einer Doublette von
Düpirungs- Situationen in zwei aufeinanderfolgenden Scenen —
eine stattliche Sammlung, nicht wahr? — von dramatisch paral-
lelen Combinationen schon im ersten Act vorläufig!
Unter diese Paarungen schmuggelt der zweite Act ein dra-
matisch weniger glückliches Paar in Dona Juana's Oheim, Don
Luis, und dessen Tochter, Beatriz, ein, deren verliebsames
Naturell das kehrseitige Contrastpathos zu Juana's männerfeind-
lichem abgeben soll, und ihren Vater, Don Luis, in eine von
der Nichte auf die Tochter überspringende Duplicitäts-Täuschung
zu klemmen vorbestimmt ist, von fraglich komischer, weil zu
sichtlich und absichtlich daraufhin berechneter Wirkung. Oheim
Don Luis führt der Nichte das Töchterchen zu, die leicht er-
regsame, nicht sowohl Mimosa pudica, nicht sowohl „scham-
hafte Siunpflanze*^ die bei der leisesten Berührung ihre Blättlein
schliesst, als vielmehr eine Dionaea muscipola, jene „Flie-
genfänger"-Blume, so benannt vom feinborstigen Läppchen an
der Blattspitze, so reizbarer Beschaffenheit, dass es über jedes
sich darauf setzende Insekt — Klapp! — zusammenschlägt, und
den eingefangenen Courmacher mit den ßandbörstchen festhält.
Don Luis führt sein reizend reizbares Fliegenhasche-Blümchen
dessen widerhaarigem Fliegenklatsche-Mühmchen zu, damit die
Fliegenklatsche die Fliegenhascherin mit ihrem gestachelten Schilde
vor den zärtlichen Goldfliegen und verliebten Käferchen ^) schütze,
1) Don Luis. Ya destos locos mozuelos
Cuyos amantes desvelos
Schmetterlings-Autodafe. 215
die dreisten und zudringlichen spiessend an des Schildes Stachel-
spitzen, i) Hui, die Menge Goldkäferchen und honignäschigen,
und ihn wieder als Süssbriefchen ausschwitzenden Blattinsecten,
die an den Schildstacheln festsitzen, wie Scarabäen in den Glas-
kästchen eines entomologischen Cabinets, aufgesteckt an Nadel-
spitzen! Nichte Juana zeigt sie alle vor, den Schild dem
Mühmchen, Beatriz, unter die Augen haltend. Und mit dem
blossen Anspiessen sich nicht begnügend, schüttelt sie die Ker-
fen: Zweiflügler, Netz-, Gitter- und Hymen-Flügler 2), Horn-
flügler ^), deren obere Flugschaalen die velinfeinen untern Schwung-
blättchen, wie das Couvert das zarte Briefblatt, bergen — schüt-
telt Dona Juana allinsgesammt in das Inquisitionsfeuer einer
Kerzenflamme ^), der Motten und Falter Autodafe, das der Pha-
läne, Pedro Giron, ausgerupfte, als Liebeflatterbriefchen schwär-
mende Flügeldoppelpaar voran. ^) Aus der figürlich entomologi-
schen in Lope's Komödienfigurensprache übertragen : DonaJuana
verbrennt das von Pedro Giron eben erhaltene Liebesbriefchen an
einer Lichtflamme vor ihres, die Grausamkeit berufenden Mühm-
Se fundaii en enganar,
Se ha dejado persuadir . . .
1) Para quo contigo este
La traigo: viva contigo
La que no pudo conmigo
Asegurarme en mi fe.
2) Hautflügler : Hymen opt er a, eine Insecten-Familie oder Ordnung.
Netzflügler: Dictyoptera; Gitterflügler : Neuroptera. In der spani-
schen Komödie Netzflügler, für spanische Fliegen, die ihnen in die Netze
fliegen; Gitterflügler, als Nachtfalter, die um die Balcon-Gitter flattern,
und Hymenflügler, der eigentliche Name für die ganze entomologische
Classe der Galane in den Comedias famosas. — 3) Coleoptera Vierflügler,
mit hornartigen über die zwei dünnen Hinterflügel sich erstreckenden
Deckfltigeln.
4) Doiia Juana (a Leonor).
Trae una luz
Un acte de Inquisicion
Te lo ha de en senar ahora.
5) El de Don Pedro Giron
Se ha de quemar el primero,
216 Das spanische Drama.
chens Augen; die Grausamkeit: eine so unbegränzte Liebe wie
ein Verbrechen zu bestrafen, i) Geduld, nur Geduld, Dona Gross-
inquisitorin von Männerherzen und Herzensblättchen! Bald wen-
det sich das Blättchen, und Dein Herz brennt lichterloh! In
Brand gesteckt von Deinem Grossinquisitor, Hernando, mit
der Zündfackel der Eifersucht! Entflammt die Zündfackel an
Don Pedro Giron's mit solcher Heftigkeit für eine ungenannte
Dame lodernder Liebesgluth, dass ein einziger seiner Seufzer
sechs auf einem Büffet brennende Wachslichter auslöschte. 2) Und
wie hat sich Dona Juana's Blättchen gewendet, und schlug —
in welches Blättchen ein! In ein Briefblättchen — ha, des ge-
beugten Stolzes -— in ein Briefblättchen, das sie nun durch
Leonor — wie lacht Hernando's Herz! — an Don Pedro
absendet! In ein Briefblättchen, von Flüchen, Verwünschungen,
Schmähungen umsprüht ^), die Hernando — wie jubelt seine
Seele! — als das erste Funkenfliegen ihres vom giftigen Eifer-
suchtsfeuer ergriffenen, männerverachtenden Hochmuths begrüsst!
Mit dem von Arsenikdämpfen der Eifersucht durchräucherten
Lästerbriefchen, mit dem Basilisken in papierner Eischaale, er-
scheint die Zofe vor Don Pedro, unter dessen Händen sich ge-
rade — - verabredetermaassen — Hernando, der sie kommen sah.
Hülfe rufend, krümmt und windet, als wolle ihn sein Herr um-
bringen, blos weil er Leonor's Gebieterin, Dona Juana, eben nur
genannt. Wie verblüfft sie dreinschaut, die betrübsame Zofe!
1) Beatriz. Y tu crueldad
Inmensa su voluntad
Castiga como delito?
2) Oon un surpiro que dio
Seis bugias apago
Que estaban en un bufete.
3) Dona Juana. Este es el papel, Hernando.
Di que quisiera cuviar
En sus letras rejalgar
Porque muriera rabiando
Que es un tirano, un traidor
Un ingrato fementido
Cruel, descortes, fingido
Sin Dios, sin fe, sin honor . .
„lieber Sumpf und Moor''. 217
Krallt noch die Herrin, wie eine erboste Pardelkatze, vor Eifer-
^chtsgrimm die Nägel, so schmiegt sich die Zofe wie ein be-
gehrsames Maikätzchen, wehleidig miauend: Wenn Don Pedro
den Hernando bewege, dass er ihr wieder seine Liebe schenke,
so sey auch sie erbötig, für den Fall, dass Don Pedro seiner
jetzigen ungenannten und unbekannten Herzensdame überdrüssig
würde, sich bei ihrer Herrin zu seinem Gunsten als Vermittlerin
zu verwenden, und schleicht wehmüthig davon. Zuvörderst heizt
aber Hernando ihrer Gebieterin mit der bewussten Ungenann-
ten und Unbekannten, mit seiner dem Don Pedro untergescho-
benen Phantasiedame, bald nach Beginn des dritten Acts, so
fürchterlich ein, dass Dona Juana aufschreit: „Sehen muss
ich dieses Weib!" i) „Aus Wuth, nicht aus Liebe" — tobt sie —
„nicht weil sie geliebt seyn möchte, nein, weil sie verschmäht
sich sehe." *^) Hernando druckst Schwierigkeiten , entschliesst
sich endlich doch, in einer der nächsten Nächte, wo sein Herr
gerade ein Schäferstündchen mit der Liebsten hält, Dona Juana
an Ort und Stelle zu führen, und zwar — schwört er sich im
Stillen zu — als Irrwisch : in einer Kegennacht, wo es mit Mül-
len dreuscht und zarte Prauenfüsschen bis an die Knöchel, wo
nicht noch höher im Moraste waten. Was er sich im Stillen zu-
geschworen, vertraut Hernando, sicher der Verschwiegenheit,
Dona Juana's imvoraus darüber vergnügtem Mühmchen, Dona
Beatriz, und der nun unter Einer Decke mit ihm spielenden
Leonor an: „Sie soll nur nachhause kehren in einem ärgeren
Zustande, als man jemals im Februar durch Dick und Dünn einen
FuhrmannskaiTen waten sah." ^) Und so kommt es auch. Irrwisch
Hernando erscheint mit einer Laterne in stockfinsterer, von
Regenströmen heimgesuchter Nacht, als bestände der Thierkreis
1) Yo he de ver esa mujer.
2) Que esto es rabia, no es amor . . .
No por no verme querida,
Sino despreciada.
3) Hernando. Ha de Uover;
Que ä SU casa, ha de volver
Como jamas no se vio
Carro de Kiche en febrero.
218 I^a-s spanische Drama.
aus lauter Wassermännern, die ihre Krüge als Nachtgefässe den
Erdbewohnern auf die Köpfe gössen. Nur Dona Juana, hinter
den) Irrwisch vermummt daherschlurrend , trotzt, eingewickelt
in den Dejanira-Mantel rabiater Eifersucht, den Löscheimern der
Wassermänner. Guck! lug! — stutzt und lauscht der Irrwisch
mit der zuckenden Laterne — was huscht da, wie ein Paracel-
sisches Feuermännchen, durch den Regenschauer, gleichfalls ein-
gewickelt und vermummelt in ein Flammenmäntelchen — der
Eifersucht? ja, aber der Ehren- Eifersucht, der Eifersucht auf
seine Haus-, Familien-, beziehentlich Tochter-Ehre. Jener in der
dunkelglühenden Feuerschaube heranhuschende Elementengeist der
spanischen Komödienehre, der eigentliche unverbrennbare Spanier
mitten in den Wirbelgluthen der Mantel- und Degen-Ehre. Der
Ehre-Feuerkebold, der, wie die Nachtfeuergeister, laut Wendischer
Sage, um die Wipfel der Bäume ruhelos schweifen^), immerdar
um die Wipfelkrone seines Stammbaums schwebt — dieses finster-
glwthig daherschwirrende Feuermännchen ist Don Luis de la
Gerda, Vater von Beatriz, deren verliebsame Tugend er mit
dem Flammenmantel und lohenden Schwert der Hausehre so
wachsam hütet, wie nur einer von König Aeetes, des Vaters
der Medea, feuerschnaubenden Ochsen das goldne Vliess. Auf das
„Wer^ da?" des Don Luis de la Gerda giebt Hernando
aus dem ihm von Dona Juana heimlich zugeblasenen Passwort
Bescheid: „Dona Beatriz de la — was de la? fragt Her-
nando schnell und leise die vermummte Begleiterin — „de la
Gerda" murmelt diese durch den Mantelfilz: Hernando, er-
gänzend: „De la Gerda." ''^) — Don Luis beiseit: „Wehe mei-
ner Ehre!" in ihrem Komödien -Flammenmantel sammt Ehren-
sch werte! den Verzweiflungsschrei in Kotzebue's „Ausbruch der
1) Carl Haupt, Sagenbuch der Lausitz. S. 49.
2) Don Luis. Quien es? . . .
Hernado. Senor.
Dona Beatriz de la . . .
(Ap. ä Dona Juana. (iQue?)
Doila Juana (Ap. a Hern.)
De la Gerda.
Hernando (Ap. ya losä.)
De la Gerda.
Duell im Platzregen. 219
Verzweiflung" in den Bart brümmelnd: „Tobe, rase, wilder
Sturm, lodre Flamme, die mich brennt!" „Umbringen, morden
will ich sie, doch vorläufig leide und dulde, Herz!" ^) und schleicht
nachläufig hinter ihnen her, fortbrümmelnd in den Bart: „Dein
Tod folgt Dir auf dem Fusse." 2) Er folgt durch Dick und Dünn,
Strasse um Strasse — horch', Degengeklirr, Mantel- und Degen-
spiel als dritte Position oder Attitüde der Conflict-Tanzfiguren in
der spanischen Komödie: die Position des Eifersuchts-Zwei-
karapfs. Don Pedro ficht im tollsten Nachtregen auf der
Strasse mit seinen zwei Nebenbuhlern, Don Juan und Don
Alonso. DonaJuana, quatschnass vermummt zur Stelle ge-
langend, ruft Don Pedro's Schutz an. Wie der Blitz lässt er
die Degenstiche im Stich, dem Gebote der höhern Ritterpflicht
folgend: einer bedrängten Dame beizuspringen. Jetzt ist's an
ihm, dem als Tochtermörder in petto nachschleichenden Don Luis,
auf Don Pedro's, den bereits Hernando über die Person der
pudelnassen Mumme oder Wassermuhme verständigt hat — ist's
nun an Don Luis, auf Don Pedro's „Wer da?" das Looswort
zu geben: Vater Gerda! „der unglückliche Vater dieser Tochter 3),
die ich unter Obhut meiner Nichte, Doiia Juana de la Gerda, und
deren göttlicher Tugend und heldenhaften Männer-Abwehrmuthes
stellte, und die nun so dasteht" als Eegenspiessruthenläuferin
durch Nacht und Nebel und Strassenkoth ! ^) Welcher Heimzug
1) Don Luis (Ap.)
... la he de matar,
Sufrid y tened paciencia,
Corazon.
2) Bon Luis (Ap.)
Tu muerte en tus pasos va.
;3) El padre desdichado
Desta hija.
4) Con Dona Juana, Senor,
De la Gerda, mi sobrina
La puse, cuya divina
Virtud y heroico valor
Pense que la convertiera;
Y a estas horas, divertida
En las calles y perdida
La hallo desta manera.
220 I)as spanische 'Drama.
für die in triefnasse Schmach Verhüllte, und in dieser Begleitung
als Schutz und Schaarwache! Nach Hause geführt in solchem
Zustande von ihren drei Freiern Don Pedro, Don Juan und
Don Alonso und von einem an ihrer „göttlichen Tugend'' und
ihrem Prauenheldenthum so jammervoll zu Schanden gewordenen
Oheim. Die Situation ist glanzvoll-komisch und hochergötzlich;
die Auflösung eine der glücklichsten des Lope; der Lichtpunkt
in seiner Komödie Los milagros del desprecio, ja ihr eigentliches,
wo nicht einziges milagro, inanbetracht zumal, dass die so oft
nachgeahmte Entwickelung hier in der VoUblüthe ihrer jungfräu-
lichen Ursprünglichkeit prangt. Die Schlussscene ergiebt sich
von selbst: dem vaterwüthig, mit dem Tobefluch; „bei Gott, ster-
ben soll sie!" in's Zimmer hereinbrechenden Don Luis, tritt
Beatriz ruhig mit der Frage entgegen: „Wer soll sterben?" ')
Staunen und Starren, wie sich von selbst versteht. Unser Stau-
nen und Starren aber gilt zumeist Dona Juana's von spanisch-
weiblicher Heldenstärke und Tugendglorie strahlender Stirn e,
mit welcher sie aus dem durchpichten Doppeltuche '^) ihres Be-
schämungs- und wasserdichten Maskenregenmantels hervortritt,
wie die Göttin der Keuschheit selber aus der Regenwolke, ohne
auch nur ein Jota von ihrer beanspruchten Rolle preiszugeben.
Ja, wie jene Taurische Diana aus ihrer Verlarvung, dem Ge-
flechte von Reisholz, worin Orestes sie nach Aricia heimge-
bracht^), hervortrat, das in seine ursprünglichen Gerten aufge-
wickelte Rohrgehäuse zu Geisseiruthen für Frevler an ihrem
Dienste weihend. So taurisch dianenhaft schreitet Dona Juana
aus ihrer durchtränkten Umhüllung hervor, männeropferisch-stolz
verkündend: „Ich bin's! Was giebt es da sich zu verwundern?
1) Don Luis. jVive Dios, que ha de morir!
Beatriz. (presentandose ä su padre)
^Qiiien ha de morir.
2) duplice panno.
3) Diana Facelis, von (f>dxsXog, „Reisbündel" genannt: „a fasce
lignorum dicta in quo absconditum ejus siniulacrum Orestes et Iphigenia
ex taurica regione Ariciam (in Latium) adtulerunt" Serv. ad Virg. Aen.
II. 116. 24. Salmas. in exercit. Plin. p. 31. Silv. nennt daher den Dianen-
tempel Sedes Fascelinas (XIV. V. 261.) Sie hiess auch die „Nacht-
schwärmerin'* (kQTSfzig Xüiöfiaiva).
Dona Juana als Diana-Moreto-Taurica. 221
Wenn Ihr meint, ich hätte das Haus in verliebter Absicht ver-
lassen, so täuscht Ihr Euch; Frauen Unsresgleichen, Seiior Don
Pedro Giron, vollblutgeborene, standeswürdige, empfinden tiefer
unseres Stolzes Kränkung, als Andere. Beim Himmel ! Ich muss
wissen, wer jenes Weib ist, um derentwillen mein Kuf und An-
sehen gefährdet ward. Dies allein zog mich aus dem Hause.'' 0
„Sie, deren Hand ich hier fasse, sie allein ist meine Dame!'' Mit
dieser Erklärung hat Don Pedro die spanische Libussa — in
der Hand, nimmt er ihren Männerhass beim Wickel, ihren Frauen-
hochmuth an der Hüfte und ihren Ehehandschlag in die Hand.
Dona Juana gesteht es frei: „Legt er einen Werth auf meine
Hand, so gebe ich sie Ihm mit meiner Seele" ^), unbeschadet des
im Ausstattungskorbe versteckten Dona Juana-Pantoffels, als des
pudelnassen Abenteuers innersten und unverwüstlichen Pudelkerns.
Nun darf auch Hernando ein Hosianna über den, wie die
Schlange als Symbol der Unsterblichkeit, sich in den Schweif
beissenden Titel: 'Los Milagros del Desprecio' anstimmen, der
sich auch hier, hergebrachtermassen, mit dem Schlussvers zu ei-
nem Duplicat seiner selbst zusammenrollt.
Genug der Vergleichungspunkte für den Leser, behufs der
Würdigung von Moreto's, aus Lope's 'Milagros del desprecio\ wie
1) Yo soy. iDe que os admu-aisV
Si pensai que me ha sacado
De mi casa algim cuidado
Amoroso, os eiiganais.
Las mujeres que nacimos,
Sefior Don Pedro Giron,
Cou saiigre y estimacion,
Mas que las otras sentimos.
iVivc! Dios, que he de saber
Quien es esa vuestra dama
Por quien nii opinion y fama
Se ha echado tanto a perder!
Que esto solo me ha sacado
De mi casa.
Don Pedro. Pues esta que tengo asida
Sola es mi dama.
2) Si ahora estima mi mano,
Con el alma se la doy.
222 ^^^ spanische Bramä.
aus ihrer Komödienverlarvung hervorgegangenen, unserer kniebeu-
genden Huldigung entgegenharrenden Donna Diana.
El Villano en su Rincon
(Der Bauer in seinem Winkel),
welcher Bauer doch nur der zum 'labrador' Juan umgetaufte
alte Tello ist in französischer Bauerntracht. Wie dieser,
hält der eben so reiche, französische Ackersmann, Juan, auf seiner
zwei Meilen von Paris belegenen Hufe einen das Landleben prei-
senden *Beatus ille'-Monolog (I. esc. VI.), worin er dem Himmel,
weit mehr, als für den segenreichen Besitzstand, für diese unab-
sehbaren Kornfelder, Weingärten, ndit Viehheerden bedeckten
Triften, diese Olivenpflanzungen und zahllosen Honigstöcke, kurz
für sein mit eigner Hand bebautes, von Milch und Honig über-
strömendes Canaan — weit mehr, als für die aufgezählten Seg-
nungen, dafür dem Himmel dankt, dass er, der Landbauer Juan,
solcher Segnungen und Besitzesgüter mit frohem, zufriedenem 6e-
müth geniesse und sich in seinem Stande glücklich fühle. ^) Sei-
1) jGracias, imraenso cielo
A tu bondad divina!
No tanto por los bienes que nie has dado,
Pues todo aqueste suelo
Y esta Sierra vecina
Cubren mis trigos, viiias y ganado.
Ni por haber cohnado
De casi blanco accite
Destas olivas bajas . . ,
Ni porque esten cargadas
De Tiiontes de oro en trigo
Las eras — —
Ni porque los lagares
Con las azules uvas
Eebosen
Ni porque — ™
Ni porque . , .
Las gracias mas colmadas
Te doy porque me has dado
Contento en el estado que me has puesto .
Lope's Villano en su Rincon. 223
nem Sohne Peliciano, dem in's Französische übersetzten „jun-
gen Tello'S schlägt der alte Juan die Bitte rund ab, mit ihm
zusammen dem in der Nähe jagenden König entgegenzugehen
und kniefällig seine Huldigung für die Gnade zu bezeigen, dass
ihm der König, inmitten der Kriegesstürme, die Wohlthaten des
Friedens gönne. ^) „Wo denkst Du hin, Du Thor" — verweist
der alte Juan dem Sohn die Zumuthung mit Worten, die ihm
der alte Teile hätte souffliren können ~ „wie käme der Bauer
dazu, den König sehen zu wollen, den allerhöchsten Herrn? In
meinem kleinen Winkel, da bin ich König. Könige sind die,
die von ihrer Hände Arbeit leben." ^j Schöne, prächtige Worte,
als tönten sie von des alten Teile Lippen. Entschiedener noch
als Feliciano, tritt dessen Schwester, Lisarda, in Gegensatz zu
ihrem Vater Juan. Ihr Tichten und Trachten ist das Stadt-
und Hofleben. „Für die Residenz bin ich geschaffen, deren Art
und Weise ich segne" — äussert sie gegen ihre Gesellschafterin,
Beiisa. '^) Hat Lisardo doch in der ersten Scene schon Lie-
bespfänder mit einem ihr unbekannten Hofcavalier, Oton, ge-
tauscht, dem sie für Geschmeide, das er ihr, die ihm zufällig
begegnete, bei einem Juwelier gekauft, einen werthvollen Dia-
mant schenkte. Nun facht ihren Hang für das städtische Hofle-
ben der Cavallero noch stärker an. „Ha, dass sie ihn dort fände
und sprechen könnte!" *) — Der alte Juan hat zwar keine Kirche,
wie der alte Tello bauen lassen, aber doch in der Ortskirche ein
1) Hinca la rodilla en tiorra
AI Rey, que coii tanta guerra
Te mantiene en paz.
2) dQ^^^ GS ver al Key? ^, Estas loco?
^Dq que le importa al villano
Ver al seiior saberano . . .?
Yo he sido rey, Feliciano
En Uli peqneiio rincon;
Eeyes los que viven son
Del trabajo de su mano,
3) Para corte me crie;
Su estilo y Leyes bendigo.
4) Ay, si hablane aquel senor.
224 I^3,s spanische Drama.
Grabmal gekauft, worauf eine Inschrift, die den König, der sie
auf dem Wege zur Messe, in Begleitung seiner Schwester, der
Infanta, gelesen, neugierig macht, den Besteller, den er noch
unter den Lebenden vermuthe, da der Denkstein kein Sterbejahr
zeige — kennen zu lernen, den Sonderling, den die eingegrabe-
nen Worte als einen Ackerbauern preisen, der nur einem Herrn
gedient, und niemals Residenz noch König gesehen hat. ^) Die
beste Auskunft könnte der König sogleich von Lisarda erhal-
ten, die ihren holden Unbekannten im Gefolge des Königs zu
finden hofft und eben die Kirche, wo der König, wie sie weiss,
Messe hören will, betritt und von Caballero Oton dem Könige
als des wunderlichen Landmanns reizende Tochter bezeichnet
wird, von deren hoifreundlicher Gesinnung der König bereits durch
Pileto, einen von Juan's Peldarbeitern, erfahren. 2)
König und Infanta ergötzen sich an Lisarda's zierli-
chem Wesen, die Infanta besonders an dem Titel: Euere „In-
fanterie" (Infantaria), womit die vermeinte Einfalt vom Lande sie
anspricht; 'Infanteria' analog nach dem Wort „Infanta", wie
'Senoria' nach Senor, gebildet.^) Der König entfernt sich mit
der Infantin Schwester, entschlossen, den 'Juan Labrador' persön-
lich kennen zu lernen, „der einem Hetrn dienen und den König
in ihm zu sehen bekommen soll."^) Kleines neckisch -spitzes
Sichgehaben, womit die feine gewitzte Lisarda Oton's trauliche
Anknüpfungsgalanterie „vor den Leuten ihres Vaters" ablehnt,
um ihm in einem Aparte ein Stelldichein für die nächste Nacht bei
1) „Yace aqui Juan Labrador
Que nunca sirviö ä Senor,
Ni vio la corte ni al Rey . . .
2) Que se precia de'ser rauy cortesana.
3) Infanta. ;Infanteria! |0h que gracia!
Lisarda. — — — — —
Si a senor es senoria,
Y al excellente le dan
Excelencia, bien diran
A una infanta infanteria.
4) ßey. — que Juan Labrador
IIa de servir ä seror
y ver rey y todo en mi.
Bauerntanz and Werbung. 225
der Ulme zu geben, wo die Mädchen von Miraflor (so heisst der
Ort) ihre Reigen tanzen werden.
Des Königs, Ende des ersten Acts, kundgegebene Absicht,
den Beatus ille aus seinem „Winkel" zu locken, steht im Beginn
des zweiten noch immer auf dem Anschlag. Fuchs, Dachs, Eber,
sind leichter aus ihrem Versteck und Lager aufzuscheuchen, als
der Villano aus seinem rincon. Aber seinen Willen muss ein
König, voraus ein französischer, haben. Kommt der Berg nicht
zum Propheten, so kommt der Prophet zum Berge. „Lassihn!*' —
beschwichtigt der König von Frankreich seineu Kammerherrn, Fi-
nardo, der den Hund durchaus vom Ofen locken will — „lass ihn!
Wenn er den König und dessen Herrlichkeit nicht aufsuchen
mag, nun so will ich ihn in seinem Winkel aufsuchen gehen." ^}
Das geschieht denn, aber erst in der X. Scene. Die Zwischenzeit
füllt der Tanz des jungen Landvolks unter der bewussten „Ulme"
aus; die Zusammenkunft Lisarda's mit ihrem Bitter, Oton,
und bei dieser Gelegenheit auch ihres Bruders, Feliciano, Wer-
bung um ein armes Bauermädchen, Costanza, die aber reich
an Tugend, was in Feliciano's Augen Goldes Werth überwiegt 2),
Zinsfuss und Agio mögen sich dagegen stemmen, wie sie. wollen.
Hauptgrund zu des begüterten Bauernsohnes Werbung um die
leere Hand der armen Bauerntochter, Costanza, dürfte wohl
die vom Dichter beabsichtigte, kunstrechte Contrastirung solchen
Paares mit dem gegenbildlichen Liebespaare, Oton und Li-
sarda, abgeben, das in parallelen Scenen kost und liebelt: scharf
und feurig vonseiten des „Marschalls" Oton*^), der den Him-
1) Dejale con su opinion;
Que si al Eey con su poder
No quiere ver, yo ire ä ver
AI villano en su rincon.
2) Fileto. — — — -._
Pero es pobre, y disegual.
De tus meritos tambien.
Felic. Mal dices; que la virtud
Es de mas valor que el oro.
3) Oton. — que par el alto cielo
Que habeis de ser mujer . . .
Lisarda. Senor, dejadme.
Oton. Del mariscal Oton, y cumplirelo.
X, 15
226 J^^s spanische Drama.
mel zum Zeugen seiner goldlautern Leidenschaft anruft; ver-
schmitzt - sprödiglich vonseiten des schönen und schmucken Du-
catenweibchens, Lisarda. Nebenbei mag wohl auch des Kö-
nigs Erpichtheit auf des Ducaten-Landmanns Bekanntschaft ein
kunstgeheim ironisches Streiflicht auf 0 ton 's Bewerbung um
das Goldkind des reichen Bauern werfen. Stark illuminirte Pa-
rallelcontraste werden wir durchhin im Lope-Calderon-Drama ge-
wahren, die das Moment jener dramatischen Kunstironie wieder-
spiegeln, worin Sophokles als erster Meister gepriesen wird, mit
dem freilich namhaften Unterschiede — wenn solche Ironie wirk-
lich in seiner Compositionsabsicht lag — dass Sophokles aus dem
Fabelmotive, aus den Charakteren und ihrem, dem absolut uner-
forschlichen und alleingültigen Götter- und Schicksalbeschlusse
gegenüber, ringenden Pathos jene tragisch gottselige, tieflfromme
Ironie entspringen Hess; während im Lope-Calderon'schen Drama
die ironische Contrastirung mehr eine bühnentechnische, der Pa-
rallelgestaltung günstige Wirkung bezweckt und erstrebt.
König pocht an Juan's Thür und stellt sich ihm als Ober-
schöppen von Paris i) und Umgebung vor. Juan weist ihm ei-
nen Stuhl an, und bedeutet ihn auf sein höfliches Depreciren:
als Gast habe er sich seinem, des Hauswirthes, Gutdünken zu
fügen. 2) König wünscht, die freundliche Aufnahme in Paris
erwidern zu können. „Paris!" ruft Juan, nicht um die ganze
Welt!^) — Ein Ansichtsaustausch, als galt' es ein Contrastge-
spräch zu den Unterhandlungen der weiland Commune von Paris
mit der weiland Regierung von Versailles zu liefern. König
wirft ein Wörtchen von König und Königsschau hin. Ob Juan
den König nie gesehen, den König nicht zu sehen wünsche? —
Mit Respect zu melden, nein! — In seinem Winkel, versichert
\
1) Alcaide de la ciudad
Y los muros de Paris.
2) Y advertid qiie habeis de liacer,
Mientras en mi casa estäis,
Lo qua os niandare.
3) Juan. {Yo ä Paris!
De nungun modo, por Dios.
König, Bauer und Bäuerinnen. 227
Juan, führ er sich selber König, nur schläft und isst er bes-
ser 1 0 Und betet nun Korn für Korn den Rosenkranz seines
Beatus ille herunter; so dass der König dem Missvergnügen ob
seiner vergeblichen Anstrengungen, dem widerhaarigen, Paris
sammt König, bei aller Loyalität, am liebsten mit dem Rücken
zu besehen wünschenden Winkel-Bauern die Würmer aus der
Nase zu ziehen, in einem Aparte Luft macht, das über den „Philo-
sophen'' als Bauern- Winkelmann einen Pfeifton neidischer Ver-
wunderung ausstöst.2) Juan heisst den Tisch zur Abendmahl-
zeit decken, wobei Lisarda und Beiisa die Honneurs machen
und die Musici zum Texte: „Beatus ille" ^), aufspielen. Li-
sarda verfehlt nicht ihren Bruder, Feliciano, in einem Aparte
auf die Aehnlichkeit des fremden jungen Mannes mit dem König
aufmerksam zu machen. Feliciano erklärt das Naturspiel für
ein Naturwunder, vermöge dessen das von religiöser Ehrfurcht
beim Anblick eines Königs geblendete Auge sich täusche, was
Costanza beistimmend bestätigt. 4) So ehrfurchtiglich versteht
der spanische Dichter einen König zum Sündenbock seiner ün-
wahrscheinlichkeiten zu verklären! Trotz Aehnlichkeit und vor
1) Juan. Yo tengo en este rincon
No se que de Rey tambien;
Mas duermo y como mas bien.
2) Rey (Ap.) ;0h filosofo villano!
Mucho mas te euvidio agora.
3) Musicos. jCuan bienaventurado
Aquel puede Ilamarse justamente,
Que sin teuer cuidado
De la malicia y lengua de la gcnte
A la virtud contraria,
La suya pasa en vida solitaria! , , ,
4) Lisarda (Ap. a Feliciano).
Notablementc parece,
Feliciano, este mancebo,
AI Rey.
Feliciano Un milagro nuevo
De naturaleza ofrece.
Pero enganase' la vista,
Mirando con religion
AI Rey.
15^
228 I^^s spanische Drama.
heiliger Königsanschau geblendet-thränenden Augen, versteht es
aber auch die schelmisch kokette, und, wo Bartel Most holt, sehr
gut wissende Lisarda dem nach Tische mit gleichfalls vom An-
blick des reizenden jungen Bauernmädchens geblendet-thränenden
Augen, vom Gesang der Musicos und vom Beatus ille angenehm
aufgeregt und ein klein wenig angerissen zu Bette gehenden, und
zu diesem Gange Lisarda's Hand ergreifenden König Alcaide —
versteht es Lisarda, dem königlichen 'mancebo* das — Handwerk
zu legen. Sie findet den Handgriff impertinent. ^ Je imperti-
nenter aber, desto mehr rey neto. ^Mancebo' macht Handstreiche,
die „nach allen sieben Sachen streichen", um mit Mephistopheles
zu reden. „Loslassen! oder mich soll der, Mephistopheles, wenn
ich nicht dem Handfasser einen Handschlag biete, der einer Maul-
schelle so ähnlich sieht, wie der *mancebo' dem König. 2) „Zu-
rück!" — kreischt die Bauernlise — in landschaftlicher Mundart:
„Zaruck!" mit dreissig „Erren" (r)^) — und schlägt dem hand-
greiflichen, zu ihrem Kammerherrn sich handtiren wollenden
Hofschranz (cortesano) mit soviel Erren, als der Zauberer Ma-
legys Fuchsschwänze an der Mütze trug — schlägt ihm die Thür
ihrer Schlafkammer vor der Nase zu, ohne Rücksicht auf deren
Aehnlichkeit mit des Königs seiner, und verriegelt sie — die
Thür nämlich, von innen. ^) Der König, sich an der verblüff-
ten Nase fassend, und sie mit Fragen über Fragen nach dem
Schlüsse] dieser räthselhaften Kammerthür bestürmend, weiss
nicht wie ihm geschehen. „Ist das Haus verhext? Wo bin ich
und was soll ich hier? Bin ich mir bewusst oder nicht be-
wusst? und tapp' ich im Labyrinth des Unbewussten umher?
V) Rej. Oid.
Lis. ?Que?
Eey. La mano os pido.
Lis. ^,La mano?
Eey. La mano quiero.
Lis. A f e qne sois, cabaUero,
Para huesped atrevido . . .
2) Lis. Suelte; que el diable me lleve
Si no le de un mojicon.
3) Lisarda. Arre aUa con treinta erres
4) i^Cierra Lisarda la puerta por dentro.)
Der König vor Schlafengehen. 229
Was ist das für eine Philosophie des Unbewussteii?" i) Auf die
vier Fragen eilt Costanza heran, bei der nun der verdutzte
König sein fünftes Doppelfragezeichen vorkehrt: „Ist das etwa
mein Bett?^^-) Auf Costanza's 'si' stellt er ihr sofort gross-
müthig und als „freigebiger Mann", die Hälfte zur Verfügung
und verlangt nichts dafür, als dass sie ihn ein wenig unterhalte. ^)
Unterhalt' Ihn eine Wilds So hör doch! — Hör' Ihn der
Teufel und hol' Ihn der Beizebub, Er, Cortesanol*) Der nun
wieder nicht ein- noch auswissende, und auf Selbstfragen ange-
wiesene König besorgt das in so hohem Discant, dass die dritte
dralle Bäuerin, die Beiisa, mit der Dienstfertigkeit eines Hotel-
mädchens herbeistürzt, fragend, was ihm fehle? — „Ein Kam-
merdiener, seinetwegen auch eine Kammerdienerin, die ihn zu
Bette bringe." — Beiisa, auffahrend: „Pack Er sich mit Sei-
nen „Schw" — , hol der Teufel den Cortesano !" •'^) „Gut, so helfe
Sie mich entkleiden. Beiisa. Wie nett! Sonst haben Sie keine
Schmerzen? Könnt' eine Nacht in den Hosen schlafen!"^) und
huscht davon. Was nun fragen? betet der im Bauernwinkel fest-
geleimte König sich nun selber zum Frageteufel mit gedämpfter
Stimme, mezza voce. Horch! „hinter den Bettgardinen — oder
ich müsste mich sehr irren — räuspert sich Jemand, und hustet
1) — ^es casa iucantada
(jQue es esto, Dios? ^Donde estamos?
^Que filosofia es esa?
(iEn que laberiiito he dadoV
^;Como me he metido aqui?
iHola gente! ^^Con quien hablo?
2) (5, Es esta mi cama?
3) Pues entretenedme un poco;
Que soy hombre de regale
4) Costanza. Entreteiigale una fiera —
Eey. Escucha.
Co st. iQi^Q he de escuchar?
jValga el diablo el cortesano!
5) Bei. Echese su porqueria.
jValga el diablo el cortesano!
6) ßey. Descalzadme vos.
Bei. iQue lindo!
Duerma una noche calzado.
230 I^as spanische Drama.
mir Etwas. Was zaudre ich noch? Ich ziehe den Degen/' ^)
Richtig! der Huster hinter dem Alcoven schlüpft hervor. Wer
ist's? Hofcavalier Oton! Mariscalco Oton, herbestellt von Lisarda,
und der in dem von ihr zu diesem Zwecke empfangenen
Hausschlüssel den Schlüssel zu des Königs sämmtlichen Frage-
räthseln in der Tasche trägt, mit welchem Schlüssel denn der
König nebenbei den zweiten Act zuschliesst, den Schlusskehrti-
telvers jedes der drei Acte: „Der Bauer in seinem Win-
kel", als Hängeschlösschen einzuhaken nicht vergessend.^) 0
der lächerlichen Mausefalle, in die ein König von Prankreich sich
zum Winkelkönig verläuft und verfängt! So lächerlich, dass die
Situation schier eine Parodie des Königs, wo nicht des König-
thums, neben der Verherrlichung des hochgemuthen Geld- wie
Mist besitzenden und auf jenes wie auf diesen stolzen Bauern in
seinem Winkel scheinen kann. So satyrisch, so grundkomisch
lächerlich, als ob die Komödie ihre nahe Verwandtschaft mit je-
nem Volksbüchlein an der Schellenkappe so recht auffällig zur
Schau tragen wollte, jenem alten Volksbüchlein: „Prag und
Antwort König Salomonis und Marcolphi", wo Mar-
colph, Eulenspiegels Ahn und Vorgänger, mit König Salomo dem
Weisen ein Gespräch führt, in welchem König Salomo „alle seine
weisen Sprüche der Reihe nach auslegt, die Marcolph dann aus
dem Stegreif parodirt", so dass der König als des Narren Narr
figurirt; nicht aber so, wie in des „visirlichen Marcolphe's
abenteuerlichem Gespräch mit dem König Salomo", nicht so,
„dass der weise König oben majestätisch mit Krön' und Scepter
in der Sonne auf- und niedergeht, während sein Schatten seit-
wärts in die Pfütze fällt, und dort alle stolze Haltung ver-
liert"^) — nicht so! Sondern vielmehr so, dass Pfütze und
1) Bey. Parecenie, 6 me engano,
Que detras de estas cortinas
Tose un liombre. Pues (ique aguardo?
Sacare la espada.
2) A ver, siendo rey tan alto
El villano en su rincon,
Pues no ve al Eey el villano.
3) Görres. Die deutschen Volksbüclier. Heidelb. 1807. Nr. 31. 8. 189 f.
König Salomo. 231
Schatten zur Folie des in der Sonne seiner Majestät, trotz
Bauerwinkel, hoclidaherwandelnden Königs werden, zu seiner und
zugleich des Bauern und Bauerwinkels Parallelfolie, und beide
letzteren wiederum in der Majestätssonne sich zu deren Sonnen-
flecken, unbeschadet des in der Pfütze sich spiegelnden Königs-
schattens, erhöhen und transfiguriren. Wenn König Salomo den
Marcolph in seinem Winkel, auf einem Esel reitend, besucht,
und in der Thüre, wie der Holzschnitt zeigt, so Stellung nimmt,
dass der PJsel halb innen und halb aussen steht, und
Marcolph dem Könige philosophische Fragen in Form spitzfindiger
ßäthsel vorlegt: ^) Wer erkennt in dieser Situation nicht das
Vorbild zu Scene XL Act IL in unserer Komödie, wo der König
von Frankreich ebenfalls in der Thüre stehen bleibt ^^) auf seinem
Steckenpferde, um mit dem „philosophischen Bauer" ^0 ßhi Salomo-
nisches Gespräch zu führen. Von allen spanischen Bühnendichtern
verstand es vielleicht Keiner so trefflich, wie Lope de Vega, mit
dem Pfunde der Parallelformel zu wuchern und Wirkungen zu
erzielen, hinter denen man wunder welche satyrisch kühne,
kunstfein versteckte Geheimabsichten des freien Dichtergeistes
und Kunsthumors vermuthen möchte, wo im Grunde doch nur
die Zauberlaterne des Schematismus mit dem aus ihren Doppel-
gläsern geworfenen, und durch das Hohlspiegelchen darin leucht-
kräftig verstärkten Doppelscheine jene magischen Effecte hervor-
bringt.
Solcher Effecte gaukelt und spiegelt uns der dritte Act die
Hülle und Fülle vor. Zuvörderst im ländlichen Feste der Eichel-
und Olivenlese, wozu sich hüben eine Gruppe Bauernbursche mit
Brechstangen für die Eichel- und Haselnussernte ; drüben eine
Gruppe Landmädchen, worunter Lisa r da, Costa nza und Be-
iisa, mit ihren Pflückstäben für's Oliven- Abschlagen einfinden;
beiderseits mit ihren Musici, die jeder Lese-Gruppe aufspielen,
gar liebliche, die Fruchternte feiernde Volkslieder dazu singend.
Seneschall Oton mischt sich in die Gruppen mit seinem Diener
1) Görres a. a. 0. S. 191.
2) Filet 0. Estä ya en el portal,
3) jOh filosüfo vUano!
232 Das spanische Drama.
Marin; wird von Lisarda, vermummt hinter ihrer Kaputze,
geneckt und gehänselt, wie Marin, der Parallelgruppirung zu-
lieb, von Be lisarda; überreicht einen Brief vom König an
den Bauer Juan, der aus seinem Winkel hervorgekrochen, und sich
auch inzwischen eingestellt. Das königliche Handschreiben erin-
nert Juan an seine gegen den Alcaide von Paris, als ihn die-
ser in seinem Winkel besuchte, geäusserte Bereitwilligkeit, dem
Könige sein Vermögen zur Verfügung zu stellen, und verlangt
vorläuJBg nur hunderttausend Thälerchen auf Abschlag, die der
König gerade brauchen könnte, und die ihm sein Vetter oder
Gevatter 0, sein lieber Winkelvetter, Juan, unverzüglich durch
den mariscal schicken möchte. „Vetter", „Gevatter", „pariente"
Königs Vetter? — Juan befällt ein Wonneschwindel. Im Um-
sehen hat mariscal Oton die hunderttausend Thälerchen vom
Königsvetter für Gevatter König in der Tasche und trollt ab.
„Was meint Ihr zu der Geschichte"') ~ fragen auch wir mit
dem Bauerburschen Salvano, und theilen zwar die Ansicht von
Juan's Sohn, Feliciano, inbetreff des „Schmeichelgrusses" 'pa-
riente' in des Königs Brief; die Ansicht: „Wer um etwas bittet
pflege in der Regel solchen Honig denen Winkelbauern in's Maul
zu streichen" =^) , und stimmen auch Juan's rüstigem Ackerbur-
schen, Fileto, auf Salvano's Frage ertheilter und als Denkspruch
formulirter Antwort bei ■*), — bekennen uns aber trotzdem zu der
maassgeblichen Meinung, dass wir Beide Recht haben: Feliciano
und Fileto einerseits mit ihren das königliche Handbillet an-
scheinend satyrisirenden Stachelversen; und wir unsererseits mit
unserer Auslegung: dass nämlich um jeden Riemenstreifen an
der spanisch-dramatischen Momus-Geissel ein weicher Flanell-
streifen in parallelen Windungen sich schlängelt; desgleichen dass
zwischen je zweien Riemen besagter Geissei ein ähnlicher Paral-
lelflanelllappen kräuselt, so dass der Schlag sich zur Wirkung eines
1) pariente.
2) dQue OS parece de aquesto que ha pasado?
3) Quien pide siempra engana con lisanjas.
4) Que el villano que se hace caballero
Merece que le quiten su dinero.
Zwei Cabinetsschreiben. 233
Pfauenwedels abdämpft, der die etwaigen Runzeln an der welt-
lichen und geistlichen Macht glatt und freundlich fächelt, dank
der parallelen Watte-Ümwindung je eines der Geisselriemen und
der parallelen Gevatterschaft, die zwischen je zwei Leder- und
Flanellstreifen der Momusfuchtel obwaltet.
Demgemäss kommt denn auch mariscal üton mit einem
zweiten Brief des Königs an Juan, worin dieser an seine vor
dem Maire oder Alcaide von Paris geleistete Zusage erinnert wird:
eintretenden Falles auch seine Kinder dem Könige zu Dienste
zu stellen. König bitte sich daher dieselben aus, und wünsche,
dass sie ihm Gevatter Juan augenblicklich durch Oton zusen-
den möchte. ^ Gelder und Kinder, Gut und Blut, sind das nicht
die zwei stehenden Leistungen, die Könige seit Menschengeden-
ken von den Bauern in ihren Winkeln fordern und entrichten
lassen? Andere Könige freilich besorgen dies in einem und dem-
selben Cabinetsbefehl oder Handschreiben, wogegen Lope's angeb-
licher König von Frankreich, — genau besehen aber Doppel-
gänger des spanischen Königs Ordono in Lope's oben be-
sprochener Komödie, mithin gleichfalls König von Parallelsche-
ma's Gnaden, — als solcher behufs jener Gut- und Blutsteuer-
Eintreibung zwei Cabinetsschreiben hintereinander erlässt, die sein
Bestellbote Marschall Oton in zwei aufeinanderfolgenden Gängen
dem Bauer in seinem Winkel zuträgt. AUdessunbeschadet und
ungeachtet liesse sich doch zwischen den Zeilen die Momus-Ab-
sicht herauslesen: die auf seine Gut- und Blutsteuer hinauslau-
fende Königs-Bauerngevatterschaft mit der Spottgeissel zu treflen.
Und wenn nicht mit dieser — die Absicht des spanischen Mo-
mus: zwei Fliegen mit zwei Klappen, die er an Stelle der Spott-
geissel schwingt, zu treffen. Es liesse sich dieser Momus-Dop-
pelschlag möglicherweise zwischen den Zeilen heraushören. Ei ja
doch! Wenn nicht die zwei Fliegenklappen wieder, gleich dem
Zauberkreisel der römischen Hexe Ganidia, mit doppelter Pur-
pur wolle umwunden wären, so bauschig weich, dass die Doppel-
1) „Si fuese necesario, me serviriades con vuestros hijos; ahora son
ä mi servicio y gusto: ansi os niando que luego al punto nie les envicis
con Oton/*
234 ^^^ spanische Drama.
klappe abermals nur als Purpurwedel fungirt, der von den beiden
Gewalten, der weltlichen und geistlichen Gewalt, dem Königthum
und der Inquisition, die Fliegen abwehrt und verscheucht, anstatt
sie ihnen mindestens auf der Nase todtzuschlagen. Was ist denn
des Königs Rechtfertigung auf seines Vertrauten, des Hofca va-
liers Pinardo, Frage: „Wodurch erwarb sich doch der Bauer
Deine Gunst und Gnade?" was ist sie denn, diese Kechtfertigung,
worin der König seine Stellung zum Bauer und dessen Winkel
mit Alexanders des Grossen zu Diogenes und dessen Tonne ver-
gleicht — was ist sie anders, als ein mit Purpurwolle über-
sponnener Doppelwedel, den der Dichter seinem Könige in die
Hand giebt, um die zwei Stechfliegen, jene mehrgedachten Kö-
nigs-Gut- und ßlutsteuer- Ausschreiben, sich aus dem Sinne zu
schlagen und nebenbei der gekrönten Stirne selbstschmeichleri-
sche Kühlung zuzuwehen : Er dürfe — so fächelt ihm des Dich-
ters Wedel die Stechfliegen vom, und die Hofschmeichellüft-
chen in's königliche Gesicht, — Er dürfe, wie Alexander der
Grosse dem Diogenes, so auch er dem Ackerbauer Juan ge-
genüber, sprechen: „Wäre ich nicht der König von Frankreich,
würde ich es für grösseren Gewinn erachten, Bauer Juan zu
seyn." ') Damit nicht genug , jagt der Wedel die satyrischen
1) Pinardo. ^^Por doiide vino a tu gracia?
ßey. Porque toque con la maiio
El oro de su valor,
Caando eii su rincon le vi;
Que ya por cl y por mi
Pudiera decir mejor
Le que de Alejandro Griego
Y Diogenes: el dia
Que le vio, cuando tenia
Casa estrecha, sol por fuego,
Dijo que holgar a de ser
Diogenes, si no fuera
Alejandro; y yo pudiera
Esto mismo responder,
Y con ocasion mayor,
Porque, ä no ser rey de Francia,
Tuviera por inas ganancia
Que fuera Juan Labrador.
Parallelcontraste. 235
Mücken mit gleichzeitiger paralleler Handschwenkung dem Hof-
geschmeiss auf die mit Honig bestrichenen Nasen, In des Bauer-
burschen, Pileto, Schilderung eines 'Corte sano' ist jedes
Wort Wespe; eine Wespe aber, die im Honig den Stachel sitzen
lässt. ^)
Bis auf Nebendinge und episodische Vorgänge erstreckt sich
in dieser auch darin, wie in ihren wirklichen Meisterpartien,
glänzenden Komödie, die Kunst der schematischen Parallelcontraste.
Einen solchen bildet Scene XII, A. III, wo der König mit dem
völlig episodischen Almirante (Admiral) die Vermählung sei-
ner Schwester, der Infanta, bespricht, die der Almirante dem
principe, ihrem Verlobten, zuführen soll, — zu Scene VIII, in
welcher der Bauer Juan, des Königs Parallel-Contrastgevatter,
Familienrath über die Verheirathung seiner Tochter, Lisarda,
1) Bruno. — ^sabräs tu ser cortesano?
Fileto. Pues ,i,hay cosa mas facil?
Bruno. De que suerte?
Fileto. No se si acierto, lo que pieuso advierte
Conipliiuientos extraiios, cerenionias,
Reverencias, loa cuerpos espetados,
Muchä parola, mormoras, donaires
Risa falsa, no liacer por nadie nada,
Notable prometer, verdad ninguna
— Y, y otras cosas mas sutiles
Que te dire despues por el camiuo.
Bruno. „Verständest Du Dich aufs Höflingseyn ?
Fileto. Nichts leichter,
Bruno, Wie denn?
Fileto. Ich weiss nicht, ob ich's treffe,
Doch höre! Wunderlichste Bücklinge,
Kratzfüsse, Ceremonien, aufgeblasnes
Gebahren, eitel Schwätzen, Lästern und
Sich zierert, trugvoll Lächeln, gross versprechen,
Für Niemand Etwas thun. Von Wahrheit nicht
Die Spur . . . Und andre feinre Künste noch,
Die unterweges ich Dir sagen will.**
Und lässt richtig die ,, feinern Künste'*, den Komödienstachel eben, im
Honig stecken!
236 ^^s spanische Drama.
hält. Wie denn der Komödie tendenziöses Heldenzwillingspaar:
der König, der den Bauer um seinen Winkel beneidet; der
Bauer, der den Winkel mit dem Hofleben und einer Hofcharge
vertauscht, wie denn beide „Gevattern" schliesslich als Hoch-
zeitsväter sich die Hände reichen, zur Vermählung der ganzen
Bauernfamilie: Feliciano's mit Costanza, den der König zum
Alcalden von Paris ernennt'), in dessen Maske er um des Bauern
Juan Freundschaft zu Winkel gekrochen. Peliciano, der das
Hofwesen so oft bestichelte, ernennt, hochdaherschreitend in sei-
ner Alcaldenwürde und im städtisch-schmucken Kleide, seine zwei
Ackerburschen, Bruno und Fileto, zu seinen Pagen 2); diesel-
ben, die sich über das Hofvolk eben nur so lustig gemacht!
Ironie — feine Ironie! Mag seyn, aber Parallelironie, und wie
von selbst parodistisch im Mittel der Hofluft des Contrastparalle-
lismus, gleich Lichtstrahlen, sich vom oder zum Perpendikel
brechend. Als Juan 's Hochzeitszwillingsvater und Gevatter, ver-
mählt der König zweitens die Lisarda mit seinem Hofca valier
und Seneschall Oton, den seit jenem Begegniss mit dem König
hinter dem Alcoven vor Lisarda's Schlafkammer verhaltene Ei-
fersucht auf den König wie eine verbissene Kolik plagt, und in
den siedendsten Eifersuchts-Apartes, im eigenen Fette, bei lang-
samem Feuer, während des Königs Unterhaltung mit Lisarda,
sich selber schmort, und dick bestreut mit spanischem Eifer-
suchtspfefler. Der Sprung aber, den mariscal Oton aus der
Schmorpfanne des Aparte macht, als der König seine Schwester,
Infanta, auflbrdert, Brautpathin bei dem Hochzeitspaar Oton und
Lisarda, zu seyn ! Und wie kräftig er den spanischen Pfeffer, die
Eifersucht, die Lieblingswürze der spanischen Komödie, abschüt-
telt, dass derselbe von ihm stiebt und sprüht, wie die Funken,
die der Hofcavalier dem Färgen in Goethe's Märchen als Fähr-
geld in blanken Ducaten sich vom Leibe schüttelt. Ja, als solche
Ducaten spritzt Hofmarschall Oton den spanischen Pfeffer aus
allen Poren, und nicht weniger denn 200,000 geschlagene Ducaten,
1) Hago Alcaide de Paris
A Peliciano.
2) Que pajes he de tener
Para Alcaide de Paris
Die Bauernroahlzeit. 237
gerade so viel als die Mitgift beträgt, die der König der Braut
bestimmt: zu jenen 100,000, ihrem Vater, Juan, vom Könige
in seinem Handbillet abgeforderten Ducaten, die gleiclie Parallel-
summe fügend, in zehn der Braut geschenkten Gütern. ^) Was
für Parallelfunkenbüschel schütteln aber nicht erst die Vor-
kehrungsscenen zu diesen Schlussüberraschungen aus allen Glie-
dern und Haarspitzen! Die sechs Schüsseln, die der Kö-
nig in zwei Trachten auftragen lässt^ als Nachtisch zu dem pa-
rallelen Vergeltungsschmause , womit er des Winkelbauern, ihm,
dem vermeinten Alcaiden von Paris, zu Ehren gegebenes Gast-
mahl erwidert! Und welche Leckerbissen tischt der erste
Schüsselgang in seinen drei Becken auf? Die Insignien-Symbole
der Königsmacht: Scepter, Spiegel und Schwert, deren Be-
deutung der König seinem Gast aus dem Bauernwinkel erklärt,
worunter der Spiegel allein einer Deutung bedürfen möchte:
dass derselbe nämlich des Königs Aufgabe, der Spiegel seines
Reiches zu seyn, verbildliche, in welchem sich jeder Vasall be-
schauen müsse, als das in Pflichtentreue Parallelebild zu seinem
Könige, das ihn aus dem Spiegel, Ehrfurcht gebietend, anstrahlt,
und das — glossirt die Gesangsstrophe der Tafelmusik — der königs-
treue ünterthan anzubeten habe, vom Glänze der Majestät, wie
von den Strahlen der aufgehenden Sonne, geblendet und von des
Königs Anblick so freudedurchgiüht, wie die Erde bei des Son-
nenantlitzes erster Schau. '^) Juan, eingedenk seiner zuversicht-
lichen, bauernstolzen Haltung und Sprache, dem Könige gegen-
über, erzittert, und möchte in seinen Winkel sich verkriechen.
Doch bald verscheucht der zweite Schüsselgang jede Be-
sorgniss. Die erste dieser Schüsseln enthält ein königliches
)) Sobre los cien mil ducädos
Ell diez villas otros ciento.
2) Musicos (cantan).
Como se alegra el suelo
Cuando sale de rayos matizado
El sol en rojo velo,
Asi viendo el su rey, esto obligado
El vasallo obediente,
Adorando los rayos de su frente.
238 A)as spanische Drama.
Schriftblatt, das Juan's schon zum Oberschöppen von Paris er-
nanntem Sohne, Feliciano, den Titel 'Caballero' verleiht.
In der zweiten Schüssel liegt das Papier, das Juan's Tochter,
Lisarda, mit den 200,000 Ducaten als Mitgift ansteuert. Die
dritte Schüssel endlich bringt ihm selbst, dem Winkelbauer,
Juan, die Ernennung zu des Königs Haushofmeister. ^) Winkel-
bauer fällt aufs Angesicht vor Wonnebetäubung, und küsst, der
spanischen Etiketten-Parallele und Parallelen-Etikette gemäss, dem
Könige zuerst die parallelen Füsse und dann die parallelen
Hände. '^) Wie steht es nun um die ironische Tendenzmoral ?
Offenbar ist die ganze hoffähig gemachte Bauernwinkelfamilie, mit
ihrem Oberhaupt voran, der vom Ofen gelotkte Hund. Der
Schluss der Komödie schlägt ihren Titel mit einem Hoftitel in's
Gesicht, und degradirt den Bauer als König in seinem Winkel
zum königlich „gemayerten" Hausmaier, während der König
dem Bauernwinkel den ßücken als ein Alexander zukehrt, der
dem Diogenes die Tonne zerschlägt und den Cyniker, den königs-
bissigen Hund-Philosophen, als Hofhund an goldner Leine davon-
führt. Gelt, eine in zwei Spitzen auslaufende Schlussironie, die
sich gegenseitig abstumpfen! Ein pfeilförmiger Scorpionstachel,
den die in zwei feurige Parallelkreise gebannte Komödie gegen
sich selber einkrümmt, nicht etwa um sich todtzustechen, da ihr
Pfeilstachel nur goldnen Thau tröpfelt, sondern blos um zu glän-
zen, wie der Stachel ihres siderischen Abbildes, des in den Pa-
rallelkreisen des Zodiacus schimmernden Scoi^pions. Auch dies
hat das Genie, das spanische vor Allem, zueigen, dass seine Fäul-
niss als blendendes Irrlicht aufglänzt: dass, gleich dem Meeres-
leuchten, auch das seine von verwesenden Weichthieren herrührt;
dass seine Fehler, Gebrechen und Flecken im Verhältniss zu seinem
Genie stehen, wie die Grösse der Flecken an der Austerschaale
auf die entsprechende Grösse der von ihr umschlossenen Perle
deutet; dass sein poetischer Auswurf, wie des Luchses Harn, zu
Edelsteinen erstarrt, oder wie der aus solcher Bewässerung er-
1) — Para ti trae
Una cediüa el tercero
De inayordomo del Rey,
2) Juan. Los pies y manos te beso.
Lope de Vega's Comodia: Amar sin saber a Quien. 239
zeugte und nach dem Tode in eine solche wieder aufgelöste
Orion ^) unter die Sterne versetzt ward, wo er neben dem gleich-
falls asterisirten Aase des Scorpions gar herrlich strahlt, dessen
Stich ihn und den Scorpion selber zu Sternbildern flammte und
emporstach in den Himmel. Lauter metamorphotische Contrast-
erscheinungen, die im spanischen Genie schöpferisch wirken, un-
beschadet der unausgleichbaren Widersprüche, die freundnachbar-
lich nebeneinander herlaufen, weil sie, wie Parallellinien eben,
in alle Ewigkeit sich nicht berühren, und daher auch keine die
Gegensätze tilgenden Kreuzungs- und Durchgangsknoten, keine —
wie durch Gegenspiegelung interferenzirte Lichtstrahlen — keine
die Widersprüche auslöschende Durchschneidungspunkte bilden.
Amar sin saber ä Quien.
(Lieben ohne zu wissen, Wen man liebt.)
Li dieser Lage befindet sich Caballero Don Juan, der, bei
einem im Duell Getödteten, das er, als Fremder, zu verhindern
herbeigeeilt war, von den Gerichtsdienern betroffen, im Gefäng-
niss als der vermeinte Mörder schmachtet. Der wirkliche Mör-
der, Don Fernando, hatte sich auf das Pferd des von Sevilla
eben vor den Thoren von Toledo, wo das Duell stattfand, ange-
langten Don Juan geschwungen und in seine Wohnung zu Toledo
glücklich geflüchtet. Hier erzählte er seiner Schwester Leonarda
den Vorfair-), die mit Einwilligung ihres Bruders dem Unschul-
digen werthvolle Geschenke in Edelsteinen und Silber durch ihre
Dienerin Ines^) in's Gefängniss schickt, mit einem Briefchen,
1) - Quia sie gcnitus vocat Urion a.
Ovid. Fast. V, 530 ff.
2) Den Anlass zum Duell gab ein Wortwechsel wegen einer Dame,
deren Gunat sich der im Duell gebliebene Don Pedro berühmt hatte.
Fernando berichtet seiner Schwester den Hergang in einer zwei Colnmnen
langen Schilderung. — 3) Zofe Ines liest den Romancero, bekennt sich
als Schöngeistin und kann dem Cervantes seinen Don Quijote nicht ver-
zeihen :
Ines. Don Quijote de la Mancha
(Perdone Dios a Cervantes)
240 I^^s spanische Drama.
worin die mildherzige Cnbekaunte iiir Mitgefühl dem fremden
ßitter ausspricht. 0 Don Juan ist ausser sich vor Entsetzen
über das Briefchen, sein Diener Limon (Citrone) über die Ge-
schenke, dem die Natur schon in den Windeln ein ansehnliches
Geschenk in einer Nase eingebunden, die ihn bei den Mitgefan-
genen als Juden verdächtigt. Limon rettet die christliche
Ehre seiner langen Judennase mit den kurzen Stutznasen, womit
ausnahmsweise auch Juden geboren werden. 2) Don Juan d' Aqui-
lar sendet der unbekannten barmherzigen Schwester, nebst der
Antwort auf ihr th eilnahm volles Billet, einen Diamanten als Ge-
gengeschenk. Die Doublone aber, die Don Juan der üeber-
bringerin anbietet, weist die Eomancero-Leserin , das gebildete
Kammermädchen, die schöngeistige Gegnerin des Don Quijote,
Ines, entschieden zurück. Ein Grossmuthswettstreit zwischen
Don Fernando, der Don Juan im Gefängniss mit dem Vor-
satz aufsucht, sich als den Schuldigen beim Gericht anzugeben,
und Don Juan, der den Vorschlag zurückweist, wird vorläufig
durch Don Juan's Vertröstung auf seinen hohen Freund und Gön-
ner, Don Luis de Ribera, zu Toledo, Verwandten des Her-
zogs von Alcalä, beigelegt, dessen Verwendung ihn der Haft ent-
reissen werde.
Die Romancero- Leserin Ines entwirft der Herrin eine
Fiie de las extravagantes
Que la Cronica eiisancha.
Der erste TlieJl des Don Quijote war 1605 zu Madrid erschienen. Un-
sere Comedia konnte in demselben Jahre gespielt worden seyn. — 1) Leo-
narda theilt dem Bruder ihren Anschlag mit, vorhehältlich , auf Frauen-
wort, des heimlichen Anschlags in petto: die vorläufige 'Quien' zu dem
Titel der Comedia zu liefern:
Yo le escribire un papcl
Diciendo, que es de una dama
Que le vio pasando, al tiempo
Que al Carcel le Uevaban,
Y que piadosa le envia
Joyas, regalos y plata.
2) Si narices longas hacen
Sospechar, no dicen bien,
Porque sepan que hay tambien
Judios que romos nacen.
Leonarda mit dem Sperling in der Hand. *241
SO romantische Schilderung von Don Jnan's Person, Wuchs,
Taille, männlicher Zier und galantem Wesen ^), dass Dona Leo-
narda den Sperling in der Hand, — denselben Don Luis de
Ribera, auf dessen Fürsprache Don Juan gegen ihren Bruder
sich berufen — diesen Sperling in der Hand, ihren schwärmeri-
schen Anbeter fliegen lässt, dem Vogel im Käfig zuliebe, zu des-
sen unbestimmtem Frage-Fürwort „Quien" sie titelgerecht sich
erkoren fühlt, insonders nachdem sie sein Antwortsbriefchen ge-
lesen, worin er Liebesbetheuerungen ablegt, ohne zu wissen Wem ?
und sich zu ihrem Vogel im Käfig erklärt, ohne zu wissen,
welche schöne Hand ihm Zucker und Futter reicht, und ohne
zu wissen, ob er jemals aus ihres Käfigs Haft würde befreit wer-
den können und wollen. 2) Die feurige Toledanerin ist entschlos-
sen, den Vogel nicht freizugeben, sondern in das goldenste, von
der Freiheit selbst beneidete Gefängniss, in ihr Herz, einzu-
schliessen. ^) Unwiderruflich fasst sie den verhängnissvollen Ent-
schluss einer Romeo- Julia: Dieser Mann muss mein Herzliebster
und ich sein Weib werden, und sollten wir Beide darüber zu-
grunde gehen.'*) Und schickt Ines wieder an Don Juan ab, um
ihm ihr Portrait zu bringen, das unbekannte „Quien'' in Farben,
Mittlerweile versichert der vornehme Santiago-Ritter, Don Luis
de Ribera, seinem Freunde und Schützling im Gefängniss, Don
Juan, seiner freundschaftlichsten Gönnergefühle und nachdrück-
lichen Verwendung. Citrone (Limon) lässt Ines eintreten in die
Gefängnissstube mit der Begrüssung: Herein, „Blüthe der Welt."'')
Die in romantischen Situationen, Erfindungen und Lügen bewan-
1) En mi vida
Vi mancebo tan galan.
iQue taue! Que bizarria!
iQue limpieza!
2) — qne yos sois quien me habeis preso, pnes no hay carcel conio
la obligacion, y prneba se en quo desta podre salir, y de la otra es im-
posible. — 3) yo le tengo de querer.
4) Porqne este hombre ha de ser
Mi bien, y yo su mujer,
0 de los dos perdicion.
5) Llega, fior del mundo.
X. 16
242 I^as spanische Drama.
derte Zofe giebt vor, sie müsse das Portrait dem Juwelier,
zum Ausbessern des Gehäuses, bringen. Welcher Verliebte lässt
sich aber das Portrait der Geliebten wieder entreissen, zumal
einer Geliebten, die man liebt, ohne zu wissen Wen? die man
eben nur als Bild, als Ideal liebt, ohne Original? Nach diesem
fragt Don Juan den hierauf ihn besuchenden Don Fernando,
des Originals Bruder. Dieser erkennt natürlich auf den ersten
Blick die bewusste „Quien", zieht aber beim Erkennen ein so
verdutztes Gesicht, dass Citren e darauf wettet, ein solches Ge-
sicht könne nur der Ehemann des Originals veranstalten. ^
Mit dem nichts weniger als tröstlichen Gesicht, das nun Don
Juan zum besten giebt, schliesst der erste Act dieser vorzügli-
chen Komödie, einer der wenigen unter den besten der spani-
schen Duell-Komödien, wo das Duell dem angenehmen Eindruck,
den wir von den edlen Figuren und Motiven empfangen, keinen
Abbruch thut.
Was bleibt dem zweiten Act übrig, als Leonarda und
Ines in Don Juan's de Aguilar Gefängnissstube verschleiert
erscheinen zu lassen? Als Leonarda ihr Entzücken über den
schönen jungen Cavalier in Aparte's verrathen zu lassen? Als
Don Juan sie fussfällig um Entschleierung flehen zu lassen?
Als es ihm, nach einigen schalkhaften Versagungs-Neckereien,
zwar nicht augenblicklich gewähren, doch in Aussicht stellen,
wohl aber die erbetene Zusammenkunft, nach seiner wieder er-
langten Freiheit, an ihrem Fenstergitter ihm bewilligen zu las-
sen? Was der zweite Act keines andern, als Lope's, so reizend
naiv, und in ächter ünschuldsliebe eines noch nicht fünfzehn-
jährigen Fräuleins so kindlich treuherzig dem Geliebten möchte
zusichern lassen, das ist Leonarda's Liebesgeständniss, das wieder
an Julia's offenherzige ehrliche Liebeserklärung erinnert, im Wi-
derspiel zu der Verschleierung: Julia's von der dunklen mantilla
der Nacht; Leonarda's von dem Spitzengewebe ihres Gesichts-
flors, der dem heiss schwärmenden Andalusier sein „Quien" nei-
disch verhüllt. Don Juan äussert seine Befürchtung, dass sie
vermählt seyn könne. „Das wird nur an dem Tage der Fall
seyn" — entgegnet sie — „wenn Gott meine Wünsche erhört.
1) iQuanto va que es su mujer?
Freundschaftsopfer. 243
Bis jetzt habe ich noch keinen Gemahl . . . Doch ich sage nicht
die Wahrheit. Ihr seyd ja der Meine, und werdet es, so hoffe
ich, mit Zuversicht seyn, wenn ihr erfahren, wer ich bin." ^) Ob-
gleich die Scene, wo Don Fernando von Doiia Lisena, um
derenthalb er Don Pedro im Zweikampf umgebracht, einen ent-
schiedenen Korb voll stachlichter Vorwürfe wegen des ihr ent-
rissenen Geliebten davon trägt, nur ein episodisch schwaches In-
teresse darbietet, so gönnen wir doch dem sonst wackern Don
Fernando den Korb und dem zweiten Act diese Scene von poe-
tischer — Gerechtigkeit.
Der edle Don Luis de Kibera führt Don Juan unter
Bürgschaft aus der Haft, und Eines Weges gerade vor den Bal-
kon des von Leonarda dem Don Juan bezeichneten Hauses, von
dessen Beziehung zu Don Luis der Freund keine Ahnung hat —
sin saber quien, ohne zu wissen, Wer ihn dahin führt, der näm-
lich, der da liebt und recht gut weiss Wen, die Leonarda
nämlich. Erfährt es aber augenblicklich aus der Hinführung eben
auf den Standort des ungeahnt gemeinschaftlichen Stelldicheins,
das für Don Luis freilich nur ein einschichtiges ist, was indes-
sen Don Juan, als vorbestimmter Nichtwisser von Wie, Wo
und Wen, auch nicht weiss und wissen darf. Don Luis hat
sich auf einen Augenblick entfernt. Nun folgen Balkonqui-
proquo's sin saber Quien von genuin spanischen Collisionen, in-
folge des durchgängigen Edelmuths der Personen. Don Juan
bittet die am Fensier erschienene Leonarda, die nicht weiss,
ob sie Don Luis liebe oder langweile, sie möchte sich huldsam
gegen Don Luis erweisen, der seiner Hoffnung Hafen ist. 2) Und
1) Don Juan. — mas temia
Que erades casada.
Leonarda. El dia
Que comple Dies mi deseo.
Ahora sin dueno estoy . . .
— Miento; que vos lo aois mio,
Y que lo sereis confio
Quando vos sepais quien soy.
2) Leonarda. No se
Si me sirve o me cansa.
16*
244 Das spanische Drama.
als der wiedergekehrte Don Luis mit Don Juan zusammen
vom heimkehrenden Don Fernando verscheucht worden, klagt
Don Juan seinem Diener Limon seine Lage, dass ihn Freund-
schaft und Dankbarkeit zwinge, der Bewerbung Don Luis' um
Leonarda zu weichen. Die Gemeinörtlichkeit von Fernan-
do's Bruderscene mit seiner Schwester Leonarda wollen wir
als eines der Weinblätter mit in den Kauf nehmen, die zwischen
den köstlichen Pfirsichen liegen.
ßisjetzt liebt Don Juan noch immer, ohne zu wissen. Wessen
und was für ein Gesicht hinter dem Schleierflächelt. Bei Leo-
narda's zweitem Besuch in seinem Gefängniss, wohin er zurückge-
kehrt, lüftet Don Juan selbst den Schleier mit einer Apostrophe
an den als ständige Perlen von Aurora geweinten Morgenthau,
an die den Morgen begrüssenden Vögel und an alle Schafherden,
die vor, Sonnenaufgang auf die Weide getrieben werden, um
endlich in Leonarda's enthülltem Antlitz die leibhafte Sonne
selber anzubeten. Mehr als irgend ein spanischer Dramatiker
hat Lope idyllische Lyrismen in seinen Lustspielen, und meist zum
Schaden des Lustspieltons, als falschen Schmuck verschwendet.
Don Juan, aus liand und Band vor Entzücken, sieht in Leo-
narda's Gesichtsoval das Weltall in Miniatur, i) Citrone (Limon)
quetscht sich selber aus in obligater Ekstase als Diener-Doublette
seines Herrn, und wählt als Citronenpresse dazu Sonett 65 von
Lope, seinem und der Komödie Schöpfer'-^), wie Leporello in Don
Juan: „das ist aus dem Figaro von Mozart!" Wer tritt in's Ge-
fängniss? Don Luis! Leonardo und Ines haben natürlich
ihre Schleier wieder fallen lassen. Don Luis sieht nichts vom
Gesicht als die schönen Augen. ^) Nicht einmal ein Wort kann
Don Luis der verschleierten Ines abgewinnen. Für seine An-
kündigung von Don Juan's Freilassung schenkt sie ihm einen
Don Juan. No le trates mal, mi bien:
Que es puerto de mi esperanza.
1) Yo he visto
Todo el mondo en ese rostro.
2) Dice allä en sus rimas Lope
Soneto sesenta y cinco.
3) ; Buenos ojos!
Zwickmülile von Dankbarkeit und Freundschaft. 245
Brillantring funkelnd wie die Buenos ojos, und entfernt sich mit
Ines lautlos. Dem neugierigen Don Luis l^ann Don Juan
mit gutem Gewissen bei dem Titel der Comedia zuschwören, dass
er den Namen der Dame nicht weiss, und dass er liebt ohne zu
wissen Wen. Zwischen Thür und Angel, zwischen Rinde und
Borke von Dankbarkeit gegen Don Luis und Liebe für seines
Wohltliäters Geliebte geklemmt — in dieser Gemüthsdoppelker-
kerpein wird unser befreiter Don Juan d'Aguilar vom zwei-
ten Acte dem dritten überliefert.
Eine neue Folterschraube setzt Don Fernando's Dankbar-
keit gegen Don Juan dessen Situationsklemme durch die gast-
freundschaftliche Aufforderung an, Don Juan möchte in seinem
Hause so viele Tage verweilen, als er für ihn im Gefängniss zu-
gebracht. Don Juan werde da zugleich seine, Fernando's, Schwe-
ster kennen lernen, die nicht minder begierig als er, der Bruder,
ist, dem grossmüthigen Hafterdulder in Stellvertretung ihre Dank-
barkeit zu bezeigen, i) Wie sinnreich versteht so ein spanisches
Dichtergehirn, zumal eines Lope, mit dem Doppelpfunde seiner
dualistischen Situationsanschauungen und zwiespaltigen Seelen-
stimmungen und Lagen zu wuchern! Don Luis, entzückt über
seines Freundes und Schützlings Don Juan's Aufnahme in Don
Fernando's Haus, erwartet von ihm eine warme Fürsprache bei
Leonarda zugunsten seiner Bewerbung 2), und getröstet sich der
freudevollen Hoffnung, durch Don Juan's Vermittelung Leonarda
täglich sehen zu können. DonJuan's dankerfülltes Gemüth —
dankerfüllt für die Befreiung aus unverschuldet gebüsster Haft —
sagt dem Befreier seine eifrigste Mitwirkung zu 3), und dass er,
als Befreiter, der Gefangene seines Befreiers bliebe nach wie
vor 0 — und hält unverbrüchlich Wort? — Mehr als das! Er
1) Conecereis una hermana
Que tengo, que quiere veros
Y la parte agredeceros
De esta prision.
2) Donde estä Leonarda, estäs:
Häbla la de parte rnia.
3) En mi tendräs una guarda
De obligacion y de fe.
4) Tu preso como antes soy.
246 I^^s spanische Drama.
räumt dem Wohlthäter, dem die Wohlthat nichts als ein Ver-
wendungswort gekostet, das Feld — entschlossen mit seinem von
Liebe flammenden Herzen Toledo den Rücken zu kehren, worüber
Limon, dem er seine Seelenklemme als Grund der Abreise an-
giebt, die herbsten von dieser Klemme ihm ausgepressten Citro-
nenthränen tröpfelt, im Hinblick auf Ines, seine Leonarda.
Zum vollständigen Parallel-Dualismus fehlt nur, dass Leonarda,
zugunsten einer Freundin, die Vermittlungsrolle bei Don Juan
übernehme, die ihm Don Luis bei Leonarda, als seinen Frei-
werber aus Dankbarkeit, übertragen. Richtig! die Freundin hat
sich gefunden, in der Wittwe Lisena, um die sich Leonarda's
Bruder, Don Fernando, bewirbt, die sich in Don Juan*s Taille
und Tournure verliebt, die ihre Freundin Leonarda bestürmt, sie
mit Don Juan's schönem Wuchs zu verheirathen, und die auch
nur, behufs Vervollständigung ^des spanischen Parallel-Schema's,
von Lope erfunden worden. Da steht nun, Scene 8. Acto HL»
der doppelgestaltige, dualistische Situations-Parallelismus leibhaft
vor uns, und sich selber gegenüber, in dem Liebespaar Don
Juan und Dona Leonarda: Er, als Fürsprecher und Frei-
werber „für einen Mann"; sie, als Freiwerberin „für eine Frau".
Er: Don Luis trug mir auf, Dir sein Liebesleid zu melden. Sie:
Und mir, Lisena, Dir zu sagen, dass sie Dich anbetet, i) Bei der
Gelegenheit erzählt Don Juan der Leonarda die Veranlassung zu
seiner Keise von Sevilla nach Toledo, woraus wir erfahren, dass
der von Don Luis im Zweikampf getödtete Don Pedro, Don
Juan's Schwester verführt hatte, und dass Don Luis nur ihm,
Don Juan, in der Züchtigung zuvorgekommen. Er wiederhole
daher die flehentliche Bitte, Leonarda möchte ihre Liebesgunst sei-
nem Freunde und Wohlthäter, D o n L u i s , zuwenden. Leonarda
aber ist, trotz Parallelismus und spanischem Schema, und trotz
ihrer anfänglichen Verwendung zu dessen GunstoD, so wenig ge-
sonnen, auf Don Juan's aus Dankbarkeitsverpflichtung liebeketze-
rischen, herzenswidrigen und psychologisch unhaltbaren Vorschlag
1) Don Juan. Vengo a hablarte por un hombre.
Leonarda. Yo a ti por una mujer.
Don Juan. Don Luis me ha dicho, senora,
Que yo te diga su pena.
Falsche Triebfeder mit bestem Wissen, 247
einzugehen, dass sie Feuer und Flammen speit, die schlagendsten
Gründe dem liebesabtrünnigen Entsager aus angeblicher Freund-
schaftsverpflichtung in's Gesicht schleudernd — so schlagend,
dass die Gründe gleichzeitig der ganzen Erfindung der Komödie
und ihrem Hauptmotiv in's Gesicht schlagen. „Von Verpflichtun-
gen gegen einen Freund sprichst Du und vergissest meine Dir
erwiesenen Wohlthaten. Don Luis, was hat er gross für Dich
gethan? Es kostete ihm blos ein Wort bei seinem Vater, dem
Herzog, um Dich aus der Haft zu befreien. „Dergleichen Freund-
schaftsdienste kommen alle Tage vor" ^) u. s. w. Bei so richti-
gem Urtheil über die Haltlosigkeit des Verpflichtungsmotivs im
Conflict mit Liebesleidenschaft, und gleichwohl auf dieses unhalt-
bare untergeschobene Motiv die Intrigue, die ganze Comedia
bauen — ist das nicht auch wieder ein im Geiste des Dichters
halb bewusst halb unbewusst sin saber Quien arbeitender Compo-
sitions-Dualismus : Don Juan beharrt bei der Abreisse und reisst
sich von der Geliebten los mit thränenvoUen Augen. 2) Dank
dem wackern doppelgestaltigen Minirer in des Dichters spanischer
Brust, dank dem parallelen, sich selbst gegenseitig in die Luft
sprengenden, Minen bohrenden Komödiengenie, explodirt Leonar-
da's Liebes-Flattermine vor Don Luis mit gleicher Heftigkeit,
mit welcher Don Juan sein Dankbarkeitspulver verpufft hat.
Leonarda erklärt ihm rundweg, sie liebe einzig Don Juan und
könne nur Don Juan lieben, und werde ihn bis in den Tod treu
und unwandelbar lieben. Don Luis steht verblüfft da und be-
greift mit uns nicht, warum Don Juan nach Madrid zurückge-
reist ist, ohne ihm, seinem treuen Freunde und Gönner, auch nur
ein Wort von diesem Liebesverhältniss, „ohne zu wissen Wen",
anzudeuten. Er, Don Luis, würde sonst der Abreise sich wider-
1) Las obligaciones
De pagar te precias;
No pagues las mias
Paga las ajenas.
Don Luis por el Duque
Te ha sacado della,
Hablando ä su padre
Que no es cosa nueva .
2) Limon. Llorando va.
248 Das spanische Drama.
setzt haben *) — und spornstreichs dem unaufhaltsamen Liebes-
flüchtling, als Dankbarkeitsflüchtling, nachsetzen, ihn einholen,
ihm die Hölle heiss machen, wegen des Freundschafts\erraths
ausDankbarkeits- und Verschwiegenheitsmarotte, aus unpsychologi-
scher Entsagungsschrulle und unerschütterlicher Anhänglichkeit
an den eigentlichen Busenfreund, an das Parallelschema, — den
trotzalldem auf seinen Liebeflüchtlingsfüssen bestehenden Don
Juan, den Antipoden zu Mozart's Don Juan, wenn nicht
gutwillig als seinen „Gefangenen" 2) nach Toledo zurück, und ihn
mit Teufelsgewalt ^) der Leonarda als Gatten zuführen, dass
kein Mensch weiss, wie, warum und wieso? — das Alles kostet
dem dritten Act nicht mehr als die letzten drei Scenen. Wobei
wir noch als Zugabe die schliesslicbe Katechisation Don Juan 's
durch Don Luis erhalten, der dem aus Dankbarkeit Davonge-
laufenen dreifacher Undankbarkeit, gegen Don Fernando, ge-
gen Leonarda und gegen ihn, Don Luis, seinen Freund und
Wohlthäter, beschuldigt; die zwei ehelichen Doppelbande unge-
rechnet, die Don Fernando, nachdem auch er seinen pflicht-
schuldigen, zwischen gekränkter Ehre, mitbezug auf die Schwester,
und zwischen Liebesgefühlen für Lisena antagonisirenden Dualis-
mus ^) erledigt hat , mit der auf Don Juan*s Wuchs und Taille
versessenen Wittwe Lisena, und das parallele Eheband un-
gerechnet, das Citrone mit der ßomancero- Leserin Ines
knüpft, '0 —
1)
Si me hablara Don Juan en su partida,
Yo le excnsära el justo atrevimiento.
2)
Venid preso.
3)
lAqui me traes, Seiior?
4)
Mal me va de honor y amor.
5) Los Donaires*) de Matico
(Die Fahrten des Matico).
Matico ist des Hirten Sancho Geliebte, die, als Hirt verkleidet,
Sancho am Hofe anfsuciit. Was macht Saul unter den Propheten, und
Sancho am Hofe? Nahezu, was Saul unter den Propheten macht: er holt
sich eine Krone. Hirt Sancho soll nämlich Schwiegersohn des regierenden
Grafen von Barcelona werden, der ihm die Hand seiner Prinzessin
*) Donaire bedeutet „witziger Einfall", launiger Streich.
Lope's 'Doiiaires de Matico'. 249
Tochter, Rosamunda, zugesagt, als Lohn für die von Sancho bewirkte
Rettung des Grafen von einem Schlangenthiere , das den Grafen auf der
Jagd angefallen hatte, und dessen beide Begleiter, die Hofherren Ra-
ni iro und Riquelmo, in die Flucht gejagt. Bei Sancho 's Vorstellung
durch den Grafen, als Drachentödter, will sich Prinzesschen Rosamunda
die zarte fürstliche Haut voll lachen, bittet mit' ihrem Rosenmündchen
den Himmel, er möchte sie von diesem Drachentödter befreien, wie er
ihren Vater vom Drachen, und läuft kichernd davon.*) So munter be-
gegnet Matico (Juana) ihrem zu einem Hofcavalier adonisirten Sancho
nicht. Sie ereifert sich vielmehr selber zu einem kleinen Eifers achts-
drachen, und geht dem Schlangenwürger so hart zu Leibe, dass dieser sich
vor Angst im gräflichen Thronsaal zu häuten Anstalt macht, d. h. sich
seine Hofkleider vom Leibe zu reissen, um mit seiner Juana (Matico) im
Costüm des ersten Landmanns, Adam, — nach dem Sündenfall, versteht
sich, — in Hirtenfellen mit seiner Eva, Matico, aus dem Hofparadiese,
in die Wildniss zurückzukehren. Bei diesem Garderobenwechsel betriift den
Sancho der präsumtive Schwiegervater, Graf von Barcelona, lässt
ihm vom Waffenmeister, der den Hirt zum Hofmann und Caballero drillen
soll, eine Rüstung als Zwangsjacke bringen, die ihn am Hofe festhält.
Der zweite Act bringt noch ganz andere Häutungen und Garderoben-
wechsel zuwege, wobei nämlich Sancho den Bauer Adam ganz und gar
auszieht und desgleichen Matico-Juana die Bäuerin. Ein an den Hof
von Barcelona zufällig gelangter limosinischer Ritter, Belardo, erkennt
nämlich stehenden Fusses in Sancho Rüge ro, Sohn des Königs von
Navarra, wo gerade der wieder als Ziegenhirt kostümirte Sancho der
Prinzessin Rosamunda Liebesneigung gewonnen, — und erkennt in Ei-
nem Aufräumen in dem oder in der, ob dieser Neigung vor Eifersucht
eben aus seiner oder ihrer Hirtenhaut fahrenden Matico-Juana die Toch-
ter des Königs von Leon, mit welcher Sancho, Kronprinz von Navarra,
davongelaufen, und nicht weniger als sechs Jahre in der Wildniss ver-
lebt hat, und zwar wie Adam und Eva vor dem Sündenfall.**) Nun
fährt das Davonlaufen der Infantin von Leon (Juana) erst recht in die
Beine, mit denen die Eifersucht auf die Prinzessin von Barcelona ohne
Weiteres durchgeht; fährt Hals über Kopf in eine Dienerhaut, in
Aber
Pues te libro de un dragon
A mi me libre (el cielo) de aqueste.
(Entrase riendo.)
Que mi Rugero perdida
Gasto seys anos de vida —
— prendas de la honra
No le consenti tocar —
schwört Juana Stein und Bein.
250 I)as spanische Drama.
Die Belagerung von Santa Fe.
El Cerco de Santa Fe, bedeutet nicht, wie man meinen
könnte, die Einsehliessung von Santa Fe, sondern die Bin-
schliessung oder Belagerung von Granada durch die mauer-
feste Lagerstadt Santa Fe, welche das katholische Königspaar,
Fernando und Isabel, auf der Brandstätte des früheren in-
folge einer Feuersbrunst i) eingeäscherten Wachtlagers von Lein-
wand und Holz, aus Werkstücken hatte erbauen lassen, der mau-
rischen Bevölkerung des belagerten Granada als schreckendes
welcher sie bei dem limosinischen Eitter, Belardo in Dienst tritt. In
diesem abwechsehiden Ausder- und Indiehautfahren bestehen eben Matico's
Donaires, Matico's „Fahrten'*.
Inzwischen geht der dritte Act in's Land und zwar mit dem Kron-
prinzen von Navarra, Sancho-Euger, bei welcher Gelegenheit dieser eine
von ihm aus Barcelona verjagte Truppe Aufrührer gleich mitnimmt, und
eilen, die Beine in der Luft, der Infantin von Leon, dermalen Matico,
Eeisediener des limosinischen Eitters Belardo, den die Infantin in Livree
aus Papieren, die sie in seinem heimlich durchsuchten Eeisesack gefun-
den, als ihren vormaligen Anbeter, Grafen Belardo, erkennt, die Ent-
deckung zu machen; dem Grafen Belardo, der vor dem Kronprinzen und
Ziegenhirt Euger-Sancho als früherer Courmacher Vorhand hat, ihre
Hand anbieten, dieser die Hand mit Entzücken ergreifen, der ventre-ä-terre
herbeieilende Kronprinz-Ziegenhirt das Nachsehen haben, seine sechsjahre-
lange Nase gemüthlich einstecken*), und diese der Prinzessin von Bar-
celona als Brautschatz überreichen, und schliesslich Conde Belardo von
Conde de Barcelona als dessen von Seeräubern in zarter Kindheit ge-
raubter Sohn erkannt werden — nicht weniger bringt der dritte Act in nicht
mehr Scenen fertig, als zwischen seinem ersten und letzten Falle liegen,
nämlich 21, und mittelst nicht mehr als eben so vieler Garderobenwechsel
und EoUenverwandlungen. Diese in die überwucherndsten, nicht gehauen
und gestochenen Novellen -Abenteuerlichkeiten verwilderte Comedia des
Lope preisen M. Enke's Studien bis über die Puppen. Ein dreimaliger Tusch
aus der Puppenbude-Trompete, gebracht dem von der poetischen Schönheit,
dem zaubervollen Eeiz, kurz von den donaires der als Hirt, Lakai, Mantel-
sackdieb ihren Liebhabern ab- und zulaufenden, und diese wie ihre EoUen
wechselnden Infantin von Leon bis in den vierten spanischen Himmel ver-
zückten Lope-Studirer!
1) Am 9. Juli 1491 durch Unvorsichtigkeit ausgebrochen.
*) Pues le quiere, no me pesa.
Lope's nationalhistorisches Schauspiel *E1 Cerco de Santa Fe*. 251
Wahrzeichen unerschütterlichen Vorsatzes, den Steinwällen von
Granada steinerne Belagerungsmauern, eine eben so felsige Ein-
schliessungsveste entgegenzustellen, von welcher aus der Fall und
die Einnahme Granada's, der letzten Hochwart und Brustwehr der
Araberherrschaft in Spanien, bewerkstelligt werden sollte. Die unbe-
zvnnglichste Angriffs- und Eroberungsstärke beeiferte sich das
katholische Königspaar, seiner Belagerungsveste durch den Namen
'Santa Fe' („heiliger Glaube") zu verleihen: einen niederwer-
fenden, zu Boden streckenden Erzengel-Michaelschild gleichsam
dem ungläubigen Granada entgegenzuhalten, für das katholische
Belagerungsheer das unverletzlichste Sturmdach, die gefeiteste
Schutzwehr. ^) Dieser gegenseitige Herausforderungstrotz von be-
lagerten und belagernden Festungswerken, von Abwehr - und An-
griflfsverschanzungen, die sich immerdar gleichsam die Zähne wei-
sen, geht durch Lope's Kriegslagerstück, 'El Cerco de Santa
Fe', als dramatisches Motiv in mannigfaltigen, vereinzelten Si-
tuationsbildern durch keine Haupthandlung und keinerlei aus
einem Grundplan entspringende Verwickelung verknüpft. Die
drei Acte überbieten sich an obsidionalen Schimpf- und Hohn-
neckespielen zwischen den blokirten und den blokirenden, den
maurischen Vertheidigungs - und den christlichen Eroberungsrit-
tern. Lope's scheinbar historisches 'Cerco'-Drama besteht aus
einer Reihenfolge von üeberrumplungswettspielen ; ist ein kriegs-
lustiges Paroli-Drama, wobei die Scenen, wie die Wurfstäbe im
Cannas-Spiele, einem von spanischen und maurischen Eittern öfter
im Verein, und in diesem Stücke von den Mauren, den Christen-
rittern zum Hohn, unter sich abgehaltenen Wettkampfe, zer-
splittern und in die Brüche gehen. Bricht doch selbst der
zweite, auf das eigentliche Motiv des Stückes zielende Titel: „Y
hazanas de Garcilaso de la Vega" („und Thaten des Gar-
cilaso de la Vega") in Stücke kurz und klein.
Gleich Lope's meisten anderen, auf geschichtliche Thatsachen
1) Die Stadt Santa Fe wurde 1807 durch Erdstösse zertrümmert, die
als spätvergeltende Rachegeister den treulos grausamen Bruch des mit
der maurischen Bevölkerung, nach Eroberung von Granada, vom katholi-
schen Königspaar abgeschlossenen Friedensvertrages an dem Steinbau der
St. Petri-Glaubensfelsenstadt heimzahlten.
252 I^^s spanische Drama.
sich stützenden Dramen, bildet auch dieses nur eine Verkettung
von scenirten, jene Ereignisse volkssagenhaft überliefernden Ro-
manzen. Im Eomanzenton leiten auch sofort drei jugendliche
Ritter des Belagerungsheers, die vor Granada ihre Heldensporen
zu verdienen wetteifern, Conde de Cabra, der Gran Capi-
tan^) und Martin Boorques, unsere 'Comedia famosa', Jeder
mit einer die „heilige Stadt" (Santa Fe) feiernden Octave, ein,
deren Schlussvers als Kehrreim wiederklingt. '^) Die der heiligen
Lagerstadt geltende Hymne geht in die Verherrlichung der Grün-
derin derselben, der Königin Isabel, über, die mit ihren Damen
und zwei anderen jungen Eroberungsrittern, Hernando del
Pulgar und dem eigentlichen Helden des Stückes, dem jüngsten
der Mohrenkämpfer, Garcilaso de la Vega, die Bühne betritt.
Vorläufig erschöpft sich Garcilaso's Jungritterthum in galanten
Floskeln, womit er um die Huld der Damen wirbt. Königin
Isabel macht die Runde im Lager, als gekrönte Marketenderin,
den ihr begegnenden Soldaten holde Worte kredenzend und
noch holdere Geschenke. Einer dieser Krieger, der bei Luja,
Cordova und Baeza tapfer gefochten und, gering gerechnet, tau-
send Wunden davontrugt), ist der Erste, der sein Belagmngs-
abenteuer gegen die Granadischen Mohren zu bestehen vor der
Königin sich erbietet, der er, als Entgelt für den empfangenen
Ring, zehn Mohrenköpfe zu Füssen zu legen sich vermisst. *)
Unmittelbar darauf liefert der tapferste Granada- Vertheidiger, der
Mohrenheld Tarife, das Seitenstück zu der Verwegenheit von
Königin IsabeFs Soldaten, mit den tausend Wunden, sich ange-
sichts seiner Geliebten, der schönen Mohrin Alifa, des Wag-
1) Ein verfrühter, von Gonzalo de Cordova, erst später, wie uns schon
bekannt, in dem italienischen Feldzug erworbener Ruhmestitel.
2) aunque le pese al tiempo, immortal vivas.
Der Zeit zum Trotz wirst du unsterblich leben.
Wofern nämlich die obberegten Erdstösse von 1807 keinen Querstrich
durch die Unsterblichkeit machen, was freilich das Octaven-Terzet der drei
jugendlichen Belagrungsritter nicht wittern konnte.
3) y mil heridas me han dado.
4) -— espero
pagartelo en diez cabezas
de Moros,
Ein Goliat-Portugiese. 253
nisses erkühnend, ihr die drei Köpfe des Conde de Cabrai
Gonzalo de Cordoba und des Grossmeisters, Martin Fer-
nandez Boorques, zu bringen, die ihre herausforderungs-
trotzigen Lanzen über die Stadtmauer von Granada mit solcher
Wucht geschleudert, dass sie über die Häuser hinweg in Bibar-
rambla niederfielen. \) Statt der drei Köpfe bringt aber Held
Tarife nur den seinigen zurück. Und wenn er blos mit blutigem
statt ruhmgekröntem, und nicht sonst gekröntem Kopfe wieder-
kehrt, so hat sich der Mohrenheld dafür bei seinem Freunde,
Celimo, zu bedanken, der als Tarife's treuer Waffenbruder die
Liebesanträge der schönen Alifa verschmäht und zurückweist. 2)
Während Tarife auf die Jagd der drei Christenköpfe aus-
zieht, hat ein Portugiese aus Fernando-Isabers Lager mit sei-
nem Dolche ein Zweikampfsaufgebot an die Thore von Granada
befestigt, abziehend, mit doppeltem Trotzgefühl: gegen die Mau-
renfeste Granada und gegen Castiliens kriegerischen Stolz, dem
er, der Portugiese, Rasco Zigueyra, eben zeigte, was Hel-
denthat heisse. „Hoch, hoch lebe, Portugal 1*' ^)
und gleich hinter ihm her ein dritter Mohrennecker, Martin
Fern. Boorques, mit seinem Ausfordrungszettel, den er mit sei-
nem Dolche an's Thor von Granada heftet, und gleichfalls mit Dop-
1) AI fin, tanto arremetieron
Que tres lanzas que tiraron,
Casas, y muros passaron
Y en Bibarrambla cayeron.
2) Cel. porque no es jiisto querer
que quiera tan animoso,
el Moro mas valeroso,
la mas in grata muger.
Alifa. Que no me has de querer ?^
Cel. No
Alifa. Y que me aborreces?
Cel. Si.
3) Agora verä 0 Real,
Si esta es fazana, 0 novela;
Inda que pese a Castela
Vietor, vietor Portugal.
254 I^as spanische Drama.
peltrotz : den Mauren und den Portugiesen zum Trotz : und beide
Anschlagszettel, diesen doppeltrotzigen Schimpf i) muss nun Tarife
auf sein bluttriefendes Haupt nehmen, anstatt die drei Castili-
schen Ritterköpfe, verheissnermaassen, seinem Liebchen zu Füssen
zu legen, das ihm nun das höhnende Füsschen, voll Verach-
tung ob seines vereitelten Bramarbas-Auszugs nach drei Köpfen,
auf den blutigen, und, zu ihrem Verdrusse, schmucklosen Döz
setzt.
Jetzt hat die zweite Jornada mit ihren Trotz- und
Protzbravaden die Hände voll zu thun. Jetzt macht sich Conde
de Cabra, gegen Königin Isabel, dafür, dass Mohr Tarife
seinem Treuliebchen, der schönen Mohrin Alifa, unter den drei
Köpfen auch den seinigen zugesagt, anheischig, die Alifa auf-
zufangen und sie der Königin als Sklavin zuzuführen. 2) Heida!
unser Zehnmohrenköpfeabschneider, da ist er schon! jener von der
Königin mit einem Ring beschenkte Soldat, und bringt zehn? —
das nun nicht, aber Einen Kopf, den er von 9 abgeschnittenen,
als den schönsten, ausgesucht zu haben versichert, für den noch
fehlenden zehnten Kopf den seinigen der Königin anbietend. ^)
Diesem aber bestimmt Isabel den Lorbeer, und dessen Träger,
den 'Hurtado' sich nennenden Soldaten, erhebt sie zum Ahnherrn
der Hurtado's, einer berühmten castilischen Familie. Während
dessen hat Conde de Cabra sein Ritterwort gelöst und führt
die beim Wasserschöpfen aus der Schaar ihrer Gespielinnen her-
ausgerissene Mohrin Alifa der Königin zu. Inzwischen hat auch
der junge Garcilaso de Vega der Königin Isabel den Mund
nach den Feigen wässrig gemacht, die auf einem dicht an der
1) Rotulos de desafis
Y de arrogancias christianas.
2) Pues por SU arrogancia brava
Yo OS prometo ä vos, Senora,
la misma Mora que adora
para que os sirva de esclava.
3) aqui traygo la una dellas:'
nueve corte, mas entre ellas
esta que ves escogi;
por aquella que faltö
aqui te ofrezco la mia.
Fernando der Katholische. 255
Stadtmauer stehenden Baume wachsen und einer vornehmen
Mohrin aus Granada gehören. „Wer doch von diesen Feigen
hätte!" 1) lüstelt die Königin. Martin de Boorques, das
hören, und spornstreichs nach dem Feigenbaum, und mitten aus
dem Haufen von maurischen Feigenlesern und Leserinnen den
Korb voll frischgepflückter Feigen erhaschen und der Königin zu-
tragen — das Alles bricht Martin de Boorques im Umsehn
vom Zaun. Und gleich hinterdrein Hernando de Pulgar mit
einem Pergamentblatte, worauf das Ave Maria geschrieben steht,
gespiesst an seines Dolches Spitze, die er in Granadas Stadtthor
sticht und stecken lässt, der Mohrin-Canaille zum Aerger und
Possen 2), und als Eevanche für die Vermessenheit, womit der
Mohr Tarife ein von Alifa erhaltenes und an seine Lanze ge-
knüpftes Band gegen das Zelt der Königin geschleudert hatte,
so dass Lanze und Band in der Zeltwand haften geblieben. Nun
schaut Tarife das am Stadtthor steckende Blatt mit dem Ave
Maria. Was thut die Canaille? Er befestigt das Ave-Maria-
Blatt an seines Bosses Schweif und schleift es, mit einem Sprung
in die dritte Jornada und in's christliche Lager hineinspren-
gend, wie Achilles den Hektor um die Mauern von Troja, über
Stock und Stein!
Die spanische Dens ex machina- Attrappe , sie klappt auch
hier im entscheidenden Momente auseinander, und heraus tritt
das spanische Komödienschicksal in Person, der Katastrophengott,
der König! König Fernando der Katholische kommt von
Baza, eigens behufs Knotenlösung, dahergeschritten, begrüsst
seine Zwillingsherrscherin aufs ritterlichste mit schwunghafter
Troubadourhuldigung, den Tag glücklich preisend, wo eine himm-
lische Seele aus dem Empyreum niederstieg, um sich in einen
so schönen Leib zu kleiden ^) ; nimmt das Erwidrungscompliment
1) Ha, quien tuviera dellos!
2) ya la canalla canina
para ver la novedad.
3) Dichoso el dia, que en humane cielo,
Donde aquel gran principio, y fin gloriose
un alma tan igual baxo del cielo
para vestirse en cuerpo tan hermoso.
256 ^^s spanische Drama.
der Königin, die, als Mond der Sonne Spaniens, sich mit deren
Abglanz begnügt^), huldvollzärtlichst entgegen, und empfängt
aus Garcilaso de la Vega's Munde den Bericht über alle
die erstaunlichen, während des Königs Abwesenheit vorgefallenen
Trotz- und Protzabenteuer von dem Mohren Tarife, dem Ver-
fechter der belagerten Felsenfeste, Granada, einerseits, und von
den jungen Recken der steinernen Lagerstadt, Santa Fe, gegen-
seits bestanden. Noch weiss Garcilaso, der Benjamin unter
den Belagerungsrittern, noch weiss er nichts von dem an Tarife's
Kossschweif befestigten, und im Staub und Strassenkoth daher-
geschleiften Ave-Maria-Zettel, und freut sich blos mit König und
Königin an der schönen, von Conde de Cabra geraubten und
zugeführten Mohrin Alifa, und an dem Korbe voll frischer, von
Martin Fernandez Boorques den maurischen Feigenle-
serinnen abgejagter, und der danach schmachtenden, mit Evabe-
gier danach lechzenden Königin überbrachter Feigen. Von der
Höhe dieses Gipfelpunktes glorreichster, im ilbfangen einer schö-
nen Mohrin und Erwischen eines Korbes frischer Feigen be-
stehender Lagerheldenthaten, muss nun das Königspaar, müssen
die kühnen verwegenen Vollbringer solcher Wagestücke die fre-
velvollsten Gräuel erschauen: den Ave-Maria-Zettel von des schnö-
den Mohren Tarife Rossschweif dahingefegt über das Blachfeld,
die zwischen Santa Fe und Granada sich hinstreckende Ebene,
die Vega, den Schauplatz all dieser Grossthaten! Ha, der ruhm-
vollen, unsterblichen Belagerungskämpfe! Ha, der heldenritter-
lichen Trotz- und Protzkriegsspiele! Ha, des würdigen Problems
eines Nationalkriegsdrama's ! Ha, der unbewussten Parodie von
Troja's Belagerung, der vor Troja gelieferten Schlachten und ausge-
fochtenen Zweikämpfe, und insonders jenes furchtbaren Zwei-
kampfes zwischen Achilles und Hektor, der mit der Schleifung
des trojanischen Helden, als Katastrophe, endete, wie die in Lo-
pe's patriotischem Lagernationalstück mit einem Rossschweif und
dem daran befestigten Zettel, als Strassenbesen, abschliesst. Ha,
des Kehrbildes zur Achilles-Hektor-Ümfahrt! Doch der letzte,
das Kehrbild zum ebenbürtigen Pendant der Hektor-Katastrophe
1) Eeyna. Sol de Espana, quien desse sol es luna,
razon fuera que diera luz alguna . . .
La Vega. 257
verherrlichende Pinselstrich! Der spanisch-katholische Jüngling-
Achill, der David-Achill, Gaifcilaso, der, nach einem an die
heilige Jungfrau gerichteten frommerglühten Monologgebete, den
Zweikampf mit dem schnöden Mohren und seinem ßossschweif
sammt daran hängendem als Schrubber handtirendem Strassen-
fegerzettel, rühm- und siegreich besteht! Und, noch einen
schliesslichen Trotz -Trumpf ausspielend, besteht! Des Königs
entschiedenem, durch Garcilaso's knabenhafte Jugendlichkeit i) mo--
tivirtem Verbote zum Trotz, besteht! Wie? und eine solche Ka-
tastrophe wäre nicht bewältigender, nicht glorreicher für Spanien,
als jene Troja-Katastrophe für Griechenland? 0 des lästerlichen
Vergleichs, den die personificirte , in den Auskehrschluss unseres
Santa Fe-Drama's so erhaben hereinschreitende Espaiia mit
Verachtung zurückweist, die That des jugendlichen Garcilaso
den Thaten des Bernardo del Carpio, des Cid, des Pelayo,
ja den Thaten des grossen Felipe IL an die Seite setzend, den
der allegorischen Göttin, Espana, ihre mit dieser zugleich auf-
tretende Freundin, Fama, prophezeit.^) Nun empfängt König
Fernando, der Katholische, als dessen Schwester sich eben die
personificirte Espana angekündigt hat^), den knabenhaften Käm-
pen, Garcilaso, der mit dem abgeschlagenen Haupte des
Goliath-Mohren, Tarfe, heranzieht, als neuen, tapfern David ^),
und fügt ihm in's Familienwappen den Namen der Jungfrau
Maria, auf dass solche That die ganze Welt erschrecke ^) ; und
1) Eey. Garcilaso sois muy mozo
para empresa semejante .
Garcil.
Que tambien David fue nino
y matar pudo al Gigante.
2) Espero un Carlos quinto, un gran Felipe
para quien guardo ä Apeles, y a Lisipo.
'Y a Lope de Vega' müsste sie hinzufügen, den Stanimnamensvetter von
Garcilaso de Vega, und der Apelles' Pinsel, und des Lysippus Meissel in
diesem aere perennius-Drama vereinigt.
3) Yo soy hermana de Fernando Quinto.
4) David valeroso nuevo
5) Doyle por armas el nombre
de Maria, porque assombre
a todo el mundo esta bazaiia.
X. 17
258 I^as spanische Drama.
ertheilt ihm, weil er auf der Vega dem verruchten Mohren den
Hals abgeschnitten, den die rühm würdigste Waffenthat verewi-
genden Namen Garcilaso de la Vega, und vermählt ihm auch
gJeich eine Fortpflanzerin und Stammmatter des neuerworbenen
Komödiennamens in der Person der Hofdame Dona Ana, die
des jurjgen Mohrensiegers Erstlingshuldigungen schon in der
ersten Scene des Stückes entgegennahm, und auch für den Hel-
denjüngling in Liebe glüht, und der er, der König, vier Land-
güter als Aussteuer mitgiebt. 0 Zu allerguterletzt werden noch
die schöne Mohrin Alifa und ihr miteingefangener Geliebter,
Celimo, Beide nun zum Christenthum bekehrt, ein freies, spa-
nisch-katholisches Ehepaar. ^)
Los Melindres de Beiisa
(Die Launen der Beiisa.)
Das Wort „melindre" schillert so vieldeutig, dass nicht
leicht eine andere europäische Sprache ein Aequivalent dafür be-
sitzen möchte. „Laune", „Caprice", „Schrulle", erschöpft den Sinn
lange nicht. „Zierlaunisch" würde am nächsten daran streifen;
doch spielt auch die Schattirung einer eklen, wählerischen Zier-
liese, den Männern gegenüber, noch in das Wort „melindrosa"
hinein. Die Launen von Lope's Beiisa kränkeln vorzugsweise
an dieser männerwählerischen Ziererei. Die ersten Scenen be-
wegen sich fast ausschliesslich um Belisa's fastidiöse Blasirtheit
bezüglich der Wahl eines Ehegatten. Ihre Mutter, Lisarda,
eine reiche, einjährige Wittwe, wirft ihrem Bruder, Tiberio,
1) Rey. Y pues al Morillo infame
en la Vega el cuello siega,
y el rotulo (den Ave-Maria-Zettel) nos eiitrega,
de oy mas quiero que se Uame
Garcilaso de la Vega,
Sea tu esposa Dona Ana,
pues ya su afficion es Uana,
y quatro villas le doy.
2) Oy de Alifa y Celimo,
quo Christianos han de ser
El bautismo se ha de haccr.
Lope's Com. Los Melindres de Beiisa. 259
Belisa's Oheim, auf dessen Vorschlag, Beiisa zu verheiratheil,
gleich in der ersten Scene, ein: Wo einen Mann finden, der
ihren EinbiMungen und Ansprüchen genügte?^) „Hat de^ Him-
mel ein so ekelthuerisches rümpMsiges Ding geschaffen? Einen
Mann geschaffen, der ihr recht wäre?" 2) Diesen Zügen von
Ekelleidigkeit fügt Beiisa selbst freih'ch noch anderweitige in
der nächsten Scene mit ihrem Kammermädchen Flora hinzu,
die sich auf die verschiedenartigsten Gegenstände erstrecken. Durch
eine Spalte ihrer geschlossenen Fensterschalter s^eht s^'e CTcn
Oelverkäufer vorübergehen, dessen Anblick ihr einen Oelfleck
in's Kleid geschmutzt. 3) Ein grüner Sitzpolster erregt ihr
Magenschmerzen. 4) Flora rollt ihr eine Musterrolle von Freiern
auf, an denen Belisa's Zierekelei noch ganz anders mäkelt
und nörgelt, als Shakspeare's Torcia' an ihren von der Kam-
merzofe als Männer-Musterreiterin zur Auswahl angebotenen Ehe-
candidaten. Die zwei Scenen der beiden grossen Bühnepdichter
ähneln übrigens einander in demselben Verhältniss, als Porcia's
Charakter von Belisa's grundwesentlich verschieden ist. Porcia:
wählerisch aus munterer, herzensgesunder, lebens- und ]iebefroher
Seelenstimmung; Beiisa: maasleidig, vor lauter blasirter, üppig-
spanischer, müssiggängerischer, grillenhafter Mädchenlaune. Die
fürstlich begüterte 'Porcia' schöpft aus ihrem üeberfluss lebens-
freudige Liebesfülle; Beiisa von ihren lumpigen 50,000 Dvcaten
zu hoffenden Vermögens die Verdrossenheit eines miselsüchtigen
Zier-Affen.
1) — ^donde hallar
ün hombre tan gentil hombre
Y con partes tan notables
Oomo imaginadas tiene?
2) Pues ^ha hecho el cie^ cosa
Mas causada y melindrosa
Ni hombre quo apetezca y quiera?
3) Que le (al aceitero) roire, y me mancho
El vestido.
4) No la (almobada) traigas de verduras;
Que ayer de scntarine en ella
Mal de estomago me dio.
17*
260 Das spanische Drama.
Die aus Liebstöckel geflochtene Strafruthe steckt aber sclion
hinter dem Spiegel, vor welchem Beiisa ihr Ziermäulchen
einstudirt. Sie verliebt sich Sterbens in einen Haussklaven,
für den sie den als solchen bei ihrer Mutter von deren zahlungs-
unfähigem Schuldner, Elise, verpfändeten Felisardo hält.
Felisardo, verfolgt wegen der stereotypen Erbschuld des spani-
schen Drama's, wegen Duellmordes, hatte sich mit seiner Ge-
liebten, Celia, in Eliso's, seines Freundes, Haus geflüchtet,
welcher das schnell in Haussklaventracht verkleidete Elüchtlings-
paar dem Alguazil, als Pfandobject für Lisarda, ausgelie-
fert, die mit Freuden das schmucke Sklavenpärchen nicht blos
als Schuldpfand annimmt, die es noch begieriger als ihr Eigen-
thum von Elise käuflich erwirbt. Mit der Zeitsitte in Lope's Ta-
gen ist dieses Komödienmotiv abgewelkt und so verwest, dass
der Modergeruch durch die noch lustspielfrischen Blüthen und
Blumen einiger Situationen und Figuren hervordringt und eine
von Lope's glänzendsten Komödienschöpfungen auch solchen ver-
leidet, die nicht mit Belisa's melindrosem Zippnäschen behaftet
sind, sondern im Gegentheil eines gesunden Eiechorgans sich
erfreuen. Die Verwickelung schürzt sich aus der sich kreuzen-
den Doppelliebesintrigue ; einerseits DonJuan's, des Bruders
von Beiisa, eines auf Eechnung seiner noch zu erbenden
50,000 Ducaten entschiedenen jungen Wüstlings, Liebesgelüst nach
der vermeinten Sklavin Celia; ihm parallel seiner Schwester,
Beiisa, bis zu epileptischen Zufällen sich steigernde Leidenschaft
für den vorgeblichen Haussklaven Pedro (Felisardo). Daneben
sich herschlingend die Doppelparallel-Eif ersucht Don Juan 's
auf Felisardo, den er einmal mit der Sklavin Zara (Celia)
scharmutzirend findet; Feiisa rdo's wegen Celia's, die er da-
bei betrifft, wie sie dem Don Juan die Halsbinde in eine zier-
liche Schleife knotet. Mit dieser im trefflichsten Lustspielton
gehaltenen Scene voll Eeiz und Lebenswahrheit, aber zwischen-
durch wohl auch von orchideenartiger Würzhaftigkeit durch-
haucht i), begnügt sich die Parallelverwickelung des ersten
Acts.
1) Beiisa. Hombre qui ä mi,
Sefiore, me ha de querer,
Belisa's Gelüst nacli einem Barbier. 261
Der zweite kommt über Belisa's Zierereien als ßachegeist.
Sie selbst wimmert: Es ist nicht mehr Zierenszeit i), sondern
die Spukezeit des Selbstmords'') aus Verzweiflung, dass sie, die
hjchadelige Caballeros mit Nasenrümpfen verscheuchte, sich in
einen Haussklaven rasend verliebt. Und, wie sonst rücksichtlich
der Männer, ist sie jetzt hinsichts der Todesarten wählerisch:
ob Dolch, Gift, Aderlass ä la Seneca^) — Flora möchte ihr
rasch einen Barbier^) besorgen, einen Nero mit drei Barbier-
becken und einer rothen Aderlassbinde, die sie nach angestelltem
Aderlass abreissen werde. ^) In ihrer Verzweiflung fühlt sich Be-
iisa gemüssigt, vor Ankunft des Barbiers, ihre melindrose Ge-
müthsart moralisch aus den von ihrem Vater in Amerika gesam-
melten Reichthümern und der aus dem üeberfluss entspringenden
Ueppigkeit eines Langen und Breiten zu motiviren. Lope lässt sich
häutig und gerne auf dem fahlen Steckenpferde moralisirender
Substanzirungen seiner Komödienmotive betreffen. Wie dann aber
seine Grazie, und sein Genie, was bei Anderen ein Strohwisch als
Bierkneipengänger ist, in einen Goldkranz umzaubert, sehen wir
ihn auch dieses fahle Steckenpferd moralisirender Auseinander-
setzungen nicht blos mit Anmuth tummeln, sondern den fahlen
grauen Stecken zum schönsten Paradepferd, wo nicht gar zum
Pegasus selber reiten. Die Pest des faulen arbeitslosen Geld-
und Capitallungerns hat Belisa's Seele angesteckt.'^) Bin sol-
^Postizo le ha de traer?
„Ein Mann sollte mich liehen dürfen
Der einen falschen hat?"
Von einem 'puiio postizo' (falschen Handglied) war die Rede. Was aber
für postizo zwischen Belisa's Doppelfingerzeichen im spanischen Doppel-
sinne noch nebenherspielt, ist eine andere Doppelfrage.
1) Ya mis melindres cesaron.
2) A darme la muerte vengo.
3) Sangrada
Es muerte a Seneca hurtada.
4) Llamame un barbero.
5) Y despues podre quitarme
La venda.
6) Yo, con la locura
De hacienda tan grande . . .
He dado en melindres.
262 I^as spanische Drama.
ches Streiflicht, als socialistisch-psychologisches Motiv, aus dem
17. Jahrhundert herüber, vermag nur die Vorschau des Geiiie's
zu werfen, der Incongruenz solcher Erörterung zur Situation und
Stimmung unbeschadet. Die zutreffende Motivirung seiner See-
lenkrankheit greift aber nichts desto weniger zu einem Heilmittel,
das nur eine neue Ansteckung mit dem Pestgift launenhafter
Schrullen ist: Beiisa lässt ihren Haussklaven Pedro (Felisardo)
mit dem Brandmark P ^) zeichnen, um ihre Leidenschaft für ihn
mit dem Brandmaal auszulöschen. Ein F bekommt dann auch
die Sklavin Zara (Celia) aufgedrückt. SchruUenparallelismus aus
dem PF. Amors Fackel glüht das P der Schwester Beiisa, wie
dem Bruder Doi Juan trotzdem in die Herzen als Initial von
'Puego' (Feuer), und brandmarkt Beider Herzen zu Sklaven, Be-
lisa's zur Sklavin am gezeichneten Felisardo, Don Juan's
zum Sklaven von Celia's F auf der Wange, das ihn ein reizen-
des Schönpflästerchen, ein bezauberndes LiebesmaaP) dünkt, im
Eiesenmaassstab kometenhaftes^) Schönpflästerchen, und das
F zum Anfangsbuchstaben von Folia, von Liebeswahnsinn stem-
pelt. Des Hippokrates: „Sanat ignis" wird bei Amors Glüh eisen
zu Schanden. Zum Beweis: Belisa's wilder Schrei nach einem
Barbier zum Blutlassen , dem P auf Pedro's (Pelisardo's) Backe
in's Gesicht. 4) Sogar Lisarda's Mutterherz wird von Pelisar-
do's Initiale so gründlich gestempelt, dass sie ihn heirathen will.
Celia, wenn sie nicht schon in Felisardo verliebt wäre,
würde sich in sein P auf der Backe verlieben, weil es der An-
fangsbuchstabe seines Namens. ^) Das üeberraschtwerden des ver-
meinten Sklavenpaars bei Umarmungen und das Beschönigen sol-
cher Traulichkeiten ist uns aus Cervantes' Algier-Sklavenkomö-
dien bekannt, und von Lope wahrscheinlich dem Cervantes
entlehnt worden.
1) 'Fugitivo', „Flüchtling", entlaufener Sclave.
2) ^Qiie cometas negras son
Las que con tal sin razon
Eclipsan tus rajos de oro?
3) In Belisa's Augen sind diese Flecke Brandmaalflecke , in Felisar-
do's Gesicht, *lunares' „Schönheitsmaale": Son lunares que hermosean.
4) Ve presto Uama ek barbero."
5) Son (los hierros) en tu nombre, mi bleu.
Belisa's Ohnmachtsgelüst. 263
ßelisa's Liebes- und Eifersuchtswuth muss folgerichtig sich
bis zu hysterischen, epileptischen, wo nicht nymphomanen Zufäl-
len steigern. Im Paroxysmus solcher Anwandlungen überkommt
sie ein unwiderstehliches Gelüste nach einer körperlichen Be-
rührung mit dem gezeichneten Sklaven Pedro, und war' es blos
mit seiner Hand. ^) Auf Flora' s Kath, flngirt sie eine Ohn-
macht, stürzt hin, Felisardo nimmt sie auf, und wird in die-
ser Situation, mit Beiisa auf beiden Armen, von Celia betroffen.
Beide halten die verstellt Ohnmächtige für todt, und Celia
wünscht, dass er die Leiche auf den Flur trage und dort in Stücke
schneide. '^) Spanische Komödienzüge von spanischen jungen Fräu-
leins! Jedem andern civilisirten Theaterpublicum würde das Lachen
ob der an sich komischen Situation, wegen des Ohnmacht-Moti-
vesund Celia' s Aufforderung, die Leiche zu zerstückeln, in Zischen
und Pfeifen im Munde umschlagen. Felisardo begnügt sich,
Beiisa auf die Erde wieder hinzulegen, und Celia's von Liebes-
zärtlichkeiten begleitetem Vorschlage ihr auf ihr Zimmer zu folgen,
nachzukommen. Nun Belisa's Schilderung von den Entzückun-
gen , die sie auf Felisardo's Armen genossen ! Seines Mundes
Hauch, den sie, auf Rechnung der Ohnmacht, mit Wollust einsog.
Wie sehr sie auch — sagt sie der Flora -— bei Celia's Zärt-
lichkeit mit Felisardo gelitten, so flehte sie doch im Stillen
zu Gott aus der Ohnmacht, ihren Verdruss so lange wie möglich
hinzuhalten. ^) Zum Besten der Entwickelung der Komödie haben
diese Anstössigkeiten doch das Gute, dass Beiisa, während ihres,
nach der „Philosophie des ünbewussten" bewusstlosen Ohnmachts-
zustandes, von dem über ihre Leiche hinwegliebelnden Sklaven-
paare dessen wahre Namen erfuhr; nämlich Felisardo und
1) ^Como tocare una mano
Dese esclavo?
2) Llevala, y harla pedazos
Dese corredor.
3) — y aunque me pesaba
De ver de los dos los celos,
Agradecia mi agravio;
Y por estar en su pecho,
Rogaba ä Dios que durasen
Los enojos que me dieron.
264 Das spanische Drama.
Celia, woraus sie folgert, Pelisardo könne von adeliger Her-
kunft, und durch Unglück in diese Lage gerathen seyn. Jetzt
erklärt Don Juan vor seiner Mutter und Schwester ohne Umstände
die Sklavin Zara für seine Frau J) Mutter Lisa r da flucht dem
sein Adelswappen beschimpfenden Sohne, und will in Einem Äthem,
ihrem Sohn und Fluch zum Possen, den Sklaven Pedro hei-
rathen. -) Einen gebrandmarkten und nun auch, auf Belisa's Be-
fehl, in ein Halseisen sammt Eiegelstange ^) gesteckten Sklaven
heirathen? — Nicht davor schrickt Mutter Lisa r da zurück;
sondern schaudert vor Felisardo's Fluchtversuch zurück, wes-
halb ihn Beiisa angeblich an's Halseisen, und nun auch mit
Zustimmung der Mutter, von vier Dienern schmieden lässt, die
aber den Sichwehrenden mit Mühe und nicht ohne blaue Flecke
erst bewältigen und auf den Boden hinwerfen müssen, ehe sie
ihm die eiserne Halsbinde umlegen können, und nicht so zier-
lich, wie Celia, im ersten Act, dem Junker Don Juan die
seinige knüpfte. Der Fluditversuch ist eine capriciöse Einbildung
oder ein hysterischer Vorwand von der Melindrosa, um ihr Lie-
bes- und Eifersuchtsopfer zu peinigen. Felisardo, im steifen
Kragen, allein auf der Bühne zurückbleibend, und sein Missge-
schick in einem wehleidigen Sonett klagend — ein Sonett ist
selber so ein Keimsklave mit einer vierzehnzeiligen argoUa y virote
um den Hals — trefflicher Schluss eines zweiten Komödienacts
und lustig genug!
In solchem Zustande muss Eli so, Lisarda's Schuldner, sein
Haftpfand im dritten Act wiederfinden. Da geht mit ihm die
Zunge durch, unbekümmert um den Schlag, den ihm die, wegen
einer kunstgerechten Auflösung ihrer Verwickelungen, bange Ko-
mödie auf den Mund giebt — Elise kann nicht an sich halten
und spielt doppelzüngig mit parallelen Andeutungen auf die edle
1) Que es mi rnnjer.
2) Lisarda. jOh infame! ^de tu boca
Sälen tales afrentas de tu sangre? . . .
Pues alto; si Don Juan se determina
A quererse casar con una esclava,
Yo me quiero casar con un esclavo.
3) ArgoUa y virote.
Belisa\s Gelüst nach Tollwürmern. 265
Geburt der vermeinten beiden Sklaven an, erst gegen die
Mutter, Lisarda, dann gegen ihren Solin Don Juan, und kitzelt
Mutter und Sohn mit der doppelsinnigen Andeutungszunge zu
dem gleichzeitig und parallel gefassten Entschlusse , ihn: die
adelbürtige Celia; sie, die Mutter: den adeligen Felis ardo zu
heirathen. Und Melindröschen? In ihrem grillen vollen Köpf-
chen kribbeln schon ebenso viele Tollwürmer. ^) Die Mutter
möchte nur geschwind — delirirt sie — geschwind ihr Herz in
eine Wiege legen, es in Schlummer schaukeln und lullen, ihm
ein Kuhhirtlein und vergoldete PantölFelchen und buntes Confect
kaufen'^), und ein Zwangsjäckchen und ein Tollhauskettlein zum
Angebinde dazu. Mit ihr allein geblieben, ist Felis ardo vor
ihrer in Käserei ausgebrochenen mutterwüthigen Nymphomanie
seines Lebens nicht sicher. „Jesus! drück mich, drück mich
feste!'' ^) „Mich kitzelt, mich kitzelt das Herze!*' 0 — und schlägt
— nun aber alles Ernstes — auf den Boden hin ohnmächtig.
Die Muse der Komödie läuft schnell nach der Todtenbeschauerin,
nach der Muse der Tragödie. Diese setzt die Brille auf, kitzelt
die Scheintodte mit einem Strohhalm ~ nicht das Herz und nicht
unter dem Herzen — sondern unter der Nase — zieht die ihrige
in die Höh, und befindet: Bios Komödientod! nimmt eine Prise
und trippelt davon. Beiischen beweist es infolge des Kitzeins
mit dem Strohhalm, und spricht: „Was hör' ich? Nun sterb'
ich erst recht, ich tolle Lise!"'0 Sie hörte nämlich in der Ohn-
1) „Beiisa fiiriosa" besagt die UeBerschrit't der Seene.
2) Hagame, madre, iina cuna
Donde mezca el corazon,
Porque duerma en la pasion
Que me afiige y importuna.
Comprenle un vaquerito
Y unos zapatos dorados,
Dele coniites pintados.
3) jJesu! aprictame presto!
4) Ponense unas cositas . . .
Y con dulce alteracion
Pellizcan el corazon.
5) Beiisa. (Ap. (lEsto oi?
^Que aguarda mi loco engano?
Fuera digo) Muerta soy.
266 I^as spanisclie Drama.
macht — also doch, laut Befund der Todtenbeschauerin, doch
nur eine Komödienohnmacht! — B elisa hörte, wie die hinzugetre-
tene Celia dem Felisardo droht, wenn er ihrer Eifersucht
kein Ende mache, sich noch heute in Don Juan's Arme zu
werfen 0, und hört, wie Felisardo ihren ihm geschenkten Dia-
mantring der Celia anbietet! „Mutter! Mutter! Flora, das ganze
Hausgesinde, holla! herbei!" 2) wettert die aus der Ohnmacht
noch eben so toll Erwachte, wie sie hineingefallen war, und klagt
vor dem mit Mutter Lisarda hereingestürzten Hausgesinde die
Zara an: diese hätte ihren Diamant gestohlen, und verlangt au-
genblickliche Verbrennung der Diebin ^) , sonst sieht die Mutter,
sie, die Tochter, als Leiche vor sich. 4) Wie in der Mehrzahl
von Lope's Stücken, stolpert auch hier der Entwickelungsact über
die eigenen Stegreifbeine. Denn nur aus diesen kann Onkel
Tiberio's seiner Schwester Lisarda unter den Fuss gegebe-
ner ßath entspringen, der auf Folgendes hinausläuft: In Madrid
existire ein gewisser Caballero Namens Felisardo, der ihrem
Sklaven Pedro zum Verwechseln ähnlich sehe. Lisarda möchte
daher den Sklaven cavaliermässig kleiden lassen, mit ihm einen
Scheinehevertrag schliessen. Darüber würden ihre beiden Kin-
der in einen unausbleiblichen Schrecken gerathen, und vor Angst,
die Mutter könnte sich mit diesem Zwillingsebenbild des gewis-
sen Felisardo, Caballero zu Madrid, verheirathen, würde Don Juan
einen Zügel seinen Gelüsten, und Beiisa ihren hysterischen Ca-
pricen anlegen. ^) Bei solchem verzweifelten Knotenzerbeissen mit
den Zähnen könnte man an Lope's Erfindungsgenie verzweifeln,
1) Don Juan me qniere. Yo bare
Que hoy en sus brazos me veas.
2) iMadre! imadre! j Flora! j Genta
Desta Casa! Hola, criados!
3) Paola en un fuego!
4) Si no la mandas pringar
Cuenta me por muerta luego.
5) Y fingiendo la escritura
Del tratado casamiento
Pondräs temor ä tns hijos,
Y rienda al uno en deseos,
y al otro en tantos raelindres.
Belisa's Gelüst nach einer Liebeserklärung im Pinstern. 267
dieses Genie müsste denn in solchen Fällen darin sich kundge-
ben, dass der verzweifelten Verfindung die nächstfolgende über
die Stegreifbeine stolpert, wie Lisandra's ihr über den Kopf
kommende Vermuthung: besagter Caballero Felisardo in Madrid
und ihr Haussklave Pedro sey ein und derselbe Caballero. ^) Und
ein Stolpern über die Beine des andern! über die eigenen und
zugleich über die des vorausstolpernden Auskunftsmittels behufs
Knotenlösung! Gleich Flora's der Beiisa ertheilter Kath:
dem Pedro im Finstern ihre Liebe zu erklären.^) Im Finstern!
Beiisa! die bei hellem Tageslicht, sich in |so stössiger, unmäd-
chonhafter, verrückter, über alle Melindres hinausschweifender
Aufdringlichkeit dem Pedro an den Hals geworfen! Und nun
dieses letzte Zufluchtsmittel: eine Liebeserklärung im Finstern
aus jungfräulicher und jungfräuleinhafter Schaam ! Im Finstern,
die Leibfarbe des „Werkes der Finsterniss" , der *impermissa
raptim gaudia, luminibus remotis!' — Beiisa greift blind nach
der Liebeserklärung luminibus remotis, mit dem Vorsatz, bei
dieser Gelegenheit auch das Licht ihres Verstandes auszulöschen,
um ihrem Haussklaven bei solcher doppelten Verfinsterung, innerer
und äusserer, ihrer Schlaf- und Hirnkammer, das Werk der
Finsterniss so einleuchtend zu machen wie möglich.^)
Was in aller Welt hindert nun das Sklavenliebespaar sich
der vollen Freiheit in die Arme zu werfen, nachdem Felisardo
von der Herstellung seines im Duell tödtlich von ihm verwunde-
ten Insgehegegehers unterrichtet ist? Ahnungen, die Celia
seinem heftigen Verlangen, das verwünschte Sklavenwesen end-
lich abzuschütteln, entgegensetzt. ^) Das bringt uns in eine Scene
von drei Gruppen: Erste Gruppe Felisardo und Celia; zweite,
Beiisa und Flora; dritte, Lisandra und Tiberio. Mutter
1) ^Q^iß^ ^^^^ ^^6 es Felisardo
Este que parece Pedro?
2) Häblale sin luz, y di:
„Pedro, yo soy, yo te quiero?
3) Tengo de cegar tambien
Para que pueda mas bien
Decille mi pensamiento.
4) Felis. Pues ^serä sufrir mejor?
Cel. Diceme el alma que sl.
268 I^^s spanische Drama.
und Tochter, beide mit Absichten auf den Sklaven Pedro, den
sie von rechtswegen , vermöge Eliso's Winke und Andeutungen,
so eigentlich nicht mehr als Sklaven Pedro behandeln dürften.
Die Gruppe Beiisa-Flora löscht, verabredetermaasseu , die
Kerzen aus, jede, nach der Doublettenregel, eine. Feiisandr o
will die Dunkelheit benutzen, um sich seiner Celia zu nähern;
Celia, ihrerseits, um nach Felisandro zu tappen, desgleichen
Beiisa, und Mutter Lisarda, unter üblichen Apartes. Die Ab-
paarung geschieht aber so: Beiisa tappt sich zu ihrer Mutter
hin, Celia zur Flora, Felisardo zu Tiberio, und das Ko-
sen und zärtliche Geflüster der drei Gruppen solcher Appaarung
gemäss. Felisardo's Liebkosungen gegen Tiberio werden im
Finstern so ungestüm, dass dieser nach Lichtern ruft. Don Juan
und sein Diener Carrillo eilen mit einer Fackel herbei, die nun
den Gruppen ihre bezüglichen Standpunkte klar macht. Don Juan
fordert stürmisch sein Weib Celia i), Beiisa lässt sie von Flora
davonführen, Felisardo, von Don Juan „Hund" geschmäht,
beisst frischweg als solcher um sich'^), und folgt der Celia als
treuer Pudel, lässt aber des Hundes feine Witterungsnase,
die hinter Sklavin Zara die Edeldame schnoppert, den Don
Juan zurück. Was frommt die Spürnase einem von blinder Lei-
denschaft bei hellem Fackelscheine genasführten Don Juan? wie
Carrillo treffend bemerkt. 3) Die Spürnase wächst sichtlich bis
zur schuhlangen Nase, die ihm die Komödienkatastrophe andreht.
Das hindert aber Mutter Lisarda nicht, ihr Plänchen auszu-
führen; den Sklaven Pedro nämlich als jenen gewissen Felisardo,
dem er Zwillings- oder duplicatmässig ähnlich seyn soll, heraus-
geputzt, daherzubringen, um Sohn und Tochter durch den Schrecken
über ihre Verlobung mit dem gewissen Felisardo zur Raison zu
bringen. All diese Auskunftserfindungen kranken an doppelsei-
tiger Lähmung der Extremitäten und schleppen die paralytischen
Beine aufs kläglichste dem Komödien-Ende entgegen. Vor die-
sem Ende bekommt Beiisa noch von ihrer Mutter zu hören,
dass ihre Melindrosität , ihre Grillenhaftigkeit nichts als eine
1) Dame mi mujer, seiiora.
2) Vos vereis que perro os muerde.
3) dQ^e luz podrä alumbrar un ciego amante?
Belisa's Gelüst nach Brandmarkung. 269
lustspielwidrige Krankheit, Hysterie, ist, da sie Gyps und Lehm
verschlingt. 1) Beiisa giebt es der Mutter zurück, von der sie
die Krankheit geerbt, die sie mit auf die Welt gebracht. 2) Der
Mutter Gelüste nach einem jungen Ehegatten sey auch nur eine
hysterische Begierde nach frischem Thon oder Lehm, der mit
der Zeit doch zum alten Adam, einem gebornen Lehmmann,
austrockne oder gar erstarre mit ihrer alten, der Mutter, zusam-
men, zu einem Paar gefrorner Lehmklösse. ^)
Felisardo wird nun schliesslich doch von Onkel Tiberio
als Felisardo, für Mutter und Tochter aber als Doubletten-Feli-
sardo, als Sklave Pedro zum Felisardo aufgeschniegelt, herange-
geführt, und ohne Brandmaal, das Tiberio ihm und der Celia
blos aufgemalt, nicht eingebrannt, nicht eingebrandmaalt hatte.
Beiisa erkennt in Felisardo den Sklaven Pedro, Onkel Ti-
berio fragt, ob sie verrückt sey?0 Beiisa befiehlt der Flora,
den Pedro zurstelle herbeizuholen. Die fertige Doppelgängerei und
Doppelschau. Zu allerletzt erscheint Celia verschleiert in rei-
chem Galaanzug, begleitet von einem Livreebedienten, und bald
darauf ihr Vater, Prudencio, begleitet von Don Juan, Elise
und Alguazils. Beiisa und Lisarda legen Beschlag auf
Felisardo, bis sich Celia entschleiert und als die einzige recht-
mässige Besitzergreiferin des Felisardo sich ausweist. Der
von der Strasse aufgegriffene Vater Prudencio giebt dem Paar
seinen Segen. So bleibt denn der hysterischen Beiisa nichts
1)
Tu con hacer melindritos,
Comiendo yeso y barritos.
2)
Melindres tenia
Con ellos naci.
3)
Las flaquezas vuestras
Me cargais ä mi . . .
Aquellos barritos
Que decis de mi
Os han opilado , . .
Si es viejo y sois vieja
Juntareis alli
Dos sierras heladas.
4)
Bei.
Pedro el esclavo de casa.
Tib,
^,Estas loca?
270 Das spanische Drama.
Übrig, als nach dem Lehmkloss, Eli so, zu schnappen, mit dem
sie die von Felisardo zurückgelassene Lücke verstreicht, will sagen
zu einem Adam und Evapaar zusammenklebt. Eliso, Adam, der
Lehmmann; Beiisa, das hysterische Eippenstück Eva, die En-
kelin der ersten von Gelüsten beherrschten ürmutter, der ur-
hysterischen Eva; Eva melindrosa.
Fügen wir, in Lope's stegreiflicher Manier, nur ohne weiteres
sein zweites Beiisa-Stück:
Las Bizarrias de Beiisa,
den 'Melindres de Beiisa' an, in auszüglicher Kürze. Das komi-
sche Charakter-Motiv der beiden Belisa's ist so verwandt, wie der
Name der Komödienheldinnen übereinstimmt. Unter 'bizarrias'
hat man nicht 'Bizarrerien' zu verstehen, sondern mehr Prunk-
sucht, Hoffahrt; immerhin eine Bizarrerie, aber eine specielle ei-
genartige Bizarrerie, die in der Bedeutung 'bizarre', „prachtlie-
bend", „freigebig", bis zur „Grossmüthigkeit" und „magnifik"
sich emporschwingend, in eine glänzende Eigenschaft, eine impo-
sante Tugend, wie polarische Spiegelungen, umschlägt. Zu dem
Charaktermotiv der Komödienheldin Beiisa gesellt sich ein zwei-
tes von der Donna Lucinda verbeispielt, welches in das Ver-
schmähungsmotiv hinüberschillert, das Moreto in dem grössten
Meisterstücke des spanischen Lustspiels 'Desden con Desden' zu
höchsten Kunstehren erhob und poetisch psychologisch verklärte;
ein dem Lope förmlich entlehntes Motiv, das dieser wiederholt
in den Komödien 'Los Milagros del desprecio', 'La hermosa fea'
durchgeführt, und in den 'Bizarrias de Beiisa' nur parallel zum
Hauptthema nebenher schlenkern Hess. An Motiven-Erfindung
unerschöpflich und ohne Gleichen, versteht sich Lope weniger
darauf, oder war nicht genugsam bedacht darauf, sein themati-
sches Motiv kunstgerecht durchzuspielen. Seine schöpferische Er-
findung bekundet sich nicht sowohl in dem Ersinnen von kunst-
reichen Verwickelungs- und Entwickelungsweisen, als eben im
Erdenken von Lustspiel -Themas. Sein Zauberstab wirkt nicht
als Wünschelruthe, die auf vorhandene und verborgene Quellen
einschlägt, die ein ganzes unterirdisches Quellensystem, Gebiete
befruchtend und immerdar sprudelnd, erschliesst. Lope's magi-
scher Stab gleicht mehr dem Stecken Mosis, der aus Felsen
Lope's Com. Las Bizarrias de Beiisa. 271
wunderartig Quellen springen lässt, zur Erquickung allen Volkes,
unbekümmert, ob sie stetig fliessen, oder, nach erfüllter Aufgabe,
nach Stillung des durstenden Voll^es, wieder verschwinden. Er-
finder erster er Art, solche nämlich, die aus vorliegendem Motiv-
stofif ewige Kunstwerke schaffen, wie Gott sein ewiges Schmuck-
werk und Kunstmeisterstück, die Welt, nicht etwa aus Nichts,
sondern aus der ürmaterie, dem Chaos, seinem vorhandenen Grund-
stoff und Grundmotiv ausführte — dergleichen Finder sind in
Kunst und Poesie die seltenern und, unserer Meinung nach, auch
musterwürdigern Meister, als die Finder von neuen Motiven, The-
ma's und Fabeln, als die schöpferischen Genie's, denen die Korn-
felder auf der flachen Hand wachsen, oder deren Schöpferhand
der Pfote des Hündchens in Lafontaine's Erzählung gleicht, das
auf jeden Druck eine Perle fallen lässt. Finder mit derlei Pfo-
ten waren die provenfalischen Troubadoure, und die nordfranzösi-
chen oder normannischen Trouveres. Dichter und Finder in der
Manier unseres Herrgotts, des Weltenschöpfers, die ein rohstoffi-
ges Motiv nämlich zu einem Weltwunderbau entwickeln und für
alle Zeiten gründen, z. B. Homer, die griechischen Kunstmeister
überhaupt, ferner Dante, Ariosto, Shakspeare vor Allen, Moreto,
Goethe, Schiller. Der Phönix der spanischen Comedia scheint
uns den der ersten Kategorie angehörenden Findern, den Trou-
badouren und Trouveres, verwandter, als den Schöpfern und Er-
findern aus der zweiten Classe, die von rechts- und amtswegen
eigentlich „Finder" heissen müssten, als solche, die das Gefun-
dene zu einem vollendeten Meisterwerk gestalten; Erstere dage-
gen wären „Erfinder", die auch den Stoff erfinden, ihn aber nicht
immer bis zur höchsten Kunstvollendung zu entwickeln vermögen.
Nicht Ziege oder Gazelle, die Bezoarsteine in den Eingeweiden
ablagert; nicht der Luchs, der Edelsteine harnt; nicht die Auster,
die aus freien Stücken Perlen als Krankheitsproducte schwitzt;
nicht die Kröte, in deren Gehirn Juwelen wachsen sollen —
sie weiss nicht wie — nicht dieses sind die Kunstmeister, son-
dern die Goldschmiede und Juweliere sind's, die all die Edel-
steine zu Kunstgebilden und Schmuckwerken fassen; die Heil-
künstler sind's, die, vermöge der rechten und zweckmässigen
Mischung, den Bezoarsteiuen die heilkräftige Wirkung verleihen.
Aehnlich verhält es sich mit dem homöopathischen Komödien-
272 I^3,s spanische Drama.
motiv: „Verschmähung gegen Verschmähung", das in Lope's In-
nerem sich bildete, und in seinen Eingeweiden in freien Stücken
vorkommt, das aber erst durch Moreto's kunstgemässe Verwen-
dung der Heilkraft jene Wunderwirkung inderthat und untrüg-
lich und zu allen Zeiten hervorbringt, welche man früher den Be-
zoarsteinen zuschrieb.
Die Bizarr ia, die pfauenschweifartig aus der Farbe der
Prunkliebe und ^oilettensucht in die des Liebesbannes und der
Liebesverschmähung 0 hinüberschillerende Bizarria der Beiisa,
schlägt nun, kurzgemeldet, ihre Radfächer vorn und hinten durch
die drei Actos derart, dass sie im ersten den Conde Enrique
hochnäsig mit dem Prunkwedel von sich ab- und den duellflüch-
tigen Don Juan de Cordona aus Aragon in ihre Kutsche
hereinfächelt.
Belisa's parallele Gegenfigur, D. Lucin da,' verliebt in
D. Juan, quält ihn durch verschmähungslaunische Abwehr und
sich selbst mit dem Scorpionstachel der Eifersucht auf Beiisa.
Belisa's Eingangstoilette prunkt in Trauergala, um ihre angeb-
lich an Don Juan verlorene Herzensfreiheit. ^)
Belisa's zweite Bizarria als Toilettenpfauenmauser glänzt
in den hellsten Farben mit neckendem Pfauenschweif am Hute,
auf dem Spazierplatze el Soto in Madrid, wo sie in aller Frühe
ihre Kutschenbekanntschaft, den Duellflüchtling Don Juan auf-
sucht, aber ihren mit beiden Fächern, dem Damen- und Pfauen-
fächer davongescheuchten, treuen Anbeter Conde Enrique,
findet und, in den Schleier ihrer Verschmähung sich hüllend,
beide Fächer gegen ihn eifrig spielen lässt, und vom Conde als
Don Juan's Verlobte'"^) angesehen seyn will, den sie erwarte.
1)
Y mis locas bizarrias
Desprecios y desfavores.
2)
Bei.
jCelia mia!
Murio.
Gel.
ö Quien ?
Bei.
Mi libertad.
3)
Pues el nombre marido
Siempre merecio respeto
De Aragon vienc ä casarse
Conmigo.
Fächerschläge. 273
Kehrt dem Conde den liintern Fächer zu und wendet sich mit
dem vordem gegen den im Soto erscheinenden Don Juan, hält
vor ihm Toilettenparade, sich drehend und wendend und rad-
schlagend mit beiden Fächern zu seiner staunenden Bewunderung
solcher bizarrias i), und Beiisa ihn neckend mit seinen poetischen
Vergleichen 2), und bestellt bei ihm ein Sonett auf Lucin da,
das aber ein Epigramm seyn soll mit vierzehn Stacheln. Selbst-
verständlich parodirt Don Juan's Diener Tello mit Belisa's
Kammerjüngferchen Tinea die Scene in einem Parallelgespräch.
Jetzt fegt auch Lucin da mit ihrer Zofe Fabia heran, und mit
dem der Zofe abgelegten Geständniss: sie quäle den Don Juan
mit Verschmähung, um seine Liebe zur Vermählung mit ihr zu
kitzeln. ^) Darauf eine Hechelscene zwischen den beiden Putz-
und Verschmähungspuppen, Beiisa und Lucinda, zu Don
Juan's stillem Vergnügen über Belisa's der Lucinda mit
Zunge und beiden Fächern, dem vordem und hintern, versetzte
Gesichtsschläge, wozu er in Apartes die Beiisa noch auf-
putscht 4), bis Lucinda davonrennt, toll vor Wuth ^), wie die Kuh
vor der Horniss mit peitschenartig geschwungenem Schwänze, Zofe
Fabia und Acto primero hinterdrein.
Der zweite Act spielt uns nahezu dieselben Karten in die
Hand und dieselben Trümpfe. Don Juan schwört der Beiisa
Abschwörung seiner Liebe für Lucinda^) und wünscht von Be-
lisa's Hand eine andere Herzensdame zu erhalten. "') Beiisa ver-
1)
iQue bizarra! iQue gallardal
2)
<?,Sois poeta?
3)
Porque espero
A puros celos rendirle
De manera que troquemos
— el amor en casamiQnto.
4) Don
Juan (ap. ä Beiisa).
Decidle mas.
5)
Luc. <:Esto Uaman amor? jFuego!
6)
No mas Lucinda: ya es heclio,
A vuestros ojos lo juro.
7)
Pues dadme vos
Por vuestro gusto mujer.
274 l^^s spanische Drama.
langt vor Allem die Auslieferung von Lucinda's Liebespfändern,
insbesondere das Portrait derselben, i) Beiisa verspricht ihm
als Gegenaustausch das Herz einer andern Dame. Auf seine
Frage, Wer diese sey, wirft sie ein bezauberndes Yo, „Ich", hin,
und husch auf und davon. lieber das Yo ist Don Juan in den
siebenten Himmel verzückt. ^)
Lucinda fordert Conde Enrique auf, die ihr widerfahrene
Unbill an Don Juan zu rächen. Erzählt ihm das Weitläufigere,
wie sie Don Juan kennen gelernt. Conde und sie, Lucinda,
hätten ja gleiche Veranlassung Eache zu nehmen: Conde an
der ihn verschmähenden Beiisa; sie, Lucinda, an dem von
ihr aus unbegnügsamer Liebe verschmähten DonJuan. Conde
verheisst die Rache. ^) Bire Frauenrache lässt Lucinda in Don
Juan's Stichwunde durch den Absage-Stachel fliessen : Er möchte
sich ja nicht bei ihr oder vor ihrem Balcon, dem spanischen
Schwungbrett in's Ehebett, blicken lassen, sonst werde ihn Conde
Enrique dafür züchtigen, der sie anbete.'*) So läuftvDon Juan
Spiessruthen zwischen Beiisa und Lucinda. Lucinda, die
sich selbst mit zwei Ruthen dabei geisselt: mit der Verschmähungs-
und mit der Eifersuchtsruthe — und springt zwischen Belisa's
zwei Fächern, wie ein Federball zwischen zwei Raketen, hin und
her — Bei isa, die ihn mit dem vordem, den Conde abwehren-
den Gesichts-Fächer empfängt, und mit dem Bürzelfächer, dem
Pfauenprunkwedel wieder zurückschnellt. ^) Letzteres passirt ihm
eben jetzt, wo Beiisa darüber bizarrenhaft eifersüchtig, dass
Don Juan, nachdem er Lucinda abgeschworen, dennoch neuer-
dings ihrem Netzschlägel zuflog, wie sie von Conde und Lu-
cinda erfahren. Beiisa lässt dem Spielball, in Form eines Kaut-
1)
Mayormente su retrato
Habeisme de dar.
2)
iCon qiie gusto dijo „Yo!'*
3)
Por vos y por mi hacer quiero
4)
Castigarä su locura
El Conde, porque me adora.
5)
Bei (Cap.) Lo mejor
Es volverle las espaldas.
Zielscheibe und Alcoven. 275
schuk-Januskopfes, von Finea, das Fenster vor der doppelten
Nase zuschlagen. ^)
Der dritte Act, der bei nachtschlafender Zeit spielt, ist so
bizarr wie nur Beiisa selber, die er mit Finea in Mannsklei-
dern, Federhute und jede mit zwei Pistolen bewaffnet vor Lu-
cinda's Hausthür stellt. Finea erklärt selbst die Verkleidung
für närrisch. 2) Bald haben sich auch Don Juan und Tello
eingestellt, und fechten ein Stegreif duell mit demselben Otavio
aus, der Don Juan im ersten Act einen Denkzettel gegeben,
und der lediglich zu diesem Zwecke, als Zielscheibenmann, in
unserer Komödie aufgepflanzt dasteht. Beiisa und Finea
kämpfen mit ihren Pistolen aufseiten Don Juan's und Tello's.
Der Zielscheibenmann nimmt mit seinem Diener Fabio vor den
Pistolen reissaus, und Beiisa, die Bizarra, sieht mit ihrer Zofe
Finea Don Juan, nachdem derSchiessscheibenmann oder die Duell-
puppe Fersengeld gegeben, mit dem Bücken an, unerkannt, dank
Männertracht und Mitternacht, und ohne ihn eines Wortes zu
würdigen. ^) Nach Hause zurückgekehrt, findet B elisa den Conde
hinter ihrem Alcoven. Dieser entschuldigt seine Verwegenheit
mit so zierlichen, schmeichelhaften und abgegriffenen Complimen-
ten^); der Schluss brennt dem acto tercero so auf die Nägel,
und dem fruchtbarsten aller dramatischen Dichter fängt das Er-
findungsfässchen an so trübe zu laufen, dass Beiisa nichts
Zweckentsprechenderes in ihrer bizarria zu thun weiss, als den
Eindringling hinter dem Alcoven gleich hier zu behalten, an-
gesichts des Don Juan, der mit Tello an der Thür erscheint
und den Alcoven-Stegreif mit so grossen Augen sich betrachtet •^),
1) Fin. Que sc vayan noramala.
(Cierra la ventana.)
2) Flu. jTu a la porta de Lueinda
Con estes necios disfraces!
3) Tello. Volvieron las espaldas sin liablarte,
Ni quitar los embozos.
4) De noche entre, sin pensar
Que tanto el sol se tardara
De amanecer ä mis ojos.
5) iCielos!
El conde la goza.
18*
276 I^as spanische Drama.
wie wir. Conde schwört zum üeberfluss sich rein von jedem
Liebesverdacht bezüglich Lucinda's; macht seinerseits grosse Au-
gen über DonJuan's Gegenwart, und schreitet stolz, wie König
Philipp den Spanier liebt, und überschäumend wie dieser, von
dannen, als sollte die Komödie von neuem beginnen, in welchem
Vorhaben sie ein langathmiger, von vorn aufgewundener Eifer-
suchts-, ßeinwaschungs- und Auseinandersetzungsplan zwischen
Don Juan und Beiisa zu bestärken, die grössten Anstrengun-
gen macht, die daneben herlaufende Parallelscene zwischen Tello
und Finea ungerechnet. Fürwahr, zuweilen ist es, als bediene
sich Lope, zur unerschöpflichen Urne seines Erfindungsstromes,
des Danaidenfasses, in das er den Lethefluss übergiesst und aus
dem er so manchen seiner dritten Acte auf Scenen wie auf Fla-
schen füllt. Nicht weniger als fünf solcher Flaschen füllt er aus
dem durch's Danaidenfass laufenden Lethewasser, um von Conde
Enrique die Beiisa sammt bizarrias als Aussteuer, von
Don Juan die Lucinda mit ihrem der Beiisa entliehenen Hoch-
zeitskleide, und vom Sapperments- Tello, aus blosser Parallelpa-
rodien-Marotte, die Finea als Gattin in die Arme schliessen zu
lassen. Kein Wunder, wenn die Materien der drei Acte sich
gegenseitig so rein vergessen, wie die Seelen, die zusammen aus
dem Lethe den Trank der Selbstvergessenheit schlürfen:
— Animae, quibus altera fato
Corpora debentur, Lethaei ad fluminis undam
Securos latices et longa oblivia potant. i)
Las Paces de los reyes y la Judia de Toledo.
(Der Frieden der Könige und die Jüdin von Toledo.)
Das dramatische Grundmotiv des Stückes ist die vielbesun-
gene Liebe Alfonso's VIIL Königs von Castilien und der schö-
nen Jüdin Rachel, und deren tragisches Ende. Die Jlaupt-
züge der Eegierungsschicksale dieses 1167 eilfjährig zur Regierung
gelangten castilischen Königs sind von unserer Geschichte be-
reits verzeichnet. 2) Lope's historisches Schauspiel beginnt mit
der Einnahme der Veste Zurita durch den jugendlichen König,
1) Aen. VI. V. 800 f. — 2) VIIL S. 460 if. Mariana Lib. XL C. 5.
Lope de Vegas Com. Las Paces de los Reyes. 277
das ihm der Verrath des Dominguillo in die Hände gespielt,
eines Dieners von Lope de Arenas, dem Parteigänger des
Conde Fernando de Castro, Erziehers des Königs, welcher
mit der Gegenpartei der Lara's das Reich in Zwist und Hader
zerriss. Lope de Arenas' Diener, Dominguillo, lieferte nicht
nur Zurita verrätherischerweise aus, er mordete auch seinen Herrn
mit einem Jagdspiess unter den Händen des Bartscherers. König
Alfonso zahlte dem Verräther das Blutgeld, liess ihm aber die
Augen ausstechen und später den Kopf abschlagen.
Den ersten Act eröffnet Don Estevan Ulan, der vom
Thurme der Kirche San Eoman zu Toledo den eiljährigen Al-
fonso zum Könige von Castilien ausruft, gegen de» wehrhaften
Einspruch des Fern an Ruiz (de Castro), und dessen Berufung
auf San c ho 's HL, des Vaters von Alfonso, Testament, wonach
die Städte und Schlösser Castiliens dem jungen Könige nicht vor
seinem fünfzehnten Jahr sollten übergeben werden, i) Vom Thurm
hernieder wirft der eilfjährige Königsrecke den Widersetzlichen
den Fehdehandschuh in's Gesicht: Heran! zieht vom Leder, wenn
Ihr meint, dass ich nicht mit Fug und Recht mich in den Besitz
des Meinigen setze. ^)
Die Scenen wechseln zwischen dem Schloss Zurita, wo der
heuchlerische Dominguillo seinen Verrath in Monologien spinnt,
und der Kirche San Roman zu Toledo, worin das Reiterbild
des heiligen Jago (Santiago) den jungen König mit dem Ritter-
schwert zum Kampfe gegen die Mohren umgürtet, den auch so-
fort der eilfjährige Kriegsheld, das „Eroberer-Kind" (nino con-
quistador) aufnimmt. ^) Hierauf begiebt sich vor den Mauern in
Zurita ein gar wundersames Schauspiel. Um seinen Herrn, den
Lope de Arenas, der von der Schlosszinne in's feindliche La-
1) — y que los muros
No se daran al de Castilla eii tanto
Que tenga los quince afios que su padre
Mando en su testameiito.
2) Si no estoy en lo que es mio,
Combatidme —
Ea, volved las espadas
Contra vuestro rey, subid.
3) Busquemos a los moros.
278 ^^^ spanische Drama.
ger hinablugt, zu täuschen, bittet sich der Verräther Domin-
guillo vom Könige Alfonso einen Soldaten aus, den er mit
seinem Schwert tüchtig kerbe. Zu der Operation erbietet sich
Soldat Pero Diez, neigt sein Haupt dem Dominguillo hin,
der ihm einige Skalpierhiebe versetzt, dann flugs, vor den erfreu-
ten Luchsaugen seines Herrn auf der Thurm warte, kehrt macht
und entflieht. Dem Soldaten Pero Diez, Diaz, oder Euiz i),
trägt die verabredete Kopfwunde ein Adelswappen ein mit zehn
Blutstreifen, die König Alfonso selbst auf den Schild des Soldado
malt, nachdem er seine zehn Finger in die Wunde getaucht, wie
es Scene XIX vor Augen stellt. Das Blut des Lope de Are-
nas, den eben im Seitencabinet sein Barbier bei der Nasen-
spitze fasst; um ihm, behuf gründlichen Abhauens, den Kopf
hintüber zu stülpen — Lope de Arenas von Dominguillo's
Speer abgezapftes Blut lässt zwar unser Lope nicht vor unseren
Augen fliessen, den Speerwurf aber zeigt er uns doch. Domin-
guillo's meuchelmörderischen Jagdspiess sehen wir in die Cou-
lissen fliegen, gradesweges dem Lope de Arenas in die Schul-
tor. '^) Vorn das Barbiermesser an der Kehle, hinten in der Schul-
ter den Spiess seines Knechtes — originelle Situation eines
mächtigen Hidalgo und Granden von Castilien im 12. Jahrhundert,
vorgestellt im ersten Act eines dramatischen Granden und seines
Namensvetters im 17. Jahrhundert! Der Barbier schreit Zeter
in der Nebenstube ^), über den unbefugten Eingriff eines aus hei-
ler Haut dahergeflogenen Lanzenschaftes in das zunftmässige
Hautabschälungs-Geschäft seines Rasiermessers. Der spanische
Dichter-Grande und Namensvetter lässt jetzt auch den vom Lan-
zenschaft durchbohrten halbrasierten Lope de Arenas auf die
Scene führen, und zwar mit dem Lanzenschaft im Kücken*), ob
auch mit dem Barbiermesser an der Kehle? — das verschweigt
1) Mariana nennt ihn Petrus Ruizins.
2) Quiera el cielo que le acierte
Por la espalda al corazon. (Tirale,)
Las espaldas le pase.
3) Gente, Soldados, Uegad.
4) (Soldados, que sacan ä DonLope, atravesado con un venablo.)
Lope de Vega und sein Lope de Arenas. 279
die Theateranweisung. Lope de Vega lässt den Lope de Are-
nas nach der Schaustellung wieder in die Barbierstube zurück-
führen, wo der Bartschaber mit dem Einseifungsbecken zurückge-
blieben, um nun den Aufgespiessten zu Ende zu barbiren, wenn
nicht über'n Löffel, so doch über'n Spiess. Währenddessen lässt
unser Lope weiter dem zum Lanzenwurf gedungenen Domin guillo
auf Befehl des eilfjährigen Mohreneinseifers, König Alfon-
so's VIIL, die Augen ausstechen i), desselbigen Königs Alfonso,
der, wie uns schon bekannt, die Mohren in der berühmten Schlacht,
gen. Batalla de las Navas^), mit seiner navaja (Schermesser),
seinem heldenhaften Königsschwert, durch die Bank — wie der
„Dorfbarbier Adam die Bauern über Ein Handtuch" — so König
Alfonso die Mohren über ein Schlachtfeldleichen-Laken barbierte,
und auch die Mohren, wie der Dorf barbier die Bauern, mit blu-
tigen Köpfen heimschickte, und zugleich, wie der Jägerbursche
seinen Herrn, jeden der Mohren mit einem Speer im Rücken,
den ihnen, den Mohren, König Alfonso der Katholische erst drei-
hundert Jahr später auszog, damit sie sich gemächlich verbluteten,
üeber Dominguillo's ausgestochene Augen lässt unser Lope
schliesslich den Vorhang des ersten Acts als A^tgendecke fallen,
wie nach einer Staaroperation, die seinen Operirten, den Domin-
guillo, nicht blos vom Staar, die ihn selbst von der Aussicht,
jemals am Staar zu leiden, durch einen Stich in die Krystall-
linse befreit, der zugleich die Augen aussticht.
Im Zwischenact vom ersten zum zweiten Acte hat sich
König Alfonso mit Dona Leone r, Tochter König Heinrichs H.
von England, vermählt, die ihm die Gascogne als Brautschatz
zubrachte. Dafür bringt er ihr die schöne Jüdin Raquel, sei-
nen Schatz, als Morgengabe zu, die er am lendemain seiner Ver-
mählung mit Königin Leonor, in seinem Garten an den Ufern
des Tajo erblickt. Und wie erblickt? Wie König David die
Bathseba, wie König Rodrigo die Cava — im Bade. ^) Garcerän
1) Saquenle los ojos luego.
2) 1212. Vgl. Gesch. d. Dram. a. a. 0. — 3) Zu seinem Vertrauten
und Begleiter Garcerän; im Garten:
^No ves en los cristales, vuelta en hielo
Una ninfa del Tajo, que porfia
Hacer del agua ä todo el cuerpo un velo?
280 ^^^ spanische Drama.
erinnert ihn an David und Bathseba, deren Badeteich dem Kö-
nige der Juden so viele Thränenströme kostete. ^) Ob er — fragt
der wohlgemuthe König — ob Garcerän denn nicht an dem
abgelegten Gewände die Jüdin erkenne? Was hätte er von
einer Jüdin zu befahren? 2) Und be weist i dem besorgten War-
ner sogleich dadurch, wie wenig er sich fürchte vor dieser Jüdin,
dass er ihn fortschickt und mit ihr allein bleibt. Fürserste.
noch par distance, und nachdem er vom Gärtner Belardo Er-
kundigungen über die jüdische Tajo-Nymphe eingezogen^), und
hierauf auch den Gärtner dieser im Tajo-Thau sich badenden
Kose von Saron mit dessen gleichfalls wohlmeinendem Warnungs-
rathe fortgeschickt — und nun auch dann erst mit der Nymphe
furchtlos allein bleibt, als sein treuer Eathgeber Garcerän die
schöne Wasserblume, die Nymphaea judaica, aus dem Tajo in den
Palast versetzt hat, vom besorgnissvollen Warner plötzlich in ei-
nen Gärtner-Kuppler umgewandelt, der aber trotzdem, im Ein-
klänge mit dem spanisch-dualistischen Parallelschema, die War-
nungs-EoUe fortspielt, den König zur Selbstüberwindung und Ver-
schmähung einer, trotz Bad und Waschung, durch ihren infamen
Glauben ^) .schmdteigen Jüdin, ermahnend.
Mit dieser Jüdin trotzalledem im Herzen, betrifft König Al-
fonso seine gleichfalls zärtlich geliebte und, wegen seiner Ab-
wesenheit, besorgnissvolle Königin-Gemahlin, DonaLeonor, beim
Schreiben eines dieser sehnsüchtigen Besorgniss Ausdruck leihen-
den Liebes-Briefchens an ihn. Da knüpft sich ein Situations-
Echospiel zwischen de;ii unbemerkt hinter dem Schreibstuhl der
Königin monologisirenden Könige und der Schreiberin an, die,
als unwissentliches Echo der je letzten Worte des königlichen
Fürsichsprechers mit seiner Bathseba, der Gold-Nymphe des Gold-
1) Que le costo despues fuentes de Uanto
2) ^No ves en los vestidos que es hebrea,
De que ilie pueden resultar enojosV
3) Sabes su estado y su hacienda.
4) Key. Que hare, Garcerän?
Gare. PeDsar
Que es de tan infame ley
Y ganar tan grän vitoria
Como el vencerse ä si mismo.
Echo-Dialog. 281
führenden Tajo in geheimster Herzensfalte — ihrer Feder laut
dietirt, als kämen die Echo- Worte aus ihrem Herzen. „Sage,
Liebe, welches Ende erwarten wir von einem so thörichten An-
fang?'' Sprich, Seele! „Thöricht bin ich." So lispelt der König
für sich — richtiger im geheimnissvollen Zwiegeflüster mit sei-
ner „Seele"; — näher: mit seiner Seele Seele, der Nymphaea
judaica, — noch näher: mit deren würzigen Busendüften seine
Seufzerbedenken mischend — und den Echohauch dieses heim-
lich-eheflüchtigen Aether-Monodialogs soufflirt die Königin sich
selbst in die Feder. ^) Im nächsten Augenblick springt aber schon
das dualistisch -parallele Situations-Echospiel um: Der belau-
schende König schlägt in das Echo seines von der Königin ihrer
Feder soufflirten Echos über, und hallt nun der Königin eigene,
sich vordictirte Worte wieder, mit gleichzeitigem üebersprüng
ihrer Besorgniss in die Besorgniss um sich selbst, beziehentlich
auf die während des Schreibens verlautbarten, wegen seiner Lie-
bestreue gehegten Befürchtungen der Königin. Königin (schrei-
bend): „Ich habe Dich seit gestern nicht gesehen." König (für
sich): „Mit mir scheint sie zu sprechen. 'Gewiss sind es Einge-
bungen, die meine Abwesenheit betreffen." — Königin (schrei-
bend): „Ich ängstige mich zu Tode" ... König (für sich):
„Wollte sie doch das Leid, das sie quält, näher angeben!" —
Königin (schreibend): „Mein Leid ist Eifersucht!" — König
(für sich): „Ach weh! Sollte sie wohl gar Spione angestellt ha-
ben, und wissen, was vorgefallen? Was wird sie beginnen?"^)
1) ßey (para se).
Di, amor, ^Q,\xe fin esperamos
Con un principio tan loco?
Decid, alma, „Loca estoy^'.
Eeina (escribiendo).
Loca estoy . . .
2) Reina (escribiendo).
No te he visto desde ayer. *
Key (Ap.).
Conmigo debe de hablar.
Sin duda que son consuelos
De mi ausencia.
Reina (escribiendo).
Estoy mortal . . .
282 l^as spanische Drama.
Endlich bricht der König das doppelt monologisch-dialogische
Echospiel ab und führt es in ein regelrecht zwiegesprächliches
mit der Königin über, aufs zärtlichste versichernd, dass er selbst
abwesend stets bei ihr sey, so wie er im Augenblick war, und
so auch stets mit ihr verkehre in treuester Herzensgemeinschaft,
abwesend und gegenwärtig zugleich. Diese Scene ist eines der
sprechendsten Beispiele von feiner, sinnreicher Situationserfindung
im spanischen Drama, und ein noch schlagenderes Beispiel von
dualistisch-paralleler Doppelspiegelung ihres krystallartig in Fa-
cetten geschliffenen Geistes. Der König liest nun das an ihn
gerichtete, von der innigsten öattenliebe eingegebene Billet der
Königin, und erwidert ihre zärtlichen Busenergüsse mit der Ver-
sicherung: Sie sey „der Hauch, den er athme und durch den
er lebe" ^) — von dem Hauche nämlich der Busen-Nymphaea, dem
Hauche sub rosa der Eose von Saron, — abgesehen! Immer
Quitte et double! Ein Spiel, das uns auch der schönen Eaquel
nächste in ihrem Bruder Levi und ihrem Vater David vertre-
tene 'Mischpoche', zu deutsch Familie, vorspielt: Bruder Levi,
indem er sich und der Familie zu Schwester EaqueTs Esther-
Nachfolge Glück wünscht; Vater David, der des Schlimmsten
siph von dieser Konigs-Kebsung seiner Tochter besorgt: Eaquel-
chen- Esther könnte von Königin Leonor-Waschti mit einem
Schwert entkebset werden 2), Gott der Gerechte! — Quitte et
double spielt ferner, nach Schluss des Actes, nochmals König
Alfonso zuförderst in einem monologischen Dialog mit den
Key (Ap.).
Oh, si declarase el mal
Que tiene?
Reina (escribiendo).
Mi mal es celos.
Key (Ap.).
Ay*de mi! Si ha puesto espias
Y sabe lo que ha pasado?
^Que harä?
1) Que sois este mismo aliento
Con que respiro.
2) Para matar ä Raquel
Buscarä espada Leonor.
Schlag- und Doppelschatten. 283
Über ihm grollenden Ungewitter- Wolken i), deren Donner- Wetters-
Jupiter tonans er doch selber auf dem Gange zu seiner im Gar-
tenpalast von Garcerän untergebrachten jüdischen Semele ist,
und nebenbei auch der Jupiter ist, der als Tajo-Goldregen 2) sich
in den Danae-Schooss der schönen Jüdin zu ergiessen, auf dem
Sprunge steht. Und spielt gleich Quitte et double in einer dia-
logisch-monologischen Scene mit einer blossen Stimme, die,
als „una Voz" bezeichnet, von „drinnen" (dentro) schallt, ihn
mit dem Beispiel der Cava schreckend in einer gesungenen Ro-
manze. ^) Und zum dritten Quitte et double mit dem ihm dicht
vor dem Eingang in den Gartenpalast erscheinenden Schatten
der Stimme spielt, welcher Schatten ihm zweimal hintereinander
erscheint und zweimal verschwindet, als stummer Warner, Stimme
und Schattenkörper also dualistisch-parallel von einander getrennt
und doch, vermöge des unmittelbar hintereinander, auch neben-
einander, und infolge dessen, den König in einen durchgängi-
gen, den scheinbaren Dialog als seinen Schatten werfenden Mo-
nolog hineinängstigend. Zum viertenmal endlich in der Schluss-
scene des Actes Quitte et double! mit dem herbeieilenden Gar-
cerän, der Doppel-Person aus Jonathan und Ahitophel, die der
erschrockene König im ersten Anprall für einen zweiten Schat-
ten hält 4), den zweiten zu dem verschwundenen' Schatten, den
er aber doch wieder vor der Palastthür erblickt, ihm den Ein-
gang wehrend, wie der König gegen den eben nur als Schatten
von ihm angesprochenen Garcerän bemerkt. ^) Ein zwielichtiger
Doppelschatten also, der sich am äussersten Act-Bnde wirklich
1) Hablan los nubes tronando
Y rasgandos los cielos.
2) Brama el Tajo por salir
A templar aqueste ardor.
3) Rey Alfonso, rey Alfonso,
No digas qua no te aviso . . .
und schliesst:
Advierte que por la Cava
A Espana perdiö Rodrigo.
4) iOtra sombra tenemos!
5) Rey. No piiedo entrar; que porfio,
Y veo una sombra delante.
284 ^^^ spanische Drama.
und leibhaft zum Garcerän Manrique verkörpert, als welcher
mit gezogenem Schwerte unter den eindringlichsten Warnungen
und Abmahnungen dem Könige voranschreitet in den Palast,
durch Schatten und Gespenster mitten hindurch den Weg zur
schönen Kaquel bahnend^), als Abschrecker und Führer zu-
gleich; ein Lockvogel mit Unheil verkündendem Rabengekrächze; —
jener Teufelsbanner, der den Bösen austrieb mit dessen Schweif
als Weihwedel in der Hand.
Das Quitte et double auf der äussersten Kante höchstem
Schwindelpunkt hat sich der dritte Act vorbehalten. Zu aller-
nächst für denselbigen Garcerän, welcher seine Schuld an des
Königs alttestamentlicher Liebschaft vor den von Königin Leo-
nor zusammenberufenen Keichsgrossen abschwört, denen sie, mit
ihrem Söhnlein, Enrique, an der Hand, ihr Geschick klagt und
ihren Entschluss verkündet, nach England zu ihrem Bruder Ri-
cardo (Richard Löwenherz), der ihre Sache verfechten werde;, zu-
rückkehren zu wollen, wenn sie die Verrätherin (die Raquel)
nicht tödten '^), die den König, ihren Abgott, wie ihre Altermut-
ter, die biblische Patriarchin Rachel ihre Hausgötzen, buch-
stäblich in Besitz genommen, um ihn den Blicken zu entziehen.
In Einem Athem bekennt der Schuldabschwörer Garcerän, dass
ihn der König zum treuen Hüter der schönen Jüdin bestellt, und
sagt ihr seine dienstfreundliche Mithülfe beim Ermorden der-
selben zu. ^)
Bleibt Garcerän etwa jetzt bei der Stange? Ei ja doch! Er
spielt, während die übrigen Verschworenen die Raquel und deren
Schwester S i b i 1 1 a metzeln, sein Quitte et double bei König A 1 f o n s o,
als treuer Rathgeber und gewissenhafter Warner fort, und begleitet
1) Gare. Pues meto mano ä la espada
Y entro adelante, atrevido.
Eey. Yo te sigo, Garcerän.
2) 0 matadme esa traidora
0 el (Enrique) y yo —
A Ingalaterra nos vamos.
Donde la casa piadosa
De Kicardo nos snstente.
3) Justisima es la hazana que se inteiita
Digo que por mi parte me apercibo.
König Alfonso und die Jüdin Eaquel. 285
den erzürnten, ob des Strafsermons der Königin Leonor und
seines siebenjährigen Prinzen Enrique entrüsteten König mit
dem Ausruf nach lUescas: „Kann eine Verirrung Dich so ver-
blenden." ^) Und fortstürmt der von Gram und Liebe verblen-
dete König in seinen Achilles-Schmollwinkel nach Illescas, un-
gerührt von Königin Leonor's friedseligen, den Titel der Ko-
mödie las paces de los ßeyes' ihm flehentlich an's Herz legen-
den Besänftigungsworten 2), und nur erfüllt von düstergrimmen
Zorngedanken ob der verrätherischen Ermordung seiner herzge-
liebten Jüdin, mit welcher er eben nur am Badeteiche des Gar-
tenpalastes Galiana so paradisisch traulich geangelt hatte, so lei-
denschaftlich verliebt noch immer nach vielen Jahren, dass die
schöne Anglerin sich selber darüber wunderte. ^) „Meine Liebe" —
so hatte der königliche Angler eben nur geglüht! — „Meine Liebe
grünt frischer denn je. Mein Verlangen nach Dir ist stärker,
als damals, wo zum erstenmal es mich ergriff. Du bist meine
Herrin, meine Königin, meine Göttin, für die ich lebe. Du mein
einzig Gut. Du beherrschest meine Seele, unumschränkter, als
ich mein Reich, denn regiere ich in Castilien, so übst Du immer
die höchste Macht aus und hast meine Seele gewaltig inne.""^)
Fort nach Illescas auf den vom Blut der Geliebten triefenden
Sturmesflügeln racheentbrannter Liebeswuth, in Gemeinschaft mit
seinem Jonathan- Ahitophel, seinem Mardachai-Haman , Manri-
que Garcerän. ^) Welche Liebesinbrunst athmet der ruhelose
1) iQue tanto un error te ciegue!
2) Que bien puedes hacer paces.
3) Eaquel. Tras tantos anos de ärnor,
<jDecis Lisonjas agorä?
4) Key. Mas nuevo es hoy mi desco
Que cuando le puse en vos.
Sois mi sefiora y mi reina,
Sois mi diosa, sois por quien
Vivo, sois todo mi bien;
Sois quien en mi alma reina.
Mayor, Sefiora, sois vos,
Que si yo reino en Castilla,
Vos en mi.
5) Vamos ä Illescas los dos.
286 -l-^as spanische Drama.
König im Gasthof von Illescas! ^ Wie schmachtet und ringt
sein Herz nach der^ grausam Ermordeten! Wie beschwört er
ihren blutigen Schatten, zu verziehen, dass er bald folgen könne,
und sich ihr zugesellen! Wie ächzt und weint er vor dem herz-
zerreissenden Bilde der jammervoll, wie Cäsar von so vielen Ver-
schwörerdolchen, durchbohrten Königin seines Herzens! und welche
schaudervolle Rache schwört er an den meuchelmörderischen
Kronvasallen zu nehmen! 2) Wie lechzt seine Seele nach dem
Glück eines trostvollen Wahnsinns!^) Und wie bewundernswür-
dig ist das dramatische Dichtergenie, das dem tauben Gestein
einer widerspruchsvollen Motivirung solche Funken hinreissender
Affecte, solche Blitze einschlagender Wirkungen entlockt! Und
welchen Zauberschleier wirft es über des Königs Verirrungen,
und wie adelt ihm die himmlische Macht der Liebe selbst den
Gegenstand dieser Verirrungen, die zum verhassten, für den
Spanier greuelvollen Judenthum sich bekennende Raquel, die nur
ein einziges Mal als Anhängerin des „infamen Gesetzes" gebrand-
malt wird — von wem? Von dem Doppelmantelträger auf bei-
den Schultern: Garcerän Manrique! Man möchte schier unsern
Lope für den einzigen spanisch-dramatischen Poeten der H. Offiz
halteuj^ in dessen Sympathien das Liebesfeuer das der Inquisition
und ihres Ketzerfanatismus doch vielleicht überglühte, und es wohl
gar, als das stärkere, hätte auslöschen können — sey's auch mit
einem übernatürlichen Löschhorn, wie in dem Versöhnungsschluss
seiner Judia- Komödie, wo dieses theologische Löschhorn von
König Alfonso's Eachegluth ein Engel ist, der ihm unter himm-
lischen Musikklängen die heftigen Frevelworte verweist'*), zur
1) Posada del Rey en lUescas.
2) Raquel hermosa, mäs que el cielo clara,
Yo morire muy presto: agtiarda, espera.
Parece que me escucha y que se pära.
Ya pensaräs que de tu muerte fiera
No he de tomar vengauza. Espera un poco.
Que no ha de quedar hombre que no muera . .
3) Dichoso yo, si me volviese loco!
4) Alfonso. muy ofendido
Estä Dios de tu palabras , . .
Vuelve en ti. —
Versöhnungs-Frieden des Königspaars. 287
Sühne, zur Aussöhnung mit der Königin umstimmt und den
„Hausfrieden des Königspaars" (Las paces de los Keyes) mit En-
gelzungen predigt. Dem herbeieilenden, ihn gleichfalls mit einer
Engelzunge, als mit der doppelten des bösen Engels als Paradie-
sesschlange, in Einem Athera zur Sühne und zur Sünde schmei-
chelnden Garcerän bekennt sich der König als einen vom
Pferde Gestürzten, aus einem Saulus zum Paulus Bekehrten.^)
In der Barmherzigkeits-Kirche zu Illescas^), bei Toledo, vollzieht
sich nun vor dem Heiligenbilde der barmherzigen Gottesmutter
der feierliche Aussöhnungsact zwischen dem Königspaar (Las paces
de los ßeyes). Hier finden wir schon Königin Leonor vor dem
wunderthätigen Bilde knieen ehefriedensbrünstig. Hier sehen wir
nun auch den König Alfonso in Begleitung seines doppelgän-
gigen An- und Abmahners, Garcerän, vor das Muttergottes-
bild hinknieen, und hier vor demselben die Parallelscene zum
obigen Echo-Monodialog mit der im Lampenhalbdunkel von ihm
nicht erkannten Königin Leonor spielen, indem letztere des
Königs an das Heiligenbild gerichtetes Gebet mit ihrem Gebet an
dasselbe kreuzt. Garcerän hat schon die Doppelzunge zum Bie-
nensaugstachel ineins gewickelt und schlürft heiligen Jungfern-
honig aus des Königs fromm- und friedselig gestimmtem Her-
zen und träufelt ihn dann wieder vom entgegengesetzten Stachel
als puren Himmelsblumen-Nektar abwechselnd in des Königs und
der Königin Inbrunst: König: „Es ist dunkel, ich will laut
zum Himmel schreien!" Garcerän: „Schweigsam vernimm
Gottes Stimme." — König: „Ich weiss es, Freund!" Garce-
rän: „Bitte um Schuldvergebung!" König (knieend): „Diese
erwarte ich." (Betend): „Heilige Jungfrau" ... Königin (be-
tend): „Du weisst" ... König (betend): „Meine Schuld" . . .
Königin: „Dass Du mein Schutz bist" ... König: „Ver-
gieb sie" . . . Königin: „Und da es so ist" . . . König:
„Leite mich" ... Königin: „Vergieb meinem geliebten Al-
fonso" ... König: „Deine Liebeshuld" ... Königin: „Seine
Schuld" ... König: „Himmlischer Stern du" ... Königin:
1) Haz cuenta que ä Pablo ves
Derribado del caballo.
2) Iglesia de la Oaridad en Illescas.
288 Das spanische Drama.
„Erwäge in Gnaden" ... König: „Leite mich" ... Köni-
gin: „Dass seine Liebe" . . ♦ König: „Zu meiner Leonore."
Königin: „Ihn irre geführt." König: „Garcerän!" Garce-
rän: „Was befiehlt mein Herr?" König: „Gehe hin zu Je-
ner, die dort voran kniet, und sag' ihr, sie möchte etwas leiser
beten, denn ihre Klagelaute stören mich." Garcerän, die
Schlange Amphisbäna mit zwei Köpfen, als Busenschlange
in zwei Busen, ringelt nun zu der betenden, im Zwielicht auch
von ihm nicht erkannten Königin, und zischelt ihr die Bestellung
in's Ohr. Die Königin lässt den kommenden Caballero, den sie
gleichfalls nicht erkennt, zurückbestellen, sie bete um einen ver-
lornen Gatten, den selbst Alfonso der Achte an Macht und
Würde nicht übertreffe. Amphisbäna-Garcerän krümmt sich nun
als Ohrwurm wieder zu seines Königs Ohr zurück. Die Königin
flüstert ihrem neben ihr knieenden Prinzchen Enrique zu: Ob
das nicht Garcerän gewesen, dessen zweiten Kopf am Schweif-
ende sie bemerkt haben mochte. Auf der Königin Wink
tuschelt ihre Palastdame Clara dem Garcerän in's Ohr des
hintern Kopfes: Die Betende sey die Königin. Garcerän, mit
der vordem Gabelzunge die Meldung dem Könige in's Ohr. und
so eine Weile hin und her sich ringelnd die Parallelgliederkette
eines vierfachen Ohrenzwiegesprächs, bis König und Königin,
einander entgegenrutschend auf den Knieen, sich in den Armen
liegen und vor der heiligen Jungfrau ihr ehelich ewiges Frie-
densbündniss geloben und schliessen. ^)
1) Key. Oscuro estä —
Quiero dar gritos.
Gare. Callando
Oye Dios.
Key. Ya lo se amigo.
Gare. Pide perdon.
Rey (de rodillos).
Ese aguardo.
Virgen . . .
Reiiia. Muy bien sabeis vos . .
Rey. Mi culpa . . .
Reina. Que sois mi amparo
Rey. Perdonalda.
Reina. Y siendo ansi.
Lopc's Com. *La Moza de Oantaro'. 289
Mögen sich Andere an diesen sinnreichen, neuen, überra-
schenden Situations- und Dialogs -Stickmustern in Kreuzstichen
ergötzen — unser Herz ergötzt daran zumeist das neue, alle
bisherigen Belege verdunkelnde Prachtmuster von spanischem
Parallelschema. Wen aber auch dieses Pröbchen noch immer
nicht von dem Anschauungsgrundbilde der spanischen Gehirne
überzeugt, dessen pia mater ist noch schiefer gewickelt und ver-
dient als Naturspiel in Spiritus aufgehängt zu werden an Mal-
volio's über's Kreuz gebundenen Kniegürteln.
La moza de Cantaro.
Wörtlich übersetzt: „Das Mädchen vom Krug", womit der
Spanier ein Haus- und Dienstmädchen bezeichnet, das der Ber-
Rey.
Vnestro amor . . .
Reiiia.
Mi Alfonso amado.
Key.
Me g'uie.
Reina.
Tenga perdon.
Key.
Pucs sois estreUa . . .
Reina.
Miraldo . - .
Rey.
A mi Leonor . . .
Reina.
Que sn amor . . .
Rey.
Me Uevad.
Reina.
Le trae turbado.
Rey.
jGarcerän!
Gare.
Seiior, ^Que tienes?
Rey.
Llega a quien estä rezando
Aqui delante, y diräs
Que rece un poco mas bajo;
Que me divierten sus quejas.
Gare.
(ä la Reina).
Cierto hidalgo apasionado
Suplica ä vuestra merced,
No que suspenda su Uanto . . .
ixias que un poco
Baje la voz . . .
Reina.
, Decid, Senor, a ese hidalgo
Que yo he perdido un mando
Tal, que aunque entre Alfonso Octavo
No es mejor . . .
X. 19
290 ^^^ spanische Drama.
liner „Mädchen für Alles" nennt. Lope's „Mädchen für Alles"
ist Alles, nur kein solches Mädchen. In seiner Moza de Cantaro
steckt nämlich eine Verwandte des herzoglichen Hauses der Me-
dina-Sidonia 1) , und ausserdem ein Cid im Unterrock. Dona
Maria rächt die ihrem Vater, DonBernardo, gegebene
Ohrfeige an deren Austheiler, Don Diego, mit einem Dolch-
stosse, der ihn als todt niederstreckt. Sie rettet sich vor ge-
richtlicher Verfolgung durch die Flucht, tritt bei einem namen-
losen Amerikaner als moza de Cantaro in Dienst, und geht
so lange mit dem Kruge zum Brunnen, bis ihr in der ersten
Scene gefasster Vorsatz: keinen Mann zu lieben und zu hei-
rathen'-), in Scherben bricht, und der junge Caballero, Don
Juan, die herzogliche moza als seine Gattin, vom Brunnen weg,
heimführt. Das Alles ereignet sich an verschiedenen Orten:
zu Konda in Andalusien; in einer Schenke des Städtchens Ada-
muz und schliesslich zu Madrid. Die Stadt Konda ist durch
ihre Schmuggler und deren Geschäftsfreunde, die Gebirgsräuber,
berühmt. Dort werden die Don Diego-Ohrfeigen in des Cid Con-
trebande-Kisten eingeschmuggelt und finden reissenden Absatz;
nicht minder die Dolchstiche, besonders auf der am 20. Mai ab-
gehaltenen Jahresmesse. Lope's andalusische Cid-moza aus Ronda
schlägt beide Klingen handfertig und geläufig, wie andere Mozas
ihre Castagnetten; beide: Ohrfeigen und Dolchstösse. Das Mäd-
chen für Alles theilt am Brunnen den kecken Burschen mit der
linken Hand Maulschellen aus und mit der rechten Messerstiche.
Offenbar hat Lope in dieser Comedia ein landschaftliches Sitten-
und Costümbild beabsichtigt, durch welches sich die stereotypen
Motive der spanischen Liebeskomödie anmuthig winden und flech-
ten sollten. Das Hauptlicht fällt auf das Pittoreske. Unter den
1) Doiia Maria.
Tengo deudo, como sahes,
Con el duque de Medina. 1,1.
2) Yo no tengo de querer
Hombre humano . . .
No me puedo sugetar,
Si es sugetarse el casar
No he de casarme.
Freier-Liste. 291
musikalischen Instrumenten, die den landschaftlichen, am blumigen
Ufer des Manzanares getanzten Reigen aufspielen, vermischen sich
mit den Klängen der Trommelschellen auch die der Maulschel-
len, und mit denen der Bockspfeifen auch die der Backpfeifen.
Wie in Shakspeare's „Kaufmann von Venedig" Tl. 2.) das
Kammermädchen Nerissa eine Liste von Werbern ihrer Herrin
Porcia in Parademarsch vorführt, die sämmtlich von der schönen
und geistreichen Dame von Belmont mit den witzigsten Pointen
über jedes Einzelnen Charakter und Lächerlichkeiten in den Korb
geworfen werden: in ganz ähnlicher Weise zerreisst Dona Maria,
wenn gerade nicht, wie Porcia, die Persönlichkeiten, so doch die
abgeschmackten, von ihrer Dienerin Luisa, vorgelesenen Liebes-
briefchen ihrer Freier (1. 1). Einen von Dofia Maria's eifrigsten
Bewerbern, Don Diego, trifft dasselbe Geschick, trotz seiner
kostbaren Geschenke, bleibt er in ihren Augen als Ehebettgenosse
ein Nachtspuk , ein Nachtalp. ^) Während dieses Gesprächs hat
sich Don Diego's auch von Dona Maria's grausamem Vater, Don
Bernardo, ausgeschlagene Hand in eine ausschlagende umgekehrt,
deren noch frische Spuren Don Bernardo mit seinem thränen-
durchnässten Schnupftuch bäht und brühwarm seiner Tochter wei-
nend zuträgt.^) In der zweitnächsten Scene steht schon Dona
Maria vor dem, wegen der Ohrfeige verhafteten Don Diego,
entschleiert sich, und ermuthigt ihn durch verstellte Zärtlichkei-
ten und Versöhnungsvorschläge so täuschend, dass er den Liebes-
bund mit einer Umarmung besiegeln zu dürfen bittet. Darauf
wartet nur die eiserne Jungfrau mit dem Schwerter-Arme —
Klapp! hat er ihren Dolch im Leibe sitzen. Don Diego stürzt
nieder. Dona Maria ruft dem Hingestreckten zu: „Solche Tha-
ten verüben mannhafte Frauen!"^) und enteilt. Don Diego
stirbt vorläufig in den Armen seines Freundes Fulgencio, reu-
müthig ob des Handschlags, womit er sich dem Vater der Dona
Maria als Schwiegersohn zu verpflichten und zu geloben dachte.
So rasch wie dieser, versetzt uns die Scene auf eine Strasse
1)
jde noche Visiones!
2)
salid, lagrimas, salid.
3)
Pues estas hazaiias hacen
Las inujeres varoniles.
19=*
292 I^^s spanische Drama.
in Madrid, wo El Conde, schlechtweg „der Graf", seinen Freund,
Don Juan, von seiner Liebeswerbung bei einer reichen, jungen,
schönen Wittwe, Dona Ana, unterhält, behufs deren Gewinnung
für seinen Herrn sich des Conde Lakai, Martin, hinter die Zofe
der reichen, schönen, aber schwer zugänglichen Wittwe steckt.
Dank der Zofe, befindet sich Conde mit Don Juan schon in der
folgenden Scene im Empfangzimmer der unnahbaren jungen
Wittwe, die endlich zum Vorschein kommt, und in tiefer Trauer.
Conde insinuirt sich mit einem Schreckschuss. Er fabelt der
schönen Wittwe eine Spielschuld von 6000 Ducaten vor, die er
bei ihrem Seligen noch gut habe, was ihm die beiden Begleiter,
Martin und Don Juan, auch sofort bezeugen. Die Erklärung
auf den Schreckschuss, dass er der Wittwe seines Schuldners nicht
blos seine Forderung, sondern sich selbst mit all seinem Hab und
Gut zu Füssen lege, gewinnt ihm zunächst die Erlaubniss, sie
wieder besuchen zu dürfen. Conde entfernt sich. Don Juan
will ihm folgen. Doiia Ana, die schöne Wittwe, hält ihn zu-
rück, um ihm unter vier Augen eine aus der Pistole geschossene
Liebeserklärung zu machen, i) Für Don Juan: ein Rückprall von
des Conde Schreckschuss auf ihn. Er schützt seine Freundschaft
fü den Conde vor. Alles vergebens. Eine junge, reiche Madri-
der Wittwe, die aus dem Stegreif Feuer gefangen, ist ein an-
ticipirter, sechsläufiger Revolver, eine sechzehnröhrige Mitrailleuse.
Don Juan entfernt sich, mit so viel Schusslöchern im Leibe, als
deren die Zielpuppe im Schiesshaus aufweist. Die Freischützin
knallt ihm noch in den Rücken nach: Nur mit ihm, mit Don
Juan zusammen, dürfe Conde sich vor ihr sehen lassen. 2)
Im Wirthshause des Städtchens Adamuz^) tritt Dona
Maria auf, in Reisehut, Mantel und die Büchse — nicht etwa
Schmuck oder sonstige Toilettenbüchse, sondern Musketenbüchse
— in der Hand; eine Judith, mit welcher sie sich in ihrem
1) Quando el Conde mi mirö
Me dio ocasion de quer er os.
2) No sin vos, y con vos si.
3) Grenzort zwischen Andalusien und der Sierra Morena, von dem
das Sprichwort geht: „Adamuz pueblo sin luz*': „Adamuz, Dorf ohne
Licht."
Verwaiste Wittwen-Liebe. 293
Selbstgespräch vergleicht, für jedweden Holofernes. ^) Dem Ame-
rikaner (Indiano) gegenüber, der mit ihr zugleich eingetroffen,
giebt sie sich für ein dienstsuchendes Mädchen aus. Der India-
ner bietet ihr einen Dienst in seinem Hause an, den die ent-
schlossene Andalusierin annimmt. Der transatlantisch-spanische
Indianer, Puter, Truthahn, schmeichelt sich im Stillen, seine
Truthenne gefunden zu haben, worüber der Maulthiertreiberbur-
sche (mozo de mulas) seine geheime Glosse anbringt. ^) Sie aber
denkt sich: Probir' er's doch, der indianische Holofernes, wenn
er mit meiner andalusischen Büchse, Stutzer oder Muskete nähere
Bekanntschaft zu machen Lust hat!
Den zweiten Act eröffnet eine Soiree-Toilettenscene bei Dona
Ana, vcfn welcher des Conde Diener, Martin, seinem im Vor-
saal harrenden Gebieter einen Vorschmack im Style des estilo
culto, des Gongorismus, giebt, den Lope schon einmal, gleich in
der ersten Scene dieser Komödie, durch die Hechel zog ^), in der
vorbehältlichen Weise, wie jener seinen Löffel in die Schüssel
legte, die er für sich in Anspruch nahm. Dona Ana erscheint
bald in schmuckem Putz (en häbito galan) vor dem Conde und
dessen Besuchs- Anhängsel als conditio sine qua non bei der schö-
nen Wittwe , Don Juan. Conde recitirt ein Sonett, das er
1) Del cielo quiere que espante
A un Holofernes Gigante
Ulla Judit valerosa.
2) Mozo (Ap.). Convertirse quiere en ama.
„Sie will die Maitresse werden."
3) Pues ^no entiendes culto? fragte Luisa ihre Herrin, Dona Maria.
Und hier, in der ersten Scene des zweiten Acts, lässt er Martin die Mu-
sen der Cultisten, behufs würdiger Schilderung von Dona Ana's Toi-
lette, bei der er gegenwärtig war, anrufen:
Cultas musas dadme aqui
Un ramo blanco de Azabar
De las huertas de Valencia
0 jardines de Sevilla . . .
Culto-Musen spendet mir
Einen Ponieranzenzweig
Aus den Garten von Valencia
Oder aus Sevilla's Parken . . .
294 I)as spanische Drama.
gelegentlich der Besetzung von Cadix durch ein englisches Ge-
schwader^) verfasst zu haben versichert. Hierauf liest die Ver-
anstalterin der kleinen häuslichen Abend-Academie, die reizende,
junge, Zweimonatswittwe, Dona Ana, ihr Sonett, worin sie unter
dem Namen 'Pilis' auf ihre zärtliche, aber unerwiderte Leiden-
schaft für Don Juan und auch die ihr lästige Liebe des Conde
zartverblümt und cultistisch anspielt. Was muss 'Filis' als
Erwiderungssonett, das Don Juan aus dem Stegreif vorträgt,
vernehmen? Eine liebesleidenschaftliche Vergötterung der Moza
del Cantaro, die sich hier Isabel nennt, und in die Don
Juan, am Brunnen beim Wasserschöpfen mit ihrem Kruge, sich
schon Sterbens verliebt hat. 2) Die brillante Wittwe findet Don
Juan's Stegreif-Sonett, und noch mehr seine Stegreif-Liebe für
seine Wassernymphe, seine Hebe mit dem Wasserkruge in Ge-
stalt eines Mädchens für Alles, abscheulich. 3) Sie erklärt die
alberne Verherrlichung eines solchen Gegenstandes, in ihrer Ge-
genwart, für eine ihr angethane Beleidigung *), und entfernt sich
voll Zorn und Entrüstung.
Zu dieser Scene liefert die zwischen dem I n d i a n o und der
als moza gekleideten Dona Maria einen pikanten Abstich. Schon
wandelten den Indianer Holofernes-Gelüste an. „Einen Schritt
weiter" — erklärt Moza-Isabel dem bis auf die Strasse sie ver-
folgenden indischen Brünstling — „und keine Stunde länger bleib'
1) 1. Juli 1595, unter Admiral Charles Howard. Ein Handstreich des
Grafen Essex, als Revanche für die Armada-Expedition. Nach Plünderung
und Verbrennung der Stadt zogen die Engländer wieder ab, ohne den min-
desten Widerstand vonseiten der spanischen Regierung zu erfahren. Auf
diesen für Philipp's II, letzte Regierungsjahre nicht sonderlich rühmlichen
Vorfall dichtete auch Cervantes ein Sonett, aber ein geharnischtes. Lo-
pe's fliesst von Verherrlichung des Königs über.
2) Lo que me ha muerto y rendido
Moza de Cantaro ha sido . . .
3) Males versos
ün Caballero discreto
^Escribe a tan vil sugeto?
4) Y toca en descortesia
Tan necio encarecimiento.
Liebeserklärung am Brunnen. 295
ich in Ihrem Hause, i) Der Amerikaner stürzt wie ein begosse-
ner, von der moza de Cantaro mit ihrem Krug begossener Pudel
davon, und zurück in's Haus. Dem ihn ablösenden mit Liebes-
schwüren sie bestürmenden Don Juan giesst sie, trotz ihrer
geheimen Neigung für ihn, einen dämpfenden Wasserstrahl aus
ihrem Kruge in sein Liebesfeuer, sobald dieses Miene macht, in
bedrohlicher Weise um sich zu greifen. 2) Nur seiner innigen
Erklärung, dass er ihre Seele anbete, dass Liebe keine blos kör-
perliche Begierde sey, entwaffnet sie und gewinnt auch ihr das
Geständniss ab: er sey der erste Mann, dessen Liebesbewerbung
sie gestatte.^) Mit schüchterner Zartheit bittet nun Don Juan,
ihre Hand fassen zu dürfen, vor der er eine heilige Scheu fühle,
seitdem er dies feine Händchen so geschickt die blanke Waffe
habe schwingen sehen. „0, Ihr kennt mich noch nicht" — ver-
setzt das Mädchen aus Eonda, dem berufenen Schmuggler- und
Räuberneste — „ich habe, bei Gott, einen Mann getödtet, wie
Ihr mich da sehtl^'^^ —
Gegen die Kruggenossin, Leonor, die unserer Moza die
Ungleichheit des Standes, ihres und Don Juan's, zu bedenken
giebt, schüttet Dona Maria, oder Moza Isabel, noch ganz an-
ders ihr Herz aus; in so vollen Güssen eingestandener Liebe für
Don Juan, in so vollen und überströmenden, wie in ihren Krug
1) Que si esto adelante pasa,
No estay una hora en su casa.
2) Estense quedas las manos
Y aun los pensamientos quedos.
3) Don Juan. Que tambien quiero yo el alma:
No todo el amor es cuerpo . . .
Da Maria. Y asi, pues alma quereis
Digo
Que el primer hombre sois vos
A quien amor agradeseo.
4) Don Juan. ^iPodre tomarte una mano?
Aunque por Dios que la tema
Despues que la vi tan diestra
Esgrimir el blanco acero.
Da Maria. Pues vos no me conoceis:
Por Dios que algun hombre he muerto'
Aqui donde me mirais.
296 Das spanische Drama.
aus dem Brunnenquell stürzen. Diese und die folgenden Brun-
nenscenen, an welchen sich Don Juan, die eifersüchtige Doiia
Ana, und die Lakaien betheiligen, worunter Pedro, ein ächter
Majo, Geck, Putznar, ßaufbold, und der die Moza de Cantaro
mit Teufelsgewalt zum Liebchen pressen und auspressen zu wollen
schwört — sind Meisterzüge nationaler Volksbilder, dergleichen
wir wohl bedauern könnten, beim grossen britischen Dichter allzu-
spärlich und nicht in so glänzend-pittoreskem Colorit zu begeg-
nen, wenn er uns dafür nicht durch seine unendlich tiefe, histo-
risch-psychologische Ideengestaltung schadlos hielte, die es ver-
schmäht, ihre von innen herausleuchtenden Seelenfarben an pitto-
resken, äusserlich schmucken, landschaftlichen Sitten-, Costüm- und
Volksfiguren-Bilderchen zu vergeuden. In einer dieser Scenen am
Brunnen bespricht Dona Maria mit der Magd Leonor, wäh-
rend sie ihre Krüge füllen, das verbreitete Gerücht von einem
Fräulein, das einen Caballero wegen eines ihrem Vater zugefüg-
ten Schimpfes ermordet und deren Verfolgung der König verbo-
ten habe, womit die Lösung des Komödienknotens kunstgewandt
aus wohlberechneter Ferne vorbereitet wird, ohne Schädigung der
brillanten Feuerwerke von Eifersuchts-Conflicten zwischen Dona
Ana und Dona Maria, der vermeinten Moza de Cantaro, we-
gen Don Juan's, und des Lakaien Pedro wegen der Moza, als
Gegenbild — ein Feuerwerk, das mit einer von der Moza de
Cantaro auf Pedro's unverschämte Backe abgebrannte Ohrfeigen-
Petarde verpufft und verknallt. Das Mädchen vom Wasserkrug
hantirt zugleich mit einem Feuertopf (pot-ä-feu) voll Ohrfeigen-
Petarden, deren Knalleffect den trefflichsten Actschluss bildet,
wie hier der auf Pedro's Backe platzende Pulverfrosch wirksam
und vergnüglich den zweiten Act schliesst.
Des dritten Acts erste Lakaienscene liefert noch die Nach-
wirkung zur Schlusspetarde des zweiten. Nicht gewitzigt und
nicht abgeschreckt von des Krugmädchens gegen Pedro's Backe
ausgeführtem Handstreich, wagte Lakai Lorenzo sich trotzdem
verwegentlich in den Schwungkreis von Isabel's Wasserkrug —
flatsch! hat er Eins weg, noch hinter der Scene, und betritt
diese mit einem gewaschenen Kopf, dessen Scherben er mit
beiden Händen zusammenhält, jammernd, dass der Krug
nicht an seinem Schädel, sondern dieser am Krug zerbrochen
Die Moza als Kammermädchen. 297
ward. 0 „Komm an, begossenes Huhn!'' schwingt Dona Moza
noch einmal den schädelspaltenden 'Cantaro'.^) Pedro warnt
ihn vor IsabeFs Gürteldolche — der seine Proben bestanden, „und
eingelernt ist auf die Stiche!" höhnt die Wettersnixe. ^^) Aus
ihrem Zwiegespräch mit Leonor erfaln-en wir, dass unsere ver-
meinte Moza den Dienst des Amerikaners oder Indianers verlas-
sen, vernehmen bei dieser Gelegenheit aus ihrem Munde eine
pittoreske Schilderung ihres mit andern Brunnenmädchen am Ufer
des Manzanares ausgeführten Tanzes: Eine vom Dichter in den
dritten Act eingelegte Spielwalze, zur Glorification des Königs-
paars, Felipe flV) und Isabel, die auf ihrem Spaziergang am
Flusse als „himmlische Erscheinungen" den Volkstanz überrasch-
ten. Als geschickter Komödien-Eoutinier lässt der Dichter aber,
passenden Ortes, seine Spielwalze wieder in den Ton des Stückes
einstimmen. Die Moza hat unter den Zuschauern des Tanzes —
erzählt sie der Genossin — den Don Juan erblickt, und den
sich ihr schmeichlerisch nähernden Galan mit allen Stacheln der
Eifersucht als „Verräther" abgewiesen. Gleich darauf finden wir
sie im Salon ihrer Nebenbuhlerin, Dona Ana, welcher sie, als
Ursache des verlassenen Dienstes beim Amerikaner, dessen unge-
bührliche Zumuthungen angiebt, nachdem sie drei Diebe aus
seinem Zimmer mit blanker Klinge verjagt hatte. ^) Nicht eine
Dona Maria, einen verkleideten Schmuggler oder Sierra-Morena-
ßäuber aus ßonda sollte man hinter dieser andalusischen Undine
vermuthen, die aus ihrem Bauernkruge Schwerter, Dolche und
Gürtelmesser, statt Wasserstrahlen, den Leuten über die Köpfe
schüttet. Dass Dona Maria sich als Kammermädchen bei ihrer
Kivalin verdingt, dass diese sie in Dienst nimmt, als Köder für
1) jAy, que me ha descalabrado!
2) Liege el lacayo gallina.
3) Pedro. Daga trae en la pretina.
Da. Maria. Y aun ensenada a matar.
4) — tome SU espada (des Iiidiano)
Y äunque ya se defendieron,
Por la ventana salieron,
Y esto ä para cuchillada.
298 I)as spanische Drama.
Don Juan, um ihn an ihr Haus zu fesseln i); dass Don Juan
sich drein findet und mit der vom Wasserkmg zur Kammerzofe
seiner aufdringlichen Wittwe avancirten Moza das Hochzeits-
pathenamt bei seinem mit Dona Ana's Dienerin, Leonor, ver-
lobten Diener, Martin, übernimmt; dass der verschmähte und
nur Don Juan's wegen geduldete Conde trotzdem fortfährt,
schöngeistige im damaligen Salonstyl witzelnde Süssholzgalanterie
der reichen und schönen Wittwe vorzuraspeln, das mögen alles
treffliche Züge, lauter zeitgetreue Sitten- und Gesellschaftsbilder
nach dem Leben seyn: als Pinselstriche eines guten Lustspiels,
kunstreich in die Handlung einer in die höheren Sphären spie-
lenden Komödie verwoben, können wir solche Meisterstriche so
wenig gelten lassen und preisen, dass uns diese von einem Fran-
zosen 2) als mustergültig und studirenswerth empfohlene „geist-
reiche" Scene vielmehr als trübender Firnissüberzug, als eine das
Gemälde verdunkelnde Deckpaste erscheinen muss. Auch das
will uns nicht von absonderlicher Kunstfeinheit im Lösen dieser
Lustspielverwickelung bedünken, dass Conde plötzlich auf die
Mittheilung jenes den Vorfall zu ßonda betreflenden Gerüchtes
überspringt, wonach eine junge Dame, geborne Guzman el Porto-
Carrero, deren Vater mit dem Herzog von Medina-Celi verwandt,
einen Edelmann, ihren Liebhaber, getödtet habe^), um den
Schimpf, den dieser ihrem greisen Vater durch eine Ohrfeige an-
gethan, zu rächen. Indessen sey — berichtet Conde weiter —
die Sache durch den König zwischen den beiderseitigen Familien
beigelegt, und er, Conde, vom Herzoge Medina-Celi mit dem
Auftrage beehrt worden, die entflohene Dame ausfindig zu ma-
chen. Doch mag auch diese, in dramatischer Beziehung, unserem
ürtheile nach, nicht eben preisenswerthe, und was Salon- und
1) Mirad si estais obligado,
Y como he sabido hacer
Que vos me vengais ä ver,
No como hasta aqui, forzado.
2) ,,La por^e de cette scene charmante merite d'etre etudiee/* Eug.
Baret., Oeuvres dram. de Lope de Vega etc. Paris 1870. 11. p. 402. n. 1.
3) Mato en Eonda cierta dama
üu Caballero su amante.
Der Krug im Wappen. 299
Gesellschaftston betriift, auch gerade nicht delicate und ge-
schmackfeine Scene, trotz alledem zum Belege dienen, dass ein
achtes Dichtergenie selbst im Verfehlten seine Hand im Spiele
hat, und mit einer leisen Wendung seines Gottesfingers die Wür-
fel zu seinem Vortheil könne fallen machen. Gedachte Scene
veranlasst, unbeschadet ihrer innern Halt- und Gehaltlosigkeit,
ein tete-ä-tete zwischen Don Juan und der verkappten Moza,
eine Situation von schönster Theaterwirkung, und die auch schon
ein Ausruf des Don Juan, bezüglich der gerächten Ohrfeige, und
ein Aparte der Dona Maria in der beregten Scene vorange-
deutet. 1) Die Situation ist spannend, theatralisch anmuthend —
die Situation an und für sich. Ob ihr der Dichter in der Aus-
führung genug gethan, dürfte dessenunerachtet dahingestellt bleiben.
Doiia Maria erklärt dem Geliebten ihren Entschluss, zu ihrer
Familie zurückzukehren, lässt ihn aber, inbezug auf diese Familie,
im Dunklen, wie zärtlich und herzlich er sie um näheren Auf-
schluss bitten mag, und entfernt sich, ihn einem Monologe über-
antwortend, der mit ihm zugleich in der Schwebe bleibt, und in
einer für das dürftige Resultat des tete-ä-tete zu wortreichen
Scene, inbetracht des Monologes eigener Länge, viel zu langen
Schwebe, die der epigrammatische Stachel gerade um die
Schlusspointe nur noch verlängert: „Wenn Du von so adeliger
Herkunft wärest, wie Du schon bist: dann glaubte ich zu
meiner Ehre Deinen Krug in mein Wappen aufnehmen zu
1) Don Juan.
— jValiente esfuerzo!
Diera por ver esa daraa
Todo quanta hacienda tengo.
Dona Maria (Ap.).
Turbada estoy, encubrir
Puedo apenas lo que siento.
Don Juan.
— „Tapferes Erkühnen!
Um zu sehen diese Dame,
Gab' ich mein Vermögen hin.
Doila Maria (beiseit).
Ganz verwirrty vermag ich kaum,
Zu verbergen, was ich fühle.
300 1^3,8 spanische Drama.
dürfen, denn alsdann würde, angesehen seines ihm jetzt schon
zukommenden Werthes, Amor seinen Töpferthon in Silber ver-
wandeln. *' ^)
Des Conde, dem stereotypen Winkellauschen gemässes Be-
horchen von Don Juan's eifriger Fürsprache zu seinen Gunsten
bei der schönen, für den Fürsprecher glühenden Wittwe, möchte
die Knotenlösung wohl auch kaum kunstreicher gestalten und
noch weniger die bis zuletzt sich treu bleibende Aufdringlichkeit
der Wittwe gefälliger und einer Salonscene zukömmlicher erschei-
nen lassen. Wirkt sie doch auf den Winkelhorcher, den Conde,
nicht anders, als ob er ein blosser Zuschauer wäre. Plötzlich aus
dem Verstecke vortretend, erklärt sich Conde bereit, dem Don
Juan das angebliche Freundschaftsopfer zu bringen, und ihm die
reiche, die junge und schöne Zweimonatswittwe als Ehegenossin
zu überlassen, mit der Versicherung: dass, wenn er, Conde,
hätte vermuthen können, wie feurig die Wittwe um Don Juan
sich bewerbe, er, Conde, ihr nicht Hand und Herz würde angetra-
gen haben, textgetreuer: sie nicht geliebt haben würde. 2) Tief-
gerührt bedankt sich Don Juan schönstens bei dem opferfreu-
digen Conde für diesen Freundschaftsbeweis mit der Gegenver-
sicherung, dass er, Don Juan, niemals eine Frau werde lieben
können, die um seinetwillen einen solchen Freund hätte verlassen
können.^) Halt! — tritt Dona Ana vermittelnd zwischen die
beiden opferwetteifrigen Freundschaftsritter — „noch steht es bei
mir, mich und meine 100,000 Ducados ohne Anhang, ohne Schwie-
gereltern und Schwager, was mindestens ebenso viel werth ist
unter Brüdern, einem ehrenwerthen Caballero hinzugeben, wie ich
1) Que si tienes nobleza y hermosura
Del cantaro por armas pienso honrarme;
Que con el preraio con que ya se trata
Amor le volverä de barro en plata.
2) Que a saber, cuando la vi,
Que OS tenia, tänto amor,
No la amara . . .
3) No quisiera yo querer
A quien os deja por mi.
Die spanische Comedia und das Zartgefühl. 301
denn alsbald auch zu thun willens bin. i) Der spanischen Co-
media, weltberufen und in allen Zungen hochgepriesen und be-
wundert ob ihrer Feinheit — das Feinste, Zarteste, der Rosen-
duft, das geistigste Aroma, die Poesie jeglichen Verkehrs, der
Liebesbeziehungen insonderheit, der Aether des feinen Conver-
sationslustspiels, sein höchster Reiz, fehlt ihr doch: die Delica-
tesse; nicht blos die der französischen Hofkomödie: das Fein-
gefühl für die Etiquette der Umgangsformen — es fehlt ihr die
unendlich höhere, die poetische Delicatesse, die Herzens-, die
Seele ndelicatesse. Wunderliche Erscheinung ! Die spanische
Mantel- und Degen-Comedia, aus der transscendentalen Ritterpoe-
sie der Troubadoure, aus der limosinisch- aragonischen, aus der
galizisch-castilischen Hoflyrik, aus den höfischen Liederbüchern
hervorgeblüht — sie ermangelt des köstlichsten Parfüms fein-
empfindender Geister und Herzen, des als Seelen hauch min-
nenden Zartgefühls!
Nach einem Aparte-Kampfe , angesichts der im glänzendsten
Toilettenschmuck als ßrautpathin von Martin und Leonor in
die Schlussscene eintretenden Dofia Maria; nach einem im In-
nern, zwischen den Bedenken wegen der unadeligen Geburt der
vermeinten Moza de Cantaro und seiner Liebe, als Aparte-Mono-
log, ausgefochtenen Kampfe, und erst nachdem er, als Ergebniss
dieser Innern Ausfechtung, die üeberzeugung gewonnen, dass die
Natur unmöglich eine so erlauchte Seele, ein so hoheitsvolles
Wesen, das nur eine gold- und edelsteingeschmückte Vase von
Krystall zu umschliessen würdig sey, in ein irdenes Gefäss, in
eine plebeische Schale habe senken können'^) — erst nach dieser
1) Libre, ä mi misma me doy,
Y dare luego, si quiero
A un honrado caballero
Mujer y cien mil ducados
Sin suegros y sin cunados,
Que es otro tanto dinero.
2) D. Juan. (Para si.) Amor, si en esta mujer
No estä oculta la nobleza,
La calidad y la sangre
Que por lo exterior se muestra,
302 I^3,s spanische Drama.
dem Busenkampfe abgerungenen und ausgesprochenen Ueber^eugung
erklärt Don Juan vor der ganzen Komödiengesellschaft, dass
die Liebe, inkraft ihrer Unbesiegbarkeit, ihn bestimme, sich mit
Isabellen zu vermählen. Berufung und Beschreiung vonseiten
des Conde, der ihm das Leben zu nehmen droht, eh' er eine
solche Niedertracht, einen solchen der hochadeligen Familie des
Don Juan von dem unwürdigen Sprössling zugefügten Schimpf
dulde. „Hola, Lakaien, hinaus mit der Malefizhexe! werft sie
hinaus auf den Flur und schlagt sie todt!"^) Da Isabel noch
immer schweigt, fängt dem hochadeligen Don Juan selber an,
das Herz mitsammt der unbesiegbaren Liebe in die Schuhe zu
fallen. 2) Da muss denn freilich die Moza aus ihrem Wasser-
jungfer-Incognito heraustreten und sich als die Verwandte des
Herzogs von Medina, als die bewusste, von ganz Spanien gefeierte
Ohrfeigenheldin und Eächerin, zu erkennen geben. Nun darf
gedeckt von Dona Maria 's herzoglichem Wappenschilde, Don
Juan 's Herz wieder von unbesiegbarer Liebesmacht schwellen.
Nun darf er der Ebenbürtigen die Hand reichen und sie in seine
Arme schliessen. ^'^) Und nun darf, ja muss, da Don Juan ilir
unwiderruflich entrissen ist, auch Wittwe Dona Ana, die nur
auf diese ünwiderruflichkeit gewartet, sie darf und muss nun sich
und ihre 100,000 Ducados dem Conde als Nothnagelmann an den
(i^Que es lo que quiso sin causa
Hacer la naturaleza,
Pues pudiendo en un cristal
Guarnecido de oro y piedras
Puso en un vaso de barro
Alma tan ilustre y bella . . .
j) Conde. Vive Dios, quesi es de veras,
Que antes os quite la vida
Que permiter tal bajeza!
|Hola! Criados, ecliad
Esta mujer hechicera
Por un corredor, matadla.
2) D. Juan. jAy Dios! Sn bajeza es cierta,
Pues calla en esta ocasion
Ya no es posible que pueda
Ser mas de lo que parece.
3) Dame tu mano y tus brazos.
Lope's Com. 'El castigo sin venganza'. 303
Hals werfen, und Conde, der arme Lückenbüsser als Komo-
dienfigur wie als Gatte , kann, mit seiner Schlussansprache an's
Publicum, zuguterletzt noch einen Stein im Brett unserer Ge-
schichte gewinnen; mit seinem Schlusswort zur 'Mozade Cantaro',
dessen literarhistorischer Werth den poetischen der Comedia
überwiegt; mit seiner im Namen des Dichters an die Zuhörer
gerichteten Schlussbefürwortung, die, im Falle der Dichter, be-
züglich der Moza-Komödie, den Process verlöre, an die 1500,
schreibe, tausend fünfhundert Comedias appellirt, ein Sümm-
chen , das ihm wohl Verzeihung und Losspruch erwerben 0 und
den 100,000 Ducados der schönen Wittwe sich so ebenbürtig er-
weisen dürfte, wie das Familienwappen der als Verwandte des
Herzogs von Medina-Celi entmummten Moza sich dem Ritter-
Schilde des Don Juan als gleichbürtig kundgab.
ETCastigo sin Venganza
(Strafe ohne Rache).
Hat eine Stiefmutterliebe zum Thema: das alte Eheübel von
Phädra bis zu Byron's Parisina, und so vieler anderer reizender
Stiefmütter, deren Schattenbild ein leichtsinniger Vater als Teu-
fel an die Wand seines Alcovenbettes aus zweiter Ehe malte.
Casandra, Herzogin von Mantua, Byron's Parisina, ist
Lope's verhängnissvolle Stiefmutter, um die des Duque de
Ferrara natürlicher und zärtlich geliebter Sohn, CondeFede-
rico, für den Vater wirbt, während dieser den ganzen ersten
Act bis tief in den zweiten hinein mit verschiedenen andern Lieb-
chen kost und buhlt, üngleicli poetischer als Byron, lässt Lope
den unseligen Jüngling an der verheimlichten Liebesflamme sich
verzehren und hinsiechen. Der herzogliche Vater und sein Hof
1) Conde. Aqui
Pues fin ä la Comedia
Quien, si perdiere este pleito,
Apela ä Mil y quinientas.
Mil y quinientas ha escrito:
Bien es que perdon merezca.
304 ^^s spanische Drama.
stellen des Sohnes tiefe Schwermutli der durch des Vaters Ehe
getäuschten Hoffnung auf die Thronfolge in Rechnung. Der Her-
zog schlägt dem Sohne, auf übereinstimmenden Rath der Ferra-
rischen Aerzte, als wirksamstes Heilmittel die Ehe vor. Die im
liohen Maasse wirksame Scene fällt im Beiseyn der jungen,' Stief-
mutter vor, die sich von des Stiefsohnes scheinbarer Kälte und
Gleichgültigkeit gegen sie verletzt fühlt, und es ihrer Vertrauten,
Lucrecia, klagt. ^) Mit schmerzenvoller Entsagung fügt sich der
Prinz dem Gehorsam, nur schüchtern den Einwand wagend, dass
um die vom Vater für ihn erwählte Braut Marques Gon-
zaga werbe. Der Herzog, dem es nicht gelingen will, die Be-
denken des Sohnes sogleich zu beschwichtigen, geht ungehalten
von dannen. In einer Scene mit Herzogin Casandra verschwört
Aurora die ihr vom Conde Pederico schuldgegebene Liebe
für den Marques Goiizaga. Meisterhafte Scenen von Seelen-
kämpfen zwischen Liebesleidenschaft, Pflicht, Naturgesetz und
Ehre folgen aufeinander. Conde Federico vergleicht sein Herz
dem Neste des indischen Pelikans und die Liebesgedanken den
Küchlein des Wundervogels , die der Pelikan gegen die verzeh-
rende Gluth des vom Jäger rings um's Nest gezogenen Feuer-
kreises zu retten und zu kühlen strebt mit seiner Schwingen
Fächerschlägen, die. aber das Feuer nur heftiger anfachen. 2) Die
poetische Verständnissinnigkeit trübt uns — ach wie Schade ! —
die Täuschung, in welcher die Herzogin Casandra ihre Neben-
buhlerin erhält, dass sie, zu Aurora' s Gunsten, sich bei Fede-
J) Ami apenas el Duque me ha mirado.
jDesprecio extrano y vil descortesia !
2) El cazador coii industria
Pone al Pelicano indiano
Fuego al rededor del iiido;
Y el descendiendo de un arbol,
Para librar ä sus hijos
Bäte las alas turbado,
Con que mas endende el fuego
Que piensa que estä matando . .
Mis pensamientos, que son
Hijos de ml amor, que guardo
En el nido del silencio,
Se estän, Senor, abrasando . . .
Federico und Aurora. $05
rico verwende. Diesen Widerhall von paariger Bewerbung müs-
sen wir schon der spanischen Parallel-Schablone, ähnlich wie das
erste Begegniss des Conde Federico auf seiner Werbefahrt für
den Vater im ersten Act: das Hereintragen der ohnmächtigen
zufällig aus ihrer Kutsche in einen Fluss gestürzten Prinzes-
sin von Mantua, dem ewigen Einerlei ^solcher Novellen-Inci-
deuzen zugute rechnen. Mit einem zweiten kaum günstigeren
Incidenzmotive grundirt der zweite Act vor seinem Schlüsse
die Katastrophe : mit der Abwesenheit des zum Führer der päpst-
lichen Truppen berufenen Herzogs von Ferrara, um dem Liebes-
verhängniss ungehemmt die Zügel schiessen zu lassen. Wenige
Ueberladungen abgerechnet, sind diese Scenen vollendete Gemälde
dramatischer, schicksalvoller Liebeskatastrophe. Der Act schliesst
mit der in Eins zusammenlodernden Gluth unselig seliger Dop-
pelleidenschaft, um so mächtiger sich erfassend, und als Ein Ver-
hängniss ineinander schlagend, als die Leidenschaft verholen
brannte und nach schrecklichen Kämpfen unhaltsam hervorbrach. ^)
So gebot es die tragische Psychologie, um die sich leider
das spanische Drama des grössten Genie's herumdrückt. Die
Schläge in's Auge rächt die tragische Muse mit Blindheit, womit
sie die Dichter schlägt. Einen solchen Schlag in's Auge versetzt
hier wieder der dritte Act dem zweiten, die Katastrophe der Pe-
ripetie, und gleich aus freier Faust unversehens. Die erste Be-
gegnung Federico's mit der von ihm bisher verschmähten,
schlimmer! — in seiner Leidenschaft für Casandra unbeachte-
ten Aurora wirft ihr, dieser Aurora, mit der ersten Scene eine
Scene der Eifersucht an den Kopf, Eifersucht Federico's
auf den Marques, mit dem er sie im Gespräche betrifft! Au-
rora selbst ist darüber so verdutzt, dass sie ihn fragt: Bist Du
verrückt oder ich? Wie oft sahst Du mich mit dem Marques
zusammen und fiel Dir nicht ein? — und mit einmal aus dem
1) Cas, Yo he de perderme;
Ten, honor; fama, resiste.
Feder. Apenas a andar acierto.
Gas. Alma y sentidos perdi,
Feder. ;0h, que extrano desconcierto !
Gas. Yo voy muriendo por ti.
Feder. Yo no, porque ya voy muerto.
X. 20
306 ßas spanische Drama.
Häuschen vor Eifersucht^ i) Sein Diener Batin steht auch da
und hat MaulafFen vor Staunen feil und fragt ihn nach dem Vers,
den er sich aus diesem vom Himmel gefallenen Umschlag ma-
chen soll. Der Vers, den ihm Federico an die Hand giel)t,
weiss auch nichts Anderes zu stammeln als: „Ich weiss es nicht,
bei Gott!"-) So dass Batin seinen Gebieter in der Verwirrung
mit Kaiser Tiberius, statt Kaiser Claudius vergleicht, der die
Kaiserin zu Tische bittet, der er eben den Kopf hatte abschlagen
lassen. Kaiser Tiberius, Kaiser Claudius — Gog oder Magog,
Gog bleibt Gog, die Verwechslung ist gleichgültig, Batin's Ver-
gleich aber treffend inbezug auf das tertium comparationis der
sich auf's Haar gleichenden Abwesenheit des Geistes bei Kaiser
— ob Tiberius oder Claudius — und bei Federico. Die Ab-
wesenheit des Geistes klärt sich zwar in der nächsten 8cene
mit Casandra als Folge der Furcht vor der Anwesenheit des
aus dem Kriege wieder heimgekehrten päpstlichen Feldherrn, des
Herzogs von Ferrara, auf, um nämlich vor dem Vater das
sträfliche Verhältniss mit der Stiefmutter, während des Vaters
Abseyn, hinter der Verheirathung mit Aurora zu verstecken.
Das Auskunftsmittel ist pfiffig — aber tragisch? Die Sicher-
stellung ziemlich gesichert — aber die Blutschande poetisch ge-
sühnt? Wird sie denn nicht auch gesühnt? Schon der Titel
verkündet es: „Strafe ohne Eache". Tilgt diese vom Vater voll-
zogene Sühne den Flecken schimpflichster Feigheit, im poetischen
Sinne, den Schandfleck der Liebesfeigheit, der fahnenflüch-
1) <iQue es esto que has iiitentado?
0 (Jque frenesi te ha dado
Sin pensamiento de amor?
^Quantas veces al Marques
Hablaiido conmigo viste,
Desde que diste en ser triste
Y mucho tiempo despues?
Y aun 110 volviste ä mirarme,
Cuanto mas ä divertirme,
^Agora celoso y firme
Cuando pretendo casarme?
2) Batin. ^Que has hecho?
Feder. No se, por Dios.
Federico und Casandra. 3Q7
tigen Preisgebung der lieroischen Leidenscliaft und Schuld? Und
muss man nicht Feder ico's Versicherungsmittel als Eingebung
dieser Feigheit betrachten, wenn er selbst der darüber stutzenden
Casandra erklärt: Kr beabsichtige, durch seine eheliche Ver-
bindung mit Aurora den Vater und den Hof zu täuschen? „Dich
verheirathen ?" -— schlägt die Stiefmutter die Hände über dem
Kopf zusammen — „Graf, bist Du bei Sinnen?" „unser beider
Gefahr zwingt mich dazu." ^) Zum Glück nimmt's der geschulte
tiefe Keinier des weiblichen Herzens und der weiblichen Liebes-
leidenschaft dem grossen Poeten über den Kopf weg und rettet
diese in der Frau mindestens, die nun aufgährt und für die poe-
tische Ehre ihrer Sünde kämpft, wie die Tigerin für ihr Junges.
Und galt' es tausend Leben — nehme sie
Der Herzog, aber heirathen soHst Du nicbt!^)
Das ist doch für seine tragische Schuld mit Nägeln und Zähnen
kämpfen. Der trotzesmuthige Untergang ist die Ehrenrettung
der heroischen Leidenschaft. Federico drückt seiner Schuld das
Brandmal eines gemeinen Verbrechens auf; Casandra adelt ihre
leidenschaftliche Verirrung, indem sie die äussersten Consequen-
zen auf ihr Haupt herabschwört.
Wie bringt nun der Herzog Vater die rachelose Strafe
1) Fed. Quiero fingir desde agora
Que sirvo y que quiero ä Aurora,
Y aun pedirla por mujer
AI duque, para desvelos
Del y de palacio, en quien
Yo se que no se habla bien.
Gas. — — — —
Casarte? Estäs, Conde, enti?
2) Cas. ^,Que? iVive Dios
Que si te burlas de mi,
Despues que has sido occasion
Desta desdicha, que ä voces
Diga (;oh que mal nie conoces!)
Tu maldad y nii traicion!
Quiteme el Duque mil vi das;
Pero no te bas de casar.
20*
308 I)as spanische Drama.
zuwege? Zunächst lässt der Dichter ihn selber durch den päpst-
lichen Feldherrnstab entsühnt von seinem früheren lastervollen
Lebenswandel heimkehren, wie es sich der Gracioso Batin zu-
rechtlegt, dem der Herzog sein durch Siegeserfolge und friede-
volles Heimwesen, das er zu finden glaubt, doppelt beglücktes
Herz ausschüttet, i) Diese Vorweihe zur rachelosen Strafe inkraft
einer reuevoll an sich selbst erfahrenen Läuterung ist ein tiefer
Zug, erhöht die Persönlichkeit des Strafvollziehers, nur wäre der
Pinselstrich ein noch grösserer Meisterzug, wenn des Herzogs
reuevolle Umkehr, wie der Gracioso nicht ohne ironisch graciösen
Anflug bemerkt, kein blosses Werk eines „päpstlichen Wunders"
wäre 2), und wenn der Zug nicht verriethe, dass der Herzog ur-
sprünglich nur zugunsten des verbrecherischen Liebespaars als
Wüstling angelegt war, wie er bei der Rückkehr zugunsten sei-
nes rachelosen Strafvollstreckeramtes und im Nutzen einer thea-
tralisch imponirenden Katastrophe als ein Selbstentsühnter und
zur Genugthuung seines göttlichen Ehrenrechtes geweih-
ter Fürst improvisirt erschiene. Dergleichen sieht mehr nach
Kunststücken und tours de mains eines genialischen Wunder-
manns und Theaterzauberers aus, als nach den ächten wirklichen
Kunstgriffen eines aus der Tiefe seines Problems arbeitenden und
gestaltenden Kunstmeisters. Schon hat aber — ein anderer fein
berechneter Bühneneffect! — hat der Herzog unter den bei sei-
1) Duque. — y asi, en mi casa
Hoy dos Victorias se cuentan:
La que de la guerra traego
Casado
Y la de Casandra bella . . .
Y causado juntamente
De mis mocedades necias.
Batin. Milagro ha sido del Papa
Llevar, Senor, ä la guerra
AI duque Luis de Ferrara,
Y que un ermitailo vuelva,
Per Dios, que puedes fundar
Otra Camändula.
Duque. Sepan
Mis vasallos que otro soy.
2) Milagro sa sido del Papa.
Liebesfeigheit. 309
nem Eintreffen ihm überreichten Papieren, Bittschriften, Memo-
rialen ein gesiegeltes Blatt, das seiner Gattin und seines zärtlich
geliebten Sohnes sträflichen Umgang mittheilt, das Kichterschwert
gleichsam der rachelosen Strafe, in Händen. Jeder Buchstabe
trifft sein Auge mit dem Blitze solchen rachelosen Eacheschwer-
tes ^), und sein Selbstgespräch ist wie das Schwanken dieses als
Zunge der Vergeltungswaage spielenden Gerechtigkeitsschwer-
tes. Ein Streiflicht auf sein früheres sündhaftes Leben, das nun
in dem Sohn gebüsst werde 2), erhöht die schreckende Wirkung
jenes verhängnissvollen Schwankens des rachelosen Scharfrichter-
schwertes, dieses vorzugsweise rachelosen Strafers, dessen Stahl
des Herzogs Aeusserung: „Ihn strafen ist nicht mich rächen" ^) von
Amtswegen als damascirten Sinnspruch eingebrannt trägt. Zur
Bestätigung der Anzeige sub sigillo bedarf es noch, um dem
Titel des Stückes vollkommen zu genügen, eines thatsächlichen
Beweises, den sich der Herzog auf dem nicht mehr ungewöhn-
lichen Wege des spanischen ürama's: durch Behorchen einer hef-
tigen Scene zwischen Sohn und Gemahlin, verschafft, in welcher
sie der Belauscher gleichsam in flagranti betrifiPt,'*) In fla-
granti, und nicht blos „gleichsam": des Sohnes schmachvolle Lie-
besehrlosigkeit, der nochmals der Herzogin, seiner Stiefmutter-
Maitresse, dringend anliegt, sich in seine Vermählung mit Dona
Aurora ruhig und zum Scheine zu fügen, weil sie sonst ihr
und sein Leben gefährden würde. ^) In flagranti aber auch: die
1) jOli fieras letras villanas!
^Como sabre con prudencia?
Verdad que no me disfame
Con los testigos. que Uame . .
2) El vicioso proceder
De las mocedades rnias
Trujo el castigo . . .
3) Castigarle no es vengarme.
4) Duq. Buscando testigos voy
Desde aqui quiero escuchar.
5) Asegurar pretendi
AI Buque, y asegurar
Nuestra vida . . .
310 Das spanische Drama.
Herzogin Gemahlin und seines Sohnes Concubine, in flagranti
ihrer verbrecherischen, aber poetisch herrlichen, in einem Verab-
scheuungsfluche ob des Sohnes Feigheit ausgesprühten Eifer-
suchtswuth. ^) Welche, trotz schablonenhaftem Zuschnitt, welche
Theaterscene! Welches Trio mit dem belauschenden, und in
Apartes sein racheloses Strafschwert an dem schartenvollen Dia-
mantsteine seiner befleckten Ehre schleifenden Herzog. -) Das
Wetzen des Schwertes soll aus dem Schleifstein-Diamanten sei-
ner Ehre die Scharten und Flecken herausschleifen, Dass es zu-
gleich Blutflecken der Blutschande sind, darüber sieht er weg;
diese Schandflecken verschwinden ihm im Schatten der verdunkel-
ten Ehre seines Namens. „Die Strafe" — wetzt und schleift er
im Horchwiukel rüstig fort — „die Strafe erfolge derart, dass
sie nicht meinen Namen schände." ^)
Zu Lope's Kraftstücken gehören die Monologe. Des Duque
letzter Vorbereitungsmonolog zu seiner Kächerthat ohne Rache
ist des Situationsmomentes vollkommen würdig. Der Vollstrecker
kündigt sich als ein Werkzeug des Himmels an. Eine heilige
Gerechtigkeit soll an einem schamlosen Frevel eine rachelose
Strafe vollziehen. *) Man erfährt, dass er die Herzogin Casandra
1) Gas. ^,Mal hombre en el mundu hubiera?
Que Co bar de nie dejara,
Despues de haber obKgado
Con tantas ansias de amor
A SU gusto ini valor . . .
iOh, Co bar de, mal nacido!
Las lagrimas y los ruegos
Hasta hacernos voker locas,
Kobando las honras nuestras . . .
Agora son Cobardias!
Pues, perro, ^sin alma soyV
2) Prevenid, pues sois juez,
Honra, sentencia y Castigo.
3) Pero de tal suerte sea
Que no se infame mi nonibre.
4) Dando la justicia santa
A un pecado shi verguenza
Un castigo sin verganza.
Rachelose Strafe. 311
in einem Cabinet zurückgelassen, an Händen und Füssen ge-
bunden, das Gesicht mit einem schwarzen Seidentuch bedeckt
und einen Knebel im Munde. Doch schaudert er mit Entsetzen
vor der Ermordung des Sohnes zurück. Die Apostrophen an die
kindliche und väterliche Liebe erhalten einen erhöhten Schwung
durch Anrufe geschichtlicher Beispiele des Darius, Torquatus, des
älteren Brutus, bei denen gleichfalls das Schwert einer rachelosen
Gesetzesvollstreckung waltete. ^) Den ihm entgegentretenden Sohn
weist Duque in ein Zimmer, wo er, der Vater, einen gegen ihn
Verschwornen festgebunden, ihm das Gesicht bedeckt und ihn ge-
knebelt. Diesen soll er, der Sohn, augenblicklich tödten. „Ich will
Zeuge des Muthes seyn, womit Du meinen Feind mordest." 2) Von
einem unheimlichen Vorgefühl ergriffen, fasst Federico mit zau-
dernden Händen das Schwert, und stürzt endlich, von des Va-
ters höhnenden Aufstachelungen, wie von einer Hetzpeitsche dazu
gestäupt, in's Gemach. Der Vater, der rachelose Strafrichter, der
zu seinem Scharfrichter den Verbrecher selbst beordert, sieht
durch die offene Tliür dem Morde zu mit einer Schlächterlust
aus zweiter Hand, die den Titel und der Tendenzidee des Stückes
in's Gesicht schlägt. ^) Und öffnet dann die Ventilklappe der
1) — — y la espada
De Dario, Torcuato y Bruto
Ejecuto sin venganza
Las leyes de la jiisticia.
2) Qtiiero mirar el valor
Con que ä iiii enemigo matas.
3) Die Baclielosigkeit des 'sin venganza' soll nämlicli in der Nicht-
enthüllung seiner Schande, in dem ewigen Gehehnniss bestehen, da die
Entehrung des herzoglichen Gatten und Vaters in dem Doppelmord der
Verbrecher erstickt wird und der wahre Grund vor der Welt unentdeckt
bleibt. Wird aber der Eachemoment dadurch aus der Strafe herausge-
tilgt und diese rachefrei geläutert, weil das Rachemotiv vor der Welt
geheim bleibt? Oder niuss es nicht um so mehr zum Himmel stinken?
In der Sühne der Motive besteht das Tragische und nach der Offenbarung
der verborgensten Schuldmotive fragt die tragische Muse so strafentbrannt,
wie Gott der Herr nach Kains Bruder Abel. In der Offenbarung gerade,
in der Enthüllung liegt die tragische Sühne und Gerechtigkeit. Des Du-
que Castigo ist ein Doppelmeuchelniord und seine Venganza eine Meuchel-
rache.
312 ^^^ spanische Drama.
Schlächterlust, indem er sein ganzes Hofgefolge, Wachen, Edel-
leute und Diener, herbeizetert: Holla! Mein Sohn ermordet die
Herzogin, seine Stiefmutter, weil sie meinen Nachfolger unterm
Herzen zu tragen sich gegen ihn gerühmt habe, der mich beer-
ben werde. Schlagt ihn todt, schlagt ihn todt! Der Herzog be-
fiehlt es!^) Federico stürzt mit blutigem Schwert aus dem
Gemach. Das ganze Hofgesinde, mit dem Marques, wirft sich
auf Casandra's Mörder, der unter ihren Streichen den Herzog
jammernd fragt: Vater, warum morden sie mich? Der rachelose
Jäger seines Sohnes, der auf sein Wild blos die Meute hetzt, aber
immer rachelos, ruft in einem fort: Hussa! Matadle, matadle !
bis der Sohn unter den ihn zerfetzenden Hieben zusammensinkt.
Das ist nun die über jedes ßachegefühl erhabene tragische Justiz
des grossen spanischen Dichters, dessen italienischer Herzog von
Perrara aber merkwürdiger Weise in einer so woUustvoUeu
ßachebefriedigung schwelgt, wie ihn kein italienischer Tragiker
brünstiger hätte können schwelgen lassen, mit dem blossen Un-
terschiede, dass die spanische Tragödie von Anfang bis Ende
ihrem Titel nachläuft, um zuletzt über ihn zu stolpern und den
Hals zu brechen. So steht Lope's Castigo sin Venganza-Tragö-
die, die in Batin's Abschiedsspruch an das Publicum sich noch
einen letzten bezeichnungsvollen Ausdruck giebt^), ihrer durch-
weg betonten Schlussmoral, ihrem Tendenzgedanken, ihrer kathar-
1) Duq. jHay tal maldad! A Casandra
Ha muerte el Conde, uo inas
De porque fue su madrastra,
Y le dijo que tenia
Mejor hijo en sus entranas
Para heredarme. Matadle,
Matadle; el duqiie lo manda.
2) Batin. Aqui acaba,
Senado, aquella tragedia
Del Castigo sin vengaiiza
Que siendo en Italia asombro
Hoy es ejemplo en Espana.
Die ein Schrecken in Italien,
Heut ein Lehrbeispiel in Spanien ist,
Wer denkt dabei nicht an das Schicksal des Don Carlos und seiner Stief-
mutter ?
Lope's Tragi-Com El honrado Hermano. 313
tischen Idee gegenüber, wie in der Vignette „Müller und Schulze"
sich ewig gegenüber stehen, so parallel-parenthesenklammerartig
wie diese über dem Gesprächsinhalt, den sie einklammern, und
zugleich als dessen blosser Titel.
Gleichwohl zählt dieses Stück, das eher „Eache ohne Strafe",
als „Strafe ohne Rache", heissen könnte, zu Lope's Meisterwerken
ersten Ranges, das er noch obenein in seinem 70. Lebensjahre
schrieb (1631), wie er selbst in der Zueignung an den Duca de
Sessa angiebt. In der Nachlassenschaft des verstorbenen Mr. Tick-
nor befindet sich die Originalhandschrift dieses auch durch
ihre strenge, kunstsittliche Durchführung bewundernswürdigen
Schauspiels, dessen Titel aber der grosse angelsächsische Tragiker
allein zu vollen tragischen Ehren in seinem Othello brachte.
El honrado Hermano
tragi-comedia famosa.
Der ehrenhafte Bruder.
Die Folie dieses Stückes ist Peter Corneille's Tragödie ^Les
Horaces', und die Eolie dieser Folie, dass er die Benutzung des-
selben verschwiegen, denn, beim Lichte besehen, dürfte Lope's
'Hermano honrado' als die Eolie von des grossen Corneille noch
jetzt als einer der kostbarsten Edelsteine in seiner ünsterblich-
keitskrone von den Franzosen bewunderten Horazier-Trauerspiele
sich erweisen. Macht nun Verdunkelung eine Folie zum Glanz-
blättchen, und ist verschweigen und verdunkeln synonym: so er-
theilt dem Edelstein des grossen Corneille den spiegelnden Schim-
mer das Dunkel, das Corneille's Verschweigung von Lope's sei-
ner Tragödie als Folie zu Grunde liegendem Stücke, über diese
Folie verbreitet; so strahlt mithin Corneille's 'Horace' durch die
doppelte Folie: durch Lope's Stück, und durch die Folie dieser
Folie: das Verschweigen der Benutzung dieses Stückes. Q. e. d.
Jedenfalls hat Corneille Lope's „ehrenwerthen Bruder", wenn
gerade nicht in ehrenwerth brüderlicher Weise, mit mehr
kritisch-dramaturgischem Verstand, als Lope die römische Le-
gende, verwerthet, dank der gewissenhaften Befolgung des Bibel-
spruches: „Prüfet Alles und das Beste behaltet." ünbezweifelt
war der grosse Corneille, wie seine 'Examens' der eigenen Stücke
314 Das spanische Drama.
beweisen, an besagtem kritisch-dramaturgischen Verstände, inso-
weit nämlich dieser durch regehechte logisch-schematische Schluss-
folgerung aus falschen Prämissen sich zu erproben vermag, dem
Lope de Vega überleben, obgleich nicht um so viel überlegen,
als Lope den grössten französischen Tragiker als Poet an drama-
tischem Genie, Ei*findung, Kunstzauber, insbesondere an Situa-
tionswirkung überragt. Da selbst dies noch fraglich, ob patheti-
sche Erörterungen über eine äusserst magere, hinter den Cou-
lissen sich abwickelnde dramatische Handlung, zumal Erörterun-
gen, deren Pathos sich fast durchgängig in lauter spitzfindigen
Antithesen und Keflexionen über jene Vorgänge und die daraus
erfolgenden Conflicte, sich in antithetischen Grübeleien über die
Affecte und deren Schaukelspiele, sich in dialogischen Controver-
sen gleichsam über die möglicherweise aus solchen gegensätz-
lichen Lagen entspringenden Situationen ergehen , anstatt dass
die Personen aus der Situation heraus sprächen und handelten —
da selbst dies noch in Frage steht: ob sogestalte pathetische
Erörterungen überhaupt noch einen dialektischen Process leiden-
schaftlich bewegter Charaktere vorstellen dürfen; oder ob sie nur
den Werth eines thematischen, mit pathetischem Geberdenspiel in
Alexandriner-Cadenzeii geführten Colloquiums, eines Raisonnements
in tragischer Maske über die gegenseitigen von der Sachlage ge-
botenen Gemüthsverfassungen haben, so dass von der tragischen
Schicksalswage nur das hin - und herspielende Zünglein zu sehen
ist, und die tragischen Personen selber über ihr Schicksal ein 'Exa-
men' in Form einer scenirten Disputa anzustellen scheinen. — Dies
unserer Begründung für die Analyse der französisch-classischen,
insbesondere der Corneille-Tragödie, vorbehaltend, haben wir uns
hier auf eine summarische Vergleichungsskizze der beiden Hora-
zier-Stücke, des Spaniers Tragicomedia, ^el hourado Hermano', und
der stoffverwandten Tragödie des grossen, selbst von Lope's
Landsleuten als musterwürdiger Dichter der „Horaces", ihm vor-
gezogenen französischen Tragikers zu beschränken.
Vorweg zeigt sich Corneille durch Ausscheidung von Lope's
zwei ersten Acten als der bessere Dramaturg. Was kann auch
viel das Holterpolter unter den gegenseitig sich ihr Vieh und ihre
Weiber raubenden Kömern und Albanern zur Verstärkung des
Hauptmotivs: Schwestermord als Sühne der, zugunsten bräutlicher
Novellenhafte Exposition. 315
Liebe, preisgegebenen Vaterlandsliebe, beitragen? Was zu dieser
Katastrophe der alte das ephemere Interregnum zwischen Numa
Pompilius und Tullus Hostilius ausfüllende Einact-Zwischenkönig,
Quirino. beitragen, unter dessen Lückenbüsserherr schalt jene
freundnachbarlichen Eäubereien, Krautacker-Räubereien, zwischen
Römern und Albanern vorfallen? ^ Kann die junge Bäuerin,
Eufrosina, die in den Räuberarmen eines römischen Bauerbur-
schen zappelt, unsere Theilnahme für die Haupthandlung höher
spannen? Die müssige Auseinandersetzung darüber mit des Ho-
racio Schwester, der Heldin der Katastrophe, mit Julia Ho-
racia, kann nur auf diese selbst den bleiernen Schatten einer
interesselosen Scene werfen. Julia Horacia bricht ihrerseits
in eine Schaar Albaneser-Jünglinge ein mit Schild und Speer,
raubt aber nur aus den drei Curiaciern das Herz des Curiacio
No. I, der sie bittet, dem Horacio No. I einen Gruss von ihm
zu bestellen und denselben zu versichern, dass er ihm, als Zu-
busse zu seinem von Julia Horacia geraubten Herzen, seine ganze
übrige Person zur Verfügung stelle/-^) Julia überbietet die Ar-
tigkeit und schenkt dem Albaner Curiacio I ihr Herz sammt Zu-
behör, ihn noch ausserdem einladend in ihr Haus. ^)
Der hinkende Bote der spanischen Komödie, oder hinkende
Botin, die Eifersucht — im Spanischen ein geborner Plural, 4os
1) Viene el goberuo ä euterreyes
Y vieneii los labradores
A volverse robadores
De imestros campos y bueyes.
2) Decid al mayur Horacio,
Qtte se le rinde Curiacio
Porque no le vio, y os vi
Sagt dem altern Horacio
Dass sich ihm ergiebt Curiacio,
Weil er ilin nicht, und ich Euch, sah.
Verliebte redeten schon zu Tullus Hostilius Zeiten im Conceptostyl der
Cancioneros.
3) Pero en flu, cortes Curiacio,
Entra, y pon en tu blason
Que has vencido el corazon
De Julia, Hcrmano de Horacia.
316 Das spanische Drama.
Zelos', Zwillingsname für Amor und Zelo, wie „Menächmen",
oder „Die Japanesen" — der stehende hinkende Bote humpelt
auch in der Horacio-Komödie hinterher. Horacio hat ein Lie-
besverhältniss mit der römischen Dame, Fla via. Sie schreibt
ihm in Gegenwart ihres stillen Anbeters, Rosardo, ein Eifer-
suchtsbrief chen, zerreisst es, Horacio findet die Papierschnitzel,
fügt sie zusammen, liest der Fla via Liebe zu Kosardo heraus, i)
Der Flavia zerrissene Eifersuchtswolke löst sich in einen sanften
Versöhnungsregen durch Horacio's Erklärung auf, dass die Dame,
die Flavia ihn nach Hause habe geleiten sehen, seine Schwester,
Julia Horacia, gewesen, und Horacio's aus Papierschnitzeln
zusammengestoppelte Eifersucht legt ihm Eos ardo, wie ein abge-
richteter Zeisig durcheinandergeworfene Buchstaben, so zurecht,
dass Horacio seinen Namen herausliest, und in dem Zwilling Ei-
fersucht den Zwilling Liebe erkennt. Nicht so leicht liest Leser
und Zuschauer aus den Papierschnitzelchen der 15. Scene des
ersten Acts unserer Tragi-Comedia einen Zusammenhang mit der
Haupthandlung heraus; aus den zu lauter kleinen Allotrias zer-
rissenen Stückelchen des Acts irgend etwas heraus, was wesent-
lichen Bezug auf das Stück selbst hätte, wozu wir auch des alten
Quirino Niederlegung seiner Zwischenkönigwürde, zugunsten
des mittlerweile zum wirklichen König erwählten Tulio Hosti-
lio, zählen. Auf das 'in medias res rapere' wie auf das 'rapere'
überhaupt, verstand sich der Franzose, der grosse Corneille, in
seiner Horaziertragödie besser, indem er, von den drei Acten des
Lope nur den dritten Act als seinen 'Horace' bestehen liess, als
unvergängliches Wahrzeichen des allein von den Horaziern übrig-
und zum Helden der Horaziertragödie erhalten gebliebenen
*Horace\
Der zweite Act spinnt das Pensum stereotyper Liebeswirren
der spanischen Novellen-Ritterkomödie ruhig weiter, nestelt aber
1) Viendolos*) caer, dude,
Cogiendolos, presumi
Juntandolos, lo crei
Legendolos me abrase .
*) Die Papier Schnitzel, los rotos papeles.
Horacio's Mantelsitz. 317
doch ein Horaziermotiv hinein, mit der, des Albaner Königs,
Mecio^), inzwischen erfolgten Kriegserklärung an die Römer
betreffenden Bemerkung, die des Curacio No. I zweiter Bruder
dessen in selbstquälerischem Wiederkäuen begriffener Liebe zu Julia
Horacia hinwirft 2); worauf Curacio I seines Geschickes unglück-
seligen Stern anklagt. 3) Horacio tritt vor König Mecio und
den albanischen Senat, wirft seinen Mantel zur Erde, setzt sich
darauf, und hält im Namen Roms an die Albaner eine längere
Anklagerede, voll Hohn und Verachtung gegen die, in Vergleich
zu den Römern, barbarische Nachbarstadt, so dass König Mecio
und Curacio I ihn an der langen Rede kurzen Sinn erinnern
müssen, und dass er sich kürzer und weniger grob fasse, sonst
möchte er sich nach seiner Rückkehr nach Rom vergebens um-
sehen. ^) Horacio schleudert der Vetterstadt noch längere und
noch gröbere Injurien wegen Friedensbruches in's Gesicht, erhebt
sich von seinem Sitzmantel, lässt ihn im Stich, fertigt die un-
maassgebliche Aufforderung des Curiacio, den Mantel mitzuneh-
men, mit der barschen Erwiderung ab: „Ich bin nicht gewohnt,
meinen Stuhl fortzutragen" und schreitet hochbrüstig und stolz,
wie Schiller's König Philipp den Spanier liebt, ohne Mantel von
dannen, ihn als Muster für die tragischen Mäntel, und das Man-
telspiel zurücklassend, womit der grosse Corneille seine spanisch-
französischen Römer drapirt.
Die Wahl des Tulio Hostilio zum König könnte, inbe-
tracht der scenischen Bewegung und Schauwirkung, einem Auto
Sacramental zur Zierde gereichen. Die darauf folgende Scene,
wo der alte Exzwischenkönig, Quirino, seine Tochter Fla via,
des Horacio Geliebte, mit dem Kloster bedroht % wenn sie nicht
den alten von ihm zum Schwiegersohn gewählten Senator hei-
rathet, fällt durchaus nicht aus dem Autocharakter der Wahl-
scene. Julia Horacia erhält von Fla via ein Geheimbrief-
i) Mettus Fuifetius. Liv. I. c. 23.
2) Herrn. 2. — solo te lo estorba
La nueva guerra, quo publica Mecio
3) Cur. Ah Jupiter, ah estrella adversa mia!
4) Habla poco, y menos fiero
0 110 se si volveras.
5) Monja seräs.
318 l)a8 spanische Drama.'
eben, worin diese die Schwester ihres Geliebten, Horacio, bittet
ihr die Zimmerthür aufbrechen zu helfen, die ihr Vater, Quirino,
hinter ihr abgeschlossen, und sie aus dem Stubenarrest zu be-
freien. Bald erscheint denn auch Julia in Begleitung ihrer
Dienerin Eufrosina, beide mit Schild und Speer bewaffnet.
Julia hält Fechtübungen angesichts der Zofe. ^) Fla via er-
scheint auf dem Balcon. Julia spielt den Galan, und giebt den
Wunsch zu erkenuen, Flavia zu entführen, um bei ihr zu schla-
fen , oder Flavia bei ihm. -) Julia's Brüder , Horacio II und III,
kommen zufällig des Wegs daher, die verkappte Schwester bin-
det ihnen auf: sie (Julia und Eufrosina) wären die zwei Horacio's.
Die wirklichen Brüder berufen sich auf ihre Identität mit sich
selber, Julia wünscht, sie möchten sich empfehlen; wir, dass sie
gleich im Beginn des Stückes sich ein für allemal empfohlen
hätten. Hierauf stösst Julia Flavia's Gefängnissthür mit einem
Fusstritt ein und befreit Flavia, und führt sie dem alten Vater
und abgedankten Zwischenkönig, Quirino, vor der Nase davon.
Der von Quirino verbannt gewesene Horacio I ist heimgekehrt,
um über die entführte Geliebte eine Jammerscene zu veranstal-
ten, und sie vor König und Senat des weiteren auszuspinnen.
Tulio Hostilio schlägt ihn auf s Maul, und legt ihm ein zehn-
tägiges Stillschweigen auf, als Pön, weil er ihm und dem Senado
die vom Kriegshandel mit Albano brummenden Köpfe mit seinem
Liebesgejammer noch voliplärrt. 3) Curiacio I ladet, im Namen
seiner Vaterstadt , den König Hostilio zu einer Besprechung mit
Alba's König, Mecio ein. Bei dieser Gelegenheit reibt sich der
Krakeler Horacio I an Curacio I, und reibt diesen zugleich
den Landbauern unter die Nase, da es ja weltbekannt, dass die
Arroganz und Barbarei auf dem Lande zu Hause sey, während
1) Jul. Oje Uli poco, si sabre
Jugar de la blaiica espada . . ,
(Jugue la espada aiisi.)
2) Querria os, Dama, levar
No mas de a dorinir conmigo.
3) Tulio. No es tiempo de hablar de esto,
Silencio es pongo diez dias.
Kampf der Dreibrüderpaare. 319
die Lebensart im Palast domicilire i) , und heisst ihn, dess zum
Beweise, ihm in seinen Palast folgen. Curia cio I nimmt die
Einladung mit Freuden an, himmelfroh seine Julia zai sehen,
bei der Horacio nun auch seine verloren, wo nicht gar von ihrem
Vater ermordet geglaubte und bejammerte Plavia findet. Den
Act schliesst ein Liebesgeschnäbel zwischen Curia cio I und
Julia Horacia, im Schablonenstil eines in zärtlichen Frage-
und Ausrufungszeichen zerbröckelten Frage- und Antwortspiels
von Halb- und Viertelsversen, kurzathmig, wie ein abgematteter
Sperling.
Mit dem dritten Act, den die beiden unter ihren Feldzeichen
aufgestellten Heere, Koms undAlba's, eröffnen, ihre Könige, Tulio
Ho Stil io und Mecio, voran, beginnt die eigentliche Horazier-
tragödie. Die Begegnung gilt a))er einem, womöglich friedlichen
Ausgleichsvorschlage, der vom Albanerkönige Mecio ausgeht,
auf Einzelkämpfe zielend, von beiderseits erwählten Kriegern aus-
gefochten, um dann gemeinschaftlich, Rom und Alba, unter Herr-
schaft derjenigen der beiden Nachbarstädte, zugunsten welcher
die Zweikämpfe sich entschieden hätten, die gemeinsamen Feinde,
die Volsker und Hetrurier, zu bekriegen. '^) König Tulio ist im
Namen Roma's damit einverstanden. Mecio bietet die drei Cu-
riaci er -Brüder, Tulio die drei Horacier zum Sechskampfe
zwischen dem Dreibrüderpaare an.
Corneille, der dem Lope gleich den Vortheil absieht, dass
er seinem Horace eine Albanerin, die Sabine, zur Frau
giebt, da Lope's Horacio die Römerin Fla via liebt, mithin den
Curiaciern, so zu reden, blank gegenüber steht; ganz der spani-
schen Parallelfigur berührungsloser Gegenüberstellung gemäss;
während Corneille's Horace diese Parallelhaltung zu einer über's
Kreuz durch schlungenen Collision flicht, einen doppelten Vortheil
erringend: einmal infolge des dadurch in Gang gebrachten An-
1) La arrogancia en la campafia,
La Cortesia en palacio . . .
Si son barbaros allä
Aca diferentes son.
2) Y jnntos los senores y sugetos,
Vencer podremos nuestros enemigos.
320 1^2-s spanische Drama.
tithesenspiels, worin sich die Betrachtungen der „Sabine" über
diese ihre Doppelbeziehungen zu Eom und Alba schaukeln und
wiegen, und zweitens durch die Verstärkung des .Motivs der Va-
terlandsliebe des Horace, der die Antithese, zu welcher seine
doppelbezüglichen Familienbande sich kreuzen, mit dem von sei-
ner Schwester Blut gefärbten Schwert durchschneidet, und so die
Katastrophe heroisch-pathetischer färbt. Corneille hat denn auch
seine Freude an der Sabine , die er im „Examen d'Horace" mit
bescheidener Selbstzufriedenheit eine ziemlich glückliche Erfin-
dung nennt. *) Rücksichtlich der Verwickelung und Kreuzung des
Antithesenmotivs unstreitig eine glückliche Erfindung. Inwiefern
aber diese glückliche Erfindung den Hauptzweck fördert: eine
Verstärkung des tragischen Eingreifens vonseiten der 'Sabine' in
die Katastrophe, wird uns vielleicht die Durchführung ihres Cha-
rakters zeigen: zugunsten der glücklichen Erfindung, wenn das
Pathos der Antithesenstimmung und Lage der 'Sabine' sich in
kunstvoller Steigerung entwickelt; zum Schaden der Erfindung,
wenn das ßeflexionspathos der 'Sabine' in der Monotonie der
Betrachtungen über ihre antithetische Gemüthslage infolge der
FamiliencoUisionen sich erschöpfen und stationär bleiben sollte.
Corneille verlegt die thatsächliche Prämisse der Tragödie:
den Widerstreit zwischen den beiden stammverwandten Städten,
Rom und Alba, in die Coulissen, und wirft gleichsam nur das
pathetische Spiegelbild dieses Widerstreites als Zwiespalt in Sa-
b ine's Seele auf die Bühne, womit sie, ihrer Vertrauten Julia
gegenüber, das Stück einleitet. Das wäre vom dramatischen Ge-
sichtspunkt aus zu loben, wenn dieser Gemüthszwiespalt sich
nicht seinestheils in blossen pathetischen Betrachtungen über sich
selbst abspiegelte, mithin kein Spiegelbild aus zweiter Hand wäre,
und wenn überhaupt zu einer wahrhaft dramatischen Situation
nicht beide Factoren mitwirken müssten: das über sich selbst
schwebende Pathos und das sichtbare Actionsmoment. 'Sabine's'
Pathos wiegt sich, wie der Eisvogel Halcyone über dem Nest, was
beim Vogel, dem nautischen Kalender zufolge, „schöne Tage" in
Aussicht stellt, inbetreff van Sabine's Sich wiegen über einem
eierlosen Neste, oder gar nur Schaukelwiegen über sich selbst,
1) ^,Le persoimage est assez heureusement invehte!'*
Julia und ilir Bruder Horacio. 321
nach dramaturgischem Kalender, nicht eben das Vorzeichen einer
„glücklichen Erfindung" bedeuten möchte. Als liebevolle Gattin
des Römers Horace wiegt sich Sabine, die geborne Albanerin,
mit einem üebergewicht an Sympathie für Rom i) , bis auf Wei-
teres; mit dem Vorbehalte nämlich, dass ihreThränen, zugunsten
der besiegten Stadt, auf der Wasserwage des Familien-Mitleids
schliesslich den Ausschlag geben. 2) Ihr tragisches Pathos ver-
tröstet uns auf die Katastrophe, wo es zeigen werde, wess Geistes
Kind es ist. Bis dahin schwankt es unentschieden zwischen Rom
und Alba, „Egale ä tous les deux." Ist das aber die Natur des
tragischen Affectes, sich unentschieden hinzuhalten bis auf einen
eventuellen Fall, bis auf welchen ihm Alles „egal" ist? Sabi-
ne's Schautelaifect balancirt in der Eingangsscene noch zwischen
den zwei Punkten, wo die Schlacht selber noch in der Schwebe
ist, und an zwei Kampfbrüderpaare noch nicht gedacht wird. ^)
In Lope's 1. Sc. A. 3, erfolgt bereits der Vorschlag zu der Ent-
scheidung durch dreipaarigön Zweikampf. Der Franzose hatte
allen Grund mit dem Stoffe von Lope's letztem Act für seine
fünf Acte Haus zu halten.
Lope's Julia erfährt von ihrem Bruder Horacio zuerst'
den beschlossenen Austragszweikampf durch die drei Curiacier-
und die drei Horazierbrüder. Julia fällt in Ohnmacht, Der
Scheintod ist der vom Bruder gleichsam über sie geworfene Vor-
schatten ihres spätem Todes von Horacio's Hand. Mit rauhem
Römerhumor überlässt er die ohnmächtige Schwester der Fürsorge
ihrer Dienerin, ungestüm nach Essen verlangend, und geht hinein,
um seinen von der Wölfin geerbten Wolfshunger zu stillen. ^) Was
beginnt Julia nach der Ohnmacht? Sie weint ihren Schmerz
aus, aber erschöpft nicht darin ihre Situation, wie Corneille's Ca-
1) „Olli, j'ai fait vanite d^etre toute Bomaine
Egale ä tous les deux jusqu'ä la victoire."
2) — je garde, au milieu de taut d'äpres rigueurs,
Mes larmes aux vaincus, et ma haine aux vainqueurs.
3) Jul. „Mais hier quand eile sut qu*on avait pris journee,
. Et qu'enfin la bataüle allait etre donnee/*
4) Hör. Di que de comer me den
Que ni se si es hambre, 6 rabia
X. 21
322 Ö^s spanische Drama.
mille ihr Antithesenpathos nun auch ihrerseits abschaukelt 0, nach-
dem sie Schwägerin Sabine der Unterhaltung ihrer gemeinschaft-
lichen Vertrautin — einer von den stabilen Beichtmüttem der
classisch-französischen Tragödie — angelegentlichst empfohlen. ^)
Lope's Horacierin, Julia, fügt vermöge ihres, vom Dichter ihr
eingehauchten dramatischen Instinctes, dass innere und äussere,
geistige und schaubare Motive zu einer dramatischen Situation
zusammenwirken müssen — Lope's Julia fügt ihrem Gefühls-
pathos noch ein actionelles Moment hinzu: sie ergreift Horacio's,
der Magd übergebenes Schwert, um es mit einem Stein schartig
zu schlagen, und es dadurch zum Fechten untauglich zu ma-
chen.^) Wir mögen dieses, behufs voUkommner von einer dra-
matisch-theatralischen Situation geforderter Wirkung, in's Spiel
gebrachte Auskunftsmittel nicht unbedingt loben; noch weniger
die Mithülfe preisen, die der Julia die hinzutretende Flavia,
Horacio's Liebste, beim Stumpfschlagen seines Schwertes leistet,
während er drinnen in einem gebratenen Ochsenviertel herumsä-
belt — und auch sie, Flavia, mit einem Steine — unzweifel-
haft der parallelen Concordanz zuliebe — leistet. '*) Loben und
preisen müssen wir aber doch den poetisch-dramaturgischen Instinct
der beiden Schwägerinnen: dass sie die Scene durch eine ihr
Pathos verstärkende und illustrirende Schauhandlung beleben;
dahingegen die *Camille' des Corneille kein besseres Auskunfts-
mittel aufgreift, um ihr antithetisches Schaukelpathos gegen das
ihrer Schwägerin 'Sabine' zu schattiren, als den ihr von Julie
unter den Fuss gegebenen 'Valere', des Curiaciers, ihres Bräu-
1) Cam. „Et quels pleurs j'ai verses ä chaque evenement,
Tantöt pour mon pays, tantöt poiir mon amant."
2) „Ma soeur, entretenez Julie."
Worauf Camille, uns aus der Seele, bemerkt:
„Mit Unrecht will sie, traun, dass ich Euch unterhalte**:
,,Qu'elle a tort, de vouloir que je vous entretienne*' .
3) Jul. Quiero ambotallo los filos
Porque no pueda cortar
dame una piedra.
4) Flav. Lo raismo quiero hacer yo
Que tambien me toca ä nii,
Dadme otra piedra.
Horacio's Wolfshunger. 323
tigams, Nebenbuhler, einen der massigsten Nebenherläufer
der classisch-französischen Tragödie, und einen ihrer zur Dispo-
sition gestelltesten und gleichwohl diensteifrig neben ihrem tragi-
schen Stiefel einherschlurrenden Hemmschuhe a. D. Die Schatti-
rung ihres Affectschwankens mit der Balancirstange der Anti-
these bewirkt ein fre^udiges Gefühl, im Abstich zu Sabine's in
Schwermuth ganz und gar, wie der Biber im Teich waöser, ver-
sunkenes, und wie dieser darin, kopfunten, radschlagendes Pathos.
Die Nuance des „freudigen" Contrastes hebt Julie nachdrücklich
und verwundert, ob dem heitern und anmuthigen Lächeln, womit
sie nur gestern erst die Camille den Valere habe „unterhalten" sehen,
hervor, i) Camille erklärt die freudige Stimmung mit der Pro-
phezeihung, die sie von einem untrüglichen griechischen Zeichen-
deuter erhalten: dass sie nämlich „mit ihrem Curiace würde
vereinigt werden."-) Der durchschimmernde Doppelsinn, Ver-
einigung im Tod, ist eine tragische Folie für Camille's ent-
zückungsvolle Stimmung 3), das Orakelmotiv daher gut erfan-
den, und die Contrastschattirung von schöner Wirkung — wenn
nur der überzählige, der classisch-französischen Melpomene in die
Schürze eingeschmuggelte Contrastfindling , 4er *Valere\ jenem
glücklichen Orakelfund nicht die Spitze abstumpfte mit einem
schlimmem Stein des Anstosses, als die beiden Steine, womit
Lope's Schwägerinnenpaar Horacio's Schwert schartig hämmert.
Pumpsatt kommt nun Lope's Horacio vom Essen und be-
trifft die Schwester und seine Flavia beim Zerhacken seiner
Schwertscheide. Flavia schiebt es der Julia zu, die das
Schwert für das desCuriacio ausgegeben. Julia schmäht den
Bruder, als voraussichtlichen Mörder ihres Geliebten, einen „wil-
den Tiger, indischen Löwen, Schlange und Harpyie." Bruder Ho-
racio will sie todtschlagen vor der Zeit und schon jetzt der Tra-
gicomedia ein Ende machen. 4) Zum Glück entwischt ihm Julia
und rettet die Katastrophe. Drauf^ommfc Curiacio seine Waffen
1) „Je Yous vis encore hier entretenir Valere.'*
2) „Et tu seras unie avec ton Curiace.**
3) „J'abandonnai mon äme ä des ravissements/'
4) Fuera, que la he de matar.
(Hüyase Julia.)
21*
3314 ß^-s spanische Drama-
holen, die er bei Julia gelassen. Polterzank zwischen Horacio
und Curiacio, wobei ersterer einen solchen Bramarbas heraus-
beisst, als hätte er drüben, statt eines römischen Ochsenviertels,
Eisen gefressen. „Ich habe Meinesgleichen nicht", ruft er, „es
müsste denn Mars im Himmel seyn, Pluto in der Hölle." ^) Nach
Abgang des Horacio fällt Fla via über den Curiacio her und
will ihn, als muthmaasslichen Mörder ihres Horacio, mit ihren
Händen erwürgen auf gut „römisch." 2) Curiacio zetert: „Mor-
dio, losgelassen !" 3) F 1 a v i a wüthet : „Zweitausend Albaner bring'
ich um!"'*) Wer tritt dazwischen? Julia. Nägelkampf zwi-
schen den zwei Schwägerinnen, währenddessen die Flavia den
Curiacio mit den Zähnen festhält, er mag schreien 'suelta!' (los-
lassen!), so viel er will. Endlich hat ihn Julia von der Flavia
losgekrallt und diese hinausgebissen, und wirft sich nun mit aller
Liebesgluth und Leidenschaft an die Brust des in den Kampf
ziehenden Geliebten, mit einem Abschiedsergusse, der trotz alle
und alledem die Komödie in ihre tragikomischen Ehren wieder
einsetzt, und schier über Julia's familien- und vaterlandsverräthe-
rische Liebesleidenschaft einen entschuldigenden Schimmer werfen
konnte: ,Zieh' hin, göttlicher Albaner! dieses Busens schöne Lebens-
hälfte. Nicht so rauh und eng ist der Pfad, den Du zum Tode
wandelst, dass nicht auf ihm Deine Horacia, Deine Braut, Dein
Weib, Deine Geliebte Dir folge!" ^) den Yers- und Reimzauber
ungerechnet, der sich neben Corneille's Alexandriner ausnimmt,
wie der um Blumen gaukelnde goldene Schmetterling, neben der
1) Yo HO he tenido segundo,
Sino es a Marte en el cielö,
Y a Pluton «n el profundo.
2) Que hecho hare da romana
Eu ahogarte con mis maiios.
3) Sueltame, Flaiia inhumana.
4) Matare dos mU albanos.
5) Parte, albaiies divino,
Hermosa media vida deste pecho,
Que ne es este Camino —
Si murieres tan aspero y estrecho,
Que por el no te siga,
Tu Horacia, esposa, tu muger y amiga.
Corneille und Lope. 325
haarigen, in Wurmbewegungen über Blumen hinkriechenden
Eaupe» Mag der Schmetterling noch so regellos, capriciös und
närrisch sich gebärden, und der haarige Eingelwurm noch so
regelrecht -monoton nach dem Schnürchen sich ein- und aus-
schieben, und, über die Blätter, in ringelgliederigen Antithesen
sich fortwälzend , mit pathetisch gewundenen Schleimspuren
wimraelfüssig entlang schleichen, schleifen und schliefen. Ist
es etwa kein wurmförmiges Hinschleichen, wenn am Schlüsse
des ersten Actes von Corneille's 'Horaces' die Handlung hin-
ter den Coulissen erst bis zu dem Stadium gediehen ist, dass
Curiace seiner ohnehin erfreuten Camille die frohe Nach-
richt von dem Friedensabkommen zwischen Rom und Alba, auf-
grund eines dreipaarigen Zweikampfes, bringen kann, für welchen
aber die Kämpfer wohlweislich noch nicht erwählt worden, aus
Hinhaltungs-, Aufsparungs- und Spannungsgründen dichterischer-
seits? Ein immerhin löblicher und wohl auch unter umständen
gebotener Compositionskunstgrifif, nur muss er die Acte nicht
an Fortschreitungsmomenten aushungern wollen und den Faden
der Handlung so dünn ausspinnen, dass er zuletzt ausgeht. Bei
Lope verhandeln über diese Abkunft die beiden Könige selber
(HL 1). Corneille lässt sie als Botenbericht den Curiacio der
Camille erzählen, zum Vortheil des Affectwechsels und Um-
schlags, inbetracht der beiderseitigen Freuden des Brautpaars
über einen schönen peripetienschwangern Frieden. Reicht aber
dieses friedselige Sichausschaukeln eines frohbräutlichen Pathos
zu einem Expositionsacte hin, der noch zwei von dieser Hin-
fristung zehrende Acte vor sich hat? Berechneter, auch drama-
tisch kunstgerechter mag Corneille's Disposition des Stoffes, rich-
tiger : Aushungerungssystem der dramatischen Entwickelungs-
momente, seyn — ein blosses Schemagerippe von dramatischer
Handlung bleibt die Tragödie doch, üebrigens treffen wir hier
auch die ersten deutlichen Spuien, dass Corneille Lope's Hora-
zierstück vor Augen hatte und benutzte. Manche Stelle in Tu-
lio's und Mecio's üebereinkunft findet sich fast wörtlich in Cor-
neille's von seinem Curiace darüber an Julia erstatteten Berichte. ^)
1) Curiace.
„Nous sommes vos voisins, nus filles sont vos i'emmes .
326 ^^^ spanische Drama.
In einer Scene, der die Katastrophe schon hart auf den
Hacken sitzt, nehmen sich Lope's zwei Könige noch die Zeit, die
Eechtsfrage zu erörtern, welcher von beiden Städten, Alba oder
Rom, in Nachfolge von Eomulus' Grossvater, dem Albanerkönig,
die Oberherrschaft gebühre, bei welcher Gelegenheit Tulio die
üeberzeugung äussert, dass, wenn die Frage in einer Akademie
ventilirt würde, jede Akademie sich zugunsten Roms entscheiden
würde. 1) Corneille begnügte sich, das Examen seines 'Horace',
wie überhaupt die Examens seiner Tragödien, der Pariser Akade-
mie zu unterbreiten, die gerade aus Richelieu's Ei ausgeschlüpft
war, und deren Scharfblick die Berührungspunkte, die Corneille's
Horazier mit denen des Lope darweist, nur deshalb nicht be-
merkte, weil ihr eben der Eidotter noch über Kopf und Augen
träufelte. Lope's kleine Scene (9. A. III.), wo der alte Cayo
Horacio^) den drei zum Kampfe schreitenden Söhnen seinen
römisch-väterlichen Ermahnungssegen in Octaven mitgiebt, ist so
gewiss die Embryo-Scene zu Corneille's würdigem 'vieil Horace'
und dessen Ansprache, Verhalten und Charakter, wie die üeber-
zeugung des Lope'schen König Tulio von der eventuellen Zuerken-
nung der Oberherrschaft, zugunsten Roms, vonseiten jedweder
Akademie nur seyn konnte. Hat der französische Tragiker in sei-
Nous ne sommes qu'uü sang et qu'un peuple dans deux villcs:
Pourquoi nous decliirer par des guerres civiles . . .
Nos ennemis communs attendent avec joie
Qu'un des partis defait leur donne Tautre en proie . , .
Ils ont assez long temps joui de nos divorces,
Contre eux dorenavant joignons nos forces . . .
(1. 4.)
Mecio. . . . jontos los sonores y sugetos
Vencer podremos nuestros enemigos . . •
Tulio. Dendos somos, vecinos y parientes
Deterrainemos cual de los dos pueblos
Vendrä sin tanta sangre derramada
Desta suerte ä quedar senor del otro . . .
(III. 1.)
1) Tulio. Si en las academias fuera
Ventilada esta question,
Bien Eoma se defendiera . . .
2) Publius Horatius.
Lope und Corneille. 327
nem zweiten Act manches dem Lope entlehnte Motiv gefälliger
und mit feinem Geschmack verwoben, so ist es die Pa9on eben
auch nur, die ihm eignet, wie die eines Pariser Filzhutes seinem
Verfertiger immerhin anzurechnen wäre, obschon dieser den da-
für zubereiteten Biberpelz aus Hanau bezogen. So hat z. B. Cor-
neille in seiner Scene zwischen Horace und Curiace (IL 1.)
den rauhhaarigen Pilz der schon erwähnten Wetteiferscene
(IIL 6.) im Bramarbasiren zwischen Lope's gleichnamigen Figuren
nur geschmeidiger fajonnirt und appretirt, und ihr mit Bügeleisen
und Bürste den Glanz und Lustre gegeben, dank welchem die
sich überbietenden Prahlereien von Lope's Horacio und Curiacio
in Corneille's Horace und Curiace im Schimmer wetteifernder
Bescheidenheit, mit einem Reflex von römischer ßuhmliebe und
stolzem Selbstgefühl aufseiten der Horace, sich spiegeln. Nach-
dem Horace und Curiace durch einen Boten die getroffene
Wahl der sechs Kämpfer erfahren (H. 2.) entbrennt unter ihnen
ein Vorwettkampf in Phrasen, behufs der Contrast-Schattirung der
Charaktere, wo denn Horace als der römische Held erscheint,
Curiace der sanftere „Mensch'' ^), dergestalt, dass Horace, um bei
unserem Gleichniss zu bleiben, sich zu Curiace verhält, wie der
rauhe gegen den Strich aufgebürstete Filzhut zu dem glatt und
glänzig weich mit der Sammetbürste geliebkosten Seidenhut.
Tragen nun aber diese kunstfertigen Contrastirungs-Striche zur
Tragödie selber, zur Erhöhung der tragischen Wirkung etwas
bei? Nicht das Mindeste. Desgleichen scheinen uns in des Ho-
race brüderlichen Ermahnungen an seine Schwester Camille (H. 4.)
die heftigen, ungestümen und selbst ungeschlachten, von Lope's
Horacio gegen die Schwester gerichteten Zurechtweisungen nur
in's Feinere, Manierlichere, urageleckt. Aehnliches ist bei Cor-
neille's Scene H. 5. der Fall, wo des Curiace Abschied von Cor-
neille (H. 5.) an *den des Curiacio von Julia Horacia anklingt
(HL 7. und H. 19.), wie etwa eine sentimentale, verblasene Phan-
tasie an den thematischen Kern.
Sabine's Rath an ihren Bruder Curiace und ihren Gatten
1) Cur. J'ai le coeur aussi bon; mais enfin je suis homme . . .
Hör. La noble vertu dont je fais vanite
N'admet point foiblesse avec sa fermete.
328 I^^s spanische Drama.
Horace, sie zu tödten, um sich mit gutem Gewissen dann gegen-
seitig abzuschlachten i) , diese hyperpathetische Zumuthung, fünf-
zig Alexandriner schwer, wirft ein solches Lastgewicht in die
Schaale der antithetischen Schaukelwaage, dass die Schnüre reissen
und der Waagebalken sich, einseitig, Recht beugend, krümmt. Sa-
bine's Thränen verrathen nur zu sehr den von hydrostatischen
Calkülen ausgepressten Seh weiss, der dem Dichter von der Stirne
über die Wangen läuft. 2)
Corneille's dritter Horazier-Act ist einer der stolzesten Tro-
phäen seiner tragischen Kunst. 3) Schon Sabin e's erste zwei
Verse, womit sie den Act eröffnet, wirken überraschend durch
ihren Aufruf an ihre „Seele", die pathetische Schaukelwaage an
den Nagel zu hängen, Farbe zu bekennen und, wie es sich für
einen Tragödienhelden ziemt, eine entschiedene Partei zu er-
greifen. 4) Leider versetzt das Sichselbstaufrütteln zu einer festen
Parteiergreifung, zu einem entschlossenen tragischen Pathos, die
balancirenden Wagschaalen, deren Natur gemäss, in noch stär-
keres Schwanken zwischen der „Ursache" des schwägermörderischen
Tripelzweikampfs, — zwischen der „gloire", den die Drillings-
brüderpaare durch ihre Aufopferung für's Vaterland erworben, —
und zwischen den „Händen", den verschwägerten „Händen" und
„Armen", welche solchen Sieg erfochten.^) Die Kunst hinhal-
1) Qu'un de vous deux me tue, et qiie Fautre me venge,
Alors votre combat ^'aura plus rien d'etrauge . . .
(H. 6.)
2) „Es gilt für ausgemacht*' — sagt P. Corneille im 'Examen d'Ho-
race' — „dass der zweite Act (des ^Horace*) einer der pathetischsten ist,
den das Theater aufzuweisen hat'': „II passe *pour constant que le second
act est un des phis pathetiques qui seien t sur la scene." Vor unserer
Prüfungscommission hat der „zweite Act" sein Examen nicht so gut
bestanden. — 3) Corneille lässt ihn als einen der kunstreichsten der tra-
gischen Bühne von aller Welt rühmen: „le troisieme un des plus arti-
ficieux."
4) Prenons parti, mon äme, en de telles disgraces,
Soyons femme d'Horace, ou soeur des Curiaces:
Cessons de partager nos inutiles soins;
Souhaitons quelque chose, et craignons un peu moins.
5) Songeons pour quelle cause et non par quelles mains . . .
Pathos der Sabine des Corneille. 329
tender Incidenzen, die den Faden der Handlung, sie bis in's
Kautschukfädenartige verdünnend, ausziehen und spinnen, ohne
dass er reisst, treibt die als Weberschiffchen hin- und hersau-
sende Botenläuferin, die AUerwelts- Vertraute, die Julie, auf
die äusserste Spitze mit der Meldung an Sabine: dass beide
Heere, von mitleidvoller Bewunderung der Drillingskämpfer hin-
gerissen, sich dem Sextett-Duell widersetzt, und die Kämpfer-
paare auseinander gebracht hätten, i) Schon klammert sich Sa-
bine's fluctuirende Seele an den Strohhalm eines einzigen ent-
schiedenen Freudegefühls — da wirft Julie's fernere Meldung von
der Unerschütterlichkeit der drei Kampf brüderpaare: das Sechs-
schwägerduell coute qui coute zu Ende zu fechten — da wirft
diese Kunde die Eettungsplanke, worauf Sabine's Pathos nun doch
wenigstens festgebunden in den Hafen geschwemmt werden zu
können vermeinte, wieder um, und Pathos und Planke fluthet
nach wie vor, auf- und niedertauchend wie eine Boje, Bake oder
Schwimmtonne, in einem Thränenmeer, das der tragische Stiefel
trockenen Fusses durchschreitet, und das so reich an tragischer
Salzfluth ist, wie der „Thränensee" im Monde, der bekanntlich
keinen Tropfen Wasser enthält.
Nun carambolirt Sabine's Freudeeffect mit Camille's ilirem
so zusammen, dass Beider Gemüthserschütterungen, wie zwei gegen-
einander stossende Billardkugeln, rückwärts rollen, infolge ei-
nes solchen, das Spiel verzögernden Hinhaltungsanpralles, was
Camille selbst der Schwägerin zu bedenken zu geben, nicht um-
hin kann. 2) Das Traurigste bei diesem Ballspiel eines hin- und
hergeworfenen Pathos ist, dass die Situationswirkung in die
Und nach einer Mandel weiterer Antithesen-Alexandriner-Paare, umschla-
gend in das Widerhaltspathos:
Je songe par quels bras, et non pour quelle cause.
1) Et ne pouvant souffrir un combat si barbare,
On s'ecrie, on s'avance; enfin on les separe.
2) Ce delai de nos maux rendra leurs coups plus rüdes;
Ce n'est qu'un plus long terme ä nos inquietudes.
Et tout rallegement qu'il en faut esperer,
C^est de pleurer plus tard ceux qu'il faudra pleurer.
Respect-Thränen also auf einen trockenen Wechsel, den Melpomene mi^,
Protest zurückweist.
330 I^äs spanische Drama.
Krümpe geht. Denn wie sollen, bei dieser Zertheilung eines ohne-
hin schwankend-schwächlichen Pathos, und bei dessen Vertheilung
auf so viele Scenen, Situationsschläge erfolgen von der Kraft und
hinreissenden Gewalt, die Lope's Situationsgenie ausströmt? Die
vom glänzenden Regenbogen umwobenen Schaumstrudelüuthen, die
ein Walfisch mit den riesigen Schwanzflossen um sich herschlägt,
und das spinnwebartige Gekräusel, das um ein in's Wasser ge-
wipptes Sandkörnchen (scrupulus), das analog dem Scrupel-
pathos der Antithesentragik des Corneille, in kaum sichtbaren ßin-
gelchen verzittert: solcher Abstich waltet zwischen Lope's und
Corneille's Situationswirkung in der durch Incidenzen fortbeweg-
ten Handlung. Eine besondere Scene ist sogar der haarspalten-
den Disputation derCamille und Sabine über das Netto-, Brutto-
und Taragewicht ihres gegenseitigen Argumentationspathos ge-
widmet. ^)
Nur ein einziges dem Livius mit bestem Erfolg entlehntes 2)
und dem Lope mit glücklichstem dramatischen Effect über den
Kopf weggenommenes Incidenzmoment erhebt sich aus Corneille's
drittem Act — - aus seiner Horace-Tragödie überhaupt — als Hoch-
punkt seines tragischen Genies: das Incidenzmoment, infolge der
verfrühten, dem alten Horace zugegangenen Kunde von seinen im
Zweikampf gegen die Curiacier erlogenen zwei Söhnen, von der
Flucht des Einen der Drillinge, des Horace: eine durch römi-
sches Pathos und theatralische Spannung mit Recht gepriesene
Scene (HL 5.)^ die in jenes noch heutigentags als das non plus
ultra der französisch-classischen Tragödie von den Franzosen an-
gestaunte „Qu'il mourüt!" sich zuspitzt, und so oft Vater Horace
den Interjectionsblitz schleudert, noch jetzt mit einer minuten-
lang anhaltenden Donnersalve bejauchzt wird, als etwas in der
Bühnenwelt Unerhörtes, Einziges. Ein Wunderlorbeerzweig, den
französischen Brettern, gleich jenem Lorbeerbusche, entsprossen,
1) Camille.
Mais ä bien regarder ceux (les maux) oü le ciel me plonge
Les votres aupres d'eux vous sembleront un songe . . .
Sabine.
Nos sentimens entre eux demenrent suspendus,
Notre choix impossible, et nos voeux confondus.
2) Liv. a. a. 0. c. 25.
Corneille's unsterbliches 'Qu'il raourüt'. 331
welcher, als Siegeswahrzeichen, bei Actium aus dem Hinter-
theile des Gäsar'schen Admiralschiffes hervorwuchs. Vielleicht
aber trotzdem ein ewiggrünes Lorbeerreis ingestalt eines, gegen
sonstige Lorbeerart i), Blitze — Beifallsblitze nämlich, zum Ein-
schlagen hervorrufenden Epiphonema's — vielleicht trotz dieser Ein-
zigkeit, gleichwohl ein ünsterblichkeitszweiglein, aus dem Hesperi-
den-Garten der spanischen Comedia gepflückt und vom grössten
französischen Tragiker durch seine, nach dem Muster römischer
Cypressen, im Style französischer Ziergärten geschorenen tragischen
Zwergcypressen geschlungen. Denkbarererweise vielleicht doch
nur ein Zweigelchen in demselben Lorbeerhaine gebrochen, woraus
der grösste französische Tragiker ganze Lorbeersträuche und Ge-
büsche in seinen „Cid" verpflanzte, aus Guillen de Castro's
Lorbeerwäldchen nämlich, wenn nicht just aus dessen Cid-
Tragicomedia , so doch möglicherweise aus Guillen de Castro's
Lusspiel: „Die schlimmen Ehepaare aus Valencia."'^)
In dieser Comedia des Guillen de Castro, und gleich im
Beginn derselben, fragt der eine Ehemann die treue, ihren ab-
wesenden Mann liebende Gattin, nachdem er ihr die unwider-
stehliche Gewalt des von ihr in seinem Herzen aufgeregten Lie-
besfeuers geschildert, — er fragt : „was er unter solchen Umstän-
den thun solle?" Worauf die brave Gattin — wie Corneille's
alter Horace auf Julia's Frage: „Was wollt Ihr, dass er gegen
Drei thun sollte?" — antwortet: „Qu'il mourüt!" „Sterben!" —
ähnlich auf jene Frage erwidert: „Sterben und schweigen!" ^) Das
1) worauf auch der alte Horace anspielt;
„Lauriers, sacres rameaux qu'on veut reduire en poudre,
Vous qui mettez sa tete ä couvert de la foudre." (V. 3.)
2) Los mal casados de Valencia.
3) Julie. Que vouliez-vous qu'il fit contre trois?
Le vieil Horace.
Qu'il mourüt.
4) Valerian. (»Que importa, si de tus ojos
Vi salir rayos de fuego? . . .
Pues si me siento abrasar
Con ellos el pecho mio,
Esclavo de mi albedrio,
(^Que hare?
Ipolita. Morir y callar.
332 ^^s spanische Drama.
„Schweigen" schwieg er todt, der grösste französische Tragiker,
und soufflirte seinem alten Horace nur das ihn unsterblich ma-
chende „Sterben!" „Qu'il mourüt!" — Eine blosse Conjectur von
unserer in alle Töpfe guckenden analytisch-comparativen Kritik,
eine blosse Conjectur, die der Lorbeerkrone auf des grossen Cor-
neille unsterblichem Haupte ja doch nichts anhaben könnte, und
wenn sie der Blitz selber wäre, gegen den bekanntlich der Lor-
beer so unversehrbar schützt, dass Kaiser Tiberius, da er noch
keinen Adolph Stahr zur Hand hatte, seinen Cäsar'schen Schei-
tel, so oft es blitzte, durch eine aus Lorbeerblättern geflochtene
Schlafmütze sicher stellte und blitzfest machte. 0 Des Tiberius
Gewitterhaube erwies sich als ein so trefflicher Blitzableiter, dass
besagter, als posthumer Ehrenretter bei den Manen der römisch-
imperatorischen Scheusale und Scheusalinnen angestellter Kam-
merdiener noch jetzt nachträglich deren infernalische Schatten-
häupter mit des Tiberius Lorbeernachtmütze gegen die Blitze des
Tacitus schützt. Ein St aar, der des Tiberius Manenschädel mit
dessen Lorbeerschlafhaube als Gewitterabieiter gegen die Don-
nerkeile in den Fängen des Adlers der römischen Geschicht-
schreiber sichert •— und dabei wie ein Rohrspatz auf Adler und
Donnerstrahlen loskeift und schimpft — das gäbe ein gar vor-
zügliches emblematisches Bildchen als Vignette oder cul de lampe
auf den kleinen, grossen und vermischten Blättern, woraus der
seltene Vogel sein Nest baut, und worin er so warm auf fremden
Lorbeerblättern, fremden Federn und fremden Eiern sitzt, und
so rüstig heckt und brütet: das Widerspiel zum Kukuk, ein Anti-
kukuk, der in alle fremden Nester schlüpft, in welche die Ku-
kuke ihre Eier legen, um selbe als die seinigen auszubrüten.
Nur mit den Adlernestern, wie des Tacitus Annalen und Ge-
schichten z.B., macht der seltene Vogel eine Ausnahme: Ausser-
stande ein Adlerei zu befruchten, begnügt er sich, das Adlernest
zu beschmutzen ; da er nicht darin nisten kann, so muss er we-
nigstens darin m—
Doch wenden wir uns von der rarissima avis — Staar, Rohr-
1) Tonitrua tarnen praeter modum expavescebat, et turbatiore coelo
nunquam non coronam lauream capite gestavit, qnod fulmine adflari nege-
tur id genus frondis. Suet. Tib. c. 59.
Peter Aretin's, Lope's und Oorneille's *Horazier\ 333
spatz, Antikukuk, diebische Elster und Krähe in Einem Feder-
pelz -— wenden wir uns wieder zu der grossen französischen
Krähe (Corneille) in den Pfauenfedern der spanischen Comedia
zurück!
Bis zum vierten Act des 'Horace' gelang es dem grössten
Tragiker der Franzosen, die Spuren seines Vorgängers in der Ho-
razier-Tragicomedia: 'El honrado Hermana', geschickt genug mit
dem Eeisig seiner Lorbeerabfälle zu verdecken , sie aber freilich
auch gerade dadurch für den Kenner solcher Fährten um so deut-
licher zu bezeichnen, wie Jäger die Wildspur mit abgebrochenen
Zweigen (brisee) als Merkzeichen bestreuen. Diese Geschicklich-
keit des grossen Franctireur-Freischützen auf spanischem Jagd-
revier hatten wir bereits Gelegenheit, einlässlich der Zergliederung
von Peter Aretin's gleichfalls von Peter Corneille gekannter, be-
nutzter, aber in seinem selbst-kritischen 'Examen' des 'Horace'
unter dessen eigenen Lorbeerzweigen spurlos begrabener Horazier-
Tragödie COrazia') zu bewundern und zu preisen, i) Unser Lob-
preis darf sich sogar auf die ähnliche Bravour erstrecken, womit
Corneille, wie hinsichtlich Aretin's 'Orazia', so auch inbetreff
des Horazierstückes von Lope, seine Vorlage veredelt, verfeinert,
in vieler Beziehung verbessert, mithin ein rühmliches Werk voll-
bracht hat, woran nur die Rüge haften bleibt, dass er jene Vor-
lagen im Examen verschwieg. Anders verhält es sich mit dem
vierten, dem Katastrophenact des 'Horace', mit dem Schwester-
mord, bezüglich dessen eine so offenbare Nachbildung des ana-
logen Vorgangs in Lope's 'Honr. Herm.' (IIL 11), bei so fraglicher
Verschönerung und Wirkungsverstärkung, vorliegt, dass die Ver-
schweigung der Quelle einer hart an's Plagiat streifenden Unter-
schlagung gleichkommt.
Corneille's Vertheilungskunst und hinhaltendes Fortspinnungs-
geschick, bezüglich eines dem Situations- und Stimmungswechsel
günstigen Motivs, bewährt sich auch zu Anfang des vierten Acts,
wo der alte Horace, noch unter dem Eindrucke von Julie's ver-
frühtem Bericht über des Horace Flucht, just durch Valere diese
Flucht als eine ruhmvolle Kriegslist mit triumphirendem Vater-
1^ Gesch. d. Dram. V. S. 356 ff.
334 ^as spanische Drama.
und Eömerstolze erkennt. 0 Unstreitig dienen solche Wendun-
gen, Umschläge und Umspränge in Situationen und Gemüths-
lagen zur Erhöhung der dramatischen Effecte, wenn sie nämlich,
wie bei Sophokles' König Oedipus, nicht blos aus äusserlichen
Wandlungen der Ereignisse, sondern zugleich aus dem Charakter
und der Gemüthsverfassung der tragischen Person, aus der un-
heilvollen Verblendung des Oedipus z. B., entspringen. Dem
entgegen erfolgen in Corneille's 'Horace' die durch das ganze
Stück zerstreuten Incidenz-Peripetieen und dadurch hervorgeru-
fenen Stimmungswechsel und Umschwünge lediglich aus äusser-
lichen Zwischenereignissen, ja nach den Vorfällen auf dem Kampf-
platz, und deshalb auch ohne bestimmende Einwirkung auf die
Katastrophe, die doch nur gleichsam das Facit aller vorherge-
gangenen Gemüthswandlungen und Peripetieen zieht. Bewirkt dies
nun die Katastrophe im IV. Act, der Schwestermord? Welchen
Einfluss üben die Affectwechselungen bei dem alten Horace, in-
folge jenes Eingangsberichtes über des Sohnes Flucht, auf diese
Katastrophe? Welchen die so feinberechneten, auf so viele Sce-
nen vertheilten und die Handlungsmomente nahezu ausschliess-
lich bestreitenden Hinhaltungen jener in blosse Meldungen über
die Kampfesstadien aufgehenden Incidenzen — welcherlei Ein-
wirkung üben sie überhaupt auf die tragische Entwickelung? Es
ist merkwürdig, dass der dramaturgisch so wohlgeschulte franzö-
sische Tragiker das kritische 'Bewusstseyn davon hatte, aber nicht
die technisch-dramatische Einsicht und Kunst, nicht die tragi-
sche Anschauung besass, um den Mangel des tragischen Zusam-
menhangs seiner Peripetieen mit der Katastrophe aus der eigent-
lichen Ursache abzuleiten und demselben abzuhelfen. Er tadelt mit
der Offenheit eines grossen Geistes, dass „diese Action", der
1) Le. V. Hör.
0 mon fils! 6 ma joie! 6 Thonnetir de nos jours!
Im 'Examen' weiss sich auch der grosse französische Tragiker nicht wenig
mit dieser glücklichen Benutzung des von Livius ihm an die Hand gege-
benen, und von Lope unbeachtet gebliebenen Motivs. Vom dritten Act
heisst es daselbst: „H est soutenu de la seule narration de la moitie
du combat des trois freres, qui est coupe tres-heureusement pour laisser
Horace le pere dans la colere et le deplaisir, et lui donner ensuite un beau
retour a la joie dans le quatrieme.
Peter Aretin's, Lope*s und Corneille's 'Horazier\ 335
Schwestermord nämlich, eine Eingebung des Augenblicks sey;
dass sie nicht die von Aristoteles vorgeschriebene „Grösse", d. h.,
keinen Anfang, keine Mitte und kein Ende habe, mit andern
Worten, keine kunstgemäss durch das ganze Stück vorbereitete
Thathandlung sey, sondern plötzlich überrasche. ^) Nach solchem
Aufwand und Aufgebot von Spannungswirkungen durch äusser-
liche Incidenzbehelfe eine Stegreifskatastrophe! Die schlimmste
aller dramatischen Peripetieen, indem sie das Drama selbst über
den Haufen wirft; die Katastrophe der Katastrophen, da sie die
Tragödie, die eben in einer tragisch nothwendigen Entwickelung
und Schlussfolgerung aus gegebenen Prämissen besteht, ad ab-
surdum führt! Sollte Lope, der sich im Ganzen genauer, als
Corneille, an Livius hält, sollte er das vom römischen Geschicht-
schreiber dargebotene Fluchtmotiv wohl gar mit gutem Bedacht,
aus Compositionsgründen, unbenutzt gelassen haben, weil er den
Schwestermord mehr durch Concentration der Handlung im
Schlussact', als durch Hinhalten der Incidenzwandlungen zu mo-
tiviren dachte? Wir möchten es glauben, wenn Lope's Stücke
nicht selber unerschöpfliche Vorrathskammern von improvisirten
Katastrophen wären, und wenn er nicht, seiner geschichtlichen
Vorlage sich anschliessend, in augenfälligen, theatralisch that-
sächlichen, nicht blos erzählten Vorgängen, die Horazier-Kata-
strophe in einer Aufeinanderfolge von rasch und kräftig wirken-
den Scenen zum Abschluss hätte bringen wollen. Bemerkens-
werth bleibt es immerhin, dass trotzdem der Schwestermord bei
Lope durch den spanisch brutalem Heroismus desHoracio, der
ihn, wie wir sahen, schon im zweiten Act zu einem Mordanfall
auf die Schwester hinreisst, besser begründet und vorbereitet
wird, als dies dem grossen Corneille zu 'seinem Leidwesen ge-
lingen wollte. Seltsam genug, dass beim rohen Genieinstinct
selbst die Kunst bisweilen besser zu Theile kommt, als bei dem
schärfsten Calkül nach Maassregeln und Gesetzen. Alle Schluss-
wirkungen, wie in einen Brennpunkt zusammendrängend, führt
1) . . . ,,cette action qiü devient la principale de la piece, est momen-
tanee, et n'a point cette juste grandeur que lui demande Aristote, et qui
consiste en un commencement, un milieu, et une fin. Elle surprend tout
d'un coup'' . ,
336 Öas spanische Drama.
Lope seiner Julia Horacia dem noch vom wannen Blute der
drei Curiaeierbrüder triefenden Schwerte ihres Bruders entgegen,
unmittelbar nachdem Horacio, den Tod seiner zwei Brüder,
angesichts der beiden Heere und Könige, gerächt hat, ohne
riuchtpause und mit heldenhaftem Ermuthigungsanruf an Rom,
dessen ganzes Gewicht er nun allein in die Hand nehme, und
mit [der bedrohungsvollen Mahnung an die Curiacier, dass er,
nun von drei Seelen, der eigenen und den Seelen der hingestreck-
ten Brüder, entflammt, mit dreifacher Tapferkeit fechte. „Die ver-
einte Kampfesstärke bin ich, hochmüthiger Curiacio, denn die
vertheilte wirkt mit schwächerer Kraft." ^) ... Ein Merks,
das auch die Vertheilungskunst des französischen Tragikers sich
hinter das Ohr schreiben mag! In dieser Situation erblickt Ho-
racio seine Schwester auf ihn zuschreiten, die ohne Umschweife,
ohne Brimborien, ohne Ermahnungen vonseiten des Bruders,
dergleichen Corneille's Horace erst ein Langes und Breites aus-
kramt, um jetzt, in der zwölften Stunde, die versäumte „Vorbe-
reitung" der Katastrophe anzubahnen 2) — sogleich in's Geschirr
1) (Taquen, y hagase la batalla, caigan muertos los dos Horacios,
quede el uno con los tres albanos, y parando las cajas, diga.)
Her. No desmayeis, romanos, yo soy vivo
Horacio soy, y agora mas valiente,
Porque las almas destas tres recibo,
Y SU valor rae anima juntamente,
Virtud unida soy, Curiacio altivo,
Que la esparcida menos valor siente,
Animo Roma, no desmayes Roma,
Todo tu peso, Horacio, en brazos toma.
(Torneu a tocar, y mate los tres Curiacios el solo y quite a Curiacio el
manto que le dio Julia.*)
Venci albanes, venci Roma triunfante,
Alba es esclava vuestra.
2) — „et toute la preparation que j'y ai donnee par la peinture de
la vertu farouche d'Horace, et par la defense qu'il fait ä sa soeur de
regretter qui que ce soit de lui ou de son amant qui meure au combat,
n'est point süffisante pour faire attendre un emportement si extraordinaire,
et servir de commencement ä cette action (dem Schwestermorde nämlich)."
Jlxamen.
♦) Liv. c. 26.
Oorncille's „Camille" und Lope's Julia. 337
geht und dem Bruder mit dem Zweck ihres^ Kommens wie mit
dem Donnerwetter über den Kopf kommt: „Ich komme nicht,
feindseliger Bruder, um Deines Kahmes für Eom gepflückte
Frucht zu schauen, ich komme, um gehüllt in Trauer, mei-
nen Albaner-Gatten zu beweinen. Nicht komme ich in Freude,
diesen Tag zu feiern, sondern in thränenvoller Betrübniss, weil
Du der Mörder des Lebens, das mein Leben war. Nicht komme
ich, Deine ruhmesstolze Kriegsbeute zu betrachten, sondern mein
eigenes Leid zur Schau zu tragen, und Dich, verruchter Blut-
mensch, mir gegenüber zu sehen. Ich komme nicht. Dich in
meine Arme schliessen, wie meinen Gatten ich umarmt hätte,
den Du zerstückt. Nur wenn meine Arme Seile und Stricke
wären, würde ich sie mit Wonne um Deinen Hals schlingen . . .
Ich komme, damit Du meine Brust mit diesem Verrätherschwert
durchstossest, dem Werkzeuge Deiner Blutthat, und damit des
Geliebten Blut sich mit meinem mische, und Du das mit
seinem entrissenen Blut durch Dein Schwert in's Herz mir
flössest . . . Kom und König, thöricht handelt Ihr, dass Triumph
und Siegesruhm Dem Ihr spendet, der in meinem Geliebten sein
Weib erschlagen. Ich bin Curiacio, ja ich bin's. Drum gieb
den Tod mir, ßom . . . Leg ab den Mantel und die Siegesbeute,
verruchter Horacio, denn ich fertigte sie mit diesen Augen."
Nach wenigen Worten überwältigenden Grimmes stösst sie der
Bruder nieder.
üeberbietet auch Corneille's 'Camille' Lope's Julia durch
ihr rabbiateres Verfluchungspathos, das uns, Berliner Publicum,
noch von der Rachel her durch Mark und Bein rieselt^), deren
über den Bruder und Eom ausgegossene Flüche klingen, als
sprängen ihr ein Dutzend blutige Melpomenen-Dolche aus dem
kleinen Vipermunde, und. als trüge sie die Rassel der Klapper-
schlange im Munde, Gift aus derselben spritzend — überflucht
Camille die Julia auch um's Doppelte und Dreifache, so bleibt
die Situation und das Pathos doch dasselbe, und es lässt sich,
wohl mit Fug annehmen, dass der französische Tragiker sich den
rhetorisch-tragischen Haarbeutel oder Affen zu seiner parenthyr-
sischen Scene aus dem Becher des Spaniers getrunken. Eine
1) Vgl. Gesch. d. Drara. V. S. 362 f.
X. 22
338 I^as spanische Drama.
Auklangsspur finden wir schliesslich in Corneille's, noch zu
guterletzt an Lope's Fabia, durch ihre moutarde apres diner,
erinnernder 'Sabine', mit dem Unterschiede jedoch, dass Lo-
pe's Fabia eine Austragsversöhnung, infolge ihrer komödienhaft end-
gültigen Verheirathung mit Horacio, zuwege bringt, dagegen
Corneille's 'Sabine' ihr trübseliges Ahnfrauenwesen, das nicht le-
ben und nicht sterben kann, noch am Schlüsse des V. Acts fort-
spielt, ihr gespenstisches Jammerflehen nach einem Grabe zu
allerletzt an König TuUius Knieen ausröchelnd. Diese 'Sabine',
auf die sich Corneille so viel zugutthut, scheint uns eine der an-
tipathischten Figuren der tragischen Bühne, und ihr Pathos schier
an die Wirijung der Ipecacuanha in refracta dosi zu gemahnen,
bei welcher Gabe es blos bei Vomituritionen bleibt, ohne ent-
scheidendes Endergebniss oder üebergebniss.
Den 5. Act des 'Horace' giebt Corneille selber preis. Er
verurtheilt ihn auf Grund des durchgängigen 'Plaidoyers'-Charak-
ters, der ihm anhafte ^), vonwegen der Advocaten-Reden nämlich
pro und contra Horace, gehalten vom alten Hör ace für, und von
des seligen Curiace überflüssigem Nebenbuhler, dem Valere, ge-
gen den Schwestermörder, der ihn um Camille's durch den Tod
des Curiace ihm, dem Valere, zugestorbene Hand gemeuchelt und
an dem nun der vom Bruder entschwägerte Wittwer zur todten
Hand — was diese inderthat auch im juridischen Sinne für die
französisch-classische Tragödie insofern ist, als in ihr die Besitzer
solcher Hand, die Valere, nicht aussterben — Blutrache dafür
durch eine Anklage des Schwestermörders beim römischen Volk
nimmt. Beim römischen Volk? das Corneille's fünfter Act ge-
radezu in's Gesicht schlägt? Behufs welchen Gesichtsschlags der
fünfte Act eigens von Richelieu's Hof-Tragiker gedichtet scheint,
als Katzenbuckel vor dessen monarchisch-despotischem Staats-
system, das die Berufung an's Volk, der römischen Geschichte
in's geohrfeigte Angesicht, aus einer Horaziertragödie herausge-
räuchert wissen will; bei welchem System ihr Dichter ja noch,
seiner Vorliebe für spanische Duells und spanisches Ritterthum
halber, auf dem schwarzen Brett stand, weswegen er ihm, dem
grossen Cardinal-Despoten und dessen System um so obsequiöser
1) ,,11 est toiit en plaidoyers/' Exarn.
Corneille's Hoftragik. 339
und katzenbuckelartiger mit einem der plebejischsten, auf der
tragischen Bühne unerhörten Schimpfausfalle gegen Alles, was
Volk ist und Berufung an's Volk, um den Bart 7a\ gehen sich
gemüssiget fand. Denselben alten Horatius, der in Livius dem
Sohne bei dessen Berufung an's Volk als [eifrigster Fürsprecher
so volksfreundlich zur Hand geht, lässt Eichelieu's Horace-Tragi-
ker so unter aller dramatischen Kritik schmähsüchtig gegen das
Volk loskeifen, dass wir die betreffenden Alexandriner in die
Gemoniae unter dem Strich werfen müssen. ^) Und mit welcher
wohlberechneten Schweifwedelfinte der grosse Corneille noch zu
allerletzt in einem Schlussplaidoyer seines 'Examen' zugunsten
des ausrangirtesten aller zweiten Nebenbuhler der französisch-
classischen Tragödie, zugunsten, seines 'Valere', dem grossen
Kater-Cardinal bezüglich des Duellpunktes selber um den Bart
geht, indem er den Valere und zugleich die Horaciertragödie
wegen des darin vermiedenen Duells in Schutz nimmt, das doch
Valere, als Eömer, ohne ein Staatsverbrechen zu begehen,
nicht anbieten konnte! 2) Dabei ist die Horaziertragödie eine
Duelltragödie von Hause aus, gar eine Tripeldrillings-Duell-
tragödie! Für die Schlussworte des Examen zum Horace könnte
das 'risum teneatis' eigens erfunden scheinen: Auf das „Staats-
verbrechen", das Valere durch ein Duell begangen haben würde,
setzt Corneille mit Beziehung auf sich selbst das bonmot als letzte
Spitze auf: „Und ich würde ein Theaterverbrechen begangen
haben, wenn ich einen Eömer als FranzoSen herausgeputzt hätte." ^)
1) „Horace, ne crois pas que le peuple stupide
Soit le maitre absolu d'un renom bien solide,
Sa voix tumultueuse assez souvent fait bruit:
Mais un moment Televe, un inoment le detruit;
Et ce qu'il contribue ä notre renommee
Toujours eil moins de rien se dessipe en famee.
C'est aux rois, c'est anx grands, c'est anx esprits bien faits
A voir la vertu pleine en ses moindres efFets;
C'est d'eux seuls qii'on re9oit la veritable gloire,
Eux seuls des vrais heros assurent la memoire . . .
2) S'il ne prend pas le procede de France, il faut considerer qu'il est
Romain, et dans Rome, oü il n'aurait pu entreprendre un duel contre un
autre Romain sans faire un crime d'etat. — 3) ,,et que j'aurais fait un
crime de theätre, si j'avais habille un Romain ä la fran9aise."
22*
340 ^^^ spanische Drama.
Die ganze classisch-französische Tragödie ist eine einzige Theater-
garderobe voll solcher Verbrechen ~ nur noch obendrein umge-
kehrt: nicht 'Komains ä la franfaise, sondern Franzosen ä la
romaine, ä la grecque, ä la turque, ä la chinoise, ä la tar-
tare — wo nicht gar Franzosen tout bonnement, Franzosen ä la
fran9aise!
Ein gerade nicht bedeutendes, für uns nur durch die Julia-
Komeo-Fabel beachtenswerthes Drama, Lope's
Castelvines y Monteses,
hat von Herrn von Schack eine ausführlichere mit den Jornadas
Schritt haltende Würdigung erfahren i). Wir können uns daher auf
wenige kurze Bemerkungen einschränken. Lope schöpfte aus sei-
ner novellistischen Quelle mit der hohlen Hand gleichsam nur
so viel, um den Lehm zu befeuchten, den er im gewöhnlichen
Model seines spanischen Scenariums zu ^nem Theaterstück ab-
presste. Er beginnt mit dem Ball im Hause des Antonio
Castelvino (Capulet), woher ßoselo Montese (Eomeo Mon-
tague) und sein Freund Anselmo (Mercutio) die Tanzmusik auf
der Strasse erschallen hören. Roselo fordert seinen Diener
Marin auf, hineinzugehen und auszukundschaften, was es gebe. 2)
Den Marin juckt aber keinesweges die Haut nach dem Vergnü-
gen, sich selbst von den Fidelbogen der Castelvines, „einer grau-
samen, wilden Bande" Ballmusikanten, streichen zu lassen.^)
Anselmo rathet dem Freunde eine Maske vorzunehmen; die
Castelvines würden ihn dann für einen Verwandten halten. ^)
Marin hat aber trotzdem seine Haut viel zu lieb, um sie, sey's
auch in einer Maske, zu Markte oder zu Balle zu tragen. Fa-
milienparteiung, wo Hunde und Katzen Castelvines und Monteses
1) II. S. 331 f.
2) Ve, por tu vida, Marin,
Y entra al descuido.
3) jHarto bien!
^,Porque en colacion me den
Las exeqnias de mi fin? . , .
Son gente cruel y fiera
Los del bando Castelvin.
4) Ans. Ponte una mascara y entra:
Persarän qne eres pariente.
Lope'ö Capuletti- und Montecchi-Comedia. 341
spielen 1), sind ganz und gar nicht nach seinem Geschmack,
ßoselo und Anselmo erscheinen dann, um des Anblicks der
schönen Frauenwelt zu geniessen, maskirt im Garten des Antonio
Castelvine, wo die Mitglieder der feindlichen Sippe, Julia und
ihre Freundin Dorotea darunter*, abkühlungshalber sich einge-
funden. 2) E 0 s e 1 0 lüftet seine Larve. Der alte AntonioCastel-
vine erkennt ihn, über die Verwegenheit ergrimmt. ^"^J Teobaldo
(Tybalt), den Lope zu Julia's Onkel macht, und zum Beschwich-
tiger von Antonio's Entrüstung, bedeutet den hitzigen Alten, der
Jüngling sey von adeligen Sitten und ohne Arg eingetreten. *)
Weder Luigi da Porta noch ßandello berichten von diesem Erei-
ferungs - und Besänftigungsgespräch der beiden Brüder ^) , das
Shakspeare zwischen dem alten Capulet und seinem Vetter Tybalt,
aber die KoUen umkehrend, wechseln lässt. Die Verwandtschaft
1) Mar. — que hasta los perros
Se muerden unos con otros
Pues !los gatos! . . . tan airados
Andan en sus bandas juntas —
Si manllan, es por fin
De declarar sus enteres;
Porqiie unos dicen Montes,
Y otros dicen Gastelvin.
2) Ant. Aqui estaremos inejor
Por el calor de alla dentro.
3) Ant. ^'Hay mayor atreviemento ?
jRoselo en mi casa!
4) Teob. De noble el mancebo ha entrado,
Sin reparar si era error.
Capul. „Seyd ruhig, Herzensvetter! Lasst ihn gehn!
Er hält sich wie ein wackrer Edelmann.''
Shaksp. 1, 5.
5) Auch Brooke, der, nächst Bajidello, wie schon gezeigt*), und bei
Erörterung von Shakspeare's Romeo und Julia näher von uns soll nach-
gewiesen werden, dem ital. Poeme der Clizia (1530) folgte — hat nichts
von jenem Wortwechsel zwischen Ant. Capulet und seinem Bruder oder
Vetter Tybald. Brooke sagt seiner Quellen gemäss : 'The Capilets disdain
the presence of their foe', „die Capulets achten nicht auf ihres Parteifein-
des Gegenwart."
*) Gesch. d. Dram. V. S. 433 f. •
342 I^as spanische Drama.
des Motivs scheint uns, ohne dass wir irgendwelche Folgerungen —
selbst aus dem wörtlichen Gleichlaut der gesperrten Zeile
nicht — ziehen wollen, bemerkenswerth. Bei Julians Anblick
ruft Roselo in einem verzückten Aparte: „0 Himmel! dass
ich ein [Montes bin und kein Castelvin!" i) Der Spanier fälscht
vorneweg den reinen Ton der schicksalvoUenj Liebestragik —
indem er seiner Julia in ihrer Freundin Dorotea eine Neben-
buhlerin zugesellt, der Chablone zulieb, die heilige Himmelsgluth
in Eifersüchtelei spaltend, dass sie , wie die gemeinsame Flamme
jenes feindlichen thebanischen Brüderpaars sich noch auf dem
Scheiterhaufen theilte, innerlich gebrochen auseinanderschlägt.
Von dieser Heilighaltung der einzig göttlichen aller Leidenschaf-
ten, der Liebesseligkeit, hat der Spanier, hat die spanische Poe-
sie, vielleicht die Poesie der Romanen überhaupt, keine Ahnung,
und von der poetischen Kunst, gerade aus dieser von keinem i n-
nern feindseligen Hauch zu trübenden, über Alles in sich Zwie-
spältige erhabenen Liebesseligkeit die tiefste Tragik, die wehmuth-
süsseste Schmerzenstrauer zu entwickeln, hat die romanische Poe-
sie noch weniger einen Begriff, ein Verständniss. Das Höchste,
Sublimste der Poesie ist ihr denn auch versagt: die Gott-
innigkeit an sich beseligter Liebesharmonie sich und Andern zur
Empfindung, zum Bewusstseyn zu bringen, darzustellen. Hier
fällt die glänzende Kunst der grossen spanischen dramatischen
Virtuosen zu kurz. Sie wissen von jener Liebe nichts, die der
Apostel verherrlicht. Sie kennen nur das tönende Erz, das schel-
lenlaute, geräuschvolle, in Dissonanzen zerrissene Liebespathos, und
müssen an der Bühnenmöglichkeit einer Shakspeare'schen Eomeo-
Julia-Tragödie, weil ihnen das Genie, ja das Organ, solchö
auch nur zu fassen, geschweige poetisch-dramatisch zu gestalten,
1) Eoselo (ap.),
jAy, Ciclos! !qiie fui Montes!
iNü fiiera yo Castelvin!
Einen ähnlichen Herzenswunsch seufzt Shakspeare's Julia in der stillen
Mondnacht auf dem Balcon :
„0 Komeo! Warum denn Eomeo?
Verleugne Deinen Vater, Deinen Namen.*'
Lope lässt dies seinen Eoselo selber thun und sich zum Castelvine
Tvünschöti.
Lope's Julia eine verschmitzte Kokette. 343
gebricht, verzweifeln. An das göttliche Wunder des Liebesmahls
in der Seeleninnigkeit und Verschmelzung eines Jünglings- und
Mädchenherzens vermögen sie nicht zu glauben. Dass gerade die
mächtigste Liebesleidenschaft ihren tiefen, stillen, heiligen Sabbath
feiert, und in dieser Feier am verzehrendsten glüht, wie das
Weissglühen das Kothglühen überloht, diese Erkenntniss liegt
jenseits der poetischen Anschauung und Gefühlscapacität der spa-
nischen, der romanischen Dichtkunst; ihr Liebessabbath ist ein
lärmender, tobender Hexensabbath , und ihre Liebestragik der
Agave mänadisches Zerreissen und Zerstücken ihres einzigen
Kindes. —
Julia (beiseit). „Ach, Jüngling, wenn ich doch nur so glück-
lich wäre!" Dorotea (beiseit).^ »»Ach, wenn er doch nur an meiner
Seite Platz nähme!" Julia (beiseit). „Ach, Gott, dass er doch
käme!" Dorotea (beiseit). „Ach, Gott, dass er doch Liebe für
mich fühlen möchte !" ^) Der Charakter der Eomeo- Julia-Liebe,
selbst nur wie er in den italienischen Novellen sich darstellt, er-
scheint hier schon im Innersten versehrt, getrübt. An poetischer
Weihe steht das spanische Liebespathos hinter dem der italieni-
schen Novellen weit zurück. Einer Liebesverhimmlischung wie
des Petrarca oder Dante ist die spanische Poesie nicht fähig.
Dante ist, unseres Bedünkens, der einzige aller romanischen Dich-
ter, der im Liebesideal mit Shakspeare sich begegnet. Das na-
turkräftige, menschlichinnige, sinnlichseelische Element, das der
grösste Dichter des geschichtsidealen, ethisch-psychologischen Dra-
ma's der germanischen Romantik, das der Brite Shakspeare, an-
stelle des ascetischen, übernatürlich übergeistigen, theologisch-
spiritualistischen Heiligungshauches, den der grösste Lyriker und
Epiker der mystisch-romantischen Poesie des romanischen Volks-
geistes, den der Toscane Dante in die erhabene tiefsinnige Pla-
1) Julia (ap.).
|Ay, mancebo, si yo fuese
Tan dichosa!
Dorotea (ap.).
;Ay, si tomase •
Mi lado!
Julia (ap.).
jAy Dios, si Uegase!
Dortea (ap.).
{Ay Dios, si amar me tuviese',
344 ^^s spanische Drama.
stik seines, bei höchster Ideenfülle phantastischen, und bei der
gewaltigsten Naturbildlichkeit phantomenhaften Weltläuterungs-
Gedichtes athmet — Shakspeare's natur heiliges Liebesideal ver-
göttlicht und verklärt sich gerade aus dieser Eigenschaft heraus
zu der wahrhaft und eigentlich poetischen, welterfüllten und welt-
durchdringenden Liebesidee, woran Dante's dogmatisch-ekstatische
Liebesgottschau doch nur als ein von der Vernunftbefangenheit
und Erkenntnissbeschränktheit jener Culturepoche geworfenes,
wenn gleich von der poetisch seelenbrünstigsten Läuterungssehn-
sucht durchglühtes und durchlichtetes Schattenbild erscheinen
muss. Die Poesie der Spanier hat keinen der beiden Hochgipfel
der poetischen Liebesidee erschwungen, weder den mystisch-
ekstatischen der Dante-Poesie, noch den prometheisch- sonnen-
haften des xieschylisch-Shakspeare'schen Drama's, des Aeschyli-
schen Menschheits-Liebesdrama's und des Shakspeare'schen
Liebesdrama's im eigentlichen Sinne, das gleichwohl jene all-
umfassende Idee der prometheischen Menschenliebe und Be-
freiung abspiegelt, und an einem poetisch-persönlichen Liebes-
paare darstellt. Die mit Dante's poetischer Geistesstimmung ver-
wandte Weltanschauung Calderon's vermag den entsprechend
kühnen, geistesfreien Hochflug des grossen Toscaners nicht ein-
zuhalten, wegen der Engbrüstigkeit ihrer theils kirchlichen, theils
höfischen Dressur; vermag es nicht wegen der, im Vergleich zu
Dante, schwächlichen, weil conventionell typischen und alle-
gorisch schattenhaften Naturanschauung. Calderon's schematisch
schemenhaft phantastische, dramatische Gestaltung muss aber
vornehmlich deshalb so tief unter Dante's ideenschöpferischer
Bildkraft bleiben, weil des Spaniers Welt- und Kunstbegriff ein
mittelalterlich verspäteter ist; weil derselbe keineswegs natur-
gemäss aus dem Zeitcharakter erwachsen, diesem vielmehr nur
künstlich eingeimpft und wie durch trügerische Kunstberückung
angezaubert scheinen muss; mit einem Worte, weil es, wie die
nähere Betrachtung darthun wird, der Calderon'schen Kunstmanier
und Kunstabsicht an Zeitgemässheit, an innerer Wahrheit, an allge-
meingültiger Erbauungs- und Belehrungswürdigkeit, an culturför-
derlicher Berechtigung gebricht. Lope anlangend, der C^lderon,
unserer An- und Einsicht nach, an poetischem Genie, von Schöpfer-
kraft abgesehen, an Welt- und Menschenkenntniss , Geistresfrei-
Eifersuchtsmotiv in Lope's Castelvines y Monteses. 345
heit, Naturinnigkeit, Naivetät, Anmutli und Wahrheit weit über-
trifft — Lope, dem vielleicht zu Shakspeare-Flügen, nicht das
Genie, nicht die Schwungkraft, nicht die Spannweite der Fittige
versagt hätte, Lope bleibt, trotz der wunderbarsten glänzendsten
Begabung, auf der mittlem Region der dramatischen Poesie, über
die hinaus er sich nur sprungweise gleichsam, und wenn sein
Genius mit ihm durchgeht, erhebt, beschränkt und darin gebannt,
aus Mangel an strenger Selbstdurchbildung, an philosophischer
Gedankenzucht und daraus entspringendem absoluten Mangel an
Kunstgewissen. Wenn es überhaupt denkbar ist, dass einem
spanischen Inquisitions-Familiaren und Zeitgenossen der drei Phi-
lippe, die höchsten, ewig wahren Kunstgesetze der dramatischen
Poesie zu erkennen, und denselben in seinen Compositionen un-
verbrüchlich nachzuleben, beschieden sey.
Als eigentlicher Schöpfer des Kunstschema's des spanischen
Drama's, das Calderon nur auf die äusserste Spitze trieb, sehen
wir Lope von den Fäden seines eigenen Zaubergewebes, wie Mer-
lin, gebunden und bestrickt. In der novellistischen Bezugsquelle
seiner Castelvines und Monteses fand Lope, dass Giulietta, zwi-
schen Romeo und Marcuccio (Mercutio) stehend, scherzhaft Ro-
meo's Hand ergreift, um sich von der Eiseskälte, woran Marcuc-
cio's Hände dauernd litten, an Romeo's Hand zu erwärmen.
Flugs greift Lope nach seiner parallelen Eifersuchtsschablone,
setzt paarweis den Roselo neben Julia, den Anselmo (Mer-
cutio) neben Dorotea, deren Bruder, Otavio, von Julia's
Vater ihr zum Gatten bestimmt, mit Augen, vor Eifersucht
rollend, das Zwiegespräch zwischen Roselo und Julia verfolgt.
Zu welchem, den Charakter der Julia in's verschmitzt Kokette
verfälschenden Kunstgriffe bietet nun jene, mit Bezug auf Ro-
meo's und Marcuccio's Händetemperatur von Julia geäusserte
scherzhafte Bemerkung in der Novelle dem spanischen Eifer-
suchts-Zeloten die Hand? Er lässt seiner Julia, während sie
mit Otavio, um ihn zu täuschen, friedliche Worte wechselt, ihre
Hand dem Roselo reichen, der in Aparte's sein Liebesentzücken
darüber aushaucht. 1) Otavio soll ihre zärtlichen Erklärungen
1) (Habla Jiüia coii Otavio, y da la mano a Eoselo.)
Ros. (ap.). jOh mano mia!
346 I^as spanische Drama.
an ihn gerichtet glauben, die dem ßoselo gelten, dem sie ihre
Hand, im Einverständniss mit ihm, überlasssen. i) Eoselo freut
sich des Truges inniglich, wohl wissend, wie die Karte liegt. 2)
Man lausche doch dem allerliebsten Täuschungs-Echospiel!
Julia, wiemitQtavio flüsternd, aber an Eoselo's Adresse: „Wer
liebt mich von Herzen? Otavio (leise). Ich. Eoselo (leise).
Ich. Julia. Wem gehör' ich? Otavio. Mir. Eoselo. Mir...
Julia. Seh' ich Dich? Otavio. Ich^sehe Dich. Eoselo (leise).
Ich sehe Dich ... Julia. Soll ich Dich erwarten? Otavio.
Erwarte mich. Eoselo (leise). Erwarte mich . . . Julia. Wo?
Otavio. Im Garten. Eoselo (leise). Im Garten" 3), . . igt das
nicht das artigste, frauenschelmischste Liebesfoppspiel zwischen zwei
Liebhabern, wenn der unrechte, der in April geschickte, Liebes-
bestellbote für den wirklichen Herzliebsten ist? Aber Julia!
Eomeo's Julia! Eine ihrer Anlage, ihrem innersten Wesen und
Ursprünge nach zu tragischem Ausgang einzig vorbestimmte
Liebe, so spielerisch leichtsinnig einer Situationständelei zulieb
über die banale Komödien- Abklatschform gestrichen! ^Verträgt
sich eine solche Frivolität mit dem heiligen Kunstgefühle, einen
Stoff, seinem Stimmungsgehalte, seinem poetisch unverletzlichen
Charakter zuwider, zu parodiren? Parodiren — immerhin! Nim-
mermehr aber in ein gewöhnliches, nach dem Situations-Schlen-
1) (Hablando con Otavio, pero entiendose con Eoselo.)
2) Eos. (ap.). iBien! por mi lo dice todo.
Habla conmigo, y el necio
Piensa que le da favor.
3) Julia. öQ^uen me qniere bien?
Ot. (Bajo). Yo.
Kos. (Bajo). Yo.
Jul. De quien soy?
Ot. De mi.
Eos. (Bajo). ^ De mi.
Jul. Veräsme?
Ot. Vere.
Kos. (Bajo), ^ Vere.
Jul. ^Esperaro. ?
Ot. Espera.
Kos. (Bajo). Espera . . .
Jul. ^A que parte?
Ot. AI huerto.
Eos. (Bajo). AI huerto.
Lope-Reminiscenzeii bei Shakspeare. 347
drian componirtes Lustspiel, in eine salonfähige Dutzendkomödie
zu travestiren! Und eine Komödie, wo wir bei jedem Schritte
doch immer wieder an die Geschickestragik der sacrosancten, für
unser Gemüth, wie die Hero- und Leander-Sage, wie Tristan
und Isolde, und ähnliche unantastbare Heiligthümer tragischer
Liebespoesie, — an die Geschickestragik des Veronesischen Liebes-
und Todesopferpaares, thränenvoll bestattet in den italienischen
Novellen — ja wo wir an Shakspeare's Julia- und Eomeo-Tra-
gödie immer wieder erinnert werden, bis zum Erschrecken. Wenn
z. B. der alte Capulet, Lope's Antonio Castelvine, wie bei
Skakspeare, das Ballfest mit dem Rufe schliesst: „Packeln her!'' ^)
Worin in den Novellen keine Spur. An Shakspeare erinnert
Lope's Gartenscene, die der sogenannten Balconscene entspricht.
Und wie erinnert? Gott Amor sey's geklagt! Zuerst stellt sich
der von Julia in April geschickte Otavio im Garten ein, und
wird von ihr zu ihrem Vater hinauf ^j, unter einen vom Garten-
zaune gebrochenen Verwände, abermals in April geschickt. Dann
erscheint Roselo, dessen Namen und Familie sie von ihrer Ver-
trauten, Celia — „Vecchia" der Novelle, Schakspeare's „Amme''
— erfahren. Was ist nun das nächste dringendste Anliegen von
Lope's Julia? Dass er, da sie einen Montese (Montecchi) nicht
lieben dürfe, dass er sie verlassen möchte.^) Von Roselo' s
Betheurungen wieder umgestimmt, lenkt Julia zurück in's No-
vellenpalais, und überrascht uns gar mit einer Shakspeare-Remi-
niscenz, mit Juliet's „0 schwöre nicht!" 4) was Ihr in den No-
vellen wiederum vergebens suchen würdet. Wie erklärt Ihr Euch
dieses die schon erwähnten Shakspeare-Reminiscenzen vermeh-
rende Stichwort? Die einfachste Erklärung, dass, der Zeit
nach, da 'Castelvines y Monteses' in der Liste der bis 1603
von Lope verfassten Stücke sich findet, der Dichter von Romeo
1) Ant. jHachas! {Hola!
Shaksp. I. Schluss.
2) Haz que se acueste,
3) Pero en sabiendo tu nombre
Atras el amor se vtielve
4) No jures.
Y pues HO pierdes, me dejes.
348 ^^s spanische Drama,
und Julia von Lope's Castelvines gar wohl Notiz nehmen konnte
— mit dieser Erklärung halten wir noch hinter dem Berge, um
nicht die Holzköpfe von der Shakspeare-Gelehrsamkeit vor den
Kopf zu stossen, die, ungläubiger als der ungläubige Thomas, die
Schreibfinger in die offene Evidenz von Shakspeare's Sprachkennt-
nissen, und sogar in gleichlautende Parallelsätze stecken, und
doch noch zweifelsam die — sit venia epitheto! — die thomäse-
ligen Köpfe schütteln. Mit einem noch anderen Reminiscenzen-
Merks schliesst Lope's erster Act : mit einem die Liebesscene ab-
brechenden „Ruf hinter der Scene" (dentro), den ebenfalls keine der
Novellen verzeichnet hat; den Lope zwar von Roselo's Diener,
Marin, erheben lässt, Shakspeare der Amme in die Kehle
schiebt, aber der „Ruf hinter der Scene" bleibt immerhin ein
eigenthümlich scenisches Incidenz, dessen Zusammentreffen bei
zwei gleichzeitigen Dichtern desselben Fabelstoffes in derselben
Scene, ja an gleicher Stelle, und mit gleichartigem Absichtsmo-
tiv zu denken giebt; das aber gerade deshalb auf ein aberma-
liges Zweifelschütteln der Shakspeare-gelehrten, ungläubigen —
sit venia nomini — Thomäselsköpfe ^) sich um so sicherer gefasst
halten kann, weil die üebereinstimmung zu denken giebt.
Die zweite Jornada tischt uns wieder eine OUa potrida
von obligaten spanischen Komedienmotiven, dem Schablonen-
Dualismus gemäss, auf, vermischt mit den Ereignissen der Ro-
meo- und Julia-Novellen, und gewürzt mit einer pikanten Shak-
speare-Reminiscenz, selbstverständlich mit einer Reminiscenz von-
seiten Shakspeare's, als da ist Lope's Kampfscene zwischen den
Mitgliedern der beiden feindlichen Familienparteien (esc. IX.)
Castelvines und Monteses, mit welcher Fechtscene zwischen dem
beiderseitigen Hausgesinde Shakspeare seine Tragödie eröffnet,
vorweg mit weisem Kunstgefühl den Grundton derselben an-
1) Bog. My dame calls me Tom.
Ciiddy. 'Tis weU, and she may call me Ass; so there's ^
An whole one betwixt us, Tom -ass."
„Der Wortwitz besteht darin, dass Tom-ass, dem Klange nach zu-
gleich Thomas und ,, Maulesel" bedeutet." Shakspeare's Zeitgenossen etc.
V. Friedr. Bodenstedt 11. Bd. 141. Anm. 8. „Ass'* — nebenbei bemerkt —
durch „Maulesel" übersetzen, heisst ihn überschätzen. „Mauleser* ist eng-
lisch „mule"; „ass" der einfache „Esel". Jedem das Seine!
Lope-Keminiscenzen bei Shakspeare. 349
schlagend. Drei Novellen berichten von diesen blutigen Strassen-
scharmützeln, doch trägt der entsprechende und die Katastrophe
entscheidende Zusammenstoss Tybalt's mit Shakspeare's Komeo
(III, 1) gewisse in Wortgleichheit sich ausprägende von den No-
vellen nicht überlieferte Züge, die wiederum zu denken geben.
Wie z. B, ßomeo's Apostrophe an Julians ihn vom Kampfe ab-
haltendes Gedankenbild : „0 süsse Julia! Deine Schönheit hat
So weibisch mich gemacht; sie hat den Stahl Der Tapferkeit in
meiner Brust erweicht." Warum sollte Romeo's Apostrophe
schlechterdings nicht durch Roselo's ähnliche, wenngleich als
spanisch-duelllustiges Aufstachelungsmotiv zur Annähme des Zwei-
kampfs im entgegengesetzten Sinne gebrauchte Apostrophe ^) —
schlechterdings nicht durch Eoselo's angeregt erscheinen dürfen,
massen die Novelle keinerlei Anhalt dafür bietet? Zu welcher
unendlich überlegenen, durch Steigerung der von Furcht und
Mitleid durchschauerten peripetischen Stimmung, staunenswerthen
Situationskunst, ßomet's anfängliche Selbstüberwindung, aus Rück-
sicht auf Julia und seine unmittelbar darauf folgende, mit allen
Rücksichten, beim Anblick von des Freundes Todeswunde, bre-
chende Ermannung zum Zweikampfe — zu welcher unvergleich-
lich poetisch-dramatischeren Situation die von Lope's Roselo em-
pfangene Anregung den englischen Romeo - Dichter befähigte,
muss jeder empfinden, der die beiden Scenen- vergleicht. Ebenso
aber auch bei einem Vergleich die dramatisch-pathetischere
Situationswirkung empfinden, welche die novellistische Com-
position in dieser Schicksalswendung ihres Helden vor dem Castel-
vines y Monteses-Drama des grossen spanischen Meisters voraus-
hat, dessen gewaltiges, von der Verschrobenheit und dem krank-
haften Kunstgeschmack des Nationalgeistes mitergriffenes Genie
nicht anders als dieses Erbübel auf seine dramatischen Probleme
und Compositionen übertragen konnte. In der Darstellung der
novellistischen Quellen, Brooke nicht ausgenommen, wird kein
Zwischen wesen, kein Marcuccio (Mercutio) in das Strassengefecht
verwickelt. Romeo und Tebaldo (Tybalt) gerathen unmittelbar
aneinander. Lope schiebt den Otavio, Romeo's von Julia ge-
1) ßos. (Ap. Julia mia,
Perdona.)
350 I^3.s spanisclie Drama.
narrten Nebenbuhler an Tybalt's Stelle. Otavio führt den An-
griflf — aus welchem Anlass? — herbei: Weil Roselo's Die-
ner die von Otavio's Schwester Dorotea benutzte Kirchenfuss-
bant entfernt hatte. ^) Erfolglos erbietet sich Roselo, den Sche-
nkel selbst an den Ort zu schaffen, und schlägt dann eine Fami-
lienversöhnung vor; dass nämlich Otavio mit einer Montese, und
er, Eoselo, sich mit Julia vermähle, womit er nur Oel in's
Feuer schüttet, das Oel der obligatorischen spanischen Ehren-
kränkung, hier, infolge des entzogenen Schemels, in das Feuer der
obligatorischen spanischen Eifersucht, unbekümmert, ob durch diese
— aus Ehrerbietung vor dem grossen Dichter wollen wir nicht sa-
gen, stumpfgeistige — unbekümmert ob durch diese abgerittene
Motivirung, Komödie, Problem, Stoff und Composition in die Rap-
puse geht. Otavio fällt im Duell. Was glaubt Ihr wohl, was
nun geschieht? Was Art von Erfindung der Fortunatus der spa-
nischen Komödie nun aus seinem unerschöpflichen Wundertäsch-
chen ziehen mag? Ihr rathet's auf tausend Meilen nicht! Oder
rathet es auf den ersten Wurf. Aus dem Fortunatussack des
spanischen Doppelschaugesetzes bringt er folgenden prächtigen
Fund hervor: Julia's Vater Antonio verschreibt sich jetzt
aus der Novelle den rechten Paris zum Schwiegersohn 2), dessen
Vorläufer nur Otavio war. Antonio beschickt den Conde Paris
durch einen Boten zu diesem Behufe. Conde Paris muss sich
aber erst mit einer zwiespältig spanischen Ritterehrenpfiicht abfin-
den, bevor er sich als Otavio's Nachfolger bei Julia einstellt: er
muss zuvor den Roselo, den er aus einem Räuberüberfall geret-
tet, nach Ferrara, wohin derselbe, wegen Tödtung des Otavio,
vom Herzog von Verona verbannt worden, sicheres Geleit geben. ^)
1) Otavio. ^, Es bien que ponga su estrado
De mi heriuana un criado,
Y que el tuj^o se le quite?
2) Ant, Casarla quiero, y darla presto espero
Marido noble, rico y de su gusto,
El conde Paris me pidio —
Mi hija por mujer.
3) Conde. Si quieres que hasta Ferrara
Acompane tu persona,
Dejare de ir a Verona.
Boselo's Verzwciflungsliebe aus Liebes-Verzweiflung. 351
Lässt jedoch den Eoselo den von Antonio's Boten überbrach-
ten Verschwägerungsbrief lesen. Dankbarkeit wegen Lebensret-
tung im Hader mit Eifersuchtsabsicht — 0 der funkelnagelneuen
Conflicte in einem Komeo- Julia -Drama! Eoselo verfällt in
vorschriftsmässige Eifersuchtsdelirien, worin er Julia's treulosen
Wankelmuth verflucht, und schwingt sich, auf Marin' s, seines
Dieners Rath, zum höchsten Schwindelpunkt der Eifersuchtsver-
zweiflung, der zugleich der Schlusspunkt des zweiten Acts ist —
auf die Schwindelrachespitze empor, der treulosen heimlichen
Gattin den Possen zu spielen, gleich nach seiner Ankunft in Fer-
rara sich nach einem anderen Weibe umzusehen, i) Stramm vor-
wärts gen Eerrara. Ein köstlicher Eomeo! Jeder Zoll ein spa-
nischer Komödienschablonenheld.
Mit immer wildern Sprüngen setzt der dritte Act aus der
Komödie in die Novelle, von da in die Komödie. Celia bringt
ihrer, durch des Vaters angedrohte Zwangsheirath mit Conde
Paris zur Verzweiflung gebrachten Herrin den vermeinten Gift-,
in Wahrheit Schlummertrank vom Pater Aurelio (dem Pra
Lorenzo der Novelle), der Julia und Eoselo getraut, „einen ehr-
würdigen und in Kräutern und Wässerchen bewunderten Philo-
sophen." 2) Julia schlürft in Celia 's Gegenwart das Pläschchen
aus, spürt sogleich die heftigsten Wirkungen in den „Eingewei-
den" 3), und gebärdet sich, als wollte sie, nicht Shakspeare's, nein,
als wollte Lope's eTulia ihre Quelle, die ergreifende Schlaftrunks-
situation in Bandello's Novelle^), durch Parodirung derselben,
vergiften, und geht dann mit Celia davon, den Trank im Leibe.
1) Eos. fiPodre vengarme coli obras?
Mar. ^Pues no? En llegaiido ä Ferrara.
Ros, ^Como?
Mar. Casandote en ella.
Ros. jBien dices!
2) Jul. Se que es filosofo graye
Y en agnas y gerbas grave.
3) jA)^! de las entranas mias.
4) Woraus Shaksp. auch den Zug entlehnt: se le comincio a rappre-
sentar nella imaginazione Tebaldo, del modo che veduto raveva ferito nella
gola, talto sanguinolento — sich wie immer, auch hier, selbst im Entleh-
nen, als den grössten Kunstmeister und Dichter bekundend.
352 l^as spanische Drama.
Unterdessen hat Eoselo seinen Kacheplan aus Eifersucht über
JuUa's vermeinten Treubruch auch schon in Ferrara ausgefülirt,
und daselbst, unbeschadet der in ihm fortglühenden Lei-
denschaft für seine Julia, eine Liebesbekanntschaft und Balcon-
scene mit einer schönen Ferraresin, Donna Silvia, angeknüpft,
die ihm verschiedene Duellhändel zuzieht. Nach einer Balcon-
scene mit der schönen ferraresischen Ersatzpuppe, auf welche Eo-
selo seine Eifersuchtsrache einhetzt, bringt ihm sein Freund
Anselmo (Mercutio) die Nachricht von Julia' s Scheintod und
ßegräbniss, welche Nachricht Anselmo dem von Liebe und, aus
Eifersuchtsrache, von verstellter Liebe gefolterten Eoselo so
tropfenweis beibringt, als sollte der Freund einen Nachschmack
von Julia's in Einem Zug geleerten Schlummergifttrank durch
allmähliches Auskosten seiner Botschaft erhalten. ^) Doch ist uns
das peinliche Neckspiel lieb und werth durch einen Zug, der,
nicht undenkbarerweise, dem Juliet-Dichter als Wink, behufs An-
bringung einiger Pinselstriche in Juliet's wunderwürdigem Schlum-
mertranks-Monolog gedient haben konnte.^)
Was lässt sich von der folgenden Scene sagen, wo der alte
Antonio Castelvine, nach einer mit Conde Paris' abgehaltenen
1) ßos. Que se me acaba la vida
Mira, Anselmo, que soy muerto.
^Que aguardo, que no me doy
La muerte, que ya deseo!
Ans. Espera . . .
Kos. dQ^G he de esperar?
Oestas loco, 6 no te entiendo.
2) Jul. „Wie aber? wenn ich in die Gruft gelegt,
Erwache vor der Zeit, da Komeo
Mich zu erlösen kommt? . . .
Wo die Gebeine aller meiner Ahnen . . >
0 wach ich auf,
Umringt von air den gräuelVollen Schrecken*'
u. s. w. IV. 3.
Ros. Y se hallase ä esburas Julia
Entre tantos cuerpos muertos
<jNo se morirä de espanto?
Die Gruft der Capiilets. 353
Wehklage über Julia's Tod, den Entschluss fasst, damit sein Ver-
mögen nicht an Fremde falle, seine Nichte Dorotea zu hei-
rathen^), wozu er die Einwilligung vom Senor de Verona
erbittet, der den .Eoselo verbannte. Julia erwacht in der
Familiengruft, ergiesst sich in Schauerempfindungen, die Shak-
speare's Julia in ihrem Schlaftrunk-Monolog 'erledigt. Eoselo
tritt mit einer Laterne ein, begleitet von seinem Diener Marin.
Dieser stolpert und fällt hin, wobei er sich des herkömmlich
letztgültigen Lichtauslöschens zu befleissigen nicht ermangelt, und
treibt infolge dessen seine Graciosospässe, bis er die Scene nicht
in eine Komödien -Schlusssituation, bis er sie in eine Possen-
Katastrophe gespasst und gerüpelt hat. In seiner Angst zweifelt
er, ob Rhabarber stärkere Wirkungen erziele. 2) Julia's Er-
wachungsschrecken findet seinen Mann an Marin's hasenherzi-
ger — genauer, hosenherziger Rhabarberangst, ob der Todten-
knochen und Mauleselschädel ^), über die er alle nasenlang stol-
pert. Marin schreckpurzelt so lange, bis sie allesammt, Ro-
selo, Julia und Marin daliegen^), Eoselo und Marin, wie
Schiller singt, „mit Julien in Einem Liebesknäuel verflochten."
Roselo ruft Julia an. „Wenn's Otavio's Stimme wäre?" —
schrickt sie zusammen, und lässt erst vom Anrufer verschiedene
Erkennungszeichen zu seiner Legitimation angeben, eh' sie ihn
als Ex)selo recognoscirt. Nun auf und davon selbdritt über Stock
und Stein, Todtenschädel und Todtengebein, in's nächste Dorf,
um sich für's erste dort in Bauernkleider zu vermummen, und
dann, wenn dem komischen Verkleidungsgebot der spanischen
Komödie Genüge geschehen, dem Landhause bei Verona zuzu-
eilen, wo der alte Antonio Castelvine mit seiner Nichte Do-
rotea Hochzeit und Beilager hält.
Als Schnitter verlarvt, betreten nun Roselo, Julia und
Marin das vom Hochzeitsfeste des alten Capulet durchjubelte
1) Ant. Con Dorotea trato casamiento.
2) Pues (jqiie purgo de ruibarbo
Fuera mas corriente purgo? '
3) Aqui estä luia calavera . . .
Pero parece de mula.
4) (Caen juiitos.)
X. * 23
354 J^äs spanische Drama.
Landhaus^) Tamar, eine dralle Hausdiyne, empfängt das mit
Sicheln und Strohhut ausstaffirte Feldarbeiter-Kleeblatt und er-
regt durch ihre Zuthulichkeit gegen Eoselo Julia's spanische
Eifersucht. ^) Julia eilt, sich im Oberstübchen zu verstecken, um
von oben herab ihrem Vater, dem alten unter ihr in der Tanz-
stube weilenden Hochzeiter, als Grabgespenst Angst zu ma-
chen, und ihn von der Heirath und Entäusserung ihres Erbes
abzuschrecken. „Hierdurch" — bemerkt der kundige und ge-
schmackvolle Epitomator des Inhalts unserer Komödie, Herr
V. Schack — „hierdurch wird eine wunderliche Scene veranlasst.
Julia spricht durch eine Oeffnung des Bodens, und Antonio glaubt
eine Geisterstimme zu hören. Julia. Mein Vater! Antonio.
Wo bin ich? Ewiger Gott, was für eine Stimme vernahm' ich
da? Wenn mein Schrecken mich nicht täuscht, so ist es Julia.
Julia. Grausamer Vater, höre mich, wenn Dir noch irgend ein
Gefühl von Menschlichkeit übrig bleibt. Antonio. Bist Du's,
meine Tochter? 0 Himmel! Das Blut erstarrt in meinen Adern |
Julia. Ich komme aus dem finstern Aufenthalt der Todten, um
Dir Deine Härte und Unvernünftigkeit vorzuwerfen. Du, Du hast
mir den Tod gegeben. Antonio. Ich? Ewiger Gott!" ... Sie
fordert, als Grabgespenst, den Vater auf, ihren Gatten zu achten
und zu lieben. „Solltest Du ihn irgend feindselig behandeln, so
werde ich Dir keine ßuhe lassen." ^) Antonio fragt sein in des
Dichters Oberstübchen spukendes Tochtergespenst nach dem Na-
men ihres verwittweten Gatten, der, gleich nachdem sie ihn als
Eoselo Montese ihrem Vater bezeichnet, von der Castelvine-Sipp-
schaft aus seinem VerstecK vorgeführt, dem Familiengericht
und der Castelvin'schen Lynch-Justiz überantwortet wird. An-
1) — todo el mundo
Anda al reves.
2) Jul. (ap.) Aunque esto hurla es, de celos muero.
3) Jul. Y que en paz y amistad quedes
Con el que fue mi marido,
Y que SU muerte uo inteutes;
Qu« si lo haces, te juro
Que los diäs que vivieres
- Con el fuego que me abrasa
Caüa noche te atormente.
Julia als Grabgespenst. 355
tonio, als Familienoberhaupt, berichtet nun, was er eben, vom Un-
terstübchen hinauf und vom Oberstübchen durch die Dielenspalte
herab, erlebt. Sein Bruder Teobaldo hält das Märchen für
eine faule Ausrede, um die Hochzeit mit seiner Tochter Dorotea
rückgängig zu machen ^), und legt sich nur zum Ziele, erschreckt
von ! Antonio 's Warnung, dass ihm noch in dieser Nacht der
Geist seiner Nichte, Julia, erscheinen werde. ^j Als Unterpfand
der Versöhnung beider Familien schlägt Antonio und Conde
Paris dem Teobaldo die eheliche Verbindung zwischen Ko-
selo und Dorotea vor. Das ginge dem an der Dielenschwelle
des Oberstübchens lauschenden Julia-Gespenst denn doch über
den Spass und über den Spuk. Nun sagt sie erst recht: „Ob-
gleich das nur ein Spass ist, so sterb' ich doch vor Eifersucht" 2),
und erscheint den beiden auf ihre Kosten versöhnungslustigen
Familien, aber als Roselo's leibhaftiges Weib und sein Mann
und Weib Ein Leib. Antonio's Segen dazu genügt der Grabes-
braut nicht, sie fordert auch noch die Hand von des Vaters auf den
Pot gesetzter Braut, die Hand ihres Mühmchens Dorotea, für
Eoselo's Freund, Anselmo, alias Marcuccio oder Mercutio. Nun
meldet sich auch Marin für sein wiederholt stolperndes Mitwir-
ken bei Julia's Auferweckung zu seinem Handgeld, das er aus
Celia's Hand, und mit dieser, im Betrage von tausend Duca-
ten, die ihm Julia zusichert^), empfängt.
Als Geschmack verbesserndes Gläschen feinen Liqueurs wol-
len wir rasch auf Lope's Castelvines-Comedia, unseres berühmten
Vorgängers Wahrspruch über dieselbe setzen, mit dem wir aber,
zu unserer Betrübniss, nur im ersten Satze übereinstimmen
können. ^)
1) Teob. Sospecho que te arrepientes
Y que esas quimeras finges.,
2) Teob. No, no, Antonio, estese allä
Yo lo creo.
3) Aunque esto burla es, de celos muero.
4) Jul. Celia es suya y mil ducados.
5) „Die schwäcLste Seite dieses Stücks ist offenbar ihr Schluss . . .
Die früheren Theile des Lope'schen Drama's enthalten dagegen Scenen,
welche in Liebesgluth, in Zartheit und Tiefe des Gefühls mit den entspre-
chenden der englischen Tragödie wetteifern'' . . . Schliessen wir gleich
23*
356 ^^^ spanisclie Drama.
Nacht muss es seyn, wo Lope de Vega's
Stern von Sevilla
(La Estrella de Sevilla)
strahlt! tragisch finstere Nacht, eine Ausnahmsnacht bekanntlich
im Bereiche der spanischen Bühne, wo die Sonne der goldenen
Comedia nie untergeht, und, wenn sie untergeht, eine Nacht
heraufführt voll ste^nenflammender Komödiensituationen, und wo
die Komödien den Tragikomödien und diese den Tragödien so
die gelehrten Folgebemerkungen des gewiegten Ktinstrichters und Literar-
historikers an : ,,— jedenfalls steht das Schauspiel des Lope beträchtlich
höher, als die spätere Dramatisirung derselben Novelle durch Francisco
de Rojas.*) Ungleich vorzüglicher als die beiden zuletzt genannten Ko-
raödien ist La Quinta de Florencia, gleichfalls aus einer Novelle des
Bandello gezogen (s. auch die Histoires tragiques von Belleforest. Tom. 1.
Hist. 1. Hist. 12. und Goulart, Histoires admirables T. 1. p. 212), und hier
muss man Lope unbedingt den Vorrang vor Beaumont und Fletcher ein-
räumen, die in ihrem 'Maid of the mill' dasselbe Ereigniss dramati-
sirt Jiaben**) ... In El Halcon de Federigo stösst man auf die
Novelle vom Falken aus dem Decameron (Giorn. 5. Nov. 9), im El re-
medio en la desdicha auf die mit Eecht bewunderte Erzählung von
Abindaoraez und Harifa aus der 'Diana' des Montemayor. *E1 Guante
de üofia Bianca ist auf die nämliche Begebenheit gegründet, wie Schil-
ler's Handschuh, die aber hier an den portugiesischen Hof verlegt ist. In
La prueba de los ingeniös überrascht uns dieselbe, aus dem Orient
in die abendländische Novellistik eingewanderte Fabel, deren Quelle das
Heft peiger des Nisam zu seyn scheint, und die durch Gozzi's Turandot
so berühmt geworden ist. ElMarmol deFelisardo zeigt in der Hand-
lung auffallende Verwandtschaft mit Shakspeare's Wintermärchen***); da
letzteres bekanntlich zunächst aus Robert Green's Tleasant History of
Dorastes and Fawnia' geflossen ist, so muss vermuthet werden, dass in
diesem Roman eine uns unbekannte ältere Novelle, aus der auch Lope ge-
schöpft, benutzt sey.'^ Gesch. d. Dram. Lit. u. K. in Span, IL S. 337 f.
*) 'Los Bandos de Verona'. — **) Bleiben uns Apollo und die
Neun Musen hold und gewogen, nehmen wir eine vergleichende Analyse
der beiden Dramen für die Erörterung des Drama's von Fletcher in Aus-
sicht. — ***) Betreffs dieser vergleichenden Analyse müssen wir ebenfalls
und schon deshalb auf unsere Besprechung des Shakspeare-Drama's ver-
weisen, da uns bis jetzt Lope's 'El Marniol de Felisardo' unerlangbar
geblieben.
Lope's 'Stern von Sevilla'. 357
ähnlich sehen, wie ein Stern dem andern. Lope's 'Estrella de
Sevilla' jedoch leuchtet wirklich an einem tragisch schwarzen,
wenn auch künstlich verfinsterten Nachthimmel, wie Rembrandt
in seinem Atelier eine künstliche Nacht schuf, und nur durch
eine kleine OefFnung im Schalter die zu einem blitzenden Stern
verkleinerte Sonne ihre Strahlen behufs wundersamer Contrastbe-
leuchtung werfen Hess.
E s t r e 1 1 a ' s , der Trauerspielheldin , zärtlicher Bräutigam,
Don Sancho Ortiz, wird von dem uns- schon als komödienläu-
figer Katastrophenkönig bekannten Sancho el Bravo 0 durch
Ehrenwort zur Ermordung von Estrella's rechtschaffenem Bruder,
seinem besten Freunde, Busto Tabera, wie ein italienischer
Bravo, gedungen. Die tragische Sühne dieses nur auf der spa-
nischen Bühne möglichen Fatalitätsmordes, auf Grund eines dem
Könige geleisteten Sicarier-, zu deutsch: Meuchelmord-Homagiums,
besiegelt eine endgültige Entsagung des Bräutigams: vonseiten
Estrella's, indem sie auf den Bräutigam, mit den Worten an
König Sancho el Bravo, verzichtleistet. „Senor, meines Bruders
Mörder kann mein Gatte nicht seyn, obgleich ich ihn liebe und
anbete" ^) (geht ab). Vonseiten des Bräutigams mit der Erklärung :
„Und ich, Herr, fand' es ungerecht, ihr Gatte seyn zu wollen,
trotzdem ich sie liebe" ^), und schreitet ebenfalls entsagungsstolz
davon. Der König staunt dem auseinander gegangenen Liebes-
paare nach, rufend: „Welche grosse Gewissenhaftigkeit! und
sein Ahitophel, Don Arias, der durch schnödes Gutheissen, Lieb-
kosen und Aufstachelung des königlichen Begehrungsgelüstes die
Tragödie eingebrockt, nachrufend: „0 der grossen Standhaftig-
keit!"4) Letztgültig spricht König Sancho el Bravo den Vor-
satz aus: dass er sie und ihn, Bräutigam und Braut, anderweitig
J) Gesch. d. Dram. VIII. S. 474 f. 485 f.
2) Estr. Senor, no ha de ser mi esposo
Hombre que a mi hermano luata,
Aunque le quiero y le adoro.
(vase.)
3) Y yo Sefior, por aniarla,
No es justicia que lo sea.
4) Rey. ; Grande fe! (vase.)
D. Arias, i Grande constancia!
358 ^^^ spanische Drama.
ZU verheirathen gedenke, nach Verdienst.^) Wir aber müssen,
den berufungslos schlussgültigen tragischen Gesetzen zufolge
nachseufzen: Wie bist du so klagwürdig vom tragischen Him-
mel gefallen, du schöner Morgenstern von Sevilla! — Wie sehr
nun aber auch dieses tragische Spiel des Lope an den Grundge-
brechen des spanischen Begriffswesens krankt; wie grundfalsch,
grundverderbt, verkehrt auch in diesem durch Kunst, Pathos und
Situationswirkung einiger Scenen merkwürdigen Drama die An-
schauungen des spanischen Dichtergeistes von Schuld, Vergeltung
und Rechtfertigung erscheinen mögen , so muss man um so mehr
die Bravour der Scenenentwickelung, die hinreissende Gewalt der
Affectsprache in den Entscheidungssituationen, um so mehr das
zauberkräftige Genie bewundern, das nicht nur aus so anstössigen
nationalen Begriffs- und Anschauungsverschrobenheiten bewälti-
gende Wirkungen hervorzulocken versteht; das auch noch, kraft
seiner individuellen Trefflichkeit, aus dieser heraus, die Läu-
terung jener nationalen das Poetischsittliche in der Wurzel ge-
fährdenden Anschauungssünden, wenn nicht vollzieht, doch in-
stinctiv durch die schärfsten Streif lichtei; auf die königliche Hybris,
andeutet. Durch dieses bald im Spiegel der Ironie, bald mittelst
strenger Folgeentwickelung veranschaulichte, gegen den Königs-
kitzel und Machtunfug gerichtete Rügebedürfniss vonseiten
des Dichtergewissens unterscheiden sich, zu des grossen Poeten
unsterblichem Ruhme, Lope's Königsspiele, freilich auch nur aus-
nahmsweise und instinctiv, von denen der meisten seiner Zeit- und
Nationalitätsgenossen, insbesondere von denen des Calderon, der
den Königscultus quand memo selbst in den Königssünden dog-
matisch festhält.
Bei den, aus Anlass von König Sancho's Besuch, zu Sevilla
veranstalteten Empfangsfeierlichkeiten erblickt der König einen
Frauenkreis von andalusischen Schönheiten, deren Namen und
Vorzüge ihm sein Maitre de plaisir und Launenkitzler, Don
Arias, herzählt, die aber sammt und sonders Von der Einen
wundervollen Schönheit verdunkelt werden, die, vom Balcon her-
unter, des Königs Blick allsogleich gefesselt hält, und vor wel-
Rey. Casarle pienso y casarla
Como merece.
Der Stern avancirt zur Sonne v. Sevilla u. Estrella's Bruder zum General. 359
eher, in bewundernder Anbetung sich tief verneigend, er den Hut
zog; die im Finstern wie eine Sonne strahlte, wie eine Morgen-
röthe in finsterer Nacht glänzte ^) — und was der maurisch-an-
dalusischen Parenthyrsen solcher Prauenvergötterungsgleichnisse
mehr sind. „Dieses Mirakel von Schönheit", bescheidet Don Arias
den König, „nennt man den Stern von Sevilla." Nun ermangelt
König Sancho natürlich nicht, mit den markt- und bühnenläu-
figen Vergleichungen von Sonne, Mond und Sterne zu spielen,
ein Gegenstrich zum Sprichwort: Dass Bettler mit den Kupfer-
dreiern im Sacke klappern. Lope zeigt, hier und anderer Orten,
dass auch ein Krösus sich an solchem Geklimper ergötzen kann.
Das Klimpern tönt in den Missklang aus: Don Arias möchte es
so einrichten, dass ihm, dem König, für nächste Nacht der 'Stern
von Sevilla' aufgehe, der „Epicikel", der mit Feuer seine Seele
entflammt 2) ; und dass ihm sein Leibastrolog, Don Arias, der ihm
das Fernrohr stellt und richtet, Estrella's Bruder zuschicke, den
Hüter des schönen Sterns, um auf des Astrologen Rath, dessen
mühseliges Sternhüteramt gegen ein Hof- und Staatsamt umzu-
tauschen, das einen Ordenstern 'einbringt. In einer nächsten Scene
avancirt schon Estrella's Bruder, Busto Tabera, von dem schlich-
ten Tabera zum General von Orchidona, und von einem blossen
Schwesterkammerwächter zu des Königs Leib- und Kammerdie-
ner^), mit dem feierlichen Versprechen, — um das Haar, das
der Bruder in diesem Meer von königlicher Gnade aus dem Steg-
1) ^Quien es la que en un balcon
Yo con atencion mire,
Y la gorra le quite
(Jon alguna Suspension? . . .
Una que, de negro, hacia
Fuerte conpetencia al sol
Y al horizonte espanol
Entre ebano amanecia . . .
2) Epicicle que me abrasa
Con fuego que el alma siente.
3) Y en mi camara y palacio
Quiero que asistais despacio.
Desde hoy asistidme vos
En nii camara y palacio.
360 ^^^ spanische Drama.
reife findet, wegzufischen — mit dem feierlichen Versprechen,
der Schwester einen Mann verschaffen zu wollen, der eines sol-
chen Sternes würdig. ^) Der Bruder entfernt sich mit Kopfschüt-
teln* über dieses Sturzbad von Gunstbezeigungen und Ehrenäm-
tern, die ihm TJnehrenämtern aufs Haar zu gleichen scheinen.^)
Busto Tabera, nach Hause zurückgekehrt^ schüttelt noch das
Sturzbad vom Leibe, so heftiglich, dass die von des Königs un-
erklärlicher Gnaden-Douche über den Bruder ausgesprüKten Was-
sertropfen dem bei seiner Schwester Estrella eben anwesenden
Bräutigam, Don Sancho Ortiz, in's Gesicht fliegen, wo sie,
vor Schreck über Busto's Meldung vom Sturzbad, zu Eiskörnern
erstarrt, hängen bleiben. Sollte der Leser über diese Hyperbel
den Kopf schütteln, so mag sie des Ortiz Liebessprache in der
voraufgegangenen Scene mit Estrella entschuldigen, die ein an-
dalusischer Parenthyrsus eröffnet vom haarsträubendsten Gongo-
rismus: „Du, mein göttlicher Engel! Wann werde ich Dein
Gatte seyn, vermöge dieses Amtes (des Ehestandes) die Beängsti-
gungen von Dir nehmend, die ich Dir bereite? Wann wirst Du
den weissen Thau, den meine beiden Augen vergiessen, Sonne,
die Du blendend aufgehst in korallenen Muscheln, woraus Amor
die rothen Lippen geformt, mit friedseligen Beruhigungen in Per-
len umwandeln, die unsere Seelen einfassen?'' 2) Erstarrt der
Ehestand des Bräutigams Thränen in seeleneinfassende Perlen,
1) Yo la casare, en mi nombre,
Con hombre que la merezca.
2) Mas parece sobornarme,
Honor, que favorecerme.
3) Don Sauclio.
Divin 0 angel mio
^Cuando sere tu düeno,
Saeando desto eini)eno
Las ansias que te envio?
^Cuando el blanco rocio
Que vierten rais dos ojos,
Sol que alumbrando sales
En conehas de corales,
De quo ha formado amor los labios rojos,
Con apacibles calmas
Perlas haräs que engasteu* nuestras almas?
Schreckwirkung. 3ßj^
SO folgt aus dieser poetisch-gongorischen Hyperbel die kritische
als Corollariiim von selbst, welche die Thränen desselbigen Bräu-
tigams vor Schreck zu Eiskörnern gefrieren lässt.
Nun wirft sich von selbst die Frage auf: Warum verschwieg
Estrella's Bruder dem Könige ihr Verhältniss zu Sancho Ortiz
de las Koelas? Dass ihr Herz vergeben, dass sie bereits verlobt
ist? Der Grund konnte eben nur der Schrecken seyn, der
von der Majestät eines absoluten Königs ausgeht, zumal eines
Königs, der zugleich «in 'Bravo' ist, dessen blosser Anblick schon
wie der Katze Blick auf den Vogel, der Schlange Blick auf den
Schmetterling, oder gar des Basilisken Blick auf alles Lebendige,
beängstigend, lähmend, tödtlich wirkt! Gesteht es nicht Busto
selbst auf Ortiz' Pr^ge,* warum er dem Könige verheimlicht, dass
Estrella schon versprochen ist? Busto entschuldigt dies mit der .
Verwirrung, üeberraschungi) — Euphonismen für Schreckwir-
kungen, ausströmend von einem König-Bravo. Dem unglückseli-
gen Ortiz bleibt selbst nun nichts übrig, nachdem Busto mit
der Bemerkung davon geeilt, „Sancho Ortiz, der König ist der
König, da gilt es, sich in Geduld fassen" — nichts weiter übrig,
als seine Verzweiflung in die monologische Majestätsbeleidigung
zu verbeissen: „Tyrann! der da herkommt, die Wonne meiner
süssen Vermählung zu zerstören! . . . Mit vollem Kecht ver-
dienst Du den Zunamen „Sancho el Bravo" ! " ^)
1) Don Sancho.
Mas no cumples con la ley
De ainistad, porque debias
Decirle al Key que ya estaba
Casada tu liermana.
Busto. Andaba
Entre tantas demasias
Turbado mi entendimiento,
Que lugär no me dio alli
A decirlo.
2) Busto. Sancho Ortiz, el Rey es rey:
Callar, y tener paciencia.
(Vase.)
D. Sancho. — — —--- — — .
Tirano, que veniste
A perturbar mi triste casamieuto .
362 1^8-s spanische Drama.
Der Key Bravo — die Kehrseite der Ehrenmedaille zum *Bey
Justiciero', wo beide Königsmachtbefugnisse in Sancho's el Bravo
Enkel, König Don Pedro I. von Castilien, vermengt und ver-
quickt — unser König Sancho el Bravo schleicht scheu, wie
der Dieb in der Nacht, als regelrechter Frauenehrenräuber , in
Begleitung seines die Beute ihm in den Rachen jagenden Scha-
kals, DonArias, um Busto Tabera's Haus, verhüllt in seinen
Mantel, das gewandliche Familienstück zu Lucian's, des Helden
in Hamlet's Königskomödie, und zu des Sextus Tarquinius Mantel.
Dem ihn empfangenden und vor Freude ob der Ehre des nächt-
lichen Königsbesuches ganz betäubten Busto i) macht König
Bravo weiss, dass er auf seinem nächtlichen Spaziergang durch
Sevilla zufällig an Busto's Haus vorbeigekommen und dasselbe,
das ihm als so vorzüglich sey gerühmt worden, in Augenschein
habe nehmen wollen. ^) Busto geräth vor Entzücken aus dem
Häuschen und bei der Gelegenheit, auch aus dem Hause, zugleich
mit dem Glanz in seiner Hütte, den er aus selbiger herauscompli-
mentirt mit dem Bedeuten, der Glanz möchte den des Ehren-
spiegels seiner Schwester trüben ^) ; und complimentirt den König
bis in dessen Palast hinein mit den denkbar unterthänigsten
Bücklingen durch die stockfinstere Nacht, unterdessen hat der
Schakal Estrella's Kammerzofe, die Mohrin Matilde, durch
Bien de don Sancho el Bravo
Mereces el renombre ...
1) Busto. [Tal merced, tanto favor!
^Es mi casa vuestra alteza?
2) Por Sevilla asi embozado
Sali, con gusto de verla,
Y me dijeron, pasando,
Que eran vuestras casas estas
Y quise verlas; que dicen
Que son en extremo buenas.
3) Dirän , . .
Que venistes ä mi casa
Por ver a mi hermana; y puesta
En buena opinion su fama
Estä ä pique de perderla;
Que el honor es cristal puro,
Que con un soplo se quiebra.
Der Kammerherrnschlüssel zu Estrella's Kammer. 363
Gold und ein vom König schriftlich ihr auszustellendes Freilas-
sungsversprechen, für dessen Absichten gewonnen. Die Mohrin er-
klärt sich selber frei und frank als einen um Gold und Freiheit
zum Begehen der grössten Missethat äusserst leicht entbrennba-
ren und feuerfänglichen Zunder, i) Mit diesem Erfolge bei der
Zofe tröstet sich der königliche Kammerherr vom goldenen After-
schlüssel oder Dieterich zu heimlich aufzuschliessenden Frauen-
kammern — tröstet er sich für den von Estrella so eben er-
haltenen Bescheid auf den Antrag, wenn sie dem Willen des
Königs sich füge, würde sie Seine Majestät aus einem blossen
Stern von Sevilla zu einer „Sonne von Sevilla" machen voll gol-
dener Berge, die Städte, Villen ui;id den Mann im Monde un-
gerechnet, den König Bravo der Sonne von Sevilla zum Gemahl
vorbehalte.'^) Wie lautet nun Estrella's Bescheid? Sie dreht
dem kammerherrlichen Rückenschlüssel den Rücken und entfernt
sich mit dem Bescheide : „Solchen unverschämten (leichtfertigen)
Anträgen giebt mein Rücken (meine Schulter) die Antwort."^)
Nun hat er's! Bruder Busto nämlich. Und was hat er?
Den goldenen KammerherrnschlüsseP), den ihm, dem fun-
kelnagelneuen Kammerherrn, ein Hofherr im Namen des Königs
überreicht. Busto ist im siebenten Himmel, den der Kammer-
herrnschlüssel oder goldene Afterdieterich ihm eben nur erschlos-
sen; besorgt aber um so mehr einen Sturz von der Himmelshöhe
1) Mat. Por la libertad y el oro
No habra, maldad, que no emprenda .
Paes yo le pondre en la mesma
Cama de Estrella esta noche.
2) Que si la admitas y premias
Seräs de Sevilla el sol,
Si has sido hasta aqui la estrella,
Daräte villas, ciudades
De quien seras ricuhembra,
Y daräte ä un rico hombre
Por esposo . . .
3) A tan livianos recados
Da mi espalda la respuesta.
(Vase.)
4) la Uave y camara.
364 I^as spanische Drama.
auf die platte Erde sammt Dieterich und Zubehör. ^) Der goldene
Zopf aber hängt ihm hinten, und Bu^to lässt ihn dort auch
ruhig hängen. Don Arias, der Oberkäramerer mit dem passe-
partout-Schlüssel am Kreuz, heisst nun die Andern sich entfer-
nen, da der König Wichtiges zu schreiben habe. Betreffs wel-
chen Staatsgeschäftes? Sein „Yo el Key" nämlich unter den von
Don Arias geschriebenen Schein, welcher der Mohrin Matilde
Haufen Goldes und Freigeben für des Königs Einlassung in
Estrella's Schlaf kammer verheisst mittelst ihres Bruders Kam-
merherrennachschlüssel. König Bravo, schon ganz auf diesen
Schlüssel gestimmt, freut sich königlich über das gute Geschäft,
das er mit der Mohrin gemacht, die ihm „die Sonne des Him-
mels in dem Stern von Sevilla verkauft" 2)^ und schliesst gleich
mit besagtem Schlüssel den ersten Act hinter sich zu.
„Ein göttlich Ding doch, König seyn !" ^) ruft schonEingangs
des zweiten Acts König Bravo, entzückt ob der Wirkung sei-
nes Schenkungsbriefes auf die Mohrin Matilda, die ihm dafür
sogleich Thiir und Thor zu ihrer Gebieterin, dem Stern von Se-
villa öffnet — Teufels -Busto, der wiederum der Majestät von
Castilien den Nachtspass verderben muss! Die Mohrin läuft da-
von, König Bravo zieht den Mantel bis über die Augen. „Hand
an's Schwert!" — brüllt Busto die Vermummten an — „oder, so
wahr Gott, ich bring' Euch um!"^) Zwischen Borke und Rinde,
muss der Vermummte Bravo gut oder übel den Degen ziehen,
nicht ohne sich dess zu brüsten, und prahlend, dass er ein Kö-
nigswerk "vollziehe. „Stirb, Wicht, mir giebt der Name König
Kampfesmuth und er wird Dich tödten."^^) Busto: „Mein Kö-
1) Puerta me bace de su cielo;
Aunque me amenaza el suelo
Viendome tan levantado.
2) Que me vende el sol del cielo
En la Estrella de Sevilla.
3) Divina cosa es reinar.
4) Meted mano, 6, jvive Bios,
Que OS mate!
5) Porque te admire y te asombre
En las obras lo sere (rey)
Muere, villano; qne aqui
Busto hängt die Mohrin Matilda vor dem Fenster des Königs auf. 3Gr
nigstitel ist allein die Ehre" ^) und thut Bescheid mit seiner lOinge,
und dem Kammerherrnschlüssel auf der Hinterbacke. Marktläu-
figer Zweikampf, unausbleibliche Diener mit Fackeln. König
Bravo zieht den Mantel zum Degenspiel über die Ohren, und
mit diesen vor den Fackeln auf und davon. Beim Licht dieser
Fackeln besehen — was ist Königs- und Majestätswidriger: sol-
cher Zweikampf, oder der Anlass dazu: das Werk der Finsterniss
als unterbrochenes Frauenschändungsopf erfest? Die Königsschmach
fühlt der grosse Dichter und deutet mit Fingern darauf — eine
nackte Duellklinge deckt aber gleich, auch in seinen Augen, alle
Blossen zu und die anstössigsten , schimpflichsten Majestätsskan-
dale. Hand an's Herz, statt an den Degenknopf! Haftet an die-
sem orthodoxen Begriff von der unbedingten Sühnkraft des Duell-
muthes nicht ein Rostfleck von unüberwindlicher Furcht vor Feig-
lieitsvorwurf, folglich ein Feigheitsrostfleck? — Busto glaubt der
hyperbolischen Versicherung ' der Mohrin Matilda, dass sie
Estrella, als Stern von Sevilla, mit ihren Strahlen versengt haben
würde, wenn sie die leiseste Ahnung von dem Handel gehabt
hätte. „Klar wie der Tag" — versetzt Busto — „denn könnte
sie ihr Licht verdunkeln, wäre sie nicht der Stern, der sie ist" ^)
Heisst das nicht den armen Stern von Sevilla zu Tode hetzen,
oder doch zur verstiebenden Sternschnuppe schneuzen? Busto
macht die Mohrin Matilda ganz und gar zur Hyperbel, indem
er sie auf der äussersten Dachzinne baumeln lässt, dem Cabi-
netsfenster des Königs schrägüber und diesem vor den Augen.
Welche auf die Dachgiebel-Spitze getriebene Hyperbel! Vorerst
geht aber noch ein gewichtiger Auftritt über die Bühne. Der
Alien to el nombre me da
De rey, y el te matarä.
1) Solo mi honor cina en mi.
(riilca.)
2) Mat. Pienso que ella
En sus rayos ä abrasar
Me vhiiera si entendiera
Mi concierto (con el rey).
Busto. Cosa es clara;
Porque si acaso enturbiara
La luz, estrella no fuera.
366 I^as spanische Drama.
Auftritt nämlich, bei des Königs nächtlicher Rückkehr in sein
Schloss, auf der Strasse, mit Don Arias, der keine Sühne für
Busto's tapfere Abwehr der schimpflichen seinem Hause vom
Könige zugedachten Entehrung kennt, als Busto's Kopf. Die ge-
rechteste Strafe, die von der aufgehenden Sonne beschienen wer-
den könne, massen im ganzen Umkreis des spanischen Gebietes
es keine anderen Gesetze gebe, als des Königs bon plaisir. ^) Als
Lope diese Tragödie schrieb, war der „orbe espanol" der „orbis
terrae", ging die Sonne im Umkreis des spanischen Gebietes gar
nicht unter und beschien sie die glorreichen Tage König Peli-
pe's IL el Bravo, der mit seinem Don Arias, dem Antonio
Perez ein ähnliches Geheimgespräch gehalten haben mochte, als
Escovedo's Meuchelmord zwischen Felipe el Bravo und seinem
Geheimsecretär Antonio Perez verhandelt wurde, wie Mr. Eugene
Barret's scharfe Uebersetzer-Spürnase wittert.^) Die Witterung
dürfte sogar auf der richtigen Fährte Schneppern, dass Lope bei
diesem Auftritt an jenen Felipe-Pefez-Handel, betreffend Escove-
do's Kopf, gedacht haben konnte. In Augenblicken, wo bei Lope
der Dichter mit dem Spanier durchging, hatte der grosse asturi-
sche Poet solchte lichte Intervalle, wie kein anderer Spanier, Und
dass diese Auftritte, dass der 'Stern von Sevilla' in solchen Au-
genblicken gedichtet worden, — unsere Witterung auf eigene
Spürnase — giebt dieser Tragödie ihren Hauptreiz und Werth in
unsern Augen und den lieblichsten Wohlgeruch unserer Nase.
König Bravo scheut zurück vor einer öffentlichen Hinrichtung
des Busto. „Ei, Sire, so lasst ihn heimlich bei Seite schaffen." ^)
Wörtlich, wie Antonio Perez, seinem Geheimsecretäramte ge-
mäss, dem Eey-Bravo IL, bezüglich des Escovedo, gerathen, „Doch
welcher Geheimmörder besorgt uns das Geschäft?" fragt König
Sancho. „Der tapferste aller Ritter" — ist Arias flink zur
1) Pague con muerte el disgustoj
Degüellale, vea el sol
Naciendo el castigo justo,
Pues en el orbe espaiiol
No ha}^ mas leyes que tu gusto.
2) Oeuvres dram. de Lope de Vega Trad. de Eug. Barret 1. p. 29. n. 1.
3) Pues, hazle Senor, matar
En secreto.
Estrella's Bräutigam vom König zum Mörder ihres Bruders gedungen. 367
Hand — „ein Soldat sondergleichen, der den Mohren auf dem
stolzen Obelisken von Gibraltar mehr als einmal hat zittern ma-
chen, kurz: 8ancho Ortiz de las Boelas, genannt der 'Cid
von Andalusien'. 1) Was? ein Graf Appiani und ein Angelo
in Einer Person? Ein solches zweischlächtige Monstrum von Na-
turspiel ist eben nur im Lande der durchgängigen Zwieschläch-
tigkeit zuhause, und darauf rechnet eben mit Zuversicht der spa-
nische Marinelli. Seht, sehtl Was schwebt und baumelt dort
auf der Zinne des Alcazar im Wind? Ha, neuer Schimpf, der
Majestät angethan! Die Mohrin ist's, die dort am Seile hampelt,
mit des Königs Schenkungs- und Freibrief in der Hand. Na-
menloses Majestätsverbrechen! Tabera hat gelebt P)
Der andalusische Zwitter, ein Cid und Meuchelmörder, ne-
benbei Estrella's Bräutigam, dreiköpfig wie der spanische ürbravo-
König, Geryon, Sancho Ortiz wartet schon draussen im Vor-
saal, während mittlerweile sein Namensvetter, König Sancho
el Bravo sich nach zwei Seiten hin den Rücken gedeckt, mit
zwei versiegelten Handschreiben, deren eines den an Busto zu
vollziehenden Meuchelmordbefehl enthält; das andere die vom
König abgegebene Erklärung, dass er, der König, den Auftrag
zur Ermordung ertheilt, wodurch der Vollstrecher vor jeder Ver-
antwortlichkeit gesichert und schuldfrei bleibt. 3) Nur ein Nach-
folger des spanischen Urkönig-Bravo mit drei Köpfen konnte auf
dieses doppelköpfige Auskunftsmittel in Form von zwei versiegel-
ten parallelspanischen Briefen verfallen. Die nun folgende Scene
zwischen König Sancho el Bravo und dem von ihm zur Er-
mordung des Busto Tabera, zu dessen 'Bravo' gedungenen Don
Sancho Ortiz ist so spanisch-geryonisch wie möglich.
1)
D. Arias.
Pues yo darte un hombre quiero
Valeroso y gran soldado
Oomo insigne caballero . . .
Hey.
Su nombre ^como es?
D. Arias.
Sanclio Ortiz de la Roelas
Y el Cid andaluz despues.
2)
D. Arias.
Asi se pierde el respeto!
Tabera no ha de quedar.
3)
— de aquesta suerte
El quedarä desculpado.
368 I^as spanische Drama.
Man denke sich eine Meduse mit zwei Köpfen: so doppelt
versteinernd wirkt die nach kurzem Pourparler mit Sancho
Ortiz vom Könige hingeworfene Erklärung : dass der heimlich
von Ortiz zu Tödtende eines Majestätsverbrechens sich schul-
dig gemacht. „Verdient derjenige" — fragt König Sancho den
ob heimlicher Ermordung einiges Bedenken hegenden Sancho
Ortiz — „verdient, der ein crimen laesae begangen, den Tod?"
„Den Feuertod", bekräftigt Ortiz. „Nun denn", fährt König
Sancho fort: „unser Mann hat an mir ein crimen laesae be-
gangen!" „Dann" — übereifert Sancho Ortiz den König —
„dann fordere ich seinen Tod, und wär's mein Bruder, er stirbt
von meiner Hand !" ^) Meuchelmordsteif gorgonisirt von dem Me-
dusenhaupt 'crimen laesae', bestände dieses crimen laesae ma-
jestatis auch nur in einer von Ehre und Pflicht gebotenen Ab-
wehr eines von der Majestät selbst intentionirten Majestätsver-
brechens gegen Gott und Menschheit und Königspflicht. „Hand
und Wort! Auf Caballero -Parole. Topp! und eingeschlagen!"
„Mit dem Handschlag See? und Seligkeit und Treue verpfän-
det!" 2) Doch behält' sich die Caballero-Parole den Zweikampf
vor, den doppelseitigen Meuchelmord von vorn statt hinterrücks.
Der König lässt es sich gefallen, obgleich dem Eey neto der
Meuchelmord neto, der Meuchelmord tout pur, weil sicherer, ent-
schieden lieber wäre. ^) Das vom König ihm zugestellte, den
Mörder schuldfrei und verantwortungslos erklärende Papier zer-
reisst Ortiz, als das unbedingte Vertrauen in des Königs Wort
1)
Key.
?Merece el qne ha cometido
Crimen laesae muerte?
D. Sancho.
En fuego.
Rey.
^Y si crimen laesae ha sido
El deste? . . .
D. Sancho.
Qiie muere luego,
Avoces,i Senor, es pido;
Y si es asi, la dare,
Senor a mi mismo hermano.
2)
Rey.
Dadme esa palabra y mano.
D. Sancho.
Y in ella el alma y la fe.
3)
Rey.
Hallandole descuidado
Puedes matarle.
Die beiden Bravo^s. 3ß9
beeinträchtigend, was schier an ein crimen laesae streifen möchte. ^)
Als einzige Belohnung erbittet sich Ortiz die Hand des Weibes,
das er liebt, und wär's die Hand der vornehmsten Dame in
Sevilla, König Sancho sagt sie seinem Bravo zu. 2) Ein sceni-
scher Lichteinfall von schlagendster Wirkung! Welchen Abgrund
von raffinirt barbarischen Vorurtheilen, verkehrten Pflicht- und
Ehrbegriffen, und tiefer Sittenverwilderung erhellt aber auch
dieser scenische Lichteffect, dieses, vom dramatischen Genie über
eine solche Situation geworfene Schlaglicht! Zuletzt übergiebt
ihm der König das zweite versiegelte Papier, das den Namen des
zu Ermordenden enthält, und empfiehlt „schnelle Arbeit und
Schweigen "3), wie das Geschäft es mit sich bringt, zumal unter
medusenhafter Wirkung des crimen laesae. Wenn nur, Gott
besseres! der Dichter nicht auch uns den verzaubernden Schild sei-
nes Genie's, wie Aristo's Magier, Atlante, im Hochfluge zu-
schwenkte, versteinernd in Bewunderung unser ürtheil! In Be-
wunderung über die erfinderischen Würfe, die Schlag auf Schlag
die Situation des unseligen Ortiz auf die Spitze ihrer Katastrophe
treiben ; ihn in ein tragisches Schicksal verstricken, hineinstürmen
vielmehr, dessen dramatischer Knoten sich aus den Vipernhaar-
flechten der Meduse schlingt und zu diesen sich entknäult. Nicht das
versiegelte Blatt lässt nun Lope, nach der Scene mit dem König,
seinen Ortiz öffnen, um den Namen zu lesen: Das Briefchen
liest der unglückliche, das ihm sein Diener Clarindo so eben
von Estrella überbrachte, worin die wonnevolle Braut dem be-
seligt unglückseligen Bräutigam ihres Bruders Wunsch mittheilt,
dass die Vermählung unverzüglich stattfinde. Und hierauf erst
lässt ihn Lope das Papier aufbrechen, woraus ihn desselben Bru-
ders Namen medusisch anstarrt, als desjenigen, den zu tödten er
sich dem Könige durch narkotisirenden Handschlag und petrifi-
cirendes Ehrenwort verpflichtet und verschworen. Der Erstarrungs-
1) D. Sancho. Que en parte desacredita
Vuestra palabra el papel.
2) Aunque sea
Ricatembra de Castilla
Os la concedo.
3) — obrad y callemos.
X. ^4
370 I^as spanische Drama.
oder Versteinerungskampf zwischen Thnn und Lassen, Pflicht- und
Ehrgebot, ist gorgonisch krampfhaft; gorgonisch in der zweiten
Potenz; denn die Medusenwirkung ist plötzlich, während Don
Sancho's Seele sich in Agonien von Antagonismen herumkrümmt
und windet und bäumt, und peinvoll ringelt, als schüttele sich
seine Seele, sein Gewissen zu den Schlangen des Medusenhauptes
auseinander, die gegenseitig die Schreckversteineruug durch das
Schmiegen, üebereinanderschlingen und Kingeln und Durcheinan-
derwickeln, Wälzen, Verschränken und Zusammenknoten, gerade
an sich selbst vollzögen, bis der kämpf- und krampfvolle Wider-
streit letztgültig in das Ehrenpflichtgebot erstarrt, des Königs
Auftrag zu erfüllen. „Busto sterbe, Busto sterbe!" — zu Stein
erstarrt, und der Ehrenpflichtenkampf alle Viere von sich streckt. ^)
t) Don Sancho.
Buscar ä Busto quiero,
Qiie entre descos y esperanzas muero.
Wirft ab und zu einen Blick in das gorgonische Blatt, das ihm das Leben
selbst als ein durcheinandergeworfenes Spiel Karten vor die Sinne wirrt,
und als ein Glückswechsel-Kartenspiel:
Todo esta vida es jugar
Una carteta imperfeta,
Mal barajada, y sujeta
A desdichas y pesares ...
Pintada la suerte vi;
Mas luego se despinto,
Y el naipe so barajo,
Para darme muerte ä mi.
So pointirt er denn auf Busto's Tod und Leben rouge et noir:
Viva Busto, Viva Busto!
Pointirt bald auf seine Ehre, bald auf seine Liebe:
— Mas no puedo con mi honor
Cumplir, si a mi amor acudo.
Wieder ein Blick aufs Blatt. Gesetz und Königsbefehl: Sancho
Ortiz klemmt nun zwischen diese beiden, wie jene pontischen parallelen
Felsen-Scheeren , zueinander und auseinander prallenden Schicksals-Con-
trastniächte , sein von beiden Widerstössen zerquetschtes, und in zwei
Stücke zerrissenes Gewissen: „Doch giebt es kein Gesetz, das zu solcher
That verpflichte" » .' . Doch ja, es giebt ein. solches Gesetz, des Königs
Wille, selbst der ungerechte. Drum geschehe Gottes in des Königs Willen!
Mag's dieser vor Gott verantworten. Dem Könige zu Willen seyn, ist
unter allen Umständen recht. Busto sterbe, Busto sterbe, da es doch
Bruder und Schwager. 37 1
Busto kommt — welche Situation! Wie Domierschlag auf
Blitzes-Leuchten, ehe man sagen kann es hat geblitzt! Und doch,
nach den Kunstwirkungen ächter Tragik gewürdigt, Blendwerk,
Spiegelfechterei der Hölle. Die Quellen, die Wurzeln dieser Si-
tuationsmotivirung sind vergiftet^ die sittlichen Grundbegriffe ver-
wirrt, paralysirt; die Stimmen des tragischen Gewissens mit
Thronpolstern und Huldigungskissen erstickt. Es sind pure Si-
tuationskatastrophen aus falschen, vom poetischen wie ethischen
Gesichtspunkt gleich verwerflichen Grundmotiven entsprungen,
situationstaschenspielerisch , wie der Harlekin aus der Pastete,
hervorgesprungen; weil aus hohlen inhaltleeren, conventioneilen,
im Principe nichtigen Motiven gauklerisch vorgespiegelt, nur im-
provisatorisch entsprungen, nicht aus der Tiefe wahrhaft dramati-
scher Psychologie, nicht aus der ewigen, allzeit gültigen, allein
poetisch wirksamen, und kathartischen Pflicht- und Gewissensge-
setze entwickelt.
Busto Tabera kommt als "Bochzeitbitter, den Bräutigam
und Schwager nämlich, Don Sancho Ortiz, zur Vermählung
mit seiner Schwester, Estrella, einzuladen, mit der er bereits
durch schriftliches Ehegelöbniss verbunden sey. ^) Don Ortiz, in
seiner Betäubungsstarre, wirft ihm die Zurücknahme seines Ehe-
gelübdes als Fehdehandschuh vor dieFüsse, Zweikampf. Busto
fällt, den Todesstoss giebt ihm Don Sancho mit dem Aparte:
Verzeih mir, Liebe, des Königs Unbill hat mir die Besinnung
keinen giebt, der da spräche: Busto lebe, Busto lebe! Damit ist die Ver-
steinerung von Sancho Ortiz' Gewissen vollbracht, wie die des Ruthen-
bündels, worauf Perseus zufällig das Gorgohaupt gelegt hatte:
Pues ^que debo obedecer?
La ley que fuere primero.
Mas no hay ley que ä questo obligue,
Mas si hay; que anunque injusto el Rey
A el despues Dios le castigue , . .
Que anunque nie cueste desgusto
Acüdir al Rey es justo:
Busto muera, Busto muera.
1) Ya por escritura estais
Casado con dona Estrella.
24*
372 I?as spanische Drama.
geraubt , und Widerstand war unmöglicli. 0 Don Sancho's
Verhalten bei Busto's Leiche ist wieder ein tragisch-dramatischer
Lichtblick des Genies. Seine Besinnung, sagt er, ist zurück-
gekehrt, „tödte mich!" fleht er aus jammernder Seele dem ster-
benden Freund. „Stoss' mir Deinen Degen in die Brust !" '^) Die
Besinnung zurückgekehrt — darf ein blinder Glaube an ein
conventionelles Ehrendogma in der Tragödie die Wirkung der
tragischen Leidenschaft usurpiren? Zumal wo dieses Dogma so
formell eingreift wie hier; wo keine Ehrenkränkung ihres Bachers
obwültet, nein, eine Ehrenrache aus zweiter Hand auf Königs-
wort und noch obenein mit dem Verdacht vonseiten Don Sancho's,
der König könne die Ermordung des Bruders befehlen, weil er
unlautere Absichten auf die Schwester hege. ^) Konnte ein aus
tragisch-psychologischen Widersprüchen so verfitztes, und doch
zugleich durch seine scenisch-improvisirten, aber bewältigenden
Situationswirkungen so ergiebiges Motiv einem andern dramati-
schen Genie, als dem eines Spaniers, entspringen? Und noch
mehr des Wunders! Dieses spanische Gehirn streift an die Ah-
nung dieses Widerspruchs, aber so, dass es die Ahnung gleich-
sam nur wie im Traume stammelt. „Eine grausame Strenge" —
ruft der von zwei Grossalcalden am Selbstmord verhinderte
1) Don Sancho (Ap.).
Perdone amor; que el exceso*)
Del Eey me ha quitado el seso
Y es el resistirme en vano.
2) Don Sancho.
Mas aqui, hermano te pido
Que ja que cobre el sentido
Que tu mi mates ä mi.
3) <iSi le mata por Estrella
El Eey, que servilla trata? . . .
ventilirt Sancho u. a. in dem beregten Monolog vor dem Zweikampf.
*) Selbst wenn 'Exceso' die dem Könige zugefügte Unbilltbedeuten
soll, ist Don Sancho's Besinnungs- und Willenslosigkeit für eine tragische
Entscheidung so unzurechnungsfähig, dass diese den Charakter einer blin-
den Fatalität annimmt, um so gewisser, da Ortiz bhndhin, auf das blosse
Wort des Königs, an das crimen laesae glaubt.
Spanisches Dichtergewissen. 373
Don Sancho — „dass ein verpflichtetes Wort und ein geläu-
tertes Ehrgefühl über die Menschen so Unseliges verhängt!" ^)
Zu retten wäre dieses, vom poetischen, sittlichen und mensch-
lichen Gesichtspunkt aus, sectirische Dogma des spanischen Kö-
nigs- und Ehrenpflichtbegriffes, zu retten für die dramatische
Kunst wäre dasselbe nur, wenn es aus der Intention und dem
philosophisch poetischen Kunstbewusstseyn des Dichters heraus,
wenn das unmenschlich-unpoetische Pflicht- und Ehrenprincip sel-
ber zu tragischer Läuterung käme; wenn der „fiero rigor" sich
wahrhaft und wirklich zum 'crisolado honor', vermöge der dra-
matisch-tragischen Processe, klären und reinigen würde. Vollzieht
nun dieses für die tragische Kunst so unheilvolle Dogma in irgend
einem spanischen Drama eine derartige Sühne an ihm selber? In
keiner einzigen, und auch in dieser Stern-Tragödie des Lope nicht,
wo die Vollziehung dem Dichtergewissen doch so nahe lag! Im
Gegentheil, es duselt so unerweckbar darüber wieder ein, das Dichter-
gewissen, dass es aus seiner Seele heraus den Sancho Ortiz das „grau-
same" Dogma, „fiero rigor" als das reinste, heiligste, unverletzbare,
als den an sich schon „geläuterten Ehrbegriff" preisen und bekennen
lässt. Sancho Ortiz wird auf Geheiss des hinzugetretenen D o n
Arias — auch dies wieder trotz alledem ein ecce Signum des dra-
matischen, auf sittliche Einwirkungen abzielenden Dichtergeistes
— von den Alcalden verhaftet. Vor der Fortführung theilt Don
Sancho mit dem Alcalden Don Pedro de Guzman noch eine
Vielliebchen-Mandel, die zwei parallele Motivkerne einschliesst:
„Wenn ich meinem Herzen Gewalt anthue, so geschieht es, weil
ich das Gesetz achte. Dies, Seiior, heisst König seyn
und das, Senor, es nicht seyn. Das will verstanden und
nicht verstanden seyn, da ich es verschweige" . . . '^) Und duselt
1) Un fiero rigor,
Que tanto en hombres labra
Una cumplida palabra
Y un acrisolado honor.
2) Yo si atrupeUo
Mi gusto, guardo la ley,
Esto Seiior es ser rey
Y esto, Senor, es no serlo.
374 ^^s spanische Drama.
doch wiederum über der Knackmandel ein, betreffs welcher Sancho
Ortiz den Alcalden an einen „Anderen verweist, der sie auf-
knacken soll." Das Warum er Busto umgebracht, mag dem
Alcalden ein Anderer (der König nämlich) erklären, i) Auf das
Warum, das porque, das Thatmotiv, kommt eben im Drama
gar vieles an. Im spanischen Drama wird aber gerade dieses
porque offenbar, wenn die Todten, die es auf dem Gewissen hat,
auferstehen.
Die Braut, Estrella, finden wir bei der Hochzeitstoilette,
die ihre Kammerjungfer Teodora beschicken hilft. Congeniale
Situation mit ähnlichen bei Shakspeare. In dieser stillen, putz-
bräutlichen Herzensfreude bricht unversehens der volle tragische
Schrecken ein: Die zwei Alcalden führen der Braut die Leiche
des Bruders zu. Diese Bühnenwunder kommen Lope's dramati-
schem Genie , die haarsträubenden Begriffe von den tragisch-dra-
matischen Ideen und sittlich göttlichen Entscheidungsmächten
dem Spanier Lope in Rechnung. Zeugniss von seinem trefflichen
Verständniss der tragischen Ironie legt in dieser Schlussscene
des zweiten Acts des Alcalden, Don Pedro, der Braut zur Be-
ruhigung gespendeter Trostzuspruch ab, dass der Mörder ihres
Bruders, Sancho Ortiz de las Roelas, dingfest gemacht worden
und sich in sicherem Verhaft befinde. Der unglückselige Stern
von Sevilla jammert über sich selbst als ihren eignen ünglücks-
stern'-^), Brautputz und Haare sich vom Kopfe reissend. Und
nochmals als Schlusspunkt des Actes: „Das, Teodora, war mein
Stern.^' ^) Ob denn auch unter den Goldfischen im Himmels-
teiche, den Sternen, ein Key el Bravo als Hecht hausen mag, wie
unter den Sternen von Sevilla? und ob es wohl auch dort San-
cho's Ortiz de ßoelas giebt, die mit ihrem Herzensstern den
Hecht noch obendrein füttern, blos weil er ein Hecht ist? Erste-
res mag vielleicht ein Weltgesetz seyn, aber Letzteres? Yo lo
Entendello y no entendeUo
Importa, pues yo lo callo.
1)
Otro confiese el porque.
2)
iDesdichada
Ha sido la estrella mia!
3)
Esta lia sido, Teodora, estrella mia.
Estrella's Ximene-Audienz, 375
mate. „Ich hab' ihm den Garaus gespielt" — warum sollte dies
nicht auch, inbezug auf den Hecht, Weltgesetz seyn können?
König-Bravo nimmt ein seltsames Gebahren an der Schwelle
des dritten Actes an. Er lässt durch, den Alcalden den ver-
hafteten Sancho auffordern, den Anlass und den wahren Grund
von Busto's Ermordung frei und offen anzugeben, wenn er noch
morgen früh seinen Kopf will auf den Schultern tragen. Sagen
soll Sancho, wer ihn zu dem Morde beredet habe; bekernnen, jjjid
wenn er es selbst wäre, der König. ^} Estrella wird gemeldet.
Sie fordert, wie Cid's Ximene, Gerechtigkeit vom König und Aus-
lieferung des Mörders. -) Der König hilft sich mit erklecklichen
Gongorismen aus der Verlegenheit: Der Stern von Sevilla möchte
doch ihren Thränen Einhalt thun, damit sie ihm nicht den Palast
verbrenne, denn die Thränen der Sonne sind die Sterne und jeder
ihrer Strahlen ein „Topas". ^) Der „Topas" erinnert ihn an sei-
nen King; er giebt ihn der Estrella, als Wahrzeichen, das ihr
die Kerkerthüre der Justiz Tri a na'*) aufschliessen werde, wo
der Mörder ihres Bruders gefangen sitzt. Die Scenen des dritten
Actes drohen, eine nach der anderen, aus der Kolle des durch
Situationspathos und scenische Wirkung immerhin bewältigenden
zweiten Actes zu fallen. Don Sancho im Kerker lässt sich
ein Musikständchen bringen, um wie ein Schwan zu sterben.^;
1) — y le prevenid
Que declare, aunqiie sea yo.
2) Dame el homicidä.
3) Rey. SoBegüos, y enjugad las luces bellas,
Sino quieres que se arda mi palacio;
Que lagrimas del sol son las estrellas
Si cada layo suo es un topaiso.
4) Eines der festesten spanischen Zwinguris, späterhin Sitz der In-
quisition , die als Landplagen-Drache sich stets die schauerlichsten Fels-
höhlen, wie u. a. auch die Zwingburg Aljaferia in (^MSigo^H; zum Wohn-
sitz aussuchte. Das Schloss Triana wurde 1()2G infolge einer Ueber-
schwemmung des Guadalquivir zerstört — ob der Drache mit ersäuft ist,
das hängt von der Anerkennung der Infallibilität des Papstes ab, die
nichts anderes als der verkappte Ilydrarchus oder Pyrarchus inquisi-
torius ist.
5). Soy cisne, y la muerte espero
Cantando.
376 Das spanische Drama.
Den Anmahnungen des vom König dazu beauftragten Don Arias,
den Anstifter des Mordes zu nennen, oder, falls er im Besitz
irgend einer schriftlichen Vollmacht, dieselbe vorzuzeigen, setzt
Don Sancho beharrliche Verweisung auf seine Verschwiegenheits-
pflicht entgegen, trotzdem, dass ihn der Konig selbst ihrer ent-
bindet. Statt eines, behufs kunstreicher Entwickelung, kunstreich
geschlungenen Knotens, wirrt der dritte Act, die schon vom zwei-
ten einer gewaltsamen Pflicht- und Ehrenpsychologie abgefolterte
Sclmrzung nun vollends zum verfitzten Knäuel durch ein ganz
haltloses Verschweigungsmotiv, das eben so hartnäckig widersinnig
aufseiten des DonSancho, als aufseiten des Königs Sancho,
an dessen Namens- und Charaktervetterschaft Don Sancho so-
gar appellirt: „Wenn er, der König, Don Sancho der Bravo ist
so führe ich denselben Namen." ^) Und der König wisse doch,
dass er das besagte Papier zerrissen. Auf Grund des verrückten
Verschweigungspflichtmotivs , das Don Sancho's Gefängniss zur
Kerkerzelle nach dem pensylvanischen Schweigsystem macht, wird
er in der nächsten Scene wirklich verrückt und die Schweigzelle
zur Narrenzelle, die unser Sancho Ortiz plötzlich in Gegen-
wart seines Dieners Clarindo mit gründlich tollen Apostrophen
an die „Ehre" vollfaselt, erinnernd an die, womit König Lear
seinen vor den Eichterstuhl seines Wahnsinus geladenen Töchtern
die Hölle heiss macht. Clarindo glossirt Don Sancho's An-
klage-Apostrophe an die „Ehre", ähnlich wie Lear's Narr ex pro-
fesso und Edgar, der Narr auf eigene Hand, die Extravaganzen
des verrückten Königs. „Das ist der Tyrann-Ehrenpunkt (Honor)",
bemerkt Clarindo , eingehend auf seines Herrn Vision — „der
viele Narren Huckpack trägt, die für die Ehre leiden." ^^ Des
Dichters Lichtblick in der Narrenhölle, worin sein Don Sancho
das Phantom „Ehre" erschaut und haranguirt, nur fehlt dem Poe-
ten-Lichtblick zur vollen Hellsicht das Bewusstseyn, dass sotha-
nes Phantom die genuine spanische Ehre ist. Daher denn
1) — Se el es Don Sancho el Bravo,
Yo ese mismo nombre tengo.
2) AUi esta el tirano honor,
Cargado de muchos necios
Quo por la honra padecen.
Gespräch des Gracioso mit Mutter *Ehre\ 377
auch Don Sancho's vorübergehender Wahnwitz als sein lucidum
intervallum inmitten seines durch das ganze Stück andauernden
von den verrücktesten Pflicht- und Ehrenmotiven inspirirten
Wahnsinns erscheint. C 1 a r i n d 0 ' s Bemerkung illustrirt Sancho's
raptus mit dem vernünftigsten Gutachten in den drei Acten, das
zugleich die Kritik dieser Stern-Tragödie enthält : „Ich will mich
zu ihnen (den Narren der Ehre) gesellen. Ehre ! ein Thor in Ehren
ritt in Deine Dienste, um Deinen Gesetzen nachzuleben*' 0 • • •
„Verkehrt, Freund!" — erwidert „Ehre" — „hastDu's an-
gefangen. Die wahre Ehre besteht darin, dass man ihr nicht
gemäss handelt. Mich suchst Du dort, mich, der ich seit tau-
send Jahren todt bin. Nach Geld, Freund, mus Du trachten.
Deine Ehre ist Geld. Was hast Du gethan?" — „Ich wollte
mein Wort halten" — „Zum Lachen! Wort halten?! Arger
Tropf! Nicht Wort halten, das ist heutzutage guter Ton!"'-^)
Eine Zeit-Satyre also, und einen Sittenzuchtspiegel sollte Lope's
Tragödie „Der Stern von Sevilla" nebenbei vorstellen. 0 Du
grosser, herrlicher Dichter! Wie schade nur, wie jammerschade!
dass der Ehrbegriff, den Du in Deinem Ehrenhelden und Eitter
feierst, noch verrückter und wahnsinniger, und deshalb auch ver-
derblicher ist, als das Zeitlaster, dem er seinen Spiegel vorhält;
dass Deine Arzenei das gefährlichere Gift ist, ein Gift, das den
1) D. S audio. Quiero me juntar con ellos. —
Honor, un necio y honrado
Viene a ser criado vuestro
Por no exceder vuestras leyes.
l) Mal amigo, la habeis hecho,
Porque el verdadero honor
Consiste ya en no tene^lo
[A mi me buscais aUä,
Y ha mil siglos que estoy muerto!
Dinero, amigo, bnscad,
Que el honor es dinero.
Que hicisteis? — Quise cumplir
Una palabra — Eiendo
Me estoy: ^palabras cumplir?
Pareceis majadero :
Que es ya el no cumplir palabras
Bizarria en esto tiempo.
378 ^^^ spanische Drama.
gesunden Menschenverstand verdreht macht, irrsinnig, aberwitzig,
phantastisch und fanatisch ! Den Umstand ungerechnet, dass Du
ein Wahnbild von Ehrenpflicht vorzauberst, das selbst Dein
Zeitalter, Dein Publicum folglich, als eine Fratze erkennt und
auslacht.
Estrella meldet sich nun mit der alle Kerkerschlösser
öffnenden Springwurzel, mit des Königs Bing. Sie steht ver-
schleiert und unerkannt vor Don Sancho und führt den Bräu-
tigam-Brudermörder aus dem Gefängniss, schenkt ihm die Frei-
heit und heisst ihn auf dem Pferde, das seiner an der Hand eines
Dieners harre, entfliehen. Er aber nicht von der Stelle, bevor
sie sich entschleiert, und er weiss, wem er seine Freiheit ver-
danke. Nachdem die Entschleierung erfolgt ist, weicht Sancho
erst recht nicht, entschlossen, seinen an Estrella und ihrem Bru-
der verübten Frevel durch seinen Tod zu sühnen. Die Scene
läuft in eine Wettstreit-Coda aus, bestehend aus kleinen kurzen
Halbvers-Schnippeln von gegenseitigen Liebesbeschwörungen und
Liebesbetheuerungen ; Estrella's: die ihn, bei ihrer Liebe be-
schwörend, zu eiliger Flucht drängt; Sancho 's: der es für seine
Liebespflicht hält, seine Liebes-, Blut- und Ehrenschuld mit dem
Tode zu büssen: „Geh denn, Thor, und stirb, so will auch ich
dann sterben gehen." Eine Schablonenscene , wie man sie nicht
musterwürdiger zuschneiden kann!
Noch über die Schablone geht die drauf folgende Discussion
zwischen Don Ärias, der dem König Sancho mit Auffor-
derung zum Halten seines dem Don Sancho gegebenen Wortes,
ihn schuldfrei zu erklären, zusetzt, und König-Bravo's Wiu-
kelzüge vonwegen der misslichen Situation, dass er, König-Bravo,
vor der Municipalität von Sevilla sich als den moralischen
Urhe])er von Busto Tabera's Ermordung selber zu erkennen geben
soll. Don Arias Marinelli, dem Ehre und Gewissen eine wäch-
serne Nase ist, hat schon ein Auskunftsmittelchen zurechtgeknetet:
Der Köni^ möge dem Gemeinderath von Sevilla mit Schmeiche-
leien eine gelinde Strafe für Sancho Ortiz, einfaches Exil z. B.,
abkitzeln, und den Stern von Sevilla mit einem rico hombre
oder Granden vom Hofe verheirathen. König-Bravo schluckt den
Eath wie ein Bonbon hinunter. Vonseiten des Königs wie von-
seiten des Hofgalgenmännleins eine bühnenunwürdige, dramatisch
Estrella und Sancho Ortiz. 379
unanständige Scene ; für eine Tragödie gar — ein frecher Angriff
auf Melpomene's Frauenehre.
Die wackeren Alcalden von Sevilla bestehen auf Hin-
richtung von Busto Tabera's Mörder. Mit welchen Busengedan-
ken trägt sich König Bravo nun den Alcalden gegenüber? Er
hofft Ortiz zu retten, ohne sein Geheimniss preiszugeben, dass er
selbst nämlich der Anstifter des Mörders war. Braver Bravo!
und noch braverer König-Bravo! Wie brav, wie Sancho -könig-
lich brav, König Sancho den beiden Alcalden mit den ihm
von seinem Hofgalgenmännlein in die Hand gelegten Schmeiche-
leien um den widerborstigen Bart geht! Widerborstig; denn die
beiden tapfern sevillanischen Gesetzesmänner, denen Lope auch
ein wenig, aber mit den Glacehandschuhen der poetischen Ge-
rechtigkeit um den Bart gehen möchte, die stachelbärtigen Schop-
pen von Sevilla beharren, trotz aller königlichen Liebkosungen,
auf ihrem Spruch: der auf Enthauptung des Sancho Ortiz lautet.
Der König entlässt sie mit einem Fall aus der Sancho-el-Bravo-
KoUe, versichernd, dass er ganz beschämt bleibe. ^) Es folgt nun
die von uns schon anticipirte Schlussscene: Ein vom König
vorgeschlagener und von Estrella und Sancho Ortiz ange-
nommener Compromiss; aber ein zwiefältig, parallel zwiespältiger
Doppel-Compromiss: zuerst acceptirt Estrella den Heirathsvor-
schlag des Königs; sie ist bereit, sich mit einem Granden des
Hofes zu vermählen, wenn Sancho Ortiz Leben und Freiheit
behält. Sancho Ortiz geht darauf ein, Estrella zu gefallen,
ob er gleich den Tod vorzöge. Gegen diesen Compromiss erhebt
Alcalde Don Parfan Einspruch, als gegen eine der Stadt Se-
villa zugefügte Beleidigung.-) Dem Key Bravo sitzt das
Messer an der Kehle: Was thuii? fragt er seinen adlatus, den
Arias, mit dem Schwernothblick, den ein schlecht memorirender
Schauspieler auf den Souffleurkasten wirft. „Si)recht drauf los !" 3)
soufflirt der Ketter in der Noth. Key-Bravo fasst sich ein
Herz und würgt heraus. „So reisse denn mir Sevilla den Kopf ab!
1) Que todos me avergonzais.
2) Que asi Sevüla se agravia.
3) Hablad.
380 Das spanische Drama.
Fort mit Schaden! Denn ich war's, der den Mord befahl." ^)
„Bravo!" ruft Alcalde Farfan. „Was ein ßey-Bravo thut, ist
wohlgethan! Sevilla erklärt sich zufriedengestellt. Gab der König
Befehl zum Mord, so hatte er gewiss seinen guten Grund dazu!" 2)
Da diesen letztgültigen Ausspruch der Dichter seinem Ehrenideale
von unbestechlichem Justizmanne in den Mund legt, so dürfen
wir den Ausspruch als des Dichters eigenes Endurtheii und als
die Moral seiner Tragödie ansprechen, die nun in Wahrheit sagen
kann: operam et oleum perdidi: auch an des grössten und, nächst
Cervantes, freiesten spanischen Dichtergeistes Königsehrenpflicht-
begriff ist Hopfen und Malz verloren! Nun hängt sich der
zweite Compromiss zwischen Don Sancho und Dona Estrella
an das dicke Ende der Tragödie an. „A propos, Herr König!"
fällt plötzlich dem Don Sancho ein. „Wie steht's um Euer
Versprechen, mich mit derjenigen zu verheirathen, die ich wählen
würde?" „Das Versprechen gab ich", versetzt König Sancho.
„Nun denn, so gebt mir Dona Estrella zur Frau!" Estrella.
„Bin schon vermählt." 3) — „So?" giebt Sancho Ortiz zurück.
„Dann bin ich — todt."^) König betont sein königliches dem
Ortiz gegebenes Wort. Estrella. „Ja dann — bin ich die Sei-
nige." ^) Don Sancho. „Und ich der Ihrige." König. „Was
fehlt nun noch?" .Don Sancho. „Seeleneinklang, Uebereinstim-
mung."^) Estrella. „Ja, die kann keine Ehe geben." Don San-
cho. „So gebe ich Dir Dein Wort zurück." Estrella. „Und ich Dir
1) ßey. Sevilla,
Matadme a mi, que fui causa
Desta muerte.
2) Farfan. Asi
Sevilla se desagravia,
Que pues mandasteis matalle,
Sin duda os daria causa.
3) Estrella. — yo estoy casada.
4) D. Sancho. Yo estoy muerto!
5) Estrella. — Suya soy.
D. Sancho. Yo soy suyo.
6) D. Sancho. La conformidad.
Lope's Komödie von König Pedro. 3g 1
das Deinige." Quitt und Adjesli) wie uns bereits bekannt. 2) Zu
Solcher Sternschnuppe schneuzt sich der Stern von Sevilla!
Lo Cierto por lo Dudoso
(Das Gewisse für das Zweifelhafte).
Enrique de Trastamara und König Pedro der Grau-
same — eine Grausamkeits-Comedia! Wer aber in dieser Ko-
mödie Grausamkeiten erwartet, eines Pedro würdig, oder auch
nur Charakterzüge erwartet, wir sagen nicht, wie solche die Ge-
schichte und unsere danach entworfene Skizze ^) gezeichnet hat,
ja, wer auch nur Züge von Lope's König Pedro erwartet, wie sie
der ßomancero dem Volksmunde nachsang: der möchte sich bit-
ter von dieser König Pedro-Comedia des Lope getäuscht finden,
deren Titel, hinsichts der historischen, oder volksthümlich balla-
denhaften Charakterwahrheit, sich umkehrt, inmaassen unsere Ko-
mödie das höchst Zweifelhafte für das historische Gewisse ein-
schwärzt, ja das zuverlässig Falsche dem blos zweifelhaft Un-
wahrscheinlichen unterschiebt. Als Königs-Ideal der spanischen
Komödie, macht dieses von dem phantastischen Majestätsrecht, das
Widerspiel zu seinem historischen ürbilde darzustellen, den über-
triebensten Gebrauch.
König Pedro's Bastard-Bruder Enrique soufflirt ihm eine
vom König geliebte Dona Juana, und der König macht gute
Miene zum bösen Spiel, und giebt seine der Geliebten zu Füssen
gelegte Königskrone: der von seinem Todfeind, dem Bastardbru-
der, ihm abgelisteten Schönen als Brautgeschenk in ihr Fami-
lienwappen! Was ist hier gewiss und was zweifelhaft? Gewiss
ist, dass der wirkliche Don Pedro die Komödien-Intrigue nicht
so abgeschlossen hätte; und was in der Schwebe als überaus
zweifelhaft zuletzt bestehen bleibt, ist das Bedenken: ob selbst
eine spanische Komödie der Charakterwahrheit einer historischen
Königsfigur so flagrant in's Gesicht schlagen darf, dass der Schlag
1) Estrella. Pues ^.libres quedamos?
D. Sancho. Si.
Estrella. Pues adios.
2) s. oben S. 357. — 3) YIII. S. 603 ft'.
382 ^^^ spanische Drama.
eine Teufelsfratze zu einem milden Lammsgesicht ohrfeigen darf,
ohne die dramatische Kunst zur kunstberechtigten Falschmünzerei
der Geschichte zu stempeln, da wir doch die dramatische Poesie
als die eigenste Seele, als die göttliche Wahrheit des Geschichts-
wesens erkannt und begriiBfen haben, und in ihrer Malerleinwand
das Veronika-Schweisstuch erblicken dürfen, mit dem wahren
Gesichtsabdruck der Menschheit, wodurch ja eben der Ausspruch
der grossen Kunstweisen, dass die Poesie philosophischer ist als
die Geschichte, zur Wahrheit wird, und sich zu dieser verhält
wie das Cierto zum Dudoso; wie die geschichtliche Wahrheit im
strengsten Sinne des Wortes zur Geschichte als fable convenue.
Die Komödie spielt zu Sevilla, dem Schauplatz von König
Pedro' s L schönsten Gräuelthaten, am Vorabend des h. Johan-
nesfestes ^) , der Spielzeit des „Sommernachtstraums". Tanz und
Gesang wie in diesem, wenn schon nicht von Feeen und Elfen,
so doch von Negerinnen oder Mulattinnen ^), die ihren Tanz- und
Gesangsreigen, gebührendermaassen , um die Liebesintrigue eines
beim Schloss Montiel dereinst in wundersamer ümarmungsgruppe
sich umflochten zu halten vorbestimmten Brüderpaars ^) schlingen.
Vorläufig streifen die königlichen Halbbrüder in den Strassen von
Sevilla, die Johannis-Nachtfeier als ihr perviglium Veneris haltend.
König Pedro zusammen mit seinem andern Halbbruder, Don
Fadrique, den unsre Leser gleichfalls schon aus der unten be-
zielten Stelle in unserer Geschichte als Grossmeister von Santiago
(Maestro de Santiago), wie auch sein vom königlichen Halbbru-
der über ihn verhängtes Geschick, kennen. Hier wandelt er als
der stehende Komödien- Achates ^) des zweiten Galan, den hier
König Pedro spielt, an dessen noch grüner Seite, die späterhin
1) Es la noche de San Juan
Y la fiesta de Sevilla.
2) Molatas son.
3) Gesell, d. Dram. a. a. 0. — 4) Priva con el, sagt Don Enrique
vom Bruder Fadrique. „Er ist der Königs Günstling.'* Quierele bien,
,,er liebt ihn sehr'', bemerkt dazu Enrique's Komödien-Parallel-Achates,
Eamiro. König Pedro liebte in der That den Bastardbruder D. Fadrique
mit der Affenliebe des Tigers, der den Affen bekanntlich zum Fressen
liebt, und noch in jedem Affen, der neben ihm her im Bereiche seiner
Tatze gewandelt, einen Affen gefressen hat.
König Pedro und seines Bruders Taschenuhr. 383
in die blutfarbige übergeht, König Pedro's Leibfarbe, wie die des
grünen Krebses, der die Feuerprobe bestanden. Nach einer halb-
brüderlich innigen Begegnissbegrüssung in der Strasse, fordert
König Pedro den Bastard Enrique auf, ihn in ein ünterhaltungs-
local zu führen 1), wo so eine discrete 'Fea% nicht etwas „Fee",
nur eine bescheidentlich „Garstige" zu finden'^), so eine Katze,
die bei Nacht, wie alle Katzen, grau ist, und in der Johannisnacht
als solche mitzunehmen. Dieser Zug ist ein historischer König
Pedro-Zug, wie uns gleichfalls bekannt, und vielleicht der einzige
in Lope's bis zur Unkenntlichkeit unverschämt^ geschmeicheltem
Pedro -Portrait. Don Enrique bekennt sich offen zu zweierlei
Parallel-Liebsten und Schönen.^) Die Eine, die mit sich reden
und handeln lässt, die Andere aber, grausam, wie Don Pedro in
spätem Jahren. Pedro verspürt sofort einen heftigen Appetit
nach der grausamen Gesinnungsgenossin, nach Don Enrique's
„Unmöglicher".'*) Halbbruder Enrique kann aber nur mit der
zur „Unmöglichen" parallelen Möglichen dienen. Diese wohne
hier gleich in der Nähe und heisse Teodora. Was thun, wenn
man keine Unmöglichen bekommen kann, muss man mit Mög-
lichen tanzen. König Pedro, kein Kostverächter, lässt sich denn
zur Menschenmöglichen, zu der Teodora, führen. Während diese
den König mit allen möglichen Liebesreizungen zu fesseln sucht;
stiehlt sich Don Enrique zu seiner Unmöglichen. König Pe-
dro lässt den Sperling, den er schon in der Hand hat, fliegen
und eilt dem Halbbruder nach, um ihm die unmögliche Taube
auf dem Dach wegzuhaschen. Die mit Nägeln zum Auskratzen
derjenigen Augen, welche in ihr eine Mögliche zu erblicken die
Verwegenheit hatten, von Natur ausgerüstete Taube, ist Dona
Juana, Tochter des Gouverneurs (adelantado), die sich mit der
stereotypen spanischen Komödien-Maske, der Cousine (prima),
1) — Llevame, Enrique,
Donde nos entretengamos,
2) ^No liay una discreta fea
Aclonde pudamos ir?
3) Teugo, Senor, dos amores:
Ulla posible al deseo
Y otro imposible.
4) (iNo diräs del imposible?
384 ^^^ spanische Drama.
Ines, von ihrer Liebe zu Conde Enrique, und ihrer mög-
lichst baldigen Vermählung mit ihm unterhält, behufs deren Be-
schleunigung sie dem Festheiligen San Juan, einen prachtvollen
Blumenaltar aufgebaut, als Vorbild ihres Traualtars, über dessen
Eventualität sie leider noch in Zweifel schwebt. Noch habe der
Heilige nichts verlauten lassen, ob Conde Enrique ihr Gatte
werde. „Er wird es werden**, lässt der Heilige allsogleich ver-
lauten, der curiose Heilige nämlich, Conde Enrique selber,
der hinter dem Blumenaltar sie belauschte. Wir erfahren nun,
dass Dona Juana dem Könige bei seiner Ankunft schon die
Hände geküsst, ihn überaus charmant findet, dass sie aber ein
für allemal ihr Herz dem Conde Enrique geweiht und für jeden
Andern, selbst für König Pedro, ein Ding der Unmöglichkeit sey.
Für die spanische Komödien-Eifersucht ist aber Alles möglich,
weshalb Enrique sich denn auch bangen Herzens vor dem er-
scheinenden König mit seinem stehenden Anhängsel, seinem Diener
Kamiro nämlich, hinter den Blumenaltar versteckt. König Pe-
dro's Aparte's würden vollkommen des versteckten Halbbruders
Eifersuchtsbeklemmungen rechtfertigen, wenn er die Apartes hören
könnte. Was aber der König hört bei DonaJuana's Ver-
sicherung, sie hätte in Ewigkeit den Conde Enrique nicht
gesehen, und vermuthe ihn in diesem Augenblick auf der
Jagd — was König Pedro hört, ist eine vom Blumenaltar her-
vorschlagende Taschenuhr — und weiss gleich, wie viel es ge-
schlagen hat. 1) Jetzt kommt auch der Glockenhans hinter dem
Blumenaltar zum Vorschein. Liebesnothlügen vonseiten Enri-
que's und DonaJuana's werden nun dem Könige zumbesten
gegeben, über die aschgraue Möglichkeit, dass dem König Pedro
die Ohren klingen, er weiss selbst nicht, ob von den Lügen oder
von Enrique's Taschenuhr. Mit einem sanften Verweis, sanft wie
das Lamm Johannis des Täufers, verbannt Peter der Grausame
die verrätherische Uhr und gelegentlich auch den Träger aus
Sevilla, dafür, das er ihm die Johannis-Nacht so verleidet hat. 2)
1) Eey. Paso. ^Q^^ ^^ eso que suena?
Eelox de pocho es, por Dios.
2) Pues me das tan mal San Juan.
Eiirique's Verbannung, 385
Der Bastard entfernt sich mit einer Nothlüge, gross wie die
grosse Glocke selber, dass die Thurmulir der Kathedrale von Se-
villa darüber in's Schlagen kommt, und selbst die Thm^mglocken
ob dem Bären, den er seinem königlichen Bruder aufbindet, die
Köpfe schütteln. Er wundert sich, wie der König seine, des
Halbbruders, Liebe für Dona Ines übel vermerken möge, die er
allein geliebt, allein liebe und allein lieben werde ! ^) Peter der
Grausame sieht mit dem aufgebundenen Honigbären dem Auf-
binder mit so verblüffter Nachsicht nach, dass er nur kleinlaut
im pianissimo dem Diener ßamiro die Wiederholung des Bannes
aus Sevilla für dessen Herrn mitgiebt und zur Milderung des
Bannspruchs dem Diener einen Diamanten schenkt, worauf er
von Dona Juana in den gnädigsten Ausdrücken und Kundgebun-
gen Abschied nimmt und, da sie kein Wort erwidert, ihr den
Kücken kehrt mit dem aufgebundenen Bären, nachdem er ihr
seine Krone zu Füssen und seine Seele in ihre Augen gelegt. -)
DonaJuana bleibt zurück, zwischen Liebeshoffnung und Lie-
besfurcht hin- und herschwingend, wie ein ührpendel. ^) Der Act
schliesst mit einer schönen Abschiedsscene zwischen Conde En-
rique und Dona Juana, die ihn, besorgt, der König möchte
von seiner Gegenwart Kunde erhalten, fortdrängt, während er in
dieser Bekümmerniss eine heimliche Hinneigung zu des Königs
Liebesbewerbungen und zu der ihr angebotenen Königskrone, nicht
ohne einen Anschein von Möglichkeit, selbst bei einer Unmög-
lichen, fürchtet. Cousine Ines hält sogar in ihrem Actschluss-
monolog-Sonett für möglich, dass die dem Könige innewohnende
unwiderstehliche Liebesmacht ihre Base DonaJuana dem Conde
Enrique abwendig machen, und dass diesen ihr, Ines, Gott Amor
in die Arme führen werde. ^) Bei Gott Amor ist Alles möglich.
1) Que Dofia Ines es y ha sido
Y ha de ser mi amada prenda.
2) Eeinad vos, y yo pondre
La Corona en vnestro pie,
Como el alma en vuestros ojos.
3) ;0h amor, sin parte segura!
Ya eres temor, ya esperanza!
4) No gozarä de Enrique dofia Juana,
Qne ya nie dice amor que Enrique es mio.
X. 25
386 t^'ts spanische Drama.
Den Sieg, den Juana's Vater, der Feldherr-Grenzstatthalter
(adelantado) über die Mauren erfochten, und für den ihn König-
Pedro auf offenem Felde, Eingangs des zweiten Acts, um-
armt, glaubt der König nicht würdiger als dadurch zu vergelten,
dass er Juana's Vater zu seinem Schwiegervater macht, wie er
seinem Halbbruder, Don Fadrique, mittheilt, den er, wie uns
bewusst, zu einem wirklichen Halbbruder machte, mittelst Zer-
schneidung desselben in zwei Bruderhälften, Kopf und Rumpf.
Eine ähnliche Theilung in zwei Ehehälften erlebte auch Don Pe-
dro's geschichtliche Dona Juana, unmittelbar nach der Braut-
nacht, wie uns gleichfalls bewusst. Von dem Allen weiss aber
unsere Comedia nichts, oder thut nur so, als wüsste sie von
nichts, und lässt auch demgemäss ihren König Pedro, als obliga-
ten Key Justiciero, als gerechten Richter oder Scharfrichter-König
des spanischen Drama's, wie uns nicht minder bewusst — lässt
auch ihren grausamen verliebten König Don Pedro die blutigen
Hände in dem ünschuldswasser waschen, ohne es zu trüben.
Von Amor, der mächtiger und in der Regel auch grausamer
als König Pedro, aus dem Exil über Nacht in eine Strasse von
Sevilla zurückgejagt, setzt Don Enrique seinen Diener Ra-
miro ^) von diesem umstand in Kenntniss und klopft bei der
„möglichen" Teodora an, welcher er desgleichen den merkwür-
digen Fall mittheilt und zu dem Zweck gelegentlich Herberge
für die Nacht von ihr erbittet.^) Teodora wäre nicht die Mög-
liche, wenn sie ihn nicht einliesse. ^) Seiner Tochter Dona
Juana [gegenüber stellt sich Adelantado, als kenne er die
eigentlichen Absichten des Königs bezüglich Juana's nicht, be-
hält das 'Cierto' in petto und spiegelt der Tochter das 'Dudoso'
vor, der Komödie den Titel im Munde umkehrend: 'Lo Dudoso
por lo Cierto'. Wogegen Juana titelgerecht ihrer Cousine Ines
mit dem Geständniss entgegenkommt: Der gewisse Sperling in
der Hand sey immerhin gewisser, als der zweifelhafte Tauber auf
dem Dache. Wenn nun gar der Sperling ein Goldfink, wie der
1) Quiebro el destierro.
2) Me quicro fiar de ti
Y ser tu huesped aqiü.
li) Entra, y honra mi liiiiüilidad.
K()]i]i^' uikI Krone. 387
König mit einem goldenen Halinenkamm ist noch obendrein, und
das Dach des Taubers unabsehbares Exil ist über die Grenze:
so müsste sie kein Spanisch verstehen, wenn sie nicht das Sprüch-
wort vom Sperling, Dach und Tauber mit dem Titel ihrer Co-
media in Uebereinstimmung zu bringen verstände: 4o Cierto', der
Goldfink mit dem goldenen Kronenkamm in der Hand, ist jeden-
falls gewisser, als 'lo Dudoso', als der Ungewisse, der verflogene
Tauberich ohne Gold und Kamm im Exil. ^) Der Schelm, der
Lope! der eine eigene Comedia schreibt behufs Klarlegung auch
dieser Palte im Frauenherzen, wohinter sich der Sperling in der
Hand und Numero Sicher versteckt. Die Falte glättet sich bis
zur durchsichtigsten Erklärung: „Wir Frauen bleiben unter dem
Zauber des Verlangens so lange, als dieses auf eine mögliche Be-
friedigung horten kann. Sobald aber die Unmöglichkeit oiBfenbar
wird, schwindet die Sehnsucht nach dem fernen Gegenstande.
Hätte der König keine andere Eigenschaft, als die, dass er König
ist, so würde diese hinreichen, um die Standhaftigkeit selbst zu
erschüttern und Felsen zu erweichen. Um wie viel mehr, wenn
dieser König ausserdem auch noch galant, geistreich, stark und
schön ist zu Fuss wie zu Boss? Als ich ihn am Vorabend des
Johannisfestes sah, fand ich gleich, dass es undankbar wäre, ihn
nicht zu lieben/^-) Nun streicht auch Cousine Ines ihre
1) Dona Juana.
amor que no espera
Muclio templa del deseo,
No porque yo le ol viele,
Mas porque no le vere
En nii vida.
2) Dona Juana.
Los deseos dan contento
En tanto quo dan ])osibles.
Pcro en Uegando li iniposibles
So van del cntendimicnto.
El ßey, cuando no tuviera
Mas de ser rey ^, ä que amor
No deshicieia el rigor?
(i, Que pena \U) enteriieciera
(kianto y nias siendo g-alan,
Entendido, t'uevte, hermoso,
388 ^^^ spanische Dratnä.
Herzensfalte glatt, wohinter ihre geheime Liebe für Don Enri-
que glüht J) Cousine Juana möchte doch den Halbbruder Enri-
que vom Könige, den sie, Cousine Juana, liebe, für sie, Cousine
Ines, erbitten, den sie so viel wie gewiss als den Ihrigen be-
trachtet 2), als einen aus der Larve des Dudoso zum Cierto ent-
puppten liebebeflügelten Falter. So? schlägt plötzlich in Dona
Juana's Herzen die eigentliche spanische Herzensfalte, die Eifer-
sucht, eine Volte. So? rümpft nun Cousine Juana gegen Cou-
sine Ines das Naschen. Du liebst meinen Enrique? Nun lieb'
ich ihn erst recht, und schlage Dir nur diese Liebe aus dem
Kopf ^), sonst thu' ich's! und geht unwirsch davon. Der Schelm
Lope! gleich bei der Hand mit dem spanischen Blasebälgchen in
Amors dramatischem Schür- und Schmiedezeug, mit der Eifer-
sucht, sobald der Liebesfunken zu verglimmen droht unter der
Asche der Erfindungs-Schablone! Cousine Ines beisst sich auf
die Lippen mit einem Solo-Sonett, wie eine Opernheldin des
Metastasio sich in das unvermeidliche Schlusscouplet verbeisst.
Verkleidet als Lastträger bringt der von Doiia Ines bald
erkannte ßamiro, Diener des verbannten Don Enrique, ein
Billet für Dona Juana von seinem Herrn. Natürlich liegt der
Ines am Herzen, den von ihr geliebten Don Enrique ihrer
Cousine Dona Juana abzuködern und schildert daher Dona Jua-
na's Verhältniss zum König so ehereif wie möglich. Ramiro ent-
A pie y ä caballo airoso;
Que la noche de San Juan,
Que le ve, nie parecio
Que era ingratitud no amaUe.
1) Bona Ines.
Un deseo que he tenido
Secreto, viendo tu amor.
Dona Juana.
^Tienes le ä Enrique?
Dona Ines.
El mayor
Que cupo en mortal sentido . . .
2) Pues querer äl Eey te veo,
Que le pidas que me case
Con Enrique, pues ya es niio.
3j Pierde de amarle el ciuclado.
Lope als Kunstreiter auf raehrern fahlen Pferden. 3S9
fernt sich nicht als blosse Lastträger-Maske, sondern als wirkli-
cher Lastträger mit einem Päckchen Verdruss beladen, worin er
einen dem Herzen seines Gebieters aufzuwälzenden Stein von
Grösse und Schwere eines Mühlsteins trägt. König Pedro über-
rascht Ines beim Lesen von Enrique's für Doiia Juana bestimm-
tem Briefchen. Die Schelmin reicht es dem König, als an sie
gerichtet, zum Lesen und versetzt ihn in den siebenten Himmel
vor Wonne, dass er mit seinem Halbbruder, der nicht Juana
sondern Ines liebt, erstere nicht zu theilen braucht. Mit beiden
Händen willigt er in Ines' Bitte, sie mit Enrique zu verhei-
rathen und trägt ihr auf, den Verbannten zur Stelle zu beordern.
Noch diese Nacht soll ihr Wunsch in Erfüllung gehen i) , und
nicht, wie er, König Pedro, es bei solcher Angelegenheit mit
seinen Brautnächten zu halten pflegte, und wie er es mit seiner
geschichtlichen Dona Juana betreffenden Ortes unserer Geschichte
wirklich hielt: blos für die eine Brautnacht nämlich als Nacht-
braut, einmal und nicht wieder, — sondern perennirend.
Hier betreffen wir nun wieder Lope's dramatische Psycho-
ogie auf dem fahlen Pferdchen. Dona Juana, die, ohne Ines'
Liebe für Enrique, aller Wahrscheinlichkeit nach dem Bastard-
Halbblut ohne Krone für König Pedro's Vollblut mit der Krone
den Laufpass gegeben hätte, erklärt nun rundweg dem König,
sie wünsche keinen andern als Enrique zum Gatten, und zwar
aus missgönnischer Eifersucht gegen Ines. Das scheint uns
mehr zu Lope's Ars amandi in Abstracto zu passen, welcher zu-
folge eine solche missgönnische Eifersucht selbst eine so ent-
schieden kundgethane Gier nach der Königskrone im Handum-
drehen aus dem Herzen wie einen bösen Geist exorcisire, auf die
Gefahr, den König, — diesen zumal! — so heftig vor den Kopf
zu stossen, dass Enrique's Kopf vom Stoss in's Wackeln kommen
könnte! Lope's König Pedro ist freilich dazu angethan, um eine
solche Psychologie und die Parrhesie Dona Juana's mit dem
plötzlichen Umschlagen ihrer Wahl und mit der unverholenen
Erklärung dieses Umschlages, und den König selber in's Ge-
sicht zu schlagen. Rechtfertigt aber ein König Pedro - Gesicht,
1) Deja venir ä Enrique; que esta noche
La mano te darä.
390 ^^s spanische Drama.
das solchen ScMag resigiiirerid hinnimmt und mit einem Sonett-
Seufzer erwidert, rechtfertigt die gutwillige Hinnahme des Ge-
sichtsschlags die Psychologie dieser Ohrfeige? Don Enrique 's
Ergebung in sein Geschick: vom Könige — wie er noch immer
meint — bei Dona Juana ausgestochen zu werden, schmeckt
in einer Liebes-Intriguen-Komödie so matt, wie Luisens Limo-
nade dem Ferdinand von Walter mundet. 0 Der von Dona
Juana flöten geschickte König Pedro besorgt dies als treuer
Schäfer und flötet auf seinem Piötengang so herzbrechend, dass
man mit den Keulen dreinschlagen möchte, mit welchen der
wirkliche König Pedro die Köpfe seiner Halbbrüder bearbeiten
liess. Beide Halbbrüder treffen unter Don Juan's Balkon zusam-
men und führen Voltigeur-Künste, jeder auf seinem fahlen Pferd-
chen, aus, trotz den schönsten, mit denselben grauen Kösslein in
der Reiterbude producirten Schwungkünsten. Enrique wechselt
mit seinem königlichen Halbbruder die verwegensten Rücken-
sprünge auf ihren fahlen Pferdchen. Don Enrique erklärt um-
springend und im Rücken seiner obigen Erklärung, dem Könige,
er denke nicht daran, Dona Ines zu lieben, und nicht an diese,
sondern an Doiia Juana sey das Billet gerichtet. Der Act schliesst
mit einer rührenden Verschränkung der halbbrüderlichen Beine
auf dem Rücken ihrer fahlen Pferdchen; mit einer Verschränkung,
die, man weiss nicht, ob ein Beinstellen, oder ein Miteinander-
stehen auf traulichem Fusse vorstellen soll. König Pedro ver-
langt gerührt 2) vom Halbbruder den Degen als seinem Gefange-
nen; und Enrique überreicht ihm denselben in der Scheide mit
Thränen in den Augen. ^) Man denke dabei an das letzte halb-
brüderliche Umarmungs-Symplegma Don Enrique's mit König
Pedro bei Schloss Montiel, am Boden hingestreckt sich herzend,
und festumflochten 4), wie zwei Bojazzos oder Clowns in der Kunst-
springerbude, Brust an Brust gepresst und umschlungen, sich aus
der Reitbahn hinauskugeln und wälzen!
1) Que si por el Eey me deja
Acierta, y es bien que acierte
2) Enrique, no me enternezcas.
3) En los ojos con flaqueza.
4) Gesch. d. üram. VIII a. a. 0.
Eifersuchtswirreii. 39 j
Wie in einem beschädigten Uhrwerk liäcler und Gewichte
abschnurren, so in Lope's Komödien gar oft die dritten Acte.
Der nicht gehörig, häufig gar nicht überdachte Plan überstürzt und
verhaspelt sich zuletzt in die regellosen Erfindungen ex tempore
und die mulier formosa superne geht nicht blos in einen ge-
wöhnlichen Fischschwanz aus, sondern in den eines faulen Fisches.
Als solcher kommt schon Eingangs des dritten Actes unsrer König
Pedro-Komödie des Bastards Enrique und anderer Bastarde und
Nichtbastarde Interimsliebchen, die Teodora, als Blumenver-
käuferin verkleidet, zu Doiia Juana, mit dem Vorschlage von-
seiten des Enrique: Dona Juana möchte ihn, da sie doch schon
so viel wie Königin sey, mit dem Könige auf einen guten halb-
brüderlichen Fuss setzen. 0 Doiia Juana wirft die unver-
schämte' Blumistin zur Thür hinaus. ^) Könnten wir es doch mit
der Scene selbst eben so machen und sie zur Eingangsthür des
dritten Actes hinauswerfen! Und die von den drei Mägen jeder
Komödie wiedergekäute Eilersuchts- und Versöhnungsscene gleich
hinterher noch hinauswerfen ,'^ die hier von Don Enrique und
Dona Juana wiedergekäut wird. Wurde der Bolus doch sogar
vom grossen Meliere noch in einen Klos für den französischen
Gaumen mit kochkünstlerischer Würzhaftigkeit zubereitet ^),
schmackhaft wie gebackene chinesische Schwalbennester, die auch
nichts weiter sind, als das wiedergekäute Gewölle und Auswürg-
sei der Schwalben, vermischt mit den strassenläufigen Bestand-
theilen, woraus die Schwalben ihre Nester kleben. Die Versöh-
nung zwischen Don Enrique und Doiia Juana erfolgt auf Kosten
der sie belauschenden Ines, der Don Enrique nach dem Belau-
schen die Leviten liest, wegen all der Eifersuchtswirren, die sie
angerichtet. König Pedro kommt der Doiia Juana die bevor-
stehende Nacht als seine Brautnacht mit ihr ankündigen. 4) Sie
verweist ihn deshalb an ihren Herrn Papa, den Adelantado, was
1) Y que pois que ya sois reina,
Le pongais bien con el Rey.v
2) Salios de aqiü.
3) Tartiilfe 11, 4.
4) Estä para esta noclie prevenida:
Sera mi desposorio celebrado»
392 O^s spanische Drama.
Don Enrique, der die Horchrolle mit Ines getauscht, im ste-
henden Komödienwinkel, 'rincon', mit seinem Diener Bamiro na-
türlich zusammen, belauscht, zu keinem andern Zwecke, als um
die Eifersuchtsscene nochmals und in verstärktem Grade wieder-
zukäuen. DonaJuana weint und schluchzt die schönsten „Sterne",
die das Schnupftuch „ihrer Sonne" zurückzugebe, wenn sie das-
selbe , als Schneuzsonne , einsaugt und trocknet. ^) Mit derlei
Blumenrankengeflunker garnirt Lope in der Eegel seine fau-
len Eischschwänze , in welche die mulier formosa jedes der
beiden ersten Acte im dritten ausläuft. Die mit dem Ge-
flunker voUgeperlte Schnupftuch -Sonne bittet sich Don Enri-
que von Juana als einigen Seelentrost aus, um sich die mit
einer Eifersuchts-Thränenfistel gesegnete Nase seiner Liebesnarr-
heit darein zu schnauben. 2) Das kann nur die Ansicht, dass die
Perle eine Gehirnkrankheit der Auster, und dass die Sonne ein
alter, mit ßrandsilber verbrämter Lappen ist,- bestätigen. Abschied
von Sevilla nehmend, küsst Don Enrique noch einmal die
Thränen-Sterne aus Dona Juana's Schnuptuch ; da aber die Thrä-
nen bereits getrocknet sind 3), die blossen Sterne, mit ßamiro's
Trotzmuth rufend: „Ich biet' Euch Trotz, ihr Schnupftuch-Sterne!"
König Pedro bereitet den Marques Adelantado, Juana's Va-
ter, auf die Visite des bald um sie anhalten kommenden Bräu-
1) tQ^^ aguero como llovar
Las estreUas? Restituja
Rayos ä tu sol el Uenzo,
Si las coge 6 las enjuga.
2) jAy dona Juana! Ay Senora!
Por premio de mis locuras,
De mis auslas, de mis celos,
De mis agravios y injurias
Dame esas lagrimas solas
Perlas desas luces puras.
3) Don Enrique.
Adios, senora perjura . . .
Beso tu lienzo.
Ramiro. ^Estan ya;
Di, las lagsimas enjutas?
Don Enrique.
Si.
Dona Juana und die Krone. 393
tigams vor, der ihm, dem König Pedro, vollkommen gleich und
ebenbürtig. ^) Das könne nur einer von des Königs Brüdern seyn,
unbeschadet ihrer Bastardsehaft, — monologisirt sich Adelantado
vor. Am liebsten v\räre ihm der Conde Enrique. Der zweite kö-
nigliche Bastardbruder, der Gressmeister von Santiago bringt die
Krone von Castilien auf einer Schüssel, wie einen flammenden
Plumpudding. Dona Juana, allein mit der Krone, hält eine An-
rede an dieselbe, wie Shakspeare's Prinz Heinrich in einer ähn-
lichen Situation, aber mit unähnlicher Disposition: Prinz Hein-
rich, um sich selbe königsmuthig aufzusetzen; Dona Juana,
um sie, aus Liebe zu ihrem Prinzen Heinrich, Don Enrique, zu
verschmähen. ^) Gleich darauf sagt sie dasselbe dem Kronenträger,
dem Könige selbst, in's Gesicht, die Entsagung auf die Krone be-
siegelnd mit dem auf ihren Mund im Finstern von Enrique ge-
hauchten Kuss, dem einzigen zwischen ihr und Don Enri-
que — gewechselten? — nein, ihr von ihm im Dunkeln auf
der Palasttreppe geraubten Liebespfande, das Shakspeare's Schä-
fer, „Treppenarbeit" taufen würde, wofür aber Lope's König
Pedro eine naoh dem Muster von jener Treppe gearbeitete Gal-
genleiter seinem Halbbruder zur nächsten Nacht in Aussicht
stellt, um dann auf besagter Strick-Leiter in des Wortes Pedro-
haftester Bedeutung in Juaua's Brautgemach zu steigen. ^) Um
sich und den Geliebten vor der Strickleiter zu bewahren, will
ihm Juana ein Empfehlungsschreiben an den Mohrenkönig nach
Granada mitgeben, als sie von Zofe Elvira mit freudiger
Bangniss Enrique's Anwesenheit, den sie auf der Flucht nach
Castilien wähnte, in Sevilla erfährt. Inzwischen hat sich aber
schon König Pedro für beide Fälle gesichert, für den Fall, dass
Enrique nach Castilien entflohn wäre, oder sich noch in Sevilla
befinde, und für jeden dieser Fälle seine Strickleiter besorgt.
Inzwischen hat aber auch Vater Adelantado für einen braut-
J)
Tan buero como yo.
2)
Corona illustre, perdona;
Que te quiero aventurar.
3)
Esta noche hare matar
A Enrique, y muerto, podre
Casarrae.
394 ^^s spanische Drama
väterlichen Querstrich gesorgt, indem er, seiner Voraussetzung
nach, des Königs als ihm vollkommen ebenbürtig in Aussicht
gestellter Bräutigam könne nur dessen Halbbruder Don Enrique
seyn, diesen in aller Eile mit seiner Tochter Dona Juana ehelich
verband 1), so dass Strick und Leiter das Nachsehen haben, und
mit ihnen König Pedro und Cousine Ines desgleichen. Der
König beisst mit einem sauersüssen WortspieP) in den sauren
Apfel, und fällt mit einer allgemeinen Amnestie '^) aus seiner Ge-
schichtsrolle, König Pedi'o den Grausamen gegen Kaiser Titus
den Gütigen unter der Hand austauschend.
Einen noch schaudervoliern mit einem König geschlossenen
Teufelspact blinder Mord Vollziehung auf Ehrenwort behandelt
Lope's
Puerza lastimosa
(Beklagensvoller Zwang)
nach der vielberufenen Romanze vom Grafen Alarcos und der
Infantin Solisa ^), der Alarcos die Ehe versprochen, sich aber
dann, seinem Gelöbniss ungetreu, mit einer Andern vermählte,
und vom König, dem Vater der Infantin, gezwungen ward, sich
durch sein Ritterwort zur Ermordung seines Weibes, das er innig
liebte, und zum Heirathen der Infantin zu verpflichten. Lope's
Tragödie verlegt die naturwüchsig spanische Handlung nach Ir-
land. Was in der Ballade allenfalls noch erschüttern und vor
das geistige Auge der Phantasie ohne Skandal an der Kunst ge-
stellt werden konnte, das durfte selbst ein spanischer Bühnen-
dichter nicht in einem Schauspiele wagen, da ja von Hause aus
das spanische Drama die vollen ungeschwächten Schauer den
1) halle el hombre y le case.
2) Adelantado, vos fuistes
Dos veces Adelantado,
,,AdelantadOj Ihr habt Euch zweifach vorgewagt'', die Grenzen überschrit-
ten, Ansijielung auf den Grenzstatthalterposten des Adelantado von Ade-
lantar „vorschieben", „vorwärts bringen'^
3) Todos quedais perdonados.
4) Dur an. Ein catalonisches Volkslied besingt das Ereigniss unter
dem Titel El Conde Ploris; eine portugiesische Ballade desselben In-
halts nennt sich 0 Conde Yanno.
Lope's Comedia: La fuerza lastimosa. 395
Schreckenswirkungen der Auto da Fes überlassen, und sich mit
der mildern Ausgangsform einer Comedia oder Tragicomedia be-
gnügen musste. Die von Lope zugunsten dieser Dämpfungen be-
liebten Modificationen der Komanze sind beachtenswerth, und
werfen ein lastimoses Licht auf Friedrich SchlegeFs die Romanze
mit Haut und Haaren tragirendes Familienschlächterstück: seine
Tragödie *Alarcos\
Von vornherein kartet der erste Act das Spiel derart, dass
nicht der Conde Enrique, Lope's Alarcos, dem die Infanta
Dionisia auf der Jagd ein nächtliches Rendez- Vous in ihrem
Zimmer gegeben, den Nachtbesuch abstattet, sondern dessen von
der Prinzessin verscheuchter Nebenbuhler und verstellter Freund,
Duque Otavio, der die Gewährung des Stelldicheins be-
lauscht, den glücklichem Conde überfallen und ihn vom Könige, auf
einen augeblich bis zur nächsten Morgenröthe geheim zu halten-
den Grund hin, unter Schloss und Riegel hatte bringen lassen
und das Stelldichein mit der Prinzessin nun selber, als Conde
Enrique erledigt, für den sie ihn, nicht nur bis Tagesanbruch i),
sondern bis zur Katastrophe hält, die der Duque, als Pseudo-Conde,
dem wirklichen Conde durch das Stelldichein eingebrockt.
Nun kann Duque auch dem Könige von Irland, beim
Schein der angebrochenen Morgenröthe, den Beweggrund zu sei- ,
nem ihm gestern gegebenen Wink, den Conde verhaften zu las-
sen, schriftlich mittheilen. Der Grund war ein Freundschafts-
dienst, den er dem Conde durch dessen Einsperrung über Nacht
habe leisten wollen, um ihn nämlich vor einem von fremden
Soldaten beabsichtigten Mordanfall auf ihn sicher zu stellen.
Jetzt, bei hellflammender Morgenröthe, könne, der König den Häft-
ling wieder freilassen, da die Soldaten, aus Furcht vor Aurora's
Tages-Fackel, das Weite gesucht. Conde Enrique, vom König
huldvoll aus der nächtlichen Haft entlassen, erfährt nun zu
seinem Schrecken aus dem Munde seines Dieners Hortensie,
1) Cuasi has aguardado el alba, mit diesem Morgengruss empfängt
Hortensio, des Conde Diener, den Duque Otavio, der sich au ei-
nem Seil vom Fenster des Sehlafgemachs der Infantin herablässt, wo er,
als vermeniter Conde, die unvermeintesten und reellsten Stelldichein-Freuden
äienossen.
396 J^^s spanische Drama.
dass dieser ihn, beim Niederschweben von der Infantin Fensler,
in seinen Armen aufgefangen, bei welcher.Gelegenheit er, Hor-
tensie, von ihm, dem Conde, verschiedene Hiebe mit der
Klinge will empfangen haben, und wenn er, Conde, es nicht war,
so war es ein Anderer, der vom Fenster der Infantin hernie-
dergeschwebt, um ihn mit der flachen Klinge zu bearbeiten, nach-
dem dieser Andere mit des Conde Kalbe den Acker des Stell-
dicheins bearbeitet. 1) Conde wittert mit offenem Munde und
weitaufgesperrten Nasenflügeln Morgenluft, die ihm die Morgen-
röthe in Person, die Infantin Dionisia selber, mit offenen Ar-
men ihm entgegeneilend, zufächelt, glühend vor Entzücken über
die mit ihm in voriger Nacht genossene Liebeswonne. '^) Conde
klappt die immer mehr Morgenluft witternden Nasenflügel auf
und zu, wie der Fisch im Sande mit den Kiemen schnappt.
Hinter Schloss und Riegel die ganze Nacht, wie hätte, sollte,
mochte, konnte ich — ? fragt Conde's skeptisch zuckender Nasen-
knopf, die gewitterte Morgenluft der Infantin Dionisia, der Zofe
Celindes und seinen zwei Dienern Hortensie und Belardo
in's Gesicht niesend. „Ich schreie auf, wie besessen und wilFs
dem König sagen, elender Wicht!" — kreischt die Infanta^) . . .
Ja ich will, dass der, dem ich mich hingegeben, es auch ehrlich
gestehe, wenn ich danach frage "*) — und stürzt mit der Kam-
merfrau davon. „Hinweg aus dieser Stadt!'' ^0 ruft Conde En-
rique in Verzweiflung über das ihm gespielte Quidproquo. Wo-
1) Hort. ;Vive Dios, qua decendio!
Y que fue burla de fama,
Pues que te ha quitado la dama,
y muchos palos nos dio!
2) Di 011. Dame esos brazos . . .
Que yo estoy tal
Con la noche que he tenido
Contigo, que no hay sentido
Que no tenga gloria igual.
3) Dare voces como loca,
AI Rey lo dire, villano.
4) Pero que quien me gozo
Si lo pregunto, lo diga
5) Sulgamos de la ciudad . . .
Verlorener Verstand aus verlorner Prauenehre. 397
hiü, fragt das Dienerpaar. Nach Spanien! Vielleicht heilt
mich — so Gott will — Spaniens hesperische Abendluft von
Hibernias irländischer Morgenluft! ^) Für einen Konaödienact nicht
komisch genug, und das bischen Komische von der anstössigsten
Art; der König eine Dupe, die Infantin eine unverschämte
Trulle, die vor Dienern und Dienerinnen noch in der Erinnerung
ihrer nächtlichen und obendrein in den Armen eines betrügerischen
ünzüchters gepflogenen Buhlereien schwelgt ; das Nachtmännchen,
der Duque, ein ehrloser Wicht und Pfuscher in's Handwerk des
Werks der Finsterniss; der Conde, das kläglich lächerlichste
Prellopfer eines ihm abgestrickten Stelldicheins — und ihr wun-
dert Euch, wenn die Kritik eines solchen Actes zu dessen Paro-
die umschlägt?
Der zweite Act ist wieder tragisch schwarz, von einer
Schwärze, die eine Mixtur der doppelten Finsterniss des paralle-
len Nachtstücks im ersten Act scheint: des Nachtstücks, dessen
sich der Nachtalp auf der Brust der Infantin erfreute, vermischt
mit der Finsterniss, die der Conde in seiner Nachthaft genoss.
Kurz, unser zweiter Act ist ein Wahn sinn sact von der schwarz-
galligsten Farbe, die noch während der acht Jahre, die zwischen
ihm und dem ersten liegen, beträchtlich nachgedunkelt. Die
irländische Prinzessin Dionisia ist vor Schmerz, Schande und
Verdruss über ihre an einen wildfremden, verschollenen Ehren-
nachtdieb verlorene Frauenehre seit acht Jahren wahnsinnig,
irländisch wahnsinnig. Ihr unglücklicher Vater, der König, dem
die Ursache dieses Wahnsinns ein unlösliches ßäthsel geblieben '^),
bietet Alles auf, was sein Hof an Musik auf dem Lager hat, um
die Schwermuth der tiefsinnigen Tochter aufzuheitern. Die Mu-
1) Plegue a Dies, aires de Espana,
Que inudeis mi pensamiento !
2) Die Infantin reibt ibm ihre verlorene Ehre, wie man zu sagen pflegt,
unter die Nase, der königliche Vater riecht aber doch nichts, hat keine
Riechwarzen für die Möglichkeit, wie eines Königs Tochter, der doch die
Ehre selber ist und Quell aller Ehre, die ihrige verloren haben könne.
iTvL deshonra? Loca estas
Quien su honra, que es el rey,
^Estä sin honra?
:^) Orl. F. 0. X. St XXV.
398 J^^s spanische Drauia,
sikanten singen ein auf die mit Dionisia's Liebesschicksal ana-
loge Geschichte von Ariosto's Olympia und Bireno anspielendes
Liedchen, dessen verwandten Sinn die Infantin, der Secretär des
Königs Clenardo und Celinda, die Kammerfrau, recht gut
verstehen ; nur der König nicht, der sich aus dem Liedchen kei-
nen Vers machen kann. Secretär und Kammerfrau verstehen die
Beziehung so aufs Haar, dass sie dieselbe durch ein Aparte-Gespräch
erläutern, das die während der acht Jahre mit Conde Enrique
vorgegangene Veränderung dem Publicum, wie ein Komödien-
prolog, mittheilt. Wer lässt sich nun melden? Der passive
Grund zu der Prinzessin Wahnsinn in Person: Conde Enri-
que, den auch schon das Aparte des Secretärs und der Celinda
dem Publicum, ganz aus der Scene fallend, angemeldet. Conde
Enrique besucht die Heimath mit seiner Gemahlin, einer Spa-
nierin, Dona Isabela, Tochter des Grafen von Barcelona, und
mit seinem siebenjährigen Söhnchen, Don Juan, und wünscht,
dem Hof, König und der Prinzessin seine erste Aufwartung zu
machen. Natürlich fehlen auch seine beiden Diener aus dem
ersten Acte nicht, Hortensie und Belardo. Dona Isabella
ist eine von Lope's Frauenidealen durch Gestalt und Seelen-
schönheit. Erstere beruft beim ersten Anblick die Kammerfrau
Celinda im Verein mit ihrem Aparte-Genossen , Secretär Cle-
nardo. ^ Ganz anders lautet das Aparte der Infantin: „Ihr
Anblick tödtet mich!''-) Und als der kleine Don Juan ~ ein
Ausbund von Caballero in der Knospe und von altklugem Bettp —
mit Weisheitsmilchzähnen der Prinzessin die Hand küssen will,
lautet ihr Aparte: „Können höllische Qualen mehr Pein in sich
schliessen ?" '0 üas fehlte noch, dass Isabela den Schatz preist,
den sie an ihrem Gatten besitzt! Wüthend erhebt sich die Prin-
1) Clen. iBellü rostro!
Gel. iGran beüeza
Oompostura y gravedad!
2) Di 011. Mas tiene veneno.
Mit Beziehung auf des Conde Beantwortung der Frage des Königs nacli
dem Belinden des Grafen: 'tiene salud\
3) Dion. (Ap.) <^En que penas infernales
Hay tormento agora?
Dem Kouig' von Irland stellt der Verstand still. 399
zessiii uüd stürzt auf die Grätiii wie eiü Drache los: Hinaus,
verhasstes Weib! aus vier Vipern geflochtenes Netzwerk, das
meine Seele umschnürt! Hinaus, du meine Schande! 0 Der
König erklärt dieses Gebahren als einen der stärksten Paroxys-
men, die er seit acht Jahren an seiner Tochter erlebt hat. ^) Dio-
nisia jagt sie alle hinaus, den Conde mit der ganzen Familie
samnit Dienerschaft, ^) Dem König von Irland kommt der Vor-
gang so spanisch vor, als hätte er den Verstand verloren. Wie
kann man, fragt er — mit seiner Tochter allein geblieben —
kleinlaut, so wenig Rücksicht mit ehrenwerthen Gästen nehmen?
Das macht „die verlorene Ehre", bedeutet ihn die tiefsinnige
Tochter, und zwar -— um seinen schweren Begriffen die Sache
so nahe zu legen wie möglich, ihn, wie man sich auszudrücken
pflegt, mit der Nase darauf zu stossen — und zwar ihre „Frauen-
ehre." ^) Nun glaubt er auf dem Wege zu seyn, Lunte zu rie-
chen. „Frauenehre'* — legt er den Finger auf den Nasenknopf —
verlorene Frauenehre, das brenzelt nach betrogener Liebe/0 Ei"
bittet sich nähere Angabe aus, behufs Eacheübung an dem Ehren-
räuber, Aus Scheu und Scham giebt sie dem Vater das nähere
Signalement der verlornen Ehre schriftlich auf einem Zettel und
entfernt sich schnell. Der Zettel besagt: Sie habe sich heimlich
mit Conde Enrique vermählt, heimlich mit ihm die Ehe vollzo-
1) Dion. (levaudose miiy fariosa)
Afuera, mnjer, afuera,
Lazo de mi alma estrecho
De cuatro*) viporas hecho
Que mi h^lada sangre altera,
Afuera, deshonra mia.
2) Roy. El mal le ha dado mas fuerte.
3) Vägansc todos.
4) Di 011. Oh padrc! houor de mujer.
5) Tras eso, el honor perdido
Muestra que alguien te ha eiigailado.
Que cobardo te ha dejado,
Y te ha gozado atrevido.
*) Vier Vipern V Warum gerade Vier? Das bleibt uns so unerfindlich,
wie dem Könige von Irland die ganze Geschichte.
400 l^^s spanische Drama.
gen, er heimlich sie verlassen, und heimlich in Spanien eine an-
dere Frau genommen, die er nun öffentlich sammt Kindern vor-
zuführen die Frechheit hat. ^) „Holla Diener, Wache, Soldaten und
Capitän, herbei !'^ schreit der König aus Leibeskräften ^) und lässt
den Conde Enrique von seinen Trabanten zur Stelle schaffen
und föngt ihn in der eigenen Schlinge: mit einer Dionisia's
Handel in einen erdichteten Fall einkleidenden Eathbefragung,
welcher Fall dem König von Albanien begegnet sey, wie er, der
König von Irland, so eben aus dessen Briefe erfahren. Conde
Enrique's ßath und Ansicht geht dahin: dass jener Verführer der
albanischen Königstochter seine Gattin ermorden müsse, um dem
früheren Anrecht der albanischen Prinzessin auf die Ehe des
Treulosen zu genügen 3), und schlägt alle Einwendungen des Kö-
nigs aus dem Felde. Der Unglückliche ahnt natürlich nicht,
dass er die Ermordung seiner Frau sich selber auf den Hals
plaidirt. Darin läge was von Oedipscher Tragik, wenn der Rath
aus dem Munde eines so braven Caballero, wie Conde Enrique,
wegen der Unwahrscheinlichkeit, nicht noch abscheulicher erschei-
nen müsste, als er schon an sich ist, abgesehen von der Anzwei-
felbarkeit, ob Conde sein Abenteuer mit der Infantin und sein
ihm von einem Andern, wie er doch weiss, soufflirtes Stelldichein
mit ihr so rein vergessen haben konnte, dass er, den ihm und
seiner Gemahlin eben von der Infantin zutheil gewordenen Em-
pfang mit jenem aus seinem Gedächtnisse unmöglich spurlos ver-
wischten Begegnisse vor acht Jahren in eine ßeminiscenz- Ver-
bindung bringend, nicht hätte ein wenig stutzig werden sollen
und einiges Bedenken tragen, die abscheuliche Alarcos-ßo.manze
auf sein unschuldiges Haupt mit einer dramatischen Sünde mehr,
mit der Sünde psychologischer Unwahrscheinlichkeit, zu nehmen 1
1) ,,Yo me case
Con Enrique de secreto,
Y en secreto me gozö*' . . .
2) jAh de mis criados! Guardas!
Geilte, Capitan.
3) Enr. Dando muerte
El propio ä su mujer en justa pena
De SU delito,
Königs Befehl. 401
Statt dessen lässt er sich in eine spitzfindige Debatte mit dem
Könige von Irland ein, um die in beregtem Falle, trotz aller
göttlichen Gesetze, gebotene Ermordung der Gattin mit eigner
Hand durchzuführen, zu erstreiten und zu behaupten, i) Im Nu
hat Conde Enrique den Kopf in der eigenen Schlinge sitzen. „Du
hast mir den Rath gegeben" — zieht der König die Schluss-
folgerung, nachdem er den Conde die Erklärung der Infantin
hatte lesen lassen — „so mach Dich auf sofort und tödte Dein
Weib! Heut Abend bist Du der Gatte meiner Tochter!" 2)
Nach aller dramatischen Logik musste nun Conde Enri-
que Alles aufbieten, um seine Unschuld vor dem Könige darzu-
1) „Ehre** - - wendet der König ein — „gebührt Gott allein. Eine
Beleidigung Gottes schliesst die Ehre aus.** Enrique. Gott befiehlt auch,
wenn man eine Ohrfeige bekommen, den andern Backen hinzuhalten, vor
der Welt aber ist das eine Entehrung, und gebietet die Ehre sich zu rächen,
obgleich die Rache Gott eben so missfcähig sey, wie dem Menschen angenehm.
Er müsse daher bei seinem Ausspruche bleiben: dass der beregte Gatte in
diesem Fall seine Frau zu ermorden verpflichtet sey, um sein früheres
Eheversprechen zu erfüUen, und die Ehre der ersten Geliebten wieder
herzustellen. Der Mord Hesse sich ja durch eine Busse sühnen.** Die Wi-
dersprüche zwischen Ehre nach Gottes Gebot und nach der Ansicht der
Welt laufen friedlich nebeneinander her auf gut parallel Spanisch. Der
spanische Parallelismus ist ein Casuist trotz dem ersten Casuisten, dem
Spanier Escobar.
Key.
La honra solamente ä Dios se debea;
Con ofensa de Dios no hay honra, Conde.
Enrique.
Tambien le manda Dios al que recibe
ün bofeton que ponga el altro lado,
Y en el mundo es deshonra, y es la honra
Vengarse, siendo siempre la venganza
Odiosa ä Dios, cuanto apacible al hombre.
2) ßey.
Yo, si fuera este rey, hiciera ä este hombre,
Que esa mujer matära.
Tu me diste el consejo; parte luego,
Y ä la condesa quitaras la vida
Para que aquesta nove seis esposo
De la Infanta, mi hija.
X. 26
402 I^as spanische Drama.
tliuD. Und hat er nicht das eclatanteste Beweismittel in Händen :
sein Alibi? Dass er in jener Nacht, um dieselbige Zeit, auf
Stunde und Minute, wo die Infantin mit ihrem eingeschmuggel-
ten Incubus ihr anticipirtes Brautlager hielt, dass er, Conde,
während dessen im finstern Gefängniss auf der Pritsche lag, was
ihm der ganze irländische Hof, vor Allen der König selber, be-
zeugen muss, der die Verhaftung befohlen. Dass aber zugleich
mit seiner Entlassung aus dem Gefängniss ein Mann sich aus
dem Fenster der Infantin an einem Seil heruntergelassen, darauf
können des Conde zwei Diener einen körperlichen Eid schwören.
Statt dessen, was thut Conde? Er jammert seine Verzweiflung
unter ünschuldsbetheuerungen von acht pathetischem Korn am
Halse seines Freundes, des edlen Hofherrn, Fabio, aus. Er hat
eine Scene mit seiner Gemahlin Isabela, eine Scene, die wie-
der nur ein grosses dramatisches Dichtergenie schreiben konnte,
dessen glänzendste Züge ebenso viele Schläge in's Auge poetischer
Wahrscheinlichkeit, psychologischer Motivirung und des gesun-
den Kunstverstandes sind, ob diese Schläge in's Auge noch so
viele blendende Geniefunken aus dem Auge schlagen. Isabela,
als Idealgattin und bei Leibesleben schon verklärte Märtyrin ehe-
licher Selbstaufopferung, bietet ihren Hals dem Gatten zum Er-
drosseln dar, mit der Todesfreudigkeit einer aulischen Iphigenia
und einer Alceste zusammengenommen, und mit der Glorienpalme
eheweiblicher Sterbebmnst aus Gattenliebe, um so würdiger, als
ihr die patriotischen, im letzten Grunde götterverhängten Antriebe
der Iphigenia und Alceste zu solcher Todessühne fehlen; als
Condesa Isabela aus blosser überschwängiicher Gattenliebe sich
opfert, den Gatten ihrer von einem Andern entehrten Neben-
buhlerin überlässt, ihn und ihre drei Kinder preisgiebt, nach einem
Abschied von den Kindern, in dessen herzrührendes Pathos sich
der Medea und Alceste Abschied von ihren Kindern theilen
könnte. Mr. Barret weist bewundernd in einer Note auf diese
Aehnlichkeit hin, ohne den wesentlichen Unterschied in Anschlag
zu bringen, dass Medea's und Alceste's Abschiedspathos aus der
gesunden Wurzel eines hinreichenden tragisch dramatischen
Grundes hervorblüht, welcher dem Pathos unserer selbstauf-
opferungsfreudigen Eheheroine, ja welcher hinreichendeGrund
dem spanisch-romantischen Drama überhaupt fehlt. Aber eine
Stegreif-Pathos. 403
Wirkung ohne entsprechende Ursache, eine Wirkung nicht psycho-
logisch, nicht Charakter- und situationsgerecht beursacht und be-
gründet, nicht aus den Voraussetzungen mit folgestrenger Noth-
wendigkeit entwickelt, eine solche Wirkung, ein solches Pathos
gleicht nicht dem erhabenen Gewittersturme auf dem in seinen
tiefsten Gründen aufgeregten Meere dramatisch-tragischer* Lei-
denschaft. Dergleichen Wirkungen sind plötzlich und bei Mee-
resstille entstandene, aus den Wolken gefallene Wasserhosen,
die über unser geängstigtes Mitgefühl unversehens herstürzen, es
überschütten und unter seinem glänzenden, von kleinen donner-
losen Blitzen durchzuckten, mit gewaltigem Geräusch berstenden
Schaumschwalle begraben. Und siehe da! Am Schluss unseres
zweiten Acts schwemmt die Wasserhose wirklich das Frauenideal
von freiwilliger Selbstaufopferung und nebenbei auch von freiwil-
liger Zeugung — schwemmt die Wasserhose wirklich das Ideal von
spanischem Eheweib in den Ocean hinaus, sie von Irlands Küste
fortfegend in einer lecken Barke ^) , nach des wackern Pabio
freundschaftlichem Kath, auf dass man dem Könige mit gutem
Gewissen melden könne, Condesa Isabela sey im Meere zu Grunde
gegangen und liege im Sande begraben^), dank der Wasserhose.
Das Auskunftsmittel lassen sich Conde und Condesa gefallen, ^)
Verwünschte Wasserhose, die uns nun mit Heldin und Comedia
hinaustreibt in's Meer der novellesken Zufallsereignisse und
Abenteuer! Unselige spanische Comedia, deren hinreissendste
Wirkungen auf solchen vom Himmel gefallenen Wassersäulen
ruhen!
Wie Aeolus in seinem Schlauch Seewinde und Stürme, so
trägt Prinzessin Dionisia Wasserhosen von obiger Beschaffenheit
in ihrem Arbeitsbeutel. Gleich in der nächsten Scene schüttet
sie ihrem königlichen Vater eine über den Kopf mit scheltender
Berufung seiner Grausamkeit'*), und ihre Hände vom Morde dm*
1) En un barco, en que un barreiio
Se puede dar al entrar.
2) Fabio, Y di, si el Rey te pregmita
Que entre su arena reposa.
3) Enrique. Bien bas decho, amigo Pabio.
Isabela. Piadoso remedio y sabio.
4) Dion. Crueldäd notable fuera.
20^
404 I^as spanische Drama.
Isabela rein waschend in den Güssen der vom gewaschenen Kopfe
des Vaters . niederströmenden pathetischen Wasserhose. „Ging's
nach meinem Wunsche, wäre Isabela gewiss nicht Todes verstor-
ben," ^) „Wenn ich mich verging, warum diese unglückliche
Spanierin mit dem Tode bestrafen?" 2) Wie aber stimmt diese
Frage, fragen wir unsrerseits Eure königlich irländische Hoheit,
zu höchstdero verrücktem Gebahren bei der ersten Begegnung mit
Condesa Isabela? Das lässt sich nur aus der Psychologie, Poetik
und Dramaturgie der Meerhosen in höchstihro Strickbeutel er-
klären, gnädigste Infanta! Vermöge deren jede Scene preis-
würdig ist, wenn sie nur immer wieder von neuem aufreizt,
ob das Pathos darin natur- und situationsgemäss ist oder nicht,
wenn nur der Scene das Herz mit dem Pathos in die Was-
serhosen fällt. Die Hose erst, die sie dem eingetretenen
Conde in's Gesicht wirft! Nicht etwa eine von der Qualität,
die jeder nichtspanische Zuschauer dem Elenden in's Gesicht
— spucken würde, dem Verworfenen, der unmittelbar, nach-
dem er ein Weib wie Isabela hinausgestossen in die . wilde See,
sich noch bei der abscheulichen Infanta meldet, wie Einer, der
seinen Lohn holen kommt für die besorgte Arbeit. Mcht solcher-
massen empfängt ihn Dionisia, wie man von ihrem gegen den
Vater losgelassenen Entrüstungspathos, wegen Isabela's Ermor-
dung, erwarten durfte. Prinzessin Dionisia ohrfeigt den Conde
mit ein Paar frischen, aus ihrem Pompadour gezogenen pathetischen
Seepantalons: „Was fandest Du denn, infamer Conde! an mir,
dass Du, nachdem Du mich in jener Nacht wie eine Citrone
ausgequetscht, davonläufst, um eine Andere zu heirathen? Auf
der Stelle die Isabela aus dem Kopf geschlagen, oder ich schlage
Dir meinen Wasserhosenbeutel, wie Du ihn da siehst, um den
Kopf!" 3) „Ich will mein Möglichstes thun, um sie zu ver-
1)
Por mi voto, esta muy cierto
Que Isabela no muriera.
2)
Si fui yo*), por que merece
Muerte esa triste espanola?
3)
Dioü. Di, infame Conde, ,ique hallaste
En mi, que de verme hülste
*) nämlich die Ursache von des Königs Schande „De mi infamia la
ocasion*', nennt der König die Isabela.
Condesa und Duque Otavio. 405
gessen"^) — schmiegt sich Conde unter den Beutel, und stürzt,
mit ihm allein geblieben, diesen nun selbst aus, dass, wie aus
besagtem, von Ulysses' Gefährten unvorsichtigerweise geöffnetem
Aeolusschlauch die Winde und Stürme, also aus der Prinzessin
zurückgelassener Gürteltasche die Wasserbüxen hervorstürmen in
Gestalt von pathetisch strudelnden Interjectionen und Apostro-
phen an Himmel, Sonne, Sterne, Mond, Elemente, Menschen,
Vögel und wilde Bestien ohne alle Vernunft — ob der, statt allen
Proviants, blos mit einem Leck versehenen Barke, in welcher er sein
geliebtes Weib Isabela mit seiner Zustimmung in's hohe Meer
hinausgeschleudert. ^)
In der letzten Scene des zweiten Actes hat das hohe Meer
die Condesa — an welches Gestade geführt? An einen See-
strand, wo der verschollene Duque Otavio sein Schloss am
Meere hat, der eigentliche Infanta-Ehrenräuber, der bewusste Ca-
ballero vom Fensterstrick, mittelst dessen er sich aus den Armen
der Prinzessin in die des Dieners des Conde Enrique hinabge-
wunden, anstatt an diesem Pensterstrick ein für allemal hängen
zu bleiben. Nun wirft der gestrandeten Isabela — Gott erbarme
sich ihrer! — wirft ihr — so fügt es die Abenteuer -Komödie,
die spanische Comedia Novellesca — Gott verzeih's ihr! — wirft
der herzogliche Galgenstrick der an seinen Strand geschwemmten
Isabela den Fensterstrick, sein Eettungsseil auch, als ihr Ret-
tungstau zu — der Himmel sey ihr gnädig! — und lässt die
Ohnmächtige von zweien seiner Fischerknechte auf den Armen
herbeitragen — wenn nur nicht — dass der Herr seine Anschläge
zu Schanden mache! — mit dem Busengedanken, um sie in
seine Arme zu legen! Sie erholt sich an seiner gastlichen Auf-
La noche que me gozaste?
Porque la fe me rompiste
Y con otra te casaste? . . <
Procura, Conde, poner
A tu Isabela en olvido.
1) Yo Ig hare, Senora, si.
2) Cielo, sol, estrellas, luna,
Elementos, hombres, aves,
Fieras sin razon alguna . ,
406 ^^s spanische Drama.
nähme. Zartritterliche Hülfleistungen von einem solchen Wichte!
Helf ihr der Himmel und steh ihr bei! Sein letzter Seufzer,
womit Duque Otavio den zweiten Act ausbläst, möge alle
guten Geister zum Schutze der verstossenen, aus dem Hafen der
glücklichsten Ehe an dieses Laichwasser eines Frauenhaifisches
geflössten schönen Espanola beflügeln! „Ich fühle mich durch und
durch brennen" — seufzt der Haifisch — „und begreife nicht,
wie aus dem Meer so viel Feuer strömen kann." ^)
Im dritten Act weiss der Dichter, dem die dramatische
Logik, der gesunde Kunstverstand psychologischer Motivirung
ausgegegangen, und weiss auch sein Held kein gescheiteres Aus-
kunftsmittel sich aus der Klemme zu helfen, als sich dem Wahn-
sinn in die Arme zu werfen. Am Hochzeitstage, wo die Infan-
tin-Braut ihn. sehnsüchtig, wie in jener verhängnissvollen Nacht,
erwartet, stürzt der Bräutigam herein mit verstörtem Hochzeits-
anzug, so verstört, dass er vor Braut und Schwiegervater, nicht
blos wie Hamlet, mit losen Kniebändern und herabgefallenen
Strümpfen, als untern Beinkleidern, sondern auch mit den obern
Strümpfen, wie ursprünglich die Hosen hiessen, mit den gemein-
hin sogenannten Beinkleidern in solchem Zustande erscheint, in
der Lage nämlich von Hamlet's Strümpfen im engeren Sinn.
Wenigstens muss man diese Wahnsinnstoilette unseres spanischen
Hamlet aus des Secretärs Clenardo's Schilderung folgern: Bei
dem an seine als Wahnbild ihm erschienene Isabela gerichteten
Anruf: „Warte, warte!" „begann er, sich zu entkleiden."^) Wie
denn auch die Theateranweisung angiebt: „En calzas y jubon
como loco", wo „calzas", das beide Kleidungsstücke: die obern
und untern Beinkleider bedeutet, nur letztere meinen kann: „In
Strümpfen und Wamms als Wahnsinniger." Dem Costüm nach,
allerdings! Den Reden aber nach, keinesweges als Verrückter!
Wahrheitsgetreu erzählt er den Sachverhalt, was sich in jener
1) Todo me siento abrasar,
No se cömo de la mar
Pudo salir tanto fuego.
2) Dijo qne via en vision
De SU Isabela un retrato;
Y diciendo: „Espera, espera"
Se comenzo ä desnudar.
Methode im Walinsinn. 407
ünglücksnacht begeben, mit schlichten, ganz verständigen Wor-
ten. „Wie er von der Infantin ein Stelldichein zwischen 2 und
B Uhr Morgens erhalten; wie er um dieselbe Stunde verhaftet
worden, und wie sich eine Drohne in der Infantin Honig-
stock eingeschlichen und den Honig rein aufgefressen, so dass er
nichts als den leeren Korb von Korkholz fand i), woraus in Spa-
nien und Irland Honigstöcke, in anderen Ländern Pantoffel, An-
gelkorke und Flaschenstöpsel gemacht werden. Die einzige Phrase
in Conde Enrique's Erzählung, die allenfalls einen Anflug von
Seltsamkeit, aber auch nur für das Ohr des Königs spüren Hesse,
wäre die Eedefigur: „Wer, meint Ihr wohl, hat den Befehl zu
meiner Verhaftung gegeben?" „Dieser Alte da" (auf den König
zeigend) „mit dem Kaninchenbart." 2) Ritterlich mannhaft for-
dert er den König zur Rechenschaft, mit einem herzhaften
Selbstgefühl, einem in ünschuldsbewusstseyn tief gekränkten,
empörten Stolze, mit einer Sprache, einem Ton, wie es sich ein-
zig für den Sachführer seiner Entwürdigung dem gekrönten Ge-
walthaber gegenüber, für den Leidenshelden eines Drama's ge-
ziemt , der das Herz und den Kopf auf dem rechten Flecke hat.
unser windschiefes und schiefgewickeltes Fuerza lastimosa-Drama
übt an sich selbst diese traurige Gewalt, indem es den eigenen
Kopf verdreht, von vorn nach hinten; so nämlich, dass Conde
Enrique in den ersten zwei Acten, dem König und der Infantin
gegenüber, als Verrückter spricht und sich gebärdet und an sei-
nem Weibe handelt wie ein Kettentoller; dahingegen er im drit-
ten Act, im angeblichen Wahnsinnszustande, bis jetzt wenigstens,
als ein Mann gebahrt, ein dramatischer Held der Prüfungen, der
vollkommen seiner fünf Sinne Herr und Meister. Dazu bringt
ihn die Comedia, und das eben ist die Fuerza lastimosa, die sie
ihm anthut, dem verteufelten Dogma der spanischen Poetik zu-
folge: dass nur ein Wahsinniger einem Könige gegenüber sein
1) Y entre tanto un abejon
Se como el panal de miel .
Que cuando cogeiie fui
Solo el corcho estaba en el
2) aqueste viejo
Con sus barbas de conejo.
408 ^^s spanische Drama.
gutes Eecht verfechten und behaupten könne. Und darin liegt
denn auch der Wahnsinn der spanischen Comedia des 16. und
17. Jahrhunderts, und der vom Dogma des Königgötzenthums
selbst in ihren grössten Genie's genährte, unheilbare Dichter-
wahnsinn. „Komm an, Du erlogner König!" — schreit Conde
Enrique im Wahnsinnsparoxysmus ~ „Komm an, Herodes, Hen-
ker unschuldiger Kindlein! . . . Warum hast Du mich ein-
sperren lassen? Trödel-König! Wer hat Dich hintergangen, alter
Schuhu? Warum den weissen Hals meiner Isabela durchschnei-
den lassen? Welcher Zimmt und Zucker kann nun die Wunde
heilen? 1) Die ganze Welt verflucht Dich?'' „Ich soll die Liebes-
gunst der Infantin erhalten haben? Gott straf mich und mache
mich zu Schanden, wenn das wahr ist!" Musste der Mörder sei-
nes innig geliebten Weibes erst verrückt werden, um vor König
Pantalon und Prinzessin Pumfia vom Puppentheater diese Er-
klärung von sich zu geben? Oder war nicht vielmehr die ab-
scheuwürdige Preisgebung seiner Frau und Kinder auf Königs-
befehl ein Act des grauenvollsten Wahnsinns? eine That hunds-
föttischer, hundswüthiger Tollheit aus hündischem Gehorsam?
In der fulminanten Scene mit der Mutter, da gerade lässt Ham-
let die Wahnsinnsmaske fallen, um mit den Straf blitzen der
hellsten Vernunft ihr Gewissen zu geissein. Die Leidenschaft
der empörten Vernunft, die ist das einzig berechtigte Pathos
eines in seinen Vernunft- und Herzensrechten von frevelvoller
Königsgewalt zertretenen ritterlichen Mannes. Welche tiefe Zer-
rüttung des sittlichen ürtheils, welche verkehrte, wahnsinnige
1) Ven aca, rey embustido,
Herodes entre inocentes . . .
Rey de paramento viejo*) . . .
(iPorque me echaste en prision?
^Quien te engailo, rey mochuelo?
(iPorque mandaste cortar
El blanco cueUo ä Isabela?
iCon que azücar y canela
Se puede agora curar?
*) ,, König von altem Plunder": Hamlet's „znsaramengeflickter Lum-
penkönig.*'
Feldmarschall-Däumling. 409
Vorstellung von tragischer Sühne und Leidenschaftsreinigung:
den Opferhelden unseliger Verwickelungen und Fügungen sich
mit vollem Bewusstseyn zum Kain seines Gewissens par ordre de
Muphti machen, und nachträglich die Gewissensstimme in unbe-
wusstem Wahnsinnzustande sich ausgeifern und belfern, und mit
Tollwuthsgewissensbissen um sich schnappen zu lassen! Ist es
einem der grossen spanischen Dramatiker jemals eingefallen, ei-
nen wahnsinnigen König, einen spanischen Lear zu dichten?
Wahnsinnsacte begehen ihre Könige in schwerer Menge, aber
aus königlicher Machtvollkommenheit, Majestätsrecht, Wahnsinns-
acte von Gottes Gnaden. Den Wahnsinnsact aber als specifi-
schen Königswahnsinn zu tragischer Sühne bringen — vor dem
blossen Gedanken musste schon ein spanischer Dichter als vor
dem grössten crimen laesae majestatis zurückschaudern. Zum
specifischen Königswahnsinn aber bildet und entwickelt sich all-
mälich aus die überschnappte Macht- und Herrschsucht. Der
dynastische Königswahnsinn ist eine historische Pharaoplage als
Strafe der specifischen Königshybris — Selbstüberhebung und Selbst-
vergötzung. In allerneuester Zeit hat das europäische Dalaila-
mathum dieser specifische Wahnsinn ergriffen in Form der ün-
fehlbarkeitsmanie. Irrsinn aus ünirrbarkeitshochmuth — o der
funkelnagelneuen Form von specifisch historischer erblicher Geistes-
krankheit als verlarvter, selbstvergötterischer Herrsch wuth!
Der König von Irland befiehlt, den gefährlichen Narren zu
greifen. Dieser aber fuchtelt mit gezogener Klinge die sämmt-
liche irländische Hofdienerschaft zur Thür hinaus und jagt ihnen
gestreckten Laufes nach, um sie wie die Lerchen aufzuspiessen.
Sa, sa, sa, sa!
Gleichzeitig segelt die aragonische Flotte des Grafen von
Barcelona, des Vaters von Isabela, heran mit ihrem Könige
am Bord und befehligt — rathet einmal! — von Conde Enri-
que's sechs oder achtjährigem Jüngelchen, des Königs von Barce-
lona Enkelchen, dem „Kinde" Don Juan^), wie Fabio dem
Könige von Irland zu dessen nicht geringem Schrecken meldet. '^
1) El nino Don ♦ Juan, su nieto,
Dicen que es el general.
2) JBsta es justicia divina.
410 I^sis spanische Drama.
König und Infanta erkennen darin Gottes heimsuchende Ver-
geltung. Der König ist wegen eines Anführers seiner Truppen
in grösster Verlegenheit. Fabio rathet, inanbetracht von Conde's
unzurechnungsfähigem Zustande — wen zu wählen? den seit sechs
oder acht Jahren — die Zeitangabe im Stücke schwankt zwi-
schen 2 — 8 Jahren ! — in Irland verschollenen Duque Otavio. ^)
Den hat ja seit sechs Jahren'^) der Kukuk geholt! kratzt sich
der König hinter den Ohren. Nach dieser Zeitrechnung kann
der Admiral der aragonischen Flotte, das „Kind" Don Juan,
höchstens vier Jahr alt seyn.
Mittlerweile erfährt Condesa Isabela von ihrem freund-
lichen Wirth im Schloss am Meer, dem Duque Otavio, dass
er in jener Nacht die Infanta, als selbsterwählter Vertreter, an
Stelle des von ihm verhafteten Conde Enrique beschlichen. Zeigt
der Gräfin den Eing am Finger, den er in jener Nacht des esca-
motirten Stelldicheins zwischen 2 und 3 Uhr Morgens von der
Infantin als pignus amoris seu concubii subreptitii erhalten, ver-
ehrt den Eing, der nur für Conde Enrique „Ketten" machte,
der Gräfin als Gastgeschenk, und trägt seinem Diener Polibio
auf, die Gräfin nach dem Hafen zu begleiten und sie nach Bar-
celona übersetzen zu lassen. Bei dieser Gelegenheit kann Diener
Polibio nicht umhin, seinen Gebieter, mit Hinzielung auf den
Grafen, heimlich zu fragen: „Hast Du sie genossen?" Worauf
der Gebieter ihn bedeutsam bedeutet: „Ehrenwerthe Diener ha-
ben zu gehorchen und zu schweigen." ^) Ein Fingerzeig von unab-
sehbarer Tragweite, so unabsehbar wie der grosse Ocean, der
Condesa Isabela in einer am Boden mit einem Leck versehenen
Barke an Duque Otavio's gastfreundliches Schloss herange-
schwemmt und sie nun vom Schlosse nach Barcelona fluthet, vom
1) Fab. Pues dura del conde el mal,
Mas que venga el duque Otavio.
2) Eey. Ha seis aiios que no viene
A lä Corte.
3) Pol ib. (Ap. ä Otavio)
^Gozästela?
Otav. Los criados
Tienen por blason de honrados
Ser obedientes y mudos.
See- und Landtrauer. 411
Diener Po libio nach dem Hafen begleitet, der, im Begriife, sich
mit der Gräfin auf den Weg zu machen, sein obiges Gozästela-
Aparte mit einem zweiten ergänzt, aber ein Fürsich -Aparte:
„Bei Gott, noch eh' sie den Hafen erreicht, muss sie mein seyn",
auf Spanisch: muss ich sie gozaren. i) So wandelt nun das Ideal
von tugendhafter Dulderin und freiwilligem Eheopfer an der Seite
eines dem Gebieter seelenverwandten unverschämten Dieners dem
Fahrzeuge entgegen, das sie nach Barcelona bringen soll; das
glücklicherweise keinen Leck hat, während, leider Gottes, sie, oder
ihre Frauenehre, mit einem solchen zu Schiffe geht, sey's auch
nur mit dem Schatten, dem Halbschatten eines durch jene fre-
chen Apartes auf sie geworfenen Verdachts von möglichem
Lecke in ihrer Muster - Frauenehre und Selbstmärtyrer -Glorie
befleckt.
Der Schmachfieck breitet seine Farbe über des Grafen von
Barcelona ganzes Eacheheer aus, das in schwarzem Kriegs-
paradeaufzug anmarschirt: schwarzumflorte Trommeln, schwarze
Fahne, worauf Isabela's Bildniss gemalt erscheint. Das Kind
Don Juan, als schwarzer Prinz und Feldherr-Admiral zwischen
zwei bis acht Jahren, in schwarzer Rüstung unter schwarzem
üeberwurf und in der Kinderhand den schwarzen Commando-
stab. Hinter ihm sein schwarzer Grossvater, der Graf von Bar-
celona/^) Der aragonische Cid im ßoUwägelchen , der General-
Tomb mit den Hosenschlitz hinten berühmt sich gegen seinen
Grossvater: „Binnen zwei Tagen wird diese Brust wie ein zu
enges Behältniss für meinen kriegsmuthigen ßachegrimm bersten
und Entsetzen über die feigen Gegner ausgiessen. Um solches
Männervolk zu schrecken und zu Paaren zu treiben, bin ich ganz
allein Manns genug." ^) Der kleine spanische Sacramenter von
1) Polib. (Ap.)
Por Dios, que antes de Uegar
AI pnerto, la he de gozar.
1) Soldados con caja y bandera negra, y en ella pintada la imagen
de Isabela; el iiino Don Juan, armado sobre una sotana negra, con
baston de general; deträs el Conde de Barcelona.
3) Qne dentro de dos dias este pecho
Ha de romper como aposento estrecho
Para asorabrar esta cobade gente.
412 ^^^ spanische Drama.
Eisenfresser auf dem Kinderk— stuhl chen! Die Soldaten stellen
sich auf die Zehen, begierig, den Knirps-Grossmaul zu ergucken.
Um ihnen den Anblick zu erleichtern, nimmt Grossvater den
„Nino"- Bramarbas mit der Kanonenkugel als Lutschbeutelchen
im Maul auf den Arm. ^) Mittlerweile gebärdet sich König
von Irland als Contrastfigur zum kleinen Don Juan, als ein
Nino-König, dem das Herz in die Kinderhose fällt. Er hat solche
Angsteile, dass seine Noth des Conde Enrique Eisen bricht. Er
lässt den Conde aufs allerschnellste aus dem Gefängniss holen
und ihn dem fürchterlichen Nino ausliefern. ^) Ausserdem sey an
einem Verrückten ohnehin nichts gelegen. ^) Auch steht der
Duque Otavio schon da, um den Oberbefehl über die irischen
Truppen zu übernehmen. Man könnte dieses motivirungslose
leichtfertige Hin - und Herschieben der dramatischen Figuren mit
der Eilfertigkeit der Lope'schen Compositionsweise sich erklären,
die mit dem Anschlagfaden durch lange verlorene Stiche die Sce-
nen und Incidenzen so obenhin wie möglich zusammenheftet,
wenn derlei Kuscheleien sich nicht auch bei andern Meistern des
spanischen Drama's fänden.
In weit trauervolleres Schwarz als des Grafen von Barcelona,
Don Kamen de Moncada, Heer und Flotte, finden wir am Mee-
resstrande seine Tochter, die hehre Isabela, den Frauenehren-
und Tugendspiegel gehüllt, und klagend, in Mannskleidern, über
des Duque abscheulichen Diener, Polibio, der sie habe
nothzüchtigen wollen, und daran nur durch seinen viehischen
Bausch und die finstere Nacht sey verhindert worden. "*) Man
denke doch nur an Isabela's leid- und schicksalsverwandte
1) — quiero — con aquestos brazos levantarte
2) Ve, Clenardo
Y trae de la prision atado al Conde . . .
Därsele intento a quien por el me pone
En tanto aprieto.
3) Fuera — de que ya es loco y hombre inutil.
4) Forzarme quiso el villano,
Mas como el suefio y el vino,
Le retuvieron la mano
Enfreno su desatino
La noche . . .
Isabela als Spion. 413
Imogen! Wie diese alle guten Geister der dramatischen Poe-
sie mit ihren Engelfiügeln, inmitten aller Fahrnisse und schimpf-
lichen Verleumdungen, als ihresgleichen schirmen und vor dem
kleinsten Fleckchen ihrer Frauenheiligkeit bewahren, starkmuthig
und unnahbar in sich selbst, nicht dass sie die Reinhaltung und
ün Versehrbarkeit ihrer Ehre dem Zufall, dem viehischen Kausch
eines brutalen Knechtes verdanke. Ist es nicht, als sey es Mis-
sion des' grossen britischen Bühnendichters gewesen, die Verir-
rungen aller andern dramatischen Genies in seiner Kunst zu süh-
nen; das blosse dramatische Genie zur höchsten Seele npoesie
durch eine, so zu reden, kunstsittliche Katharsis zu läutern, als
ob in seiner Composition die gefeiertesten dramatischen Versuche,
Vorwürfe und Leistungen seiner Vorgänger und Nachfolger, wie
auf einer Taborhöhe, sich vergeistigten und vollendeten, gleichwie im
Glaubensworte des Messias sich alle früheren Weissagungen und
Heilsbotschaften in höchster Weihe und Verklärung erfüllten;
und als ob der Messias der dramatischen Kunst Alles und alle
dramatischen Sünden, auch die der Erzväter und Propheten der
Bühnendichtung, auf sich genommen und gesühnt hätte! Shak-
speare's Novellen-Schauspiele, wie Cymbeline, Wintermär-
chen, sie werden uns gerade seine dramatische Kunst und
Technik in grösster Stärke zeigen.
Von zwei spanischen Marketendern, die Isabela in Manns-
kleidern für einen Spion hielten und ihr Arme und Hände fest-
banden, erfährt sie, dass jene vor Anker liegende Flotte die des
Conde de Barcelona sey. Sie erblickt ihren Sohn — jammert ein
Aparte, dass sie ihn mit gebundenen Händen nicht umar-
men und nur ihren Thränen freien Lauf lassen könne. J) Er-
greifender Zug! Aber wie der pannus purpureus^) blos ange-
flickt, nicht mittelst kunstgemässer Motivirung in Fabel, Peripetie
und Katastrophe einheitlich verwoben. Heisst das nicht die Büh-
1) Que brazos que atados van
A mal tiempo los empleo.
Las lagrimas derramadas ;
Que lo pudieron hacer,
Como no estabau atadas.
2) Purpureus late qui splendeat, unus et alter
Assuitur pannus. Hör. A. P. v. 15.
414 Das spanische Drama.
nenwirkung auf die äusserste Spitze treiben, wenn der Nino-Ge-
neral, Don Hänschen, Folterwerkzeuge herbeiholen heisst^),
um mit der noch unerkannten, und von den spanischen Soldaten,
als Spion, ihm zugeführten Mutter ein bhitpeinliches Verhör vor-
zunehmen? Von der Aehnlichkeit aber des vermeinten Spions mit
der, „die er zumeist liebe", betroffen, befiehlt das Söhnchen-
Grossconstabler, dem Vorgeführten die Fesseln abzunehmen, und
ernennt die als Barceloner sich bekennende Isabela zum Haupt-
mann. „Wüsste ich meine Mutter nicht todt, ich würde schwö-
ren, sie in diesem verhüllten Schattenbilde zu erblicken**'-), ruft
das Tüpfelchen auf dem I unseres „Fuerza lastimosa^-Drama's,
an welchem selbst vom Dichter so viel Fuerza lastimosa verübt
worden. Kaum sind der Incognito-Mutter die Bande abgenommen,
erscheint vor dem Söhnchen-Oberfeldherrn der Vater Conde
Enrique, in Ketten, von Conde de Barcelona, seinem Schwie-
gervater, herangeführt. Eine Katastrophenscene, abermals aus
dem Würfelbecher des Glücksgenies auf das Brett oder die Bret-
ter geschleudert mit der höchsten Augenzahl nach oben. Der
Conde Grossvater stellt den Conde Vater dem Enkel-Gran Capitan
als den Mörder seiner schönen und heiligen Mutter vor. Auf
des Vaters Entschuldigung: Ein Anderer habe ihn dazu ge-
zwungen, fragt das „Kind" -Feldmarschall: „Wie sollte denn
ein Mensch den freien Willen eines Andern zwingen kön-
nen?" Die Frage leistet ihren Komödien -Abtrag an das Kir-
chendogma vom freien Willen, für welches das spanische Drama
des 16. und 17. Jahrhunderts, insbesondere Calderon's, streitet.
Conde Vater entschuldigt dies wieder mit der menschlichen Ge-
brechlichkeit, ^) Eine hinkende Ausrede in dem Munde einer
1) D. Juan. Traed un tormento aqui.
2) D. Juan. Si no fuera muerta
Mi madre, que era jurara
Aquesta sombra encubierta.
3) Conde de Bare.
Este es aquel que mato
Tu madre santa y hermosa.
Conde Enr.
Hijo, un hombre me forzo.
Das Unfehlbarkeitsdogma. 415
zum ritterlich liebevollen Leidenshelden angelegten und inten-
tionirten dramatischen Gatten- und Vaterfigur. „Ein Mensch
kann irren'' — wenn er nämlich nicht zufällig Papst, und eben
kein Mensch ist, sondern um die Hälfte mehr als Christus sel-
ber, der als Gott-Mensch lebte, lehrte und gekreuzigt ward, und
am Kreuze rief: „Gott, mein Gott, warum hast Du mich ver-
lassen?'' War dieser Angst- und Todesmarterruf keine mensch-
liche Schwäche? also ein menschlicher Irrthum? Einem solchen
Irrthum wäre der infallible Papst am Kreuze schlechterdings
nicht unterworfen. Man lass' es nur auf eine Probe ankommen
Der dramatische Leidensheld — uuf auf diesen zurückzukommen
— das Widerspiel zum infalliblen Papst, muss irren, aber cum
grano salis. Er darf um Gottes und Drama's Willen nicht auf
schimpfliche Weise irren, denn das wäre kein Irrthum mehr,
sondern ein schlechter und feiger Streich, den sich ein solcher
Held um SeeF und Seligkeit nicht zu Schulden kommen lassen
darf. Darin muss er infallibel seyn, noch infallibler als der
Papst, denn an Jenes Infallibilität in diesem Punkte glaubt alle
Welt, was bei der des Papstes so wenig der Fall ist, dass er,
wenn er meinte, den Glauben an seine Infallibilität durchsetzen
zu können, auf dem dicksten Irrthum herumreiten würde, auf
dem jemals ein Gott-Papst minus Mensch nur herumgeritten.
Herzrührend ist des kleinen Generalissimus, Don Juan, Bit-
ten und Flehen zu des Grossvaters Füssen, um das Leben seines
Vaters, damit er, der Mutterberaubte, nicht auch zur vaterlosen
Waise gemacht werde, weil er sonst vor Herzeleid sterben
müsste. ^) So fleht und jammert das Urbild zum Däumling-Feld-
marschall, Cornelius Nepos, in Achim von Arnim's Gespenster-
D. Juan.
Conde Enr.
(iün hombre puede forzar
A nadie el libre albedrio?
Hombre he iiacido, hijo mio,
Y como hombre, pude errar.
Mi madre es muerta, senor;
Si mi padre muere asi,
Yo morire de dolor.
416 Das spanische Drama.
kutsche. So fleht er weinend und schluchzend, aber unbeschadet
■"der scharfen, an Conde Vater gerichteten Apostrophe, die men-
schenmöglicherweise vielleicht gar für das Vorbild zu jener be-
rühmten Apostrophe Macbeth's an seine blutigen Hände gelten
könnte, ^) Conde Grossvater zieht sich zurück, um sich an dem
vom Enkel begnadigten Verbrecher nicht zu vergreifen. Um dem
Grossvater doch einige Genugthuung zu geben, lässt das „Kind"
den Vater von dem begnadigten 'Soldaten' (Isabela) in's Ge-
fängniss führen und entfernt sich. Nun erstarrt Conde Enri-
que über die Aehnlichkeit des ihn in Haft bringenden 'Soldado'
mit seiner unglücklichen Gattin Isabela. Sie fragt, was ihn zum
Morde bewogen, was die Gemahlin verbrochen? „Eine Heilige
war sie", ächzt der Erbärmling, „und nur ein König konnte
mich zu solcher That zwingen."^) 0 du Jämmerling
aus Königsfurcht! Die tragische „Furcht" spuckt der deinigeu
in's Gesicht. Ein bis zu solcher Verleugnung aller göttli-
chen und menschlichen Gebote schlotterndes Entsetzen vor dem
crimen laesae durch nicht unbedingten Gehorsam gegen ein
Gott und Menschheit schändendes Königsmachtgebot entwür-
digt dich zum Auswürfling aller dramatischen Memmen. Das
Insect, das im Kectum eines Pferdes, des Pegasus zumal,
nistet, kann unter Umständen bühnenwürdig sein, wie die Bremse
der lo oder des Bellorophon; — bühnenwürdiger jedenfalls, als
ein solcher sich aus Angst vor den Brauenrunzeln des crimen
1) „Kann ;wohl des grossen Meergotts Ocean dies Blut von meiner
Hand rein waschen?'* . . . u. s. w.
Arrojästela en lä mar
Pensando poder lavar
Con tanta agua tal pecado,
Mas lo qne sangre ha manchado
Con sangre se ha de sacar.
Warfst hinein sie in das Meer,
Denkend, eine Schuld so schwer,
Wasche rein die Wogenfluth.
Aber was befleckt mit Blut,
Stellt auch Blut nur wieder her.
2) Fue Santa —
Solo un rey pudo forzarme.
Entscheidung. 4I7
laesae in einen Königstyrannen — verkriechende Dungkäfer ! Nun
jammert er, auf Soldado-Isabela's Zuspräche: „Mein Verbrechen
ist unsühnbar." ^) Ja, lastimoser Proktophantasmist ! tausendfach
unsühnbar, dramatisch unsühnbar, weil keiner dramatischen
Sühne würdig!
Lope's unerschöpfliche, leider oft überwuchernde Fruchtbar-
keit wirft nun noch in die Schlusskatastrophe, in die auf dem
letzten Loch pfeifende Anagnorisis, ein neues Incidenz- Motiv.
Vor dem König von Irland, vor der Infantin Dionisia, vor dem
Grafen von Barcelona und Conde Enrique, vor Nino-
Don Juan, vor Duque Otavio, des Königs von Irland Feld-
hauptmann, kurz, vor dem sämmtlichen Personal der Tragikomö-
die „trauriger Vergewaltigung" , nach allen Eichtungen erklärt
Isabela, im Soldaten -Incognito: Nicht der unschuldige Conde
Enrique, „Ich war es", ich, derSoldado, war's, der in das Schlaf-
zimmer der Infanta in jener Nacht mich eingeschlichen — zum
Beweise: der Ring, den ich beim Abschied als Andenken an
so viele Gunstgewährungen und Genüsse mit mir nahm. Kö-
nig und Duque Otavio fahren Beide zugleich aus dem Häus-
chen. Die Infantin bleibt ruhig in dem ihrigen, sich mit der
Bestätigung inbetreff des Ringes und mit der Frage begnügend,
ob Soldado von Adel oder ein Plebejer sey. Auf Duque Ota-
vio's Drohung, wenn Soldado nicht widerruft, werde er, Duque,
mit des Soldado Namen hervorrücken, schenkt nun Soldado-Isa-
bela der ganzen Versammlung reinen Wein als letzte Neige ein,
deren reiner Wein sich als trübste Hefe zu erkennen giebt: „Du
warst der Ein- und Aufsteiger, nicht Ich!" 2) Jetzt, wo der
König dem Duque das Abälard-Messer 3) an die Kehle setzt,
legt der Beschleicher die übliche Schlussgeneralbeichte ab. Die
Erklärung der Infanta: Besser ein Beschleicher mit einem Kopf,
der ihre abgeschnittene Ehre wieder herstellt, als Einer mit ab-
geschnittenem Kopf, der sie mit abgeschnittener Ehre und Lei-
1) No hay disculpa
2) Que non fui yo, sino tu.
3) — testes caudamque salacem
Demeteret ferrum. Hör. Sat. 11. 1. V. 45.
X. 27
418 Das spanische Drama.
beserben iiesse i), rettet dem Duque den Kopf, behufs dessen Ab-
lösung der König schon Horazens Messer erhoben hatte. Dabei
lässt es aber Feldmarschall-Cornelius Nepos keineswegs bewen-
den: Er muss Blut sehen; er fordert den Yerräther zum Zwei-
kampf. Grossvater, Vater und Soldado-Mutter berufen des Niiio
Kindschaft, und erbieten sich als Stellvertreter. Endlich nach der
letzten handvoU Salzschrot von unnöthigen Hinhaltungsincidenzen
noch am letzten Ende, nimmt Duque Otavio dem Soldado die
Incognito-Maske ab, und entlarvt ihn als Condesa Isabela —
Jubelumarmungen — Vater, Grossvater, Mutter, Gatte, Kind, Gat-
tin — aus Armen in Arme fliegend, — Wenn Ihr aber meint,
Lope's Fruchtbarkeit lasse sich damit begnügen, so rechnet Ihr
ohne die noch erst nachschleppende Endscene, die den Schwere-
nöther Polibio in Weiberkleidern und in Ketten daherschleppt
— der Weiberkittel und die Ketten als obligate Parallelmaskerade
zu Isabela's Wams, Hose und Ketten. Damit noch nicht genug,
thut Lope's superfötirende Incidenz-Fruchtbarkeit ihr Aeusserstes
mit Dionisia's der ganzen hochehrbaren Gesellschaft zumbesten
gegebenen Anzeige : dass sie diese Nacht eines Mägdeleins gene-
sen 2), als Parallel-Nino zum General-Nino, und letzte Zwangsge-
burt der „beklagenswerthen Gewaltübung" in allen Ecken und
Enden der hochgerühmten Comedia: 'La fuerza lastimosa'.
1) Dion. — Aunque el Duque merecia
La muerte por sus traiciones
Le quiero por mi marido
Pues es mejor que nie honres
Que no que tu y yo quedemos
Sin honra y sin sucesores.
2) De aquella noche pari
Una nina.
Nach neun Monaten also seit jener verhängnissvoUen Quiproquo -Nacht.
Wo kommt nun das 8- oder 6jährige Nino-Generalchen her, Conde Enri-
que's und Isabela's Söhnchen, Don Juan, die es, dieser Zeitrechnung zu-
folge, ganzer neun Jahre unter ihrem Herzen müsste getragen haben!
Solche Oscitanzen muss man schon dem Siebenmeilenkothurn oder Soccus
des Lope'schen Genies durch die Finger sehen.
Tante Teodora. 419
El Acero de Madrid
(Das Stahlwasser von Madrid).
Das Stahlwasser zielt auf die fingirte Brunnencur, welche
der fingirte ßriinnenarzt, Bei trän, des Caballero Lisardo
Diener, der Beiisa, Tochter des Prüden cio, auf ihr Anstiften ^)
verordnet, um ihr auf den beim Brunnentrinken vorgeschriebenen
Spaziergängen -) Gelegenheit zu verschaffen, mit ihrem Geliebten,
Don Lisardo, Zusammenkünfte zu halten. Aus Gesundheits-
rücksichten gestattet Vater Prudencio seiner Tochter die Stahl-
wassercur, aber nur in Begleitung ihrer gestrengen, mit Kosen-
kranz und Scapulier gegen jede Anfechtung des Liebesteufels
bewaffneten Tante, Teodora. Um Betkranz und Scapulier sammt
Tante von Beiisa auf die Tugend wächterin selber abzulenken,
bringt Lisardo's Freund, Riselo, das seltene Freund schaftsopfer,
diese Ablenkung bei der Tante vorzunehmen, auf die flagrante Ge-
fahr hin, dass die heiligen Bannmittel gegen die Liebesteufel sich
an der Tante unwirksam erzeugen, und sie ihres eigenen Herzens
Thür und Thor dem Liebesdämon in Eiselo's Gestalt öffnen
könnten. Das von Kiselo gebrachte Freundschaftsopfer erscheint,
inanbetracht seiner Liebesbewerbung bei der jungen Wittwe,
Marcela, um so grösser und selbstverleugnungsvoller. Als Ge-
hülfe des vermeinten Brunnenarztes, Bei trän, ist dem Lisardo
Annäherung vielleicht mit Beiisa gegönnt. Wie der Pulsfühler
die Erlaubniss, angesichts der Tante, benutzt, lässt sich denken.
Beiisa treibt das Bedürfniss der Stahlcur bis zu fingirten Ohn-
mächten, Amors Antäus-Kunststückchen, das, wie beim mytholo-
gischen ßingkampfe, mit einer lebensgefährlichen Umarmung en-
det, lebensgefährlich für die in den Armen des herculischen üm-
armers erstickte Tugend, deren Stärke der mütterliche Schooss,
1) Wie Beiisa in einem Briefchen dem Lisardo mittheilt: Sie wolle
sich krank stellen, um Vater und Tante zu täuschen:
Yo voy fingiendo, mi querido esposo,
Que estoy descolorida y opilada
Para enganar un padre tan aloso
Y una tia tan mal intencionada. 1. 4.
2) Oon el ir ä pasear.
27*
420 I^^s spanische Drama.
deren Schwäche die freie Luft, besonders auf Spaziergängen bei
einer ^Stahlwassercur. Alles unter den Augen der gestrengen
Tante mit Eosenkranz und Scapulier. Lisardo steckt der Ohn-
mächtigen beim Pulsfühlen einen Gesundheitsring an den Finger,
flüstert ihr äsculapische Heilsprüche in's Ohr, mit der Wirkung
des von der epidaurischen Aesculapschlange vollzogenen Ohrbe-
leckens: Beiisa schlägt die Augen auf und lispelt: Welcher
süsse Ohrentrost! ^) als hätte ein Bienchen ihr süssen Jungfern-
honig mit anbetungswürdigem Stachel säuselnd in's Gehör ge-
träufelt. 2) „Ein Bienchen?" brummt die haarige Hummel, Tante
Teodora. „Es mag wohl ein Bullenbeiser gewesen seyn, der Dir
in den Ohren lag!"^) Nun ist's Zeit, dass Riselo mit den Erst-
lingen seines Freundschaftsopfers beginnt. Er nimmt die Tante
zu einem heimlichen Zwiegespräch in's Gebet, wobei Eosenkranz
und Scapulier einnicken, während Lisardo und Beiisa ihre
Ohrenbeichte fortsetzen, jedes Wort ein Bienchen, den süssesten
Jungfernhonig summend und träufelnd. Schon hört man Eosen-
kranz und Scapulier leise schnarchen. Die Bienen schwärmen
so dicht, dass sie das Leichtlingspaar wie mit einem goldenen
vulcanischen Netz umwehen, worin sie Tante Teodora in seliger
Umarmung betrifft, als Messe Lisardo Mars und Beiisa Venus. ^)
Nun weiss sie, woran sie mit der Stahlwassercur und mit Belisa's
Milzverstopfung ist. ^) Tante Teodora fängt an, Ejiselo's
Freundschaftsopfer zu goutiren. Lisardo ist in der Lage, den
ersten Act seiner Eisensäuerlingscur und seiner ersten Ohren-
1) Beiisa (Despierta).
iQue dulce consolacionl
2) Parece que una abejita,
Cugo toerno pico adoro,
Con un susurro sonoro,
Que todos mis males quita,
Un panal de miel subrosa
En el oido me hacia.
3) Teod. ^Abeja? Alono seria
Traidora, en tu oreja ociosa.
4) (Vuelve la tia la cabeza, y ve abrazorse Lisardo y Beiisa.)
5) Teod. Ya entiendo la opilacion.
Diverse Eecepte. 421
beichte mit dem Siegesruf zu schliessen: Amor, Victoria! Ich
hab' gesiegt! ^)
Den obligaten albernen Vetter, der sich nebenher um Be-
iisa bewirbt, führt der zweite Act unter dem Namen Otavio
ein, dem sein Diener Salucio schon in der ersten Scene in's
Gesicht sagt, dass Belisa's ganze Krankheit nichts weiter sey,
als seine, Otavio's, Liebesbewerbung. ^) Dann treibt der als Arzt
verlarvte Beitran seinen Jocus mit dem „Tölpel" ^) vom Lande
und verordnet ihm gegen Schlaflosigkeit eine Kräutermixtur von
unfehlbarer Wirkung, da sie ihn die Nacht über unausgesetzt auf
den Beinen, und diese auf dem Laufenden hält. Der munteren
schon nach dem ersten Genuss des Stahlwassers sich gestählt und
erkräftigt fühlenden Belisa^) verschreibt Bei trän eine Feige,
die sie nämlich selbst mittelst ihres durch Zeige- und Mittel-
finger geschobenen Daumens zuwege bringen und dem Otavio —
zeigen soll. ^) Dagegen klagt Tante Teodora über Verstopfung
und Anschoppung im Unterleib, seit der Stahlwasser -Prome-
nade.^) Beitran verordnet Spieke '^), von Riselo auf die lei-
dende Stelle gelegt: Teodora's verliebsames Luchsauge hat auch
schon Beltr an 's Doctormaske durchschaut, und bittet ihn in-
brünstiglich, das Auflegen der Spieke durch ßiselo vermitteln
zu wollen, ^) Er verspricht es, für den Gegendienst, dass sie ihre
1)
lAmor, Victoria! Venci.
2)
Que pienso que tu afficion
Es todo SU opilacion.
3)
Beltr. (ap.)
En majadero muere
Por Beiisa.
4)
5)
Bei.
Beltr.
Hallome mugaliviada.
A quien la (higa) tengo de dar?
Desela al seiior Otavio.
6)
Teod.
Tu sobrina, ya has dejado,
Andando, tu opilacion,
Y yo en la misma razon
La tengo de haber andado.
8)
Beltr.
Theod.
Vay ä la botica luega
Por un manojo de espliego.
Haz buen oficio con el.
422 Das spanische Drama.
Scheinheiligkeit und graue Gottseligkeit an den Nagel hänge,
und lieber dafür sorge, dass die beiden Täubcheii, Lisardo und
Beiisa, alsbald in ihrem, Teodora' s, Hause ihr Nest bereiten. 0
Ein auf Bell sa's Opilacion anspielendes Liedchen versenkt Vater
Prudencio in Aparte-Gedanken, ob es denn nicht doch gerathen
wäre, die Verstopfung durch einen Ehemann zu heben, und greift
sofort nach dem neben ihm stehenden Vetter Otavio, der sich
zur Cur bereit erklärt. Beiischen will aber sterben eh, als
sich desopiliren lassen von Vetter Otavio. 2) Kein anderer als
Lisardo soll die Ehe-Cur mit ihr vornehmen.^) Tante Teo-
dora, non ignara mali, lässt in einem Brief chen an Kiselo ihn
und Lisardo nach dem Prado auf ein Schlückchen Stahlwasser
bestellen.' Eiselo erledigt zuvor ein Eifersuchtsschäferstündchen
mit seiner vom Fenster herab ihm wegen der Teodora die Le-
viten lesenden Marcela. Hier wohne nicht die Tugendbüchse
Teodora, mit mehr Tugendbüchsen, als der Apotheker Theriak-
und sonstige Kräuterbüchsen auf dem Stapel hat ^) — und schlägt
das Fenster zu. Nun bringt Beitran Teodora's Billet mit der
Schreckensbotschaft für Lisardo, dass Beiisa den Otavio
heirathen soll und mit der für Kiselo nicht geringeren Schauder-
kunde, dass sie, Teodora, ihn heirathen möchte. Marcela,
die blos hinter dem Gewölk ihrer Fenster-Jalousieen und dem
ihrer eigenen Jalousie sich versteckt gehalten, erscheint abermals
am Fenster mit der Erklärung, Kiselo müsse, solle sie ihn wie-
der in Gnaden aufnehmen in ihr Herz, auf dem Prado der
1) Beltr. Hare lo, Teodora ansi.
Arrinia la hipocrisia
Y la patida beatitud . . .
Traza que estos dos pictones
Haguii SU nido en tu casa.
2) Tia, mi muerte procura.
3) Mire que Lisardo es ya
Mi honor, mi vida, mi ser.
4) Que no vive aqui Teodora ...
Es mujer de escapulario
Con mas botes de virtudes,
Aquas, yerbas y suludes
Que hay en cas de un botecario.
Selbstverleugnung aus Freundschaft. 423
scheinheiligen Beguine im Busssack i) den Liebestollwurm aus
der Nase ziehen, den Zagel in den Nacken werfen und ihr das
Enttäuschungslicht aufstecken und ihr damit heimleuchten. Ver-
gebens stellt ihr Lisardo vor, Kiselo würde dadurch 'auch sei-
ner, Lisardo's, Bewerbung um Beiisa den Todesstoss einge-
ben. Marcela besteht auf dem sofortigen Heimleuchten, widri-
genfalls auch sie nach einem andern Liebhaber sich umsehen
werde, ßiselo wüthet sich zur Eifersuchts-Horniss , reckt den
Dolchstahl, Marcela schreit |Ay Dios! und läuft weg vom
Fenster. Trotz Liebes- und Eifersuchtswuth hält Riselo, der
biederherzige Freund, am Freunde fest, entschlossen, Lisardo 's
Interessen auch fernerhin wahrzunehmen, und stünden tausend
Weiber auf dem Spiel. 2) Marcela's wiederholtes Erscheinen am
Fenster und eifersüchtige Liebesabsage macht Eiselo in seinem
Freundschaftseifer nicht wanken. Eine seltene Selbstverleugnung
aus Freundschaft in der spanischen Komödie!
Marcela erscheint verschleiert auf der Strasse und trifft
mit Otavio zusammen, einem ihr unbekannten, aber durch ver-
wandtes Schicksal, durch Brunnencur-Liebesleiden , verbundenen
und daher sich ihr, der Verhüllten, zugesellenden Genossen.
Schon hat Marcela auf dem Prado Belisen und Teodora
in's Gespräch genommen; schon ßiselo die Verschleierte be-
merkt; schon Beiisa sich der Aufdringlichen im Schleier er-
wehrt; diese schon der Teodora den ßiselo als ihren Gatten
bezeichnet, und ihn mit verschleierter Wuth der Betschwester
zur Verfügung gestellt^) — und schon lägen sich beide Neben-
buhlerinnen in den Haaren, käme nicht ßiselo's Nebenbuhler,
Florencio, daher, den die Verschleierte mit geheucheltem, vom
Sturmwind der Eifersucht von ßiselo auf Florencio gejagten
Liebesflugfeuer anfällt. Daraus erkennt ßiselo seine Pappenhei-
merin und feuert mörderische Apartes ab. Alle Donner! Sie
1) envuelta de manta de yerga.
2) Lisardo. El medio es dejarme ä mi . . .
Kiselo. Eso no por mil mujeres,
Aunque reviente, aunque muera.
3) Le dejo que os hable y vea.
424 ^^s spanische Drama.
betet ihn an — und das duld' ich?^) und muss zusehen, wie
Plorencio mit Marcela davongefft, und nach dem Zusehen
noch das Nachsehen haben, während Marcela sich mit einem
Aparte in's verschleierte Fäustchen lacht! 2) Lisardo hat Noth,
den Eiselo an den vor Eifersucht brennenden Eockschössen zu-
rückzuhalten, während Betschwester Teodora wie ein feuriges
Meteor davonstiebt, Beiisa und die Zofe Leonor sammt der
stummen Statistenperson, Otavio, in ihrem vor Entrüstung und
Eifersucht glühenden Schweifwirbel mit fortreissend, die Sprüch-
worte, wie ein Schwungstern Funken, von sich schnaubend : „We-
der Er (Eiselo) soll mein Gatte, noch Du (Beiisa) Lisardo 's
Gattin werden!" 3) Lisardo, Eiselo, Beitran treiben sich
vor Eifersuchtsverzweiflung selber die Hüte an bis auf die Schul-
tern 4), und der zweite Act seinen Eiesenfilz bis an die Fuss-
knöchel Allen zusammen. Meisterliche Schlussscenen durch Be-
wegung, vis comica und Lustspielcharakter, meisterlich alle zu-
sammen!
Die päpstliche Dispensation zur Verheirathung seiner Tochter
Beiisa mit Vetter Otavio ist eingetroffen, und nun wundert
sich Vater Prüde ncio nur über Eins, dass er nämlich Belisen
alleweile verstopfter vor sich sieht, als sie beim Beginn des Brun-
1) Eiselo (Ap.)
jVive el cielo, que le adora!
^Esto tengo de sufrir?
2) Marcela (Ap.).
jCuän bien, justo cielo,
Me vengaste de Eisuelo!
3) Teod,
Ni el ha de ser mi marido,
Ni tu de Lisardo esposa.
4) Eis.
Marcela und Florencio zusammen?!
Lis.
Beiisa und Otavio zusammen?!
Beltr.
Leonor und Salucio*) zusammen?!
Eis.
jjuntos Marcela y Florencio!
Lis.
jJuntos Beiisa y Otavio!
Beltr.
tJuntos Leonor y Salucio!
*) Otavio'ö Diener.
Stahl-Cur. 425
nentrinkens gewesen ^) , und macht die fromme Schwester und
Betschwester, Teodora, für diese hartnäckige Opilacion verant-
wortlich. Sie schwört bei ihren hundert Argusaugen, dass keines
derselben ihren Wachtdienst auch nur einen Moment versäumte.
Aber ünterleibsbeschwerden bei einem mannbaren Mädchen er-
leiden dergleichen Eückfälle dem Argusschweife in's Gesicht.
Prudencio, sich das Weitere vorbehaltend, geht die päpstliche
Dispensation holen, das unfehlbare Bestandstück der spanischen
Komödie und ihr stehender Petrusschlüssel zum Lösen und zum
Binden, zum Lösen des Lustspielknotens, und zum Binden der
Liebespaare.
Teodora insinuirt der Beiisa des Vaters Verdacht, betreffs
der versteckten Opilacion nach der Cur. 2) Stahlwasser gegen
Hartleibigkeit ist aber das verkehrteste Heilmittel, und was die
Ventrikel eines Mädchenherzens anbelangt, so vertragen sie Amors
ganzen Köcher voll stählerner Pfeilspitzen so gut, wie ein Hühner-
magen die spitzigsten Schuhnägel. Beiisa sagt es nahezu selbst,
aber im Sinn der christlichen Legende: dass Lisardo in der Se-
bastians-Kirche, wo sie ihn zum erstenmal gesehen, alle Pfeile
des h. Sebastian auf ihr Herz abgeschossen^), das seitdem an
einer stählernen Liebes-Opilacion leidet, die der Desopilacion des
Vaters, und sogar der Dispensation des heiligen Vaters den hart-
näckigsten Widerstand entgegensetzt. Hierauf kam aus einem Ge-
büsch amManzanares der kleine heidnisches. Sebastian-Schütze, der
Amor, hervorgesprungen, und drückte seine noch stählerneren und
mit allen Stahlwassern gewaschenen Pfeile ab auf ihr Herz, ^j
Was Wunder, dass die Folgen dieser doppelten Ladung von Se-
bastians- und Amor-Pfeilen sich alsbald einstellten. Beträcht-
1) Con mas opilacion que antes la veo.
2) Tu padre estä sospechoso
De verte laas opilada
Tras el acero.
3) Aquel mancebito
Que me vio en la iglesia
De San Sebastian
Me tirö mil flechas.
4) Pues amor entonces
Disparo sus fiechas.
426 I^as spanische Draaia.
liehe Zunahme der Opilacion mit Auftreibung des Unterleibs? ^)
Da hilft keine päpstliche Dispensation gegen, und die päpstliche
Unfehlbarkeit selber fiele dabei zu kurz. '^) Eh' fünf Monde in's
Land gehen, würde die Geschwulst von selbst abnehmen ohne
Dispensation, das habe diese Art von Auftreibung so in der Art,
wenn sie vier Monate laug zugenommen — ihr Fall eben —
däss sie, die Anschoppung, noch fünf Monate brauche, um sich
zu verlieren, inkraft ihrer eigenen Dispensation.'^) Die Argus-
augen, die nun Tante Teodora macht! Die Tante sieht sich plötz-
lich in die Lage einer plautinischen Amme versetzt, die sich im
Hui in eine Hebamme umsetzt, da Belisa's wunderlichem Ge-
bahren nur die zwei Pünktchen auf dem a fehlen, um Doctor
und Wehmutter gegen die fürchterliche Opilacion zu Hülfe zu
rufen, ^j Menander und Plautus würden diese Stahlwasser-Ko-
mödie als eine vom ersten Wasser der neuen griechischen und
alten römischen Komödie und ihren eigenen Komödien als voll-
kommen ebenbürtig begrüssen.
Riselo steht wieder vor Marcela's Erker und will sich die
Haare ausraufen vor Verzweiflungswuth, dass er seine von Mar-
cel a gehohnneckte Eifersucht an der lachenden Balconteufelin nicht
auslassen kann, die ihren Liebes- und Eifersuchtsverdruss in
1) — mi opilacion
Crecio de manera
Que jamas me he visto
Tan pesada y necia.
2) La dispensacion
Mal venida sea.
3j Suplico te, Tia,
Dislate las fiestas,
Hasta ver si acaso
Esto bulto mengua
Por lo menos, tia,
Cinco meses sean;
Que bien habrä cuatro
Que pise las yerbas.
4) Beiisa. jQue terrible opilacion!
Parece que el corazon
Salir del pecho procura
Llameme luego un doctor.
Riselo 's kniefällige Abbitte. 427
spöttisch -giftiger Scherzhaftigkeit auslässt, der toUmachendsten
aller Eifersuchtsqualeii. Lisardo spricht bei ihr dem Freier zu-
gute, der dabei Blut und Wasser schwitzt. Er verlangt ein
Briefchen von ßiselo zurück — „was Briefchen?" lacht sie —
„längst verbrannt! Sie bewahre kein Briefchen von einem ver-
abschiedeten Liebhaber auf, verbrannt bis auf die Asche der Erin-
nerung," 1) Den unten vor Schüttelfrost des Äergers Zitternden
erwärmt sie mit einem Guss heisser Spottlauge über den Kopf,
betreffs seiner lieben Teodora. 2) Lisardo bringt endlich eine
Versöhnung zustande. Aber welche? Auf den Knieen muss Ri-
selo Abbitte leisten und sogar die Abbitteformel zerknirscht und
zermalmt nachsprechen, die sie ihm vorspricht. Marcela ist
eine spanische Liebesunholdin von so erstaunlicher Lebenswahr-
heit, dass der Nichtspanier sie leib- und seelenhaft vor sich sieht,
und die ümwickelungen des Anbeterherzens mit schlüpferigem
Schlangengeringel und die tödtlich wollüstigen Giftstiche an dem
eigenen Herzen zu fühlen meint. Herzensumwickelungen und
Giftstiche in's Herz, die aber doch in letzter Absicht, wie die
Umflechtungen von Hygiea's Schlange eine Heilwirkung, Liebes-
heilwirkung eifersuchtslistig erzielen. In seiner Stahlwasser-Ko-
mödie lässt wieder Lope an allen Ecken und Enden die erquick-
lichsten Quellen von Charakter- und Situationskomik aus dem
Sande der spanischen Schablonen-Komödie springen. Beiisa
und Marcela sind neue Figuren, und die Freundschafts-Soli-
darität von Lisardo und Riselo wirkt als erfrischender Seelenreiz
in dieser Blut- und Milzreinigungs-Stahlwasserkomödie von acht
antikem Lustspiel-Schrot und Korn, vereint mit dem romanischen
Verszauber des Troubadourstyls. Ein Plautinischer Diamant in
Facetten kunstreich geschliffen mit dem Diamanteustaub der
Cancionero-Lyrik und strahlend im ergötzlichsten Farbenschim-
mer. Wer an der Wunderkraft jenes vertrockneten Schlangen-
balges zweifelt, den der römische Cäsar als heilbringendes Amu-
letarmband trug; der wird an solche dem dürrbunten Schlangen-
1) Marcela. iYo papel suyo, que ya
Hasta memorias queme.
2) Tiemblas del hielo, ßiselo
Que has visto en mi para ti.
428 Das spanische Drama.
balge der spanischen Mantel- und Degenspiele innewohnende Zau-
berkraft glauben müssen, wenn er die Wunderwirkungea gewahrt,
welche dieser buntscheckig geringelte, um Lope de Vega's
Schreibarm gewundene Häutungsbalg noch gegenwärtig her-
vorbringt.
Prudencio und Otavio, Schwiegersohn mit päpstlichem
Dispens, aber ohne Braut, erkennen in Lakai Bert ran des Pu-
dels Kern vom Pseudodoctor, und lassen ihn, gebunden, vorläufig
in Zimmerarrest bringen. Durch's Fenstergitter seines Haftzim-
mers giebt Bert ran der über ihre zunehmende Opilacion jam-
mernden, und alle Stahlwasser der Welt vor der nicht minder
rathlosen Teodora verwünschenden Beiisa, Zeichen hinunter
von seiner Lage. Kammerzofe Leonor bringt nun gar die Schau-
dernachricht, dass Schwiegervater und Sohn, inkraft des Dispen-
ses, mit einer brennenden Fackel schon unterweges sind, um den
Bei trän ein wenig zu beträufeln, und dem Doctor die Heil-
kraft von Glühschwämmen und Glüheisen an seinem eigenen
Fleisch beizubringen, i) Zum Glück für Beitran 's Haut hat
Leonor den Zimmerschlüssel. Beiisa schliesst ihm auf, und
die Fackeln mit Prudencio und Otavio haben selbdritt das
Nachsehen. Otavio's Diener, Solucio, meldet, der Häftling strie-
gele des Teufels Mauleselin 2), mit andern Worten, Bei trän habe
der Teufel geholt und Beiisa gleich mit. Und bald sehen wir
auch Beiisa im Costüm der leibhaften Mantel- und Degenko-
mödie ^), und den fackelflüchtigen Bei trän in Belisa's Kleidern
auf der Strasse in stockfinsterer Nacht, vor Marcela's Hause, wo
Lisardo und Eiselo sich befinden. Beitran ruft im Mäd-
chendiscant nach Lisardo, und wird, nachdem er eine Weile
den Lisardo mit der Frauenstimme gehänselt, von diesem als
Beitran recognoscirt. Als Beitran dasselbe Spiel mit Eiselo
vornimmt, reisst ihm die eifersüchtige Marcela Haube sammt
1) Que Otavio y tu pädre airado
Una hacha encendiendo estän
Para pringar ä Beitran.
2) — almohaza
Las mulas de los demonios.
3) con capa, espada etc.
Lope's Comedia: El Caballero de Olmedo. 429
Schleier ab. In diesem Moment erscheint der Dispensschwieger-
vater Prudencio mit dito Schwiegersohn Otavio und mit
noch einem überzähligen Gesellenpaar, dem in der spanischen,
namentlich in L5pe's Komödie, stationären Parallelfigurenpaar,
das sich zufällig in der Komödienintrigue mit den über-
flüssigen Beinen verwickelt, hier Florencio und Freund Ger-
harde heisst, die am Schluss nur wie Schergen eingreifen, in-
dem sie unter der Hausthür Beiisa und Beitran dem Pru-
dencio dingfest machen helfen. Prudencio erklärt sich mit
Lisardo's Erklärung seiner Bereitwilligkeit, die eheliche Nachcur
zur Stahlwassercur mit Beiisa vornehmen zu wollen, zufrieden-
gestellt, und Otavio mit der päpstlichen Dispensation in der Ta-
sche, statt der Braut an der Hand. Wie gewöhnlich lässt sich
auch von dieser Komödie des Lope nicht nachrühmen „Ende gut,
Alles gut"; vielmehr heisst es auch bei dieser, wie bei seinen
trefflichsten Stücken: „Alles gut, nur Ende nicht gut.'* Es ist
eben die Nothtaufe, um schliesslich den Namen der Komödie be-
hufs Kechtfertigung des Titels zu constatiren. Die Stahlwasser-
Quelle verläuft mit des Dichters Erfindungsquelle in den Sand.
Das finem lauda schüttelt sein Genie, wie der Pilger den Staub,
von den Füssen — von den Vierfüssen seiner unerschöpflichen und
unnachahmlich leichtfüssigen Trochäen.
El Caballero de Olmedo
Der Bitter von Olmedo.
Das Kaleidoskop, zu deutsch, Schöngucker seiner erotisch-
zelotypischen Komödienspiele, schüttelt Lope de Vega in jedem
derselben zu einem neuen Figurenbilde des Liebesmotivs auf; in
solcher Figurenwandlung und Umstellung vorzugsweise seinen Er-
tindungsreichthum bekundend. Eine seiner „famosesten" Come-
dias: El Caballero de OlmedoO» „Der Ritter von Olmedo",
1) Olmedo, eine Ortschaft, unweit von Medina del Campo, in
Altcastilien, uns durch zwei Schlachten bekannt, 29. Mai 1445 und 20. Aug.
1467; desgleichen Medina del Campo, durch den mörderischen Strassen-
kampf, dessen Held der Günstling, Luna de Alvaro (1441), und durch den
schimpflichen Enrique IV. (el Inpotente) mit dem aufständischen Adel
430 I^as spanische Drama.
rückt und rüttelt das Liebesmotiv hinsichtlich der ersten Be-
kanntschaft des Liebespaares, des Olmedo-Kitters , Don Alonso
de Manrique, und Dona Ines, in die Configuration einer
Romeo-Liebe, insofern Beide, auf das erste Sicherblicken, in Eine
unlöschbare Liebesgluth zusammenschlagen, üeber diesen einen
Berührungspunkt mit der ßomeo-Julia-Liebe hinaus die Leiden-
schaft des Ritters von Olmedo und des Fräuleins von Medina del
Campo auch in Verlauf und Entwickelung vergleichen wollen,
wäre die sträflichste Versündigung an jener prädestinirten von
einem Erstblick zu tragisch-schicksalvoller Amor- und Psyche-
Liebe angefachten Seelendoppelflamme. Wie es mit des spa-
nischen Eomeo^), des Olmedo-ßitters, solcher Liebe würdiger
und weihevoll -gemässer Leidenschaftsstimmung von vornherein
bestellt ist, das bezeugt Don Alonso's erster Schritt behufs Ge-
winnung und Aneignung seines nur erst verständnissinnig er-
schauten, noch nicht gesprochenen Herzensidols. Dieser erste
Schritt gilt einem Abklatsch von 'Celestina', der Kupplerin Fa-
bia, die dem Olmedo-ßitter das Liebchen, im Wege der säu-
bern Künste ihres Gewerbes, verschaffen soll, und in der er zu
dem Zwecke in einer zwei Columnen langen Erzählung das erste
Begegniss mit seinem als Schäferin gekleideten „Engel" auf der
Messe zu Medina del Campo schildert, mit einem üeberschwange
von glühender Malerei des Eindrucks, deren Feuer den gleich an
der Expositions-Schwelle — der Thürschwelle eines Kuppelweibes
von Profession ! — seiner frischen Liebesleidenschaft angehefteten
Schmutzfleck, weit entfernt ihn zu tilgen, seinem Herzen und der
Komödie enkaustisch einbrennt. Dem Schandweib übergiebt er
geschlossenen Compromiss (1465). Gesch. d. Dram. VIII. S. 711. 712. Anm.
825. 826. Ausserdem ist Medina del Campo durch seine Jahrmärkte be-
rühmt ; durch den in dieser einst von 50,000 Einwohnern bevölkerten Stadt
erfolgten Tod der Königin Isabel; durch das Schloss, welches der Ar-
chitekt Fernando de Carreno für König Juan IL daselbst, erbaute
(1440). Infolge des Stadtaufstandes unter Carl V. (König Carlo I.) und
der von dem königlichen Feldhauptmann, Antonio de Fosseca befoh-
lenen Einäscherung ist Medina del Campo zu gänzlicher ünbedeutenheit
und Verarmung herabgesunken. — 1) Lope de Vega's eigentliches Romeo-
Julia-Drama haben wir bereits S. 340 ff. in seiner Comedia 'Castelvines
y Monteses' unter die Lupe genommen.
Fabia als 'Oelestina'. 431
ein Briefchen für die Schöne, das den ersten Erguss seiner Er-
klärung enthält: eine Herzensausschüttung in eine Kloake, die sie
an Ort und Stelle flössen soll! Doiia Ines enthüllt doch min-
destens -ihr Inneres ihrer ehrbaren, wenngleich langweiligen
Schwester, Dona Leonor, vor welcher sie jenen ersten auf der
Marktmesse und dann in der Kirchenmesse getauschten Liebes-
blickstrahl, vom Herzen, wie Morgensonnenlicht vom Bononischen
Stein, oder vom Oculus mundi genannten Edelstein, eingesogen,
spielen und spiegeln lässt. ^) Eine Augenblicksliebe, die sich zu
einer Ewigkeit von Seelenwonne und Himmelsentzücken er-
schliesst, wie ? eine solche Lieb'e müsste nicht von Herz zu Mund
zumal überfliessen? Der gemeinsame Augenstrahl müsste die
Verständnissinnigkeit des Blickes nicht als gegenseitig augen-
blickliches Liebesgeständniss verlautbaren? Das Zwillingsknos-
penpaar sollte den ersten Sonnenfrühstrahl in Einem Thautropfen
schlürfen, und nicht von Lippe zu Lippe gleiten, sondern jede
der Knospen dürfte ihren halben Tropfen auf Nebenwegen der
anderen zukommen lassen; die eine durch Vermittelung eines
garstigen Stinkkäfers; die andere Hälfte durch den Saugrüssel
eines genäschigen Buttervogels, der von Kelch zu Kelch den
Befruchtungsthau, den Blüthenstaub trägt, der Blumenkuppler?
Da sitzt auch schon Stinkkäfer auf dem Lippensaume der Ines-
Knospe mit Alonso's halbem Thautropfen an der Nase. Celesti-
na's Abklatsch, die Kuppelhexe, Fabia, kommt, wie ihr Urbild,
als Hausirerin, lässt unter ihrem Kram, wie zufällig, das Liebes-
briefchen von Ines erblicken, und dreht die Finte: das Brief-
chen gelte einem edlen Fräulein, dem sie, Fabia, es zuzustellen
nicht wage, trotz der ehrbaren Heirathsabsichten, die der Cabal-
lero hege. Dona Ines möchte daher, um sie doch das güldene,
ihr vom Ritter versprochene Kettlein verdienen zu lassen — Dona
Ines möchte ihr das Liebesbrief chen beantworten, das dann sie,
Fabia, dem Ritter als Antwort von seiner Schönen, jenem Edel-
fräulein, überbringen wolle, üeber diese Finte muss Mutter Ce-
— en el instante que vi
Este galan forastero,
Me dijo el alma „este quiero''
Y yo le dije „sea ansi."
432 ^^^ spanische Drama
lestina sich im Grabe dreimal umkehren. Dona Leonor aber
erklärt, während Dona Ines im Nebenzimmer die Antwort schreibt,
die Finte als vortrefflich 0 , als ein Musterstück von Erfindung,
und der französische üebersetzer der Komödie, Mr. Eugene Bar-
ret, ruft •entzückt: „Welche reizende Wendung!"-) Als ob es
bei dieser Ines, die doch mit allen zehn Fingern nach dorn
Liebesbriefchen greifen muss, einer solchen Wendung bedürfte!
„Pfui Dich an, Du altes Pell!" — speit Mutter Celestina der
Pfuscherin aus dem Grabe in's Gesicht. „Schier Dich, mit Deiner
„buena invencion" und Deinem „tour charmant" zum Teufel, der
Dich aber mit seiner dreizinkigen Gabel ganz sicherlich aufrafft
und zur Hölle hinauswirft, als die ungeschickteste Kuppelhexe,
die das Gewerbe in üblen Ruf bringt und mich im Grabe noch
beschimpft! Zu den anderweitigen Erfindungen des ersten Actes
würde Celestina vielleicht auch den Kopf schütteln; jedenfalls
selbe für keine von Lope's Mustererfindungen, wie Dofia Leonor
und Mr. Eugene Barret, erklären. Zunächst die Erfindung des
Don ßodrigo als Lustspielfigur überhaupt, der um Doiia Ines
Hand sich bei ihrem Vater mit Gongorismen und den ab-
schmeckendsten Phrasen des Cultistenstyls bewirbt, zumal in der
steten Begleitung seines Freundes, Don Fernando, des ünter-
futters zur Schlafmütze: Rodrigo. Dann möchte vielleicht Ce-
lestina ihr noch als Todtenschädel anschlägigeres Haupt über die
beiden Hälften des grünen Bändchens, wo nicht schütteln, doch
mindestens wiegen, welches grüne Bändchen Dona In-es an
ihr Balcongitter als Zeichen für Don Alonso, den Olmedo-
Ritter, befestigt hat, dem sie in ihrer Antwort auf das Lie-
besbriefchen ein nächtliches Stelldichein vor ihrem Erker ge-
geben, und welches grüne Bändchen die Schlafmütze, Don
Rodrigo, mit ihrem ünterfutter, Don Fernando, theilt,
um die Enden an die Mütze zu stecken, jedes von ihnen
ein Bandstück. Zu welchem Ende? 2) fragt Celestina mit Don
Fernando, „damit" — erwidert Schlafmütze Rodrigo — „die
beiden Schwestern, Ines und Leonor, an dem Zeichen erkennen
1) ;Que buena invencion! — 2) „Quel tour charmant!**
3) D. Fern. ^A que causa?
Grüne Jungen mit grünen Bändchen. 433
mögen, dass wir zusammen hier gewesen."^) ünterfutter nickt
beifällig; Celestina zuckt die Schultern. Don Alonso findet
natürlich nichts von einem grünen Bande, nicht ein ßestendchen
davon am Balcongitter, stösst aber dafür im Dunklen mit Don
Eodrigo zusammen, den er, ohne ihn zu erkennen, vom Gitter
wegweist. Die Degen kreuzen sich. Don Eodrigo bekommt
sein Theil, zieht sich mit seinem Zopf, Don Fernando, zurück,
lässt aber, nachdem er ein Bestandstück der Mantel - und Degen-
Komödie, letzteren nämlich, eingesteckt, den Mantel als Erken-
nungsobject, behufs der Knotenlösung, fallen, den Alonso seinem
Diener, Teile, zu diesem Zwecke aufheben und vorläufig in
Verwahrung nehmen heisst. 2)
Don Eodrigo erscheint vor Ines und Leonor mit dem
halben grünen Bändchen an der Mütze. Bald darauf tritt Don
Fernando in Begleitung von Dona Ines' Vater, Don Pedro,
ein, mit der andern Hälfte des grünen Bandes an der Mütze.
Beim Erblicken der beiden grünen Parallelhälften an den Paral-
lelhüten des Schattenrisses des albernsten aller Freier ^) und seines
noch langweiligem Halbschattens, fiüstert Dona Ines in's schwe-
sterliche Parallelohr: „Eine von der Fabia gezettelte Intrigue"^),
die ihr Bestellbriefchen dem Eodrigo überbracht hätte ^) , anstatt
es dem Olmedo-Eitter einzuhändigen. Wie kommt nun aber
Don Fernando zur andern grünen Hälfte? — fragt sich
Schwester Leonor, den Fernando zu ihrem Parallelfreier im-
provisirend, und von Schwester Ines Aufschlus über diesen Zwie-
spalt des grünen Bändchens verlangend, grün vor Eifersucht aus
1) D. Kodr. A que los dos nos le vean
Y sabrän con esta traza
Que habemos venido juntos.
2) Teile. Aqni se quedo una capa.
D. Alonso.
Cogela y ven por aqui.
3) Dona Ines.
(Ap. ä SU hermana.)
Non he visto tan necio.
4) Todo fue enrede de Fabia.
5) jYo papel ä Don Rodrigo!
X. 28
434 I^as spanische Drama.
dem Stegreif 0 — „Que buena invencion!" „Quel tour char-
mant!" — lacht sich Celestina im Grab die Haut voll Mit Ei-
ner Volte bringt Fabia, die der Actschluss auf den Schlag her-
beiführt, Alles durch die Versicherung in's Gleiche: „Don Alonso
wird der Deinige. Lass mich nur machen. Du wirst glücklich
seyn 'mit dem Manne, der die Zierde von Medina ist und die
Blume von Olmedo/'^)
Nun erst hinkt das Romeo-Julia-Liebesgeständniss in der
zweiten Scene des zweiten Acts hintennach, wo das Liebes-
paar zum erstenmal seit dem Begegniss auf und in der Messe
sich zusammenfindet in Gegenwart — in stereotyper Gegenwart
— des an die Ferse seines Herrn unablöslich befestigten spani-
schen criado oder Gracioso, der, hier Tello zubenamt, in der
ersten Scene des zweiten Acts, als selbstgeständlicher 'Sempronio'
aus der Tragikomödie 'Celestina', an Dona Ines Hausthür an-
klopfte mit der Frage: „Ist Melibea zu Hause? denn da kommt
C allst o", worauf ihm Dona Ines Zofe, Ana, von innen zuruft:
„Warte ein wenig, Sempronio." 3) Die Nachahmung der un-
nachahmlichen Celestina an seine und seines Herrn Mütze
steckend, wie Don Rodrigo und Don Fernando die Hälften des
grünen Balconbändchens, womit die Balconscene in Komeo und
Julie in die grünen Fichten gegangen, an ihren Hüten zur Schau
tragen, üeberraschend wetteifert der zweite mit dem ersten Act
in „buenas invenciones'' und „tours charmants." Ihrem Vater,
Don Pedro, der miteinmal eifrig und nachdrücklichst für Don
ßodrigo bei seiner Tochter Ines wirbt, erklärt diese, gleich
stegreifsmässig: sie gehe in's Kloster und wünsche dessbehufs
1) Dona Ines. Y jtu de Fernando celos!
2) Fabia. Dejame ä mi tu suceso,
Don Alonso ha de ser tuyo;
Que seras dichosa espero
Con hombre que es en Castilla
La gala de Medina,
La flor de Olmedo.
3) Tello. ^Estä en casa Melibea?
Que Calisto viene aqui.
Ana (dentro).
Aguarda un poco, Sempronio.
Parallel-Scene zu einer in Shakspeare's 'Taming of the Shrew'. 435
mit einer Frau von guten Sitten und ehrbarem Lebenswandel zu
verkehren und, nächst dieser, einen Sprachmeister, der sie zu-
gleich im Latein und im Singen unterrichte. Wie Tello von
dem ad hoc so trefflich erfundenen Anschlag hört; hat er auch
schon als duefia von ehrbarem Lebenswandel die Kupplerin Pa-
bia, und als Latein- und Singlehrer sich selber in Petto, i) —
„0 que buena invencion!" „Oh quel tour charmant!'' schüttelt
sich wiederum Celestina im Grab vor Lachen — „insonders wo
es gilt, eine Romeo- und Julia-Liebe einem entsprechenden, sol-
cher Liebesidee und himmlischer Herzensseligkeit gemässen Aus-
gange zuzuführen!" Alonso und Ines, das spanische Romeo-
und Juliapaar, ergreifen Tello's Vorschlag mit Begier, welchem
denn auch die Ausführung auf dem Fusse folgt. Fabia schleicht
schon daher mit Rosenkranz, Krückenstock und Brille als fromm-
ehrsame duena, die Kuppelpelzfüchsin im Schaa^elz, und spielt
ihre heilige Maske in Gegenwart von Ines Vater, Don Pedro,
zu dessen erbaulichster Täuschung: „Nie"— ruft die väterliche
dupe seiner Tochter, Ines-Julia zu — „Nie sah ich eine solche De-
muth."2) Nicht lange, so springt auch Tello herein als sich
empfehlender Lateinischlehrer der Doila Ines, und bringt uns mit-
eins in's Fahrwasser der analogen Scene in Shakspeare's „Be-
zähmte Widerspenstige" (Taming of the Shrew)^), so dass Don
Pedro selber sich in die Rolle von Vater „Baptista", Tello in
die von 'Bianca's' Freier 'Lucentio', und Dona Ines endlich in
die der 'Bianca' oder auch umgekehrt: dass Shakspeare's homogene
1) Tello. Pues ha de leer latin,
^No serä facil que pneda
Ser yo quien venga a ensenarla?
Y Veras icon que destreza!
Le enseno a leer tus cartas . . .
Y aun pienso que podrä Fabia
Servirte en forma de duena,
Siendo la santa mujer,
Que con su falsa aparencia
Venga ä ensenarla.
2) No he visto humilidad igual.
3) m. Sc. 1.
28"*
436 lL)as spanische Drama.
Figuren sich in die Masken von Lope's zu verkleiden scheinen
könnten, cum grano salis. 0
Den höchsten Kranz setzt aber den „buenas invenciones"
und „tours charmants" in Lope's Olmedo-Komödie Scene XIP)
auf, die, als Göttin aus der Maschine, den König Don Juan IL,
und seinen Günstling, den Condestable Don Alvaro de
Luna einführt, Beide zur Feier des in Medina del Campo am
3. Mai abzuhaltenden Mai-Kreuzfestes ^j aus ihren Gräbern her-
aufbeschworen. Die Scene spielt in einem Hotel zu Olmedo.
König und Condestable sprechen von Staatsangelegenheiten, vom
Alcantara-Orden, von den Abzeichen, die Mauren und Juden an
ihren Kleidern künftig tragen sollen, damit ihnen ehrliche
Christen ausweichen können'*), und schliesslich von Caballero
de Olmedo, dem durch Geburt und Ruf ausgezeichneten jun-
gen Ritter, den der König durch Ordensverleihung morgen am
bevorstehenden Kreuzfeste zu ehren gedenke. „Sagt ihm" — trägt
König Don Juan IL seinem Condestable auf — „dass ich ihm
die nächste erledigte Comthurei vorbehalte" ^) und gehen zusam-
men ab.
Die letzte zu Olmedo in Don Alonso's Haus spielende Scene
des 2. Acts beglückt den Ritter mit einem Liebesbriefchen von
Dona Ines, das ihm sein Diener, Tello, zuträgt, und Don Alonso
natürlich voller Entzücken liest, zwischendurch den glücklichen
1) Des alten ^Baptista' Abfragen z. B. und Sicherkundigen nach Her-
kunft, Ort und Absicht u. s. w. der ihn dupirenden Diener von Bianca's
Freiern im Gleichlaut mit Don Pedro's Fragestellungen an den als
Sprach- und Musiklehrer vermummten Tello: Baptist a. Von wannen
kommt ihr? Don Pedro. ^De donde es galan? u. s. w. Und beim Wie-
dereintritt Don Pedro's, woDoilalnes Alonso's ihr von Tello zuge-
stecktes Billet doux liest, und Tello ihr geschwind, als fahre er im Un-
terricht fort, lateinische Vocabeln vorspricht, die sie wiederholt, ähnlich
wie 'Lucentio' der 'Bianca' sein *hoc ibat Simois' etc., durchflochten von
seiner Liebeswerbung. — 2) In der Ausgabe von Hartzenbusch : Comedias
escogidas de Lope de Veg. t. II. (Bibliot. de Aut. Esp. t. 34).
3) ä la Cruz de Mayo.
4) Bey. Tenga el cristiano el decoro,
Que es justo: apärtese del . . .
5) — yo le pienso honrar
Con la primera encomienda.
Ein Stiergefecht. 437-
Erfolg von Tello's und der Fabia Vermummnngen ans des Die-
ners Munde vernehmend, und aus dessen Hand einen ihm, nach
Melibea's Vorgang in der ^Celestina', von dir Ines zugeschickten
Gürtel, den er morgen am Feste umlegen möge, empfangend und
schwärmerisch dazu seufzend : „0, dass ich ( Alonso), dieser Gür-
tel wäre!" Das 0. ist auch nur ein Echo von Calisto's 0 beim
Empfange von Melibea's Gürtel in der 'Celestina'.
Stiergefecht zur Feier des Maikreuzes, abgehalten in Medina
del Campo, vor König Juan IL und Condestable Alvaro
de Luna, und verherrlicht durch den Stierbesieger, den Ca-
ballero de Olmedo, den das vom Kampfplatz auf die Bühne
herausschallende Jauchzen des Volkes bis in den Himmel em-
porjubelt, zu Don Eodrigo's und seines Trabanten, Don Fer-
nando, knirschendem Aerger, die Beide am Eingang zur 'plaza',
zum Stier-Circus , und am Eingang des dritten Acts, mit
zerbrochenen Kampfstangen in der Hand, bei jedem Jubelruf und
Siegesschrei im 'Coso' stöhnen und ächzen ob den Triumphen des
verwünschten Ritters von Olmedo und ob ihrem ochsigen Pech
und Missgeschicke, das der Stier auf seine Hörner nahm, und
nun, bei einem zweiten Angriffsversuch, nachdem das Pechbrü-
derpaar, die Zwillinge im Thierkreis neben dem Stier, sich wie-
der auf die Kampfbahn gestürzt , erst recht und so schwungvoll
auf die Hörner nimmt, dass Don Rodrigo, an allen Gliedern
wie zerbrochen, vom Ritter von Olmedo unterstützt, der ihn
dem Gnadenstoss des Stiers entrissen, daherschleift, stammelnd:
„Euch verdanke ich das Leben, es war ein harter Sturz" ^) —
und vor des Königs und des Günstlings Augen ! und der schmerz-
lichste Hornstoss: vor Dona Ines' Augen, wonneleuchtend ob
ihres Olmedo-Ritters sieghafter Lanze! Nun erst nach beendig-
tem Stiergefecht, Scene XIII , erfolgt die Romeo- Julia Balcon-
scene zwischen Don Alonso und Dona Ines: Sie am Bal-
congitter. Er unten auf der Strasse. Eine Abschiedsscene zu-
gleich, da ihn seine Eltern nach Olmedo zurückberufen; Todes-
ahnungen zugleich vonseiten Alonso's, aus Besorgniss vor seinen
auf sein Glück eifersüchtigen Rivalen. „Bist Du aus Eifersucht
1) — con vos le (al änimo) cobro.
La caida ha sido grande.
438 I^as spanische Drama.
schwermüthig" — flüstert Ines — „so ist undankbar Deine Liebe.
Ich verstehe Dich, Du aber verstehst noch nicht meine Liebe."
Alonso- Romeo ver^chert, dass er fern sey von jedem Arg-
wohn. „Die Träume meiner Phantasie haben allein diese eitlen
Einbildungen erzeugt." Wie Julia's Amme, ruft Dona Leonor
von innen. Das Liebespaar wechselt noch ein paar Abschieds-
seufzer, Ines hoffnungsvollen, Alonso wehmüthigen Herzens.
Alonso's Abschiedsklage in Decimen, mehr gesungen als ge-
sprochen i), können sie die innere Seelen-Musik, das wie von
Nachtigallen geflötete Brautlied, die Vermählungs-Nachtfeier, das
Amor- und Psychepervigilium in Capulet's Garten ersetzen? Oder
müssen nicht vielmehr diese todesahnungsschweren Abschiedsde-
cimen aus dem Stegreif, die zu dem Ton, zu der Haltung, zur
Frivolität eines Popp-, Verkleidungs- und Kuppelspieles, zu
Ines' seelenheiterer, ja liebesübermüthiger Herzensstimmung ei-
1) Don Alonso.
Yo lo siento, y voy ä Olmedo,
Dejando el alma en Medina
No se como parto y quedo:
Amor la ansencia imagina,
Los celos, senora, el miedo,
Asi parto muerto y vivo;
Qiie vida y mnerte recibo.
Mas; que te pnedo decir,
Cuando estoy para partir
Puesto ya el pie en el estribo?
Ando, senora, estos dias,
Entre tantas asperezas
De imaginaciones mias,
Consolado en mis tristezas
Y triste en rais alegrias.
Tengo, pensando perderte,
Imaginacion tan fuerte,
Y asi en ella vengo y voy,
Que me parece qua estoy
Con las ansias de la muerte,
etc.
Ein lyrisch-elegischos Prachtstück neben ähnlichen Decimenergüssen im
Cancionero general, als Improvisation serguss in einer Comedia wie diese
— ein poetisches xWgerniss!
Improvisirter Spuk. 439
nen schreckenden und durch das Unvorbereitete, das plötzliche
Ueberkommen dieser Schwermuth und Vorgefühle einen um so
grelleren Abstich und Missklang in DonAlonso's Liebespathos
empfinden lassen? Diese, um der angedeuteten Compositions-
Verstösse willen — als solche denn auch kunst- und poesiever-
pönte Eadicalmängel — diese, unserem ürtheil nach, verfehlteste
Scene der Komödie hat der Franzose, der mehrbelobte Eugene
Barret, die Stirne, die dummdreiste Stirne, der Balconscene in
'Komeo und Julie' an poetisch dramatischem Werthe ebenbürtig,
wo nicht über jene zu stellen, undLope'sOlmedo-Komödie über Shak-
speare's 'Eomeo und Julie' gleich mit in Pausch und Bogen! i)
Unmittelbar nachdem Dona Ines sich zurückgezogen, hat der
plötzlich von Saul's Geist verfinsterte Don Alonso eine Vision:
Er selbst erscheint sich als sein Geist und Schatten, „eine schwarze
Maske vor dem Gesicht, einen breitkrämpigen Hut in die Stirne
gedrückt und die Hand auf dem Degenknopf." '^) Auf Alonso 's
Frage: Wer der Schwarze sey, antwortet der Schatten wieder-
holt: „Don Alonso" und verschwindet. Eine Erfindung ex
abrupto schauerlicher Art wirkt in dem Grade lächerlicher, als
sie schauerlich seyn will. Aus heiler Haut ein melancholischer
Geisterseher, und als Sichselbsterscheiner, Sichselbstbangemacher
— wer begreift eine solche aus der Pistole geschossene Charak-
1) Uli seul mot suffira ä donner la vraie mesure de la valeur de cet
ouvrage: c'est qu'il n'est pas loin d'egaler le Eomeo et Julie tte de
Sliakspeare . . . Le poete espagnol a ecarte les Images fuiiebres que
prodigue la melancolie du genie anglais: son drame est moins brutal que
celui de Shakspeare, et le röle de Fabia — est moins choquant que celui
de la uourrice. Le caraatere d' Alonso est plus male que celui de Eomeo
et mieux dessine. Un seul regard decide de la destine d'Ines comme de
Celle de Juliette : C/est la meme passion invincible et fatale, -— plus pudi-
que chez Ines. a. a. 0. p. 208. Jedes Wort in diesem „un seul mot" ist
ein Beleg dafür, dass den Franzosen, wie jeder Maassstab für sittliche
Wahrheit, wahre Ehre, wahre Cultur und Civilisation, wahre Menschen-
würde, Freiheit und Gleichheit, wahrhafte Tapferkeit und Vaterlandsliebe
— dass ihnen ebenso jeder Begriff von kritischer Wahrheit und gewissen-
haftem Urtheil abhanden gekommen. Ihre sittliche Verderbniss und Ver-
logenheit geht mit ihrer geistigen Hand in Hand. — 2) Una sombra
con una mäscara negra y sombrero, y puesta la mano en el puno de la
espada se le pone delante.
440 Das spanische Drama.
terumwandlung, eine solche Peripetie als Selbstwechselbalg? Nur
der begreift es, der darin den spanischen Parallelismus als Ge-
spenst seiner selbst zu erblicken die Unbefangenheit besitzt.
Solche dem Komödienhelden auf den Plotz über den Kopf
kommende Vorahnungsmelancholie und Schwermuthsbangniss wird
uns bei Lope mehrfach überraschen. Seine Flüchtigkeit, oft plan-
lose Eil- und Leichtfertigkeit im Entwerfen, neben seinem, an
Stelle des Kunstgewissens, mahnenden und die ruschlige Ertind-
samkeit gleichsam am Aermel zupfenden genialischen lustincte,
spritzt diesen Hamlettropfen unversehens in die von Anfang herein
krystallhelle Lustspielstimmung des Komödienhelden und trübt
sie, wie der Tintenfisch die klare Pluth mit einem Tropfen aus
seinem Tintenbeutel schwärzt. Buchstäblich ein geschwärzte
Melancholie, die den ursprünglich komödienhaft angelegten Geistes-
ton verschiedener seiner Liebeshelden bis zum Wahn- und Aber-
witz verdunkelt. Den Charakter, solcher Affectwandlung gemäss,
zu grundiren, wär's auch nur, wie etwa unser Lessing seinem
Teilheim, Appiani, Tempelherrn dergleichen Charakterzug als
T e m p e r a m e n t s s t i m m u n g aus der dramatisch - satyrischen
Gallenblase in's Blut träufelt — dazu hatte Lope's, im Sieben-
meilen-Kothurn oder Soccus über alle möglichen Bühnenstoffe
und Combinationen dahinsausender Erfindungsgeist zu wenig Zeit
und zu viel Eile. Im Widerspiel zu unserem Lessin der seine
ebenso mächtigen wie bedächtigen Erfindungs- und Composi-
tionsschwingen als Krücken verschrie, die ihm bei seinen angeb-
lich mehr kritisch- als poetisch-productiven dramatischen Arbei-
ten forthälfen. Wie er denn in solcher Teilheimstimmung selber
einmal an Mendelssohn schrieb: ^) „Mein kleinster Vorsatz ist
jetzt, Avenigstens noch dreimal so viel Schauspiele zu machen,
als Lope de Vega." Die Kritik, ja die Kritik! Hätte Lope nicht
diese, wie jener Wettläufer in den olympischen Spielen das
Schurzfell, abgeworfen; er hätte freilich dann nicht dreimal so viel
Theaterstücke gedichtet, als der olympische Wettrenner Schritte
lief; aber auch nicht wie dieser seine Blossen, seine parties hon-
teuses, zur Schau gestellt. Und unser Lessing und das grösste
1) 1758,
Lessing, Shakspeare und Lope de Vega. 441
Vorbild dramatisch-schöpferischer Dichtung, der Kunstmeister aus
Stratford am Avon, sie hätten, ohne Kritik, ohne tief erwägsame
Kunsteinsicht und Ergründen, Prüfen und Ponderiren, die Zahl ihrer
Bühnenstücke um's Dreifache mindestens vermehren, hätten ihre
Fruchtbarkeit bis in's Lope n hafte steigern können.
Seinem Verhängniss, zumal einem unmotivirten, von seinem
Schöpfer, dem Dichter, fatalistisch auferlegten Verhängnisse, kann
auch der Ritter von Olmedo nicht entgehen. Einmal im
Todesvorgefühl, muss er in sein Verderben rennen. Auf dem
Heimritt nach Olmedo vernimmt er aus dem Gebüsch warnende
Todesmahnungen, sein Sterbelied:
Haben ihn des Nachts gemordet
Den Caballero
Die Zierde von Medina,
Die Blume von Olmedo. ')
Die Geisterstimme singt wiederholt:
Schatten laut und leise'
Warnten, mahnten ihn;
Warnten vor der Reise
Und nicht heirazuziehn
Den Caballero,
Die Zierde von Medina
Die Blume von Olmedo. 2)
Nun kommt die Geisterstimme als Bauerngespenst aus dem
Gebüsch hervorgeschlupft, im Husch wie Zieten aus dem Busch,
und mahnt die Blume von Olmedo zum drittenmal zur Um-
1) Que de noche le mataran
AI Caballero,
La gala de Medina
La Üor de Olmedo.
2) Sombras le avisaron
Que no saliese
Y le aconsejaron
Que no se fuese
El Caballero,
La gala de Medina
La flor de Olmedo.
442 Das spanische Drama.
kehr. ^) „Solche Furcht" — weist die „Zierde von Medina" die
Warnung der gespenstischen Teldscheuche, des von ihm für einen
wirklichen Feldarbeiter (Labrador) gehaltenen Spuks, zurück —
„Solche Furcht wäre für mein Adelthum niedrige Feigheit." 2)
Der Bauer verschwindet. Don Alonso schreitet fürbass in die
von den beiden Dons oder Dunses, Don Eodrigo und Don Fer-
nando, ihm gestellte Mordfalle. Alonso setzt sich zur Wehr mit
blanker Klinge. Auf ein Zeichen der zwei Dunses giebt Eo-
drigo's Diener, Mendo, Feuer; der Ritter von Olmedo stürzt zu
Boden. Die Mörder gehen davon. Tello kommt zum Vor-
schein, findet seinen Herrn in einer Blutlache und trägt ihn
wehklagend fort.
Herausgehoben aus dem Zusammenhange, sind diese Scenen
Lope's würdig, und wirken mit realistisch schauerlicher Stärke —
herausgehoben! die isolirte Trefflichkeit, die eben bricht über
sie den Stab. Und welche Fülle von eingestreuten Andeutungen,
von dramatischen Momenten, die, aus einer kunstmässigen Moti-
vation entwickelt, zu einem Meisterdrama, einem ganz anderen
freilich als die vorliegende Komödie, aber zu einem dem Pro-
blem, dem Stoffe ächtbürtigen Drama, einem Shakspearedrama,
zu einem jener doubtful plays mindestens, sich gestalten Hessen. In
der Auflauerungsscene (XVH) z. B. werfen die beiden leeren
Dioskuren-Eierschaalen, Don Eodrigo und Don Fernando,
Farbenkörner hin — auf Lope's Palette leider nicht zu dem
entsprechenden Gemälde vertrieben, sondern auf steinigen Boden
eben nur geworfen. So zählt DonRodrigo mit der von Alonso
und dessen Diener, Tello, durch die gespielte Täuschung, durch
die Einführung der infamen Kupplerin bei Dona Ines, ihrem Va-
ter, ihr selbst und ihrem ganzen Hause zugefügten Ungebühr
und Schmach, deren Sühne die Komödie nicht blos als Anhängsel
anflicken, sondern von vornherein anlegen und aus den Einge-
weiden des Themas hervorspinnen und durchführen musste —
Eodrigo zählt mit diesen vom Liebespaar an ihren Familien,
an ihrer Liebe vor Allem verübten Unwürdigkeiten die Sünden
1) Volved aträs.
2) Ell Uli nobleza
Fuera ese temor bajeza.
'Der Eitter von Olmedo', eine Eomanzenkomödie aus dem Stegreif. 443
und Schmachflecke der Komödie selber auf. 0 Welcher Rück-
schritt in dramatischer Compositionskunst, verglichen mit Cota-
ßojas von Lope hier so ruschelig und leichtsinnig nachgepinsel-
ter 'Celestina', wo die kathartische Endabsicht der Katastrophe,
die in Lope's Komödie albernste Figur aus dem Munde als Mo-
ralzettel unversehens, wie das Dosenteufelchen den scharlach-
rothen Zungenlappen, hervorschnellt — aus den Conflicten der
dramatischen Verschuldung entspringt ! Ein anderes Weizenkorn,
von Lope's mehr instinctivem, auf gut Glück, als kunstabsichtlich
schaffendem Genie in die Dörner gesät, ist die Angabe des
Bauerngespenstes, dass er die aus dem Gebüsch erklungenen
Warnungsliedchen von einer Fabia habe singen hören. 2) Noch
ein anderes keimkräftiges Saatkörnchen lässt er, nach Verschwinden
des Visionsbauern, mit der Bemerkung fallen, dass die vernom-
mene Eomanze auf den Tod eines Bürgers von Olmedo gedichtet
worden, den Leute aus Medina del Campo ermordet hätten 3),
womit eine zwischen Olmedo und Medina del Campo obwaltende
oder früher bestandene Fehde angedeutet wird, die, in Verbindung
mit der Einführung Königs Juan IL und des Condestable, Alvaro
de Luna, zu einem ganz anderen, d. h. zu einem, diesem Stoff, die-
ser volksthümlichen Sage allein zukömmlichen Familiendrama,
einem wahrhaft spanischen an jene Adels - und Städtekriege sich
anlehnenden Eomeo- und Julia -Drama sich hätte entwickeln
können, entwickeln müssen.
Welchen Ausgang, welche Schlichtung bringt uns nun dafür
Lope's Olmedo-Medina-Schauspiel? Improvisationen der schlimmsten
1) jQue honrada duena recibio en su casa
Don Pedro en Fabia! jOh misera doncella! . . .
jCuantas casas de nobles caballeros
Han infamado hechizos y terceros! . . .
2) Labrador, No puedo
Deciros deste cantar
Mas historia ni ocasion,
De que ä una Fabia la oi.
3) Pero es cancion
Que por algun hombre hicieron
De Olmedo, y los de Medina
En este camino han muerto.
444 Das spanische Drama.
Art! Oder ist es kein Stegreifsaustrag, wenn auf des Con-
destable vom Zaune gebrochene Empfehlung der beiden mittelst
zweier Hälften eines grünen Freundschaftsbandes verbundenen
Froschmäusler zu Don Pedro's Schwiegersöhnen, wenn ihm König
Don Juan IL das Fischblasen -Zwitterpaar als würdigste Ei-
dame vorstellt? Und Don Pedro, der ebenso aus freier Hand
und auf den Stutz sich als des Ritters von Olmedo, Don Alonso
Manrique, und von diesem mit Beschlag belegter Schwieger-
vater ankündigt, auf das vom Könige dem Ritter verliehene
Ehrenkreuz sich berufend, das keine andere Schwiegersohnwahl
zulasse! Und Tello's Improvisation als Schlussfeuerwerk? Tel-
lo's, der die Ermordung seines Herrn, des Ritters von Olmedo,
in der letzten Scene meldet, und ein Tableau von den Schmerzens-
ergüssen der Eltern an des Caballero blutiger Leiche, zu Hause,
dort in Olmedo, improvisirt? Eltern, die uns so gleichgültig
wie der Comedia bleiben, trotzdem dass letztere den Sohn dieser
ein für allemal von ihr an die Luft gesetzten Eltern zu ihrem
usterliebeshelden und Ritter auserwählte! Dona Ines' Aus-
ruf: „Weh mir!"^) nachdem sie Tello's Bericht vernommen —
verliefe mit diesem „Weh mir" das ganze Pathos und Ausgangs-
geschick der Julia dieser spanischen Romeo- und Julia-Liebe,
auch nicht in den Sand einer blossen endgültigen Stoss- und
Nothseufzer-Improvisation pro forma: so spräche es doch den
verschwenderischen Aufwand von Liebesentzückungen, worin sie
in den drei Acten schwelgte, in's Bereich epithalamischer Steg-
reifslyrik, ohne dramatischen Abschluss, ohne dramatisches Sühne-
bewusstseyn, ohne Katastrophe, die sich mit einer Hauptfrevlerin,
der Fabia, aus dem Staube machte. Und wenn alle angedeu-
teten Stegreifeffecte sich zu rechtfertigen vermöchten, so würde
doch des Königs über dies Mörderpaar gesprochene Schlussurtheil
die eclatanteste aller Improvisationen bleiben, indem dasselbe,
auf Enthauptung der beiden Mörder des Don Alonso lautend,
ihren Hälsen corpora delicti aus dem Stegreif aufbürdet und auf-
improvisirt, die ihnen die Komödie von vornherein abgesprochen:
Köpfe nämlich.
1) ;Ay di mi!
Lope's König-Schulze. 445
El mejor Alcalde el Key
(Der beste Schultheiss [Dorfrichter] der König).
Der lietenswürdigste zugleich aller spanischen Komödien-
könige; so herzfesselnd liebenswürdig, dass man schier mit einem
Eey neto, der so wohlthätig in die Familienverhältnisse eines
Edelhofbauers eingreift, sich versöhnen könnte. Der Vorgang be-
ruht auf einer historischen, von Mariana und Sandoval er-
zählten Anekdote. Letzterer berichtet: „Kaiser Don Alfonso (El
Emperador Alfonso VIL, König von Leon und Castilien) 0 war ein
so eifriger Rechtspfleger, dass er, selbst inmitten seiner kriegeri-
schen, gegen mächtige Feinde gerichteten Unternehmungen und
seiner schwierigen Staatsgeschäfte im Innern des Eeiches, der
Fürstenpflicht, Unbilden zu schlichten und Verbrechen zu stra-
fen, aufs strengste nachkam. Als er im Jahre 1189 (1151) zu
Toledo mit den Vorbereitungen zu dem Kriege in Andalusien und
der Eroberung des Königreichs Jaen beschäftigt war, erschien
vor ihm ein Landmann aus Galizien mit einer Beschwerde gegen
die ihm von einem benachbarten Edelmann und Grundherrn, Na-
mens Don Fernando, zugefügten ßechtskränkuDgen und Gewalt-
thätigkeiten. Der Kaiser wies den eigenmächtigen Infanzon in
einem Handschreiben an, dem Landmann gerecht zu werden und
sich künftighin jeder Ungebühr gegen denselben zu enthalten.
Zugleicherzeit trug Kaiser Alfonso dem Oberrichter des König-
reichs auf, die Sache zu untersuchen und rücksichtslos das Ge-
setz walten zu lassen, falls der Schuldige den Befehlen nicht
Folge leisten sollte. Don Fernando nahm nicht die mindeste
Eücksicht auf des Kaisers Schreiben, und der Oberrichter ver-
mochte nichts gegen denselben auszurichten. Da erschien der
galizische Landmann abermals vor Kaiser Alfonso, der nun, ent-
rüstet ob dem dreisten Trotzmuth des Edelmanns, sofort gen Ga-
lizien aufbrach, insgeheim und unerkannt. Am Orte angelangt,
liess der Kaiser, nachdem er des Thatbestandes sich vergewissert,
das Schloss des verwegenen, sich eines solchen Besuches nicht
vermuthenden Infanzon von Mannschaft besetzen, den Gutsherrn
1) Gesch. d. Drama's VIIL S. 454 ff. Prud. de Sandoval, Hist.
de los Eeyes de Oastilla y de Leon. D. Alonso VII Emperador de las
Espanas. 5arag09a 1634, p. 201 Era 1189 ano 1151.
446 I^as spanische Drama.
festnehmen, einen Galgen aufrichten, und den Edelmann zurstelle
aufknüpfen. ^) Der gewaltsam beraubte Landmann erhielt sein
Eigenthum zurück. Das war eine des grossen Fürsten würdige
That, und liess einen solchen Schrecken in den Gemüthern ähn-
lich Gesinnter zurück, dass in der Folge Keiner den Andern zu
bedrücken wagte. Kaiser Alfonso, als König von Castilien und
Leon der Siebente, würde tausend Jahre von seiner jenseitigen
Seligkeit für einen Besuch auf seines dramatischen Verherrlichers
Landsitz mit Freuden hingegeben haben, um demselben eine aus
paradiesischem Lorbeer geflochtene Preiskrone, oder gleich lieber
einen vom Himmel gepflückten Sternenkranz für diese seine Kö-
nigs-Schulzenthat verewigende Comedia zu überreichen, eine Co-
media, die zugleich des Dichters rühm würdigstes Werk und,
unsers Bedünkens, seine vollendetste Meisterkomödie ist.
Als Schauplatz stellt sich in der ersten Scene des ersten
Acts eine Landschaft an den Ufern des Flusses SiP) dar, die
der junge Bauer Sancho, präsumtiver Schwiegersohn des Pacht-
bauern Nuiio, im bucolischen Styl des Virgil begrüsst mit einem
in Decima's versificirten Fragemonolog, an die „edlen Gefilde
Galizias" und die sie besingenden Vöglein: ob sie jemals eine
zärtlichere Liebe als die seine, eine ländliche Schöne gesehen,
die seiner Elvira zu vergleichen wäre? Er habe sie einmal
hinter diesen Kastanienbäumen Linnen waschen sehen, die nim-
mermehr weiss werden konnten unter Elvira's weisseren Händen.
Er sah sie in seinem Versteck des Amor Binde waschen. Dass
der Himmel die Welt bewahren möge vor dem ohne Augenbinde
herumstreifenden Amor!^)
1) y sin mas dilacion mandö ponsr uiia horca ä las puertas de
las mismas casas de don Hernando, y qne luego le pusiessen en ella a. a. 0.
2) Galizischer Fluss, den der Minho aufnimmt.
3) Lavaste, Elvira unos panos
Que nunca blancas volvias;
Que las manos que ponias
Causaban estos enganos:
Yo deträs destos castanos
Te miraba con temor,
Y vi que amor por favor
Te daba a lavar su vanda.
Gracioso Pelayo. 447
Elvira, die den Monolog in ein Zwiegespräch überfüh-
ren kommt, hält den noch in der Knospe der Liebeswerbung
schmachtenden Sancho kurz am Gängelbande von Amor's frisch
gewaschener Augenbinde, nimmt ihn aber nebenbei in die Frauen-
schule, ihn einweihend in die Lehre, die Abweisungen der Frauen
stets im Gegensinn des Wortlautes zu nehmen. ^) Wenn es sich
doch nur ebenso mit den Schwiegervätern verhielte! — denkt
Sancho, und fasst ein Herz und bringt seine Werbung beim alten
Nuno vor, während Elvira hinter einer Ulme verborgen das
Gespräch belauscht. Nuno kommt mit seinem jungen Schweine-
hirt Pelayo, den er, Nuno, wegen fahrlässiger Hut der ihm
anvertrauten Heerde, angrunzt. Das beirrt den offenherzigen
Schweinehirt nicht im geringsten in seiner Bewerbung um — ?
um Elvira's reinste Hand! Glücklicherweise steht Sancho noch
weit genug ab von den Sprechenden, um sich für's erste nur über
Pelayo's lästige Gegenwart zu ärgern. Sancho unterbricht Pe-
layo's Anhalten um Elvira frisch von der Leber weg mit dem
seinigen beim alten Nuno. ^) Pelayo, der kein Blatt vor den
Mund nimmt, vergilt es dem Sancho, dessen Bewerbung er mit
dem Lob seiner Schweine und deren das Herz einer Braut nicht
anders als erfreuendem glatten und vor Fett glänzenden Aussehen
durchkreuzt. Diese sich durcheinander flechtende Doppelwerbung
ist wieder acht spanisch-schematisch , dabei aber doch ergötzlich.
Pelayo kommt immer wieder, nicht auf besagten Hammel, aber
auf besagtes Schwein zurück, mit dessen ansprechendem Aeussern,
in Ermanglung des seinigen, er bei Elvira unfehlbar Schwein
zu haben, dem Alten versichert. Besagtes Schwein erfreue sich
einer so kräftigen wohlklingenden Stimme, dass es mit Ehren Ca-
pellmeister seyn könnte. ^) Der alte Bauer steht da zwischen bei-
den Bewerbern und wedelt wie der Ochse beim Wiederkäuen,
nach rechts und links die Fliegen ab, oder wie der Blinde beim
spanischen Wettspiel, dem „Schweinegreifen", wo der Blinde bei
1) — todas nostras cosas
Se han de entender al reves.
2) Por Elvira me abraso y me consumo.
3) Cochino traigo yo por esta oriUa . .
Que pueda ser maeso de capella.
448 ^^s spanische Drama.
jedem Griif nach links und rechts über ein ihm zwischen die
Beine rennendes Schwein hinstürzt oder doch stolpert. Von der
einen Seite giebt Nuno dem Pelayo mit seinem Schwein Fuss-
tritte, von der andern greift er nach Sancho's von dessen Herrn,
Don Tello, dem Grundbesitzer, ihm in etwaige Aussicht zu
stellendem wenigen Vieh. ^) Den ßath giebt ihm der auf diese
Anwartschaft hin zur Schwiegervaterschaft erbötige Nuno in
Terzinen! Homer's edler Schweinehirt Eumäos lässt es bei ein-
fachen Hexametern bewenden. Ein spanischer Bauer spielt den
Helden, trotz dem ithakischen König, und spannt dessen Bogen eben
so leichterdings und noch obendrein mit der Zunge und flötet ihm
Terzinen, Octaven und Decimen auf der Sirenenflöte vor, dass dem
erfindungsreichen Könige von Ithaka das Wachs selber in den
Ohren vor Lustkitzel schmilzt. Sancho will sich, gern oder nicht,
nach einer kleinen Viehheerde in die Ehe^), Pelayo nach einer
andern Ehehälfte umsehen.^) Elvira tritt aus ihrem Lausch-
versteck hinter der Buche hervor, nachdem sich Vater Nuno und
sein edler Sauhirt entfernt. Necken sich erst gegenseitig mit
vorgeblicher Hoffnungslosigkeit, um sich desto ungestümer als lie-
beseliges Brautpaar in die Arme zu fliegen. Sancho sucht sei-
nen Herrn, den Edelmann und Grundbesitzer, Don Tello auf,
in Begleitung des ihm nun treuherzig zugesellten und allwärts-
hin, wie das Heilige- Antonius - und Achates-Schweinchen, folgen-
den Pelayo, kündigt dem Infanzon seine Bewerbung um Nuno's
Tochter an; der splendide Junker bewilligt dem jungen Land-
mann ein Geschenk von zwanzig Kühen, und verspricht auf der
Hochzeit mit seiner Schwester Felicia na als Gast zu erschei-
nen, aufgeheitert durch Pelayo's echoartig Sancho's lebhafte
Dansagungs-lnterjectionen wiederholende und in's Gespräch mit
Umstellung der Beiwörter hineingehallte Zustimmungs-Assonan-
zen. *) Don Tello fragt, wer das .felsenklüftige Echo sey zwi-
1)
Como por ser tan rico y dadivoso,
Daräte alguna parte de ganado.
2)
Sancho.
Yo voy de mala gana; finalmente
Ire, pues tu lo mandas.
3)
Pelayo.
Aqui la dejo yo; mi amor se mnda.
4)
Sancho.
jTanta merced!
Pelayo.
i Merced tanta!
Don Tello und seine Schwester. 449
sehen vier Wänden. Pelayo stellt sich ihm als der verlorne
Sohn des Nuno vor, dem er die Ferkel hütet. ^) Der Gracio-
sisimo aller Schweinehirten anf gespaltenen Freiersfüssen!
Die Familie Nuno ist über S an c ho 's Aufnahme beim Guts-
herrn Don Tello und dessen Hochzeitsgeschenk von zwanzig
Kühen entzückt, und im siebenten Freudenhimmel vollends bei
des gnädigen Herrn Besuch. Sancho hält sich für zu niedrig
und gering, um dem Hochedlen nach Gebühr für so viel Güte
zu danken.^) Pelayo, mit seinen Zwischenreden und Zwischen-
schieben seiner Person, bei Don Tello's Musterung von Nuno's
weiblichem Hausgesinde, macht sich wieder zum Stichblatt
der komischen Züge auch in dieser Scene, die an jene in Aristo-
phanes' „Frösche'' erinnert, wo des Dionys Diener, Xanthias, seine
Verwunderung, dass von Allem, nur nicht von ihm die Rede sey,
dem Dialog zwischen Dionys und Herakles unter den Fuss giebt. ^)
So oft Don Tello um den Namen eines vod Nuno's Haus- und
Viehmägden fragt, ist Pelayo mit seinem Namen bei der Hand.
Nun tritt auch das gnädige Fräulein, Don Tello's altadelige und
altjüngferliche Schwester, Feliciana, mit Sancho's Braut, El-
vira, ein, mit der Peripetie der Komödie, darf man sagen, da
beim Erblicken Elvira's eine plötzliche Wendung in den Gesin-
nungen des Infanzon und in den Geschicken der Bauernfamilie
hereinbricht. Sein Aparte giebt diesem jähen Situationswechsei
verhängnissvollen Ausdruck: „Nie habe ich eine solche Schön-
heit gesehen. Welche göttliche Vollkommenheit ! Wie weit über-
trifft sie jedes Lob und den Ruf ihrer Schönheit 1 Glückselig die
Sancho.
iTan grande bien!
Pelayo.
jBien tan grande!
Sancho.
iRara virtud!
Pelayo.
jYirtnd rara!
Sancho.
iAlto valor!
Pelayo.
jValor alto!
Sancho.
I Santa piedad!
Pelayo.
jPiedad santa!
1)
El prodigo soy de Nuno.
2)
Fnera dervario
Querer daros gracias yo.
3'
Gesch. d. Dr
am. 11. S. 192.
X
29
450 ^^^ spanische Drama.
Hoffnung, die solchem Besitz entgegensieht !" i) Auf Don Tello's
Frage nach dem Namen der Verlobten, meldet sich Pelayo
auch gleich wieder mit dem seinigen zu Nuno's grimmigem Aerger,
der ihm jedesmal mit einem Fluch auf's Maul schlägt. Der
Traupriester steht vor der Thür. Don Tello rasch: Lasst ihn
nicht eintreten, und abermals ein verhängnissvolles Aparte: Diese
göttliche Schönheit bringt mich noch um den Verstand. '^) Das
höllische Feuer, das die Lüsternheit in seiner Seele entzündet,
das überwältigend Leidenschaftliche veredelt die unreine Begier
und verlangt eine gewisse poetische Entschuldigung. Das sind
Kunstgriffe der Meisterklaue, die das spanische Blut freilich un-
ter der Hand dem Temperamente zuschanzt. Sancho's auf die
Hochzeit erpichten Ungestüm vertröstet Ihre junkerliche Gnaden
auf — Morgen^), mürrisch über des Bräutigams Zudringlichkeit.
— Armer Mazetto! Ein ßomeo-Motiv: schicksalvolle Liebeslei-
denschaft auf den ersten Blick, gefacht in dem verruchten Busen
eines Don Juan Tenorio! Der galizische Barlador de Sevilla
empfiehlt sich mit seiner Schwester Feliciana, seinem Leporello
ge Wissermassen im Altjungfern-Unterrock, und dem Brautvater
empfiehlt er, die Braut für diese Nacht in Euhe zu lassen. 4) Ver-
blüfft bleibt die Familie zurück. Der alte Nuno zuckt die Ach- ^
sein — was thun? Er ist der Grundherr und mag wohl auch
hierzu seinen Grund haben. Aber auch Nuno hat Grund, zu
bedauern, dass Seine herrschaftliche Gnaden sein Haus betreten. •*)
1) Don Tello (Ap.).
No he visto mayor beUeza,
;Que divina perfeccion!
Corta lia sido su alabanza.
jDichosa aquella esperaiiza
Que espera tal posession!
2) Don Tello.
Pues decid, que no entre el cura.
(Ap. Que tan divina hermosura •
Robandomi el alma estä.)
3) Manana serä mejor.
4) Llevala, Nuno, y descansa
Esta noclie.
5) No entiendo su voluntad
Ni lo que pretende hacer —
Riegel auf, Riegel zu. 451
Das allein gebliebene Brautpaar ist so wenig einverstanden mit
der vom gnädigen Herrn empfohlnen „Ruhe für diese Nacht",
dass Elvira vielmehr den schon verzagenden Bräutigam, als
ihren ein für allemaligen Gatten, auffordert, ihr Alles, nur ja
keine Ruhe zu lassen, zu welchem Zwecke sie ihm denn auch
Alles, nur nicht den Riegel ihres Kämmerchens vorschieben will. ^)
Wie hüpft das schon verzagte Herz dem miteins sprungfreudigen
Zagal bei diesem Rollentausch, wo, statt der Braut, der Riegel
für diese Nacht in Ruhe und unbehelligt bleibt! Preise Deinen
Hochzeitstern, Sancho! dass Deine Elvira keine Zerline ist, und
dass Du, während Dein Gutsherr Don Tello, mit seinem Hel-
felshelfer, Celio, Don Juan-Anschläge auf Elvira schmiedet, die
er Dir, sobald er ihrer überdrüssig geworden, mit einer Mitgift
von Vieh, Wirthschaftsgut und Geld zurückzustellen sich vorbe-
hält — 2) dass Du derweile ihm den Riegel im Brautkämmer-
chen vorschiebst! — So könnte Sancho sein Schnippchen schla-
gen, wenn der schadenfrohe Teufel -üebermuth nicht allerwegen
dem braven Frohmuth um eine Nasenlänge voraus wäre! Wenn
Don Tello's verlarvter Diener, den Elvira in ihrem Kämmer-
chen für ihren Sancho hält, sich nicht ihrer bemächtigt und sie
dem Edelherrn überliefert hätte! 0 über den verrätherischen
Riegel! Der nach Hülfe Schreienden wird auf Don Tello's Ge-
heiss der Mund verstopft J) Erbarmungswürdiger Sancho, der
Du nun zum leeren Neste Deines Hochzeitskämmerchens heran-
schleichst mit der Weisung an dem heimlichen, sich überall einschie-
benden Brautführer, P e 1 a y o , als Posten zu wachen, bis ihn, den glück-
lichen Bräutigam, der Aurora heimführende Morgenstern aus dem
Es Senor. — Ya me ha pesado
De que haya venido aqui.
1) Elvira. Ya eres, Sancho, mi marido,
Ven esta noche ä mi puerta
Sancho. Teadräsla, mi bien, aperta?
Elvira. Pues ^no?
2) Despues que ella me canse,
Podrä este rustico iieccio
Casarte: que yo dare
Gaiiado, hacienda y dinero . . .
3) Täpala esa boca.
29*
452 ^^^ spanische Drama,
Himmel verscheuchen wird — verwünschter Morgenstern! ^) Fluche
ihm nur, dem Morgenstern sammt der Morgenröthe, deren Fackel
Dir einen schrecklichem Drachen, als Psychen ihre Leuchte, er-
hellen soll: ein leeres Hochzeitsbett! „Weisst Du" — bemerkt
ihm Pelayo — „wem ich gleichen werde, wenn Du da drinnen
bist? Dem Maulesel des Doctors, der aussen vor der Thür am
Zügel käut." 2) Des stehenden Zwischeneinschiebsels, Pelayo,
einziges creve-coeur ist, dass er sich nicht auch hier dazwischen-
schieben kann!
Die Schreckenskimde nimmt S an cho dem alten Nun o, der
im Mondschein daher gerannt kommt, von der lallenden Zunge.
„Ein Trupp Bewaffneter" — keucht der Alte — „hat diese Thür
eingebrochen und" — „Vollendet nicht, ich errathe das üebrige!" •')
— fällt ihm der unglückliche Sancho in's Wort. Und wie rich-
tig und genau errathet er's! als wäre er beim Raube dabei ge-
wesen. Der Räuber kann kein Anderer, als Seine Gnaden selber
seyn — Gott sey ihm, dem armen Sancho, gnädig! Und ich,
ich selber war's, der unter mein Dach den wilden bluttrinkenden
Löwen brachte, der mir mein weisses, unschuldiges Lamm ge-
raubt! 0 ich blinder, ja, ich blinder Thor! Denn die reichen und
mächtigen Hefren, sie bringen nur Unglück in das Haus der
1) Sancho. Yo saldre cuando del alba
Pida albricias el lucero*),
Mas 110 me las pida a me,
Si me ha de quitar riii cielo.
2) Pelayo. ^Sabes que parecere
Mientras estäs allä deiitro?
Mula de doctor, que estä
Tascando a la puerta el freno.
3) Nunc. Un escuadron de armados
Aquestas puertas rompieroii,
Y se han llevado . . .
Sancho. No mas;
Que aqui diö iin mi deseo.
*) ein geistreich anmuthiges Bild: „Vfenn der Morgenstern sein Bo-
ten brod von der Morgenröthe sich ausbittet. Nur von mir verlange er
keines, da er mich einen Himmel zu verlassen zwingt.**
Dona Elvira und Don Tello. 453
Armen!" i) Diesen Klagerufen nach dem geraubten Lamm macht
nur der fallende Vorhang des ersten Actes ein Ende, der eben
so makellos, wie das schneeweissestei Vliess irgend eines gewaltsam
entrissenen Lammes, so rein von dramatischen Sünden und Flecken,
wie Elvira's Herz von Seelenschuld und Fehlen. Ja schon dieser
erste Act ist durch Führung der Scenen, Natur- und Localtreue
Zeichnung der Figuren, ländliches Colorit und gefühlvolle Wärme
ein goldnes Vliess an Werth und Kostbarkeit.
Herrlich bleibt dieses Gold auch im zweiten Act und
gleich in der ersten Scene, wo Elvira, gegenüber ihrem schnö-
den Räuber, sich zum Wächter dieses Vliesses emporrafft: zum
feuerspeienden Drachen. „Siehst Du nicht" — fragt der unver-
schämte — „dass Liebe mich dahinreisst?" „Nein, Herr!" —
eifert Elvira •— „denn Liebe, die keine Achtung vor Frauen-
ehre hat, ist eine niedrige Begierde, und kann, als garstiges Ge-
lüste, nicht Liebe heissen. Liebe ist innige üebereinstimmung der
Seelen, wo die eine Seele nur das liebt, was die andere wünscht.
Unkeusches Verlangen ist und kann nicht Liebe seyn."^) Ihre
Ehre, ihr höchstes Gut, werde sie aufs Aeusserste vertheidigen.
„Ich bin ein Weib, ich liebe einen Andern. Nichts werdet Ihr
1) dQ^e trujese yo ä mi casa
El fiero leon sangriento,
Que mi Candida cordera
Me robara! ^Estaba ciego?
Si estaba; que no entran bien
Poderosos caballeros
En las casas de los p obres
Que tienen ricos empleos.
2) D. Teil 0. Tu crueldad ^no considera
Que esto es amor?
Elvira. No, seilor,
Que amor que pierde al honor
El respeto, es vil deseo;
Y siendo apetito feo,
No puede Ilamarse amor,
Amor se funda en querer
Lo que quiere quien desea;
Que amor que casto no sea,
Ni amor ni puede ser.
454 ^^s spanische Drama.
bei mir erreichen." ^) Schwester Feliciana tritt hinzu und ver-
tröstet den Bruder mit dem Leporello-Rath: scheinbar nachge-
ben! hinhalten! Zeit bringt Rosen und bricht Rosen. Morgen
ist auch ein Tag. Sagt sie heute nicht Jh, so kann sie's morgen
sagen. 2) Wiederholtes Klopfen. Elvira entfernt sich. Nuno
und Sancho treten beim Gutsherrn ein. Sancho, als galizi-
scher Bauerbräutigam, trägt das Caballero-Schwert auf der Zunge
und diese schwenkt er, bei aller Ehrerbietung vor dem Edelherrn
und Pathen, dass ihm die Augen flirren und er hoch betheuert,
sich mit dreister Lüge wie mit seinem Wappenschild deckend,
er werde den Räuber zu züchtigen und ihn zur Herausgabe der
Entführten zu zwingen wissen. „Wüsste ich, wo sie verborgen,
bei Don Tello's Leben, Du solltst sie wieder haben!" 3) Auf die-
sen Schwur tritt Elvira ein. Schmerzvoll freudige üeberrar
schung für Vater, Braut und Bräutigam ; wuthvolle für den Nacht-
raben, der, wie die Nachtraben in scandinavischen und deutschen
Sagen, Bräute entführt. Er ruft seine Leute herbei und be-
fiehlt, die Verwegenen niederzumachen. Das Brautpaar trotzt dem
Tode, selig in Gemeinschaft zu sterben. Die Raub- und Mord-
knechte jagen Vater und Bräutigam mit Knüppeln hinaus. Der
gnädige Herr schwört Elviren den Schwur in's Gesicht: Er müsse
sie besitzen und wär's mit Teufelsgewalt, oder nicht der seyn,
der er ist % — der Nachtrabe nämlich , den bald die Tagraben
Stück für Stück sich holen werden, was er zurstunde freilich
noch nicht weiss. Unter den Knüppelhieben der Dienercanaillen
vor dem . Schlosshof schwört Sancho, nicht leben zu wollen ohne
Elvira, und vor der Räuberhöhle lieber den Streichen zu erliegen.
„Besser doch" — meint Vater Nuno — „Du lebst, und forderst
Gerechtigkeit. Versagt sie Dir der König, so appellire an die
1) Soy 11] ujer y tengo amor:
Nada has de alcanzar de mi.
2) Tello, si lioy no dijo si,
Podrä decirlo manana.
3) Yo no se donde estä; porque, ä sabello
Os la diera, por vida de Don Tello.
4} Que por fuerza has de ser mia,
0 no he de ser yo quien fui.
Ein Leporello im Unterrock. 455
nächst höhere Instanz, an öott!"^) Selbstverständlich kommt
nun Pelayo daher, seinen Senf nachträglich dazwischen zu schie-
ben, und welche Aussicht für seinen Senf in Leon, der Resi-
denz König Alfonso's, wohin er Sancho begleiten soll, und
nicht als Senf nach Tische, sondern bei Tische zu dem Schinken
und Eierkuchen, womit, wie er sicher weiss, die Strassen von
Leon gepflastert sind! 2)
Infanzon Don Tello, immer wilder vor Liebesbrunst, nicht
wie ein galizischer, aber wie ein andalusischer Vollbluthengst,
erneuert mit Hülfe seines Leporello im Unterrock, Schwester
Felicia na, die hippomanischen Angriffe auf Elvira's Wider-
, stand, derengleichen auch Don Juan Tenorio auf dem bal cham-
petre unter Leporello's Beistand gegen Zerline in's Werk setzt.
Wir stehen nun am grossen Ereigniss der König- Alcalden-Come-
dia: Sancho 's Audienz beim Emperador Alfonso VIL, dem
der junge galizische ßauer-hidalgo 3) seine Klage vorträgt; die
räuberische Brautentführung, die Vergewaltigung, die ihm und
seinem Vater zugefügten Misshandlungen, die auf seinen und des
Vaters Hidalgo -Schultern endossirten hagebuchenen Stockprügel,
in den weichsten Sextinen, dem Könige zu Füssen legt. 4)
Prügel von Dornzäunen als Sextinen zubereitet, schmecken dem
1) Sancho. Vive Dios, de no quitarme
De los umbrales que veo,
Aunque me maten! qiie vida
Sin Elvira no la quiero.
Nuno. Vive, y pediräs justicia;
Que rey tienen estos reinos,
0 en grado de apelaeion
La podras pedir al cielo.
2) Dicenme acä, de la corte,
Que con liueros y torreznos
Empiedraii todas las calles.
3) Sefior, Yo soy liidalgo
4) Que habiendola pedido
Con lagrimas su padre y Yo, tan fiero,
Senor ha respondido,
Que vieran nuestros pechos el acero;
Y siendo hidalgos nobles
Nuestros hoinbros las ramas de las robles.
456 Das spanische Drama.
spanischen Ohr so lieblich, wie Spargel in Butter einem Deut-
schen, oder wie die Markkerne stachliger Artischoken neapolitani-
schen Gaumen. Pelayo als Zwischenbemerker , beleckt sich die
Lippen beim Schmaus, wie Philemon's grauer Pelayo beim Feigen-
Zwischengericht, während der Kaiser den Brief an Don Tello
schreibt, jeder Buchstabe, wenn nicht ein Schlag, ein Wink mit
dem Zaunpfahl, und nicht in Bachamelle-Sauce von spanischen
Sextinen. sondern gewürzt mit spanischem Pfeffer. König und
Kaiser Alfonso erfreut sich eben so sehr an der Parenthese in
Gracioso-Gestalt, an Pelayo, wie dieser am Rey-Alcalde, in
der Knospe der lettre de cheval, an den Infanzon- Caballero.
„Welcher drollige Bauerbursche!" ^) lächelt der Kaiser und König,
in den Bart. Und Sancho's Anhängsel, das ihn so parallel, wie
der Commentar den Text, begleitet, der „gracioso labrador*', ver-
sichert dem Emperador huldvollst, er sey eigens nach Toledo auf
seinem vor jedem Wirthshaus entweder bocksteif dastehenden,
oder auf eigene Rechnung hinein zurstelle trabenden Klepper-)
hergeritten , um des Königs Bekanntschaft zu machen. ^) Der
sich geschmeichelt fühlende König schenkt dem amüsanten Bur-
schen einen von diesem nicht für voll gehaltenen Beutel mit
Goldstücken, nach einem Aparte, worin sich Emperador Al-
fonso VII. im Stillen über das seltene Phänomen wundert, dass
eine und dieselbe Gegend zwei durch so verschiedene Gaben
merkwürdige Geschöpfe zusammengestellt: der eine merkwürdig
durch seinen Verstand, der andere noch merkwürdiger durch seine
Dummheit.^) Für uns dadurch insonders merkwürdig, dass er
1)
•Que gracioso labrador!
2)
Y en viendo un meson delante,
0 se entra o se pära delante.
•'5) '
Soy en fin
Que per vos su patria de ja
4^
Eey (Ap.
iQue dos hombres peregrinos
Aquella terra junto,
Aquel con tal discrecion
Y este con tanta ignorancia!)
Toinad vos. (Dale un bolsillo.)
Pelayo.
No es de unportancia.
Pelayo's Ohren. 457
hinter Sancho's Verständigkeit stets das bekannte parallele Ohren-
paar hervorsteckt und zwischendurchschiebt.
Sancho überreicht seinem Gutsherrn und Brauträuber des
Königs Schreiben, dessen Inhalt wir schon aus Sandoval kennen.
„Beim Himmel!" — ruft Don Tello, nachdem er den Brief
gelesen — „ich erstaune über meine Sanftmuth. Glaubst Du,
Elender, dass ich die Folgen Deiner Vermessenheit fürchte?
Weisst Du, wer ich bin?'' Vor Schrecken richtet Pelayo das
Ohrenpaar hinter Sancho's Rücken empor, ingestalt zweier Hei-
ligen: Sanct Blasius und S. Paulus. „Ihr Bauerntölpel" — wet-
tert Infanzon — „wenn es mir beliebt hat, Euch dieses Weib zu
entreissen, so bin ich, der ich bin. Hier bin ich Herr, und be-
fehle' ich, wie der König in Castilien. Denn diese Ländereien
verdanken meine Vorfahren nicht den seinigen, sie haben
den Mauren sie entrissen^), wie ich Dir Dein Weib, gemeiner
Wicht! Hinaus auf derstelle aus meinem Palast! fort mit Euch
von meinem Grund und Boden, oder ich lass' Euch mit Knitteln
todtschlagen, Spitzbuben, Bauernknechte, Lumpenpack -— mit mir
sich messen! mit mir!" 2) Pelayo schiebt nur Ein Ohr in die
1) D. Tello. iVive Dios,
Qiie de mi piedad me espanto!
<iPiensas, villano, que temo
Tu atrevimiento en mi daiio
^Sabes quien soy?
Pelayo. ;San Blas! Sau Pablo!
D. Tello. Villano, si os he quitado
Esa mujer, soy quien sOy,
Y aqui reino en lo que mando,
Como el rey en su Castilla;
Que no deben mis parados
A los suyos esta tierra;
Que ä los moros los ganäron.
D. Tello. Salid luego de palacio,
Y no pareis en mi tierra;
Que os hare matar ä palos
Picaros, villanos, gente
De solar humilde y bajo
iConmigo!
458 1^3-8 spanische Draraa.
Höhe, da sich das andere vor Angst verkriecht. Das eine Ohr
ruft den heiligen Mauricius an zu Hülfe. Sancho, mit Pelayo
allein, fasst den Entschluss, nach Leon zum Könige zurückzu-
kehren. Pelayo stellt ihm seine vom Könige erhaltenen Dou-
blonen und auch die ihm von der Natur geschenkten Doublonen,
das parallele Ohrenpaar, zugebote behufs Einschaltung in das
Zwiegespräch mit König Alfonso, oder Einbiegung in den Dialog
als Lesezeichen, und giebt zuletzt noch mit demselben, zum
Schlüsse des zweiten Actes, dem Sancho einen gloriosen Fin-
gerzeig, der Sancho's Ohren lauschen und spitzen macht: „Auf,
Sancho! Machen wir uns auf den Weg. Noch hat dieser Mensch
Deine Elvira nicht herumgekriegt!" — Sancho. „Woher weisst
Du das, Pelayo?" Pelayo. „Er hätte sie Dir sonst gewiss zu-
rückgegeben." Die Ohren, im Hochgefühle ihres den Nagel auf
den Kopf treffenden Winkes, nicken sich selber Beifall zu, und
den Masqueteros im Parterre ein Tlaudite!' im Verein mit ihrem
stehenden Doppelgänger, dem hohen 'Senado'. Ein donnerndes
Plaudite, das dem ganzen zweiten Act gebührt, der an tadelloser
Trefflichkeit dem ersten nichts nachgiebt und nur mit seinem
Vordermann, dem ersten, gegen den dritten Act, der dem
Meisterwerk die König- Alcalden-Krone aufsetzt, in zweite Linie
zurücktritt.
Der dritte, der Kronenact, stellt Sancho und seinen Ap-
pendix ohne weiteres vor des Kaiser -Königs Majestät, der den
Kaisertitel beim Krönungsact zu Toledo (1135) auch ohnewei-
teres annahm. Alfonso's Begrüssung des Sollicitantenpaars klingt
inderthat ganz kaiserlich: „Die Armuth ist ein Anspruchstitel
auf meine Gunst" — wörtlicher: „Der Arme überreicht mir in
seiner Armuth sein Empfehlungsschreiben." 0 Nachdem der wahr-
haft kaiserliche König Sancho's erneute Klage vernommen, kün-
digt er den beiden anwesenden Kammerherren seinen Entschluss
an, zurstelle nach Galicia aufzubrechen, heimlich und incognito.
Schärft dem Sancho Verschwiegenheit ein, und dem Pelayo ab-
solutes Stillschweigen: „Die Hand auf den Mund! so! verstehst
1) — el pobre para mi
Tiene cartas de favor.
Pelayo als Harpokrates. 459
Du wohl? Die Finger nicht von den Lippen!" ^) Keinen Laut!
Um-, Ab- oder Zwischenlaut. Was Finger! Als Zeichen unver-
brüchlichen Verstummens schlägt sich Pelayo mit den Ohren
aufs Maul und bittet sich nur so viel Mundöffnung aus, als zum
jeweiligen Dazwischenschieben von Brocken und Bissen unum-
gänglich nöthig ist. Auf's Gähnen leiste er Verzicht.'-^) Be-
scheiden bittet Sancho, der König möge nur einen Alcalde als
Stellvertreter nach Galizia senden. König entlässt ihn mit den
wiederum acht kaiserlichen Worten, die den Titel der muster-
gültigen, eines Emperador-Poeten würdigen Comedia zu bilden
verdienen: „Der beste Alcalde ist der König." 3)
Der alte Nuno bespricht sich mit seiner Tochter Elvira
am Fenstergitter des gutsherrlichen ßaubschlosses und vernimmt
mit trostvoller Freude, dass ihre Frauenehre noch unzugänglicher
gegen die Angriffe ihres Räubers vergittert, verriegelt und ver-
schanzt geblieben, als das Fenster ihres Schlosskämmerleins. Der
alte Vater möge sich beruhigen in der stolzfreudigen Ueber-
zeugung, dass seine Tochter eher das Leben als ihre Jungfrauen-
ehre dem Raubmörder preisgeben werde. ^) Die Situation am
Fenstergitter zwischen Vater und Tochter ist ein neues eigen-
1) Rey. Paesta en la boca lä mano
Desta nianera . . . ädvertid . . .
Porque no habeis de quitar
De los labios los dos dedos.
2) Pelayo. Los tendre tan quedos,
Que 110 osare bostezar,
Pero SU merced —
Me ha de dar lana licencia
De comer de quando en quando.
3) Sancho. Enviad, que es justa ley,
Para que haga justicia,
Algun alcalde a Galicia.
Rey. El mejor alcalde el Rey.
4} Y puedes estar ufano
De que he perder la vida
Primero que este homicida
Llegue ä triunfar de mi honor,
Aunque con tanto rigor
Aqui me tiene escondida.
460 Das spanische Drama
thümliches Gegenbild zu den stereotypen nächtlichen Liebesbe-
suchen am Fenstergitter der spanischen Komödien -Heldinnen,
deren bräutliche Ehre keinesweges hinter ihren Eisengittern so
unnahbar hinter Schloss und Riegel ruht, wie Elvira's in dieser
Musterkomödie. Dort sind es in der Regel — Fallgitter, und
die galanes „spanische Reiter'', aber solche, die mit eingelegter
Gitterlanze durch das aufgezogene Fallgitter in die gefallene
Festung ihren Einzug halten. Auch dies ergänzt die Situation
zum Kehrbild der üblichen Balcon- und Fensterliebesscenen in
der spanischen Komödie, dass hier der Ritter-Galan — ein Raub-
ritter freilich — dass hier Don Tello den Vater mit der Toch-
ter überrascht, der sonst die Tochter mit ihrem Ritter und Buh-
len betrifft. Vollends auf den Kopf stellt die herkömmliche Git-
tersituation das Donnerwetter, das hier der Raubritter und Galan
durch Teufelsgewalt über das greise Haupt des Vaters entladet,
ein Donnerwetter, womit sonst Komödien- Väter oder Brüder die
Köpfe der Gitter-Ritter waschen: „Vergebens, Ihr Bauernkerle,
sind Eure Klagen, Thränen und Schliche. Ihr werdet mir den
Gegenstand meiner Leidenschaft nicht entreissen!" i) Der alte
wehrlose Vater — was bleibt ihm übrig? — Er zieht ab mit
trauervoll gesenktem, von Alters- und Grames-Asche gebleichtem
Haupte, jammernd — aparte, versteht sich! — aparte jammernd
über diese ümkehrung aller menschlichen und göttlichen Gesetze,
dass der Arme auch seine Ehre vom Reichen muss mit Füssen
treten lassen, und diese Fusstritte als sein zukömmlich Recht, ja
diese Fusstritte sich noch als besondere Ehre anrechnen muss! '^)
Uns aber — vergieb alter um Ehre und Tochter beraubter Bau-
ernbrautvater! — Uns lacht das Herz ob dieser ümkehrung der
spanischen Komödien-Gesetze, und freut sich alcaldenköniglich.
1) D. Tello. Aunque mas formeis, villanos,
Quejas, Uantos e invenciones
La causa de mis pasiones
No ha de salir de mis manos.
2) Nuno (Ap,)
iQue sufra el mundo que esten
Sus leyes en tal lugar,
Que el pobre al rico ha de dar
Su honor, y decir que es justo.
Don Tello als Sextus Tarquinius. 45 t
t
auch einmal auf eine spanische, eine Lope-Comedia zu treffen,
wo Vater und Galan die stehenden Rollen des 'Gitter-Rendez-
Vous' tauschen : Der Vater mit Schand' und Spott davonschleicht,
und der Galan von Teufels-Gnaden die Tochter einsperrt. Und
wenn der grundherrliche Hallunke es noch bei Schloss und Rie-
gel bewenden Hesse! Seine infame ehrenschänderische Brunst —
hilf, Rey-Alcalde! — liegt schon auf dem Sprung, Schloss und
Riegel gewaltsam zu zerbrechen, das „Schlösschen", das Braut-
schlösschen, worauf unser ühland zielte — nicht blos zu „ge-
fährden", es zu — Rey-Alcalde, Rey-Alcalde! tummle Dein Ross!
spreng heran mit verhängtem Zügel! — es zu erstürmen; es zu
— um mit Don Tello's dienstfertigem, davor aber doch zurück-
schreckendem Helfershelfer, Celio, zu reden — forzalla!^)
Lässt sich Don Tello bedeuten? So wenig wie des Posthumus
oh ! grunzender, eichelgemästeter, „deutscher Eber." ^) Der galizi-
sche schäumt und schweisst: „Mein muss sie seyn, eh' noch der
Tag sich wendet! Tritt meinem Sprung und Gusto nicht in den
Weg, sonst rennt er Dich über den Haufen!" ^) War' der Eber
besonnen, hiess er nicht der Tello. Tarquin — Sextus Tarquinius
nämlich — schrie auch üp! huck auf die Maid! und büsste seinen
gusto. ^) Während dessen besteht in Nuiio's Bauernstube Gra-
cioso Pelayo die grössten Gefahren, sich als Zwischensprecher
vor Nuno zu verschnappen, und durch die zwei Finger hindurch,
die er dem Könige Alfonso in Leon als sein unverbrüchliches
Maulschloss angelobt hatte. Nuno's bangmüthiger Hoffnungslo-
sigkeit mit Andeutungen über den herbeieilenden Retter unter
1) Und als er sie schwingt nun im bräutlicben Eeigen,
Da flüstert er leise, nicht kann er's verschweigen:
„Schön Jungfräulein,
Hüte Dich fein!
Heut Nacht wird ein Schlösslein gefährdet seyn."
Graf Eberstein.
2) Cel, Qtie forzalla es craeldad.
3) Like a full-acornd boar, a Gernian one,
Cried oh! and mounted . . . Cymb. II, 5.
4) D. Tello. No repliques ä mi gusto.
5) Tarquino tuvo por justo
No esperar tan sola una hora.
462 Das spanische Drama.
•
die Arme greifend, vergisst der in alle Dialogentöpfe seine Nase
oder Zunge steckende Zwischenredner das vom König Alfonso
ihm auferlegte Maulschloss, die beiden Finger an den Lippen, im
besten Zuge, durch dieselben hindurch aus der Schule zu
schwatzen, und mit dem Titel der Komödie als mit der Thür
in's Haus in die Katastrophe^ zu fallen und dem König und der
Komödie den Spass zu verderben. Sancho hat seine Hände voll
zu thun, um Pelayo's Finger an ihr Gelöbniss zu erinnern i), und
ihn auf's Maul zu schlagen. In diesem Alles auf die Kippe stel-
lenden Augenblick kommt Nufio's Ackerbursche Brito — ge-
segnet seyen Deine Beine, Brito! — dahergerannt mit der Mel-
dung: „Drei Caballeros sind eben vor der Hausthür abgestie-
gen." Kaum gemeldet, sind die drei schon in der Stube: König
Alfonso mit den beiden Hofcavalieren , dem Conde de Castro
und Don Enrique — Für Nuiio, versteht sich, nur Brito's
drei Caballeros. Eine der schönsten und ergötzlichsten Situations-
Scenen an der Schwelle einer Komödien -Katastrophe! Schön,
durch die Incognito - Erscheinung des kaiserlichen Königs als
Dorfrichter, ein Rey-Justiciero in Gestalt eines vom Könige zum
Halsrichter bevollmächtigten Dorfschulzen. Ergötzlich, durch den
naiv graziösesten Bauerrüpel -Gracioso der spanischen Komödie,
unsern unvergleichlichen Pelayo, dem nun der liebenswürdigste,
bauernfreundliche, der für Alle, ausser Pelayo und Sancho, uner-
kannt seyn wollende König-Justiciero jeden Augenblick die Fin-
ger auf den verschnappungslustigen Mund legen muss! Um so
verschnappungslustiger, als seine Herzensfreude über die Anwe-
senheit des königlichen Schulzen mit seinen Schweigefingern
durchgeht! Und wie der Verschnappte dem Verkappten das Haus-
gesinde, jeden Einzelnen, vorstellt^sammt dessen Curriculum vitae!
Und Alles in so reiner lieblicher Natureinfalt und Wahrheit!
Aglaja, die frohsinnige, Euphrosyne, die holdselige und der ko-
mischen Muse scherzhaft anmuthvolle Namensvetterin, Thalia —
die drei Grazien haben dem alten Lope beim Schreiben dieser
Komödie Hände, Augen und Mund unzähligemal und mit wett-
1) Sancho. Pelayo ^teneis juicio?
Pelayo (Ap.)
Olvide me de los dedos.
Ich der König. 463
eifernder Herzenslust geküsst. Auf das Aparte des Königs, das
dem Nuno den Auftrag giebt, Priester und Scharfrichter heim-
lich kommen zu lassen^), würde die Göttin der Gerechtigkeit,
Themis, in Person dem kaiserlichen Schulzen ihr Schwert,
knieend, zur Verfügung stellen. Es ist aber auch die höchste Zeit.
Elvira's Frauenehre schwebt auf dem äussersten Rande der Noth-
wehr, auf den höchsten Tönen des Nothschreies nach göttlicher
Hülfe gegen ihren Raubritter, vor dem sie durch die Zimmer-
flucht seines Jungfernzwingers oder Twinghofs dahinstürzt, und
er hinterdrein, taub gegen die Vorstellungen seiner Schwester, die
um Mitleid für die Verfolgte fleht. Während dieses lustigen
Jagens erscheint der König mit seiner Begleitung, worunter
auch Sancho. Celio, von Tello's Kuppler zu dessen Warner
umgewandelt, fragt den Fremden, der bei Don Tello angemeldet
zu werden wünscht — Und wer, sag' ich ihm, seyd Ihr? Ich,
antwortet der König 2) -- Celio stutzt, eilt aber, den Yo vor
der Thür zu melden s), erschrocken, wie Leporello vor dem stum-
men Gast. Don Tello lässt dem Ich sagen, er kenne nur zwei
Ichs: Gott und den König, So meldet mich, erwidert das kö-
nigliche Ich, als Hofschulz des Königs. 4) Nuno stellt sich
nun auch ein mit seinem Hausgesinde. Zornmuthig ranzt Don
Tello den Alkalde des Königs an, und fragt ihn nach seinem
Richterstab. Diesen trage er — versetzt der König — noch in
der Scheide. „In der Scheide! Ei! Ihr wisst wohl nicht, dass
Niemand Hand an mich legen darf, es sey denn der König."
1) Eey. (Ap. ä Nuno.)
Haced traer de secreto
ün derigo y un verdugo.
2) Celio. Y ^quien dire que sois?
Eey. Yo.
Anspielung auf das Yo el rey.
3) Yo voy ä decir que Yo
Estä ä la puerta.
4) Eey. Pues un alcalde decid
De SU casa y corte.
Schöppe beim Stadtgericht der Eesidenz. Celio wundert sich, verdutzt
über diese neue Würde.
464 ^^^ spanische Drama.
Nun denn! Ich bin der König, Elender I^) Leporella, Feli-
ciana, ruft vor Schrecken den heiligen Dominik von Silos an.
Dem Junker bleiben alle Heiligen in der Kehle stecken, er kann
nur aparte sein Schuldbekenntniss röcheln, seine Versündigung
an Gott und König. 2) Nun stürzt Elvira selber herbei
mit aufgelösten Haaren, erzählt den Hergang, die Sünden ihres
Ehrenräubers in eine Schlussanklage zusammenfassend, und fleht
in sechssylbigen Endechas-Versen zu des Königs, „des besten
Alcalde", Füssen um Gerechtigkeit. Der furchtbare Alcalde be-
fiehlt, den Scharfrichter zu entbieten, Feliciana's Gnadenflehen,
und selbst des Conde de Castro Verwendung bleiben wirkungs-
los. Gnade und Mitleid darf sich nicht geltend machen — auf
Kosten der Gerechtigkeit-^) entscheidet der König, und gebietet
dem Tello, Elviren, behufs Wiederherstellung ihrer Ehre, die
Hand als Ehegatte zu reichen, damit sie, nach seiner Enthaup-
tung, sich mit Sancho vermählen könne. Und so vollzieht
sich's auch. Pelayo hat selbstredend das letzte Wort, womit
er dem besten Schulzen unter den Königen das Zeugniss aus-
stellt: „Ein Mordkerl von König!" 4) Der Comedia aber, deren
Held dieser Emperador als Landrichter ist, würde ohne alle
Frage unser Pelayo das Zeugniss ausstellen, dass sie durch
wohlthuende Einfachheit, Sühne des Rechtsgefühls, naive Komik,
tadellose Führung Lope de Vega's Meisterwerk ist und an in-
nerem Kunstwerthe tausend mindestens von seinen zweitausend
Dramen, die glänzendsten nicht ausgenommen, aufwiegt.
1) Don Tello.
Si el Key no viene ä prenderme,
No hay en todo el mundo quien.
Eey. Pues yo soy el Rey, villano.
2) Don Tello (Ap.)
Mi justa muerte ha Uegado
A Dios y al Rey ofendi.
3) Rey. Cuando pierde de su punto
La justicia, no se acierta
En admitir la piedad.
4) ; Bravo Rey!
Lope's geistliche Komödien. 465
Lope's Autos.
Lope's Aut. Sacram* DelPan y del Palo^) feiert die Ver-
mählung der Seele, hier schlechtweg 'La Esposa' genannt,
mit Christo, dem ewigen König (Bey eterjio). '^) Das Auto
ist eine mystisch-allegorische Pastorale. Die Wohnung der Seele,
ihre Schäferhütte (aldia) ist der Leib. Die Sinne (los Sentidos)
treten als Frohnarbeiter auf (Labradores). Dem Brautpaar wird
das Kreuz als Sinnes- und Euhmesfahne, als himmlische Ori-
flamme und Laterne voraufgetragen. 3) Gutjahr (Buenano) und
Freude (regocijo) verlangen nach dem heiligen Brode. ^) E sposa
lechzt gleichfalls nach der Götterspeise^), dem erquickendsten
Hochzeitsmahle. Vivatrufe dem „wonnigsten Himmelsbrode" un-
ter Sang und Klang. <^) König-Bräutigam erklärt der Braut
Sinn und Bedeutung des Brodes, das nicht von dem sinnlichen
Auge, sondern allein vom geistigen des Glaubens erkannt wird. ^)
Der himmlische König-Hochzeiter schmückt die Hände der Braut
mit sieben Eingen. Der erste ist die göttliche Weisheit
(Sabiduria divina) ein Kubin; der zweite der Verstand (el
Entendimiento) , nicht der weltliche, sondern der Gott verste-
hende:^) Sonnenauge. ^) Der dritte Fingerring ist göttlicher
1) „Vom Brod und Krenzesstamm.'^ — 2) Nebenher die weltliche Dop-
pelvermählung (1612) des Principe Don Felipe und der Dona Ana
Maria Mauricia, Kinder König Philipp's III., mit der Prinzessin Isa-
bel, Tochter Heinrichs IV. von Frankreich und mit Ludwig XIII.
3) Y ansi mi cruz es mi gloria . . .
Mis timbres, mis coroncles . . .
Esta es la primer seilal
Del que ha de ser mi soldado.
4) Dadme vuestro pan, Senor.
5) Dadnos este pan gloriosa
Que yo tambien os la pido.
6) Musicos. iViva la gloria del blanco Pan!
7) Key. Cuando en pan me doy, la fe,
Que no la vista me mira
8) Con que te alejes del mundo
Y entiendas de mi.
9) Girandol, der Edelstein, mag wohl den „oculus mundi" Weltauge
bedeuten.
X. 30
466 l^as spanisclie Drama.
ßath (consejo); ein Topas. Der vierte: Stärke (fortaleza): ein
Diamant. Der fünfte: Wissenschaft (ciencia): ein Sma-
ragd. Der sechste: Frömmigkeit (piedad): ein Hyacinth,
Der siebente: Saphir, worin die Furcht i) und Scheu vor Sünde
krystallisirt erscheint.
Aber so leichterdings besteigt Esposa nicht das himmli-
sche Brautlager. Peinvolle Prüfungen sind ihr vom göttlichen Bräu-
tigam auferlegt. Besorgniss (Cuidado) erhält Befehl, die Braut
nicht als Herrin von nun an, sondern mit grosser Strenge und
Härte zu behandeln. ^) „Mein Kreuzesleiden führe sie zu mir ;
sie erkenne, was Brod und Kreuz es pfähl bedeute.^) Statt
der Brautkleider, wird der Esposa ein härenes Gewand ange-
legt, ein Strick um den Leib gegürtet, eine ßussgeissel und Kreuz
ihr in die Hand gegeben. Knieend und jammernd vor dem
Kreuze, fragt sie, womit ihre Liebe diese Umwandelung verschul-
det, ^j Verfolgung (Persecucion) und Falschheit (Falsidad)
fallen sie an wie Furien, Verleumdung geifernd und ihren guten
Namen vergiftend. ^) Ach, stöhnt und ächzt die Jammerwürdige,
gestern Hochzeitsfeste und heute Tragödien ! ^) Das Jesuskind
tritt vor sie hin, barfuss mit einem Kreuz über die Schulter ge-
legt, und einem mit Goldblumen gestickten ßöcklein. '^) „Kommt,
ihr Müheseligen, ruft das göttliche Kind, und ruht in meinen
Armen aus!"^) Wie schmelzen nun in süsse Pein und Herzens-
schauer die Augen der Betrübten! „Bist Du es, mein Gatte?
0 Gott, ja, Du bist's! Doch wie denn so kleines Kind, mein
1) Y este zalir de T einer.
2) ßey. No como a esposa v sefiora . .
La trateis de aqui adelante,
Sino con rniicha aspereza.
3) Por rai er uz vaja ä buscarme:
Sepa del pan y del palo.
4) Esp. ^En que os ofendi ini amor?
5) Fals. La mala opinion, Esposa,
Pocos sahen resistir.
6) jAyer bodas y hoy tragedias!
7) Con tuniceja de rosas de oro.
8) Venid, los que estais cansados
Y en mis brazos descansad.
Lope's Frolinleichnamsspiel vom Brod und Kreuzesstamm, 467
himmlischer König? mein einzig Gut, mein Herr, mein Gemahl!
Lass Deine Füsse mich küssen! Jesus, meine Seele Du, ge-
liebte Braut." ^) Und als Kind kommt er, weil die Liebe ein
Kind, und das Kreuz viel Liebe verlange. 2) Esposa fleht um
sein Kreuz, dass sie es tragen mögeJ). Sie nimmt das Kreuz
und folgt ihm, „Dieses Kreuz, Esposa, musst Du erklimmen,
um zum Genüsse meines Brodes zu gelangen, denn ohne Kreuz
kein Brod." 4) Musik ertönt, das Lamm Gottes erscheint oben
auf dem Kreuze, Esposa klimmt bis zum Lamme hinauf und
kommt getreu der Weisung des Kind-Gemahles nach. Im Lamm
Gottes geniesst nun Braut Seele auch den Leib ihres Herrn.
„Iss, denn ich bin es selbst." „Durch Schmerz und Qual zur
Glorie, durch Tod zum Leben, durch Thränen zum Genuss."^)
Gutjahr und Freude gesellen sich wieder hinzu als Braut-
und Kreuzjungfern. Esposa, in ihrem Seelenjubel, schliesst
auch die zwei Furien, Falschheit und Verfolgung, an ihr
Herz. ^0
1) Esp. ^ßi es mi Esposo? jAy Dios!
[El es! -
Pues conio iiifio pequeno,
lUej mio? ;Mi bien, mi dueiio,
Mi Espöso, dadme esos pies!
Jesus. iAlma mia, Esposa amada!
2) Que es nino amor, y la cruz
Quiere, Esposa, muclio amor.
3) Mi bien, i]ii amor, la cruz deja:
Yo la Uevare.
4) Por este palo, mi Esposa,
Se ha de saber ä mi pan;
Porque sin cruz uo le dan.
5) Jesus. j(yome, Esposa, que yo soy!
Por pena y tormeiito, gloria;
Por muerte, vida! por Uanto
Gusto.
6) Esp. Agravios, envidias, eras,
Gastigos, tribulacioues
Bien vengais; dadme esos brazos.
30"*
468 I)as spanische Drama.
Selbst den Sündern soll vergeben,
Und die Hölle nicht mehr seyn!
Wie war es möglich, dass diese Eeligion der seligsten Kindes-
innigkeit, der himmlischsten Seelenliebe sich in eine Hölle auf
Erden verkehrte, bevölkert von Teufeln und Dämonen, von Je-
suiten und Dominikanern? Mit welchem Teufel ging es zu,
dass diese Legionen von Furien der „Falschheit" und „Ver-
folgung", diese Myriaden von Teufeln an Jesu und der Seele
heiliger Hochzeitfackel ihre höllischen Pechstöcke anzünden durf-
ten, um so viele Tausende von Scheiterhaufen, im Namen jenes
göttlichen Brautpaars, in Flammen zu setzen?
La Siega „Die Ernte", scenirt Matthäi Parabel vom Felde
mit gutem und schlechtem Weizen zum Auto sacram., das Götzen-
diener, Judenthum, Ketzer i) als Dornbündel und Unkraut in's
Feuer will geworfen wissen, wofern sie nicht des Herrn und
seiner Braut, der Kirche, Barmherzigkeit anflehen und sich be-
kehren. Alle kriechen zu Kreuz, nur der Hebraismo nicht;
dieser hartgesottenste aller Teufelsbraten erwartet seinen Messias
nach wie vor 2). In's Feuer mit dem unverbesserlichen Dorn-
bündel, in's ewige Feuer !^) Wenn nur der Dornbusch nicht,
wie Mosis seiner, unverbrennbar bleibt in der Flamme, und nicht
auch hier noch seinen Messias erwartet! Dass der spanische
Hebraismo der eigentliche un verbrennbare Spanier ist, das muss
ihm selbst die spanische Inquisition bezeugen. Der deutsche
Leser findet Lope's Frohnleichnamspiel „ D i e E r n t e " in D h o r n ' s
,^Spanischen Dramen'' Bd. L übersetzt und wird uns einer nähe-
ren Erörterung überheben. — Erwähnt mag noch Lope's Auto s.
El Pastor Lobo y cabana celestial werden: „Der Wolf
als Hirt und der himmlische Schafstall." Der Hirt- Wolf, der
Teufel (demonioX im Gegensatz zum Pastor Cord er o der „gute
Lämmerhirt", der ja identisch mit dem Lamm Gottes selber ist,
1) El Hebraismo, la Heresia, la seta, la Idolatria
2) Hebr. Que aguardo
El mesias prometido
3) Senor. jEchadle en el fuego eterno!
Hirt und Wolf in Einer Person. 459
geht aus, um des guten Hirten bestes Schaf zu rauben, i) Trotz
Wolf und Teufel in Einer Person, kommt es doch, wie die Para-
bel vom guten Hirten es längst vorhergesagt. Der gute Hirt
trägt das Schaf (cordera) auf den Schultern in seine himmlische
Hürde (cabaiia celestial) zurück. Er, beia'änzt mit Dornen, das
Schaf (die gerettete Seele), mit Rosen. Die Hürde des Pastor
Lobo geht in Flammen auf. Als Futter erhält das Schaf das
heilige Gottesbrod, bei dessen Anblick das Schaf aufjauchzt. 2)
Hirt- Wolf-Teufel knirscht vor Wuth; sein Rachen glüht wie die
Hölle, weniger nach dem Brod, als nach dem Schaf. Wenn mir
Gott doch nur den einzigen Gefallen thäte, dass ich mit diesen
Zähnen als Wolf und Bestie das Schaf dort zerreissen könnte. ^)
„Aber warte nur! Erwisch' ich Dich wieder, wirst Du zum letz-
ten Mal Weissbrod gegessen haben!'' Schaf. „Da kannst Du
lang' warten, denn ich bin schon Gottes Braut." ^)
1) Fast. Lobo.
Mas yo, que disfrazado
Me Hämo el Pastor Lobo,
Conio se llama Dios Pastor Cordero
Lo mejor del ganado:
De sus rediles robo
Sns cabanas atrevido y iiero.
2) (Jordera. Oh pan del cielo! Pan vivo!
(:,Es posible que en la tierra
Pan de angeles come el hombre?
Brod des Himmels, Lebensbrod!
Ist es möglich, dass auf Erden
Engelbrod der Mensch geniesst.
3) Lobo. Rabio, enfurezcome, muero . . .
Lifieriio soy de mi mismo.
jNo mi diera Dios licencia
Para que con estos dieiites
Como lobo y como fiera,
Deshiciera aquel cordera !
4) Lobo. Guardate, Alma, que si pecas
Y otra vez te vuelvo acä,
No bayas miedo que allä vuelvas!
Cordera. No bare, Lobo, que ya soy
Esposa de Dios.
470 I^^s spanische Drama.
Representacion moral del viage del Alma, i)
In Barcelona auf öffentlichem Markte fand die erste Vorstel-
lung dieses Auto sacram. mit Moralitäts-Charakter statt. Zuerst
treten drei Musiker vor, die zu ihren Instrumenten das geist-
liche Amt Christi und Einsetzung des Abendmahls als Messe
feiern. Hierauftritt ein den Prologo vorstellender Schauspie-
ler (Farsante) auf, der in 300 endecas. sueltas (Blankversen) einen
dürren katalogisirenden Bericht über Personen und Ereignisse
aus der heiligen Schrift von Erschaffung der Welt bis zu Christi
Erscheinung abstattet, von so skelettartiger Trockenheit ('des-
cornadisimo'), dass der Herausgeber, Pedroso, an dessen Stelle
lieber den Prolog zu einem gleichfalls im Teregrino' befindlichen,
nichtsacramentalen Auto von Lope: „Der verlorne Sohn"-), ein-
schiebt, und in nicht weniger reimlosen Elfsylbern die Fama,
die Ruhmbegier, als die Mutter aller in der Geschichte verzeich-
neten Grossthaten an Namen und Beispielen aus der römischen und
spanischen Geschichte nachweist, von Faustulus bis zum Herzog
von Alba, und die ganze Litanei Schriftsteller seit Menschenge-
denken als Zugabe — descornadisimo im Superlativisimo , ein
Beinhaus von Endecasillabos sueltos, das Pedroso gleichfalls dem
Peregrino und dem „verschwenderischen Sohn'' hätte überlassen
mögen. Dann kommen die drei Mus i cos wieder zum Vorschein,
und springen und singen, und tanzen und stürzen ihre Versfüsse
herunter, trochäisch, jambisch, durchweg ungereimt. ^) Zum üeber-
fluss streut der gelehrte Herausgeber diesen Myriaden an Vers-
füssen auch noch seine Kuckukseier als Noten unter die Beine,
und lässt die Myriadenfüssler einen unabsehbaren Kuckukseiertanz
ausführen. Ein Todtentanz von Endecasillabos descornadisimos
auf columnenhohen, noch knochendürrem Noten-Stelzen! End-
lich beginnt das eigentliche Spiel. Die Seele tritt in einem
1) „Sittliche Darstellung der Keise der Seele'*. Zuerst gedruckt in
Lope's oben berührten Eoman 'El Peregrino en su Patria'. Sevilla 1604.
Buch I. — 2) 'El Hijo prodigo' , im vierten Buche des Romans. Dieses
biblische Auto wurde in der Festung Perpinan durch einen Theil der
Besatzung aufgeführt.
3) Taiie canta, come y bebe,
Salta, corre, danza y baila.
Personificirte Intelligenzen. 47 ;[
weissen Gewände auf mit einem Rüpel (villano), der den Wil-
len (voluntad), und einem muntern Jüngling, der das Gedächt-
niss (Memoria) vorstellt. Die allegorischen Figuren in dieser
Art Spielen sind, wie die Engel, geschlechtlos. Beide Begleiter
der Seele bekunden sich sofort als guten und bösen Genius oder
Rathgeber, der eben auf dem gefährlichen Meer des menschli-
chen Lebens sich einzuschiffen im Begriffe stehenden Seele. ^)
Der gute Genius, Gedächtniss, führt der Seele zweierlei
Häfen, Ausfahrt und Landungsplatz, zu Gemüth: Wiege und
Grab, und das Meer, das Ein einziges Thränenmeer. 2) Der
schlimme Einbläser, Wille, wirft sich als der alleinige berufene
Führer auf, die Seele auf den ihr von Gott zugetheilten „freien
Willen^' verweisend, demzufolge sie thun und lassen könne, was
ihr gut dünkt. ^) Memoria weist sonach die Seele aus sich
und über sich hinaus; Wille auf ihr eigen Selbst zurück, den
Compass auf der Lebensschifffahrt: die Magnetnadel in der eignen
Brust, die Selbsteinsicht, das wissende, seines eignen Wesens und
des Wesens der Dinge innegewordene und begreifende Selbstbe-
wusstseyn. Memoria kündigt sich gleichfalls als ein Innewerden,
Eingedenkseyn, an, aber Eingedenkbleiben Gottes, als eines
immerdar über und ausser ihr waltenden Lenkers.^) Dass Beide,
Wille und Erinnerung oder Lmewerdung, so lange sie im Ge-
1) Alma. Ya es el tempo de embarcar
Porque es forzoso pasar —
El mar de la liumana vida
Que es un pelegroso mar.
2) Memoria, Y asi hay dos puertos ä entrar,
Y dos playas ä salir:
En uno has de embarcar;
Que del nacer al morir
Todo es Uanto y todo es mar.
3) Volunt. Id, Alma, como querias,
Pues que Dios os dio albedrio.
4) Mem. Mira, pues, Alma querida,
Que te avisa tu Memoria
Que hay bien y mal, pena y gloria
Acuerdate lo que debes
A Dios, para que no Ueves
Su Santo Camino errado.
472 Jöas spanische Draiiiii.
gensatz und Widerspruch gegen einander verharren, auf dem
Holzwege sind, und nur, sich gegenseitig durchdringend : der Ei-
genwille mit der Innewerdung Gottes und seines Willens zum
wahrhaft Freien Willen ; und der blosse Glaube an einen äusser-
lichen Gott und seine Gebote, als Gedächtnisskram, zum
wahrhaften Innewerden Gottes und mit dem gewollten Wissen
von Gott, mit dem aus freiem, Gott verinnerlichendem Vernunftden-
ken und Gott denkenwollen begriffenen Gotteswesen sich durchdrin-
gend. Von dieser Einheit und nur durch das Gottdenken eben
dialektisch vermittelten Einheit der beiden Gesellen der Seele,
Gedächtniss und Wille, hat das spanische Auto keine Vorstellung,
und hat auch für diese kein Gehirnorgan, ja im Gegentheil das
gerade Widerspiel zu einem solchen Organ: das Organ des dua-
listischen Parallelschemas, vermöge dessen Memoria und Vo-
luntad einfürallemal in ihrer einseitigen Gegensätzlichkeit verhar-
ren und sich arg in den Haaren liegen. Weist doch 'Voluntad'
dem Widerpart, 'Memoria', wirklich eine besondere untergeord-
nete Stelle im Gehirn, im „hintern Theil" desselben an, dicht
beim Rückenmark.^) Merkwürdig genug! eine Stelle, die ihm
gerade, dem Willen, von der neueren Physiologie zugewiesen
wird. Memoria trumpft ihn ab, indem sie als seinen, des
Willens, Sitz den Schlund bezeichnet, insofern doch sein We-
sen in steter Begierde und Appetit besteht. 2) Wogegen Wille
seinen Widersacher mit einem Schopenhauer's Philosophie antici-
pirenden Schlag aufs Maul ad absurdum führt. „Mein Wille" —
retorquirt er — leitet seinen Ursprung aus einem vernünftigen Grunde
ab: In Willen und Int eile et besteht des Menschen Vollkom-
menheit und Aehnlichkeit mit Gott. ^) Viel näher hat die Ge-
gensätze auch Schopenhauer nicht gebracht. Schon sein Auf-
1) Vol. Allä en la postrema parte
Del celebro se reparte
Junto ä la espinal medula.
2) Mem. Y ho apetito en la gula,
Para que nunca se harte.
3) Vol. No me hagais irracional;
Que mi voluntad deriva
De la parte racional,
En Voluntad y intelecto.
Demonio als SchiflFshaiiptmaiiii. 473
stellen als starre Gegensätze, spricht diese Philosophie mehr dem
spanischen Parallelismus, als dem dialektischen Denken zu, in
welches die „Philosophie des ünbewussten", wie sich uns darge-
than, jene Gegensätze nicht durch eine Cerebral- sondern Spino-
dorsal- Wirkung, nicht durch eine Gehirnreflexion, sondern durch
eine infolge von Zucken und Jucken erregte ßeflexwirkung des
Rückenmarks - hineinnies't i), oder wie Lope's Rüpel, „Wille"
sich ausdrückt: „Alla en la postrema parte, Del cerebro se re-
parte Junto ä la espinal medula."
Demonio, der Teufel, erscheint in Gestalt eines Schiffs-
hauptmanns in schwarzem, flammengoldig durchwirktem Kleide,
„das Mäntelchen von starrer Seide", mit seinem Matrosen- und
Schiffsgefolge: „Eigenliebe, Essgier und ähnlichem Gelich-
ter", worunter der Trug. '^) Auf die Frage, wohin er segle: „In
die neue Welt" 3), giebt Teufel-Schiffspatron Bescheid, steure er
mit seinem famosen prächtigen Schiff, das den Namen „Lust"
führt. ^; „Was für neue Welt?" erkundigt sich angelegentlich Wille;
ob die von Columbus entdeckte, von Cortes, Magellan; ob die
Welt, wo die Caraiben gebratene Menschen fressen^), deren
Stellvertreter dann, die Spanier, als Satans Hofköche, die Men-
schen für seine höllische Tafel brieten. Demonio schmunzelt,
und entwirft von dem Schlaraffenland, wohin er segelt, ein ver-
führerisches Stillleben, dass Willen das Wasser in den Zähnen
zusammenläuft.^) Gedächtniss '), der treue Eckhard warnt
Es el hombre mas perfecto
Y semejanza de Dios.
l) IX. S. 311. Aiim. 2. — 2) Entro a esta sazon El Demonio en
forma de marinero todo el vestido de tela de ora negrobordado de Ilamas ;
y con el como grumetes. El Amor Propio, El Apetito y otros vicios,
entre ellos El Engano.
3) Dem. Alma, aquesta nave mia
AI nuevo mundo la levo.
4) Mi nave famosa y bella
La del Deleite se Uama.
5) — donde el caraibe fiero
Come los hombres asados?
6) Vol. — ya me inclino ä vos
7) Das altdeutsche 'Minna', bedeutet Erinnerung und Liebe
{/Livr}fj.ri)', Vgl. J. Grimm, Kl. Schriften. IL S. 318.
474 I^as spanische Drama.
Seele, verfällt aber selbst in einen tiefen Schlaf, in den sie des
Seeteufels Schiffsjungen, Appetit, Eigenliebe und Trug, so
lieblich und zauberisch singen, wie Mephisto's Jungen Faust's
Seele mit üppigen Traumbildern umwehen. Nun hat Teufel
und Wille freies Spiel. Vom mahnenden, schlummerversunkenen
Gedächtniss verlassen, vom Teufel und Willen zum Einstei-
gen in das Lustschiff zur Lustfahrt nach dem Eldorado aller Lüste
und Genüsse eingeladen, geht die Seele unter lockenden, von Ap-
petit, Eigenliebe und Trug angestimmten Gesängen i) an Bord.
Erinnerung (Memoria) schläft und schläft, aber nicht
biblischen Schlaf, bei dem das Herz wacht (Ego quidem dormio,
sed cor meum vigilat); sondern den gesunden Lethe-Schlaf, den
Schlaf der Philosophie des ünbewussten. Darüber erscheint der
im spanischen Auto übelberüchtigte Verstand (Entendiraiento)
von Ansehen eines ehrwürdigen Greises 2), und wundert sich des
Todes, dass Seele ohne ihn eine Seefahrt unternimmt 3) , und
weiss nicht was er von Memoria denken soll, die daliegt schla-
fend wie eine Ratte oder Murmelthier, und schnarchend wie ein
1) Apetito. Amor proprio, Engafio:
Esta es nave donde cabe
Todo contento y placer.
Esta es nave de alegria
Que va ä las Islas de Oro,
Donde es el gasto el tesoro
Que has de cargar, alma mia;
Porque hasta el ultimo dia
No hay tempestad que temer:
Esta es nave donde cabe
Todo contento placer etc.
2) en forma de un viejo venerable.
3) Entend. iCosa que el alma se vaya
Sin SU amado entendimiento! . .
Alma amiga, alma querida.
^ Donde caminas sin mi?
Mas ^Quien esta aqui? jAy de mi,
Que es la Memoria dormida!
Kecuerda, recuerda ya,
Del Alma dormida vela.
Das Schiff ^Poenitenz\ 475
Wallross. „Erwache!" — ruft Verstand — „erwache, schlafende
Wächterin der Seele!" Wachgerüttelt, reibt sich Memoria den
Sandmann aus den Augen, und sagt gähnend: „Gut, dass Ihr
da seyd, Alter! Denn bleibt Ihr zurück, so ist ihr, der Seele,
Verderben gewiss." i) Ein überraschendes Zugeständniss an den
Verstand in einem spanischen Auto sacram., wüsste man nicht,
was es mit dem Auto-Verstand auf sich hat, dessen Vetterschaft
der logische Verstand sich verbittet. Um Verstandes Stimme,
der vom Ufer aus der dahinsegelnden Alma zuruft, zu über-
täuben, veranstaltet De monio mit seinem Schiffsvolk einen Schiffs-
arbeit und Getümmel nachahmenden Höllenlärm, so dass Ver-
stand sein eigenes Wort nicht hört 2); und was Alma davon
auffängt, das macht ihr Seereisemarschall, Wille, zunichte.
Verstand hat das Nachsehen, und das ihm vom Schiff zurück-
hallende Echo seiner Warnungen schlägt an sein Ohr als Hohn
und Spott, als Unverstand, dessen tauben Ohren er in der Was-
serwüste predigt. „Essen, Trinken, Schlafen und Liebesgenuss",
darin allein liegt für die verstand- und erinnerungslöse, vom
blossen Willen beherrschte und inspirirte Seele, Sinn und
Verstand.^) Und wie denn — höhnt Wille — wie umkehren,
selbst wenn wir möchten? Auf welchem Fahrzeug? „Das Schiff
„Pönitenz" nimmt Euch auf", schreit ihm Verstand zu 4)
durch die hohle Hand. „Pönitenz?" lacht sich Wille den Bauch
voll. „Dass Dich die Pestilenz! Ein eigenes Seeschiff, Deine
„Pönitenz!" Und was für Vorrath hat die „Pönitenz" am Bord,
1)
Mem.
Cuando vos otras quedais,
Su (del Alma) perdicion es notoria.
2)
Ent.
De oir se ofende
Mis voces.
3)
Ent.
^Donde vas?
Alm.
Extrano eres.
Voy con quien me adora y ama .
Volunt. — — — — — —
Hay que brindar y comer,
Que dormir y gozar.
4) Vol. ^Pues donde nos llevareis?
Ent. En la nave entrar podeis
De la Penitencia.
476 1^3'S spanische Drama.
he?" Verstand: „Thränen, Fasten und Pein." „Köstlicher Schiffs-
zwieback in faulem Thränenwasser aufgeweicht! Mach, dass Du
fortkommst! Fall uns nicht beschwerlich auf unserer Fahrt zur
Schlampampeninsel, alter Einfaltspinsel !" ') Nun wissen auch wir,
welchen Geistes Kind Verstand ist. Zwar kein Einfaltspinsel
— im Gegentheil, ein echtes Auto-Kirchenlicht!
Jetzt geht ein Vorhang auf. Man erblickt Schiff „Lust-
barkeit" (Deleite) mit vergoldetem Hintertheil und über und
über bemalt mit Lästergeschichten aus der heiligen und profanen
Historie. Auf dem Deck zeigen sich viele Damen und 6 a-
lane zechend und schmausend, und um die Tische herum Pos-
senreisser undMusici. Die sieben Todsünden haben an
den Schiffsborden Stellung genommen. Im Mastkorb wiegt sich
der Hochmuth in Matrosenanzug. Tafelmusik und Gesang er-
schallt.-) Verstand streckt sehnsuchtsvoll die Arme der in
Tafelfreude schwelgenden Seele entgegen. 3) Segelschläge wie
von einem sich nähernden Schiffe, werden vernommen. Es ist
das Schiff „Penitencia", von dieser selbst befehligt mit einem
zum obigen, vom Teufel commandirten, parallelen Manöver. ^) Mit
1) Vol. iBueno!
^A un cuerpo contento y Ueno
Esa dieta le poneis? . . .
^Que hay en esa nave? <iA ver?
Eilt. Lagrimas, ayuno, peiia.
Vol. Mos, viejo, en hora btiena.
^Caminar y no comer?
2) jHola, quo me lleva la ola!
IFola que me lleva la mar.
„Holla! schaukle mich, o Woge! '
Holla! Trage mich, o Meer."
3) Alma hermosa, alina querida
^Como me quieres dejar?
„Schöne und geliebte Seele
Wie kannst Du mich so verlassen?"
4) Demonio (Dentro).
jOh Luzbel!
Todos (Dentro).
jAh!
Christus, Capitän des Schiffes Toenitenz*. 477
dem letzten Matrosenruf von innen: „Land! Land!" verschwin-
det die ganze Mannschaft im Teufelsschiff bis auf Seele und
Willen. Am Ufer weilen noch Memoria und Verstand.
Christus erscheint als Capitän des Schiffs 'Penitencia' mit
Engeln als seinen Matrosen. Cristo lässt die Seele zur
Busse auffordern, seinen Leib und seine Blutessenz als
Schiffsproviant in Aussicht stellen, i) Seele bereut und gelobt
Busse: „Lebe wohl, weltliche Lust; denn zu Gott kehrt mein
freier Wille zurück!" 2) Das Schiff 'Penitencia' löst sich ganz
und gar in ein die Leidensgeschichte Jesu vorstellendes Tableau
auf, wobei sich die Bestandstücke des Schiffes in Christi Passions-
symbole, Kreuz und Marterwerkzeuge verändern. Der Spiegel
stellt das Grab Christi vor, an welchem die heilige Madalena
kniet, der Papst lenkt das Steuerruder u. s. w. So segelt das
Schiff mit Alma, Voluntad, Memoria, Entendimiento, Engeln und
St. Peter nach dem „himmlischen Zion."^)
Dem. (Dentro).
iOh soberbia!
Tod OS (Dentro).
jAh! etc.
Penitencia (Dentro).
{Dies Padre!
Todos (Dentro).
iAh!
Pen it. (Dentre).
jSu hijo eterno!
Todos (Dentro).
jAh! etc.
1) Donde es mi cuerpo y esencia
Divino matalotaje.
2) jAdios, mundano placer,
Que ä Dios vuelve mi albedrio.
3) H. V. Sc hack ordnet Lope de Vega's Dramengruppen in zweck-
mässiger und überschaulicber Weise nach dem Charakter der behandelten
Stoffe.*) Die erste Gruppe umfasst die Stücke aus der spanischen Ge-
schichte und Sage. Die Menge und Mannigfaltigkeit seiner DarsteHun-
gen auf diesem Gebiete ist so gross, dass sich selbst aus dem noch vor-
handenen eine beinahe voUständige Gallerie aller erheblichen Bilder aus
*) IL S. 267 ff.
478 ^^s spanische Drama.
der spanischen Geschichte zusammenstellen Hesse. Wir haben — um die
ganze Strecke nur nach einigen Hauptstationen zu durchmessen — in
La amistad pagada die Kämpfe der alten Cantabrer gegen die rö-
mische Uebermacht; in
El Eey Wamba*) die anarchischen Bewegungen des schon den Ein-
sturz drohenden Gothenreichs ; in
El ultimo Godo de Espana den Verrath des Grafen Julian, den
Untergang des Eodrigo und den Sieg der mohamedanischen Waifen; in
El primer Rey de Castilla dann die ersten Triumphe der wieder
erstarkenden christlichen Monarchie ; in
Las almenas de Toro die Streitigkeiten zwischen Sancho dem
Starken und seinen Schwestern Urraca und Elvira, seine Ermordung durch
Bellido Dolfos, und als Fahnenträger des castilianischen Ruhmes den
Cid; in
El sol parado die glorreichen Kriegsfahrten Ferdinands des Hei-
ligen; in
Lo Cierto por el Dudoso**) die ersten Keime zu jenen Zwistig-
keiten zwischen Peter dem Grausamen und Heinrich von Trastamare; in
Los Ramirez de Arellano den furchtbaren Brudermord auf dem
Felde Montiel; in
El milagro por los Zelos die Zeit Johanns IL in einem ihrer
denkwürdigsten Ereignisse, dem Sturz des Alvaro de Luna; in
El piadoso Aragones die Geschichte des unglücklichen, obgleich
keineswegs schuldlosen Karl von Viana, seiner zweimaligen Empörung
gegen den Vater, seiner Gefangenschaft und endlich seines tragischen To-
des, durch welchen Ferdinand (der Katholische) Thronerbe von Aragon
ward; in
El cerco de Santa Fe***) den glorreichen Kampf , der den letzten
maurischen Thron auf der Halbinsel stürzte; in
La Victoria de Santa Cruz endlich eine Kriegsthat, an welcher
der Dichter selbst als Jüngling Theil genommen hatte.
Aus Lope's vaterländisch historischen Stücken hebt Herr v. Schack
zunächst diejenigen hervor, welche Ereignisse ,,aus den Zeiten des ersten
Wiederauflebens der spanischen christlichen Reiche" dramatisiren : ,,Alle
diese Gemälde z. B. in Los Prados de Leon, Los Tellos de Me-
nesest), Los Benavidesft) ^^^ vielen Anderen, sind von einer Ju-
gendfrische und Kraft, dass ein unbefangener — Sinn sich ihnen unmög-
lich versagen kann . . . Die ganze Anmuth, der ganze Zauber der ächten
Pastoralpoesie ist hier mit dem gewichtigen Ernst der Heldendichtung
*) s. unsere Analye S. 1 ff. Vgl. Ticknor IL p. 56511'. Deutsche Uebers.,
wo auch die Stücke in den Ausgaben genau angegeben sind. — **) Ana-
lyse S. 381 ff.. — ***) Analyse S. 250 ff. - f) Analyse S. 140 ff — ft) Ana-
lyse S. 97 ff.
V. Schack's Classification der Lope'schen Dramen. 479
verschmolzen. Keiner hat so, wie Lope, den tüchtigen Kern der spani-
schen Nation geschildert, ihren einfachen, demuthsvoll dem Himmel zu-
gewandten Sinn, ihre Genügsamkeit, ihren vom Gefühl eines freien Da-
seyns gehobenen Muth, ihre Entschlossenheit, zur Vertheidigung ihres
Glaubens jeden Augenblick Gut und Blut zu lassen. Dabei durchdringen
sich Stoff und Form seiner Darstellungen aufs innigste; es herrscht in
dieser eine Enthaltsamkeit in der Färbung, eine Natürlichkeit und schlichte
Unbefangenheit, wie man sie sonst nur in Producten der Volkspoesie
findet . . . Mit wie indivuellem Leben sind selbst die Nebenfiguren aus-
gestattet . . . Ganz hiermit harmonirt auch die wilde, abgerissene Dar-
stellung . . . Wie charakteristisch der Ton der Andacht, der, wie eine
Hymne durch den Sturm, durch das Kampfgetöse dieser gewaltigen Dich-
tungen erschallt! Endlich, überblicken wir das Ganze der Handlung,
welch ein unaufhaltsamer Gang, wie viel Leben und Eegsamkeit in allen
Theilen! Welche Hlusion der Wirklichkeit, die uns mitten in das be-
wegteste Leben hineinreisst, in diesen vorüberfliehenden Gruppen, diesen
sich vor uns aufrollenden Kriegsscenen , in deren Schlachtgetümmel man
sich versetzt glaubt!''*)
Der ausgezeichnete Darsteller geht nun auf einzelne Schauspiele der
vaterlandsgeschichtlichen Reihe über, von welchen ein kurzer, den Vor-
gang in leichten Umrissen skizzirender Inhaltsauszug mitgetheilt wird.
Um eine Uebersicht verschiedener von uns nicht zur Analyse gebrach-
ten Dramen des Lope de Vega zu geben, wollen wir eine Skizze einiger
dieser trefflichen Auszugsskizzen unsern Lesern entwerfen.
El Conde Fernan Gonzales. Ein Eremit weissagt dem auf der
Jagd verirrten Grafen Gonzales die künftigen Siege. Gonzales erhält die
Nachricht von einem Einfalle der Mohren, Schilderung des Verheerungs-
zugs der Feinde in den folgenden Scenen. Des Conde ruhmreicher Sieg,
am Schlüsse des ersten Acts durch festliche Spiele der Landsleute ge-
feiert. Der zweite Act schildert die unsern Lesern aus dem epischen Ge-
dicht**) bekannte, durch die Königin aus Rache wegen ihres von Gonzales
im Zweikampf getödteten Bruders, des Königs von Navarra, arglistig be-
werkstelligte Gefangenschaft und Befreiung aus derselben durch den In-
fanten von Navarra. Während der Haft des Grafen besiegen die ihres
Feldherrn beraubten Castilianer die Feinde, begeistert von dem lebens-
grossen, dem Heere vorangetragenen Bildnisse des Conde. Im dritten Act
geräth Conde Fernan in Leon mit dem Könige in Streit, wird als Auf-
rührer in den Kerker geworfen, woraus ihn abermals seine Gemahlin, das
Muster ehelicher Treue, befreit, indem sie mit ihm die Kleider wechselt
*) Sollte auch auf dem Prüfstein unserer Analysen nicht jeder dieser
Charakterstriche probehaltig erscheinen, so wird sich unser Leser doch
immerhin- an dem Glanz und der Schwunghaftigkeit ihres Auftrags er-
freuen. - **) Gesch. d. Dram. VIII. S. 441 f.
480 ^^^ spanische Drama.
und an seiner Stelle zurückbleibt. Der dritte Act behandelt ferner die
Losreissung Castiliens von Leon durch Gonzales, den Besieger seines Lehns-
herrn, des Königs von Leon, der den zu einer unerschwinglichen Summe
angewachsenen Kaufpreis für ein arabisches Pferd, das der König vom
Conde mit der Verpflichtung erstanden hatte, für jeden Tag nach dem
nicht eingehaltenen Zahlungstermine das Doppelte der Kaufsumme zu ent-
richten, nun mit dem Königreich Castilien dem Conde Fernan Gonzales
zahlen und ihn, dank seinem siegreichen Arm, seinem treuen Weibe,
und dank dem arabischen, den königlichen Lehnsherrn zahlungsunfähig
stellenden ßosse, der Lehns- und Vasallenpflicht entbinden und als
selbständigen Beherrscher Castiliens anerkennen musste. Ein durch und
durch epischer ßomanzenstolf, ohne Widerrede, dessen dramatische Be-
wältigung selbst einem Genie wie Lope's widerstrebt, was freilich nur aus
einer Analyse des Stückes, nicht aus einer noch so anschaulichen Inhalts-
skizze, geschweige aus einer cpitomirten Skizze erhellen kann. Der In-
haltsauszug eines Drama's gleicht dem Schuh des Theraraenes: er passt
auf alle Füsse, auf die der Novelle, der Romanze, der Comedia und des
Heldengedichtes. Der Inhaitsauszug giebt immer nur den Erzählungs-
stoff des Novellistischen im Drama. Das Drama selbst, worin ja eben das
Novellenhafte verschwinden soll — das Drama verschwindet umgekehrt im
Inhaltsauszug und verküjnmert zur Lemuren-Larve eines Novellengerippes.
Den Romanzen, die des Bernardo del Carpio Heldenthaten feiern,
entnahm Lope de Vega ein Ereigniss aus den Flegeljahren des könig-
lichen Bastard-Knaben-ßecken, und dramatisirte dasselbe, mit Beziehung
auf die beim Regierungsantritt von König Philipp IIL für Spanien glück-
lich beendigten Kriege gegen Frankreich, in dem historischen Schauspiel:
El casamiento en la muerte „Die Vermählung im Tode''.
üebereinstimmend mit dem Romaucero erzählt die Chronica
general, dass Conde de Saldana, gen. Sancho Diaz, mit Ximene,
der von ihm verführten Schwester König Alfonso's des Keuschen*),
den Bernardo gezeugt, del Carpio nach dem vom jungen Recken er-
oberten Schlosse genannt. Alfonso der Keusche, König von Leon, Hess
die Schwester, Ximene, in ein Kloster, den Verführer, Conde Saldana,
in die Veste Luna einsperren. Die Freilassung seines Vaters und dessen
eheliche Verbindung mit seiner Mutter, Ximene, bemühte sich Bernardo,
von seinem Grossvater, dem Könige, durch ausserordentliche Heldentha-
ten, behufs Aechtigung seiner Geburt, zu erlangen, wurde aber vom Kö-
nige mit blossen Versprechungen hingehalten, bis ihn der junge Enkelheld
auf der Jagd aus den Tatzen eines Bären befreite. Nun erst willigte
König Alfonso der Keusche in die Freilassung des Sancho Diaz. Zu
spät. Bernardo's Vater war schon den Abend vorher im Kerker verschie-
den. Bernardo entreisst die Mutter dem Kloster, legt ihre Hand in die
*) Gesch. d. Drani. VIII. a. a. 0.
Lope's Bernardo del Carpio. 481
der Vater-Leiche, vollzieht die Vermählung und mit dieser seine Aech-
tigung.
Die Heldenstreiche des jungen Recken schildert der erste Act. Er
zwingt, an der Spitze der aufrührerischen Barone von Leon, den König, sei-
nen Grossvater, zum Widerruf des Karl dem Grossen geleisteten Verspre-
chens, dem Frankenkönige einen Theil seines Landes für dessen gegen die
Mauren dem Könige von Leon gewährte Erud erhülfe abzutreten, und er-
scheint selbst am Hofe Karls des Grossen im Saal vor dem von seinen
Paladinen umringten Kaiser, um diesem die Aufhebung des Vertrags
ohne Umstände anzukündigen. Staunen und Entrüstung unter den Pala-
dinen. Nur Roland freut sich, in dem zwischen Spanien und Frankreich
nun entbrannten -Kampfe sich mit seinem iberischen Parallelhelden bald
messen zu können. Der zweite Act feiert die Schlacht von Ronceval
und Bernardo's Sieg über Roland, den er selbst erlegt, nach spani-
scher Mythe, die für ihren Kopf einen von ihr erfundenen spanischen Ro-
land dem fränkischen entgegenstellt. Sollte doch, einer Sage zufolge,
Bernardo del Carpio der Sohn einer Schwester von Kaiser Karl dem Grossen
seyn, welche, auf einer Pilgerfahrt zum heiligen Jago nach ComposteUa,
vom Conde de Saldana in seinem Schlosse beherbergt, und zur Erin-
nerung an die Gastfreundschaft den Bernardo-Kleinroland, als des Conde
Miniatur bild , auf oder unter dem Herzen nach Prankreich eingeschmug-
gelt habe. Den dritten Act schliesst die schon mitgetheilte Vermählung
der Mutter mit der Leiche des Vaters.
Vielleicht ist von der ganzen vaterländischen Ruhmesherrlichkeit des
Bernardo del Carpio nichts von Bestand und historischer Thatsächlichkeit,
als das historische Drama des Lope de Vega Carpio, eines seiner patrio-
tisch begeistertesten Romancero-Stücke , das, abbildlich und parallel mit
seinem StoiFinhalt, eine der Kloster-Chronik entrissene Fabel mit der ge-
bornen Leiche eines der Karlsage nachgebildeten Romanzenheldens ver-
mählt.
Las doncellas de Simancas „Die Jungfrauen von Simancas'S
feiert die Heldenthat asturischer Jungfrauen, die, als Jahrestribut, vom
asturischen König, Manregato, an den Chalifen von Cordova ausgelie-
fert werden sollen, sich aber selbst verstümmeln, und, mit Berufung auf
den Tributsvertrag, wonach nur unversehrte und an allen Gliedern ge-
sunde Christenmädchen dem Chalifen zugesendet werden dürfen, gegen
ihre Auslieferung sich verwahren. Die heroische Selbstverstümmelung be-
wirkt einen Aufstand der Bevölkerung von Simancas, die unter Anführung
des Verlobten einer der heldenmüthigen, vom Sohne des Chalifen ebenfalls
geliebten Jungfrauen, vom asturischen König Manregato die Aufhebung
des schmachvollen Tributes mit bewaifneter Hand erstürmt.
El Principe despenado „Der vom Felsen gestürzte Fürst*' ist
Don Sancho, nach seiner Brüder Tod, durch die Ränke des Don Mar-
tin de Guevara, zum Könige von Navarra erwählt, mit üebergehung
X. 31
482 I)as spanische Draraa.
des noch im Mutterleibe befindlichen rechtmässigen Thronerben, dessen
Ansprüche Don Martins Bruder, Ramon de Guevara, erfolglos vertritt.
Die schwangere Königin El vir a flüchtet in eine Gebirgsgegend, wo sie
ihres Schmerzenreichs geneset, den ein Diener der Gemahlin des Don Mar-
tin de Guevara in ihr nahe gelegenes Schloss bringt. Die edle Dame
Dona Bianca nimmt den Knaben auf, ohne dessen Abstammung zu
ahnen. Zum Tauffest erscheint der eben im Gebirgswalde jagende König
Sancho, verliebt sich in Don Martinas, von dessen Gnaden er König ist,
schöne Gemahlin Bianca, schickt den Gatten in den Krieg, angeblich
gegen Eamon, der mit einem französischen Hülfsheer heranzieht, und
vergewaltigt während dessen Abwesenheit die Schlossdame Bianca. Don
Martin findet ,bei seiner Rückkehr die Zimmer in seinem Schloss mit
schwarzem Tuche überzogen. Die Gemahlin in tiefer Trauer setzt ihn von
ihrer und seiner Schande in Kenntniss, reisst ihm den Dolch aus dem
Gürtel um sich zu ermorden, fällt aber vor dem Stoss in Ohnmacht. Don
Martin trifft mit seinem als Eremit im Gebirge lebenden, in Thierfelle
gekleideten Bruder, Ramon, zusammen. Nachdem sich die Brüder er-
kannt und Don Ramon die Entehrung der Schwägerin durch den König
von seinem Bruder erfahren, verabreden sie, dass Ramon den König auf
einen Felsen locken, und Martin ihn in den Abgrund stürzen soll. Auf
diese Weise wird König Sancho der Titelheld des Stückes, und sein
Neffe, den Don Martin hatte aussetzen lassen, und der von seiner im
Gebirge umherschweifenden Mutter, der Königin Elvira, gefunden und
als fremdes Kind, dem Parallelismus zuliebe, erzogen worden, zum recht-
mässigen König ausgerufen, nachdem Alles und Jedes hergebrachtermassen
sich aufgeklärt hat.
Hieran schliessen sich bei Herrn v. Schack „die Schauspiele, deren
Handlung in das spätere Mittelalter verlegt ist" . . . „Wir erhalten
ein furchtbar klares Bild von der Anarchie der mittleren Jahrhunderte."
Diesem Cyklus reiht der berühmte Verfasser der Gesch. der dram. Lit.
und Kunst in Spanien ein: La Campana de Aragon*) „eine energi-
*) „Die Glocke von Aragon", welche Glockenform nämlich die über-
einandergeschichteten Köpfe der amutarischen Granden bilden, über
deren Häupter-Glocke der Barfüsser-König von Aragon, Don Ramirof),
mit dem Scepter in der einen, mit dem Schwert in der andern Hand und
zu seinen Füssen eine Erdkugel, dasitzt, als eigenthümlicher „Glöckner"
von Aragon, der mit Vasallenköpfen seinen Regierungsantritt ausläutet
und seine oberherrliche Gewalt:
Ramiro. — aquesta es la campana
Que se oirä por todo el mundo.
Y vosotros, descendientes
t) Gesch. d. Dr. VIII. S. 451.
Lope's Dramen nach mittelalterlichen Historien 483
sehe Schilderung der Kämpfe zwischen den Aragonischen Grossen und der
königlichen Macht.
La inocente Sangre „Das unschuldige Blut" der beiden Ritter
Caravajales nämlich, die von einem rachsüchtigen Nebenbuhler fälsch-
lich der Ermordung des Günstlings von König Fernando IV. angeklagt,
auf Befehl des Königs von einem Felsen gestürzt werden. Vor dem
Sturze laden die Unschuldigen den König vor Gottes Gericht binnen
dreissig Tagen, woher diesem Könige von Castilien und Leon der Bei-
name 'El Emplazado' „der Vorgeladene" blieb.*)
La Judia de Toledo, die auf unsere Analyse (S. 276 ff.) verweist.
Los Novios deHornachuelos „schildern die Demüthigung, welche
einem hochfahrenden Ricohombre von Estremadura durch König Enrique
III. zu Theil wird.*'**;
Peribanez y el Comendador de Ocana, Los Comendadores
de Cordoba und Fuente-Ovejuna ,,sind drei dem Inhalte nach mit
einander verwandte Dramen, insofern alle drei die Tyrannei und die Aus-
schweifungen von Comthuren der militärischen Orden zum Gegenstande
haben. In dem ersten stellt der Comthur de Ocafia der schönen Gat-
tin des Bauern Peribanez nach, und wird von diesem mit dem Schwerte
durchbohrt, das ihm der Comthur selbst für den Kriegszug gegen die
Moren umgegürtet hatte, der dem Comthur freies Feld lassen sollte zu sei-
nem Kriegszage gegen die schöne Bäuerin. König Enrique III. billigt
die That des Bauern und ernennt den Peribanez zum Hauptmann der
aus dem Gebiete des von ihm getödteten Comthurs ausgehobenen Mann-
schaft.
Fuente Ovejuna gehört zum Cyklus der das katholische Königs-
paar, Fernando und Isabella feiernden Dramen von Lope. Eine treff-
liche Uebersetzung findet sich in Herrn v. Schack's „Spanisches Thea-
Destos que veis degoUados
' A vuestros ojos presentes
Quedareis escarmentados
De ser al Rey obedientes.
Temblad, temblad . . .
*) Gesch. d. Dram. VIII. S. 497.
Don Juan (Caravajal).
Digo que pues inocente
Muero, al Rey Fernando emplazo
Para el tribunal de Dios.
Wir bedauern, uns nicht näher mit dieser historischen Tragödie des Lope
beschäftigen zu können, die zu seinen motivreichsten und pathetisch be-
wegtesten zählt. In menschücher Erwägung der Schranken von Zeit und
Raum, wird uns kein Leser vor seinen kritischen Richterstuhl derowegen
laden. — **) Gesch. d. Dram. VIII. S. 651 Anm.***). (Bibl. de Aut. Esp.
Obras de Lop. d. V. t. III. p. 387—402.)
31*
484 I^as spanische Drama.
ter" (Bd. 11. S. 17—156). Diese Dramen-Reihe umfasst das Schauspiel:
El mejor mozo de Espana „die romantische Geschichte von Fernando's
von Aragon Brautfahrt nach Valladolid. " In ^ElhidalgoAbencerrage'
sehen wir die hinsterbende, aber zum Scheiden noch einmal hell auf-
strahlende Glorie von Granada. In *La embidiadelanobliza' den Un-
tergang des edlen Abencerragen durch die verrätherische Zegris; in 'El
cerco de Santa Fe' — was unser Leser aus der Analyse dieses Stückes
weiss (s. oben S. 250 ff.). Ferner: 'El nuevo mundo descubierto. Für
unsern Leser der betreffenden Analyse keine mehr fremde oder unent-
deckte Welt (s. S. 54 ff.).
„Die Thaten und Begebenheiten Karls V. haben wir in Carlos V.
en Francia und La mayor desgracia del Emperador Carlos
(der verunglückte Zug nach Algier). Arauco domado „schildert die
Bezwingung der durch Ercilla's Epos so berühmt gewordenen tapfern Völ-
kerschaft im südlichen Chili.'**)
*) Der Held ist Don Garcia de Mendo9a, ein Gideon, der den
wilden araucanischen Häuptling, Caupolican, durch kriegerische Gott-
seligkeit besiegt, was Garcia Hurtado de Mendo9a selbst ankündigt:
Dos cosas en Chile espero
Que de su gran piedad me de . . .
La primera es ensanchar
La Fe de Dios; la segunda
reduzir y sujetar
de Carlos a la coyunda
esta tierra y este mar —
Im Gegensatz zu dieser demuthvoUen Gottergebenheit des katholischen
Heerführers wirft sich der araucanische Häuptling in zügelloser Verwe-
genheit als Gott auf:
Caupolican. No ay poder que me assumbre,
Yo soy el Dios de Arauco, no soy hombre.
Dem entspricht der wilde Schlachtgesang der Araucaner, der in den Na-
men des Häuptlings als Rundreim aushallt:
üna voz. Pues tantas victorias goza
de Valdivia, y Villagran.
T 0 d 0 s. Caupolican.
Solo. Tambien vencera al Mendo^a
Y ä los que con el estan
Todos. Caupolican. etc.
Er führt aber — dem Gott Caupolican sey's geklagt! — seine Rolle
nicht durch, sondern fällt von seiner Selbstgottheit schmählich ab, und jam-
mert in Banden vor Don Garcia de Mendo^a, dass er angestiftet worden
von den Seinigen:
que ä todo acudi for9ado.
Lope's Dramen aus Stoffen aus der Geschichte seiner Zeit. 485
„Noch spätere, in Lope's eigene Lebzeiten fallende Begebenheiten
sind behandelt in La santa Liga." Darstellung des Kriegszugs wider
und kriecht zuletzt buchstäblich zu Kreuz, indem er um's Himmels Christi
willen nach der Taufe verlangt; und nicht nur zu Kreuz: Der Selbstgott
Caupolican kriecht auf's Kreuz, worin er am Schluss angenagelt er-
scheint, zum Gott der Christen betend und seine Sünden bereuend:
Pero dizen que estando arrepentido
Deuo creer que en este dia he nacido,
Perdonadme, Seiior, si me detengo.
In dem Stück tritt auch der Dichter des bedeutendsten spanischen Epos,
Don Alonso Ercilla, auf, dessen Heldengedicht La Araucana*) die
*) Alonso de Ercilla y ^^niga wurde 1553 in Madrid geboren, als
einer der Pagen des Infanten, nachmaligen Königs Philipp IL am Hofe
Karls V. erzogen. Ercilla begleitete den Infanten 1554 nach England, als
derselbe sich mit der Königin Maria (der ,, Blutigen", Bloody Maria)
vermählte. In England kam ihm die Nachricht vom Aufstande der Ein-
gebornen in Chile. Ercilla, damals 21 Jahre alt, meldete sich zum Feld-
zuge gegen das kleine, aber kriegerische Völkchen der Araucanen, das eine
Landschaft von 20 Meilen Länge und 12 Meilen Breite mit verzweifelter
Tapferkeit vertheidigte. Ercilla focht in sieben blutigen Schlachten und
litt noch mehr durch die Märsche in der Wildniss. 1562 kehrte Ercilla
nach Spanien zurück, bereiste Italien und andere Länder Europas; ver-
mählte sich 1570 mit Doiia Maria de Bazan, aus dem altadeligen Ge-
schlechte der Santa-Cruz, die er am Ende des 18. Gesanges seines Poems
feiert; wurde 1576 Kammerherr des deutschen Kaisers, kehrte 1580 nach
Madrid zurück, sieht sich vom Könige vernachlässigt und stirbt verges-
sen und verschollen. Man weiss nur, dass er 1595 schon gestorben war.
Ercilla's La Araucana hat 37 Gesänge in Octaven. Die erste Abtheilung
ist, laut Ticknorf), nur eine in Verse gebrachte Geschichte aus dem An-
fange des Krieges, ein Gedicht, das man mit der Landkarte lesen muss.
Ercilla hat diesen Theil seines Gedichtes, nach seinem eigenen Berichte,
in der Wildniss geschrieben, bei Nacht aufzeichnend, was bei Tage ge-
schehen war, und seine Verse auf Papierläppchen schreibend oder auf Le-
derstücke. Treffend nennt Ticknor das Gedicht „ein achtzeilig gereimtes
dichterisches Tagebuch des Feldzugs, den er mitgemacht hat.^* Diese
15 Gesänge wurden 1555—63 niedergeschrieben und erschienen 1569 in
Druck.
Die zweite Abtheilung der Epopöe (1578) ist an epischen Ornamen-
ten, Göttererscheinungen, reicher: Fortuna im 17. und 18. Gesang; die
Höhle des Zauberers Fiton, 23. u. 24. Ges., wo der lange nachher er-
t) IL S. 104. D. Uebers.
486 Das spanische Drama.
die Türken, der mit der Schlacht von Lepanto endigte. Lope's nnd an-
derer ihm zeitverwandten Bearbeiter von Kaiser Karls V. Thaten für die
spanische Bühne epische Vorlagen auch für diese Dramengruppe, dürf-
Farben und Töne zu Lope's 'Tragicomedia famosa Arauco domado'
mischte, die er dem Sohne seines Helden, dem Don Hurtado de Men-
do^a SU hijo, Marques de Caiiete widmete.
fochtene Seesieg von Lepanto geweissagt wird — das merkwürdigste
Zauberkunststück auf epopöischem Gebiet. Die dritte 1590 erschienene
Abtheilung enthält (Ges. 32. 33) eine völlig überflüssige Vertheidigung
der Königin Dido gegen die Anschuldigungen Virgil's. Ges. 36 biogra-
phische Mittheilungen über sich selbst. Den Schluss des ganzen Gedich-
tes bilden Klagen über seine bedrängte Lage, seine getäuschten Hoffnun-
gen, und der Entschluss, sein noch übriges Leben der Busse und Andacht
zu weihen. Ercilla's Beschreibungen — urtheilt Ticknorf) — ,,sind, wenn
man die von Landschaften ausnimmt, bemerkenswerth, und sowohl die von
Schlachten als von den wilden Sitten der Indier von keinem andern spa-
nischen Dichter übertroffen worden. Auch die Reden sind bei ihm oft
trefflich, vorzüglich die merkwürdige im 2. Gesänge, welche dem Colocolo,
dem ältesten Kaziken in den Mund gelegt wird." Ercilla's Charaktere,
die der Häuptlinge insbesondere, „sind kräftig und deutlich entworfen,
und flössen eher Mitgefühl für den Indier als für den angreifenden Spa-
nier ein . . . Das ganze Gedicht durchströmt das tiefe Gefühl der'Lehns-
treue" . . . Um ein Drittel länger als die Iliade, blieb die Araucana doch
nur ein Bruchstück, an welches sich noch 33 Gesänge des Diego
Sanisteban Osorio aus Leon als Fortsetzung anschliessen und 1597 er-
schienen. Beide Araucana's, die des Ercilla und Osorio, wetteifern
darin miteinander, dass sie vom Helden ihres Heldengedichtes, Garcia
Hurtado de Mendoza, dem Oberbefehlshaber im araucanischen Kriege,
schweigen, oder doch leicht über ihn hinweggehen. Lope de Vega's Tra-
gicomedia 'Arauco domado' scheint vorzugsweise gedichtet, um diese in
der Geschichte der Epopöen beispiellose Lücke durch eine tragikomische
Apotheose des Helden auszufüllen; nach Vorgang und vielleicht auf
Grundlage des epischen Gedichtes „Arauco domado" von Pedro de
Ona, aus Chile, in 19 Gesängen, das dieser Chilesische Epiker ausdrück-
lich zur Glorification des Bewältigers von Arauco, Garcia de Mendo9a, ge-
dichtet hat.
Die biographische Quelle zu diesem Bezwinger von Chile oder Arauco
hat man in Christoval Suarez de Figueroa's: 'Hechos de Don Gar-
cia de Mendoza' (Madr. 1613. 4^) zu suchen.
t) a. a. 0. S. 105,
Schaus]iiele aus der spaniöclien Geschichte. 487
ten wir vielleicht in Hieronimo Sempere's Epopöie: La Carolea
(2 Bde. Valenc. 1560. 12«) erblicken. Der Dichter, ein Kaufmannn, schil-
dert in den ersten 1 1 Gesängen, welche mit der Gefangennehniung Franz I.
schliessen, die ersten ital. Feldzüge des Kaisers. In der zweiten Abthei-
lung von 19 Ges., Carls V. Kämpfe in Deutschland. Eine dritte Ab-
theilung, welche des Kaisers Kriegszüge in Afrika enthalten sollte, ist
nicht erschienen, ,, glücklicherweise'*, wie Ticknor meint.*) Diesen Ausfall
deckt — „unglücklicherweise*' für den amerikanischen Cato Censorius der
spanischen Literatur — deckt des Luis de ^apata Epos 'Carlo fa-
mos o% das eine Chronik von Karls V. Leben und Thaten in 50 Ges. von
40,000 Versen in Achtzeilen (ital. Octaven) liefert, und dem Dichter
13 Jahre Operam et oleum gekostet hat. Er erzählt das Leben des Kai-
sers Jahr für Jahr, von 1522 bis zu seinem Tode 1558 im Kloster San
Juste. Sowohl der Carolea der Sempere, wie dem Carlo famoso des ^a-
pata, weist Cervantes einen Platz unter den besten Dichtungen in Don
Quijote's Büchersammlung an. Für den amerikanischen Cato Censorius,
der dem spanischen Epos — wie der römische den Eittern, die sich auf
dem fahlen Pferde betreffen Hessen, das Keitpferd — das Musenpferd er-
kennt, giebt es ,, nicht leicht ein prosaischeres Gedicht".
In seiner normgerechten Classification und kennzeichnenden Charak-
teristik von Lope's historischen Schauspielen aus der spanischen Ge-
schichte geht nun unser mustergültiger deutscher Literarhistoriker auf
diejenigen geschichtlichen Dramen Lope's über, „die zwar auf dem Boden
der nationalen Geschichte stehen und historische Personen auftreten las-
sen, aber sich doch mehr um Privatinteressen, als um die grossen Staats-
angelegenheiten drehen". In diese Reihe werden von H. v. Schack eingeord-
net: La Estrella de Sevilla.**) Porfiar hasta morir ,,eine sehr
gelungene Bearbeitung der Geschichte des unglücklichen Troubadour
Macias."***) El mejor Alcalde el Key, Analyse oben S. 445 ff.
*) a. a. 0. S. 100. - **) Unsere Analyse S. 365 ff. - ***) Gesch. d.
Dram. VIII. S. 725 f. (Bibl. de Aut. Esp. a. a. 0. IE. 95 ff.) Lope lässt
Don Tello, den künftigen Gemahl der Dona Clara, durch Macias aus
den Händen von Räubern befreien, den Macias aus Liebesverzweiflung in
den Krieg ziehen, mit dem Santiago-Kreuz geschmückt nach Cordova zu-
rückkehren, wo er Doiia Clara mit Don Tello vermählt findet, den
Liebesritterdichter wahnsinnig werden, von Marques Enrique Maestro de
Santiago als gefährlichen Narren einsperren und von Tello mit dem apo-
theosirenden Speer durch das unsterbliche Kerkergitter durchbohren:
Ale aide. Que ha muerto a Macias Tello,
- Tirandole por la reja
Una lanza.
Macias wird mit dem Speer in der Brust auf die Bühne gebracht, wo er
seinen letzten Seufzer in den Titel des Stückes porfiar hasta morir:
488 ^*s spanische Drama.
La Carbonera, von Leonor, Peters des Grausamen Schwester, so
benannt, die sich vor den Verfolgungen ihres Bruders unter Köhlern
verborgen hält. König Pedro' s Vertrauter soll sie aufsuchen; verliebt
sich in die Prinzessin und findet Gegenliebe. Auf der Jagd verirrt, ge-
räth König Pedro in die Köhlerhütte, erblickt Leonor, die er nie vorher —
mirabile dictu ! — gesehen, verliebt sich in die Schwester und befiehlt dem
Don Juan, sie ihm zuzuführen, Verzweiflung des Liebespaars. Leonor ver-
mählt sich zum Schein mit dem Köhler Bras; entdeckt sich, um ein Ende
zu machen, dem grausamen Pedro, der seinen Charakter, wie gewöhn-
lich im spanischen Drama, de but en blanc umkehrt, aus einem grausa-
men in einen grossmüthigen Pedro umschlägt, und die Schwester dem
Don Juan in die Arme führt. Die Katastrophe bricht, wie Hercules dem
Stierkopf des Achelous das Stosshom als Füllhorn abbrach, ähnlich un-
serm grausamen König Pedro die ihm während dem Verlauf des Stückes,
aufgesetzten Homer als Fruchthörner voll Huld und Gnaden von der Stirne.
So in Lope's Don Pedro-Drama: Lo Cierto por lo dudoso*) und in
La nifia de Plata: „Das Mädchen von Silber**.**) So wird Teodora, die
Heldin der Comedia von Sevilla, um ihrer unschätzbaren Eigenschaften und
ihrer nicht mit Gold und Silber und Piatina aufzuwiegenden Annehmlich-
keiten und Tugenden titulirt. ***) Hier wetteifert König Pedro's Bastard-
Bruder Enrique Trastamara mit Pedro dem Grausamen an Grossmuth,
indem er das Mädchen von Sevilla, Teodora, die er vor der Katastrophe
in ihrem Schlafgemach überfallen hatte, aber von dem Silber ihrer tugend-
haften Thränen bezaubert, nun, wo ihm die Katastrophe das Messer an
die Kehle setzt, mit ihrem Geliebten, dem Don Juan, unter den Anspi-
elen des Königs Pedro, vermählt, der nur eben dem Don Juan und des-
sen Vater d-en Kopf wollte abschlagen lassen, und, nach Don Enrique's
der Teodora feierlich geleisteter Ehrenerklärung, den 24,000 vom Ba-
stardbruder der Teodora als Mitgift ausgesetzten ducados die gleiche
Summe aus seiner königlichen Tasche zulegt f), und so das Mädchen von
Silber zum Ducatenweibchen macht.
Selbstverständlichermassen wird uns auch in dieser Comedia des Gross-
muthswetteifers zwischen den so herzverschwisterten Bastardbrüdern,
deren entente cordiale sich vor Montiel zu einem Todesumarmungsknoten
„Kämpfen bis zum Tode**, aushaucht. Kämpfen als unermüdlicher Lie-
besstreiter; „porfiar** bezeichnet zugleich die Ausdauer im Kampfe. —
*) Analyse S. 381 ff. — **) Analyse Bd. IX. S. 617 ff.
***) — a quien Uama
Nina de Plata Sevilla
Por el valor de sus gracias.
+) Key. — Si dio el infante
Veinte y ouatro mil, anadan
Otros tantos que doy yo.
Schauspiele aus der Geschichte König Pedro's I. v. Castil. 4g9
zusammenschnürte — auch in dieser Comedia das stereotype Parallel-
Doppelmotiv nicht geschenkt: Don Juan's Liebesbewerbung um Teo-
dora's Freundin, Marcela, aus Eifersuchtsrache wegen des Prinzen En-
rique, so wie der streng nach dem orthodoxen Paralleldogma stattfin-
dende Wohnungstausch zwischen Teodora und Marcela, infolge
dessen Don Juan vor Marcela's Gitterfenster Huldigungen darbringt,
die der Teodora zugutkoramen, und was nicht noch alles für Huldigun-
gen, die aus jenem Wohnungstausch entspringen, der Parallelformel dar-
gebracht werden. —
Jene Selbstverstümmelung, welche eine von König Pedro, dem ebenso
Brünstigen wie Grausamen, hartbedrängte Scham an sich vornahm*), um
den Gelüsten des Wüstlings zu entgehen, vollzieht in Lope's Comedia: La
Corona merecida eine Doiia Sol an ihrem schönen Körper, um den
König Alfonso VIII. abzuschrecken, wofür der Dona Sol, ihrer Hof-
dame, die Königin Leonor, eine englische Prinzessin, ihre Königskrone
aufsetzt. Die Selbstverstümmelung bewirkt Dona Sol, aus ehelicher
Treue, mit einer brennenden Fackel, die ihren schönen, entkleidet auf
dem Bette hingelagerten Körper mit Brandwunden übersät. In diesem
Zustande stattet sie knieend der Königin Leonor Bericht ab vom Anlass
zu der stückweisen Selbstverbrennung bei langsamem Fackelfeuer.**) Die
Königin preist den weiblichen Phaeton ihrer selbst, Sol (Sonne) undPhae-
ton zugleich.***) Und König Alfonso VIII. bestätigt die Aussage der
Dona Sol auf Königswort f), und schenkt dem Holokaust ihrer selbst vier
Städte in die Wirthschaft. ff) Nach der ihr, als enkaustischer Tugend-
preis und als Sinnbild ihrer aus der Fackelfeuerprobe als lauteres Gold
hervorgegangenen Frauenehre, aufgesetzten Königskrone, nach der Corona
*) Gesch. der Dram. VIII. S. 606. •
**) Dona Sol. — con una hacha
Metida en un aposento,
Desnuda sobre la cama
Gaste la media en mi cuerpo
Cubriendome de mil Ilagas
Cuya sangre sale ahora
Por los pechos y los mangas.
„Bedeckte ich mich mit tausend Wunden,
Die hier aus Brust und Aermeln bluten."
***) Leonor. Que tu nuevo Sol has sido
Con aquella hacha encendida,
Otro Faeton en el carro
Para abrasarte a ti mismo.
t) Eey. Cuanto ha dicho, el Key confirma.
f t) Y yo les doy cuatro villas
Leon. Tu y cuantos de si desciendan . . ,
490 I^as spanische Drama,
merecida — bestimmt Königin Leonor — sollen die Nachkommen der
Dona Sol für alle Zeiten den heraldischen Familiennamen ,,Coroneles'*
„Krönlinge" tragen.*)
„Die Stücke" — entrollt H. v. Schack seine Liste Lope'scher Dra-
menköpfe immer reichhaltiger — „die Stücke, zu denen die Annalen Por-
tugals den Stoff geliefert haben (El principe per feto**); El Duque
de Viseo; La discreta venganza***); El mas galan Portuguez;
Duque de B r aganz a); stehen in Bezug auf die Behau dlungsweise des
Historischen ganz denen aus der spanischen Nationalgeschichte gleich."
Von Duque de Viseo giebt Herr v, Schack einen Inhaltsauszug (S, 317 f.).
Eine Paraphrase der Fabel findet sich in Enk's mehrcitirten Studien
(Nr. XIV.). Das Motiv ist höchste VasaUen - Loyalität quand-meme, an
zwei verschiedenen, nur parallel neben einander hergehenden Handlungen
erläutert: an dem auf Befehl König Don Juan' s von Portugal enthaupteten
Don Juan de Braganza, und an Duque de Viseo, dem Vetter des
Königs, den dieser mit eigner Hand niederstösst, aus Furcht vor einer
Prophezeihung, die dem Duque de Viseo die Krone in Aussicht stellt. Die
auf einen Zettel geschriebene Prophezeihung überreicht der Duque seiner
Geliebten Dona Elvira vor ihrem Balcon an einer Schnur aus Ver-
sehen, statt der Antwort auf ihr Brief chen, das sie ihm an derselben
Schnur herabgereicht. Der König überrascht Elvira und entreisst ihr das
Papier. Den Verhetzer macht Don Egas, aus Rache, weil Einer von den
Brüdern Braganza an der Aechtheit von Egas' ritterbürtiger Abstam-
mung gezweifelt. Diese Beweggründe und diese am Blindenseile des Zu-
falls geführte Handlung und herbeigeführte Katastrophe versetzen der histo-
rischen Tragödie oder Tragikomödie den meuchelmörderischen Dolchstoss,
der den Heldenvasallen von der Hand des Königs trifft.
Hier wendet sich Herr v. Schack zu den die Begebenheiten anderer
Völker dr am atisir enden Stücken des Lope: „Unter den der Geschichte
des klassischen Alterthums entnommenen, verdient — die Roma abrasadaf),
nur durch die lyrische Pracht einiger Schilderungen Aufmerksamkeit, ft)
*) — por aquesta Corona
Se Hamen desde este dia
Coroneles para siempre.
**) Eine parallele Dilogie (Primera Parte und segunda Parte), welche
in König Don Juan IL (Joano II.) von Portugal, den vollkommensten der
Könige, das Ideal von König, verherrlicht. — ***) „Die verständige Rache",
spielt in Lissabon unter König Alfonso, aber mit einem Contingent von
spanischen Komödienfiguren. — f) >,Das brennende Rom", von Nero in
Brand gesteckt. — ft) Wohl auch durch die Charakteristik des Kaisers
Claudio, des Neron und Oton, nach Sueton und — für uns das Beach-
tenswerthesteste — durch das kräftige , geschichtsgetreue römische Colorit,
das dieses historische Drama auszeichnet, ein unicum in dieser Beziehung,
Stücke nach alttestamentlichen Stoffen. 491
Aus den Stücken mit alttestamentlichen Stoffen hebt unser kun-
diger, in der Lope-Komödie tief belesener Classificator und Ordner seiner
Schauspiele nach Stoff und Thema, Los trabajos de Jacob (die Müh-
sale Jacob's oder Joseph und seine Brüder) hervor — „ein Stück, das
eben so untadelhaft in der Composition als anziehend in den Details ist,
und eine so ergreifende Innigkeit des Gefühls athmet, dass der Dichter
die ganze Fülle seines liebevollen Gemüths in dasselbe ausgegossen zu
haben scheint", woraus ein so alttestamentlich melodischer Nachhall am
Ende wohl gar in MehuFs gleichstoffiges und thematisches Gesangspiel
sich ergossen! ,, Dieses Drama*' — Lope's Trabajos de Jacob — steht
zwischen zwei andern: El robo de Dina (Raub der Dina, der alttesta-
mentlichen Helena) und La salida deEgytto (Auszug aus Aegypten),
mit denen es eine Art von Trilogie bildet." — Ein Inhaltsauszug aus dem
Auszug aus Aegypten, aus der Art Trilogie, müssen für uns ägyptische
Fleischtöpfe bleiben, wonach wir uns blos sehnen dürfen. Welcher Li-
terarhistoriker vermöchte auch Liebig'sche Fleischextracte aus allen Lo-
pe'schen Fleischtöpfen zu geben! Preisen wir unsern deutschen Meister
der Geschichte der dramatischen Literatur und Kunst in Spanien vielmehr
um der zahlreichen schmackhaften Extracte willen, die er zuerst in sol-
cher Auswahl und Fülle geliefert. Ein Löffelchen davon könnte sogar
manche breite Bettelsuppe der Sismondis, der Puisbusque, der Amadores
de los Bios und sonstiger Extracidores nahrhaft und bekleibend würzen.
Finden wir uns doch selber gemüssigt, in unsere analytischen Vitellius-
schüsseln von tausenderlei Gerichten aus allen Thierklassen , hier noch
nachträglich eine Messerspitze voll von jenen wohlschmeckenden und be-
kömmlichen Komödien-Extractstoffen zu mischen ! In unsere Vitellius-Ana-
lysenschüsseln eine Art Hasen - oder Gänseklein, zusammengeschnitten und
geschneidelt aus den zerhackten Gliedern der riesigen Diana von Ephesus
sammt allen aus ihrem Leib hervorgewachsenen Thierköpfen.
Man vergleiche, beispielsweise, unsere Analyse von Lope's Comedia
'El castigo sin Venganza'*) mit dem, als Probe einer Lope-Comedia
nach italienischem Fabelstoffe, dargebotenen Inhaltsextracte S. 321 in
Herrn v. Schack's nicht genug zu rühmendem, durch Geschmack, er-
schöpfende Sachkenntniss , durch elegante Kürze und Gehaltfülle gleich
unseres Bedünkens, in dem historischen Drama der Spanier. Zur Aus-
führung dieser Randbemerkung in ein analytisches Gemälde fehlt es uns
an Leinwand, an Farben, an Pinseln, die wir auf andere, für das Ver-
ständniss von Lope's Eigenart uns dienlicher scheinende Dramen ver-
quistet. So manche seiner magern Kühe mussten aus diesem Grunde so
manche seiner fetten Kühe verschlingen. Wie z. B. seine römische Tragi-
komödie ^Elhonrado hermano' die Analyse seiner 'Roma abrasada'
verschlang: oben S. 313 ff. — *) S. 303 ff.
492 I^as spanische Drama.
ausgezeichnetem Werke. Und man wird auch bei diesem Vergleiche fin-
den: dort die Vitellius-Schüssel; hier das granum salis.
„In El esemplar mayor de la desdicha haben wir ~ das tragi-
sche Geschick des Belisar ... El gran Duque de Moscovia hat das
Leben und die Schicksale des falschen Demetrius zum Gegenstand*) . . .
El Rey sin Eeino schildert die Wirren und Kämpfe, die am ungarischen
Hofe der Thronbesteigung des Matthias Corvinus vorausgingen, in den
lebhaftesten Farben ... La Reyna Juana de Napoles — ein ganz
misslungenes Product . . . Wir wünschen, Lope von der Autorschaft die-
ser Tragödie freisprechen zu können, die indessen nur allzugut beglaubigt
ist." Lebhaft stimmen wir in diesen Wunsch mit ein.**)
Es folgt nun die Rubrik von Lope's mythologischen Schauspielen.
„Dass er (Lope) hier mehr der Convenienz und äussern Antrieben, als
dem eigenen Drange folgte, zeigt sich — oft in einer gewissen Kälte und
Mattigkeit, die durch alle Pracht der Darstellung, durch allen Glanz der
Schilderung nicht verdeckt werden kann." Diesem ürtheil lässt sich kein
Jota rauben. Für das mythologische Genre war Lope's dichtende Phan-
tasie zu realistisch, möchten wir sagen. Hiefür eignete sich weit mehr
Calderon's symbolisirende , hypostasirende Manier und theologisch-mysti-
sche Anschauungsweise. Dergleichen war Lope's heiterem Genius so wenig
an der Wiege gesungen, wie unserem Goethe, wovon den schlagendsten
Beweis die kalte Hexenküche zum ersten Theil des Faust liefert: der
zweite Theil nämlich. Aus Lope's mythologischen Stücken nennt H.
V. Schack die Fabula de Perseo, Las mugeres sin hombres, El
Laberinto de Creta, Adonis y Venus, El vellocino de Oro (das
goldene Vliess). Denen wir noch das schwächste hinzufügen, die 'Andro-
meda' — lauter Hesperiden-Aepfel , will sagen Hesperiden-Erdäpfel in
mythologischer Phönix-Asche gebraten.
Ein Contingent aus den deutschen Kaisergeschichten stellt^ Lope's :
La Imperial de Otton, „die, auch über die deutschen Bühnen ge-
gangene Geschichte des Königs Ottokar von Böhmen." „Im zweiten
Act sieht man die beiden feindlichen Heere am Abend vor der entschei-
denden Schlacht einander gegenüberstehen. Kaiser Rudolph empfängt in
seinem Zelt einen Wahrsager, der —- ihm seinen gewissen Sieg, so wie
die künftige Herrlichkeit des Hauses Habsburg verkündigt. Ottokar da-
gegen hat eine Geistererscheinung, durch die ihm das Frevelhafte seines
Unterfangens vorgehalten und sein Sturz geweissagt wird." Das erinnert
an die gleichzeitige Doppelvision Richard's III. und Richmond's im 5. Act
bei Shakspeare. „Die Vision macht einen solchen Eindruck auf ihn (Ot-
tokar), dass er beschliesst, von seiner Auflehnung abzustehen ; doch macht
*) In Enk's Studien Nr. XVII. Eine deutsche Uebersetzung in fünf-
füssigen Jamben lieferte Moritz Rapp in die werthvolle Sammlung von
Hildburghausen. - **) Bei Enk. Nr. XIII,,
Lope's Drama nach ital. Novellen. 493
er es zur Bedingung seiner Unterwerfung, dass bei der Huldigung und
Abbitte, die er dem Kaiser leisten werde, kein Zeuge zugegen sey. Ru-
dolph sagt die Erfüllung der Bestimmung zu. Man erblickt im Hinter-
grunde das an allen Seiten geschlossene kaiserliche Zelt, worin aber Grup-
pen der kaiserlichen und böhmischen Krieger. — Plötzlich fällt der Vor-
hang des Zelts und man sieht Rudolph im vollen Ornat des Imperators,
Scepter und Reichsapfel in der Hand, zu seinen Füssen aber den gede-
müthigten Ottokar auf den Knieen; dieser erhebt sich voll Zorn" u. s. w.
Das erinnert an die homogene Scene in Grillparzer's „Ottokars Glück und
Ende''. Desgleichen der hohnvolle Empfang, den Lope's nach Prag zu-
rückgekehrter Ottokar von seiner Gemahlin Ethelfriede erfährt, genau, wie
in Grillparzer's Glück und Ende.
Stoffe aus mittelalterlichen Sagenkreisen behandeln u. a. Lope's
Los Palacios de Galiana, „die Dramatisirung einer dem Karls-Sagen-
kreis angehörenden Erzählung (s. darüber Turpin c. 20 und die Reali si
Prancia L. VI. c. 18 — 51)." Diesen schliesst sich an: Lamocedadde
Roldan (Roland's Jünglingsthaten). ühland's „Klein-Roland". La po-
breza deReynaldos „behandelt die Leiden und Thaten des Heymons-
sohnes Reinhold von Mantalban während seines Exiles." In El Mar-
ques de Mantua haben wir die — Erzählung von Baldovinos und Car-
loto*) u. s. w. „Die rührende— Erzählung von der schönen Magelone**)
ist auf sehr vorzügliche Weise behandelt in Los tres diamantes" ...
„Wir kommen nun zu den Dramen, deren Inhalt auf Novellen der
Italiener und Spanier basirt ist. El Mayordomo de la Duquesa de
Amalfi (nach Bandello P. J. Nov. 26) giebt zu einer interessanten Zu-
sammenstellung mit der auf dieselbe Begebenheit gegründeten altengli-
schen Tragödie von Webster Anlass (The Duchess of Malfi)" . . , Anlass
zu einer noch ungleich interessanteren Zusammenstellung bietet Lope's
Tragicomedia Castelvines y Monteses, fussend auf den Capuletti
und Montecchi-No vollen. Von dieser Tragicomedia giebt H. v. Schack
ein ausführlicheres Inhaltschema nach den Jornadas.***)
„Ungleich vorzüglicher als die beiden zuletzt genannten Komödien
(Duquesa de Amalfi und Castelvines) ist La Quinta de Florencia,
gleichfalls aus einer Novelle des Bandello gezogen — und hier muss man
Lope'n unbedingt den Vorrang vor Beaumont und Fletcher einräumen, die
in ihrem Maid of the mi 11 dasselbe Ereigniss dramatisirt haben . . ,
In El Halcon de Federigo stösst man auf die Novelle vom Falken aus
dem Decameron (Giorn. 5. Nr. 9); im El remedio en la Desdicha
auf die mit Recht bewunderte Erzählung von Abindarracz und Darifa aus
der Diana des Montemayor. El Guante de Dona Bianca ist auf die
*) Der Karlssage angehörend. — **) Hystoria de Jinda Magelona hija
del rey de Näpoles y del muy esforzado Caballero Pierres de Provenza.
Toledo 1526; Sevilla 1532. — ***) Unsere Analyse X. S. 340 IT.
494 ^^^ spanische Drama.
nämliche Begeijenheit gegründet, wie Schiller's Handschuh. El marmol
de Felisardo zeigt in der Handlung auffallende Verwandtschaft mit
Shakspeare's Wintermärchen.*)
An der Spitze der Dramen, deren Charakter als „dramatische No-
vellen** bezeichnet werden, begrüsst uns Lope's Comedia El nuevo Pita-
goras, ,,die bizarrste Mischung heterogener Bestandtheile , die tollste
und abenteuerlichste Verbindung von tragischen Katastrophen und aus-
*) Da uns selbst der VI. Bd. von Lope de Vega's grosser Komödien-
sammlung (Madr. 1615), worin die Comedia El marmol de Felisardo (Nr. 11)
enthalten, nicht erlangbar ist, geben wir den aus Grillparzer's Aufsatz:
Ueber Lope de Vega's dramatische Dichtungen (Werke Bd. VI. S. 257 ff.)
entnommenen Auszug.
„Ein junger Student Felisardo befindet sich auf dem Dorfe, wo er
sich in die Tochter des Alkalden, Elisa, verliebt. Er gilt als der Sohn
eines vornehmen Mannes und wird für hohe kirchliche Würden bestimmt.
Als man sie aber bei einer verliebten Zusammenkunft überrascht, was das
Mädchen in üblen Euf bringen müsste, und Felisardo verspricht, sie zu
heirathen, giebt der Vater denn doch seine Einwilligung. Felisardo ist
aber ein natürlicher Sohn des Königs (von Gelanda. Ich weiss nicht, wo
das liegt). Da dieser König im Laufe des ersten Actes durch den Tod
seines rechtmässigen Thronfolgers erblos wird, muss er sich nothgedrun-
gen an den natürlichen Sohn wenden, und er schickt den Almirante ab,
der ihn auch wirklich an den Hof bringt. Nun fängt der Unsinn an.
Elisa hat einen Zwillingsbruder, Celio, der ihr so ähnlich ist, dass, als
ihr Vater diesen Celio als Pagen an den Hof bringen will, er sich ver-
greift und seine Tochter in Pagenkleidern dem Prinzen als Diener stellt.
Felisardo ist selbst im Zweifel über das Geschlecht dieses Zwitterwesens,
wo ihm denn der lustige Diener Tristan den Rath ertheilt, dem Pagen
einen Schilling geben zu lassen, wo sich denn herausstellen müsse, ob er
ein Mann oder ein Weib sey. Unterdessen will man den Prinzen mit der
Tochter 'des Almirante verheirathen. Tristan giebt wieder den Rath, sein
Herr möge sich wahnsinnig und in eine Statue im Garten verliebt stellen
(El marmol de Felisardo). Nachdem alle Mittel der Heilung fruchtlos
versucht worden sind, giebt der König, wieder auf den Rath Tristan's,
endlich seine Einwilligung zu der Vermählung mit der Statue. Es ver-
steht sich, dass Elisa in die Statue verkleidet worden ist und der König,
durch sein Wort gebunden, nun auch die Ehe mit der lebendigen Stell-
vertreterin zugeben muss, was er um so lieber thut, da sich zeigt, dass
der Alkalde, ihr Vater, eigentlich von hohen Verwandten abstamme. Zu-
letzt hat sogar der Zwillingsbruder Celio, der in dem Personenverzeich-
nisse gar nicht vorkommt, einen einzigen Vers zu sagen, als man ihn
nämlich mit der für Felisardo bestimmten Tochter des Almirante ver-
heirathet."
,, Dramatische Novellen". ' 495
gelassener Komik ~ die monströseste Vereinigung des völlig Albernen
und Sinnlosen mit Sinnreichem und Ergötzlichem." Wen der Gaumen
danach kitzelt, findet die Tafel mit den nach Jornadas geordneten obge-
nannten Inhaltsingredienzen reichlich servirt S. 340 — 349. Der neue Py-
thagoras ist der Docior Cornagoras, dessen Hirn von dem unsinnigen
Glauben der Seelenwanderung eingenommen. Die Zauberin Rustana pro-
phezeiht in ihrer Zauberhöhle mit den Eingebungen eines grossen Affen,
von dessen Collegen sich Goethe's Hexe doch nur das Zauberbuch vorhal-
ten lässt: Der in der Welt umherstrolchende Liebesheld könne seine Ge-
liebte, Angelica, laut Weisagung des grossen Affen, nur erlangen, nach-
dem er sich bei Angelica's Mutter, die den armen Pythagoras, Corna-
goras, geheirathet, für den trojanischen Paris ausgiebt. Eine episodi-
sche Maschinerie zeigt aber vorher den Liebeshelden des Stückes, Ra-
zonte-Paris, auf Engelbefehl, kommen und Gloria in Excelsis singen"
vor den beatificirten Leichen der inzwischen zu Handlungen bekehrten und
verklärten Hexe Rustana und — nicht etwa ihres grossen Affen — aber
ihres Bussgenossen, Eremiten Helvidius. Einen solchen Hexenkessel von
Pythagoras-Dramen konnte nur ein spanisches Gehirn brauen, das auf gut
pythagoräisch in einem Doppelkopfe spukt, dem Familienerbstück, fortge-
pflanzt von der dreiköpfigen Hexenurmutter, Hekate, und dem Urahn, dem
spanischen Dreischädelkönige, Geryon. Aehifliche Ausgeburten wüster
Halbköpfigkeit sind die phantastischen, über Zweck, Pflicht und Auf-
gabe des Drama's völlig irregewordenen, und daher nur irrsinnigen, aus-
schweifenden Komödienerfindungen, die in Stücken wie La Ventura sin
buscalla*) wuchern, worin eine auf der Flucht begriffene Fürstin (Li-
fanta Lisarda) bei einem ungarischen Ackerbauernedelmann im Karpathen-
gebirge als Magd dient, ihn heirathet und zum König von Ungarn
macht; oder wie Lope's: 'El animal de Ungria% welches animal, zu
deutsch „Vieh", eine in den wilden Wald von ihrem Gemahl Dario,
König von ügarn, verstossene, in Thierfellen als wildes Thier umherir-
rende ungarische Königin, Kinder raubend, die der König mit ihrer
Schwester gezeugt. ElHijo de los Leon es ,,Der Sohn der Löwen",
ist auch so „Ein Sohn der Wildniss", der an missgeburtlich doppelköpfiger
Monstrosität dem „Animal" von Ungarn gleicht, wie ein Zwillingsbruder
dem andern.**) Der Sohn der Löwen, Leonido, schweift als Findling
von wirklichen Löwen, seinen Pflegeeltern, mit diesen in dem Stücke um-
her, zum Mordschrecken für Bauern und Hofleute, bis er zum Salon-
löwen und Königs-Neffen sich geleckt, als welchen ihn der König mit sei-
ner Nichte , der Prinzessin von Theben , verheirathet , um von ihnen eine
Löwenbrut für seinen Löwengarten zu erzielen.
*) „Ungesuchtes Glück". — **) In einer Sammlung von Lope's Co-
medias finden wir diese Comedia famosa einem „ingenio de esta Corte"
zugeschrieben. Gedr. 1730.
496 I^^s spanische Drama.
Von diesen „unförmlichen Productionen** nimmt unser Führer in den
abliegenden Partieen von Lope's Komödien-Wildpark eine Wendung zu
andern mit obigen durch lose Verknüpfung und „romantische Mannigfal-
tigkeit" verwandten Schauspielen, die aber „ungleich mehr Kunst im
Entwurf, und in der Durchführung des dramatischen Planes zeigen*' und
giebt resumirende Inhaltsverzeichnisse der Komödien -Novellen von der
Tragedia oder Tragicomedia: Fuerza lastimosa*); von der Comedia
DonLope de Cordova, Feldherrn des Königs von Aragon, dessen Siege
damit belohnt werden, dass er bei seiner Heimkehr die Gemahlin auf der
Flucht vor den Lieb es Verfolgungen des Infanten von Aragon, und seinen
greisen Vater eingekerkert findet, weil er die Ehre der Schwiegertochter
gegen den Prinzen vertheidigt hatte. Lope de Cordova selbst wird
verbannt, leidet mit der Gemahlin Schiffbruch an der sicilischen Küste
und bekriegt, als Feldherr des von ihm besiegten Königs Roger
von Sicilien, sein Vaterland Aragon, von Roger dazu gezwungen, der
ihn mit Ermordung seiner Gemahlin, Casandra, bedroht. Den Feld-
zug in Aragon entscheidet ein Zweikampf des Cordova mit einem ver-
kappten Ritter, den er als seinen, zum Zweikampf vom Prinzen Pedro
gezwungenen Vater Bernardo erkennt, und nun zur Flucht beredet.
Hierauf verwickeln sich in Sicilien die abenteuerlichsten Kreuzungen ge-
dankenlos durcheinandergeschlungener Begebnisse zu dem zweiten Knoten
des Stückes. Lope de Cordova's Gemahlin, Casandra, hat sich inzwi-
schen auf's Kuppeln verlegt und vermittelt eine Zusammenkunft ihres Ver-
folgers und Anbeters, des Prinzen von Aragon, mit der sicilianischen in
Prinz Pedro sterbensverliebten Prinzessin.
„Der Prinz entspricht der Aufforderung, wird aber in Casandra' s Zelt
von Roger überrascht und gefangen genommen. Lope (de Cordova)
schäumt vor Wuth wegeif der vermeintlichen Treulosigkeit seiner Gattin,
und diese, um sich seinem Grimm zu entziehen, entflieht, indem sie das
Gerücht verbreitet, König Roger habe sie wegen des vermutheten Einver-
ständnisses mit dem Feinde hinrichten lassen." Belagerung von Messina
durch die Aragonier. Auf der Mauerzinne erscheint der gefangene Prinz
von Aragon, mit dessen Enthauptung die Messiner die Belagerer bedrohen,
wenn in diesem Falle diese den Angriff fortsetzten. Unten droht die sici-
lianische Prinzessin, die sich den Aragoniern überliefert, zurück; mit des
Prinzen Haupt würde auch das ihrige fallen. Dieser heroische Entschluss
führt die Beilegung des Kampfes herbei. „Die beiden Könige versöhnen
sich und besiegeln ihre künftige Freundschaft durch die Vermählung ihrer
Kinder." Lope de Cordova wird vom Könige von Aragon in seine
Würden wieder eingesetzt. ,, Casandra endlich wird in Kriegertracht unter
dem Heer entdeckt, ihre Unschuld kommt an den Tag, und so schliesst
das Stück mit allerseitiger Versöhnung.** „Allseitig** -— bis auf die
*) Unsere Analyse S. 394 ff".
Lope's anderweitigeb Koiiiödien-Wildpret, gepürscht auf fremdemRevier. 497
dramaturgische Poetik, die gegen eine solche, das Drama in die Evolutio-
nen von Kunstreiter -Quadrillen durcheinanderschlingende Abenteuer-Ta-
bleaux- und Situations-Wechsel-Reiterei unversöhnlich bleibt.
Die scenirten Reiter-Quadrillen oder dramatisch-novellistischen Contre-
tänze als Comedias famosas wechseln nur Costüme und Titel mit jedem
neu eintretenden Drama. Den in eitel Verwickelungen aufgehenden dra-
matischen Gehalt und Kern verflüchtigt jedes in seiner Weise. Herz,
Nieren und Gehirn werden an diesen Dramen zu künstlich verschränkten
Netzbeuteln, zu Nesseltüchern für farbenreiche Stickmuster gehäkelt und ge-
strickt, durch die sich die gefühlsamsten Saiten der Seele nur wie die
gleissenden Silberfäden durch eine gewirkte Handarbeit schlängeln. Selbst
die Thränen der Rührung, des Schmerzes, der leidenschaftlichen Alfecte
reihen und fädeln sich als Glas - oder Stahlperlchen auf, zu Pantoffeln für
Thalia, zu Schnürstiefelchen für die tragische Muse, oder zu einer gestick-
ten Scheide für ihren Dolch, der aber nur Thalia's ihr geborgter, gold-
ner Zahnstocher ist, mit dem sich die spanische Tragödie die fälschen
Zähne stochert, so oft sie diese — zeigen soll. Thut sie das etwa nicht
auch in einem der etfectvollsten und auch abenteuervoUern Rührstücke
Lope's, in dem Drama Laura perseguida?*) Lassen wir uns die No-
vellenfabel von dem Linnaeus der spanisch-dramatischen Treibhausilora im
Auszuge erzählen, den wir nur hie und da mit Citaten glossiren.
,,Oranteo, Sohn des Königs von Ungarn, liebt Laura, eine junge
Dame von hoher Schönheit**), die ihm jedoch nicht ebenbürtig ist, und
*) „Die verfolgte Laura". — **) Von noch grösserem Geiste, wie ihre
Vertraute schmeichelt :
Leonarda. Aunque tu mucha hermosura
Endende qualquier deseo
Ser amada de Otranteo . . .
Los pasos que en esto das
Vera que se deve mas
A tu gran entendimiento.
Laura selber als Page des Prinzen verkleidet, nennt sich in einer hüb-
schen Scene mit dem König, „Ein Weib, das vergöttert zu werden ver-
diente", mit einer Hinzielung freilich auf Petrarca's Laura, deren Bild
(Titelkupfer) Page Zelio (Laura) vor den Sonetten sah, die er heute zu
lesen begonnen hat:
Rey.
<iQuien es Laura?
Laura.
Una muger
Que merecio, ser divina . .
Rey.
^Has visto ä Laura? . . .
Laura.
En estampa la vi
Oy que el principio lei . . .
32
498 l^as spanische Drama.
hat^Jschon zwei Kinder mit ilir gezeugt. Der König (Priandro) widersetzt
sich der beabsichtigten Heirath seines Sohnes, den er mit einer Prinzessin
vermählen will. Um seinen Zweck zu erreichen, sucht er Laura mit sei-
nem Sohne zu entzweien, während Laura selbst, die er nie gesehen hat,
unter einem andern Namen verborgen lebt. *) Eine Zofe (Leonarda) Laura's,
welche ihrer Herrin sprechend ähnlich sieht, und ein gewisser Otavio, Secretär
des Prinzen, geben sich dazu her, den Plan des Königs in's Werk zu setzen ;
die Zofe legt Laura's Kleider an**) und hält in dieser Gestalt eine zärt-
liche Zusammenkunft mit Otavio, von welcher Oranteo Zeuge wird. Der
Letztere geräth nun in die heftigste Wuth und sagt sich von Laura los***) ;
dennoch kann er die Liebe zu ihr noch nicht ganz aus seinem Herzen ver-
bannen f)? und schleicht, indem er sich für Otavio ausgiebt, vor ihr
Fenster, um sich zu überzeugen, ob ihre Treulosigkeit, an welcher er trotz
des Augenscheins noch zweifeln zu können glaubt, wirklich wahr sey. Sie
richtet, indem sie von dem ganzen Verrath nichts weiss, freundliche Worte
an ihn, als den Secretär des Prinzen; aber gerade dies ist in seinen Au-
gen ein entschiedener Beweis ihrer Untreue, ft) Laura wird nun in einen
Kerker geworfen, während ihre Kinder in eine ferne Gebirgsgegend ge-
schickt und, mit ihrer Herkunft unbekannt, in einer 'Bauernfamilie auferzogen
werden. Nachdem sie ein Jahr lang als Gefangene geschmachtet hat,
entrinnt sie ihrer Haft und stellt eine Pilgerfahrt nach St. Jago an. Auf
der Eückkehr von dort kommt sie in das Dorf, wo ihre Kinder leben, und
umarmt dieselben unter tausend Thränen. Der Prinz hat unterdessen,
obgleich von Laura's Untreue überzeugt, sein Herz doch noch nicht von
ihr abwenden können und die Vermählung mit der Lif antin standhaft ver-
weigert. Die Entwickelung, dass Laura's Unschuld anerkannt wird, und
*) Lisandra. Die Liebesneigung des Königs zu dieser Pseudo -Laura
hat sich unsern Blicken entzogen. — **) Verwandtes Verkleidungsraotiv
mit dem in „Viel Lärm um Nichts".
***) „Du schienst wie Diana mir in ihrer Sphäre,
Keusch, wie die Knospe, die noch nicht erblühte,
Doch du bist ungezähmt in deiner Lust'S
ruft Claudio zu Hero, in der Kirche vor dem Traualtar (IV, 1).
Lorbeer (Laura) warst du, ein verwerflich Eeis,
Dessen Grün die Juli-Sonne welkt. —
Tu fuiste Laura, cafia inutil fuiste,
Cuya verdura el Sol de Julio acaba . . .
ruft Oranteo in seinem Monolog, nachdem ihm sein Secretär Otavio
ein Borachio-Jago — den Trug gespielt.
t) Orant. 0 Laura amada y aborrecida.
tt) Die Scene ist zwischen Oranteo, Otavio und Laura, die sich
gegen Oranteo rechtfertigt, der sie mit harten Vorwürfen überhäuft.
Laura lässt die Kinder kommen.
Lope's Laura perseguida. 499
der König, der ihr schon unter einem andern Namen Neigung geschenkt
hat, sie als seine Schwiegertochter annimmt, ergiebt sich von selbst/'
Die Lope-Calderon'sche Novellen-Komödie kommt nun einmal aus der
nach der Ent Wickelung zurückgebliebenen und dramatisch verkümmerten
Verlarvungsform der x^benteuer -Novelle nicht heraus!*)
*) Der Secretär Otavio liebt Laura, und will sie besitzen. Laura
zückt vor dem König den Dolch, um sich zu erstechen. Der König, in
der Meinung, der beabsichtigte Dolchstoss sey von Laura der Infantin
Porcia zugedacht, will Laura tödten lassen (Muera luego). Oranteo
berichtigt des Königs Irrthum:
(Senor, cree que te enganas
Que matarse a si queria).
In der folgenden Scene zwischen Oranteo und Laura giebt diese
dem Prinzen Aufschluss über den von Otavio gezettelten Trug. Eine
schwache, künstliche Entwickelung. Otavio tritt hinzu, Oranteo zwingt
ihn mit dem Degen zum Geständniss, erfleht von der gekränkten und ver-
folgten Gattin Verzeihung und gelobt, sich mit ihr noch diese Nacht in
gesetzlicher Form zu vermählen.f) Das meldet Otavio dem König. Dieser
wüthet gegen die verruchte Schaar und befiehlt, Soldaten aufzubieten,
um sie zu ergreifen und zu tödten. ff) Der Alcaide (Schlosscommandant)
räumt dem vermählten Paar ein Schloss ein, das sie vor des Königs An-
griffen schützen soll, der den Prinzen, den Verräther, umbringen willftt)»
wozu er einem im 3. Act als Begleiter der Infantin Porcia improvisirten
Conde Ruf in o die Vollmacht ertheilt. Vor dem Kampf erscheint
Oranteo mit seiner Gemahlin Laura, ein Kind jedes an der Hand, ver-
schwört, dass er mit einer andern Waffe als mit diesem Kinderpaar, des
Königs Enkeln, den Vater bekämpfen werde. Conde Ruf in o rathet zur
Versöhnung, und schlägt die Infanta Porcia dem König als geeig-
netste Partie vor, womit die Prinzessin, faute de mieux, sich einverstan-
den erklärt.*!) Otavio reicht der Leonarda die Hand und hält, trotz
Schurkereien, als Dritter im Bunde, gemüthlich Hochzeit zugleich mit
König und Prinz Oranteo, den er in der unschuldigen Gemahlin so fre-
ventlich geschändet! Alles Schöne und Liebe mag man der spanischen
Comedia nachsagen, aber unter hunderten, und zwar der ersten Meister,
verdient kaum eine den Nachruf: „Ende gut, Alles gut".
t) Orant. Esta noche nos casamos
tt) Rey. Salgan dos mil hombres presto
Que a prenderle voy dispuesto,
0 a matar mi infame nuera.
ttt) Rey Combatalde, derribalde , . .
Mi traydar hijo, y matalde.
*t) Acabado por mi esta.
32*
500 ^^s spanische Drama.
Einer Mittelklasse von Schauspielen, „zwischen letztern und den
Stücken, welche mehr den Ton des eigentlichen Lustspiels anschlagen",
überweist die „Geschichte der dramatischen Literatur und Kunst in Spa-
nien" Lope's Komödie Las Flores de Don Juan*); La moza de Can-
taro**), „vor Allem La esclave de su Galan". Die Inhaltsangabe in
der Haselnuss oder als Senfkernchen beschränkt sich auf die bei solcher
UeberfüUe von Fabelauszügen dankenswerthe kurze Chronik: „Der junge
Don Juan entsagt aus Liebe zu Elena einer reichen Pfründe, welche
ihm sein Vater ausgewirkt hat, und wird deshalb von letzterem Verstössen.
Elena, für das Opfer, *das ihr der Geliebte 'gebracht, dankbar, fasst
denselben Entschluss, sich als Sklavin an Don Juan's Vater (Don Fer-
nando) zu verkaufen, um dessen Zorn zu besänftigen und ihn mit dem
Sohn zu versöhnen".***) El Cavaliero de Olmedo.f)
Die schwungvoll enthusiastische Verherrlichung der eigentlichen „Lust-
spiele"tt) wird dem Leser reichlichen und wohlthuenden Ersatz bieten,
für unsere den Schmelz der Schmetterlingsflügel so oft in blos gleissen-
den Staub auflösende analytische Lupe: „In diesen Lustspielen des Lope
de Vega strahlt die Flamme des Genies — im reinsten Glänze und in den
mannigfaltigsten Brechungen. Mag die Anlage und Durchführung des
ganzen Plans oder die sorgfältige Pflege des Einzelnen, mag die Erfindung
der Handlung oder ihre entsprechende Ausführung in's Auge gefasst wer-
den, überall zeigt sich der vollendete Meister, überall erfreut und be-
glückt uns der üppigste Reichthum der Phantasie, die gutmüthigste , lie-
bevollste Laune, der Adel und die Eeinheit der Gesinnung, der durch-
dringendste Blick in die Tiefe der Seele. Wir treten, wenn wir diese
Dichtungen durchwandeln, in eine ganz neue poetische Welt; es ist eine
unübersehbare Ausstellung von Gemälden der Leidenschaften und Be-
strebungen des Menschen, ihrer Liebe und ihres Hasses, der Windungen
und Verkettungen ihrer Schicksale. Welch reicher und reizender, die Auf-
merksamkeit immer von neuem fesselnder W^echsel der Begebenheiten!
Welche Anmuth und Süssigkeit in den Sceneu der Galanterie und Minne!
Welche sprudelnde Laune in den Scherzen! Welche Mannigfaltigkeit in
den wunderbaren Spielen des Zufalls und in der Gestaltung der Verhält-
nisse, die aus ihnen hervorgehen! Und in allen diesen Gemälden, welche
Correctheit der Umrisse, so dass kein Zug verzeichnet ist ! Welcher Glanz
der Beleuchtung, welche Wärme des Colorits!"ttt) " Jedes Ausrufungs-
*) Unsere Analyse X. S. 106 tf. -- **) S. 28 ff. — ***) In der Bibl. ßi-
vadene^Lra, t. IL der Comed. escog. de Lope de V. (t. 34.) p. 487—506.
Das Motiv von der ital. Komödie mehrfach benutzt. — f) Analyse X.
S. 429 ff. — tt) ä- a. 0. S. 363 tf. Die sogenannten Mantel- und Degen-
spiele. „Las Comedias de intriga amorosa, 6 Comedias de Capa y
espada. En esto genere fue (Lope) original y major que en nungun otro.''
Lista a. a. 0. p. 153. — ftt) a. a. 0. S. 365.
Lope's Schäferspiele. 501
zeichen ein Lichtstrahl zur Charakteristik dieser das feine Lustspiel trans-
figurirenden Gruppe ; und zugleich ein Lichtwurf, der die alles vergröbern-
den Linsengläser des Mikroskops in der Hand eines Mikromegas der kri-
tischen Analyse zertrümmert! 0 um die Augenlinse von Hotfmann's
Meister Floh, die Alles verschönert ! Behufs Würdigung poetischer Meister-
werke, da gilt es Schöngucker nicht Kleingucker (Mikroskope) in die Pu-
pille schrauben! Wir können daher den Leser zu seiner Erhebung und
Erholung von den Mikromegas-Kritiken, die nur den Sirenen, wie den Mu-
sen im Kampfe mit denselben die Flügel zerschlagen und die glänzendsten
Federn ausrupfen — wdr können unsern Leser nur auf diese auch in
stylistischer Beziehung musterhafte poetisch- enkomiastische Auszugsangabe
des Fabelinhaltes von Lope's eigentlichen „Lustspielen*' verweisen, auf die
ernstliche Gefahr, unseren Lesern für immer den Geschmack an der zer-
gliedernden Kritik zu verleiden. Wer wird auch Austern mit Messer und
Gabel kurz und klein schneiden, anstatt sie aus der Inhaltsauszugsschale
mit dem Schluck Seewasser zu schlürfen, und hinterher einen Guss
Champagner perlender Lobesbegeisterung zu stürzen! — Die Inhaltsaus-
züge von Amor sin saber a quien; von El mayor Imposible; von
El Acero de Madrid; von Los milagros del Deprecio — eben so
viele Austern mit Champagner -Schlucken, in Vergleich zu der Analysen-
Kritik*), welche die Cleopatra-Perlen in Essig auflöst, Perlen, Auster und
Austerschale allzumal.
Von Lope's „Schäferspielen" werden die beiden Jugendstücke:
El verdadero amante, und La pastoral de Jacinto, und die Co-
media La Arcadia namhaft gemacht.**) Aus den Comedias de San-
tos „geistlichen Komödien", die eine scharfe und treffende Abfertigung
erfahren, werden als Beispiele „von auffallender Monstrosität*' El Cardi-
nal Belen; San Nicolas de Tolentino; El animal Profeta (Das
Leben des St. Julian) angeführt, mit kurzen Andeutungen der Hand-
lung.***) Das prophetische Thier ist ein vom zukünftigen h. Julian
auf der Jagd erlegter Hirsch, der im Verscheiden zu ihm spricht: „Es
ist nicht viel, dass Du mich tödtest, da Du einst noch Deine Eltern um-
bringen wirst, t) Wie der Jüngling Oedipus, entflieht auch unser Heiliger,
*) S. 239 ff., 23 ff., 419 ff., 210 ff. — **) Vgl. Gesch. der Drama's IX.
S. 558 ff". — ***) In der Geschichte d. Drama's mussten Lope's den h. Isi-
doro feiernde Festkomödien dieses Genre vertreten. So eine Analyse ist
wie der Hecht im Goldfischteich: unus pro multis.
f ) No tengas por grande hazaiia
la que oy en matarme has hecho
Que es hombre que —
— — — — ha de matar
502 ^^s spanische Drama.
um der Prophezeihung einen Riegel vorzuschieben, aus dem elterlichen
Hause. Vater, Mutter, Geliebte (Irene), die ihm vergebens nachrufen, be-
sieht er mit dem Bücken.*) Im zweiten Act ist St. Julian"mit Lau-
rencia, der Nichte des Herzogs von Perrara, vermählt und fordert ihren
früheren Anbeter, Federico, des Herzogs Bruder, der das Geschäft nach
St. Julian^s Vermählung mit frischen Kräften fortsetzen will, zum Zwei-
kampf. Federico beabsichtigt indess einen andern Zweikampf, mit St. Ju-
lian's Gattin, Lauren cia nämlich, die er, während der künftige Heilige
auf dem Kampfplatz wartet, zu entführen entschlossen ist. Julian hat
diesen von Federico einem Genossen eröffneten Vorsatz, hinter einer Wand
verborgen, behorcht.**) Das erzählt er sich in einem Monolog vor der
schlummernden und im Traum sprechenden Gemahlin, deren traumbe-
fangene Worte er zugunsten Pederico's auslegt. Julian entfernt sich
mit dem Schwur, beide Buhlen zu morden.***) Es treten nun Julian's
Eltern (Ludovico und Rosaura) ein, die ihren verschwundenen Sohn
aufsuchen. Laurencia überlässt den Schwiegereltern ihr Ehebett. Ju-
lian schleicht mit einer Laterne herbei: Die umgekehrte Situation zu
„Zacharias Werner's*' — eigentlich Lille' s „Vier und zwanzigstem Februar'',
an welchem unser Zacharias Werner ein Plagiat, oder auch eine Art Va-
terraubmord, begangen. Julian hält, trotz Laterne, das schlafende El-
tempaar im Bette seiner Gemahlin, für diese und ihren Buhlen Federico,
und taucht seinen Dolch in die Herzen der Eltern, wiederholentlich den
Stahl mehrmals in deren Busen umkehrend.!) Da tritt ihm aus dem
Nebenzimmer Laurencia mit einem Licht entgegen. Lallend vor Ent-
setzen, fragt Julian: „Wer sind denn die in meinem edlen Bette V"
Laurencia bittet sich für die erfreuliche Nachricht Botenlohn aus und
meldet ihm: „Deine Eltern sind's!*'tt) Grausend legt Julian Hand an
Sus padres — — — —
no es mucho que mate un ciervo.
*) Jul. (dentro*).
A Dios Patria, ä Dios Irene,]
Ä Dios padres.
Irene. jMa inconstante! ...
**) Pues de un tabique escondido,
de lo que tiene trazado
mi enemigo rae he informado.
***) Vive Dios que he de mataiios.
t) Jul. Y6 en sus peches cautelosos
manche el punal varias veces . .
tt) Jul. Dime (iquien so las que ocupan
mi noble lecho?
*) „hinter der Scene".
Der Teufel wird vom heiligen Julian geholt. 503
sich selbst, im Begriife, sich mit dem vater- und muttermörderischen
Dolche zu durchbohren. Da kommt Federico wie gerufen, den der
Heilige in herba, statt seiner, niedersticht und entflieht mit seiner Gattin,
Stich und Flucht mit Laurencia dem Federico vorwegnehmend.
Die dritte Jornada versetzt uns nach Calabrien, wo wir zunächst
dem Duque de Calabra, und dann dem Julian und seinem Diener
Bulcano, in Eremitentracht, begegnen, huckepack als Armen — Wen
tragend? — den leibhaften Teufel.*) Welchen Eingang zum dritten Act
nach einem Actschluss wie in der zweiten Jornada! Traun, das Gehirn
des grössten spanischen Genie's gleicht immer doch dem Sacke jenes
andern spanischen Heiligen, worin sich beständig zwei Teufel balgen. Im
spanischen Gehirnsack sind diese zwei Teufel: der Dämon des poetischen
Genie's und der dumme Teufel des heiligen Aberwitzes. Der Teufel
hockt dem heiligen Julian auf dem Genick, um ihn, für die Gründung
eines Spitals, in welches sich der Demonio als Kranker eingeschlichen,
mit Beschlag zu belegen. Demonio hat aber die Rechnung ohne den
Spitalwirth Julian gemacht, der ihn, den Teufel, holt. Der arme, arme
Teufel! ,,Er hat diese List ersonnen, um den reuigen Julian irre zu ma-
chen und ihn zu überreden, dass seine Sünde nie Vergebung finden könne,
weil seine Eltern unbussfertig gestorben sej^en*'.**) Der Teufel hatte ihm
allerlei Teufelsfratzen in Gestalt von Armen und sogar jene faustischen
„Kleinen von den Meinen" vorgegaukelt, welche dem Julian hinter der
Scene seine ganze Geschichte, von der Prophezeihung des sterbenden Hir-
sches an, bis auf die Spitalgründung in Calabrien, vorsangen, und dem
Geängstigten die Hölle so heiss machten, dass Julian an Gottes Gnade
schon verzweifelt.***) Noch mehr! Demonio lässt dem Julian seinen
von ihm ermordeten Vater aus höllischen Flammen emporsteigen, und ihn
mit Jammerflüchen wegen der sechs Dolchstiche in der Brust peinigen.
Der Spuk versinkt. Endlich erscheint Laurencia mit dem Jesuskind
als Spitalarmen, t) Das Jesuskind giebt Liebe als sein Gebresten an ff),
Laur. <sHas de darme
primero albricias?
Jul. Si hare.
Laur. Pues, son, esposo, los padres.
*) (Con el demonio de pobre en los hombros.) .
**) Dem. Y hijo el pecado mas grave,
en no matarlos en gracia.
***) Jul. ^Adonde se esconderä,
Dios Eterno, mi malicia
Si ya por vuestra justicia
Condenada el alma estä?
t) (el Niiio Jesus de pobre.)
tt) Jul. 6Q^6 dolor teneis?
Nino. De Amor.
504 ^^^ spanische Drama
und beruhigt des geängstigten Julian Gemüth mit der Kunde, dass seine
Eltern zurzeit nicht in der Hölle, sondern im Fegefeuer sich aufhalten,
und — siehe da! — und schweben auch schon aus dem Purgatorium in
lichten Gewändern empor. Das Kind Jesus erhebt sich nun ebenfalls in
den Himmel, nachdem es sein Spitalkleid hat fallen lassen. „Das gilt
nicht!" schreit der Teufel. „Was? einen Elternmörder nimmst Du zu
Gnaden an ? und machst ihn zum Heiligen ; der von rechtswegen mir ge-
hört? Wohin soll das führen, allgütiger gerechter Gott?***) „Wilder
Höllendrache!'* — schleudert aus seiner Glorienhöhe das Jesuskind dem
Teufel aufs gehörnte Haupt — „St. Julian's Eeuebusse erwirbt ihm meine
Verzeihung**, und ruft die seligen Geister von St. Julian's Eltern, Ludovico
und Rosaura, zu sich heran, die dem Heilandkinde zur Eechten und
Linkeu nun auch mit ihm emporschweben. Parallel zu diesem Glorien-
Tableau, beruft Demonio unterhalb die höllischen Schaaren und die Ver-
dammten herauf, in parallelen Wechselversen mit des Gottkindes himmli-
scher Ansprache an den Heiligen und Gerechten, sich mit seinen Ver-
ruchten hinunterstürzend in den Flammengrund. Der vom Jesuskinde sel-
ber canonisirte Heilige, St. Julian, folgt in Verzückung an der Seite
seiner Gemahlin Laurencia der Himmelfahrtsherrlichkeit mit heiligge-
sprochenen Blicken. Welche Mischung von poetischer Phantasie und
Fratze ! von dramatischem Genie und dessen Kraft und Wirkung lähmen-
dem Idiotismus, der den Glauben an weissagende Hirsche so eifervoll ein-
prägt, wie an Gott und Christum!
Einen ganz und gar verteufelten Bösewicht und Höllenauswurf, der
nach den gräuelvoUsten Ausschweifungen und Verbrecherabenteuern —
Blendung seines Vaters, versuchte Schändung seiner Schwester — sich be-
kehrt, einen Kerl, der an Verworfenheit den Demonio im St. Julian-
Heiligenspiel überteufelt, beatificirt Lope's Santo -Drama *La fianza
satisfecha', die zufriedengestellte Bürgschaft in der Person eines
Wüstlings aus Palermo, Leonido, den Jesus, als Hirtenknabe, durch
den Anblick seiner in der Hirtentasche diesem . Leonido vorgezeigten
Marterwerkzeuge, und dann durch die Anschau Jesu am Kreuze, als
der ihm plötzlich der Hirtenknabe erscheint, zum freiwilligen Märtyrer
und Bussheiligen bekehrt und verklärt. ,,Am Schlüsse sieht man ihn,
die Dornenkrone auf dem Haupt, freudig den Tod am Kreuze erlei-
den**. Mit dem Gottmenschen, dem Ideal aller menschlichen und göttli-
chen Tugenden, den Auswurf der Menschheit der gleichen Marterseligkeit
*) Dios eterno que es aquesto?
Pues como
De los Celestes coluros
baxas para regalarle
y darle en sus penas gusto?
Eines der merkwürdigsten Dramen Lope*s. 505
und Beispielwürdigkeit theilhaft machen, blos weil der Auswurf nach ei-
nem Schandleben zu Kreuz kriecht — ist das nicht die freyelvollste Ent-
weihung von Christi Kreuzestod? Und läuft nicht eine so gottesläster-
liche Gleichstellung auf jene Abfertigung hinaus, womit Goethe Gott den
Herrn den Teufel auf s Maul schlagen lässt: Am jüngsten Tag ist doch
Alles nur ein F -? Aufrichtige Eeue und Busse mag ein sünden volles
Leben läutern, ^ber dem Reumüthigen die höchsten himmlischen Ehren
und Weihen zuerkennen, im Masse seiner Schandthaten, das heisst, diese
selber heilig sprechen; zur Nachfolge und Nacheiferung des laster- und
verbrechenbefleckten Lebenswandels aufrufen, mit dem freigestellten Hin-
tergedanken, mit der vorbehaltlichen 'Fianza satisfecha': dermaleinst zu
bereuen und sich zu einem gleichwerthigen Kreuzesmartyrium mit dem
des Weltheilands beatificiren zu lassen. Das Leben in Christo als gleich-
gültig darstellen, wofern man nur in Christo stirbt, und auf solches in
Aussicht genommene selige Ende hin lossündigt; als Demonio leben und als
Santo sterben — ist das der Kern von Jesu Sendung und Heiligung der
Menschheit durch sein gottwürdiges Leben und durch den schmachvoll-
sten Verbrechertod? Die Idee dieses göttlichen Sühnopfers des heiligsten
Lebens in das Gegentheil verzerren: in eine schliessliche Heiligung des
abscheuwürdigsten Lebenswandels , aufgrund des blossen reuseligen Glau-
bens an Christi durch sein Leben und Lehren geheiligte Todesschmach
und Marter — wird die dramatische Verherrlichung eines solchen gräu-
lichen Zerrbildes von Christi Erlösung etwa auch zu einem poetischen
Heiligen-Bühnenspiele, weil das den Heiland zugunsten eines Santo von
ruchlosem Wandel schändende Drama das Zerrbild mit poetisch gleissen-
den Blumen und Flitterwerk ausschmückt? —
,,Zu den merkwürdigsten Dramen Lope's gehört ferner *E1 nino
inocente de la Guardia'*), ein Stück, das zwar durch den fanatischen
Hass gegen Andersglaubende, den es in jeder Zeile athmet, einen peinli-
chen Eindruck hervorbringt und auch als dramatisches Ganze nicht be-
friedigt, aber voll hoher poetischer Schönheiten und reizend schwärmeri-
scher Züge ist, die einen wunderbaren Zauber über das Ganze ausbreiten.
Im Beginne sehen wir die Königin Isabella, wie sie durch eine Er-
scheinung des heiligen Dominicus aufgefordert wird, Spanien von den
Feinden des katholischen Glaubens zu reinigen. Die folgenden Scenen
schildern die beginnende Verfolgung der Juden und die getroffenen Maass-
regeln zu deren gänzlicher Vertreibung ans Spanien. Wir werden in eine
ihrer Versammlungen geführt, wo sie Rachepläiie gegen die Christen
schmieden; einer unter ihnen verspricht, ein Zaubermittel zu bereiten,
welches Tod und Verderben über ihre Feinde bringen soll; aber es bedarf
dazu das Herz eines Christenkindes, das vor allen durch Frömmigkeit aus-
gezeichnet ist, weshalb sich Mehrere aus der Gesellschaft aufmachen, um
*) „Das unschuldige Kind der Wache".
506 ^^^ spanische Drama.
ein solches Kind zu rauben. In den nächsten Scenen wird die Feier des
Himmelfahrtfestes geschildert, die mit grossem Pompe begangen wird.
Juannico, ein Knabe von engelgleicher Schönheit und Frömmigkeit, ist
mit seinen Eltern ausgegangen, um die Procession zusehen; als die Fahne
vorübergetragen wird, auf welcher Maria in ihrer Glorie, von Engeln um-
geben, dargestellt ist, ruft er aus: ,,0 war' ich einer von den Engeln,
welche die schöne Jungfrau umgeben!" Er eilt anbetend dem Bilde nach,
verliert sich in dem Gedränge und wird von den Juden geraubt. Die
trostlose Mutter bemerkt mit Schrecken den Verlust des Kindes und sucht
es überall vergebens; sie tritt verzweiflungsvoll in eine Kirche und lässt
nach einem spanischen Brauche von einem Blinden das „Gebet vom ver-
lornen Kinde" hersagen; kaum aber hat dieser geendigt, so erschallt im
Hintergrunde der Kirche eine Stimme, welche singt: ,,Wer verloren hat,
der tröste sich; denn was man auf Erden verliert, das findet man im
Himmel wieder!^' — - Den Rest des Stückes nimmt nun das Märtyrthum
des unglücklichen Knaben ein. Die Juden, um ihre ganze Eache zu sät-
tigen, beschliessen, ihn unter denselben Martern hinzurichten, wie Christus,
und der letzte Act führt uns die ganze Reihe von Leiden vor, welche auf
den armen Juannico gehäuft werden; die Geisselung, die Dornenkrönung
und endliche Kreuzigung, die himmlische Geduld und Ergebung des Kna-
ben, dessen Seele zuletzt von Engeln in den Himmel getragen wird, und
dazwischen die Orgien und Freudengesänge der Juden — das Alles bildet
ein wunderbares und tief ergreifendes Gemälde, von dem man nicht weiss,
ob man es wegen seiner hohen dichterischen Schönheit bewundern, oder
wegen seiner Wildheit und Seltsamkeit tadeln soll."*) -- „Von dem man
nicht weiss" — ? Ei doch! Von dem man, mit Vergunst des hochverdien-
ten Literarhistorikers, den wir citiren ! — von dem jeder durch poetischen
Scheinzauber nicht Bestechliche recht gut weiss, dass Lope's eben vorge-
führtes Martyrium -Drama, *E1 nino inocente', ein noch abscheulicheres
Kehr- und Zerrbild von Jesu Worten am Kreuze ist: „Vergieb ihnen",
u. s. w., als Lope's Heiligendrama, 'La fianza satisfecha' eines von Christi
Leben, Leiden und Sterben isf. Jesus flehte am Kreuze Gottes Barmher-
zigkeit und Vergebung für seine Folterer und Kreuziger an; Lope's Niiio
inocente flucht und hetzt die christliche Bevölkerung gegen die jüdische
auf eine schaudererregende Blutthat hin, die aller factischen Begründung
entbehrt, eine Beschuldigung, an die auch nur ohne thatsächliche Be-
weise zu glauben, feindselig, ja unmenschlich ist, und dem Dichter, dem
gelehrtesten, frömmsten und grössten Dichter seiner Nation, um so mehr
zur Schande gereicht. Der Dichter, der dramatische zumal, ist vor Allen
berufen, die Wahnbegriffe seines Volkes zu berichtigen, zu läutern, Seelen
und Herzen zu holder Menschenfreundlichkeit, zur Menschenliebe zu stim-
men, mit einem Wort, im Geiste von Christi Lehren, Gesinnungen und
*) Gesch. der drara. Lit. und Kunst in Span. a. a. 0. S. 391 f.
Lope's Autos Sacramentales. 507
liebreicher, vergebungssüsser Milde den Wahnglauben, die Unduldsamkeit,
die grausame blutgierige Verfolgungssucht, den Fanatismus seiner Zeit-
und Volksgenossen durch die bewältigende Macht und den himmlischen
Zauber seiner Kunst zu brechen, und wahrhaft christliche, d. h. von
Christus gehegte und geweihte Empfindungen für die Mitmenschen in die
Gemüther seiner Glaubensgenossen zu pflanzen. Athmen seine Dichtungen
nicht diesen Heilandsgeist, so ist der Dichter, im Maasse seines Genies
und seiner verführerischen Zauberkräfte, ein Dichter Beliars, und seine
Kunst Teufelsblendwerk und Gaukelspiel; seine schönsten dichterischen
Blumen giftiges Unkraut, um so gefährlicher und tödtlicher, als sie durch
ihre prächtigen Farben blenden und bestechen. Das spanische Heiligen-
Drama, das spanische Auto, mit seltenen Ausnahmen, ist solches pracht-
blumige Unkraut, das der Teufel unter den guten Weizen säte und das
diesen überwucherte und erstickte. Nur das ist schön, was zugleich gut
und heilsam ist für die Seele, und das Heilsame allein das Heilige, und
nur ein Dichter, der in diesem Sinne die Seele heiligt, der wahre Dichter
heiliger Poesie, Santo-Drama's und Autos Sacramentales, und schön und
herrlich und kunstgemäss einzig nur das Gedicht, dessen Duft und Hauch
so balsamisch heilsam und seelenstärkend ist, wie seine Blumen Wohlge-
stalt und lieblich. Der Engel schönster, Lucifer, entartete, mit der inneren
Verfinsterung, zum scheusslichsten Drachen, und der „schöne Morgen-
stern" strahlte nur höllisches Feuer der ewigen Verdammniss aus. So
verkehrt sich das scheinbar Schönste an Kunst ohne menschlich- und
sittlich-schönen Gehalt zur Teufelskunst und zum Höllenzauber.
Lope de Vega's Autos sacramentales leitet unser geistvoller,
mustergültiger und belehrungsreicher Vorgänger und Meister mit den
trefflichsten Hervorhebungen der üebelstände allegorischer Dichtung ein;
schwingt sich aber miteins empor zu einer kritischen Dithj^ambe, wie ein
Adler, der sein halbzerfleischtes Opfer mit den eingeklauten Fängen bis
in die Wolken erhebt; hoch über die Wolken, bis an die Sterne, wo er
den blutig zerkrallten Hasen als Sternbild wieder laufen lässt; oder, wie
Jupiters Adler den geraubten Ganimed in dem olympischen Göttersaale
als Mundschenken und. Lustknaben des Götterkönigs absetzte, — ähnlich
das eben heruntergerissene Auto zu' den himmlischsten Ehren emporreisst,
zu dem Schenkenamte an der Göttertafel der Poesie, wo es den im Kreise
thronenden Dramengattungen, als seligen Göttern, zur x^mbrosia den un-
sterblich berauschenden Nektar kredenzt — dasselbe allegorische Auto,
das zwischen den Krallen des Donnervogels sich eben nur so kläglich vor
Angst gebärdet hatte, wie Eembrandt's Ganimed auf dessen bekanntem
Entführungsbilde, wo der Junge unter dem aufgeschürzten Hemdchen als
vorläufig allegorischer Schenke aus der hypostatischen Dille eines perso-
nificirten Henkelkrügleins, zwischen Himmel und Erde, einen mystisch-pa-
rabolischen Vorguss in silbernem Böglein strahlt.
Die das spanische Frohnleichnamsspiel apotheosirende und unter
508 I^3;S spanische Drama
die Sterne „mit allen Fehlern*' palinodirende Dithyrambe lautet wie
folgt:
„Wer zuerst in den Zauberkreis dieser Dichtungen eintritt, der fühlt
sich von einem fremden Geiste angeweht und erblickt einen andern Him-
mel, der sich über eine andere Welt ausspannt. Es ist als ob dämonische
Mächte uns in finsterem Sturme davontrügen; schwindelerregende Tiefen
des Denkens thun sich auf, wunderbar räthelhafte Gestalten entsteigen
der Finsterniss, und die dunkelrothe Flamme der Mystik leuchtet in den
geheimnissvollen Born hinein, aus dem alle Dinge entspringen. Aber die
Nebel zertheilen sich und man sieht sich über die Schranken des Irdi-
schen hinaus, jenseits von Kaum und Zeit, in das Reich des Unermess-
lichen und Ewigen gerissen. Hier verstummen die Misstöne; bis hierher
steigen die Stimmen der Menschenwelt nur wie feierliche Hymnen, von
Orgelklängen getragen, empor. Ein riesiger Dom von geistiger Archi-
tektur nimmt uns auf, in dessen Ehrfurcht gebietenden Hallen kein pro-
faner Ton laut zu werden wagt; auf dem Altar thront, von magischem
Licht umflossen, das Mysterium der Dreieinigkeit; ein Strahlenglanz, wie
ihn irdische Sinne kaum zu ertragen vermögen, dringt hervor, und um-
leuchtet die gewältigen Säulenhallen mit einer wunderbaren Glorie.
Hier sind alle Wesen in der Anschauung des Ewigen versenkt und blicken
staunend in die unergründlichen Tiefen der göttlichen Liebe. Die ganze
Schöpfung stimmt in einen Jubelchor zur Verherrlichung des Urquells
alles Lebens zusammen; selbst das Wesenlose redet und empfindet; das
Todte gewinnt Sprache und den lebendigen Ausdruck des Gedankens; die
Gestirne und Elemente, die Steine und Pflanzen zeigen Seele und Selbst-
bewusstseyn; die verborgensten Gedanken und Gefühle der Menschen
springen an's Licht; Himmel und Erde strahlen in symbolischer Ver-
klärung. Auch abgesehen von dem tiefen Innern Gehalt dieser Dichtun-
gen, muss der Glanz in der Ausführung des Einzelnen entzücken. Viel-
leicht in keinem ihrer andern Werke haben die spanischen Dichter den
poetischen Reichthum, über den sie, wie sonst Niemand, zu gebieten hat-
ten, so concentrirt, wie hier. Es ist ein Farben schmelz , ein Blüthen-
duft und ein Zauber des entzückendsten Wohllauts, der alle Sinne be-
rauscht.** •
Der Unterschied von Calderon's und Lope's Auto sacramental wird
in treffenden Zügen festgestellt:
„Die höchste Vollendung und kunstvollste Ausbildung hat das Auto
sacramental durch Calderon erhalten. Bei Lope de Vega — erscheint
dasselbe noch in einer weniger entwickelten Gestalt. Die Kategorie ist
bei ihm oft noch in derber Unmittelbarkeit gefasst und ohne Tiefe der
Psychologie; man vermisst nocli jenen Reichthum und jene Feinheit sinn-
bildlicher Beziehungen, jenen tiefsinnigen Mysticismus, womit sein Nach-
folger allen Erscheinungen den Stempel des Begriifs aufzudrücken und
Lope's Auto: Las Aventuras del Hombre. 509
das ganze Weltall geistig*) zu verklären wusste. Lope steht noch mehr
auf dem Standpunkt der Naivetät und unmittelbaren Poesie; und wenn
wir den späteren Dichter auch in einem vorgerückten Stadium der Kunst
erblicken, so fesselt uns der frühere dagegen durch mehr Frische und
ISlatürlichkeit/'**)
Lope's Auto sacram. „Die Reise der Seele'' (El Viage del alma),
das erste, wovon unser Autor einen Entwurf giebt, kennt unser Leser aus
der Analyse.***)
Das zweite Auto, Las Aventuras del Hombre „Die Abenteuer des
Menschen", „beginnt mit der Vertreibung aus dem Paradiese" . . . Der
Verbannte sieht sich in eine grauenhafte Einöde hinausgestossen , wo
rauhe Felsen seine Füsse zerschneiden, Abgründe ihn zu verschlingen
drohen und furchtbare Schreckgestalten ängstigen. Bei dieser Scene
scheint dem Dichter der Anfang von Dante's göttlicher Komödie vorge-
schwebt zu haben. Der Mensch irrt hültios verzweifelnd umher und ge-
räth immer tiefer in die pfadlose Wildniss hinein. Da tritt eine Gestalt
zu ihm, die ihn anfänglich erschreckt, aber bald durch milde und er-
muthigende Worte aufzurichten sucht, indem sie zu ihm spricht; „Ich
bin der Trost, von Gott gesandt, um Dir zum Begleiter zu dienen; . . .
wenn ein Weib die Ursache Deines Falles und Deiner Verbannung ist, so
soll einst ein anderes Dich wieder emporheben ; . . . wenn eine Speise Dich
zur Schuld verführt hat, so soll einst eine andere Dich mit dem Himmel
versöhnen; bis dahin lass Dich von mir durch's Leben geleiten". Die
beiden Wanderer „kamen an einen prachtvoll erleuchteten Palast, aus
dem ihnen fröhliche Musik entgegenschallt. Dort thront die „Thorheit
der Welt" als Königin. Eine Schaar von Fröhlichen umschwärmt tanzend
und singend die Fremdlinge, und fordert sie auf, in^s Schloss zu treten.
Der Trost warnt den Menschen, aber dieser lässt sich bethören und
nimmt die angebotene Gastfreundschaft an. Die Königin empfängt ihn
mit Freuden und befiehlt der Eitelkeit und der Prahlerei, das Zim-
mer des Trugs prachtvoll für ihn zu schmücken, der Sinnlichkeit, ihm
einen Liebestrank zu bereiten, dem Traum, ihn mit reizenden Bildern
zu umgaukeln, der Neugier und der Lüge, für seine Unterhaltung zu
sorgen". Bald aber bekommt der Mensch, „von höherem Drange be-
seelt", dieses Schlaraifenleben satt und verlässt das Schloss. Auf seiner
Wanderung „überfallen ihn die Zeit, der Tod und die Sünde als Räu-
ber und nehmen ihn gefangen und überliefern ihn der Schuld . . . Der
Trost verweist ihn auf den Heiland . . . Die Wände des Kerkers öifnen
sich, die heilige Jungfrau, mit dem Drachen zu ihren Füssen geschmiegt,
erscheint und giesst milden Trost in die Seele des Gefangenen, der nun
beruhigt einschläft. Während er schlummernd daliegt, steigt die gött-
*) geistig — d. h. theologisch-scholastisch-mystagogisch-phantastisch-
spiritualistisch. ~ **) a. a. 0. S. 398 f. — ***) X. S. 470 ff.
510 Das spanische Drama.
liehe Liebe auf einer Leiter vom Himmel nieder und verkündet ihm,
die Stunde der Erlösung sey gekommen. Die Thüren des Gefängnisses
springen auf und der Mensch wird von seinem himmlischen Führer auf-
gefordert, mit ihm ein Schiff zu besteigen, das ihn in den Hafen des ewi-
gen Heils führen werde. Der Tod und die Sünde entfliehen; die Schuld
erscheint verklärt und im lichten Gewände. Am Schlüsse sieht man das
Schiff (der Kirche) und auf ihm einen Altar mit Kelch und Hostie, vor
dem der Mensch kniet".
Das Auto De la puente del Mundo (Von der Brücke der Welt),
so genannt von der Teufelsbrücke, die der Fürst der Finsterniss gebaut
und Jeder überschreiten muss, der in die Welt eingehen will — behandelt
nicht das Mysterium des Abendmahls, ist also kein eigentliches Auto
sacram. Der Teufelsbrücke biegt der Kreuzesritter (Christus), nachdem er
die Baumeister und die Helfer derselben, den Leviathan, besiegt, ein
Paroli durch eine andere, parallel neben jener geschlagene Brücke, „auf
der das Menschengeschlecht in den Himmel gelangen kann.''
^ Ebensowenig lässt sich das folgende Auto, El Heredero de Cielo,
„Der Erbe des Himmels", den Abendmahl- Autos, den eigentlichen Frohn-
leichnamsspielen , beizählen, da es wohl von einem vom Judenvolk lieder-
lich und schwelgerisch bewirthschafteten „Weinberge", nicht aber von dem
'Corpus domini', der Transsubstatiation des Weines und Brodes, han-
delt. Der Weinberg ist die „heilige Kirche"; ihn giebt Gott einem
„heidnischen Volke", dem römischen nämlich, in Pacht, das ihn aber
noch ärger zu Schanden gewirthschaftet hat, als das Volk Israel — ein
Auto-Stoff, der noch seinen Dichter sucht. Dieses Auto müsste denn der
in der Versform des Hendecasyllabus mit Kettenreimen gedichtete — ■
Syllabus seyn.
„In eine unendlich verschiedene Sphäre wird man versetzt, wenn man
von den Autos zu den Entremeses übergeht. Diese kleinen burlesken
Darstellungen, oft nur abgerissene Scenen, ganz ohne dramatisches In-
teresse, sind von dem rastlos producirenden Dichter ohne Zweifel in we-
nigen flüchtigen Augenblicken hervorgebracht worden; allein treffliche Züge
von der Art, wie sie in dieser Gattung überhaupt Platz finden können,
wusste seine eilfertige Feder auch hier wie im Fluge hinzuwerfen. An
kecken Scherzen und belustigenden Situationen ist kein Mangel, und die
Thorheiten und Lächerlichkeiten des Menschen werden aufs launigste und
mit ächter Komik gegeisselt. Nur Feinheit des Scherzes darf man nicht
in einer Gattung von Stücken suchen, die sich ihrem Wesen nach durch-
aus im Gebiete des Burlesken bewegt*), vor Allem darauf, ausgeht, kräftig
zu ergötzen und zu diesem Zweck selbst zügellose Possenreisserei nicht
verschmäht."
*) Durch Feinheit des Scherzes unterscheiden sich Cervantes' En-
tremeses von Lope's und allen andern Entremeses der spanischen Bühne.
Lope's Entremeses. 51 1
Eine fliegende Besprechung der von Herrn v. Sehack übersetzten
vier Entremeses des Lope*) wird dem Leser am besten die Eichtig-
keit der literarhistorisclien Kennzeichnung beurkunden.
Der betrogene Vater (El padre enganado.**) Guadarrama,
,,Der betrogene Vater", fällt mit gezogenem Schwert über seinen Diener,
Lorenzo her, um ihm ein Liebesbrief chen zu entreissen, das seine Toch-
ter, Isabela, durch Lorenzo an ihren Geliebten, wie der Alte wittert,
bestellen lässt. Ein Nachbar stürzt auf den Lärm herbei. Lorenzo kehrt
den Spiess um: Das Brief chen hätte ihm der alte Geizhals zum Bestellen
an sein Schätzchen aufgezwungen, und weil er sich geweigert, daher sein
Toben und Schelten. Nachbar rathet dem wüthenden Alten den Bur-
schen fortzujagen. Lorenzo ist froh, aus der Hungerhöhle zu entkommen,
wo er Essig und Knoblauch schlucken muss, um seine Gedärme einzu-
*) Spanisches Theater IL Theil. S. 159-269. — **) Comedias t. 1.
Vallad. 1609 u, Mil. 1617. „Die Ausgaben dieses Bandes'* (bemerkt der
Verfass. der Gesch. der Lit, u. Kunst in Spanien IL Anhang L S. 691)
„enthalten ausser den 12 Komödien und Loas noch folgende Zwischen-
spieleif) La Melisandra. El padre Enganado. El capendor. El doctor
simple. Pedro Hernandez y el corregidor. Los alimentos (Die Ali-
mente). Los negros de santoThome. El Indiano. La cuna. Los ladrones
enganados. La dama fingida. La endemoniada (Die Besessene). Wei-
tere Entremeses enthält der Band (Fiestas del Santissimo Sacramento
en doce Autos sacramentales con suas Loas y Entremeses). Madr.
1644. Autos: El nombre de Jesus (Jesu Name). El Heredero
del cielo. Los Accreedores del Hombre (Die Gläubiger des Men-
schen). Del Pan y del Palo.ft) Ei Missacantano (Der Priester,
der seine erste Messe liest). Las Aventuras del Hombre. La
siega. El Pastor Lobo (Der Hirte als Wolf).ttt) I^a Vuelta de
Egypto (Die Rückkehr aus Egypten). El Nino Pastor (Das Kind als
Hirte). Los Cantares (Das Hohelied). La Puente del Mundo. En-
tremeses: El Letrado (Der Advocat). El soldadillo (Der kleine
Soldat). El Poeta. El Robo de Helena (Raub der Helena). La
Hechicera (Die Hexe, Zauberin). El Marques de Alfarache. El
Degollador (Der Halsabschneider). La Muestra de los Carros (Die
Karren-Schau oder Musterung). Los Organos (Die Orgel). El Reme-
diador (Der Schadenheiler). Daca mi Muger (Her mit meinem Weib!)
Las Comparaciones (Die Vergleichungen). Von diesen Entremeses
hat Moritz Rapp übersetzt:*!) El Poeta. El Marques de Alfarache.
El Remediador. El robo de Helena. El Degollador. La Hechicera.
t) Die gesperrt gesetzten Titel sind die der vier von H. v. Sehack über-
tragenen Entremeses. — tt) Analyse S. 465 ff. — ftt) Analyse S. 468 f.
- *t) Bibl. auserl. Klassiker 91. Hildburgh. 1869,
512 -^^^ spanische Drama.
pökeln, damit sie vor Nüchternheit nicht in Fäulniss übergehen. Auf dem
Bratrost seines Namensheiligen, Lorenzo, ist unser Lorenzo der Braten,
der am langsamen Feuer des Hungerleidens schmort. „Neulich*^ — sagt
er, malerisch wie der Judenbursche in Cumberlands Juden-Eührstück —
„Neulich wollte ein Gerichtsdiener meine Zähne als Nichtsthuer und
nahrungslose Vagabunden verhaften und auf die Galeeren bringen lassen."
Um dieser Eventualität auszuweichen, jagt sich Lorenzo selber fort, und
giebt dem Geizkragen noch Fersengeld, um seine Zähne zu retten. Er-
freut über das gute Geschäft, das der Nachbar vermittelt hat, fordert
Guadarrama diesen auf, seiner Tochter die Leviten zu lesen. Nach-
bar hat Eile, verspricht aber, zu dem Zwecke bald wieder zu kommen.
Statt seiner kommt indessen Antonio, Isabellchens Liebhaber, mit einer
verschleierten Dame, für die er, unter Vorgeben, die Verschleierte sey
ihrem grundlos eifersüchtigen Manne entflohen, einstweilen Zuflucht in
Guadarrama's Haus erbittet. Nach einigen Bedenken bewilligt der
gleich lüsterne wie geizige Alte die Aufnahme. Antonio entfernt sich.
Guadarrama versucht mit der Verschleierten den liebenswürdigen Haus-
wirth zu spielen und erhält für den zärtlichen Händedruck von der Ver-
hüllten, als Gegengastgeschenk, einen unverschleierten Fusstritt. Gua-
darrama steckt ihn vorläufig ein, auf einen günstigen Augenblick sich
vertröstend, ruft Isabellchen herbei, von ihr die Verschleierte in ihr
Zimmer führen zu lassen, der Tochter alle mögliche Achtung und Eück-
sicht gegen die fremde Dame einschärfend. Unterdessen hat Antonio
eine Versöhnung zwischen dem eifersüchtigen Gemahl und der verschleier-
ten Gemahlin zustande gebracht, und erscheint nun, diese ihrem Gatten
wieder zuzuführen. Guadarrama ruft hinein, Isabellchen möchte die
Dame hereinkommen lassen. Die Verschleierte tritt herein und wird
von Antonio davongeführt. Kaum hat er mit der Dame den Rücken
gewendet, war oben am Fenster Lorenzo sichtbar, der die Schleiermaske
dem Töchterchen des gefoppten Alten, Isabellchen, überlassen und dem
„betrogenen Vater" von oben herunter mit einer Nase von Fensterhöhe
begrüsst, dazu noch obenein, als war' es eine Flöte, folgendes Ströphchen
trällernd:
Ach, mein Vater, Angst und Zorn,
Weil Du mich so hart behandelt,
Hat mich hinten, hat mich vorn,
Siehst Du, gänzlich umgewandelt,
Und mich also mitgenommen,
Dass ich einen Bart bekommen!
Guadarrama. Jesus, Jesus, was seh ich? —
Lorenzo. 0 Du alberner Geselle!
Deine Tochter Isabelle,
Wisse, ist Dir durchgegangen
tiope's Entremeses. 513
Und Hess mich an ihrer Stelle
Hier zurück in Angst und Bangen.
Guadarrama. Sag' mir Spitzbube, wer hat Dir meine Thür geöffnet?
Lorenzo. Du höchst eigenhändig eben
Hast mich in das Haus gebracht,
Und die Tochter mit Bedacht
Ihrem Liebsten übergeben,
Der sich jetzt in's Fäustchen lacht.
Nun kommt auch noch Antonio mit Isabellchen an der Hand, hinter
ihnen Musikanten und Tänzer.
M-usikanten (singen):
Schwiegervater, gieb Dich drein,
Lass das junge Pärchen ein,
Denn es kann nicht anders seyn.
Und nun im Wechselgesang Lorenzo mit den Musikanten, und
Tänzer den lustigsten Keigen tanzend. Bald gesellt sich auch Nachbar
hinzu. Heisa! ein Hochzeitstanz, der dem Alten so in die Beine fährt,
dass er den Hochzeitssegen dazu tanzen muss.
Lorenzo. Alter mit dem Schafsgesicht,
Sträube Dich nun länger nicht,
Iss vom bitteren Gericht,
Sonst befalle Dich die Gicht,
0 Du jammervoller Wicht!
Musikanten.
Schwiegervater, gieb Dich drein,
Lass das junge Pärchen ein.
Denn es kann nicht anders seyn!
Guadarrama. Nein, jetzt reisst mir die Geduld. Lasst mich los, Ihr
Herren. Diesmal soll mir der verteufelte Bursche nicht entwischen! Er
stürzt auf Lorenzo los, fällt aber zu Boden, Lorenzo, der die Flucht
ergreift, fällt gleichfalls, und während Alle verwirrt durcheinander lau-
fen, schliesst das Zwischenspiel mit der obligaten Entremeses-Prügelei, wobei
die Musikanten den Stuhlbeinen aufspielen, dass sie mit den Zwischen-
spielern in die Wette tanzen. Hat das spanische Entremes überhaupt
eine auffallende Familien-Aehnlichkeit mit der italienischen Pantomime, so
scheint die eben skizzirte des Lope vollends nur eine solche Pantomime,
die ihr Gebärdenspiel in's Spanische übersetzt. Guadarrama: Pantalon.
Lorenzo: Pierrot. Antonio: Arlechino. Isabela: Columbina.
Doctor Simpel. Der Dienst, den Perico und Lorenzo beim
Doctor versehen, besteht nicht blos darin, dass sie seine Pasteten und
sein Obst, eingemacht oder nicht, wie Pillen verschlucken; sie nehmen
auch, während der Doctor auf Krankenbesuch aus ist, von den sich mel-
denden Patienten das Honorar für die von ihnen verschriebenen Medica-
mente in Empfang, die dazu angethan sind, ganze Dörfer hinzurichten.
X. 33
514 J)as spanische Drama
Einem Weibe verordnet Lorenzo, im Lehnstuhl des abwesenden Doctors
und in dessen Schlafrock, gegen Magenkrämpfe, nachdem er das ihm als
unwirksam vorgezeigte Beinpflaster wie eine von des Doctors Pasteten ver-
schlungen — verordnet Lorenzo einen Umschlag von Arsenikpulver, statt
Absynth, den ihm sein Genosse, Perico, als Famulus zugeflüstert und
Lorenzo falsch verstanden. Einem Andern, der ein Mittel gegen Herz-
weh wünscht, wovon sein Weib plötzlich befallen worden, empfiehlt er, auf
Perico's Zuflüsterung, einen Aderlass von drei Unzen Blut aus der Haupt-
ader zu verordnen, eine Abzapfung von dreihundert Unzen Blut aus der
Fussader. Der Doctor ist zurückgekehrt, sieht den in seinem Schlafrock
überraschten Diener Lorenzo von dessen CoUegen Perico mit dem spa-
nischen Köhrchen bearbeiten, angeblich um den Schlafrock auszuklopfen,
der jetzt zum erstenmal erfährt, was Ausklopfen heisst. Nicht lange, so
stellen sich auch die beiden Patienten mit dem Gerichtsdiener ein,
um dem gefährlichen Quacksalber „im Namen des Königs" den Schlafrock
auf dem Leibe auszuklopfen. Dieser aber, nicht faul, wirft sich mit allen
Prügeln im Schlafrock auf den Diener der Gerechtigkeit und drischt ihn
zur Thür hinaus rite nach dem Landrecht des spanischen Zwischenspiels
und spanischen Röhrchens.
Letzteres spielt sogar in Lope's Entremes: „Die Besessene" (La
Endemoniada) die Hauptrolle, den Teufelsbanner, nämlich Teufelsaus-
treiber, den Exorcisten, bei Sarmiento's Diener, Gil, in welchen der
Liebesteufel aus Sarmiento's Tochter, Ines, als Essteufel gefahren,
den das spanische Röhrchen aus ihm austreibt, geschwungen von Pedro 's
Hand, des Geliebten der Ines. Pedro hatte sich bei dieser schon, ab-
geredetermassen , als Teufelsbanner so bewährt, dass Ines plötzlich vor
dem verblüiften Vater nach allen Göttern der griechischen Mythologie auf-
schreit, und die ernstlichsten Anstalten, um in die Luft zu fliegen, trifft,
vorläufig aber erst, als Flugprobe, Ohrfeigen dem Gil in's Gesicht
fliegen lässt. Yater Sarmiento beschwört sie himmelhoch, ihm die Angst
zu ersparen und es bei den fliegenden Ohrfeigen bewenden zu lassen.
Gil holt, mit der Hand auf der Backe, den als Teufelsbanner verkleideten
Pedro herbei. Ines ruft ihm, als Besessene, entgegen: „0 Du Freude
meiner Augen, also kommst Du, wie verabredet war!" Pedro. „Aufge-
passt! das ist der Teufel, der aus ihr redet, und ist es nöthig, ihm in
derselben Art zu antworten." ~ „Ja, Du Wonne meiner Seele, ich
komme, ich komme!" . . . Der Exorcist lässt nun die stärksten Bann-
sprüche des Höllenzwangs los in Ciceronischem Latein, dass dem Teufel
Hören und Sehen vergeht: „Daemonius maleditus, quae intrabit Corpore
mulier et tentabit dieses Weib, exi, pack Dich!" Entsetzt ob dem Latein,
fährt der Besessenen der Teufel aus dem Leib, pustend von hinten und
vorn. Um einen Rückfall oder Wiedereinfahrt des Teufels zu verhüten,
erklärt der Austreiber, er müsse noch 20 bis 30 Tage bei der vom Teufel
glücklich Entbundenen bleiben. Ausser sich vor Freuden, bewilligt der
Doctor Simpel. Cosme, der Schädeiiheiler. 5|5
Gross vater des Teufels und baldiger Schwiegervater des Teufelsbanners,
diesem nicht blos dreissig Tage, nein, dreissig Monate, und befiehlt den Die-
nern, der des Teufels gewesenen Tochter zu essen zu bringen, was nur
Küche und Speisekammer liefern können. Das hören und flugs in Gil's
Leib sich als Essteufel stürzen, ist für den ausgetriebenen Daemonius
maleditus Teufelsspass. Diese Höllenfahrt des Daemonius in Gil's Magen
geschieht natürlich unsichtbar, und versteckt sich hinter des Dieners
Pascual dem Gil gegebenen Rath: sich, um auch gut zu essen, besessen
zu stellen. Da brüllt auch schon der Essteufel aus Gil heraus, die heid-
nischen Götter citirend, wie Ines, und macht Anstalten in die Luft zu
fliegen, wie Ines. Auch der Teufelsbanner, Pedro, dem Pascual einen
Wink gegeben, lässt es an ihm nicht fehlen, und steht schon da mit dem
Dens ex machina des spanischen Entremes, mit dem spanischen Prügel-
rohr, um den aus Gil höllisch nach „Essen" schreienden Teufel auszu-
treiben.
Pedro. „Ha, verfluchter Teufel, was willst Du? was begehrst Du?'*
Gil. „Zu essen, Senor, zu essen!"... Pedro. „Daemonius, quid petis?
Was verlangst Du?'* Gil. „Essen, essen!" . , . Pedro. „Essen? Nun
hier hast Du, wovon Du satt werden kannst!" — Und Prügel hageldicht,
und flutsch ! , der Fress-Teufel dem Gil zum Mund heraus, aber ihm auch
gleich als Entremesprügelteufel in die Hand hinein und ingestalt des spa-
nischen daemonius fustitudinus entremesisimus , den Pascual zur Thür
und zum Entremes hinaus gefuchtelt, wie besessen und das Entremes
hinterdrein — und wusch! in Moritz Rapp's „Spanisches Theater'* sich
hinüberwerfen, um in dem Zwischenspiel, „Der Schäden heiler", als
Peitsche die Heilung zu bewirken, und uns starke Hand zu leihen, um
einen übersetzten Zwischenspiel-Teufel mit dem andern auszutreiben.
Cosme*), „Der Schädenheiler", ist eine Art moralisirender Quacksal-
ber, ein Dulcamara der Seelenschäden, der seinen Kunden, wenn guter
Eath nicht hilft, spanische Fliegenpflaster mit der Peitsche aufstreicht.
Kellnerin Jusepa fragt:
,,Wie werd' ich von meinen Schmerzen frei?"
Cosme.
Verabschieden mag sie die Schlamperei,
Nicht eine Stunde müssig, nähen, spinnen.
Das lehrt so Früh- wie Abendkost gewinnen,
*) Cosme kommt singend und auf einem Steckenpferd reitend die
Strasse gezogen, er hat über seiner Mütze eine Stange befestigt, mit
Schnüren, woran eine Tafel hängt und darauf mit grossen Buchstaben ge*
schrieben steht: „Der Schädenheiler". Das Entremes spielt in der Laube
vor einer Dorfschenke, wo gleich Eingangs Cosme mit leeren Schüsseln
bewirthet und der Wirth Salvador mit dem Klang von klingender
Münze bezahlt wird.
33*
516 i)as spanische Drama.
Will das der schönen Leonor nicht taugen,
So mag sie an dem kleinen Pinger saugen.
Einer.
Das ist kein Rath, an dem ein Fräulein nasche.
Cosme.
Ein Jeder spare in die eigne Tasche,
Und jetzo will ich euch die rechten Lehren
Erst recht auslegen und euch bass bekehren.
(Er nimmt seine Stange von der .Mütze, braucht sie als Peitsche und
schlägt auf sie los, und jagt allesammt mit Heilsprüchen und Peitschen-
hieben davon). Heil Dir, ,Cosmo de'Medici, mit dem Peitschenstiel,
„als Seelenpflasterstreicher."
„Der Raub der Helena'', der Tochter nämlich des Doctor Ori-
gano, die Helena heisst, und von ihrem Geliebten Paez, als „Paris**,
aus einem dem Doctor und den Gästen vorgespielten, zum Entführungs-
zwecke von Paez verfassten Entremes im Entremes als spartanische Helena
geraubt wird. Der Alte holt Paris und Helena in einer Herberge ein, und
wird dermassen erweicht und gerührt, man weiss nicht wovon, dass er,
statt der zugedachten Prügel, dem Paare seinen väterlichen Hochzeitssegen
giebt. Zur Probe von Herrn Rapps burlesk-gewandter Uebersetzung wird ein
Stück aus dem Liebesmonolog im Litermezzo des Entremes genügen:
Paez (affectirt declamirendj.
Helena mein, deren Blicke
Mir das Sonnenlicht verkleiben.
Sage mir, wo soll ich bleiben
Vor des Liebesbuben Tücke?
Troja, mein geliebtes Vater-
land, verrathen hab' nun dich ich.
Und nun sitz' ich hier schiiFbrüchig,
Auf dem Sand ein Desperater.
Wohl steht dorten in der Schenke,
Nein, ich wollt' im Meere sagen,
Mir ein Schiff, das flutgetragen
Als ein Ross kommt von der Tränke.
Wann, o schönste Helene,
Fahren endlich wir von hinnen?
Helena. 0 Paris, du meiner Sinnen
Lust und Labsal, nicht o wähne,
Weil's noch mit dem Schiff nicht richtig,
Dass ich ungern mit dir liefe.
Aber ach, das Meer ist tiefe,
Agamemnon eifersüchtig;
Sassen wir in einer Kutschen,
Ha, wie wollten wir dem Strand,
Lope-Kritik. -- 517
Ein kritisches Gesammturtheil über Lope de Vega's Vorzüge
und Mängel, seine Eigenart, seine unsterblichen Verdienste um
das spanische Drama, wird wohl unser Leser aus den Zerglie-
derungen so vieler seiner Stücke sich selbst zu bilden, und Lo-
pe's Stellung zu seinen Vorgängern, durch einen Vergleich von
Beider Leistungen, zu erkennen in der Lage seyn. Unser Leser
wird sein kritisches Endurtheil nicht erst an den Maassstäben
spanischer und französischer Kunstrichter emporranken dürfen,
und selbst die maassgeb endern Aussprüche der deutschen Kritik
nach gewonnener Ueberzeugung zu prüfen und zu berichtigen
sich im Stande fühlen. Unser Leser wird nicht erst vom „Ex-
celentisimo Senor" Don Antonio Gil deZarate^) zu lernen
haben, dass Lope in das volksthümliche spanische Drama, das
eigentliche Nationaldrama der Spanier, die poetische Sprache ein-
führte. '^) Unser Leser wird sogar Lope's Anspruch auf dieses
Verdienst dahin steigern, dass er ihn als den spanischen Büh-
nendichter kennzeichnen würde, der den Nationaldramen zuerst
eine poetische Seele einhauchte; der nicht nur eine glückliche
Vermählung der gelehrten mit der volksthümlichen Dichtung be-
wirkte 3) ; der auch als Erster zu bezeichnen, der die sogenannte
gelehrte Poesie und das Drama der classisch-spanischen Schule
nationalisirte und mit dem genuin spanischen Volksgeiste be-
lebend durchdrang,* mochte auch diese Aneignung und Ver-
volksthümlichung, nach antikem Kanon und den immanenten Ge-
setzen und Ideen des poetischen Kunstdraraa's gemessen, nur
Sensationsscenen erstrebt und geschaffen haben, von mehr thea-
tralisch blendender als ethisch poetischer, als innerlich gehalt-
voller, das Volksgemüth veredelnder, die Volksseele läuternder,
den Nationalgeist erleuchtender Kraft und Wirkung; und moch-
Meinem bittern Vaterland,
Arm in Arm selig entrutschen!
Keine Knüppelprügel im Entremes-Revier ? — So giebt es trochäische Knit-
telverse dafür.
1) Manuel de Literatura, segonda parte. Vgl. 'Juicio general de las
Obras de Lope' Comed. escog. de Lope de Vega por D. Eng. Hartzen-
busch t. I. (BibL Rib. t. XXIV). — 2) Introdujo en la poesia populär el
languaje poedico que le faltaba. — 3) Este feliz maridaje que hizo Lope
de la poesia populär con la erudita.
518 Das spanische Drama.
ten diese scenischen Sensationsmomente auch das der spanischen
Nation tiefer vielleicht als andern romanischen Völkern eingesenkte
und vom Priesterthum eifrig genährte Ferment des barbarisch Fa-
natischen nur in eine geistig raffinirtere Gährung versetzt und
den Auflösungsprocess nur beschleunigt haben. Im weltlichen
Schauspiel tritt dieser raffinirt barbarische Fanatismus im abso-
luten Ehrendogma und in der Eifersuchtsblutrache; im geistli-
chen Schauspiel als Verketzerungsdogma mit Feuer und Schwert
zutage. Immerhin sprudelt doch in dieser Effervescenz des Un-
menschlichen ein mächtiges nationales Geistesleben; und bes-
ser — wie jenes Juden zum Sprichwort gediehener Wahrspruch
lautet — besser ein lebendiger Hund seyn, als ein todter Löwe,
auch nach dem Schätzungtarif der Weltgeschichte. Es sey denn,
dass so ein Löwenaas einen Bienenschwarm mit Honigwaben im
Leibe trüge, wie der Löwenleichnam der attischen Tragödie und
Komödie noch jetzt solche Schwärme brütet. Dergleichen aber
waren die Vorlope'schen classisch spanischen Dramen eines Oliva,
Malara, Cueva u. s. w. so wenig, dass dieselben vielmehr für eben
so viele todte Hunde gelten dürfen.
Wenn sich unser Leser mit des spanischen Dramaturgen, Gil
Zarate, Hervorhebung der Mannigfaltigkeit von Lope's dramati-
schen Vorwürfen einverstanden erklären mag, wird er die den-
selben vom spanischen Literator beigelegte preiswürdige Eigen-
schaft, dass Lope's dramatische Argumente und Fabelstoffe stets
glücklich gewählte und ersonnene sind^), dem Schöpfer des spa-
nischen Kunstdrama's wohl kaum zusprechen können; der An-
sicht vielmehr eines andern ausgezeichneten spanischen Drama-
turgen beipflichten, dass dem Lope, der selbstgeständlich nach
keinem höhern Ziele, als die Schaumenge zu ergötzen, strebte, dass
ihm jedes Argument, jedes Fabelmotiv gerecht und willkommen
war, wenn es nur die Neugier lebhaft beschäftigte und festhielt '^) ;
wenn es — um bei unserer Bezeichnung zu bleiben — wenn es
1) Los argumentos de sus dramas son variados y siempre felices.
Zarat. p. XXII. — 2) C(5mo no aspiraba sino ä alcanzar aplausos, sin pro-
ponerse en sus comedias fin mas noble, e importante, le bastaba elegir
argumentos que excitasen vivamente la curiosidad, sin promitirle amor-
tiguarse. Mart. de la Rosa, Obras lit. 11. p. 420.
Spanische Urtheile. 519
sich nur zu Sensationsscenen eignete. Woraus von selbst der
Lope's dramatischen Fabeln widerspruchslos zuerkannte Vorzug
entsprang, dass dieselben voller Bewegung, spannender Situatio-
nen und überraschender Zwischenfälle sind, und dass auch seine
Expositionen nicht erzählungsweise, sondern vonvornherein han-
delnd einschreiten. ^) Nicht das allein ! Unser Leser kann auch
diesen Lobpreis, dem spanischen Kritiker über den Kopf hinweg,
durch das Zugeständniss an Lope's dramatisches Genie erwei-
tern, dass Lope als der Schöpfer der scenischen Situation zu be-
trachten, die er gleichsam, wie Vulcan mit dem Beil aus Jupi-
ters Schädel die Göttin der Weisheit, seiner Fabelverwickelung
aus dem Hirnkasten schlägt, Lope — kann unser Leser dem
spanischen Dramaturgen weisen — citirt seine schönsten, schla-
gendsten Situationen, wie der Nekromant seine dienenden Geister,
gute und schlimme, auf ein blosses Zauberwort; die geheimsten
Verwickelungsschlösser mit dem künstlichsten Intriguen-Gesperr
und Gewinde sprengt er durch eine blosse Berührung mit der
Alraunwurzel auf, die ihm des Musengottes Apollo Leibvogel,
der Specht, der auch die Alräunchen im Schnabel herbeibringt,
vom Stegreifzaun gebrochen und zutrug. Nicht anders hält es
der grosse spanische Situations- Wettermacher — das Zauber-
stückchen hat uns Lope, dem Leser und uns, mehr als einmal
vorgemacht — hält es Lope mit den Katastrophen, indem er die
Knoten seiner Stücke, wie der Hexenmeister die in sein Zauber-
schnupftuch geschlagenen Knoten aufknüpft, mit dem Erfolge
nämlich, dass, wie diesen durch blossen Zauberspruch entschürz-
ten Knoten Stürme, also Lope's von der Faust weg gelösten dra-
matischen Knoten Katastrophen entstürzen. Seine unerschöpfliche,
jedoch mehr inbezug auf novellistisch-stoffartige, als hinsichts
eigentlich scenischer Motive und Motivationen, unversiegliche
Erfindungsader überwuchert das Compositionstalent, sein Genie,
sein Kunstvermögen, was aber mehr die schluddernde Leicht-
fertigkeit, womit er die Conception aufs Papier hinwarf, ver-
schulden mochte, als ein Mangel an Compositionskunst, oder
1) La fabula de Lope esta Uena de movimiento , de sitnaciones , de
lances; hasta la esposicion misma se hace en acciones dramaticas. Alb,
Ijista, Lecc. p. 147.
520 ^^^ spanibche Drama.
seine im Verhältniss zur Fruchtbarkeit zu kurz fallende Gestal-
tungskraft, wie einige seiner sorgfältiger ausgearbeiteten Stücke,
vor Allem sein Meisterwerk, 'El mejor Alcalde el Key', darge-
than. Unser Leser wird daher auch, inbetreff dieses Punktes,
zugunsten des unfraglich, trotz aller Uebereilung und Mängel
grössten dramatischen Dichtergenies Spaniens, zu Lope's grösserem
Ruhme die spanischen Kritiker berichtigen dürfen, die jene für
uns nur relative Compositionsschwäche und Plan- und Regello-
sigkeit als einen positiven Mangel dem Lope aufmutzen. ^) Bei-
läufig bemerkt, sind die von Hartzenbusch aus Antonio Gil de
Zarate's Handbuch der Literatur (Manuel de Literatura) mitge-
theilten kritischen Urtheile über Lope in den Hauptstellen meist
wörtliche Wiederholungen aus Lista's fast zwanzig Jahre früher
gehaltenen Lecciones. So stimmt u. a. das, was der 'Excelen-
tisimo senor' über Lope's dramatische Fabeln vorbringt'^), mit
Lista's ürtheil in Sinn und Passung Wort für Wort überein. ^)
So auch die eben aus Zarate citirte Stelle über das Verhältniss
von Lope's Erfindungsgenie und seiner Compositions- oder Dis-
positionskunst.'*) Bei dem allervortrefflichsten Don Ant. Gil de
1) Si tuve grande inventiva, no fue tan afortunado en la composicion,
6 disposicion de la fabula, que quasi sierapre es defectuosa, seiialada-
mente cuando se aproxima el desenlace, caminando sin plan y siempre
deprisa, se iba extra viando y se causaba. Weshalb — folgert Zarate —
Lope von allen dramatischen Dichtern die meisten bewundernswerthen
Scenen und die wenigsten guten Komödien aufweisen kann: Asi de todos
los poetas dramaticos es el que tiene mayor numero de escenas admirables
y menor de comedias buenas. Wir aber, und mit uns unsere Leser, sind
der Ansicht, dass ausser dem genannten Musterwerk der spanischen Bühne,
Stücke wie 'El acero de Madrid', *Los Melindres de Beiisa', 'Los Tellos
de Meneses' u. A. sich auch, was Scenenführung und Gliederung betrifft, mit
den guten Komödien der besten spanischen Dramatiker vergleichen dürfen,
Calderon vielleicht nicht ausgenommen, dessen bewunderte Motivirungs-
kunst möglicherweise als eine mehr formelle, denn eine wahrhaft organi-
sche sich erweisen könnte. — 2) s. o. S. 519. Anm. 1. -- 3) La fabula
de Lope esta Uena de movimiento, de situaciones, de lances, hasta la ex-
posicion misma se hace en accion y no en diälogos y discursos. Lista,
Lecc. p. 147. ~ 4) Si la invencion de Lope de Vega, y aun la esposicion
de sus fabulas es siempre agradable e interesante, la composicion, esto es
el movimiento de la accion durante la comedia es cuasi siempre de-
fectuosa» etc, Lista, a. a. 0. p. 149.
Zarate, Lista etc. über Lope. 521
Zarate scheint sich dieses Verhältniss umzukehren: die Kunst
der Disposition nämlich, d. h. die Kunst, über das kritische Ei-
genthum eines Vorgängers nach Gutdünken zu disponiren,
weit grösser zu sein, als die 'Inventiva' , als die Erfindungsgabe ;
die Inventiva müsste denn dahin zu verstehen seyn, sich aller
eigenen Erfindung gewissenhaft zu enthalten; dagegen Alles ir-
gend Brauchbare, was man findet, als gute Prise zu betrachten
und in seinen Nutzen zu verwenden.
Was die Charakteristik in Lope's Dramen anlangt, so
scheint uns auch in dieser Hinsicht die Würdigung der spani-
schen Kritik nicht vollgültig. Unseres Dafürhaltens übertrifft
Lope, inbetracht der unübersehbaren Fülle von Figuren, rücksicht-
lich der Bestimmtheit, Naturwahrheit und Mannigfaltigkeit der
Charaktere, sämmtliche spanische Bühnendichter, den Alarcon,
und Tirso deshalb miteinbegriffen, weil deren Charakterschil-
derung, wie sich ergeben wird, schon auf Eaffinementkünste aus-
geht und nicht selten in absonderliche Eigenschaften sich zu-
spitzt. Bei keinem seiner Kunstgenossen ist der Kern des Cha-
rakterwesens so gesund und voll Lebensfrische, wie bei Lope.
Am wenigsten bei Calderon, dessen Charaktere mit ihrem ganzen
individuellen Gehalt meist in die Künstlichkeit, Ueberfeinheit und
Sophistik seiner Fabelverwickelung und ausgetiftelten scenischen
Contraste aufgehen, und, von dem Mechanismus seiner Compo-
sitionsabsichten und von der Virtuosität seiner spitzfindigen Inci-
denzenverknüpfung ihres Markes beraubt, zu blossen Situations-
Schemen und algebraischen Exponenten verblichen und abgezehrt
erscheinen. Wir können daher dem, unserer Schätzung nach,
gediegensten Kritiker der spanischen schöngeistigen Literatur in
der ersten Hälfte des Jahrhunderts, nicht beistimmen, wenn er
von Lope urtheilt, derselbe hätte die dramatische Charakteristik
vernachlässigt, und es häufig bei seinen Charakteren an Wahr-
heit und Schärfe der Umrisse fehlen lassen. 0 Bezüglich der
Form, der Versification, und des poetischen Ausdrucks (elocucion),
wirft Lista dem Lope, ausser Prosaismus, eine Ueberladung
1) Descuidaba Lope la parte concerniente ä Caracteres, y no los
presentaba muchas veces oon verdad ni exactitud. Mart. de la Eosa
a. a. 0. p. 423.
522 Das spanische Drama.
mit gelehrten Schulphrasen vor, als Folge seiner Neigung zu theo-
logischen und kirchlichen Erörterungen, i) Ohne ihn vom letz-
teren Flecken gänzlich frei sprechen zu wollen, glauben wir doch,
was den Prosaismus, namentlich in Lope's nichtdramatischen
Dichtungen betrifft, dass der einsichtige spanische Dramaturg
vielleicht gerade in der Leichtigkeit, Natürlichkeit und Durch-
sichtigkeit von Lope's poetischem Sprachstyl, Eigenschaften, die
uns an dem poetischen Ausdruck so lieblich dünken, wie Thau-
tropfen in Blumenkelchen — den Prosaismus erblickt haben
möchte. Eben so gut könnte man das reizende Negligee einer
Schönen Prosaismus schelten, oder die himmlische naive Nackt-
heit von Tizian'schen Engelkindern oder Albano's Amoretten
durch Toilette und Au^utz ersetzt, wo nicht gar von angemal-
tem Tricot umsponnen wünschen. Mit gleichem Rechte, wie dem
Lope, Hesse sich dieser Prosaismus Lope's deutschem Geniegenos-
sen in der Lyrik und erzählenden Poesie, unserem Goethe, vor-
werfen. Wir aber möchten — nicht um aller Pindar'schen pomp-
vollen Hyperbata seines lyrischen Prachtstyls — uns kein Tütel-
chen von diesem Prosaismus in Goethe's Lyrik, in Goethe's poe-
tischer Sprache überhaupt, rauben lassen. Nebenher bemerkt,
haben Goethe's Vorgänger in der deutschen Lyrik des 18. Jahr-
hunderts mehr von diesem köstlichen Prosaismus, worein Goethe's,
ganz und gar wie in Ambrosia und Nektar getaucht ist, als
seine Nachfolger, zUm grossen Nachtheil der lyrischen Poesie,
in ihre Gedichte und Lieder hineinwirken mochten.
Fassen wir denn, da uns die spanische Kritik kein.e neuen
Aufschlüsse über Lope's Kunstart giebt, die zu seiner Prüfung
übereinstimmenden Züge mit den Worten des mehrgenannten
vorzüglichen spanischen Dramatikers und Dramaturgen, Mart. de
la Eosa, in ein Vollbild zusammen, welches ähnlich jenen aus
Strophenversen oder aus Zeilen des Vaterunser zu einem Portrait
umschriebenen kalligraphischen Schriftbildnissen — aus allgemei-
nen Phrasen von Eigenschaftbezeichnungen Lope's Conterfey zu-
1) — ■ hay en sus obras otros defectos de elocucion, independientes
del prosaismo. Tal vez se enreda su cuestiones escolasticas que no vieneii al
caso: y entonces no se desdena su musa de las frases y nomenclatura de
la escuela.
Versformen im spanischen Drama. 523
sammenstellt: „Niemand in der Welt hat Lope an Gaben für
die dramatische Kunst übertroffen. Ihm fehlte keine derselben:
unerschöpfliche Erfindung, die lebhafteste Einbildungskraft, Schil-
derungstalent, die Kunst den Dialog zu führen, ausserordentliche
Meisterschaft in der Sprache, staunenswürdige Leichtigkeit in der
Behandlung des Terses i), urbane Anmuth, Witz und Scharfsinn.
1) Ueber die Vers formen im spanischen Drama ertheilt uns die
„Geschichte der Literatur und Kunst in Spanien"*) nachstehende er-
schöpfend-belehrende Auskunft:
„Die spanische Komödie schliesst im Allgemeinen keine der überhaupt
in castilianischer Sprache üblichen Versformen aus; doch sind unter die-
sen diejenigen, die nur ausnahmsweise und in ganz singulären Fällen vor-
kommen, von denen zu unterscheiden, die gemeinhin von allen Dramati-
kern gebraucht werden. Zu letztern gehören:
1. Der vierfüssige Trochäus, der eigentliche Grundton des spanischen
Schauspiels, in den alle andern Modulationen und Ausweichungen wieder
zurückleiten Die Hauptformen des vierfüssigen Trochäus,
die im Drama vorkommen, sind nun:
a) Die Romanze, oder die trochäischen Reihen mit durchgehenden
Assonanzen in solcher Ordnung, dass der vierte Vers die Assonanz oder
das Echo der Endvocale des zweiten enthält, der sechste die beider u. s. w.
In den früheren Werken des Lope de Vega und seiner Zeitgenossen wird
diese Form, ihrem Ursprung in den alten Volksromanzen entsprechend,
gemeinhin nur für Erzählungen gebraucht; in den späteren gewinnt sie
mehr Umfang, bis sie bei Calderon und den Dichtern seiner Zeit und
Schule, ausser in den Erzählungen und anderen langen Reden, auch im
gewöhnlichen Dialog und in den bewegten, rasch fortschreitenden Theilen
der Handlung vorherrschend auftritt.
b) Die Redondille, oder vierzeilige Strophe mit solcher Reimstel-
lung, dass der vierte Vers auf den ersten, der dritte auf den zweiten
reimt. In Lope's älteren Stücken bildet sie — die gewöhnlichste und
durchgehendste Form der dramatischen Rede in mannigfachen Nüancirun-
gen; Calderon und die Späteren pflegen sie vorzugsweise für reflectirende
Momente, für zärtliche und tändelnde Stellen und für Antithesen-Spiele
zu wählen.
c) Die Quintille, d. h. fünf zeilige Strophe mit verschiedener Reim-
stellung; wenn paarweise zu einer zehnzeiligen verbunden, Decime oder
Espinele genannt.
*) II. S. 81 if.
524 Ü3»s spanische Drama.
Alle diese Gaben besass er vereint und alle in einem hervorra-
genden Grade.'^ Nur in dem Gebrauch all der herrlichen Ta-
2. Der Jambus, im Gegensatz zum Trochäus das feierliche Maass,
in folgenden Formen:
a) Als Octave (italienische Stanze, ottave rime) für lange, monolog-
artige Beschreibungen, pomphafte, weitläufig ausmalende Erzählungen,
oder für den Dialog, wo ihm besondere Würde und Grossartigkeit gege-
ben werden soll.
b) Als Sonett für Antithesen, gespitzte Fragen und tiefsinnige Ant-
worten, oder für Ausbrüche der Empfindung, die durch eine Vergleichung
oder einzelne Betrachtung herbeigeführt werden.*)
c) Als Terzine, vornehmlich für den getragenen und ernsten Dialog,
bei Lope und den Aelteren sehr häufig, bei Calderon seltener, jedoch hier
und da (z. B. gleich im Anfang des standhaften Prinzen) vorkommend.
d) Als Lira oder sechszeilige Reimstrophe, von deren abwechselnd
drei- und fünffüssigen Jamben die vier ersten Kreuzreime haben, die bei-
den letzten dagegen miteinander reimen.**) Der männliche Reim scheint
ausgeschlossen zu se3^n, daher die Verse immer sieben oder eilf Sylben
zählen. Auf kein Sylbenmaass pflegt ein so grosses Gewicht gelegt zu
werden, wie auf dieses, das für den leidenschaftlichen Dialog, für die
drängende Fülle lyrischer Ergüsse, für die rasch wechselnde Bilderpracht
der Beschreibung gebraucht wird. In den älteren Dramen unserer Periode
erscheint diese Lira sehr häufig; in den späteren, namentlich den Calde-
ron'schen, seltener, indem hier an ihre Stelle gewöhnlich die
e) Silva tritt, d. h. eine Mischung drei und fünffüssiger (sieben- und
eilfsylbiger) gereimter Jamben ohne Strophenabtheilung. Der Wechsel
des längeren Verses mit dem kürzeren kann entweder von Zeüe zu Zeile
oder in freier Art erfolgen, in welchem letzteren Falle der Hendekasylla-
bus vorwaltet, so dass der kürzere Vers nur dann und wann dazwischen
tritt; ebenso treten die Reime bald in unmittelbarer Aufeinanderfolge,
bald in verschränkter Stellung ein.'*
Diesen Vers- und Strophenformen fügt unser Autor noch hinzu:
,,Die Endechas oder dreifüssige Trochäen mit Assonanzen in jedem
zweiten Vers, vorzugsweise für klagende Berichte und Erzählungen ge-
braucht.
Die vierfüssigen gereimten Trochäen mit eingemischten
Halbversen (Versos de pie quebrado) in mehrfachen Combinationen.
Der verso suelto oder fünffüssige Jambus ohne Reim. — Bei Lope
*) Von Lope besonders beliebt bei resumirender Gefühlsstimmung zu
Schlussmonologen, wie bei Metastasio die Abgangs-Arie. — **) Vielleicht
den 6 längern und kurzem Saiten der Laute oder Cither entsprechend.
Mart. delaRosa's Wehld., dassLope nicht in seiner Zeitep. geb, wurde. 5^5
lente habe es Lope versehen, dem mehr am Beifall der Menge,
als an dem der Kunsweisen und an Poetiken und Kunstprinci-
pien lag. „Wie sehr ist es zu beklagen, dass ein so ausseror-
dentliches Talent nicht in einer andern Zeitepoche geboren ward,
oder Besonnenheit genug besass, den Zurufen und dem Beifall-
klatschen eines irregeleiteten Publicums den Beifall der Ver-
nunft und des guten Geschmackes vorzuziehen," i) Wie Lope,
in den nur die Handlung fördernden Scenen sehr häufig; Calderon hat ihn
niemals.
Die italienische Cancioneroform in ihren verschiedenen Gestal-
tungen.
Die Anacreonticas oder Jamben von sieben Sylben, durch das Band
der Assonanz zusamengehalten.
Die versos de arte major oder daktylischen Verse, nur sehr selten
und, wie es scheint, immer nur in der Absicht gebraucht, der Eede ein
alterthümliches Colorit zu geben.
Die Hendekasyllaben mit sogenanntem Kettenreime, eine ganz
eigenthümliche, nicht eben häufig vorkommende Form, deren Structur aus
folgendem Beispiel erhellt;
Sahen los cielos, mi Leonora hermosa,
Si desde que mi esposa de nombraron,
Y de los dos enlazaron una vida,
Por vella divertida en otra parte,
Quisiera aposentarte de manera
En ella quo no hubiera otre seiiora,
Que no siendo Leouora la ocupara . . .
(Aus El Predendionte al reves von Tirso de Molina. Jornada II.)
Die L et ras oder Themas mit dazu gehörigen Glossen oder poetischen
Variationen und endlich fast alle älteren national-spanischen Liederformen,
Canciones, Villancicos, Chanzonetas und Cantarcillos, jedoch
nicht als eigentliche Bestandtheile der dramatischen Rede, sondern als
eingeschaltete Gesänge und Improvisation.'* *)
1) Cuanto no es de lamentar que un talento tan extraordinario no
naciese en otra epoca, 6 que no tuyiese cordura bastante para anteponer ä
los vivas y palmoteos de un publice seducido el aplauso de la razon y el
voto del buen gusto! Porque puede decirse confiadamente que nadie en
el mundo ha aventajado ä Lope en dotes para la dramatica; pues no le
faltaba ninguna: invencion inagotable, imaginacion vivisima, talento para
retratar, arte para manyar el dialogo, maestria singular en la lengua,
*) Vgl. Mart. de la Rosa's Anotac. zu seiner Poetik Obr. I.
526 ^^s spanische Drama.
der Ausdruck seiner Zeitepoche und seiner Nation in dieser Zeit-
epoche als Dichterpersönlichkeit, es hätte anstellen sollen, um in
einer andern Zeitepoche geboren zu werden, und doch Lope zu
bleiben — ist nicht so leicht zu begreifen, wie Lope's kritisches
Portrait mit kalligraphischer ßabenfeder aus zierlichen Buchsta-
ben zusammensetzen. Einen tiefern Blick that der deutschästhe-
tisch geschulte treffliche Ag. Du ran, der doch Lope's Dichtung
als den geistigen Abdruck vom Abdruck und Körper seiner Zeit
und seines Volkes erkannte. ^) Dem schliesse sich eine, Durands
Lope- Verherrlichung und Sündenlosspruch, auf Grund von dessen
Identification mit dem spanischen Volke, verständig beschränkende
Bemerkung des hochberufenen Don Manuel Jose Quintana
an 2), als verhüllendes Blättergeranke oder Randglossen- Arabeske
facilidad portentosa para versificar, donaire urbano, agudeza y chiste,
todo lo reunia, y todo en grado sobresaliente.
1) — el hombre que supo aproximar elementos tan distantes (wie diese
in seiner cel tisch - carthagisc h -römisch - maurisch - westgothischen Nation
lagen) y edificar con ellas un monumento real e idealmente hello y ar-
monioso fue Lope de Vega. Creo su drama, y creado se lo presento al
pueblo y dijo: „He aqui tu poema" . . . porque esta obra, aunque salida
de mis manos, es propria tuya, porque se ha formado de tus leyes, tus
costumbres, tu saber, tus gustos, tus sentimientos, tus creencias, y en fin,
de tu propria sustancia. Gut und schön! Nur fehlt ein Hauptdrucker, dass
ein grosser Nationalpoet das geläuterte Abbild, das Idealportrait seines
Volkes und Volksgeistes vorstelle; nicht die Nation en bloc mit Haut
und Haaren, mit allen ihren, im Feuer seiner Poesie nicht gereinigten,
sondern feuerfest geglühten Fehlern und Abscheulichkeiten. Von dieser
Schuld ist Lope, ist kein spanischer Grossdichter, am allerwenigsten Spaniens
grösster Kunstpoet, Calderon, freizusprechen. Der Einzige, aus dessen
poetischem Schmelztiegel der spanische Nationalgeist in Einer Beziehung
mindestens, in Absicht auf Don Quijotismus, gewitzigter hervorge-
gangen ist eben der Dichter des Don Quijote, und daher auch der Ein-
zige, der seine Nation und seine vaterländischen Kunstgenassen um Kopfes-
länge überragt. — 2) en gracia de su bella, de sus dulces versos, de tal
cual dialogo ingenioso, y de los rasgos de ternura que ä veces presenta,
se disimulan^demasiados delerios y extravagantias ä Lope de Vega . . *
Obras completas (Bibl. de Aut. Esp. t. XIX.) p. 93. n. (12) zu seiner in
Terzinen gedichteten Poetik: 'Las Reglas del Drama', worin Lope'n
folgende Zeilen gewidmet sind:
A fuer de immenso y candoloso rio
Que ni diques ni märgenes consiente,
Französische Lope-Kritik. 527
ihrerseits zu Quintana'« Rhadamantus-Urtheil über Lope in dem
Prologe zu seinem 'Tesoro del Parnaso EspanoP, worin
er Spaniens grösstes Dichtergenie, und aller Parnasos Staun-
wunder, maassen dem 'Penix' des Theaters das Feuer nichts an-
haben kann, zum Ersäufen im Meere der Vergessenheit verdammt,
mit sämmtlichen Werken, den 2000 Dramen und weitern Tau-
senden sonstiger ßeimweisen als Mühlsteinen am Halse, die, wie
Quintana verkündet, all mä lieh zerbröckeln und, zahlreich wie
Sand am Meere, sich zum Sand im Meer der Vergessenheit auf-
lösen werden»
Die französische namhafte Lope-Kritik vertritt fast aus-
schliesslich unser guter Bekannte, Mr. Adolphe dePuisbusque,
der in seiner schätzenswerthen „vergleichenden Geschichte der
spanischen und französischen Literatur" in zwei starken Bän-
den ^), an verschiedenen Stellen Lope de Vega ausführlichst, ver-
gleichlich und unvergleichlich, im Allgemeinen und Besondern,
mit dem grossen Corneille namentlich und vornehmlich und be-
züglich auf dessen Meisterwerk 'Horace', würdigt, vergleicht und
abwägt, gegeneinander hält und nach Loth und Quentchen ab-
schätzt, auch dem Spanier, so weit solches einem Franzosen
mit dem grossen Corneille-Sparren im Kopfe möglich ist, gerecht
wird, wobei natürlich der grosse Lope, im Vergleich zum grossen
Corneille, sich immer nur verhält, wie der Comparativ zum Su-
perlativ. Eben so selbstverständlich vollzieht sich die compara-
tive Kritik mit jener anmuthigen Gründlichkeit und spiegelklaren
Einsicht in das Wesen der dramatischen Kunst, wie etwa, nach
den Gesetzen der optischen Täuschung, beim Flachspiegel das
Bild in der Tiefe des Spiegels, mittendrin, erscheint, während
dasselbe reapse ebenso weit vor dem Schauglase sich befindet,
Y en los campos se tiende ä su albedrio,
Tal de consejo y reglas impaciente,
Audaz inunda la espanola escena
El ingenio de Lope omnipotente,
Y con SU dulce inagotable vena,
Con SU varia invencion, con su ternura
De asombro y gusto sus oyentes llena.
1) Hist. comp, des Litteratures Espagnole et Fran^aise I. p. 325
ä 357; IL 120 a 124, 154 ä 161, 473 ä 477.
528 Öäs spanische Drama.
niemals auch nur dessen Oberfläche berührend. So bleibt — wenn
auch uns ein Vergleich gestattet ist — bleibt das comparative
ürtheil des, nächst Hinard und Barel, mit der spanischen Lite-
ratur vertrautesten französischen Literators stets, und in gleicher
Entfernung mit dem Gegenstand, vor dem französischen Toilet-
tenspiegel stehen. Was Neuheit und Eigenthümlichteit der Pui-
busque'schen Lope-Kritik betrifft, so verschwinden beide Eigen-
schaften, wie gewöhnlich, in dem ansprechenden Glanz einer ge-
schmackvollem Fa9onnirung und Appretur marktläufiger Gemeinur-
theile und schmuck aufgebügelter Phrasen; glänzen mit einem
Worte — um eine französisch geistreiche, nunmehr aber auch
schon landläufig gewordene und bis auf den Kupferbeischlag ab-
gegriffene Phrase zu brauchen — glänzen durch ihre Abwesen-
heit. Unser Leser wird daher, nachsichtig wie er ist, mit dem
hier einfallenden Eeflex dieses Glanzes vorliebnehmen, dessen opti-
sche Spiele an der Lichtquelle zu beobachten und sich daran zu
ergötzen, natürlich jedem unverwehrt und unbenommen bleibt.
Von den englischen und angloamerikanischen, in Lord Hol-
land und Ticknor, wie in zwei Brennpunkten sich sammeln-
den kritischen ürtheilen über Lope, haben wir im Verfolg unserer
Erörterungen so viel eingestreut, dass wir einer besondern Eevi-
sion derselben uns entübriget erachten dürfen. So hätten wir
nur noch der deutschen Lope-Kritik zu gedenken, die ebenfalls
in zwei Autoritätsquellen rieselt und sprudelt, wovon die eine,
inweise des berühmten Nürnberger Springbrunnleins, seine fei-
nen krystallklaren Wasserstrählchen in zierlichen Böglein ergiesst
und träufelt — das Gänse- oder P-mäniken der „Vorlesungen
über dramatische Kunst und Literatur." 0 Ganz anders springt
und strömt die zweite Hauptquelle .der deutschen Lope-Kritik,
vergleichbar den grossen Wasserkunst-Pontainen in Versailles und
Saint-Cloud. Sie spritzen ihre Wasserstrahlen zu Triumphbögen
für Lope de Vega in krystallenen Regenbogen. Proben davon
mittheilen, Messe die Springbrunnen in Versailles und St.-Cloud,
hiesse die strömenden Triumphwasserbogen auf Pläschchen eines
Probemusterreiters füllen 2), die freilich noch immer für Caraffen
gelten könnten, im Vergleich zu dem Probefiäschchen , auf wel-
1) 2. Aufl. S. 350. — 2) V. Schack a. a. 0. IL p. 152—415.
Geister-Flasche. 529
ches Leopold Schmidt die „vier bedeutendsten Dramatiker der
Spanier" abzog 0, worin die vier bedeutendsten Dramatiker, Lope
de Vega, Tirso de Molina, Alarcon und Calderon, wie Infusorien
im Wassertropfen sich tummeln, und Lope de Vega in der Beleuch-
tung des Sonnenmikroskops nicht über vier Linien gross er-
schiene. 2)
lieber unsere, nächst Lope, noch fünf bedeutendsten spa-
nischen Dramatiker wird der folgende Band sein Sturzglas oder
ein jener Flasche ähnliches Glasgehäuse blasen, in welcher der
Zauberer und Teufelsbanner, Erlolfus, Abt von Fulda, sechs der
stärksten seiner Geister eingeschlossen mit sich führte.
1) Ueber die vier bedeutendsten Dramatiker der Spanier. Vortrag
gehalten am 18. Dec. 1857. — 2) S. 7.
34
Die Dramatiker ans Lope's Schale.
El Divino Miguel Sanchez» *)
La Guarda cuidadosa
(Der sorgsame Wächter.)
Die Bolle dieses Wächters übernimmt Florencio, ein jun-
ger Caballero aus Valencia, angeblich um den Principe, der
1) Von ,, Miguel Sanchez dem Göttlichen", Bürger zu Valla-
dolid*), wissen wir gar vieles nicht. Wir wissen nicht, wann er geboren;
wissen nicht, wann und wo er gestorben, und wissen nicht — um Alles
in Ein Nichtwissen zusammenzufassen — wissen nicht, weswegen und auf
welche übermenschliche Eigenschaft hin, unser Miguel Sanchez „der
Göttliche" genannt wurde. Agustin de Royas Villandrado's Ver-
zückungs-Ausruf in seinem Viage entret.**) mag vielleicht das „Göttlich*'
wie ein Muttermaal ihm auf die Welt und Nachwelt mitgegeben haben.
Lope im Laurel de Apolo rühmt ihn als den ersten Meister, den die Musen
des Terentius in Beschlag genommen***), und preist in seiner 'Arte nuovo'
*) Antonio Navarro weist dem „Göttlichen" die Stadt Piedrahita
als Geburtsort zu und überträgt ihm das Amt eines Secretärs beim Bischof
von Cuenca. Nach einer Stelle in Lope de Vega's zwischen 1628 — 1830 ge-
schriebenem Laurel de Apolo, wo des Sanchez als eines Verstorbenen ge-
dacht wird, muss er vor 1630 gestorben seyn.
**) El divino Miguel Sanchez
^Quien no sabe lo que inventaV
Cervantes preist seine kunstreichen Komödienfabeln: Estimanse las tra-
zas artificiosas en todo extremo del licenciado Miguel Sanchez. (Pro-
logo zu seinen Comedias.)
*) Michel Sanchez, que ha sido
El primero maestro que han tenido
Las musas de Terencio.
***\
Wieso der „Göttliche* ' ? 531
im Gebirge auf der Jagd umherstreift, als treuer Hüter zu be-
wachen, in Wahrheit aber, um den Principe — welchen Lan-
des Sanchez Erfindungskunst ganz besonders.*) Sind „einzig*^ und „gött-
lich" ein und dasselbe, so verdient Sanchez aUerdings von der Nachwelt
den Beinamen des „Göttlichen'', angesehen der einzigen Comedia, die er
nns vermacht hat, die wir getreulich unsern Lesern mittheilen, und die
sich auch wirklich durch dramatische Eigenschaften auszeichnet, die
Sanchez seinem angeborenen Talente verdankte, nicht, wie Lope de Ve-
ga's meiste Zeitgenossen , an dessen Vorbildern und Komödien-Mustern
erwarb und stärkte, da Miguel Sanchez, zurzeit als Lope auftrat, um
1588 sich bereits einen weit verbreiteten Euf als Bühnendichter erworben
hatte. Unter den neuern spanischen Dramaturgen bläst Alberto Lista
mit Agust. Royas, bezüglich unseres ,,Bivino'S aus Einem VergÖt-
terungs-Horn : ,,Die Sprache" in der Comedia *La Guarda cuidadosa' „ist
durch Correctheit, Reinheit und eine gewisse Urbanität, die sich der des
Calderon nähert, ausgezeichnet. Die im Allgemeinen nicht eben harmo-
nische Versification ist voll Pracht und bilderreich. Die Kunstabsicht
durchweg dramatisch und geht von einer Situation aaf die andere über,
ohne jemals das Interesse zu schwächen. Die ansprechenden, stets aus
vorhergehenden abgeleiteten Situationen sind mit einer solchen Kunst be-
handelt, dass ich mich nicht zu täuschen glaube, wenn ich diese Intri-
guen-Komödie (la Guarda cuid.) für einen Uebergang aus dem novellen-
haften Drama des Lope de Vega zu dem des Calderon betrachte. Ausser-
dem weht uns aus derselben eine ländliche Atmosphäre an, welche die
Liebes- und Eifersuch tsscenen nur lebhafter und komischer erscheinen
lässt. Der Verfasser flocht viele doppelsinnige Scenen ein**), wo zwei
Unterredner, mit deren Angelegenheiten der Zuhörer vertraut ist, das zur
Sprache bringen, was sie beabsichtigen, ohne dass ein anderer gegenwär-
tiger Theilnehmer an der Unterhaltung, vor dem sie sich inachtnehmen
möchten, den Sinn errathet." Ein Paar andere, dem Miguel Sanchez zu-
geschriebene Comedias***) sind apokryph. Seine zwei lyrischen Poeme
*) En todas las comedias Miguel Sanchez,
Digno, por la invencion de esta memoria.
**) introdujo muchas de doble sentido, en que dos de los interlocu-
tores en cuya confidencia estä el auditorio, espresan lo que quieren, sin que
conozca el sentido que dan ä sus palabras, otro interlocutor que estä
presente tambien y del cual tienen que guardarse. A. Lista a. a. 0.
p. 229. — ***) 'El cerco de Tunez y ganada de la Goleta por el Em-
perador Carlos V.' del licenciado Sanchez natural de Piedrahita' (dem
Lope de Vega zugeschrieben). — 'La Isla Barbara', Comed. historico-
34*
532 t^^s spanische Drama.
des Principe, blieb uns unersichtlich — selber zu bewachen, und
sich vor ihm zu behüten, dass er, der Principe, als Mitbewerber
um Nisea's Liebe, der Tochter eines im Gebirge sesshaften
Landedelmanns, Leucato, ihm, Florencio, nicht in's Gehege
gehe. Nisea, die ihn in Valencia kennen gelernt, und bis zur
Schwermuth sich in ihn verliebte, Nisea und ihre Dienerin,
Abrinda, sind die Einzigen, die um Florencio's Verkleidung
und verstellte GebirgswächterroUe wissen, die er aber erst zu
spielen beginnt, nachdem er sich von den, infolge eines Sturzes
vom Pferde, davon getragenen Wunden erholt. Ohnmächtig in
Leucato's Gebirgswohnung getragen, erkennt die melancholische
Nisea den Geliebten aus Valencia, und bietet dem in ihren Ar-
men aus der Ohnmacht erwachten Floren cio Pflege und War-
tung an, mit all der leidenschaftlichen Zärtlichkeit, die spanische
Dichter in solchen Situationen aufzubieten wissen. Das Erwachen
des Florencio aus der Ohnmacht ist poetisch und theatralisch
schön, und der Tropfen Rosenöl, der die ganze Komödie wohl-
riechend macht. Er glaubt in Nisea einen Engel des Himmels
zu schauen, und weiss nicht, ob er ein seliger Geist oder leib-
hafter Mensch sey, ob er im Himmel, im Paradiese, im Fegefeuer
oder in der Hölle sich befinde. Doch Himmel, Erde, Hölle,
bleibe sein ewiger Aufenthalt, wenn er nur dort weilen darf, wo
er sie sehen kann, i)
(die einzigen von ihm), eine Ganzen an den Gekreuzigten (Cancion
ä Christo crucifiado), späterhin dem Mystiker Fra Luis de Leon zuge-
schrieben, von Lopez de Sedano (Parnaso 1771) dem Sanchez revindicirt
und dann abermals in einer Sammlung geistlicher Lieder (Madr. 1779)
auf Rechnung des Fray Luis de Leon gesetzt. Das zweite lyrische Ge-
dicht des göttlichen Sanchez ist die berühmte Eomanze: Oid senor
don Guiferos (Romane, gen. 1604 und abgedr. bei Duran).
1) Alma, cuerpo, sombra fria;
Que alma debes de ser,
Pues con este parecer
Por fuerza lo seräs mia;
instructiva, und Segonda parte del corsaricT) Barbaroja, y huer-
fano desterrado del licenciado Juan Sanchez (hier gar Juan getauft!)
(In der Sammlung Flor de las Comedias de Espana etc. Quinta parte.
Madrid X. Alcalä, 1615.)
Der verwundete Waldhüter. 533
Da tritt der Principe in die Stube und angesichts des Engels
und der Hiramelsvision fühlt sich Florencio plötzlich in die
Hölle der Eifersucht geschleudert. Er rafft sich von seinem Ohn-
machts- und Schmerzenslager auf und wankt, am Arm seines
treuen Begleiters, Ariadeno, todtkrank und mit lebensgefahr-
lichen Wunden bedeckt, davon, um zu sterben, i) Mit dem Nach-
ruf: „Ich, Elorencio, habe Dich getödtet)" 2) schliesst die melan-
cholische Nisea den ersten Act.
Im zweiten Act spielt erst der von den Sturzwunden gene-
sene, nun aber von Allen, bis auf Nisea, für todt gehaltene^)
Florencio seine GebirgswächterroUe (guarda de monte), Nisea
ist in ihre Schwermuth zurückgefallen. Sie trifft mit Florencio
zusammen. Der Betrübte klagt die Melancholische der Verän-
derlichkeit an; die Melancholische giebt dem eifersüchtig-Choleri-
schen den Vorwurf zurück. 0 Nicht mit Unrecht, da er mittler-
Por esa imagen que ofreces
A los ojos que te ven,
De un angel hermoso, ä quien
Yo adoro y tu te pareces
Que me digas donde estoy,
Si en esta tierra que piso
Purgatorio 6 paraiso.
^Soy cuerpo, sombra 6 que soy?
De tres lugares deseo
Digas cuäl es, angel bello;
Que inferno no puede sello,
Pues en el ä ti te veo.
Sea en vida 6 sea en muerte,
En cielo, en tierra, en infierno.
Pues estoy do puedo verte.
1)
Traza de matarme voy.
2)
jYo te mate, Florencio, yo te he muerto!
3)
Y ya me tienen por muerto.
4)
Nis.
^, Quien se ha trocado?
^Tü 6 yo?
Flor.
^No me ves, Senora?
Nis.
No;
Que estoy de Uorarte ciega.
Nis.
Wer hat sich verändert, Du oder ich?
534 ^^s spanische Drama.
weile Gebirgs-Nachtwächter und Principe-Hüter geworden; sie
aber nach wie vor Manns genug ist, sich selbst vor dem Principe
zu hüten. Die Verkleidung rechtfertigt Florencio mit seiner
Absicht, ihre Brust enthüllt, und ihre Eingeweide klar vor sich
zu sehen, ohne dass sie es merke, i) Der Wunsch, so ausge-
drückt, klingt uns seltsam: er ist eben spanisch. Doppelsinnige
Dialoge, infolge von des todtgeglaubten Florencio Unerkannt-
heit, und mehr noch infolge des spanischen dobble-view, erge-
ben sieh von selbst. So z. B. die Scene der Nisea mit ihrem
Kammerdiener Roberto, der zu Florencio's Todtglaubern
gehört, in dessen Gegenwart. Doch gelingt es dem „göttlichen
Michel Sanchez" nicht, seine auf zwei Seiten zutragenden Situa-
tionen so schmuck herauszuputzen, wie ein Lope und Genossen.
Schon ist Principe — der ein regelrechter rey — auf die
fremdartige Erscheinung seines ihm octroyirten Leibgebirgsgardisten,
der ihm überall bei Nisea im Wege, aufmerksam geworden, und
erkundigt sich angelegentlich nach dessen Personalien. 2) Bal-
conscenen und nächtliche Balconpromenaden — der „Göttliche"
müsste kein spanischer Michel sey, um uns nicht deren die Hülle
Tind Fülle zu spenden: Balcongespräch zwischen Nisea, die ihre
Schwermuth durch die Anwesenheit ihres für Balcon-Situation
als verkappter Wächter wie geschaffenen Florencio bedeutend ge-
mildert fühlt 3) — und ihrer Kammerjungfer, Arsinda, die sich
lebhaft für den Principe bei ihrer Gebieterin verwendet, im vollen
Einverständniss mit Nathan Levi's Ansicht, ein lebendiger Hund
seyn ist besser, als ein todter Löwe seyn, und wie erst besser,
ein lebendiger Gebirgsleu, ein lebendiger Principe Waidmann
seyn, als ein todter Nachtwächterhund, für den der Jude nichts
giebt. Femer ein Balcongespräch Nisea's mit Flore ncio, der
für sie der lebendige Bergleu, der bei Nacht umhergeht, sehend,
Flor.
Du erkennst mich nicht?
Nis.
Nein.
Da ich mich blind um Dich geweint.
1)
Ver tu pecho descubierto
Quise, y tus entranas ciaras,
Sin que de mi te guardaras.
2)
Que hombre es ese?
3)
Algo mejor me he sentido.
Balcongespräche. 535
dass sie der Principe nicht verschlinge. ^} Balcongespräch Ar-
sinda's mit dem Principe, das sich aber nur darauf beschränkt,
ihm zu sagen, Nisea sey zu Bette gegangen. Der eifersüchtige
ßalcon-Nachtwächter folgert aus diesem Gespräch, dass Prin-
cipe von Nisea zu einem Balconrendez-Vous bestellt worden
und jagt sich darüber in einen solchen Eifersuchtsharnisch, dass
ihm Principe befiehlt, sich zu entfernen, er, Principe, sey be-
reits mündig, und könne sich ohne Beaufsichtiger behelfen. Der
Geharnischte kennt aber seinen Dienst, behauptet den Nacht-
wächterposten 2), und hält nun auch sein Balcongespräch mit
dem Principe stramm fort, bis seine Balconscene mit Ar sin da
sich einstellt, die einen Todesschrecken bekommt, als sie den
todten Bärenhäuter nun im lebendigen Nachtwächter erkennt. ^)
Die Zofe schiebt in der Angst alle Schuld auf ihre Gebieterin,
Nisea, und läuft, wie gejagt, vom Balcon weg vor dem Bären-
häuter. Plötzlich hört er aus dem Gebüsch stöhnen ein „Wehe
mir!" (Ay de mi!) Das „Wehe mir!" ist das dralle nette Ge-
birgsmädchen Florela, eine Zerline, die sich bei stockfinsterer
Nacht vor den lebhaften Freundschaftsversicherungen von Prin-
cipe's Leporello hierher geflüchtet, und die unser Gebirgswäch-
ter Florencio in einem unbewachten Augenblicke für den Tod
hält, den seine Eifersuchtsverzweiflung eben angerufen^), und
1)
Nis.
iQue a guardar vienes ahora?
Flor.
Y con muchas ocasiones;
Porque siempre los ladrones
Saelen andar ä deshora.
2)
Flor.
Yo OS he de servir;
Asistere aqui en tu guarda.
Princ.
Irte puedes.
No es razon
Dejarte en esta ocasion.
3)
Ars.
jAy, Jesus! ,iquien es?
Flor.
ün muerto . , .
Ars.
;Ay de mi!
Yo soy muerta.
4)
Flor.
Muerte, lo mas estä hecho,
Acaba mi mal extrano . . .
^Donde estäs, donde te escondes?
Muerte, <iComo no respondes?
536 l^as spanische Drama.
nun, nachdem sie ihm die näheren Bewandtnisse mitgetheilt, und
er in ihr das lebensfrische junge Blut vor sich sieht, seinerseits
zum leibhaften Tod sich erschreckt, als er von ihr vernimmt,
dass Nisea für die Geliebte, oder gar dama (Maitresse) des
Principe gelte. ^
Nun hat der dritte Act seine Entwickelung^weg; er hält
sie fest, er hält sie warm. Die Schelmin, die Labradora Flo-
rela, hat nicht blos im IL Act. im Gebüsch, in der Nähe des
Balcons, sämmtliche oben namhaft gemachten Balcongespräche
belauscht; die Schelmin belauscht auch in Act III. ein nächtli-
ches Liebesgespräch zwischen Nisea und Florencio, woraus
sie deren erste Bekanntschaft in Valencia mit allen möglichen
Nebenumständen erfährt, bis auf Florencio' s Stand und Na-
men. Davon bekommt Principe durch seine Leporellos Wind,
und benutzt die Angaben, imbesten seiner, wegen verschmähter
Liebesintrigue, der Nisea geschworenen Eifersuchtsrache, zu ei-
nem der schönsten Belege für die sinnreichen Kunstbehelfe des
spanischen Parallelismus, vermöge deren die schwierigste Ent-
wickelung den Kopf so geschickt aus der Schlinge der krausesten
Verwickelung zieht, wie der Taschenspieler seine Büchsen mit
doppeltem Boden umkehrt. Um der Nisea einen Streich zu
spielen, giebt Principe dem Bergwächter, den er für einen ge-
meinen Wicht und Bauernknecht hält, dem Vater der Nisea,
dem Leucato, gegenüber, aufgrund des, mittelst Plorela, er-
haltenen Signalements, für einen jungen mit allen Vorzügen eines
Caballero geschmückten Edelmann aus Valencia aus, in der
Voraussicht, Nisea 's von dem Liebesverhältniss seiner Tochter
mit dem räthselhaften Wächter in Kenntniss gesetzter Vater,
Leucato, werde, Ehrenrettungshalber, auf diese Entdeckung
hin, die schleunigste Verheirathung Nisea' s mit dem Caballero
aus Valencia betreiben, infolge dessen seine, Principe 's, Eache
den herrlichsten Triumph über Nisea feiern würde, die von der
Gewissheit in ihrem Ehegatten den gemeinsten Kerl von der
Flor. ;Ay de mi!
Florenc. dQ^® ^oz es esta?
^Eres la muerte?
1) Que se dice que es su dama.
Gaspar Aguilar. 537
niedrigsten Extraction^), kurz einen richtigen Nachtwächter zu
besitzen, sich zerschmettert fühlen müsse. Diesen doppelgedreh-
ten Zwirn knüpft Principe zu einer Schlinge, die sich nur
für ihn selber als eine solche zuletzt ausweist, die aber für das
nun auch von Leucato schleunigst zusammengegebene Liebes-
paar zu einem beglückenden Ehebande sich entknüpft, da Plo-
rencio wirklich und inderthat und genau und buchstäblich das
ist, was der schlaue Principe ersonnen zu haben vermeinte!
Die so schlau und fallenstellerisch bewerkstelligte Selbstdupirung
würde doch mindestens so viel acht komisches Salz auf den
Schluss, den Schweif der Komödie streuen, als eine Mücke auf
dem Schwanz davonträgt, wenn dieses Salz, vermöge des spinti-
sirt-marktläufigen Belauschungsmotivs und der gezwungenen Her-
beiführung des Ausgangs, nicht dem Schnee gliche, den die
schlauen Lalenburger von der Ofenwärme zum körnigsten Stein-
salz backen lassen.
Gaspar Aguilar. 2)
La Gitana melancolica.
„Die melancholische Zigeunerin'' — auf den ersten Anblick.
Bald indess gewahrt man, dass unter 'Gitana' eine Aegyptierin
1) Y tu hija ä un hombre das
El mas bajo y abatido
Que en la tierra conoci!
lautet des Principe an Leucato freundschaftlich warnungsvoll gerich-
tete Verwunderungsfrage.
2) Was weiss uns die Biographie von dem Dioskurenzwilling zum
Oanonigo Tärrega, mit dem er in der Kegel zusammengenannt wird —
was weiss sie uns von Gaspar Aguilar zu erzählen? Wunderbare
Mähr! Dass er in Valencia geboren. In welchem Jahr? Das ist ihr,
der Biographie, Geheimniss. Doch hat sie in ihre Schreibtafel vermerkt,
dass G. Aguilar Secretär bei dem und jenem Grafen, Herzog und derglei-
chen war: bei dem Don mit klafterlangem Namentitel — Joime Ceferino
Ladran de Pallas, Conde de Simarcas y Vizconte de Chelva,
hierauf Hausmaier (mayordomo) der allerf ürtref flieh st en Herzoge von
Gandia. Dass unser Gaspar alsdann nach der Hauptstadt an den Hof
538 r^as spanische Drama.
verstanden wird, wie Shakspeare's Marc. Anton auch die Cleopatra
Zigeunerin nennt. G. Aguilar's Gitana ist Kaiser Tito's, von
sich begab, wo er so gut aufgehoben war und eine solche Geltung er-
warb, dass er durch den Ehrennamen: der verständige Valencianer
(el discreto Valenciano) ausgezeichnet ward. Der verständige Berliner
würde bescheidentlich fragen: Wat ich mir dafür koofe? Und nimmt die
Biographie dem verständigen Berliner die weltberühmte Frage nicht von
der Zunge, wenn sie hinzufügt, dass der discreto Valenciano für sein zur
Vermählungsfeier der durchlauchtigsten Herzoge, seiner hohen Gönner, ver-
fasstes Poem nicht nur keinen Valencianischen Kupferdreier bekam —
berlinisch verständig ausgedrückt: „besah** — dass unser Discreto Valen-
ciano sogar über die ihm widerfahrene Kränkung sich zu Tode härmte,
lieber das Jahr aber, in welchem sich der gute Discreto zu Tode grämte,
schweigt die Biographie wie das Grab', und zwar wie ein leichensteinloses
Grab, in dessen Sandhügel die stehenden Unsterblichkeitsversicherer, Cer-
vantes, Lope, Rojas, Nicolas Antonio, und der lateinische Distichon-Pane-
gyriker Vicente Mariner*), mit poetischer Diamant-Spitze oder mit pro-
saischen Spatenstichen unvergängliche Lobsprüche zeichneten. Aguilar's
lyrische Erzeugnisse sind in den Wettgedichtsammlungen der poetischen
Preiskämpfe enthalten. Seine Komödien schliessen verschiedene CoUec-
ciones von Bühnenstücken ein und belaufen sich auf folgendes Dutzend:
El Mercador Amante (Der verliebte Kaufmann). — La fuerza del
interes (Die Macht des Vortheils). — La suerte sin esper anza (Das
holFnungslose Geschick). — La gitana melancolica (Die melancholi-
sche Aegyptierin, die wir zur Besprechung uns auserkoren). — La nueva
humildad 6 la nuera humilde (Die neue Demuth oder die demüthige
Schwiegertochter). — Los amantes de Cartago (Das Liebespaar von
Carthago, behandelt die Liebesgeschichte von Massinissa und Sopho-
nisbe). — El gran Patriarca Don Juan de Eibera (Der grosse Pa-
triarch Don Juan de Ribera). Diese sieben Stücke befinden sich in der
mehrgedachten Valencianer Sammlung. La venganza honrosa (Die
ehrenwerthe Eache). — Vida y muerte de san Luis Bertran (Leben
und Tod des h. L. Bertran). — El caballero del sacramento (Der
Ritter vom Sacramente). — No son losreceloscelos (Befürchtungen
sind keine Eifersucht). — El crisol de laVerdad (Der Prüfstein der
Wahrheit). Von diesen fünf sind die vier letzten nicht im Druck erschie-
nen. La veng. honrosa steht in der Coli.: Flor de Comedias. Als
Mitglied der Valencianer Academia de^ los Nocturnos hielt Aguilar
verschiedene Vorträge (discursos) in derselben. U. a. Ueber die Vorzüg-
lichkeit des Hundes (De la excellencia del perro).
*) 'Fortuna illi (Gasparo Aguilar) impar sine limite sed tarnen aura
IUI afflat mentis gaudia mellifluae'.
Die schöne schwermüthige Aegyptieriii. 539
einer ägyptischen Königin erzielte Tochter, Irene, die der Be-
lagerer von Jerusalem mit schwärmerischer Vaterzärtlichkeit liebt,
wie sich von der „Wonne des Menschengeschlechts*' nicht an-
ders erwarten lässt, welche Wonne in den Augen der Juden frei-
lich — und von ihrem Augenpunkt aus mit vollem Eecht — als
'Titus der Bösewicht' verabscheut wird. In Aguilafs Gitana:
wenn man will — Juden- und Zigeuner-Drama bleibt Tito aber
die Wonne sogar für die Juden, die er mit römisch-kaiser-
licher Grossmuth behandelt; der Schirmherr und liebevoll kai-
serliche Vater von einer Zigeunerin und einem halben Dutzend
ganz Israel vertretender Juden.
In der ersten Jornada, der Belagerung Jerusalems, ver-
sucht die Gitana ihren heimlich geliebten römischen, Soldado'
kurzweg genannten, und zum Angriff gegen das „Verräther-
volk" 0, die Juden, stürmenden Numa vom Kampfe zurückzu-
halten. Kampfesehre reisst den tapfern Numa selbstverständlich
aus den Armen der Belagerungs-Liebe, und schon in der näch-
sten Scene muss Gitana aus dem Berichte, den Capitan Mario
dem zärtlichsten aller kaiserlichen Väter abstattet, erfahren: dass
der „grosse Numa" nach Jerusalem als Kriegsgefangener gebracht
worden. 2) Irene fällt darüber erst in Ohnmacht und aus der
Ohnmacht in Melancholie, wofür der tief bekümmerte kaiserliche
Vater, noch vor Ankunft des herbeigerufenen Arztes, den Zustand
diagnosticirt ^) , den Titel der Comedia nach der Krankheitsform
feststellend. Tito der Gütige zerschmilzt in eine so schwer-
müthige Vaterbesorgniss um das melancholische Aegypter-Kind,
dass es zweifelhaft bleibt, wer melancholischer, der Vater oder
die Tochter, der römische Emperador oder die ägyptische Prin-
zessin, die er, auch rücksichtlich der gemeinsamen Melancholie,
sein zweites Ich nennt. ^) Der herbeigerufene medico ist Hofarzt
1) Voy Inego ä dar el asalto
Contra este piieblo traidor.
2) Bien es verdad que nos cuesta
La persona del gran Numa
Que en la ciudad queda presa.
3) Sin duda es melancolia.
4) pues eres
Un Yo apartado de mi.
540 ^^s spanische Drama.
genug, um der kaiserlichen Diagnose unbedingt nach allen Krank-
heitssymptomen, als da sind „kalter Schweiss, blasses Gesicht,
trübe Augenfarbe", beizustimmen^), und verordnet gegen den
'humor melancolico' Lustbarkeiten, Hoffeste, Spiele und Diver-
tissements als probates Mittel. 2)
Infolge eines jener unvermutheten Kriegszufälle finden wir
den Heldenkrieger, den nach verrätherischem Judenfleisch wolfs-
hungrigen Judenfresser, den „grossen" Numa, gleich nach dem
ersten Glücks- und Decorationswechsel ^) , als jüdischen Abge-
sandten des Juden-Generals Josefo, an den Kaiser Tito, der
den kriegsgefangenen Kömer nicht ohne Mühe aus den Händen
zweier Judios, die ihn, den, nächst Titus dem Bösewicht, ge-
fährlichsten Judenfeind, brevi manu abzuschlachten im Begriffe
standen, befreit hatte. Zwei miserable Judios, Manns genug, ei-
nen Kriegshelden, wie den „grossen Numa", mit Haut und Haa-
ren zu verspeisen? — Was ein Decorationswechsel nicht alles
für Verwandelungen, selbst in den Personen und Helden eines
Stückes, nach sich ziehen kann! Der Juden -General Josefo
lässt durch seinen Gesandten, den römischen Helden Numa,
dem Kaiser Tito die Zerstörung Jerusalems anbieten, aber eine
Zerstörung mit Maassen, Blut und Feuer nach Belieben, so viel
Tito der Gütige will, nur die Geissei des Hungers möchte er
nicht fürder schwingen, ^) Um eine Vorstellung von dieser Geissei
zu geben, erscheint hierauf des Josefo, „Generals von Jerusa-
1) Porqtie considerando el sudor frio,
La poca calentura, el rostro palido,
Y el color denegrido de los ojos,
Es humor melancolico.
2) Mändale luego hacer fiestas y juegos,
De manera que pueda divertirse.
3) „Gambia la decoracion".
4) Dite a Tito que le ruego
Y pido con humildad
Que destruya esta ciudad,
Si pretende, ä sangre y fuego.
Solo que no la destroya
Con este azote siniestro.
Numa als ReguUis. 541
lern", Töchterlein, die schöne Aber, um ihrem Herzgeliebten,
dem tapfern Judensoldaten (soldado judio) ünias, tapfer wie der
soldado romano, der grosse Numa, — jetzt aber, infolge sechs-
tägigen Verhungerns, ein ausgemergelter soldado und galan judio
— die eine Hälfte vom letzten Kleienbrod in Jerusalem zu
reichen, die andere Hälfte ihrem Vater, Josefo, dem General
von Jerusalem, und dessen letztem Kleienbrode, vorbehaltend.^)
Der vor Liebe zu gleichen Hälften mit dem Hunger schmach-
tende ünias besteht darauf, dass seine Aber die Brodhälfte
mit ihm theile 2), genau die Hälfte, abgewogen auf der spanischen
Parallel- und Halbscheids- Waage. .
Numa erledigt sich, von Josefo bevollmächtigt, seiner Ge-
sandtschaftsmission dem Kaiser Tito gegenüber, ein zweiter Ee-
gulus an Ehrenpflichtgefühl und Gebundenheit durch sein dem
Judengeneral verpfändetes Wort, zurückzukehren nach Jerusalem
in seine Haft 3), egregius properaret exul, mit Tito's Forderung
einer bedingungslosen Uebergabe der Stadt auf Gnade und Un-
gnade. Irene's Thränen können Numa's eiserne Regulusbrust
nur rostfleckig machen, nicht erweichen, und ihr x\rgument, dass
ja kein einziger Jude, da die ganze Brut massacrirt werden
soll, übrig bleibe, um ihm seinen Wort- und Ehrenbruch vorzu-
halten 4), prallt an Numa's stählernem Ehrenschild ohnmächtig ab.
1) Aber. No hay en toda la ciudad
Sino este pan de salvado . . .
Quiero darte la inidad.
Unias. Y la otra ^adonde ha de ir?
Aber. Mi padre la ba de levar.
2) En que tomes la mitad
Desta mitad que me has dado.
3) Y asi, vuelvo ä la prision
Contra mi gusto, pues tengo
De volver obligacion.
4j Y pnes no ha de quedar vivo
Ninguno de quantos son,
Sepamos por que razon
El volver ä ser cautivo
Pundas en obligacion.
542 ^^^ spanische Drama.
Numa-ßegulus zieht ehrenwortfest in seine Kriegsgefangen-
schaft zurück. Aus Irene 's melancholischem Lamento darüber
glaubt Kaiser Tito folgern zu dürfen, dass Numa die Krank-
heitsursache , die causa proxima ihrer Melancholie sey. ^) Diese
scharfsinnige Diagnose macht der ersten Jornada ein Ende.
Die zweite Jornada spielt sich in eine Judith-Katastrophe
hinein, die der jüdische Hohepriester gegen Kaiser Tito's Titus-
kopf mit Josefo berathet, und beschliesst, das schönste Juden-
mädchen in Jerusalem soll die Judith-ßolle übernehmen. Unter
drei der schönsten trifft die allerschönste Judenjungfrau, Josefo's
Töchterlein, Aber, das Loos, deren Namen ihr Vater selbst aus
der Urne zieht. Die schöne Aber findet aber bei der Judith-
Mission ein Aber wegen ihres Unias, der darüber nur deswegen
nicht aus der Haut fährt, weil Ab er 's Gegenwart ihm die
Haut unsterblich und ihn hautfest gerbt. ^) Aber 's Versicherung,
sie ziehe aus, um ihre Haut für ihn zu Markte zu tragen ^),
streicht seiner unsterblichen Haut die Kummerrunzeln aus dem
Gesicht; er giebt dem von seinem Geschick geschliffenen Messer 4),
womit sie Tito's Kopf abschneiden geht, den Keisesegen, und
wirft der Davonziehenden einen Monolog nach, der wie ein bren-
nender Pulverfrosch unter tollem Zischen und Prasseln ver-
pufft — „Ein Feuer". ^)
Irene verharrt noch immer in ihrem melancholischen Lie-
besstarrkrampf so unveränderlich durch das ganze Stück, wie
1) Luego ^Numa es instrumento
De sns desventuras ?
^) Si con este sobresalto
Subitamente no muero,
Y si no me acaba el mal
La vida con la paciencia
Debe de ser immortal.
3) Que por ti salgo ä morir.
4) Y embotaräs el cuchillo
Que has amolado en mi suerte.
5) Fuego soy; y asi mi fnria
Mi ardiente poder ensefia,
Ein kopfloser Hauptmann. 543
dessen Titel. Inzwischen hat sich der Jude Ismael aus Jerusa-
lem aufgemacht, um mit einer valencianisch überschwänglichen,
wie die der schönen Suleima im hohen Lied, üppig brünstigen
Schilderung von Aber's Schönheit Kaiser Tito's Begehrlichkeit zu
kitzeln, wie den Herrscher von Java sein verschnittener Harem-
Oberster: mit einer Pfauenfeder. „Ich kann Dir blos sagen" —
schliesst der Kitzler seine Schilderung — „die schöne Aber geht
daher, wie des Argos Pfauenschweif ganz bedeckt von den Augen
ihrer Bewunderer." ^) Dieses mit Pfauenschweifaugen über und
über besäte Prachtstück von Judenmädchen soll nun heimlich,
auf Befehl ihrers Vaters Josefo, nach Aegypten gebracht wer-
den 2), als muthmasslicher Harem-Pfauenwedel. Tito lässt ihr
sofort von 200 Keisigen den Pass nach Aegypten verlegen, und
bestellt seinen Hauptmann Mario, der schon während Ismael's
Schilderung von Aber's Reizen die Wirkung der Javanischen
Pfauenfeder auf seine gespannte Erwartung durch die untrüg-
lichsten Zeichen doppelter abwärts- und aufrechtstehender Aus-
rufungszeichen in Aparte-Klammern zu erkennen gegeben^) —
diesen Hauptmann Mario bestellt Tito als Hüter und Beschir-
mer von Aber's Schönheit und Keuschheit, übergiebt ihm sei-
nen Commandostab und mit diesem seine kaiserliche Autorität
und Vertretung der kaiserlichen Person ^) in seiner Abwesenheit —
Pues arde en el verde lena
De aquesta reciente injuria.
Feuer bin ich, und so nimmt,
Meine Wuth mich in's Gebet,
Dass wie nasses Holz sie glimmt
In dem Schimpf, der frisch mich«schmäht.
1) Solo puedo decir que, como un Argos
Va contino cubierta de los ojos
Que le ofrecen aquellos que le miran.
2) Quiere (su padre) enviarla luego al rey de Egipto.
3) Mario (Ap.)
jOh, quien pudiese ver mujer tan bella
Y ofrecelle los mios!
(nämlich Argusschweif-Augen.)
4) Quiero que representes mi persona.
544 ^^^ spanische Drama
einem römischen Hauptmann — wie zur Doublette des assyri-
schen Feldhauptmanns, Holofernes auserlesen, dessen Schicksal
er dann auch in allen Stücken erfährt, nach einer vorläufigen
Scene, worin ihm das verführerisch reizende Judenmädchen, Aber,
die ihn für Kaiser Tito hält, unter denFuss giebt, dass sie ge-
kommen, um ihm stehenden Fusses den Kopf abzuschneiden i),
worüber Mario Holofernes so ausser sich geräth vor Ent-
zücken, dass er in seinen Wonnedelirien die Aber fragt, ob ihr
denn nicht ihr vom Himmel octroyirtes Gesicht genüge, mit der
Warnung, sich zu hüten, dass sie es nicht in seinem Auge er-
blicke, wenn sie nicht den Tod des Narciss sterben will. '^) Mitt-
lerweile ist Tito von Aber's ihr nachgelaufenem Bräutigam,
ünias, über deren Absicht in Kenntniss gesetzt worden ^), damit
der Kaiser sie nicht vorlasse. Dieser befiehlt, den Zeltvorhang,
der Aber's Judith -That verbirgt, zu öffnen. Da steht Aber
schon mit Mario's Pseudo-Tituskopf in der Hand vor dem wirk-
lichen, der sich vor Staunwunder ob seines Hauptmanns Haupt
nicht genug schütteln kann, während mancher kaiserliche Kriegs-
herr bei so manchem andern Hauptmann über das umgekehrte
Schauwunder den Kopf schüttelt: über den Mann ohne Haupt.
Aber-Judith fleht um ihren Tod so schleunig wie möglich,
dessen sie zu ihrem Siege dringend bedürfe ^), um so dringender,
da sie nicht den rechten Kopf abgeschnitten. Der grosse Tito
möchte nun über sie triumphiren, da sie über ihn nicht trium-
phire, ^) Tito thut der Aber so wenig den Gefallen, dass er
1) ^Sabräs que salgo ä quitarte
La cabeza?
2) N<> basta el rostro que quiso
Darte el cicio por despojos?
Pues si lo ves sin aviso,
En la frente de mis ojos
Moriräs, como Narciso.
3) Sin duda algnna
Salio, Tito, ä darte muerte.
4) Dadme con presteza mucha
La muerte.
5) Triunfa, oh gran Tito, de mi.
Yo que de ti no he triunfado.
Allgemeine Wolfsjagd. 545
um ihretwillen der Stadt Jerusalem Frieden anzubieten bereit ist,
während die Bevölkerung gerade in diesem Augenblick einen Wolfs-
hunger-AusfalP) machen muss und — was thut vor Hunger?— sich
in die melancholische Zigeunerin, des Kaisers Tochter, verbeisst,
und mit dem Fang in die Stadt Hals über Kopf zurückeilt, nach-
dem die Juden- Wölfe in der zur Erheiterung der melancholi-
schen Prinzessin versammelten Fressgesellschaft gewüthet mit
der doppelten Vertilgungswuth von jüdischen ßömerfressern und
ausgehungerten Wölfen. Tigergleich ^) setzt Kaiser Tito den
beschnittenen Wölfen nach, um ihnen die Tochter zu entreissen,
lässt aber erst die Aber zur Thür hinauswerfen. 3) Nun —
rauft sich Aber das schöne Haar aus — Nun ist's aus mit Je-
rusalem! und stürzt, ohne das Hinausgeworfenwerden erst abzu-
warten — stürzt davon, um für das theure Vaterland und den
theuren Gatten zu sterben *) , Mario's Pseudokopf als Katze im
Sack, mit dem ihr die zweite Jornada, wie Judith's Magd, Abra,
ihrer Herrin, nachläuft.
Numa benutzt, mit Anbruch der dritten Jornada, die
allgemeine, durch Tito's Angriff in Jerusalem entstandene Ver-
wirrung, und seine Befreiung aus der Kriegsgefangenschaft zu der
Anfrage bei Kaiser Tito, was aus Irene, der melancholischen
Aegyptierin, geworden, und vermisst sich des Heldenschwurs von
Schiller's Bastard Dunois: Frei muss sie seyn, eh' noch der
Tag sich endet ! „Beim hohen Himmel ! befreien muss ich meine
Dame !'' ^) — „Du, eine Dame ?" ^) fragt Tito verwundert, unein-
denk des Lichtes, das ihm doch schon in der H. Jornada Irene
selbst darüber aufgesteckt. Numa verständigt den Kaiser durch
1)
han salido,
Como lobos hambrientos, de los muros.
2)
Y asi, quiero salir en busca suya,
Como tigre parida ...
3)
Echad esa mujer, echalda luego.
4) Aber. AI fin Jerusalem ha de perderse . . .
Que muera por mi patria y por mi esposo.
5)
Por el cielo soberano,
Que he de übrar a mi dama.
6)
^,Dama tienes?
X.
35
546 I^as spanische Drama.
die Blume : die Zwillingsähnlichkeit seiner Dame, in Wesen und
Eigenschaften, mit Tito's Tochter Irene ihm zu riechen gebend.^)
Tito verspricht ihm, die Herzensdame werde Irene eigenhändig
ihm zuführen. 2) Der verblümte Doppelsinn im Dialoge scheint
in der Schule von Valencia so dicht aneinander gedrängt zu
blühen, wie Blüthen und Früchte auf den Aesten der dasigen
Orangen- und Citronenbäume sich zusammen wiegen.
Josefo ruft die Juden zum Verzweiflungskampfe auf die
Mauern, und bedient sich dabei eines in der Geschichte der
Kriegskunst vielleicht einzigen strategischen Kunstgriffs: der
Proberufe, ähnlich wie jener Witztölpel mit seinem Schreck-
spass: „der Wolf kommt", zuletzt die gefoppten Hirten wirklich
abschreckte, ihm beizuspringen, als der rechte Wolf Ernst machte
und kam. Die Juden stürzen, bis an die Zähne gewappnet,
herbei, um dem römischen Wolf das Fell zu zausen — Wo ist
er? schreit Judio I^., kampflustig — Wo ist der Wolf? „Ich
wollte Euch, Brüderchens, nur auf die Probe stellen", lacht den
Verdutzten der Judengeneral in die Zähne. ^) Wiederholter
Alarmruf. Massenweise, wie eine Herde bärtiger Maremmen-
Büffel auf den einbrechenden Wolf mit gesenkten Hörnern und
die Luft peitschenden Schweifbüscheln, stürzen die jüdischen
Streiter heran: Der Wolf! der Wolf! der römische Wolf! „Etsch!"
— schabt ihnen General Josefo Rübchen: „hab' ich Euch schön
angeführt !" 4} Eichtig! aufs Haar wie in der Fabel; der Wolf
ist nun wirklich da, ein ganzer Trupp römischer Wölfe, Kaiser
Tito vorauf — General Josefo schreit darüber nicht Probe —
die Juden aber, die denken aha! die Generalprobe! und sagen:
Schrei du und der Teufel ! und rühren sich nicht. ^) So wird
1)
— igual en calidad
Con tu hija
2)
Mi hija —
Te la darä por mujer.
3)
Judio P.
^En que parte esta?
Josefo.
Hermanos
Quise probaros con esto.
4)'
iQue lindamente os burle!
5)
Josefo.
digo
Die Geschichte des Drama's im Harnisch. 547
Jerusalem erobert und Josefo gefangen genommen: Eine Va- .
riante dieser gegen sich selbst in Anwendung gebrachten Kriegs-
list des Juden-Generals Josefo zu Josephus Plavius' Juden-Ge-
schiclite, über die Josefo Flavio sich nicht wenig wundern dürfte.
Mörderische üeberrumplungsgefechte finden gleichwohl statt. Der
tapfere ünias, der jüdische Hektor, kämpft den Verzweiüungs-
kampf mit dem Eömer Turno, die schöne Aber mit dem sol-
dado romano Gesta, dessen Namen die Gesta Romanorum ver-
ewigen, und säbelt ihm den Kopf in den Judithsack. Und mitten
in diesen sturmheissen , ein Weltvolk, wie das Jüdische, eine
Gottesweltstadt, wie Jerusalem, zermalmenden Kämpfen, die, wie "
das Judenschicksal, unentrinnbare Eifersuchtsscene 1 Zwischen dem
verwundeten ünias und der schönen Aber, die ünias deshalb
beeifersüchtelt,_ weil sie doch beim Abschlachten des Mario ihn
berühren und sogar seinen Kopf am Schöpfe fassen, jedenfalls in
Mario's Nähe sich befinden musste!^) Darüber muss selbst ein
Engel von kritischer Geduld, wie unsere Geschichte des Drama's,
sich gelb und grün ärgern, sich wenigstens in die Leibfarbe ei-
nermelancholischen Zigeunerin hineinärgern! Difficile est satyram
non scribere — wie oft verbeisst die Aermste diesen Stossseuf-
zer, den sie um so betrübter in sich hineinächzt, als sie zu ihm
bei Analysen von Dramen veranlasst wird, wo das glänzendste
scenische, freilich immer nur nationalscenische Talent mit ebenso
heimischen Gebirgskröpfen prunkt, die das kritische Messer und
den kritischen Arsenik herausfordern, und beiden heroischen Mit-
teln noch heroischer trotzbieten!
Des ünias Eifersuchtstiftelei unterbricht General Josefo
mit dem Vorschlag, das Liebespaar an's Messer zu liefern, um
des Römers über ihren Häuptern schwebendem Schlachtmesser
das Prävenire zu spielen. Hatte doch Pontius Pilatus in eines
Que ha venido el enemigo.
Judio 3^ (Dentro)
Ya se que te estas bnrlando.
1) Pues aunque digas, cruel,
Que no Uegaste ä tocalle,
Quando Uegaste a matalle,
No estäbas mii}^ lejo del —
35 =
548 I^^s spanische Drama.
schuldlosen Lammes Opferblut seine Hände rein gewaschen, i)
Um jedoch nur Einen Leib zu schlachten, will Josefo aus dem
Liebespaar zuvor durch Eheschliessung Einen Leib machen.^)
Lope's oft geschmacklose, aber immer krystallhelle Argutien die-
ser Art sieht man von dem Reagentientropfen der Valencianer
Schule als trüben Niederschlag aus der Flüssigkeit ausscheiden
und zu Boden sinken. Glücklicherweise kommt dem Vorhaben
Kaiser Tito's weltbekannte Grossmuth zuvor durch das huld-
volle an den jüdischen General gestellte Anerbieten, bei seinem
Triumphe in kriegsgemeinschaftlicher Freundschaft sich zu be-
theiligen J) Umarmt das neue Ehepaar und ersucht sie, ihm
beim Aufsuchen seiner Irene behüflich zu seyn. Schliessen wir
uns den Aufsuchern an, schon um den am Schlüsse so misslichen
episodischen Scenen, wie die z. ß., wo ein Römer 20 gefangene
Juden für einen Heller verkauft, aus dem Wege zu gehen, und
folgen wir dem zweiten Juden, der uns, selbfünft, — mit Numa,
welcher sich inzwischen angeschlossen, ^elbsechst, — wie ein Frem-
denführer in den Tempel geleitet, um unter andern Merkwürdig-
keiten die nebst sonstigen römischen Gefangenen daselbst ver-
steckte melancholische Zigeunierin oder Aegyptierin, Prinzessin
Irene, zu zeigen, an welche der Hohepriester von Jerusalem
eben mit der unterwürfigsten, in AUerunterthänigkeit ersterben-
den Ehrfurcht das Bittgesuch richtet, sich abschlachten zu las-
sen. ^) Wir Sechs, Kaiser Tito, Josefo, das junge eben ge-
1) Despues que en la (sangre) de un cordero
Lavo las suyas (manos) Pilato,
Quiero pues por eso hacer
Con pecho constante y fuerte,
Que al poder vais de la muerte
Primero que a su poder (de los Komanos).
2) Primero casar es quiero
Por matar uno no mas,
Porque siempre el casamiento
De dos uno suele ser.
Casaos al momento.
3) Solo quiero Uevarte como amigo
Para que me acompanes en el triuiifo.
4) Perdonad, Irene hermosa
Zweimaliges Wiederfinden. 549 ,
traute jüdische Ehepaar, Unias, Aber und Unsere Wenig-
keit in Vertretung unserer Leser — wir fallen, Numa vorauf,
dem Hohenpriester in den mit dem Opfermesser erhobenen Arm.
Unseren von Numa's Schwert nachdrücklich unterstützten Vor-
stellungen giebt der Hohepriester als Klügerer nach, und thut
noch ein Uebriges, sich bereit erklärend, sämmtliche im Tempel
verborgene Kriegsgefangene frei zu geben-. Das Wiedersehens-
Entzücken, landläufig im spanischen Drama, läutet das Liebes-
paar, Numa und Irene mit allen Glocken aus. Irene's Au-
gensterne — zieht Numa seinen Glockenstrang — waren für ihn
der Nordstern — richtiger zwei Nordsterne, kurzum Wegweiser,
die ihm auf dem Meere seines Liebesstrebens, behufs Entdeckung
der beiden Lidien seines Entzückens, wesentliche Dienste ge-
leistet. 1) Und nun das zweite Wiederfinden, Tito's und Prin-
zessin Irene' s. Nur Eines finden wir, die Sechse insgesammt,
nicht wieder: die melancholische Aegyptierin; statt ihrer
vielmehr nicht blos eine vollständig durch Tempel-Incubation von
ihrer Melancholie geheilte, sondern eine vor Seelenlust, Hoch-
zeitsfreuden vergnügte und mit sobresaltos, wie eine indische Baja-
dere, im Tempel von Jerusalem ihrem Bräutigam in die Arme
tanzende Zigeunerin, die gleich König Salomo's Braut in seinem
Hohenliede „schwarz ist, aber lieblich." Kaiser Tito der Gütige
schlägt eigenhändig zum Hochzeitstanze die Schellentrommel -),
seinen väterlichen Segen dazu singend, in den unsere Analyse
mit einem Freudensprung einstimmt, angeregt, wenn nicht von
der dramatischen Fabel, die gleich den meisten dieser histori-
schen Comedias, in ihre Selbstparodie umschlägt; so doch hoch-
zeitlich angeregt, durch den Brautvater, den trefflich in seinem
Legendencharakter als grossmüthiger Tito gehaltenen Kaiser
Si ml brazo determina
Daros muerte rigorosa.
1) Descubri, Seiiora mia,
Esas estrellas, que fueron
En el mar de mi porfia
Norte que me descnbrieron
Las Indias de mi alegria.
2) Desde ahora te la doy
Por la legitima esposa.
550 I^as spanische Drama.
Tito, und auch festlich angeregt durch die würdige Schilderung
der Judenschaft von Jerusalem, frei von jeder Antipathie und
karrikirendem Unglimpf, — was dem spanischen Dichter zu be-
sonderem Lobe gereicht, und wovon sich vielleicht selbst ein
deutscher confessioneller Dichter, was diese Spanier fast alle sind,
nicht so rein gehalten hätte; — freudig angeregt endlich durch
den Reiz und die stylistische Kunst der Gesprächsführung —
ein Gemeingut freilich sämmtlicher spanisch-dramatischen Schu-
len des 17. Jahrhunderts. Kein Drama irgend welchen Volks-
thums hat eine so brillante dialogische Schablone, wie das spa-
nische, wie das Lope-Calderon-Drama. Diese glänzende Einför-
migkeit in der Gesprächsfärbung und im rhythmischen Klingklang,
erregt die stereotyp-monotone, aber immer festfeierliche Stim-
mung, die des jüdischen Hohenpriesters Juwelenbrustschild und
der Klang güldener Glöcklein an seinem Gewand-Saume bei den
Amtshandlungen und dem vorschriftsmässigen Hin- und Her-
schreiten vor und hinter dem Vorhang des AUerheiligsten in der
andächtigen Gemeinde erregen mochten; sollten auch die zwölf
Steine im spanischen Dialogen-Brustschildchen nicht immer acht
und die güldenen Glöcklein nicht immer vom feinsten gediege-
nen Golde seyn.
Doctor Francisco Tärrega.^)
La Duquesa constante
(Die standhafte Herzogin).
Duque Valentine — irgend ein beliebiger italienischer
Kleinfürst — segelt mit drei Galeren nach Spanien ab, vom
1) Doctor Francisco Tärrega, gen. El Canönigo Tärrega,
ans Valencia, war schon um 1590 als Schriftsteller und Dichter berühmt
und der früheste Valencianische Dramatiker, der Lope de Vega's Schan-
spielgattung und Schule cultivirte. Sein Geburtsjahr ist nicht bekannt.
1590 schrieb er Komödien noch unter dem Namen Licenciado Fran-
cisco Tärrega. Als Mitglied der Academia de los Nocturnos führte er
den Namen 'Miedo' (Furcht). Ueber sein Sterbejahr beobachten die melir-
erwähnten Valencianischen Biographen, Rodriguez, Jimeno und Fuster,
Grabesschweigen. Nicol. Anton sogar auch über die Lebenszeit, die zwi-
Franc. Tärrega's ^La Duquesa constante'. 551
Könige dahin berufen, seinem Vetter Torcato ein versiegeltes
Papier anvertrauend, das derselbe, nur auf des Duque Ermäch-
schen Tärrega's Wiege nnd Grab fällt, selbst den Namen unseres Cano-
nigo in Stillschweigen begrabend, bei dem es freilich die Valencianischen
Biographen auch nur bewenden lassen. Kurzum, von Tärrega's Lebens-
umständen kennt man keinen nähern Umstand, als dass er überhaupt ge-
lebt hat, einen Umstand, von dem aber Spaniens biographische Haupt-
grundquelle, Nicol. Ant., auch nichts weiss. Desto feurigere Lobredner
fand unser Canönigo in den, so zu reden, literarhistorischen Poemen wie
des Cervantes ^Viage', und Lope de Vega's 'Laurel'. Yicente Ma-
riner, in seiner lateinischen zur Verherrlichung der Valencianischen Poe-
ten gedichteten Elegia, preist ihn über den Valencianischen grünen Klee,
als einen komischen Dichter, dessengleichen nicht mehr zu finden.*)
Blieb doch Doctor und Canönigo Tärrega, trotz der Trompeten seiner Zeit-
genossen, über dritthalb Jahrhunderte selber unfindbar und verschollen,
nicht blos Seinesgleichen.
Tärrega's Comedias erschienen in der von Aurelio Mey 1609 und
1616 herausgegebenen Sammlung der Werke der vier Valencianischen Dich-
ter in zwei Th eilen**), mit folgenden Comedias:
El Cerco de Eodus (Belagerung von Rodus). La sangre leal de
los Montaneses de Navarro (Das königliche ßlat der Gebirgsbewoh;:,
ner von Navarra). El esposo fingido (Der vorgebliche Gatte). El
prado de Valencio (Der Lustwald oder Augarten von Valencia). La
perseguida Amaltea (Die verfolgte Amaltea). Las suertes troca-
dos y torneo venturoso (Die vertauschten Loose und das glückliche
Turnier). El Cerco de Pavia, y prision del Key Francisco (Die
Belagerung von Pavia und die Gefangenschaft des Königs Franz I. von
Frankreich). La Duquesa constante (Die standhafte Herzogin), un-
sere Auserwählte. La Enemiga favorable***) (Die gastfreundliche
Feindin).
*) Comica sub tanto nituit sie fabula vate
Ut similem nullum jam reperire queat.
**) I. Doce Comedias famosas de cuatro poetas naturales delainsigne
y coronada ciudad de Valencia, worin 6 Com. von Tärrega. II. Noche
de la Poesia Espanola, illustrado del sol de doce Com. (que forman
segunda parte) de laureados poetas Valencianos etc. ipor Aurel. Mey de
Anno 1616, worin drei Com. von Tärrega. — ***) Li Eugenio de Ochoa's
'Tesoro del Teatro Espanol' 1840 abgedruckt und zuerst erschienen in der
Sammlung Flor de las Comedias de Espana etc. recogid. por Franc, de
Avila. Quinta parte. Madr. u. Alcalä 1615. Inhaltsauszug dieser Comed
bei Schack a. a. 0. S. 421 f.
552 Das spanische Drama
tigung dazu, öffnen solle, und empfiehlt dem Vetter, eine Schrift
mit zwei f, aus dem ff, die sorgsamste, treueste und liebevollste
Obhut über seine mehr als zärtlich geliebte, seine angebetete
vergötterte Gemahlin, Duquesa Fla mini a. Welchem Wolfe
der Herzog sein Herzenslamm anvertraut, giebt Wolf Torcato,
unmittelbar nachdem Duque abgesegelt, selbst kund in seinem
dem vertrauten Otavio abgelegten Geständnisse von seiner Lei-
denschaftsgluth für Duquesa Flaminia, deren Herz ein Keusch-
heitspanzer von Eis gegen ihn wappnet, den er mit Lieb oder
Leid schmelzen müsse. ^) Ein entschiedener, löblicher Exposi-
tionsschritt in medias res. Otavio soll ein prachtvolles Mas-
kenfest zu Ehren der Duquesa rüsten, das der in eine doppelte
Maske verlarvte Wolf Torcato, behufs Schmelzung gedachten
Keuschheitspanzers von Eis, zu benutzen willens ist. Den zwei-
ten Expositionsschritt in medias res thut Torcato's Gattin Lu-
crecia mit der, Angesichts von Flaminia, bewirkten Enthül-
lung ihres für den Gatten in treuer Liebe glühenden Herzens 2),
dem er, der fühllose Gemahl, einen Eispanzer entgegensetze.^)
Lucrecia's Herz wird von einer Doppelflamme verzehrt, von ver-
schmähter Gattenliebe und von Eifersucht auf -— Flaminia,
die der Freundin Herz an ihr eisumpanzertes Herz drückt und da-
durch die Eifersuchtsflamme dämpft. ^) Den dritten Expositions-
schritt thut das Fest selber, das mit den Kanonenstiefeln zweier
Ausserdem verschiedene Comedias siieltas. Das Auto sacram.
del Colmenar (vom Bienenkorb) etc.
1) Amor
— mi Uama ardiente
encienda
Aquel hielo endurecido
De Flaminia . . .
2) No conoceras mi fuego
Hasta que en mis fuegos ardas.
3) Su rigor y su desden
Me tienen, Flaminia, tal.
4) Y pues es Flaminia quien
Con celillos te fatiga,
Esa Flaminia, con sello,
Te perdona e te asegura.
Torcato, Vorbild des Tieck'schen Genoveva-Golo. 553
maskirten spanischen Studenten, Don Juan und Don Julio,
in medias res, nicht sowohl in die der Handlung, als der ver-
schleierten Lucrecia und ihrer alten Dienerin Marta, hineinzu-
schreiten Miene macht. Mit Torcato's Versuch, als maskirter
Juwelenhändler durch kostbare Schmucksächelchen sie, die Du-
quesa, zu „kaufen"; mit seinem und seiner Diamanten glän-
zendem Abblitzen bei Duquesa Flaminia; mit Lucrecia's,
die ihren bei einer Umarmung Flaminia's in Ehren und Züchten i)
betroffenen Mann entlarvt, nachdem sie sich selbst entschleiert, —
mit Lucrecia's demaskirter Eifersucht ; mit ihrer doppelt und drei-
fachen Demaskh^ung •, mit etwelchen, von Torcato ihr versetzten
Pusstritten '^j , — die letzten Expositionsschritte in medias res
posteriores; — mit Torcato's den Otavio ertheiltem Auftrag,
seine Gattin auf sein Landgut, einen am Meere belegenen Gar-
ten, zu bringen^), wo sie die schönste Gelegenheit habe, Eifer-
sucht und ^Coces' in der frischen Landluft abzukühlen: mit die-
sen directen Schritten in die Handlung hinein schliesst der Ex-
positionsact.
Von der Handlung selbst erfahren wir eingangs des zweiten
Acts Torcato's gegen Otavio geäusserten, gegen Flaminia
beabsichtigten und vom Erlkönig mit Krön' und Schweif über-
kommenen Vorsatz: „So brauch ich Gewalt".^) Erfahren wir
ferner durch einen aus Barcelona 1. Juli 1550 datirten Brief des
herzoglichen Geheimsecretärs an Torcato von des Duque in
Barcelona vorgefallener Verhaftung und Einsperrung in einen Sau-
stall, aber nicht den Grund. Erfahren wir weiter die von Tor-
cato vorgenommene Eröffnung des ihm von Duque bei der Ab-
1) Tore. — es lo que el Duque me ha dado (el abrazo).
Flamin. Toma el abrazo — -
— pienso que Valentino,
Que es mi esposo, me abrazo.
2) (Aqui le da de coces).
3) Aperciba una litera
Y con esta mujer parte
AI jardin de la ribera . . .
4) Gozando por fuerza
La que sin fuerzas me mata.
554 I^as spanische Drama.
segelung übergebenen Briefes mit sieben Siegeln ; erfahren gleich-
zeitig den Inhalt, der mit dem von Herodes dem Grausamen
gegen seine Königin Mariana in ähnlicher Lage sub sigillo an
seinen Vertrauten gerichteten Blutbefehle genau übereinstimmt,
nur dass des Duque Blutbrief der DuquesaFlaminia gilt.
„Das Beispiel von Herodes mit der Mariana" — schreibt der,
statt in ein Aragonisches Castel in das dasige Irrenhaus einge-
sperrt zu werden verdient habende Duque — „wird meine Ei-
fersucht entschuldigen". ^) Plaminia's Eispanzer auf Deinen hirn-
verbrannten Schädel, missrathene Doublette des grausamen Hero-
des! „Ich schwöre", ruft — und wir mit ihm! — ruft der wackere
Otavio, das Antidot zum Torcato und Flaminia's heimlicher
Schutzgeist — „Ich schwöre beim heiligen Himmel, dass dieser
Auftrag das Unerhörteste und Abscheulichste ist, das (seit Hero-
des) die Welt gesehen!"^) Das pastorale Einschlagsgewebe
schliesst sich durch die Haupthandlung weniger parallel zu der
Fäden Grundzettelung und diese mehr durchkreuzend, als bei
Lope; vielleicht ist das eines der Unterscheidungskennzeichen der
Valencianischen von den castilischen öder Lope - Calderon'schen
Dramen; wie das stärkere Betonen des bürgerlichen als des
höfischen Wesens; und hiermit im Zusammenhange: eine auf
Geisselung fürstlicher Verkehrtheiten entschiedener zielende Ten-
denz; kurz ein demokratischeres Element, als in den Dra-
men jener Schule sich kundgiebt. Wo nicht gar Lope, -— was in
den seinigen von diesem Permente wirken mag, die asturische
Ader mit in Anschlag gebracht, — dieses Senfkorn aus der valen-
cianischen Schule in sein Drama verpflanzt und zum stattlichen
Senfstrauche sich hat verzweigen lassen, woraus er Ruthen für
die Bücken so mancher seiner Sancho el Bravo's schnitt; Ruthen
freilich, wie die römischen Fasces, mit Lorbeeren für die ihren
Streichen vorbestimmte Partie seiner gekrönten Bravo's, parallel
umwickelt, theils als Huldigung, theils als Schonung der Partie,
1) El exemplo de Herodes con Mariane,
Su mujer, disculparä mis celos.
3) Juro por el cielo santo
Que es la mas nueva y odiosa (cosa).
Que lia visco el mundo.
Gift und Gegengift. 555
hauptsächlich aber um dem spanischen Parallelformationstriebe
nichts zu vergeben, welchem gemäss Lope's Königsdrama die
Plagellation mittelst der lorbeerumwickelten Senfgerte, begleitet
von majestätslmldigenden Kniebeugungen, vollzieht. Die Sprech-
weise stimmt mit diesem Charakter überein. Im Dialoge der
Valencianer scheint sie uns weit weniger vom Style des Cancio-
nero gefärbt ; sie lautet bürgerlicher, mittelständisch, von lyrischen
Blumen selten überwuchert und der reinen Lustspielsprache
der französischen Komödie verwandter. Die in Tärrega's „stand-
hafter Herzogin'' die Haupthandlung begleitende idyllische Ne-
benhandlung führt Torcato's aufs Land verbannte Gattin Lucre-
cia mit so günstigem Erfolge, dass sie den Strick, womit der
junge Landmann Ganimedes seinem Liebeskummer, ähnlich
wie Papageno, ein Ende machen will, zum Ehebande knüpft^),
ihm seine Papagena, Tirsia, zuführend.
Der brave Otavio, so Antidot er zum Torcato seyn mag,
bringt diesem doch eine Schale Gift für die standhafte Herzogin,
Flaminia, aber Lorenzo-Gift , das ähnliche Folgen hat, wie in
Komeo und Julia, doch mit glücklicher Katastrophe. Torcato
giebt der Herzogin erst den von ihrem Gemahl, dem Duque,
erhaltenen Blutbefehl zu lesen. Das standhafte Weib erkennt
darin gerade einen Beweis von Gattenliebe, und äussert nur Be-
sorgniss wegen des Herzogs Haft.^) Der unverschämte Giftmi-
scher trägt ihr die Ehe an, das Gift als Mitgift, und mit der
Zusicherung, sein Weib, die Lucrecia, aus dem Wege zu räu-
men.^) Das Alles in Otavio 's Gegenwart. Torcato — dass
man den Schandkerl noch analysiren muss! — schenkt der Du-
quesa die Galgenfrist einer kurzen Bedenkzeit im Nebengemach
— Da ist sie schon, die Nemesis, um ihn beim Schopf zu neh-
1) Los brazos de Tirsia son,
Que como esposo te aguardan.
2) Mira si me obliga en el
El duque a serle mas fiel,
Cuanto mas amor le atino . . .
La nueva de su prision
Es lo que me da^ cuidado.
3) Con dar la muerte ä mi esposa
Haremos un casamiento.
556 I^as spanische Drama.
men! ihr erster Schritt dazu wenigstens, als letzter eines zweiten
Couriers, der dem Erzverräther und Meuchelmörder des Duque
Befreiung aus der Haft, ungetrübtes Wohlseyn und baldiges Ein-
treffen meldet. Torcato ist nun fest entschlossen, die Herzogin
zu ermorden, und den einzigen Zeugen, seinen Vertrauten,
Otavio, gleich hinterher mit dem Best des von Torcato selbst
der Duquesa beigebrachten Giftes, welchen Best ein Capitan
Orfeo dem Otavio beizubringen übernimmt. Den Courier
sticht Torcato eigenhändig nieder. Die standhafte Herzogin
trinkt ihre Hälfte mit dem Heroismus, der sich von dem Komö-
dientitel erwarten lässt 0 ? und mit der dem Torcato gegebenen
Yersicherung, dass sie ihm verzeihe 2), der ja nur den Befehl des
geliebten Gatten vollzieht. Die schwache Motivirung dieses dem
grausamen Herodes in's Handwerk pfuschenden Befehls, der ganzen
Beise des Duque nach Spanien, seiner Verhaftung und Be-
freiung — die Hauptstützen der Komödie folglich — ist das
Gift, das unser Canonicus Tärrega dieser, der Komödie, bei-
bringt, das aber die Komödie nicht so standhaft wie ihre Ti-
telheldin nimmt, aus Schuld jener morschen unter ihr zusam-
menbrechenden Motivirungsstützen.
Der Schluss der zweiten Jornada versetzt uns an eine Mee-
resküste (Marina), wo, vom Seesturm dahin verschlagen, unser
Duque, Valentine, nackt und triefend dem „Einen und
Dreien" für seine Bettung inbrünstig dankt ^) , und bei den
Fischern, Ganimede und Lau so, gastfreundliche Aufnahme,
Abtrocknung und eine gute warme Fischsuppe findet, die ihm
aber die in der dritten Jornada von Ganimede, der ilm
für einen Engländer hält, empfangene Kunde über die Sachlage
in der Heimath so versalzt, dass er die Schüssel im Stiche lassen
muss, um die Fischbrühe nicht noch mehr mit seinen Thränen
zu versalzen und die Fischerhütte nicht mit dem Feuer seiner
1) Ya parece que aliviada
Me siento.
2) Y Dios te perdone, amigo,
Que Yo por mi te perdono.
3) (Säle El Duque desnudo y mojado)
Duq. Gracias te doy, Uno y Trino.
Rührende Fischbrühe. 557
rasenden Orlando- Wuth in Brand zu stecken. ^) Der rasende Ro-
land als Herodes ohne allen Grund, oder doch einen andern
Grund als seine Verrücktheit von Hause aus : sich von Frau und
Komödie böslich zu entfernen, um dem Torcato freie Hand und
der Komödie freies Spiel zu lassen! Sich nach Spanien, man
vyreiss nicht von wem und wozu, mit der Flotte berufen, sich in
Aragonien einsperren, aus der Haft befreien, vom Sturm ver-
schlagen zu lassen, eine gute warme Fischsuppe sich mit sei-
ner sich selbst eingebrockten Suppe zu versalzen, um dann die
von einem Pagen dem Capitan Orfeo, der inzwischen den
Otavio vergiftet und begraben, entworfene Schilderung von der
Duquesa Flaminia kläglichem Tode zu belauschen; um den
Torcato durch den Fischer Lau so von seiner Ankunft, durch
einen Pagen, dass er in seinem Palast bereits in der Tracht
eines armen Seemanns abgestiegen, in Kenntniss zu setzen, —
kurz, um die muth willig von ihm eingerührte Katastrophe mit
dem tragikomischen E ü h r löffel auszuessen ! Den Torcato über-
stürzt wie Hochfluth sein mörderisches Gewissen, das ihm die
Angst, die Todten könnten auferstehen, in die Ohren saus't. 2)
Duque tritt nun als solcher, in der ganzen zermalmenden Ma-
jestät seines fürstlichen Rächeramtes dem Mörder gegenüber.
Giebt man diesen spanischen Dramatikern ihre absurd-undrama-
tischen, oft unmenschlichen, culturwidrigen und unpoetischen Prä-
missen zu, so muss man fast durchgängig, auch bei den Bühnen-
dichtern zweiten Ranges, die Kunstfertigkeit bewundern, mit wel-
cher sie die Scharten ihrer Voraussetzungen und falschen Be-
gründungen auswetzen. Darin liegt ihre bewältigende Kraft,
ihre Theaterbravour. Jeder von ihnen ist ein Antäus, der, im
Ringkampfe mit dem dramatischen Kunstgesetze, als Kunstgenie,
vom Niederwurf auf die Bretter der Theaterwalt sich als neu-
gestärkter Riese erhebt, aber auch, wie jener vom Hercules, vom
1) iOh choza del conde Orlando!
Quisiera su furor ciego
Para abrasarte en el fuego
En qua me voy abrasando.
2) — si vivieran los difuntos
l Quien pudiera librarme de la muerte ?
558 I^as spanisclie Drama.
Kunstgesetze, vom dramatischen Genie, hoch in Lüften, in der
Katastrophe nämlich, erstickt wird. — So entreisst denn auch
die in Rede stehende Scene mit dem Gesichtsschlag, den sie
ihren Prämissen in's Auge giebt, glänzende Funken eines Situa-
tions-Feuerwerks. Torcato, der sich von seinem misshandelteu
Weibe, Lucrecia, verrathen glaubt, beruft sich auf des Duque
Blutbefehl i), der also nur die Strafe seines verrückten Herodes-
gelüstes an sich selber vollzieht, was doch eigentlich die rechte
Höhe der dramatischen Katastrophe ist. Allein weil eben das
Gelüste von vornherein verrückt, aus der Luft gegriffen ist, er-
fährt die Katastrophenscene des Antäus Geschick: sie wird in
der Luft erstickt. „Im Zweifel schwebe ich" -), ganz wie Antäus
dem Hercules' breite Brust hoch in der Luft den Lebensodem
ausgepresst, guter Duque! Dein spanisches 'suspenso estoy',
das du aparte mit ausgehendem Athem ächzest, drückt das noch
bezeichnender aus. Andererseits Torcato's Verbrecherangst an
der Wippfolter seines schaudernden Thatbewusstseyns, auf des
Duque Frage, wo ist Dein Genosse Otavio? Wo ist Dein Bruder
Abel?^) und doch ist dies keine GewissensaDgst der poetischen
Nemesis, der tragisch-gesetzlichen, poetisch-sittlichen Vergeltung,
kein Shakspeare'scher Abel-Blutschrei aus des Mörders Busen.
Torcato's innere Folter ist die Angst, Otavio könnte noch aufle-
ben und wider ihn zeugen — blosse materielle Gewissenschauer des
gemeinen, feigen Verbrechers. Darin liegt die abgrundtiefe Kluft,
die Shakspeare's seelenerschütternden, geisterhaft durchgrausenden,
wie mit Gottesstimme und Gottesruf nach Abel, aus des Sünders
Busen herausächzenden Gewissensschrei von dem 'turbado estoy'
aller Torcato's der spanischen Katastrophen trennt; hierin die
Kluft mit einem Wort, die sich zwischen Shakspeare's tragische
Katharsis und die tragikomische, grobfleischliche der Spanier,
und die frechatheistisch -cynische, gottverlassene, gottverödete
von den tendenziösen „Aphorismen über das Drama" docirte
Katharsis unverknüpfbar hinspannt — eine Katharsis-Lehre, eine
1)
Matäla por tu mal dado,
Con el orden que me diste.
2)
Suspenso estoy.
3)
Tore. (Ap.) Turbado estoy.
Herodes-Duque's Ehren-Eabulistik. 559
Theorie der tragischen Reinigung . der Affecte, die, wie sich
weiter noch zeigen wird, auf deren schlimmste Verunreinigung
und Besudelung, auf die Cloakificirung, auf die Vergiftung der
dramatischen Kunst, hinausläuft. Die Philosophie des Nihilismus,
sie hat keinen furchtbareren Eacheengel als die Kunst, voraus
die poetische Kunst. Diese vor Allem deckt den philosophi-
schen Nihilismus in seiner scheusslichsten öestalt auf: als
den Eunuchen-Lucifer, der, im unbewussten Bewusstseyn
seiner ewigen Verdammniss zur Impotenz und unschöpferischen
Entmanntheit , in seines Nichts durchbohrendem Gefühle sich
mit dem teuflischen Kitzel schadlos hält: Gott und die Welt zu
castriren.
Otavio, dessen Auferstehung noch hingehalten wird, soll
vor Duque erscheinen. Torcato wird als Gefangener vorge-
führt, und Duque sophistisirt sich, auf gut spaaisch-katastro-
phisch in das Ehrenmotiv hinein, das ihm gebiete, den Tor-
cato zu schonen, damit seine Gemahlin, die standhafte Duquesa,
infolge seines Blutbefehls, nicht aber von Torcato's Liebes-
brunst befleckt, ermordet worden. ^) Verhärtung und Verstockung
in seiner Schuld', pour sauver l'apparence, um seine Scheinehre
endgültig zu Ehren zu bringen, ist des Duque dramatische See-
lenläuterung, ist die tragisch-komische Reinigung seiner nicht
tragisch-, sondern rein lächerlichen Versündigung an der drama-
tischen Causalitätsvernunft und am gesunden Menschenverstand.
Nescio an Anticyram non illis destinet omnem! Ein nicht min-
1) He de procurar valerte (den Torcato)
No por excusar tu muerte,
Sino ä cuenta de mi houor,
Estimando por favor
Lo que es rigor de mi suerte;
Que bien lo serä, si entiendo,
Que libre de toda culpa
Pago mi esposa, muriendo,
La pena que te disculpa . . .
argumentirt Duque orthodox nach dem Unfehlbarkeitsdogma der spani-
schen Ehre, als dessen die Seelen bindenden, die dramatische Vernunft
gefangennehmenden Concilsbeschliiss jede dieser Komödien betrachtet
werden kann.
560 Das spanische Drama.
der von der dramatischen Poetik und Kunsttechnik verpönter,
von der spanischen aber sanctionirter Kunstgriff ist das urplötz-
lich in die Schlusskatastrophe hineingeschneite Incidenz: dass der
Herzog noch seinen alten, gliederlahmen Oheim, Marcelo, in
einer Sänfte herbeitragen lässt, dem er sein Geschick erzählt
und, dem beregten Monolog in's Angesicht, den Auftrag ertheilt,
den Torcato auf dem öffentlichen Marktplatz enthaupten zu
lassen. Er, Duque, gehe währenddessen auf die Jagd, um den
Selbstmord zu pürschen. i) Da ereignet sich ein spanisches Ka-r
tastrophenwunder. In dem Augenblick, wo der herzogliche Jäger
seiner selbst zu dem Behuf auf dem Anstand an Otavio's Grab-
mahl lehnt, streckt dieser, vom Scheintode erwacht, den Arm
aus dem Grabmal hervor, um dem Duque in seinen dolchbe-
waffneten Arm zu fallen, und des Duque, Duquesa, und seine
eigene, und hiermit auch die unangetastete Ehre des verrückten
Blutbefehls zu retten. 2) Der Hauptentlastungszeuge, Otavio,
steht nun vor ihm in fleischerner Gestalt, als Ketter sämmtli-
cher obgedachter Ehren, dank seiner iluferstehung des Fleisches
und seiner zum blossen Scheintodtranke verdünnten Hälfte des
Gifttrankes, während zu gleicher Zeit die standhafte Duquesa
Flamini a auch ihre Hälfte ausgeschlafen, um in der definitiv
letzten Scene an der Hand ihres Herodes, im Geleit ihres im
Scheintode ehehälftlichen Grabesgenossen, Otavio und des ganzen
idyllischen Fischerpersonales der Tragi-Comedia von der Du-
quesa constante — um das komische Ende, das, auch bezüg-
lich des Fischerpersonals, desinit in piscem, anzufügen.
1) Duque. Me quiero salir ä caza . . .
Marcelo. ^Solo quereis ir?
Duque. Bien hago
Pues ä la muerte Camino.
2) Noch im entscheidenden Moment, im Monolog, den vor dem be-
schlossenen Selbstmord der an's Grabmal gelehnte Duque hält, wandelt
ihn nicht der leiseste Scrupel, nicht ein Hauch vom Bewusstseyn seines
verdammlichen Herodes-Befehles an. Der Selbstpürscher jagt sich viel-
mehr zum Vorstehhund seiner selbst, der die „Undankbare", sein Weib,
als gehetztes Wild, aus dem Busche schnoppert:
Valentino, cuyo honor
Padecio tal atrevimiento
De una ingrata y de un traidor ...
Doctor Juan Perez de Montalvan. 5g j^
^ Doctor Juan Perez de Montalvan. ^)
No hai vida como la honra^)
(Kein Leben wie die Ehre).
Duellehre natürlich! und nebenbei die in der Gattin ge-
kränkte und wieder nur durch Zweikampf und Tödtung des Be-
1) Uns schon als erster Biograph von Lope de Vega rühmlich
bekannt. Geboren zu Madrid 1602, Sohn des Alonso Perez de Montalvan,
Privatbibliothekar des Königs. Studirte zu Alcalä, gradnirte als Doctor
der Theologie, wurde im Alter von 23 Jahren Priester, und bekleidete
das Amt eines apostolischen Notars der Inquisition. In so vieler Eück-
sicht eine Miniatur seines grossen Vorbildes und Lehrers, Lope de Vega,
kam ihm Montalvan auch darin nach, dass er schon mit 13 Jahren in
Prosa und Versen zu Schriftstellern begann. Solche Frühproducte sind:
Las novelas ejemplares (Madrid 1624), 'Vida y purgatorio de
san Patricio' (Leben und Fegefeier des h. Patricius) (Madrid 1627). Die
Fama postuma erschien 1636. Er schrieb an 60 Comedias und Autos,
wovon der I. und IL Band erst nach seinem Tode (1639) erschienen, ver-
schiedene andere nicht im Druck erschienene Werke ungerechnet. Mon-
talvan starb an einer Hirnkrankheit infolge übermässiger Geistesarbeiten
1638, 36 Jahr alt.
1619 fing Montalvan an, für die Bühne zu schreiben, 1624 erschien
sein Poem *E1 Orfeo en lengua castellana', der berühmten portu-
giesischen Dichterin Dona Bernarda Perreira dela Gerda gewid-
met. Nicol. Antonio behauptet ohne allen Grund, Lope de Vega habe
dieses Poem dem Montalvan zum Geschenk gemacht. Die erwähnten Nov.
ejempl. gab Montalv. 1624 unter dem Titel heraus: 'Sucesosyprodigios
de amor' (Erfolge und Wunderwürdigkeiten der Liebe), die acht Auflagen
erfuhren. Zu seinen berühmtesten Schriften gehört 'Para todos' (1632)
(für Alle), ein Mischmasch von Abhandlungen über wissenschaftHche, mo-
ralische, göttliche und menschliche Gegenstände, worin vier Comedias und
zwei Autos sacram. eingeschaltet*), nach den 7 Tagen der Woche ver-
theilt, ein Heptaemeron. Die Schrift erlangte sechs Auflagen in zwei Jah-
2) ,,Er schrieb dasselbe, nachdem eines seiner Stücke ausgepfiffen
worden war, zu seiner Ehrenrettung, und hatte einen so glücklichen Er-
folg damit, dass es viele Tage hintereinander auf beiden Theatern mit
gleichem Beifall aufgeführt wurde." v. Schack a. a. 0. 551.
*) Para todos. Exemplos morales, humanos y divinos, en que se
tratan diversas ciencias, materias y facultades repartidas en los siete dias
de la semana. Madrid 1632. Einige Notizen daraus bei H. v. Schack a. a.
0. 542.
X. 36
562 -^^s spanische Drama.
leidigers hergestellte Gatteuehre und befriedigter , Männerstolz.
Wegen Duells sitzt der blutarme, aber durch Ahnen- und Duell-
blut reiche Don Carlos Osorio^ im Gefängniss und in Ket-
ten. Das Duell ist aber nur ein vorläufiges, das Carlos als Be-
günstigter von Dona Leonor, die er, nach spanisch ständiger
Komödienweise, bei einer verunglückten Spazierfahrt aus dem
ren, im Ganzen zwölf, und rief die heftigste literarische Fehde hervor,
mit einem Kreuzfeuer von Satiren und Apologieen. Den Kampf eröffneten
Francisco de Quevedo mit seiner buntscheckigen, leidenschaftlichen
Diatribe: Perinola, die ihrerseits wieder eine endlose Eeihe virulenter
Gegenbeschuldigungen zurfolge hatte. Die literarischen Skandale, die
Goethe, SchiUer, Heine oder etwa die Coterie Swift-Pope ihrer Zeit er-
regten, kommen dagegen kaum in Betracht, Den zweiten Theil von Mon-
talvan's *Para todos' erstickte sein Tod in der Wiege. Die im Para todos
enthaltenen Theaterstücke sind; El segundo Seneca de Espana,
(Philipp II.) y Principe don Carlos.*) 'No hay vida como la honra'
(wovon wir eine Skizze geben). 'De un Castigo dos Venganzas'
(Zwei Rachethaten für eifie Bestrafung). Das Auto sacram. el Poli-
femo**) mit der Jahreszahl 1628. La mas constante (Das standhafte
Weib).
Von seinen in zwei Theil en (Valencia 1652) erschienenen Dramen
begnügen wir uns zu erwähnen: Tome primero Alcalä 1638. Los
templarios (Die Templer). Amor, privanza y castigo, y fortunas
de Seyano (Liebe, Gunst und Strafe, und Glückswechsel des Sejanus).
Tragedia. El Senor don Juan de Austria. Los amantes de
Teruel.***) Tomo segundo. Madrid 1638. (Fajardo). Don Florizel
de Niquea. Segunda parte del Seneca de Espaila. Despreciar
lo que se quiere (oder Despreciarse por quererse Sich verschmä-
hen, um sich zu lieben. Motiv von Moreto's Desden con el Desden). Die
weiteren Dutzende von Montalvan's Comedias sueltas — von solchen, die
in den verschiedenen Sammlungen zu finden, von den handschriftlichen in
den spanischen Bibliothehen , nämlich in der berühmten des Duque de
Osuna — dieser verwunschenen, im Zauberschlaf des Handschriftenthums
begrabenen, ihrer Erlösung entgegenharrenden Prinzessin — bleiben für
uns ägyptische, in Mumiensärgen aufbewahrte Papyrusrollen.
1) Naci hidalgo como el Rey
Mas tan pobre, que mi corro.
*) Das motiwerwandte Drama von Diego Ximenes de Enciso behalten
wir uns zur Besprechung vor. — **) Allegorisch mystischer Polifemo, der
den Teufel vorstellt, ülysse Jesus Christus, Galatea die menschliche
Seele u. s. w. — ***) Inhaltsauszug bei v. Schack a. a. 0.
Montalvan's Com. No hay vida etc. 563
Wasser gerettet, gegen einen in die Komödie nicht weiter ein-
greifenden und von ihr wie von Dona Leone r unbeachtet ge-
bliebenen Nebenbuhler bestanden hatte. Das eigentliche Duell
der Verwickelung und Entwickelung ficht Carlos aus, als Ehren-
retter seiner mit ihm heimlich vermählten, von ihm aus dem
Wasser gezogenen Gemahlin, Dona Leone r, mit dem Conde
Astolfo, des Virey (Vicekönigs) nahen Anverwandten, den er
im Zweikampf tödtet, als Geächteter fern von seiner Gattin um-
herschweift, und schliesslich, behufs Erwerbung des auf seinen
Kopf gesetzten Preises, sich selbst der Blutrache und dem Ge-
richte des Virey stellt, um mit dem eigenen Blutgeld seine
durch den Tod ihres Vaters in bittere Noth und Armuth ge-
stürzte Gattin Leonor aus ihrer Bedrängniss zu reissen. Ge-
rührt von solcher ehetreuen Eitterlichkeit und mannhaften Ehren-
rache, verzeiht der Virey nicht nur dem Mörder seines Neffen —
der grossmüthige Verzeiher schenkt auch noch dem tapferherzigen
Ehe- und Ehrenritter den doppelten Betrag des Kopfpreises in die
Ehe. ^) Nach gewohnter Art schlingt sich durch die Haupthandlung,
oder läuft vielmehr als Sahlband und Saumverzierung eine Parallel-
liebesbrautschaft um das Komödiengewebe her, in dem Liebes-
paare Don Fernando Centellas und Dona Estela, Dona
Leonor's Cousine, die den mit seiner Base Leonor versproche-
nen Don Fernando Centellas aus Zaragoza in ihr Netz ein-
fängt. Fernando's Bekanntschaft macht Don CarlosMmGe-
fängniss, wohin der mit Leonor, dem Don Carlos unwissentlich,
verlobte Vetter aus Zaragoza mit seinem Diener Teodor ge-
bracht worden, auch er, selbstverständlich, wegen eines gleich
nach seinem Eintreffen in Valencia mit einem Unbekannten auf
der Strasse ausgefochtenen Duellhandels, welchen Unbekannten
Don Fernando mit Koth bespritzte, welchen Koth besagter
Unbekannte nur mit dem Blut des Bespritzers abzuwaschen sich
1) Virey, No he visto resolucion
Tan honrada y tan briosa . . ,
Que como Carlos lo dice,
No hay vida como la honra
Digo que ä Carlos perdono . . .
Lo prometido le doblo.
36 =♦
564 ^^^ spanische Drama.
in seinem Gewissen verpflichtet glaubte i), welchen Spritzfieck der
Unbekannte aber durch sein eigenes Blut nur vergrösserte, wofür
Fernando ä son debotte in's Geföngniss wanderte, in welchem
Gefängniss er den parallelen Leidensgenossen, Don Carlos, mit
dessen parallelem Diener, Tristan, vorfand, welcher Don Car-
los, beim Kartenspiel, dem unbekannten Leidensgenossen wegen
Duells mit einem Unbekannten, sein, gelegentlich von Casandra's,
(Maskirname für Leonor) Kettung durch ihn vom Ertrinken in
ihrer von scheuen Pferden in den Fluss geworfenen Kutsche,
bestandenes Duellabenteuer in ein^r 2V2 Folio-Columnen langen
Schilderung erzählt, auf die Gefahr, mit d^m dritten Unbekann-
ten, dem ihm unbekannterweise mit Leonor von ihrem Vater zu-
gesagten Don Fernando aus Zaragoza ein Eivalenduell zu be-
kommen, das nur, dank Estela's den Saragosser haschendem
Schmetterlingsnetzbeutel, vermieden wird. Erfährt nun noch der
Leser den Charakter des vom Conde Astolfo, Neffen des
Virey, der Leonor dadurch zugefügten Schimpfes, dass er sich
nächtlicherweise; infolge einer Verwechslung im Finstern mit
Don Carlos, in Leonofs Schlafgemach eingeschlichen, wo
Don Carlos den Vermummten, von seiner heimlichen Gattin
Leonor für Carlos gehaltenen, und nahezu mit allen Accidenzen
und Dependenzen als ihren geheimen Gatten behandelten Conde
Astolfo betrifft, entlarvt und im Zweikampf tödtet — hat der
Leser auch diesen in der spanischen Komödie heimischen Um-
stand erfahren: so versehen wir uns zu seiner Nachsicht des
freundlichsten Erlasses einer Analyse , um so gewisser, als der
Losspruch auch ihm, dem geneigten Leser, eine ausnahmsweise
Euhepause vom rastlosen Wälzen des Sisyphus-Steines der Ana-
lysen vergönnt. Kein Leben wie ein bischen Ausruhe vom Stein-
wälzen über den Berg Montalvan!
1) Sobre salpicar ä un hombre.
Mira de Mescua. 565
Mira de Mescua.^)
Galan, valiente y discreto.
Um den Titel dreht sich die Komödie so lange, bis derselbe
in dem spanischen Caballero, Don Fadrique, zu Fleisch und
1) Die biographischen Notizen über den Doctor Don Antonio Mira
de Mescua oder Arnes cua sind äusserst sparsam.*) Das Licht der
Welt erblickte er um 1570 zu Guadix (Cadix), wo die mythische Geogra-
phie der Griechen die Sonne als geschmolzene Erzkugel im Ocean unter-
tauchen lässt mit zischendem Geräusch. In Neapel gehörte er zu dem
Hofdichterkreise**), welcher sich um den berühmten Conde de Lemas
(Don Pedro Fernandez de Castro) bewegte — zumeist durch seine dem
Cervantes gewidmete Gönnerschaft berühmt — zur Zeit, da Conde de
Lemas als spanischer Vicekönig zu Neapel residirte (1610). Nach Spanien
zurückgekehrt, wurde unser Doctor Mira de Mescua zum Caplan des katho-
lischen Königspaars, und späterhin von König Philipp IV. zu seinem
Ehren-Caplan (capellan de honor) in Madrid ernannt, wo er 1635, dem
Todesjahr von Lope de Vega, starb. ***) Mehr als diese Leichenstein-Bio-
graphie haben seine Lobpreiser, Cervantes f), Montalvan und Nicolas
Antonio tt) nicht verzeichnet. Auch Don Petro Suarez in seiner 'Historia
de Guadix y de Baza' ttt) hat keinen weitern Lebenszug zu Mescua's bio-
graphischem Porträt geliefert.*!) Ein desto vollständigeres geistiges
Ebenbild hat er selbst in seinen Dichtungen hinterlassen, die ihn als ei-
nen der vorzüglichsten Lyriker Spaniens und unter den zeitgenössischen
Schülern und Nacheiferern Lope des Vega's als einen durch Geschmack
und Feinheit des Geistes ausgezeichneten Bühnendichter zu erkennen ge-
ben. Mescua's in Einem Bande erschienene Schauspiele sind folgende:
La hija de Carlos V. (Die Tochter Carls V.). Vida y muerte de San
Lazaro (Leben und Tod des h. Lazarus). El rico avariento (Der reiche
*) vgl. Dramat. Contemp. de Lope de Vega etc. par Don Ramon
de Mesonero Romanos t. IL (Bibl. de Aut. Esp, L. 45). Apuntes biogr.
p. VII f. — **) Darunter die beiden Argensolas, Anton, de Larcedo y
Coronel, der Entremeses-Dichter Barionuevo u. A. m. — ***) Suarez
lässt ihn 1640 in Cadix sterben. — f) Viage del Parn. und Prologo zus einen
Comedias: ,,la gravedad del doctor Mira de Mescua honra singolar de
nuestra nacion". Lope erwähnt seiner mit grossen Lobsprüchen im Fest-
spiel des San Isidoro (Bd. X. S. 607 f.) ,,sus comedias ingeniosas ven-
cen arte a Terencio". In der *E1 J ardin de Lope' überschriebenen
Epistola äRioja; in Silva 2 des ^Laurel de Apolon'. — ft) B. nov. 1. An-
tonio Nicol. stellt ihn dem Lope de Vega an die Seite. — fft) P- 323. —
*t) Leirado spinnt die wenigen Data nur paraphrastisch aus (Mira de
Mescua).
566 Das spanische Drama.
Bein wird, welcher allein von seinen drei Mitwerbern um die
Hand der Duquesa de Mantua, die Duques de Ferrara,
Geizhals). Lo que puede una sospecha (Was ein Argwohn vermag).
El esclavo del demonio (Des Teufels Sklave). El Conde Alarcos
(Graf Alarcos). El hombre de mayor fama (Der hochberühmte Mann).
El negro del mejor amo (Der Negersklave des besten Herrn), Las
Lises de Francia (Die Lilien Frankreichs). Los Carboneros de
Francia (Die Köhler von Frankreich). Desgracias del rey don Al-
fonsoelCasto (Missgeschicke des Königs Alfonso d. Keuschen). Obligar
contra su Sangre (Verpflichten gegen sein eigenes Blut). Aus Mescua's
zerstreuten Theaterstücken wählte DonRamon de Mesonero Romanos
für die Bibl. de Aut. Esp. fünf der besten aus: La Eueda de la Fortuna
(Das Rad der Fortuna), Vorbild von Calderon's *En esta vida todo es
verdad y todo es mentira (In diesem Leben ist Alles Wahrheit und
Alles Lüge), den wieder der grosse Corneille in seinem Heraclius copirte,
welcher Heraclius indessen eine noch grössere Verwandtschaft mit Mescua's
^Glücksrad' darweist, so dass der grosse Corneille wohl auch einen
grossen Griff in Mescua's Glückstopf der Fortuna gethan haben k5nnte.
Mescua's zweite von Mesonero Romanos gewählte Comedia ist: Galan
valiente y discreto, von Alarcon in seinem *Examen de los Maridos'
(Prüfung der Ehemänner oder Männerprobe) nachgeahmt. Unser Heraus-
geber erklärt diese Komödie des Mescua für eine der schönsten des alten
spanischen Theaters (vom 16. und 17. Jahrb.). *) Unser Leser mag nun
selbst prüfen, ob er diesem Urtheil beipflichten kann. Noch andere von
Mescua's Stücken haben Nachahmungs-Liebhaber in den hervorragendsten
spanischen Bühnendichtern, ausser den genannten, an Cancer undMatas
Fragoso, gefunden, in der von ihnen mit Moreto gemeinschaftlich ver-
fassten hochberühmten Comedia: *Caerpara levantar' (Fallen um sich
zu erheben), welche nur eine getreue Umarbeitung von Mescua's Stück: 'El
esclavo del demonio (Der Sklave des Teufels) ist. Guillen de
Castro, der als Komödien-Marder ab und zu Lope's Taubenschlag und
Hühnerhof beschlich, verschmähte es nicht, auch zuweilen bei Mira de
Mescua zu marodiren; ingleichen der grosse Tirso de Molina, Stollen von
seinem Bergwerk aus in das unseres Doctors zu legen. Mescua's treffliche
Comedia: *La Fenix de Salamanca', die wir, gestattet es die Göttin
Gelegenheit, zu Markte zu bringen gedenken, — auch Mescua's Fenix hat
der grosse Kunstmeister der spanischen Schaubühne, Calderon, in ver-
schiedenen seiner aus aromatischen Reisern und Hölzern erbauten und mit
Auto - da -fe- Flammen zu Phönix- Wiegengräbern entzündeten Comedia-
Nestern, — als da sind: *La Dama duende (Dame Kobold), 'El Magico
*) La de Galan valiente y discreto es, ä mi juicio, una de
bellas comedias del antiguo teatro. p. X,
Mira de Mescua's Com. Galan, val. y discr. 5&7
Parma und ürbino, in den Augen der ehescheuen ^) Duquesa,
die den Komödientitel bildenden und Herzl und Haüd der Du-
quesa erobernden drei Eigenschaften in sich vereinigt.
Um die vier Freier auf den Komödientitel zu prüfen, ein
prodigioso' (Der Wundertliätige Zauberer), 'El Escondido y la Ta-
pada' (Der Verborgene und die Verschleierte) — als seinen Sonnenvogel
verbrennen und in neugeborner Pracht auffliegen lassen. Kurz, so man-
ches über die spanischen Bretter rollende, mit den Brustbildern der
grössten Dramatiker gestempelte Goldstück ward aus unseres Doctors und
Ehrencaplans Barren geprägt — dem jus talionis freilich gemäss, als Ent-
gelt für das geprägte Gold und Silber, das Mescua aus dem Schatzhause
des Croesus der Komödienerfindung, des Lope de Vega, ausgeführt. Das
ist nun einmal das altherkömmlich von der licentia poetica und dem
Quidlibet cudendi semper fuit aequa potestas ertheilte Dichter-Privilegium.
Als episch -lyrischer Dichter zeichnete sich Mira de Mescua vor-
zugsweise durch sein Poem Acteon und Diana von 58 Octaven aus.**)
Viele von Mescua's Theaterstücken finden sich zerstreut in verschiedenen
Sammlungen von spanischen Dramen, und anderen Dramatikern zuge-
schrieben. Wie z.B. Mescua's Drama: *La Judia de Toledo' (Die Jü-
din von Toledo), auch 'La desgraciada Eaquel*) (Die in Ungnade
gefallene Eachel, Geliebte Alfonso's V.). 'El animal Profeta', *Las
desgracias del ßey Don Alonso el Casto', *E1 Ejemplo major
de la desdicha, y Capitan Belisario'.***)
Unter Mescua's Autos sacramentales und el nacimiento de Cristo
(Weihnachtsspiele) sind hervorzuheben: 'La mayor soberbia humana
de Nabucodonosor', 'Las pruebas de Cristo' etc. (in der Samm-
lung: Aul sacramentales etc. Madrid 1675.) Comedias in der Madrider
Sammlung u. A.: 'Lo que puede una sospecha' (Was ein Argwohn
vermag). 'El negro del mejor amo' (Inhaltsangabe bei v. Schack IL
S. 460). *No hay burlas con las mugeres, 6 casarsa y vengarse'
(Mit den Frauen ist nicht gut spassen, oder heirathen und sich rächen).
'El esclavo del demonio*. (Das Argument bei Schack a. a. 0.)
1) El no inclinarme a casar,
Y haberlo de hacer per fuerza.
*) Bei Bohl de Faber im dritten Theil s^einer Floresta. — **) Das
Manuscript hatte Ticknor in Händen. Abgedruckt in: Com«diäs nuevas
de los mas celebres autores. Amsterd. 1726, dem Diamante zuge-
schrieben. — ***) Dem Lope de Vega sämmtlich beigelegt: Fünfter
Theil der Comed. de Lope de Vega. Sevilla, der 'Capitan Bei isario',
auch abgedruckt im sechsten Theil der Comedias escogid. de los mejores
ingeniös de Espana. (Zargoza 1653 u. 54).
568 I^as spanische Drama.
Examen rigorosum mit ihnen anzustellen i) , braucht die D u-
quesa zwei Kunstgriffe: Sie veranstaltet erstens ein Blumen-
spiel, wobei jene Eigenschaften gleichsam im Transparent zum
Vorschein kommen sollen 2), und tauscht, zweitens, in der Ab-
sicht, ihre Mitbewerber, während sie selbst unerkannt bleibt,
besser beobachten zu können, Person und Stand mit ihrer Vertrauten,
Porcia^), dergleichen Selbstvertauschungen wir schon in ver-
schiedenen Komödien von Königen und ihren Vertrauten vornehmen
und durchführen sahen. DonPadrique trägt den abzuschiessen-
den Vogel vorweg, durch seines Dieners Flor es Verdienst, in
der Tasche, welcher, als Narr (Loco) und als „Galan Gra-
cioso" von der Du quesa in Dienst und, Brod genommen
wird, und so in die bequeme Lage kommt, unter dem Namen
Eoque, das geheime Spiel der Du quesa seinem Gebieter D 0 n
Fadrique zu verrathen^), und ihn wider alles Spielrecht —
auch Komödienrecht — gegen seine Mitbewerber um Titel und
Duquesa, die drei Duques, in Vortheil zu setzen. Das Blumen-
festspiel leitet die Komödie als Blumenfee durch Scenen ein,
die in dem Blumenballet 'Thea' mitspielen und mitspringen könn-
ten. Der Duquesa verzückungsvolle blumenberauschte Verherr-
lichung ihres Gartens, worauf dann die vier Prätendenten in dem
1) Duquesa. Hacer imagino ya
ün examen rigoroso
De todos mis pretendieutes.
2) Duquesa. El que inclinarme quisiere
Sea soio el que tuviere
Gala ingenio y Cortesia . . .
Tambien le quiero valiente.
3) Que eres, Porcia, la Duquesa,
Y que yo la Porcia soy.
4) Flor es. Fingime loco, y mandöme
Que en su casa y corte asista;
Y asi de sus esperanzas
Tengo de ser uua spia . . .
Fadrique. Si me industrias, si me avisas
De lo que pasa in palacio,
La duquesa ha de ser mia.
Heisst das nicht mit gefälschten Würfeln spielen? und den Titel, seinen
Anspruchstitel auf die Hand der Duquesa, von vornherein compro-
mittiren ?
Irrgarten-Spiele. 569
von der Duquesa, von ihrem Blumenlyrismus , und von den
wirklichen Kindern der Flora düftegeschwängerten Irrgarten um-
hertaumeln, ihre floralischen Parenthyrsen als Huldigungsweih-
rauch mit vollen Backen von sich blasend; Duque ürbino mit
scimeeigem Jasmin, Parma mit der Liebesgöttin grünem Guirlan-
denreise, der Myrthe, Per rar a mit dem blüthendurch würzten
Springbrunnen, als Eau de mille fleurs, opfernd, und DonPadri-
que, der, als Triastitelfactotum, die drei, aus Blumenanbetern zu
Sonnenanbetern, zu Heliotropen oder Helianthen sich berauschenden
Duques und ihren Huldigungstaumel einschlürft und in den wohlrie-
chenden Wasserstrahlen von sich sprüht. ^) Der Inbegriff aller Blu-
men, der Gartengott und Blumennamensheilige in Einer Narrenfigur,
derLoco und Galan Plores, verspottet die sämmtlichen vier Preier,
die ihm wie höfische Pflöcke und Klötze vorkommen 2), vier mit
Blumen umwundene trunci ficulni, von denen drei seine, des Narren
Plores, Blumennarren sind. Wozu sie das nun eröffnete Blumen-
festspiel vollends stempelt, wo der Spanier Don Padrique, Vet-
ter des Königs Alfonso, und anwartschaftlicher Komödientitelan-
sprecher, sonst aber mittellos und arm wie eine Kirchenmaus,
die erste der Drei Titelblumen zum Hochzeitsstrausse, das Blüm-
chen „Prauenhold", „Galan", pflückt, dank dem Galan Gra-
cioso, Plores, der ihm das Blumenspiel-Geheimniss durch die
Blume zu riechen giebt, und dank den duftenden Anspielungs-
huldigungen, die, im Cancionero-Blumenstyl , Don Padrique,
der in der Blumenmaske Por cia verwandelten Duquesa Sera-
fina delirirend- verzückt und seelenverhauchend-narcissisch vor-
blümelt. ^) Hiermit hat die erste der drei Jornaden die erste der
Eigenschaften in Don Padrique's Titelanspruch hinter sich.
Don Padrique wird in der zweiten Jornada mehr und
mehr zu einem im Liebesirrgarten umhertaumelnden Caballero,
worin die zwei Ariadnes, Duquesa und Porcia, ihn an einem aus
1) Sombras seis de serafina
Cristales, murtas y rosas.
2) Flor es. Majaderos cortesanos
Los cuatro me pareceis.
3) Quien mis dehrios acuerde . . .
Porque solo estä en razon
Quien por vos el seso pierde.
570 -Das spanische Drama.
Blumenfaden gesponnenen Faden hin und her gängeln, anstatt
ihn aus dem Labyrinth zu leiten. Duquesa fühlt Liebesneigung
für Don Fadrique in ihrem ehescheuen Busen keimen, will sie
aber vorläufig noch unterdrücken, i) Porcia, die verstellte Du-
quesa, befindet sich in dem irrlichtelirenden Fall: sie will ihre
Liebe für den Spanier unterdrücken, weil er sie, als Schein-
Duquesa, verschmäht, und zugleich ihn lieben, weil er doch in
der Duquesa eine Schein-Porcia, nominell also, wenigstens liebt, ^j
Eine proven9alische Blumenspiel-Komödie von spitzfindiger Lie-
bes-Casuistik, die freilich das Grundmuster des spanischen Dra-
ma's überhaupt bildet. Die Casuistik zeigt sich in dem Contro-
versfall, der daraus entsteht, dass P^orcia ein Papier fallen lässt,
das Fadrique aufzuheben verschmäht, der aber gleich darauf
den von der Duquesa, behufs Galanterieliebesprobe, fallen ge-
lassenen Handschuh aufhebt, die Duquesa aber anzunehmen
weigert. Don Fadrique zupft nun in einer Soloscene an den
Pingerspitzen des Handschuhs, als wär's eine Sternblume, die
ganze Controverse des Fragespiels kurz und klein: „liebt sie,
liebt sie nicht?" Ob nämlich das Nichtannehmen des aufgeho-
benen Handschuhs vonseiten der Duquesa ein Zeichen ihrer Lie-
besgunst oder Ungunst sey. Die Wagschaalen der Argumente
schwanken in paralleler Schwebe ^) , wie die beiden Lappen des
spanischen Gehirns überhaupt. Das Argument der zweiten
Jornada aber, die Probe auf das 'Discreto', kündigt Fl eres
dem Don Fadrique an % mit den betreffenden Anweisungen zum
unfehlbaren Bestehen der Probe. Von den drei Mitfreiern, den
Duques, nimmt Fl eres gewissenhaft die Geschenke an für die
Gegengefölligkeit, jeden von ihm eine Antwort von der Duquesa
auf sein Liebesbriefchen zu bringen, ohne sich ein Gewissen aus
1) Mas soy tan duefia de mi,
Que he de vencerme y no amar.
2) obligada estoy
Si ama a Porcia y Porcia son.
3) Ambos argumentos son,
Que estän en balanza igual.
4) Esta noche hay otro examen:
Saber quiere serafina
Quien es mas cuerdo y discreto.
Probe-Frag&piel. 571
der pünktlichen Bestellung und Gegenleistung zu machen. Mit
Leib und Seele seinem spanischen Landsmann und Gebieter er-
geben, überlässt er diesem sogar die von den Duques erhaltenen
Geschenke, damit DonFadrique, als ebenbürtiger Mitbewerber
,am Braut- und Spielpreise, mit Equipage und Livreebedienten
erscheinen kann. Vor dem zweiten Probespiel controverseln
und tenzoniren die ineinander verlarvten Liebespreis-Damen eine
Scene lang über das Thema ihrer gegenseitigen erkünstelten
Scheinconflicte , wobei die Komödie und das Dramatisch-Komi-
sche, wie das Streitobject bei rabulistischen Processen, in die
Rappuse geht. Vor Beginn der Discreto-Probe überreicht Flores
die drei Liebesbillets der Schein-Duquesa, Porcia, wovon sie die
zwei an die Schein-Porcia gerichteten billets doux zerreisst, mit der
Aufforderung an die Schein-Duquesa, das dritte gleichfalls zu
vernichten. Die Schein-Porcia fühlt aber ein weibliches Erbar-
men mit den Papierchen oder Hühnchen, und fügt sogar
den vier Liebesver sehen noch zwei hinzu, und lässt die zum
Sechsvers vermehrte Strophe von den 'Musicos' singen. Das hin-
zugefügte Verspaar fasst die Liebesklage des Huldigers in eine
Anweisung auf Liebesewigkeit zusammen, welche auf die calendas
graecas, auf den Mathaei am Letzten und die aschgraue Unend-
lichkeit hinausläuft:
Weinen, seufzen, lieben, sterben,
Kann nur Leben, Gunst erwerben, i)
Nun legt Porcia, als Schein-Duquesa, zwei Spielfragen vor. Die
erste lautet:
Welche Eigenschaft eine Frau zumeist ziere?
ürbino: edle Geburt.
Ferrara: Schönheit.
Fadrique: Sittsamkeit.
Zweite Frage:
Um welcher Eigenschaft willen würde eine vernünftige Frau
1) Arno sin ser entendido,
Gimo sin ser escuchado
Lloro sin ser consolado,
Muero sin ser conocido,
Arne, gima, Uore y müera
Quien vida y favor e&pera.
572 I^as spanische Drama.
einen Mann zumeist lieben und wählen: den Galantesten, Tapfer-
sten oder Klügsten?
ürbino erklärt sich für den Tapfersten.
Perrara für den Galantesten.
Padrique für den Verständigsten.
Hiermit hat Don Padrique auch den Vogel der zweiten Jor-
nada abgeschossen. Denn der Verständige vereinigt die beiden
andern Eigenschaften: Er wird zur rechten Zeit galant und zu
rechter Zeit tapfer zu seyn verstehen, i)
Das nachträglich noch von Flore s gefädelte Blumen- und
Schärpen-Laufspiel, derart von ihm gedreht und abgewickelt, dass
Porcia des Padrique Schärpe erhält, die sie, die Schein-
Duquesa, der Schein-Porcia aus Eifersucht überlässt. und die
dann von Padrique in zwei parallele Hälften zerrissen wird, worin
sich Schein-Porcia mit Padrique theilt — dieses von verblüm-
ten Tifteleien und verschleiertem Liebesgirren durchwobene Anhäng-
sel-Zopfband der zweiten Jornada, wollen wir ruhig pendeln
lassen, und Don Padrique's letzte Probebestehung, betreffs
der dritten wahlwürdigen Manneseigenschaft, des *Valiente', uns
ansehen — die dritte Probe, der Jornada tercera nach, die
zweite im KomödientiteL
Diese dritte Prüfungs-Jornada stellt unsere Geduld mit neuen
Tifteleien durch die Doppelsinn-Blume auf die Probe, veranlasst
durch ein scheinbares von der Schein-Porcia, der Duquesa dem
Duque ürbino angedeutetes Huldzeichen, dasDonPadrique's
nicht schein- sondern sichtbare Eifersucht über des ürbino Be-
werbung aus heiler Haut, nicht um die Schein-Duquesa, und wirk-
liche Porcia, wie in den beiden abgethanen Jornadas, sondern
um die Schein-Porcia und wirkliche Duquesa Serafina erregt.
1) I Sabrä ä tiempo ser galan
Sabrä ä tiempo, ser valiente.
Das spanische 'discrecion' und ^discreto' schliesst aber die drei Eigen-
schaften in sich, wie Fadrique ausführt:
La discrecion es union
De todas virtudes: qne es
Cuerdo, prndente y cortes
El que tiene discrecion.
Don Fadrique der leibhafte Komödientitel. 573
welcher gegenüber Don Fadrique's Eifersucht nur die Wechsel-
wahl zwischen Tod oder Geduld übrig bleibt, i) Während der
Wechselwahl erzählt er der Angebeteten den Hergang bei einem
Turnier, worin er, in Abwesenheit der Schein-Porcia, bedeutende
Valiente-Proben abgelegt. Dergleichen in den Eingeweiden der
spanischen Komödie hausende Schilderungs-Parasiten kehren im-
mer wieder, wie die abgetriebenen Glieder des Bandwurms aus
dessen sitzengebliebenem Kopfe sich ergänzen, vielleicht in des
Orestes poetischer Erzählung vom Kampfspiel zu Delphi, in So-
phokles' 'Elektra', schon sitzen geblieben. Inmitten der stück-
weisen Abgänge seines Turnier-Schilderungs-Bandwurms kommt
Don Fadrique zwischendurch auf seine Wechsel wähl zwischen
Tod und Hoffnung zurück. Um ein Unglück zu verhüten, er-
klärt ihm Schein-Porcia, dass die ihr vom Duque Urbino zutheil
gewordene Huldigung der Schein -Duquesa (Porcia) gegolten,
und dass er, Don Fadrique, nur ihr zur Bestellung bereitwilliges
Si, „Ja", vernommen, welches Si Fadrique's Eifersucht als eine
Genehmigung von Duque Urbino's Liebeshuldigung für ihre, der
Schein-Porcia, Person ausgelegt.^) Nun entwickelt sich erst die
eigentliche Valiente-Probe , und mit ihr das letzte Stadium un-
serer Geduld-Probe. Duquesa, nämlich Schein-Porcia, wirft ein
Taschentuch hin, und wie Schreier's Pudel fallen die vier Freier
darüber her, um es zu apportiren, Don Fadrique kämpft es mit
dem Degen den Mitwerbern ab und apportirt das Tuch an der
Degenspitze als Valiente-Kitter der nun aus der Schein-Porcia
zur Serafina entpuppten wirklichen Duquesa, die entzückt
ausruft :
Lichtstrahl ist der Don Fadrique,
Den Gebieter nennt mein Auge. ^)
Und den nicht ihre Augen blos, sondern auch ihr Herz und Hand
Gebieter nennen, als den Galan, Discreto y Valiente aus-
1) Por eso pido al amor
Que me de muerte 6 paciencia.
2) Si, le dije, y este Si
Escuchaste.
3) Es un rayo Don Fadrique
Dueiio mis 030s le Ueman.
574 I^^s spanische Drama.
schliesslich und schlechthin. i) „Capricho" immerhin! Wenn nur
dein Versteck- und Verlarvungs-Capricho, durchlauchtigste Schein-
Porcia! eine wirkliche — keine blosse Schein-Comedia wäre!
La Fenix de Salamanca.
Dona Mencia, der Phönix von Salamanca, eine reizende
junge Wittwe, und schon als solche ein aus dem verbrannten
Ehebett-Neste als verjüngter Heiraths-Phönix auffliegender Phö-
nix — hat ihre Vaterstadt verlassen und zieht, als junger Jo-
hanniter verkleidet, aus, um, unter dem Namen Don Carlos,
ihren ungetreuen Liebesritter, DonGarceran, in Madrid aufzu-
suchen. Vergebens stellt ihr die Begleiterin Leonor, die sich
Jaramillo in ihrer Vermummung nennt, die Gefahren vor,
denen sie sich aussetzen. Es könnte ihnen z. B. begegnen, dass
sie ein Alcalde auf der Galeere spinnen liesse, trotzdem, dass sie
der Phönix von Salamanca. ^)
Des Johanniter- Phönix Dona Mencia-Don Carlos erstes
Abenteuer in Madrid ist die Fensterbekanntschaft mit ihrer Nach-
barin Dona Alejandra,, die an dem jungen Ordensritter Wohl-
gefallen findet, unbeschadet ihres Verhältnisses mit dem Conde
Horacio. Beim Einsteigen zu einer Spazierfahrt äussert Ale-
jandra den verbindlichen Wunsch, sich bald längere Zeit der an-
genehmen Gesellschaft des Senor Don Carlos erfreuen zu dür-
fen. 3) Don ßeltran, Alejandra's Vetter und Bewerber um
1) Mi capricho logro asi
Pues a un amaute la (mano) di
Galan, discreto y valiente.
In regelrechter Jornada- Abf olge , worauf der Titel zu corrigiren und ein-
zustellen, die Epitheta jedes an seinen gebührenden Ort.
2) Aunque te quieräs Uamar
La Fenix de Salamanca;
Que ä la visita primera,
Sin teuer duelo y clemencia,
ün alcalde nos sentencia
A hilar en una galera.
3) Deseo con mas espacio
Senor Don Carlos gozar
De vuestro pico.
Mira de Mescua's Com. La Fenix de Salam. 575
ihre Hand, hat auch schon ein Haar in dieser Nachbarschaft ge-
funden und fragt Alejandra's, seine Bewerbung begünstigenden
Bruder, Don Juan, was denn eigentlich dieser Don Carlos sey,
ob ein Ordensbruder oder Ritter. ^) Bald erscheint auch auf dem
üblichen Tummelplatz der spanischen Komödie, auf der offenen
Strasse, Dona Mencia's Liebesfiüchtling auf Freiers Füssen, Don
Gare er an, mit seinem Lacayo Solano. Das zur Mahlzeit vom
Markt mitgebrachte Geflügel, das Solano dem Gebieter namhaft
macht, Capaun, Schnepfen u. s. w., lässt sich Don Garceran
gefallen, nur den Vogel Phönix von Salamanca, auf den Solano
anspielt, verbittet sich der Caballero 2), aus Schwermuthsgrillen,
weil er sie, angeblich aus Rücksicht auf ihren Ruf, ihre Ehre,
will verlassen haben. ^) Ei was Schwermuth ! da betrachte nur
das Strassentreiben in Madrid, den famosen Prado, und ertränke
deine Wehmuthsgrillen in dieser Fluth von lachenden Blumen-
gärten, Springbrunnen, Rittern, Damen, glühenden Farben, Kut-
schen, geräuschvollem Plaudern, diese Liebe ohne Liebe, diese
Wahrhaftigkeit voller Lügen ^) — und ergiesst sich dabei selber
in einen Schilderungsstrom, einen Redeschwall, der Lacayo, dass
ihm sein Herr den Mund verstopfen muss mit der Aufforderung,
1) Este Don Carlos, Don Juan
^Es fraile 6 es caballero?
2) Deja esa materia, acaba.
3) Que dejarla fue estimar,
Como era justo, su honor.
4) Solano. jNecedad! Toma alegria;
Mira este famoso Prado,
Esta mezela de colores,
En jardines difereutes
BulUr y saltar las fuentes,
Keir y alegrar las iiores
Los varios coches que en tropa
Discurren por la alameda . . .
Esta confusion que espanta
Y esta grandeza, que admira,
De tanta verdad mentira . . .
De tanta gente perdida
De tanta barbara vida
De tanto amor sin amor . . .
576 ^^^ spanische Drama.
sich in die nächste^ Gasse zurückzuziehen, um die Vorbeiwandeln-
den zu beobachten. Alejandra und Conde Horacio treten
in den Bereich seiner Strassenbelauschung. Sie erblickt ihren
Bruder Don Juan mit Vetter Don Beitran, ihrem als Bräu-
tigams-Teufel der Langeweile sie plagenden Verlobten daherkom-
men, und flüchtet sich in ihren Wagen. Conde Horacio er-
sucht die beiden Fremden, jene sich nähernden Schreckgestalten
zu beschäftigen, bis die Kutsche ihrem Gesichtskreis entschwun-
den, und jagt mit der Geliebten davon. Die zwei Vogelscheu-
chen verliebter Paare rennen aber unaufhaltsam dem Wagen
nach, so dass Don Garceran ihnen den Weg mit gezogener
Klinge verlegen muss. Einer gegen Zwei ~ den ungleichen
Zweikampf bringt der hinzugetretene Don Carlos, der als Or-
densritter verkappte Phönix von Salamanca, Dona Mencia, in's
Gleiche, die sich mit ihrem fahrenden Laienbrüderchen, Jara-
millo-Leonor, dem aus ihren Liebesbanden entschlüpften
Don Garceran deckend zur Seite stellt. Die zwei Vogel-
scheuchen, Bruder und Vetter, ziehen sich zurück. Dona Men-
cia erkennt ihren Ausreisser, nicht Er sie. Als Don Carlos will
sie die Veranlassung des Duells wissen. Beschützung einer Dame,
erklärt Don Garceran. Darüber werde sich der Beschützer
noch zu erklären haben. Entfernt sich, schärft aber dem Mönch-
lein im Unterrock, dem Jaramillo, heimlich ein, dem Stroh-
wittwenmacher nicht von der Seite zu gehen. ^ Conde Hora-
cio ist zurückgekehrt, um sich gegen den fremden Cavalier in
Danksagungen für den Gefälligkeitsdienst zu ergiessen, mit dem
dringenden Wunsche, dessen Namen zu erfahren. Dona Men-
cia hat sich inzwischen wieder eingestellt. Die Situation ist
trefflich, spanisch -komödienhaft von achtem Brillantwasser und
Pacettenschliff, bis auf Dona Mencia's veranlassungsloses
Sichentfernen und Wiederkommen. Don Garceran entwirft seinen
Lebensabriss. Als Zweitgeborner hatte er sich mit einem ver-
mögenlosen Mädchen von geringer Herkunft vermählt. Nach dem
Tode seiner Eltern zwang ihn die Dürftigkeit, seine Studien wie-
der aufzunehmen. In Salamanca lernte er als Student eine Dame
1) No se apartes de su lado.
Bon Garceran und Fenix-Don Carlos. 577
kennen, das Wunder ihres Geschlechtes, kürzer, den Phönix von
Salamanca:
„Ihre Huldbeweise nennen,
Hiesse hier die Sterne zählen." i)
Dem Johanniter pocht das Herz unter dem weissen Brustkreuz,
und vor Angst, der Lebensschilderer könnte in seine Farben ihre
Schamröthe mischen, wird es ihm in seinem Don Carlos- Wams
und Beinkleid eng und schwül. 2) Doch geht ihr auch gleich
das Herz vor Vergnügen wie eine rothe Eose hinter dem weissen
Kitterkreuze auf, und sie fühlt sich wieder als Fenix mit gold-
nen Rittersporen bei Garceran's Schwur, dass sein Verhältniss
zur schönen Wittwe von solcher Reinheit und fleckenlosen ün-
schuldsweisse war, wie die Hand, die er zu berühren nicht ge-
wagt. „Ach, wohl dürftest Du es wagen, Garceran" — haucht
in leiser Wonne vor sich hin der Phönix — „Von heute ab
weihe ich Dir mein Leben — Tausend Leben, wenn ich sie hätte.
Welches Weib gäbe nicht ihre Seele einem Manne von be-
scheidener Zunge!" ^) Don Garceran fährt in den Bekenntnissen
seiner schönen Seele fort. Die Dame in Salamanca hatte keine
Ahnung, dass er verheirathet. Um jeder Versuchung, ihren guten
Ruf zu kränken, auszuweichen, fasste er den Entschluss, zu flie-
hen. Seine Frau starb. Er wollte nach Salamanca zurückkehren.
Der Brief eines Freundes brachte ihn davon ab, und er ging
1) Querer decir sus favores
Sera contar las estrellas.
2) Dona Mencia.
jAy de mi si este villano
Se atreve a mi fama honesta.
3) Don Garceran.
Mas pongo al cielo testigo
Que fue con tanta limpieza
Que no la saque una mano.
Dona Mencia (ap.)
•jAy! Garceran bien pudieras.
Hoy mi vida te consagro
Y mil, si tantas tuviera;
^Y que mnger no da el alraa
A un hombre de buena lengua?
X. 37
578 Das spanische Drama.
nach Madrid, um Kriegsdienste für Italien und Flandern zu neh-
men. Conde Horacio fordert Don Garceran auf, bei ihm
zu wohnen. Dieser entschuldigt sich unter Berufung auf einen
Freund, mit dem er im Gasthof zusammen bleiben möchte.
Conde Horacio ladet ihn auf den nächsten Tag zu Tische.
Der Gasthofwirth River a benachrichtigt Don Carlos (Mencia),
des Königs Gesandter hätte sein Zimmer in Beschlag genommen.
Don Garceran bietet dem Caballero (Mencia) ein Zimmer
neben dem seinigen an. Caballero Don Carlos nimmt es nur an
auf Garceran's Versicheruflg, dass er keine Dame bei sich
habe, die der fremde Caballero zu behelligen besoi-gen dürfe, i)
Solano schliesst Kameradschaft mit Jaramillo (Leonor) auf
Gemeinschaft von Tisch und Bett.
In letzterer üebereinkunft fand die geistliche Censur ein
Haar, und liess von den Vertragspunkten in der ersten Scene der
zweiten Jornada an den Hauptstellen nur die Punkte als Spu-
ren der Vertragsbestimmungen bestehen, ohne verMndern zu
können, dass die Contrahenten derselben, mit einigen Vorbehalten
freilich vonseiten Jaramillo's, nachkommen. Ausser diesen Funk-
ten, worüber sich noch in einer folgenden durchpunktirten Scene
Leonor mit ihrer Gebieterin Mencia unterhält, beschäftigt die
zweite Jornada die an Conde Horacio von Don Beitran
gerichtete Herausforderung, die Don Carlos (Mencia) aus Be-
sorgniss um Garceran, den Secundanten beim Duell, paraly-
siren möchte. Don Juan leitet das Duell mit einem auf seine
Schwester Alejandra gezückten Dolch ein, die seine Frage,
was sie an der Person des ehrenwerthen Herrn Onkel, Don
Beitran, auszusetzen finde, kurzweg damit beantwortet: dass er
nicht nach ihrem Geschmack und ein alter Hahn sey; ihr Hahn
im Korbe müsse jung und nach ihrem gusto seyn. 2) Mit dem
Fluch: '0 infame!' will eben der wüthende Bruder den gezoge-
nen Dolch brauchen, da erfährt er von seinem Diener, Onkel
1) G-arc. No la tengo por mi vida.
Menc. Pues con esa condicion
La acceptare.
2) Ser a mi disgusto y viejo . ,
Ser mozo y ser de mi gusto.
Dona Alejandra und Fenix-Don Carlos. 579
Beltfan sey in voller Küstung zum Duell ausgezogen, Don
Juan stürzt davon. Alejandra beklagt ihr Geschick in einem
Sonett mit so betrübter Seele, dass sie den vom Schneider und
Goldarbeiter gebrachten Anzug und die mit Silber gestickten
Schuhe 1) beiseite legen heisst, als unverträglich mit ihrer Sonett-
Stimmung. 2) Sie spricht noch eine Weile mit dem Goldar-
beiter über die von Onkel Bei trän bei ihm für sie bestellten
Hochzeitgeschenke, die ihr der Geber verleide. ^) Das Silberhaar
eines unausstehlichen Goldonkels kann die Juwelierläden einer
ganzen Goldschmiedezunft, und selbst ein grünes Gewölbe in sei-
nen Werth'uud seine Farbe wandeln, wie, nach dem Volksglau-
ben, ein Büschel Wolfshaare unter dem Kopfkissen einer Braut
sie auf zeitlebens um alle Mutterfreuden bringen soll, wovon
auch Alejandra's Juwelier, Villena, ein Vorgefühl hat.'*)
Besuch des Don Garlos (Mencia) bei Alejandra. Ihr
Diener, auf der Lauer, sieht Don Juan mit Don Beitran
kommen — Alejandra in der Angst lässt Don Carlos Frauen-
kleider eiligst von Jaramillo (Leonor) anziehen und findet den
hinter dem spanischen Wandschirm vortretenden Caballero, ach,
wie bezaubernd!'') Dona Alejandra ist eine der reizendsten
Mädchenfiguren der spanischen Bühne, aus deren Blut das Feuer
verliebter Sinnlichkeit so hervorblinkt, wie die Goldkörner durch
den feuchten Schleier des Tajo, und deren schlüpfrige Sittsamkeit
das zärtliche Glühen nur so verhehlt und kühlt, wie die Meeres-
welle das griechische Feuer, das sie bekanntlich, statt es zu
dämpfen, nur stärker und verzehrender facht. Eine spanische
Jungfrau wiegt ihr Herz, wie jene Jungfrau in der finnischen
Sage das Feuer in einer goldnen an Silberschnüren hängenden
1) chapines con virillas de plata.
2) — agora no tengo gana
De probarmela.
3) Alej. No me contentan en nada,
Como venga per sus manos.
4) Villena. No prometen buenos fines
Bodas con tan poco gusto.
5) Alej. (ap.)
jAy Dios, que gentil mancebo!
Tras el mi van los ojos.
37'
580 ^^^ spanische Drcama.
Wiege schaukelt. Plötzlich fällt das Feuer aus der Wiege und
mit Hast fliegt es durch alle acht Himmel. Vom Feuer gepei-
nigt, stürzt das Wasser über die Ufer, wie das Augenwasser
der spanischen Liebesheldin über die Wimpern, und wie dort die
Fische, die das Feuer verschlucken, von der Flamme gepeinigt,
in der Fluth umhertreiben, so jagen, schiessen und stürzen die keu-
schen, kaltblütigen Gedanken, die züchtigen Widerstrebungen des
weiblichen Tugendstolzes wild dahin, durchglüht von dem heim-
lichen Liebesfeuer in der, sonst so wallend kühlen und nun, wie
sie selbst, erhitzten und entzündeten Silberfluth ihres Elementes :
der Abwehr und Verschmähung,, wie Wogenschaum sprühenden
Mädchenstolzes und aufbrausender Sittsamkeit. Und wenn dem
finnischen Gott Wairämoinen aus dem Innern des in sein Wurf-
netz eingefangenen, vom verschlungenen Feuer glänzenden Lachses
dieses als abermals enteilender und ganze Länderstrecken in
Brand setzender Funken entgegenspringt : ereignet sich nicht das-
selbe mit dem im Wurfnetze des Liebesgottes der spanischen
Komödie verstrickten Herzen der Liebesheldin? Bis es endlich
dem, Gott Amor überholenden Hymen der spanischen Komödie
gelingt, das Flugfeuer hinter die Balconthür oder das Fenster-
gitter eines Schlafgemachs zu bannen und den furchtbaren Fun-
ken im Eisenkäfig einer Stegreifs-Eheschliessung unschädlich zu
machen, wie der finnische Gott Ilmarinen jenes dem Wasser und
dessen Bewohnern so verderbliche Feuer bändigt, i)
Das unzertrennlich langweilige Onkel - Neffen - Paar , Don
Beitran und Don Juan, belästigt die beiden Frauen Ale-
jandra und Mencia, letztere für die Freundin, als Don Carlos
in Weiberkleidern, für Don Juan, als fremde Dame von Stau-
nen erregender Schönheit, eine Sensationserscheinung. Don Juan
wird schwindlig vor Liebe aus dem Stegreif, und versichert sei-
nem Diener Leonardo, dass ihm bei diesem Anblick etwas Un-
glaubliches abhanden gekommen: sein Verstand. 2) Frauenpaar;
Onkel-Neffen-Paar; Mencia für die Geschlechtsgenossin ein herz-
fesselnder Caballero, und zugleich für deren Bruder von ver-
1) S. Weinhold, Altd. Wälder S. 19; Sclüefner, Kalewala, das Na-
tionalepos der Finnen, S. 274-283; Simrock, deutsche Mythol. 1. S. 134.
2) ;Ay Leonardo! pierdo el seso.
Drei-Doppelduell. 581
standraubendem Zauber, während Onkel-Capitän Don ßeltran zu
der Paarung mit Alejandra die sie nie berührende Parallellinie
abgiebt i) — bilden diese Paare nicht die ansprechendste Bou-
doir-Parallelgruppe als neusten Beleg zu der auch aus der Phönix-
Asche von Salamanca in verjüngter Gestalt sich erhebenden spa-
nischen Formel? — Ein Bote des Conde Horacio, in Ange-
legenheit der Herausforderung, ruft den Don Juan ab. Das be-
unruhigte Frauenpaar kommt überein, sich an den Ort des 'Duell-
Kendez-Vous' zusammen zu begeben, Mencia als verkleideter
Don Carlos. Das Duellpersonal, Conde Horacio, DonGar-
ceran, Don Beitran und Don Juan hat sich eingestellt.
Garceran's Vorstellungen an Don Beitran, er möchte doch,
in Eücksicht auf sein weisses Haar, den Springinsfeld, den Freier,
Händelsucher und Duellanten endlich an den Nagel hängen, rei-
zen den Graukopf nur stärker auf, und erhitzen ihn bis zur
Weissglühhitze. Die beidenDamen erscheinen auf dem Kampf-
platz verschleiert. Leonor folgt als Jaramillo. Die Ent-
schleierung bringt die grösste Verwirrung unter den Kampflusti-
gen hervor. 2) Conde Horacio ruft bei Mencia's Anblick „Don
Carlos?" Don Garceran: „Dona Mencia?" und zittert und
bebt und weiss nicht, was er von der verblüffenden Aehnlichkeit
des Don Carlos in Frauenkleidern mit seinem Fenix de Sa-
lamanca sagen soll. ^) Alejandra versichert ihren Oheim und
1) Don Beitran.
Alejandra
— como estoy tan cierto
Que mi vista te da enojos,
Y que en mi pones los ojos
Como en un cadaver muerto,
Eetirome
2) Dejad ya, por vida mia,
Amorosos devaneos,
Valentias de soldado
Y locuras de mancebo.
3) Gare. jAy triste!
Perdonad, que ^stoy sin seso,
Que como dentro del alma
582 Das spanische Drama.
Freier Don Beitran ihrer liebevollen Verehrung. Mencia bit-
tet ihn und Don Juan, sich mit dem Conde zu versöhnen.
Von ihrer Schönheit bezaubert, hat Don Juan keinen eigenen
Wyjen und heisst ihn seinem bereits verlornen Verstände nach-
laufen. Selbst Bei trän macht Anstalten, unter Bedingungen,
dem Neffen zuliebe, die Hand zur Versöhnung zu reichen. Das
erste und vielleicht einzige Beispiel in der spanischen Comedia,
dass Frauen als Friedensstifterinnen ein Duell verhindern. Der
Schluss der zweiten Jornada kann darauf hin unter seinen Col-
legen eine Ausnahmsstellung rubro notanda calculo mit allem
Fug in Anspruch nehmen, wenn ihn die CoUegen nicht eben
deshalb als das räudige Schaf kennzeichnen und ausstossen.
Der tiefbetrübte Don Garceran hat Eingangs der dritten
Jornada auf den Rath seines Freundes, Don Carlos (Mencia),
einen liebeheissen Abbittebrief an den Fenix von Salamanca ge-
schrieben, dessen Bestellung der als Don Carlos verkappte Fenix
selbst übernimmt, der pikanten Situation, infolge eines Verklei-
dungsmotivs, zugefallen.
Onkel Beitran besteht nach wie vor auf der Conditio sine
qua non seiner Versöhnung mit Conde Horacio: dass ihn
nämlich dieser bei der Bewerbung um seine schöne Nichte, Ale-
jandra, nicht kreuze, mit der zähen Hartnäckigkeit eines alten
Bockes, der von diesem nur die bocksteife Unnachgiebigkeit be-
hält. Während Don Beitran auf die Post eilt, um das aus
Eom angelangte Packet, das nur den päpstlichen Dispens zur
Vermählung mit der Nichte einschliessen kann, abzuholen, be-
stürmt Don Juan die Schwester um den Namen der fremden
Dame von wunderbarer Schönheit. Die zierlich neckische, glän-
zende, wie ihre Muhme, die Schlange, listige Alejandra, be-
nutzt des Bruders Stimmung für ihren Zweck: Alejandra.
Traigo, Don Carlos, impreso
Aquel Fenix de hermostira
y sois SU retrato belle
Toda alma se alborota,
Quando de repente os veo
Y mas en aqueste trage,
Que en solo verle ando y tiemblo.
Solano niid sein Schlafkaraerad. 583
„Wirst Du mich ausschelten?" — Juan. „Gewiss nicht." —
Alejandra. „Mir nichts zuleid thun?" — Juan. „Auch das
nicht." — Alejandra. „Auch kein Dölchlein mehr?" — Juan.
„Ein Narr war ich." ^) Und wenn sie auf dem Prado den Conde
anspreche? — Alles Anständige soll ihr gestattet seyn, wenn sie
ihm den Namen der Dame sage. Darüber würde ihm Don Car-
los Auskunft geben. Sie möchte sie aufsuchen, und ihm Gele-
genheit verschaffen, die Dame zu sprechen, in ihrer, seiner
Schwester Gesellschaft. Alejandra's Plan geht dahin, Don Car-
los (den sie immer noch in Mencia erblickt) mit ihrem Bruder
in freundschaftliche Beziehung zu bringen, und ihn dadurch für
Conde Horacio zu gewinnen. Heimlicher Besuch des Conde
bei Alejandra und dem entsprechendes, traulich -zärtliches Lie-
besgespräch. Mescua darf in dieser Comedia mit den besten
Dramatikern seiner Zeit, selbst mit Lope, und den kunstvollsten
nächst Lope, mit Tirso, Alarcon, bis auf den grossen Calderon
hinauf, wetteifern, und wer weiss, ob er sie nicht in diesem Lust-
spiel allesammt an naiver Natürlichkeit und Einfachheit der Er-
findung, der Motive und Figuren, vor Allem an Grazie einer un-
gekünstelten Gesprächsführuug übertrifft.
Mittlerweile hat Don Garceran's Diener, Solano, in seiner
Gasthof-Schlafkammer sich immer tiefer in den Verdacht hinein-
gegrübelt, ob sein Schlaf kamerad, Jaramillo, am Ende nicht
gar ein Zwitter, ein Hermaphrodit sejJ) Die Gründe, die ihn
zu dieser Annahme bestimmen und die er seinem Herrn, Don
Garceran, entwickelt, geben allerdings zudenken. Jaramillo
legt sich regelmässig im Finstern zu Bett, mit hermetisch zuge-
nähtem Hemde, schläft in den Beinkleidern, was freilich der
schlafende Hermaphrodit im Louvre nicht thut, — ja, Jara-
1)
Alej.
^Has de renirme?
D. Juan.
No hare.
Alej.
(iNi darme pena?
D. Juan.
Tampoco.
Alej.
<jNi mas daguita?
D. Juan.
Fui loco.
2)
Lo que terao
Que es hermafrodito.
584 I^as spanische Drama.
millo schläft gar nicht, und wenn er, Solano, nach hand-
greiflichen Beweisen forsche, schlüge der Zwitter, wie ein Maul-
esel, hinten ans. ^) In der 14. Scene der dritten Jornada trifft
ein Courier aus Salamanca mit einer Antwort auf Garceran's
Brief an den Fenix ein, den Mencia selbstverständlich nicht ab-
geschickt und in ihrem Madrider Gastzimmer beantwortet hatte.
Zugleich kündigt, Verabredetermassen , der Bote die Ankunft ei-
ner schönen Wittwe aus Salamanca an, die dem Senor Don Car-
los ähnlich sähe. 2) Das könne keine andere seyn — flüstert
Don Garceran dem Conde zu — als Dona Mencia. Gar-
ceran liest laut das Antwortschreiben, das voll der zärtlichsten
Vorwürfe Versöhnung-erschmachtender Liebe. Don Garceran
schwimmt in Entzücken so überschwänglich, dass er dithyrambi-
sche Zufälle über das Briefblatt bekommt, und das Wort „carta"
nach den verschiedensten Bedeutungen schwärmerisch variirt; das
Blatt ist ihm eine „Seekarte, die ihn in den Hafen führt, eine
Quittung über eine bezahlte Schuld, ein Vollmachtsbrief" u. s. w. ^)
Zum Empfange des Don Juan zieht sich Don Carlos (Men-
cia) behufs Umkleidung zurück und erscheint bald wieder im
Frauenanzug. Garceran's dithyrambische Zufälle steigern sich
bei dem Anblick zu ekstatischen Krämpfen. Solano, Conde
Horacio und Mencia selber, die ein Schwert fordert, um sich
als Mann zu legitimiren, haben Mühe, den Verzückten zu sich
zu bringen und ihm begreiflich zu machen, dass er Don Carlos
und keine Phönixin von Salamanca vor sich sehe. DonJuan's
Erscheinen, der bei Mencia-Don Carlos' Anblick mit einem ka-
taleptischen Starrkrampf Don Garceran's enthusiastischem Sanct-
Veitstanz in's Handwerk pfuscht, versetzt dessen Liebes-Paren-
thyrse in den gefährlichsten bis zur Käserei sich steigernden Ei-
1)
Mas si le vuelvo a palpar
Vuelve el anca como mula.
2)
Y algo en la fisconomia
Le pareceis, Senor, vos.
3)
Soys carta de marear
Que me encaminais en el pnerto;
Carta de pago y remate
De tudos cuentos pasados . . .
Solano bekommt einen Korb von seinem Schlafkameraden. 585
fersuchts-Paroxysmus. ^) Heil dir, erfindungsreicher Ritter in der
Noth! Heil dir sieghafter Abwickler von Komödienkatastrophen
und glücklicher Operateur der beschwerlichsten Lustspielknoten!
Heil dir spanisches Parallel-Schema , dass du der A-iüösung mit
einem zum Onkel Don Beitran parallelen Onkel, Don Tello,
unter die Arme greifst! Parallelonkel Don Tello ist Dona
Mencia's Oheim, der sich aufgemacht aus Salamanca, um, An-
gesichts der ganzen vor Staunen erstarrten Gesellschaft, den
vermeinten Don Carlos in Weiberkleidern als seine Fenix-
Nichte Dona Mencia zu umarmen, sie mit Don Garceran
zu vermählen, und nebenbei Zeuge von Don Horacio's Ver-
bindung mit Alejandra zu seyn, sonder Einspruch vonseiten
des Parallelonkels Don Beitran, der die Nachricht erhält, dass
Seine Heiligkeit der Papst die Dispensation zu ertheilen nicht
für angemessen befunden, und der daher mit seinem Neffen und
Schicksalsgenossen Don Juan sich in's Unabänderliche fügt.
Der Einzige, der mit offenem Munde über den Schluss der Ko-
mödie hinaus, als versteinertes Symbol der Verblüfftheit, erstar-
rend verharrt, ist Solano, bei der Kunde, dass Hermaphrodit
Jaramillo Dona Mencia's Kammerjungfer, Leonore, ist, die
als entschiedener Zwitter so viele Nächte hindurch sein Lager
theilte, und die nun, als entschiedene Zofe, es mit ihm in der
Eigenschaft seiner Ehehälfte zu theilen, sich eütschieden wei-
gert. 2) Wer nun als ausrangirter einschläfriger Zwitter übrig
bleibt, ist einerseits Solano, und andrerseits das Onkel-Neffen-
paar Don Beitran und Don Juan, die Aschenmänner der
kalten Phönix- Asche — „An Aschen!"
1) zelos tengo,
Zelos, conde, zelos, rabia.
2) Dona Mencia.
Quisiera darte ä Leonor,
Solano, mas no le agrada
A Leonor tu casamiento.
586 -Das spanische Drama.
Don Antonio Hnrtado de Mendoza.^)
Los Empenos del Mentir.
Lügenbündniss.
Eine Chevalier d' Industrie -Komödie, ein Lügen -Scli wind-
ler-Stück, ein Gaukler-Trugspiel, aber im spanisch-feinen und
1) Ausgang des 16. Jahrh. in einem Gebirgsort von Burjos im Hanse
des Grafen von Saldana geboren, war Page-Comthur von Zurita im Cala-
trava-Orden, Kammer- und Justiz-Secretär Philipp's IV., und Mitglied
des Grossinquisitions-Eathes. Mit Lope, Calderon, Quevedo und andern
erlauchten Genien umkränzte er dieses Mäcenaten-Königs aus goldnen
Dichterlorbeern aufgeflochtenen Thron zu Buen-Eetiro, wie Phidias Hören
an dem Thron seines Zeus zu Olympia ihren Eeigen schlangen. In diesem
glänzenden Kreise führte Antonio Hurtado de Mendoza den Namen El
Discreto de Palacio (Der Bel-esprit des Palastes) oder el Poeta de
Cämara (Kfl-mmerpoet), am französischen Hof per Synäresin *Pöt de
Chambre', vom närrischen duc de Eoquelaure betitelt. Als Lyriker hul-
digte Mendoza der Schule des Gougora, dessunbeschadet galt er den Zeit-
genossen als süssflötender Schwan (aliento de aquel canoro cisne). Als
dramatischer Dichter begnügte sich Ant. de Mend. — darin ein weisser
Eabe unter den spanischen Dramatikern — mit einem Dutzend Schauspie-
len, die meisten wohlgenährt mit lyrischen .Gongorismen in allen mögli-
chen Versformen, Leckerbissen für den Gaumen des Hoftheaterpublicums
zu Buen-Eetiro und Aranjuez; worunter besonders einer dieser in Gongori-
schem Fette mit den Federn gebratenen dramatischen Hofbühnen-Pfauen
das Aeusserste leistete: die Comedia: 'Querer por solo querer' (Lieben
blos um zu Lieben, dem blossen Lieben zuliebe) von nicht weniger als 6400
Versen, und dargestellt von den 'Edelfräuleins' (meninas) der Königin im
Palast zu Aranjuez, und wimmelnd von;^Drachen, Eiesen, Zwergen, verzau-
berten Prinzessinnen und italienischen Versarten. Seine Obras erschienen
in Lissabon 1690. Neuere und neueste Ausgaben, Madrid 1760 und 1849. 8.
In der Sammlung: Flor de los mejores libros que han salido de comedias
nuevas. Alcalä 1651 und Madrid 1653 4o., finden sich andere Comedias von
Ant. Mendoza: 'El galan sin dama' (Der Liebhaber ohne Liebhaberin).
*Mas merece quien mas ama' (Dem gebührt mehr, der mehr liebt).
In der Comedia *Quien mas miente medra mas' (Wer mehr lügt, ge-
winnt mehr), die Ant. de Mendoza mit Quevedo gemeinschaftlich im
Auftrage des Conde-Duque von Olivarez für das prächtige , von diesem
Günstling den Majestäten am Johannisabende 1631 veranstaltete Fest
dichtete, glaubt Ticknor die ähnlich betitelte, von uns besprochene Co-
media 'Los empenos del mentir*' vermuthen zu dürfen, da keine unter er-
sterem Titel vorhanden. Ant. Mendoza starb zu Zaragoza 1644,
D. Ant. Hurtado de Mendoza's Com. Los Emperlos del mentir. 587
graziösen Styl, ungleich anmuthender , als ähnliche in's Grobe
und Gemeine nachgeahmte italienische Komödien. Teodoro
und Marcelo, das Schwindellügenpaar, mit bezeichnendem Hin-
weis auf die Heimath derartiger Landeskinder, als Italiener
eingeführt, stehen im Eeiseanzug vor den Thoren von Madrid,
und überlegen, nach einem auf Madrids ^) Herrlichkeiten , Buen-
Retiro-Feste, insbesondere auf Philipp's IV. ganz Castilien be-
glückende Regierung und dessen Königin-Gemahlin, die gloriose
Isabel^), im Munde von Lügen-Reisebeuteln, gegen des Dichters
Absicht, parodistischen Lobsalm — überlegen, was bei leeren
Taschen und nur vollen Lügensäcken in Madrid anstellen, um
sich in der fremden, tonangebenden, zu Teodoro's und Marcelo's
Zeit, Weltgrossstadt in Ehren durchzuschwindeln? ^) Und kommen
überein, dass Marcelo im Sinne der Arbeitstheilung den Lü-
genstoif liefere und Teodoro ihn verarbeite. 4) Und siehe da,
Gott Mercur, der Gott nicht blos der ßeutelschneider, auch der
Gott der Beutel-, nämlich der Lügenbeutel- Aufschneider, wirft
ihnen den Lügenstoff in der Person des von drei Bravos Über-
fallenen Don Diego zu, den das neapolitanische Schwindlerpaar
sofort unter die Finger nimmt, nachdem sie die drei gefährlichen
Marktverderber und Pfuscher in's Handwerk, die drei Bravos,
mit ihren tapfern Klingen, in die Flucht gejagt. Aus Don Die-
go's im spanischen Komödienstyl ihnen mitgetheilten Lebensab-
riss, hat schon Marcelo Diego's im Elsass verstorbenen Bruder,
1) Teodoro.
^A quien no alegra, oh grande, o geiioroso,
Noble Madrid, tu vista y reflejos?
2) Oh gloriosa Isabel.
3) Marcelo.
Ya que en Madrid estamos, ^Q^^ ejercicio
Tomaremos los dos?
Teodoro.
— _ — ea, embnsteros
Ha de ser.
4) Marcelo.
Hare verdad las cosas, quien suenas.
588 I^as spanische Drama.
Don Tello^), aufgeschnappt, um sich, von der Faust weg, zu des
theuern Todten Busenfreund zu lügen, den die eben vernommene
Todesnachricht schmerzlicher, als den Diego selber, Tello's Bru-
der, treffe. Kaum hat Marcelo der Selbstbiographie des Diego
den zweiten Wurm aus der Nase gekitzelt, dass nämlich sein
seliger Herzensbruder Tello die Verheirathung seiner und Diego's
Schwester, Elvira, mit einem Don Luis de Vivero aus Nea-
pel daselbst betrieben — hat auch schon Marcelo sich aus seiner
Haut in die von Elvira's neapolitanischem Bräutigam, in die Haut
besagten Don Luis de Vivero hineingelogen. Elvira's Miniatur-
portrait, das sich Luis de Vivero erbeten, und ihr Bruder, Don
Diego, wie dieser eben erwähnte, dem Bräutigam nach Neapel
geschickt hatte — dieses theure Bildniss liegt — ruft freudig der
sich zum Don Luis aus dem Stegreif lügende Marcelo — liegt
in meinem Reisesack! und meint im Stillen: Lügensack. Lauf,
Teodoro! und bring's herbei zurstell! — Teodoro wechselt die
Beine und weiss nicht, soll er laufen, soll er holen, und wohin
laufen und was holen. Marcelo droht, ihm Beine zu machen,
mit Fusstritten. Teodoro versteckt sich hinter Don Diego,
und ächzt: Bild, Juwelen, Kleinodien, der mit Topasen besetzte
Spiegel, Karfunkeln und Kamm — geraubt! von Schnapphähnen
geplündert — Alles mit einander — Marcelo rast. Teodoro
zittert. Don Diego bittet Marcelo, sich zu massigen und, als
sein Gast, sich für den Verlust des Schattenrisses mit dem Ori-
ginal trösten zu wollen. 2) Und wie freut sich Don Diego, der
Elvira ihren neapolitanischen Bräutigam in dem eben angelang-
ten Luis de Vivero zuzuführen!^) eine Pracht von Bräutigam,
1) Que ahora murio en la Alsacia.
2) Huesped sereis esta noche
De SU original.
Der Leser erinnert sich der italienischen Komödie *I cavalieri d' Industria'
von Marchisio (Gesch. d. Dram. VI. 2. S. 585 tf.) und hat schon in Men-
doza's Lügenstück die Vorlage zu Marchisio's Gaunerkomödie erkannt. Hier
ist dem Spanier wirklich vom Italiener das Bild gerauht worden, ürhild
und Copie, die er für das Original verkaufte, während er das Original
unterschlug.
3) — todo este placer
Es dicha de Elvira y mia.
Bollenwechsel. 589
und die Tapferkeit in Person, i) Aber oh, El vir a! Gleich bei
den ersten Worten des Tapfern befällt Elvira ein Schrecken
über den cavalierwidrigen Ton des Prachtbräutigams 2), wie nicht
anders von dem Diener und Helfershelfer eines Schwindlers en
compagnie zu erwarten. Ihre Cousine, Dona Ana, findet denn
auch den vermeinten Diener, Teodoro, annehmlicher.^) Bruder
Diego aber kann die Hochzeit nicht erwarten, und wünscht sie
noch diese Nacht vollzogen. ^) Die Magd Teresa fragt, ob Don
Luis alle Tage dieses ruppige Wesen an sich trage? ^) Teo-
doro fliesst über von seines Herrn (Marcelo) Lob, und ärgert
sich insgeheim über das Brautglück seines Schlingels, der auf
die schöne und saftige Frucht keinen andern Anspruchstitel hat,
als die Prioritätslüge. ^) Nebenbei setzt Marcelo einen Trumpf
darauf, den Teodoro, seinen Herrn, mit der Dienerrolle so zu
zwiebeln, dass Beide vor Elvira's feinem Salonnäschen in üblen
Geruch kommen. Er lässt sich von Teodoro in Elvira's Gegen-
wart die Stiefel ausziehen. Dieser fragt, was für ein Pferd der
gnädige Herr morgen reiten will, den Braunen oder Schecken?
Don Luis (Marcelo) reimt richtiger, als jener Schöpenstädter,
der auf eine ähnliche mit seinen Genossen verabredete Frage , um
seine reimfertigen Gaben vor der Braut herauszustreichen, auf
dessen Anfrage, ob Braunen oder Schecken? den Beim nach vorn
versetzte: L — Sie mich. — Marcelo bringt das L — an, wo
es hingehört: *0h que gracioso picaiio!' Die Frauen entfernen
sich mit den Taschentüchern vor Mund und Nase. ^) Don Diego
1)
Es un mancebo gallardo
Por s^ valor.
2)
Elvira.
Qae mal parte, que ruin arte.
3)
Dofia Ana.
Ann el pobre del criado
Es trato mas apacible.
4)
Quisiera que el casamiento
Esta noche se efectuase.
5)
^Itrae esta ruin persona
El sefior Don Luis cada dia?
6)
Teodoro.
;Que este fruto huya sacado
No mas que el haber plantado
Mas temprano una mentira!
7)
'
(y levantase Elvira enfadada),
590 I^as spanische Drama.
aber lacht sich am Schluss der ersten Jornada noch freudig in's
Fäustchen über den köstlichen Schwager, der Ambra schwitzt
und Myrrhen duftet, und ihm die lieblichste Blume des neapoli-
tanischen Eitterthums dünkt und ein Caballero-Musterreiter von
Braunen und Schecken. Unsere Analyse wäre aber in die Seele
der spanischen Komödienfeinheit trostlos, wollte man den Schö-
penstädter Reim auf Schecken, und Dona Elvira's Tuch vor Mund
und Naschen durch die Hofirungs-Blume und nicht durch die
hoffähige der spanischen Komödie verstehen. Marcelo's innerer
Mensch, seine italienische Bedientenseele riecht übel, nicht seine
entstiefelten Beine, noch seine Reime. Letztere sind vielmehr
durchaus correct, zierlich, hofgerecht und courtisanesk, wie die
Reimsprache der spanischen Komödie durchweg.
Mit dem ersten Glockenschlag der zweiten Jornada kündigt
Teodoro dem Marcelo, der alle Vortheile des auf gemein-
schaftliche Kosten zu betreibenden Lügengeschäftes allein ge-
niesse und ihn, Teodoro, mit dem Maulabwischen abfinde, die
Genossenschaft auf. ^) Bei der blossen Aufkündigung der Schwin-
delgemeinschaft lässt es aber Teodoro keineswegs bewenden.
Er fügt hinzu, dass er, Teodoro, das Geschäft auf eigene Hand
fortzuführen gedenke, und dass er in Diego's Hause die Kunde,
Er, Teodoro, nicht Marcelo, sey der ;richtige Don Luis de
Vivero, verbreitet, und kunstgeschickt glaubhaft gemacht habe. ^)
So blühen nun nebeneinander zwei parallele Lügengeschäfte un-
ter Einer Firma, ähnlich wie zwei marktläufige Berliner Zeitun-
gen, die sich unter demselben Titel Concurrenz machen. Jeden-
falls ist Lügenheld, Teodoro, der gewandtere Ritter des täu-
schungs- und beschwindelungsfähigen Pseudo-Luisthums, wofür
1) Teod. ^Y que del engailo espero?
Le lleven iguales hombros . . .
Tu triunfas, y yo la Uoro
Tii la gozas, yo la pierdo . . .
2) Teod. Yo he derramado por casa
Con tal arte y tal ingenio . . .
Marc. iQ>^^ ^^^ derramado?
Teod. Que soy . . .
Marc. ^Quien?
Teod. Don Luis de Vivero.
Ex-Luis nnd Erzlügner. 591
ihn selbst Dona Elvira, unbeschadet ihrer üeberzeugung, dass
Alles Lijg und Trug, anerkennt, nachdem sie von ihrem Haus-
mädchen, Teresa, erfahren, dass der Diener der wahre Don
Luis, obgleich beide Luis, meint Dona Elvira, ihr gestohlen
werden können — was sich denn auch Stan. Marchisio, der be-
zielte Pseudo-Luis der italienischen Komödie: 'I Cavalieri d' In-
dustria', nicht zweimal sagen liess — so scheine ihr doch der
Teodoro mehr 'arte', Pli und Schick zum 'Caballero' zu haben,
sey's auch nur zum Caballero de industria, oder zu einem von
Marchisio's Industrie-Eittern. i) Dona Elvira findet den Teo-
doro-Luis galanter und hofthümlicher „mas galan y mas cortes'^
Was bleibt dem Ex-Luis Marcelo übrig, als sich diesem Titel
zu fügen, und des Teodoro, seines Herrn, Don-Luisthum nicht
blos zu respectiren, es sogar noch zu bestätigen und zu befür-
worten? 2) Don Diego, -eine vorzügliche Komödien-Dupe, adop-
tirt den zweiten Don Luis mit demselben glaubensseligen Ver-
gnügen, wie den ersten Don Luis. Er wäre Manns und Bruders
genug, Beide für die ächten Don Luis zu halten. Unser spanischer
Don Diego, neuigkeitssüchtig und erzählungserpicht, wie ein Zei-
tungsleser, forscht nun äusserst gespannt und begierig den zweiten
und doch ersten Don Luis, den Teodoro, nach Berichten aus über
italienische Zustände und seine, Teodoro's, eigenen merkwürdigen
Erlebnisse. Der Lügenreisesack, den nun Don Luis der Zweite
vor Diego ausschüttet, märchenhaft fabelhaft! Ein Foliolügen-
felleisen von vier Poliocolumnen, jede zu hundert Versen, die
erste beginnend mit „Gustav Adolph, des Nordens glühendem Ko-
meten"*^), und die letzte Foliolügencolumne schliessend mit des
zweiten Don Diego-Bauernfängers, Don Luis-Teodoro, Wehklage
um seines Seelenfreundes Don Tello, Bruders von Diego und
1) Teresa. Que el criado
Es el Don Luis verdadero.
Elvira. Que tado embuste ä ser vieiie,
No lo dudo, pero el tieiie
Mas arte de caballero.
2) Marc. Senora, si erre, aqui estoy
A mi dueno obedeci.
3) — Gustavo Adolfo,
Del Norte ardiente cometa.
592 I^3,s spanische Drama.
Elvira, Tod, und schliessend mit einem aus der Trauerklage, wie
Bethoven's IX. Symphonie, in Jubelentzücken ausbrechenden Tril-
lerfinale: „Freude schöner Götterfunken!" Freudejauchzen, dass
alle seine in den vier Grossfoliolügencolumnen überstandenen
Trüb-, Müh-, Drang- und Lügensale (Empiios del mentir) „wie
Schnee an der Sonne" nebst noch fünf andern „Wies" — dass
wie dieses halbe Dutzend „Wies", seine zwölf herculischen Lü-
genthaten, sammt den vier Foliocolumnen zu einer Hercules-
Fabel-Apotheose in „Elvira's Augen" zerschmelzend sich ver-
klären, 0 Lüge schöner Götterfunken! Wem der grosse Lügen-
wurf gelungen, eines Don Tello Don Luis zu seyn, wer ein hol-
des Weib errungen und sich erlogen, der mische seinen Jubel
in Teodoro-Luis' Lügenhymne ein! Juchhe! mischt Marcelo
den seinigen ein mit einem Aparte- Jubel: Lüg Du und der Teu-
fel! Kein wahres Wort, kein I-Tüpfelchen, dem sich nicht das
Jota rauben und das Tüpfelchen glauben liesse!^) Don Diego
erst! welchen Jubel mischt nicht erst Diego in Teodoro's hohes
Lied auf die Lüge ein:
„Aus der Wahrheit Feuerspiegel
Lächelt sie den Forscher an . . .
Auf des Glaubens Sonnenberge
Sieht man ihre Fahnen wehn . . .
Männerstolz vor Königsthronen —
Brüder, galt' es Gut und Blut —
1) — mis lastimas y endechas,
— mis ansias y finezas
Como al sol la nieve cruda
Como al campo la alta sierra
Como al jebeche las ondas,
Como el cefiro las ondas
Como al aurora las flores
Como al rocio las jerbas,
A los ojos de mi Elvira
Todos mis males se templan.
2) Marc. (ap. Valgate el diablo mil veces,
iQue gran mentira) Una linea
Ni una tilde le ha quitado
A la verdad; ; Jesus!
Lügen-Bravouren. 593
Dem Verdienste seine Kronen,
Dreimal Hoch der Lügenbrut! i)
und augenblicklich seyd umschlungen zu einem Hochzeitspaar! '2)
Das Erfindungsgenie der beiden Schelmuflfkys hält ihrer Frech-
heit die Wage. Elvira, die sie belauscht und auf ihrem gegen-
seitigen Lügen-Compromiss ertappt, schreit das ganze Haus den
Gaunern auf den Hals. ^) Welcher Hals ist aber weiter und über-
schreit alle andern Hälse? Der Lügenhals! Davon liefert auch
gleich Marcel o's Hals eine glänzende Probe, mit seinem Schmäh-
geschrei gegen Teodoro, der von der Schrulle besessen sey,
sich für einen lumpigen Don Luis auszugeben, da er doch ein
geborner Conde Fabio ist!^) und der sich mit der Tochter des
Regenten vermählen soll und nun hier eine so elende Maskerade
mit dem Don Luis treibt. Aber mich soll der T — reiten, oder
Du wirst sie heirathen, Verräther! Die Tochter der Kegentin,
heirathen! Sofort geh' ich zum König, und meld' es dem gnä-
digen Papa, dem Marques deßitoldo!^) Dona Elvira schlürft
auch gleich den 'Conde' mit Condesa-Begier in's Ohr, und fällt
dem aus einem neapolitanischen Strolch zum Don Luis und aus
1) Don Diego.
Gran soldado y caballaro,
Hermana; luego lo ve,
Que en nada me engana ä mi
Que era el Don Luis de Vivero.
2) Que has de desposarte luego.
3) Elv. Embusteros, ah traidores
Ah infames, ah curedadores —
;Hermano, hermano, criados!
4) Marc. Si, yo tambien
Dare voces, dare gritos
Fieros, grandes, infinitos;
Como parecerä bien
Que, siendo tu el Conde Fabio
Hijo del noble raarques
De Bitoldo, que este lo es • . .
5) Pues ä casar te has venido
Con la hija del Kegente
Seräs, Traidor, su marido;
Ireme al Rey, ire al Conde . . .
X. 38
594 I)as spanische Drama.
diesem zum Conde Fabio Marques de Bitoldo gelogenen Teodoro
in den schlagfertigen, auf Marcelo wegen seiner Ausplauderei
mit dem Fluche niederfahrenden Arm: „Ei Du verdammter
Schlingel, ich glaube gar, Du willst Dich gegen meine schönen
und gerechten Gefühle für Elvira, der ich allein meine Hand
bestimme, stemmen und widersetzen!" ') Elvira's zwei Oehrchen,
ihr linkes Condesa-Ohr und das rechte mit dem Zweifelfloh darin,
sie unduliren wie die Schälchen der feinsten Juwelen wage, und
das Zünglein spielt bald nach dem Condesa- bald nach dem
Flohöhrchen hinüber ^j, hin und her schwankend, bis auch die
zweite Jornada ausschwankt. Parallel mit Elvira's Wage hält
Teresa ihre massive einschalige Wage, mit dem Centnergewicht
„Condesa" auf dieser einen Schale, demgemäss denn auch ihre
Zunge, wagerecht vorgestreckt, den Condesa-Marquesa-Ausschlag
giebt. 3) An Elvira's Oehrchenwage halten sich am Schluss der
zweiten Jornada die Schalen noch das Gleichgewicht. ^)
Das Schaukeln dauert sogar bis in die dritte Jornada hin-
ein, und so anhaltend, dass Dona Ana Cousine Elvira des-
halb aufzieht.'^) Bruder Diego lügt sich selber in die Conde-
Wagschale, um sie mit dem Centnerübergewicht seiner Gläubig-
1)
Teod.
(iMis deseos
Tan hermosos y tan justos
Me estorbas, traidor, villano?
Solo ä Elvira doy la mano.
2)
Elv. (ap.)
Que haces
Pesamiento? ^Harete agravio
En creer que esto es verdad?
Dudarelo?
3)
Teresa.
iQue tarde
Que lo tomasl Date priesa,
Senora; que no hay condesa
Que SU vispera no guarde . .
^; Condesa y marquesa junto?
Teodoro.
Los pies
Beso al Conde, mi senor.
4)
Elv. (ap.)
Dudas, yo he de averigaros.
5)
Dona Am
i.
Y tu ^por Ventura estäs
Tan necia?
Bon Luis de Vivero in Person. 595
keit zu belasten, und Elvira's Zweifel in die Luft zu schnellen i),
wozu ihm nun auch die unter den Sachen der Strolche gefunde-
nen, natürlich ad hoc geschmiedeten Briefschaften und Docu-
mente verhelfen, die ihre Angaben vollauf bestätigen, so dass
Dona Ana's argwöhnischer Scharfblick selber wenigstens eine
Braue in die Falte der Bewunderung des Erfindungsgeistes
solcher Betrugsfrechheit emporzieht und wölbt. 2)
Nun wird doch aber dieser Erfindungsgeist und diese Gau-
nerfrechheit, bei Marcel o's seinem Spiessgesellen , Teodoro,
zugebrachter Neuigkeit von des wirklichen Don Luis de Vi-
vero Ankunft auf dem letzten Loche pfeifen!
Aus Marchisio's vorerwähnter italienischer Komödiencopie
weiss aber der Leser bereits, dass die Strolche mit ihren An-
schlägen noch nicht auf der Neige sind, und ersieht zugleich,
wie geschickt ihr Landsmann, der Marchisio, den Spanier ausge-
beutet, indem er sich nur das aneignete, was in seinen Kram
passte, die Gelegenheits-Incidenzen dem Spanier zu weiterem Ge-
brauch überlassend, wie die Zwischenscenen mit den zwei auf-
einanderfolgenden Dienern, von welchen der Eine der 'Senora
Condesa, und Duquesa', der Elvira eine von dem Gaunerpaar
natürlich gekartete Hofeinladung nach Buen-Eetiro zu zwei Thea-
tervorstellungen bringt, zu einer Komödie von dem grossen herr-
lichen Genie, das sich unter dem Namen Tirso de Molina
verbirgt (Gabriel Tellez), und zu einer Tragödie, deren Helden-
paar zwei grosse Schwindler. ^) Der zweite Diener bringt vom
Admiral eine Einladung zum Ball, auf eine mit ihm zu tanzende
1) D!on Diego.
Todo en su favor
Habla, concierta y responde.
2) Dona Ana.
Engano 0 verdad, el diablo
No pnede disponer mas bien
Un embuste y un engano.
3) La primera, de nn lucido
Ingenio grande, escondido
En lo Tirso de Molina . . .
La tragedia . . .
De dos grand^s embnsteros.
38*
596 ^^^ spanische Drama.
Quadrille. Marchisio schwänzte die Komödie in Buen-Retiro und
die Quadrille beim Almirante von Castilien und hielt sich an
das Schwanzstück unserer spanischen Komödie, woraus er seine
Lustspielkatastrophe geschnitten, an das Erscheinen des wirkli-
chen Luis de Vivero nämlich, den Teodoro sofort, wie bei
Marchisio, als den Strassenräuber erkennt, der ihn ausgeplündert,
durchsucht ihm die Taschen, worin sich wirklich Elvira's Por-
trait und sonstige dem Teodoro geraubt seyn sollende Effecten
befinden, und sperrt den geknebelten wirklichen Don Luis vor-
läufig, bis Gerichtsdiener kommen, in eines der Zimmer, Alles
mit Hülfe des Don Diego und Alles, wie bei Marchisio, mit
Hülfe des Don Antonio Hurtado de Mendoza.
Eingesperrt, durchgebläut, gebunden, sieht sich unser wirk-
licher Don Luis in der betrübten Lage eines ausgerungenen,
vom Bläuel weg durch dieselben Leidensstadien hindurchgewun-
denen, am Trockenstrick triefenden und vom nasskalten Winde
noch hinterdrein gepeitschten Nachthemdes, und verliebt dazu!
Verliebt in DonaElvira's ihm entrissenes Portrait, um welches
sich seine thränennasse Seele so sehnsuchtsvoll grämt, wie ge-
dachtes Hemd nach einem Sonnenstrahl, oder nach dem trockenen
Leibe seines ihm abhandengekommenen Trägers. Sein grösster
Schmerz aber ist das Räthselhafte seiner Lage. In der ünge-
Avissbeit seiner Verzweiflungsqualen richtet er an das Schätzel in
Gestalt der Hausmagd Teresa die Jammerfrage: Was dieser
horabre, Mensch, für ein Caballero und dieser Caballero für ein
hombre, für ein Mensch sey ^), und ob er überhaupt ein Mensch sey
und kein carnifex? Dieser hombre steht nun selbst vor ihm im
Gefängnisszimmer, um ihm über sich Aufschluss zu geben, dass
er nämlich, unser Teodoro, der Don Diego Tello de Guzman
sey, und hier erscheine, um einen Act der Grossmuth an ihm,
dem angemassten Don Luis de Vivero, seines seligen Freun-
des, zu üben, indem er ihm die Freiheit schenke, und das ge-
raubte Gut, Kostbarkeiten und Portrait dazu, ob auch sein Her-
zensfreund, der Conde, mit dem er, Don Diego Tello, seine
Schwester Elvira vermählt habe, noch so sehr um diesen Verlust
1) Solo de vos saber quiero
Que hombre es este 6 caballero.
Entlarvung. 597
trauern und seufzen möchte. Nur pack dich! troll ab, und schier
dich, du trübseliger Schatten meines verstorbenen Don Luis de
Vivero, meines seligen Freundes! ^) Ob dieser unverschämten
Lügenerfindungskunst, die ihn, angesichts seines leibhaften An-
gesichts, für einen seligen erklärt, fährt Don Luis aus dem
Häuschen, und bedauert, dass er, statt der Kette, nicht einen
Säbel nachschleife, um dem Gauner einen Denkzettel für seine
infame Grossmuth zu geben.-) Da kommt Marcelo ausser
Athem gelaufen und meldet mit Schrecken, zwei italienische Ca-
pitanes und drei Diener des Don Luis de Vivero hätten sich
eingestellt und verlangten stürmisch nach ihrem Herrn. Nun
möchte sich Teodoro selber belügen, bis er blau oder schwarz
wird, um nicht als Lügner erkannt zu werden. Vergebens. Der
Schrecken, der alle Gesichter weiss färbt und selbst ein Moh-
rengesicht fahl wäscht, bleicht das Indigoblau des Anlaufen-
lassens und die lügenschwarze Eussmaske auch auf Teodoro's
eiserner Stirne kreide weiss, und auf Diego's Gesicht zornfeuer-
roth, als er von Don Luis und sämmtlichen um ihn gruppirten
Neapolitanern erfährt, dass ein Marques de Bitoldo, den der Gau-
ner zu seinem Vater gelogen, im ganzen Königreiche Neapel nicht
existirt. Eine Abschiedsstandrede muss aber Teodoro, als
Grossmeister vom Lügenstuhl seiner Kunst, doch noch zuguter-
letzt halten, welche Standrede merkwürdigerweise das erste wahre
Wort ist, das über seine Lippen kommt. Er führt aus, dass die
1) Teod. Yo soy, yo, Don Diego Tello
De Guzman: que los Gnzmanes*)
Ser buenos como en el nombre,
Es magorazgo en lo sangre . . .
Todas las Jogas de vuelvo
Gima lo el Conde ä la brame . . .
Huije luego, vete luego . . •
2) Que a tener aqui una espada —
Os pagära al necio aviso
De tan indignas piedades.
*) Guzman = Gutmann. Der Schuft hat die Frechheit, sich zu-
letzt noch in eine deutsche Haut hineinzulügen, und obenein in die eines
Gutmann !
598 ^^^ spanische Drama.
ganze Welt Eine Lüge, „Ein Teodoro ist — " die Luft, der Tag,
das Jahr lügt, und in dem Kartenspiel der Welt sind alle Fi-
guren acht gefärbt in der Lügenwolle und in der nie ausgehen-
den, waschächten Lug- und Trugfarbe i), die alle Welt bekennt.
Äehnlich führt Shakspeare's Timon aus, dass die ganze Welt,
Natur und Welt mit einbegriffen, das Diebeshandwerk treibt. Für
Mendoza's Teodoro ist der Himmel ein blauer Dunst, der die
Erde blau anlaufen lässt und dem Teufel die Haut voll lügt,
bis er schwarz wird; und nach Shakspeare's Timon sind die Säu-
len der Welt lauter Dietriche und Nachschlüssel. Drücken wir
menschenfreundlicherweise ein Auge darüber zu, wenn wir Men-
doza's Lügengaunerpaar vom blauen Dunst nur das blaue Auge
davontragen sehen, mit dem es fortkommt, fortkommt auch in
der Welt, ihrem eigentlichen Element. Dass Don Diego seine
Schwester Elvira nun mit dem wahrhaftigen Don Luis verhei-
rathet, liegt auf der Hand, die sie ihm in der Anwartschaft
reicht, dass seine Kartenfigur in Teodoro's Weltkartenspiel nicht
aus einem brennendrothen Herzkönig, roth wie brennende Liebe,
in einen Piquebuben, schwarz wie die Hölle, umschlagen werde.
Mendoza's Lügenspiel ist, was Charakteristik, kerngesunde
Motivirung und geistreichkomische Durchführung anbelangt, eines
der trefflichsten der spanischen Bühne, wo nicht die beste Gau-
nerkomödie überhaupt — ungelogen!
Nicht auf gleicher Höhe steht, unseres Ermessens, Hurtado
de Mendoza's Comedia
Gada loco con su tema
6
El Montanes Indiano.
(Jedem Narren gefällt seine Kappe. Wörtlich: Jeder Narr mit
deiner Schrulle, oder der indianische Gebirgslandmann).
Dieser Indianer, in den spanisch-amerikanischen Besitzun-
gen jener Zeit geboren, ist der närrische Kauz von Neffe des
1) Atencion, que nada vive
Sin mentir; ^no miente el aire,
Miente el dia, miente el ano?
Marotten. 599
eben so närrischen Kauzes von Onkel, des alten Hernan Perez,
der, ausser seinem indianisch-spanischen Brudersohn, schlechtweg
El Mon-tanes, der Edelbauer vom Gebirge, genannt, aus West-
indien Geld wie Heu und hiernächst die Marotte mitgebracht,
seine zwei Töchter, Isabel und Leonor, mit dem Stocke in
der Hand zu zwingen, ihren Vetter, den rauhhaarigen Gebirgs-
Esau zu heirathen, wenn nicht Beide, jedenfalls Eine von ihnen
zu der Partie zu zwingen, gleichviel 'welche von beiden. Der
Neffe und Vetter sey zwar nicht gerade bemittelt, aber betitelt,
Hidalgo nämlich, und er als Onkel habe einmal die Schrulle,
spanisch *tema', und müsse wegen des Titels, nicht allein des
Hidalgo-Titels, sondern auch des Komödientitels halber, die Ma-
rotte haben, keinen andern Schwiegersohn besitzen zu wollen,
als erstens einen unbemittelten Neffen, der aber zweitens ein Ge-
birgskrautjunker und drittens ein spaüischer Landedelmann, ein
Hidalgo ist. Nur einem derart bestallten Neffen sey er entschlos-
sen, Vermögen, Blut und Weib zu geben und zu hinterlassen, i)
Die Töchter aber wollen, weder Beide noch Eine, von dem ihnen
mit dem Stock angefreiten Stock-Bauer, Landpflock, Gebirgsblock
und Schockschwerenöther von unvermögendem Hidalgo - Vetter
nichts wissen. Wenn es schon ein unbemittelter seyn soll, so
müsste es wenigstens ein Caballero seyn, — besteht Tochter
Isabel auf ihrer Marotte, — und nicht ein blosser grobkör-
niger, klobiger Gebirgs-Hidalgo 2) , der sein Weib nicht so gut
wie seine Kühe und Ziegen hält, die er als richtiger Cyklop
mit eigenen Händen melkt. Ein Gebirgs-Hi- oder Ei-dalgo! Fi
über den Viehkerl, schütteln sich beide Töchter, „Jonich!" —
Todo miente, y en el naipe
Del mundo, figura es tode,
Y todos representantes etc.
1) — eso ha de ser . . .
Que ä mi sobrino he de dar
Hacienda, sangre j mujer.
2) Dona Isabel.
Hidalgo, ;que triste nombre!
Que aun no dijo Caballero;
Solo hidalgo es mal aguero.
600 ^^^ spanische Drama.
nicht besehen und nicht unbesehen !*) Vom omen im Namen
'Hidalgo' abgesehen, das ein „Sohn (hijo) von algo" (von „Et-
was" etwas Kechts) nämlich, von Maxen, wie er in Wien
heisst, aber nicht Kaiser Maxen, Maxen mit der leeren
Tasche, Maximiliano senza denaro, sondern mit Batzen, Kies und
Moos, Gebirgskies und Gebirgsmoos frisch aus dem Bergwerk,
kurz, einen Herrn von Habewas, keinen Herrn von Habenichts,
der ein Hidalgo wie lucus a non lucendo, ein Landelmann, ein
Johann ohne Land, der blank mit seinem Beutel steht, und der
Beutel blank mit Blank .und Baar. Ein Gebirgskropf, solch einen
Vetter und Hidalgo an den Hals mag kein Weib wie Dona Isabel
und DonaLeonor! meint auch Tante Äldonza, betreff desselben
Themas oder tema. Sonderbare Gebirgsgrille von dem Montanes,
als Brautschatz seiner Frau nichts weiter mitzubringen, wie den
Vetter und besagte Grille : den Hidalgo ohne algo. Die Luft von
Madrid vertrüge dergleichen nicht. ^)
Allein mit ihrer Schwester Leonor, schüttelt Isabel die
Taschen und Täschchen ihres Herzens vollends aus bis auf den
Grund, mit einer kleinen Apostrophe an dieses selbige Herz : „Ei
ja, Freund Herzchen, mehr fehlte mir nicht, als so ein Wild-
schwein-Hidalgo aus den Gebirgen von Leon!" 3) Ein ganz an-
deres Band fesselt sie, ein ungleich stärkeres, als selbst das Lie-
besband, das in Westindien ihr Herz mit dem ihres Vetters Don
Luis daselbst umschlangt), und eröffnet der Schwester, diese
1) Dona Isabel.
Yo, no le qniero, sin velle.
Dona Leonor.
Ni yo, quando le haya visto.
2) Y que tienen —
Otro saber diferente —
Estos aires de Madrid.
3) Dona Isabel.
Ay amigo corazon,
No mas me faltaba ä mi
Que un hidalgo jabali
De los montes de Leon.
Quando yo ä Don Luis queria
En las Indias, no pensaba
Eine Frau für ein Pferd. . 601
demantene Liebesfessel hätte Don Juan ihrem Herzen ange-
legt. Leonor hat an dem Herzensfessler nur Eins auszusetzen:
dass er zu Fuss einherwandelt, nicht zu Pferd. Leooor's *tema',
Schrulle, Grille ist die , dass i h r Galan beritten seyn müsse. 0
Ein Caballero ohne Caballo, sey nicht mehr werth als ein Hidalgo
ohne algo. Einen Nachtalp, auch Nachtmännchen genannt, das
bekanntlich einen Pferdekopf hat, liesse Leonor lieber auf ihrem
Herzen hocken, um des Pferdekopfs willen, als einen Galan, oder
gar Ehemann, als einen Tag- und Nachtmann zu Fuss. Isa-
beTs Passion ist von edlerem Schlage eine wahrhaft noble Pas-
sion. Sie mag keinen Bereiter, keinen kutscherhaften Centaur. ^)
Sie wünscht sich einen Mann von Geist, von Ehren- und Herz-
haftigkeit^), einen Mann der Hand und Fuss hat, wenn auch
kein Pferd, und der auf eignen Füssen steht und geht, nicht mit
dem Pferdefuss, wie der Teufel, der im Prado zu Fuss spazieret,
nicht vierfüssig auf den Beinen eines Miethgauls. 4) Kurz , thö-
richte Schwester, steig' runter vom hohen Pferd! In der Liebe
und im Kriege lob' ich mir die spanische Infanterie. ^)
Nach und nach schieben die Scenen anderweitige Vertreter
unseres Komödientitels herein. Zuvörderst Isabel's auf Freiers-
Que en Madrid amor ärmaba
Mayor lazo al ahna mia.
1) Doiia Leonor.
Pues (S Yo admitiera despojos
De hombre de ä pie? . . .
2) Y ese tu galan cansado,
0 cochinista o rocinista . . .
Lo que ä nn picaro le cuesta
Guisarse de Caballero.
3) Pues yo solo un hombre quiero
De ingenio, de honra y valor . . .
4) Que ä pie se baje hasta el Prado
Y diga
Aqui, por gracia de Dios,
No viene rocin prestado.
5) Y en fin, necia hermana mia,
La vana ambicion destierra;
Que en el amor y la guerra
Espanola infanteria.
602 Das spanische Drama.
füssen stramm und correct zuFuss einhergehenden Galan Don
Juan, der seinem Freunde und Begleiter Bernardo das tema,
den wunderliehen Einfall plausibel zu machen sucht, der Freund
möchte die alte Tante Aldonza entern, dieweil er, Don Juan,
sich mit der jungen Nichte, der Isabel, auf den freundschaft-
lichen Fuss eines Liebhabers stellt. Dem barocken tema setzt
Freund Bernardo seine Schrulle, den Schauder vor alten Tan-
ten entgegen 1); eine Narrenkappe, die eine empfehlenswerthe
Sturmhaube abgiebt gegen Hexen-Tanten, wie Doiia Aldonza,
die auf dem Steckenpferd als Besenstiel herumreitet, in den vier-
ziger Jahren noch heirathen zu wollen, zu Pferd oder zu Fuss.
In seinem Schrecken vor Tanten und tias verschwört Bernardo,
um sich vor Tanten auf alle Fälle zu sichern, verschwört er das
Heirathen in Fausch und Boge^ und erklärt sich aus Tanten-
Abscheu zum Weiberfeind unter allen Ehegestalten. Auf Don
Juan's eheeifrigen Einwurf: Der Ehestand sey heilig, entgegnet
Bernardo: „Ja, ein heiliges Offlz, heilig wie die heilige Inqui-
sition, denn wer in den heiligen Ehestand tritt, kann gewiss seyn,
daraus mit Teufelsgewalt als armer Sünder hervorzugehen." ^) Das
sey so die Marotte des Santo oficio, eine Kappe von Gestalt ei-
ner trichterförmigen Sanbenito-Mütze. Isabela's Kammermädchen
Luisa, die dem Don Juan ein briefliches Stelldichein zur
Kirche bringt — per pedes Apostolorum versteht sich, nicht auf
dem apokalyptischen Schimmel — neckt der aus Tantenfurcht
ehescheue Bernardo mit ihrem jugendlichen Zwischenträger-
geschäftchen, alias Kuppelhand werkchen. ^) „Welche Perle für
die Hölle!" Sie giebt es ihm heim: „Welches Ohrgehänge für
den Galgen!"^) Bernardo ist einer der vorzüglichsten Repräsen-
tanten der satirisch -beissenden Begleiterfiguren der spanischen
1)
^Yo querer a una tia? Yo ä una tia?
2)
D. Juan.
El matrimonio es santo.
Bernardo.
Y Santo oficio,
Porque en entrando en el qualquier casado,
Por fuerza ha de salir sentenciado.
3)
Que, siendo alcahueta en flor,
Lo ha venido ä ser en fruto.
4)
Bern.
iQue perla para el infierno!
Luisa»
jQue arracada para el rollo.
Ein Pferd für eine Frau. 603
Komödie, eine Art freundschaftlicher Mephistopheles, wie Goethe's
Merk, das Vorbild, wie man weiss, zu Goethe's in's höllisch-
ironische umgeteufeltem Mephistopheles. Mendoza's Bernardo er-
innert an Shakspeare's mit witzig humoristischer Demantspitze
gezeichnete Typen von satirisch böser Zunge, rasselnd wie der
Schwanz der Klapperschlange, aber ohne Giftsack im Zahn. Klap-
perschlangen als giftlose Schooss- und Busenschlangen, wie Be-
nedict z. B. Zu solchen bildet das baare Gegentheil der neue
Beleg für die durchgängige Stichhaltigkeit unseres Komödienti-
tels, ein Don Julian, eingeführt als „Galan gracioso", der
auf seinem Steckenpferd, dem Pferd schlechthin, als 'tema', ge-
streckten Galopps auf Leonor's hippomanes Herz ansprengt. ^)
Bernardo nennt ihn Caballero testamento todo, und Don Ju-
lian's Eeitknecht erklärt ihn für den grössten Narren in Casti-
lien^), oder wie Shakspeare von einem ähnlichen alten Wicht
sagt: Ganz Catalonien hat nicht seinesgleichen. Vor Conflicten,
und gar Duellen, scheut er wie ein Pferd vor einer Leiche,
nimmt das Gebiss in's Maul und geht durch. Vor Don Juan
macht er Kehrt und prescht ab, brobdingragisch wie Swift's Boss
Huynuun wiehernd: „Was? Ich mit Einem mich einlassen, der
zu Fuss geht?" 3) In nächster Scene reiten ihn in effigie die
beiden Schwestern Isabel und Leonor, Erstere zu Schanden,
Letztere Parade, und auf öffentlicher Strasse. Isabel misst ihn
neben Don Juan — welcher Unterschied! „Welcher klägliche
Wicht ! — Welcher stattliche Wuchs !" ^) Dagegen Leonor: „Ist
er nicht schmuck? Ist er nicht fein und zierlich von Ansehn?" ^)
Nächst Pferd ist dem Julian nichts so an's Herz gewachsen,
1) D. Juan. Es grandisimo galan
De Dona Leonor.
2) Que no hay tal necio en Castilla.
3) D. Julian. (iQue?
^Yo hablar ä quien anda a pie?
4) Dona Isabel.
jQue mal hombre! — iQue buen taUe!
5) Dona Leonor,
j^No es gallardo? no es airoso?
604 I^as spanische Drama.
wie eine Frau mit hübscher Aussteuer. ^) Don Julian schwört
auf jene mundläufige Julian-Schmidt Frage: Herr Schmidt, was
kriegt die Jule mit? Um Beider, Don Juan's und Don Julian's,
Galanterie auf die Probe zu stellen, bedienen sich die zwei
Schwestern des in der spanischen Comedia nicht mehr unge-
wöhnlichen Versuchsmittels, eines fallengelassenen Handschuhs
nämlich, den nicht Don Julian, „der sich vor Nichts bückt" 2)^
als vor sich selber, seinem eignen Nichts, und gewöhnlich keinen
Handschuh autnimmt, auch keinen Frauenhandschuh — den mit-
hin auch jetzt nicht Don Julian apportirt, sondern Don Juan,
und ihn der Eignerin, der Doiia Leonor, ziersam ritterlich zu-
stellt, Das verbindet der L e o n o r den auf dem fahlen Pferde — mit
dem er zusammengewachsen — betroffenen Don Julian. Er
scheute wohl, sagt sie, vor ihrem Handschuh zurück, weil er ihn
für einen Fehdehandschuh halten mochte. '^) Besser gefällt ihr
Don Juan, wenn er nur kein so armer Teufel wäre 4), dass er
sich nicht einmal ein Pferd halten kann. Diese Marotte hielt
auch Don Juan ab, Bernardo's eifrigen ßath, auf Isabel's
Humor anzubeissen, zu beherzigen und zu befolgen. Sich selbst
aber wünscht ßernardo, dass Leonor eine Woche lang —
Tante wäre. ^)
Escudero verlangt Botenbrod (albricias) für die fröhliche
Meldung von Hernan Perez' Neffen. Hernan springt ellen-
hoch vor Freude über die frohe Botschaft — Das ellenlange Ge-
sicht aber, als er statt des erwarteten Montanes, seines Ge-
1) D. Julian. Yo enamoro ä lo marido
Solo ä un dote bien nacido
Y ä una hacienda bien hermosa.
2) D. Julian. Nunca yo me bajo a nada.
3) Dona Leonor.
Cansado me ha Don Julian;
Penso qua era —
De desafio aquel guante.
4) Mas apacible es Don Juan,
iQuien le diera otra fortuna!
5) Yo tamära que Leonor
Fuera tia una semaua.
Ständclien-Taiife. 605
birgsneffen, den Neffen aus Amerika, Don Luis de Peralta,
vor sich sieht! Er begrüsst ihn mit dem eben nicht erfreulichen
Willkommen: „Aus Westindien hast Du mich verjagt, und hängst
Dich nun in Madrid an mich wie eine Klette?" ^) Der Neffe aus
Amerika kratzt sich hinter den Ohren bei der Nachricht von
IsabeFs Verlobung mit dem Gebirgsvetter, der seiner Braut eben
in die zum Empfang ihres ehemaligen Liebsten, des Vetters aus
Lima, des Don Luis Peralta, ausgebreiteten Arme läuft, die
aber vor der Umarmung des Gebirgsbären von Leon zurückprallt
mit dem Schrei: „Jesus, was ist das für ein ungeschlachter Bä-
renhäuter!" "^j Mit der gegenseitigen Beäugung und Beschnüf-
felung des Gebirgs- und des Lima- Vetters , die eine Herausfor-
derung vonseiten des Gebirgsvetters zurfolge hat, schliesst die
erste durch Charakterkomik preisliche Jornada.
Die erste Hälfte der zweiten Jornada ist dem Duell
zwischen den beiden Vettern zweier Welten, dem Gebirgsvetter
aus Leon, und dem Lima- Vetter aus Amerika, gewidmet; die
zweite Hälfte der Taufe des Don Julian, die der Escudero,
als vermeinte Isabel, an dem Schädel des vor ihrem Balcon
sein Nachtständchen absingenden apokalyptischen Reiters auf dem
fahlen Pferde mit einem Nachtständchengeschirr vollzieht, von
wunderbarer Wirkung, indem der Ausguss den Sänger nur zu
einer enthusiastischeren Katzenmusik begeistert, als käme der
Guss frisch aus dem Rossquell der Hippokrene. Das Duell un-
terbrechen Don Juan und Bernardo, die wie zwei Kampfwär-
tel mit weissen Stäben dazwischen treten.") Don Julian, der
dazu kommt, drückt sich, um seine jungfräuliche Klinge nicht mit
dem Blute von Duellanten zu Fuss zu beflecken. Aus der be-
sorgten Erkundigung seines Onkels Hernan Perez nach seines
1) De las Indias vengo huyendo
De ti, y ^en Madrid ahora
Aun no me dejas?
2) ; Jesus! ^Que hombron
Es este?
3) D. Juan. Paz, caballeros.
Bernardo. Paz digo.
606 I^as spanische Drama.
Gegners etwaigen Duellwunden erfährt der Lima- Vetter zuerst
den Namen des Widerparts; erkennt auch Don Juan zuerst den
seine schöne Sonne verfinsternden Schatten i), und lässt, zu sei-
nes Schmerzes Linderung, sich von Don Luis Peralta zwei
Foliocolumnen Selbstbiographie, beginnend von der Geburt des
Vetters zu Lima und endigend mit dessen trübseliger Brautschau
in Madrid, als Pffester auf seine schwärende Eifersuchtswunde
streichen, mit der Versicherung, dass er, Don Juan, des Lima-
Vetters Drangsal wie seine eigene empfinde.^) Onkel Perez
fordert in seinem nur für Gebirgsneffen gastfreundlichen Hause
den Montanes auf, eine von seinen Töchtern vom Fleck weg
zu lieben.^) Montanes spuckt auch schon in die Hände, um
sich zu dem verwegenen Unternehmen anzufeuern, und in die
seiner niedlichen Cousinen nicht weniger, denn tausend Küsse. ^)
Die Cousinen schieben sich gegenseitig den Vetter zu. ^) Vater
Perez hetzt das Gebirgswild zu einer Bärenumarmung auf die
Töchter. ^) Don Juan et Comp, kommen dazu und entsetzen sich
ob der Hatz.'^) Borna rdo schwingt den Kolben, um den Bären zu
lausen mit der Schreckenskunde von Don Luis' gefährlichen Duell-
wunden, und verschiedenen Alguazils, die schon anrücken, um
dem Gebirgsbären auf den Pelz zu brennen, während Don Juan's
Wildschur bereits zu brenzeln anfängt vor Eifersucht wegen Isa-
beFs Theilnahme an des Lima- Vetters, ihres weiland Liebhabers,
1)
Soinbra de mi sol hermoso.
2)
Senor Don Luis, vuestra pena,
En tan justo sentimiento
Ya como propia la sento.
3)
^Cual te parece mejor?
Escoge luego.
4) Mil veces, primas, os beso
Las manos.
5) Dona Leonor.
Suya seräs, que es may justo.
Dona Isabel.
El hombre tendrä buen gusto,
Y vendrä escogerte ä ti.
6) Llega; que para abrazar
Basta mi dispensacion.
7) alborotados.
Das Ständchen. 607
von Bernardo ausgeheckten Wunden, die zurstelle der in der
Thür unversehrt erscheinende Don Luis Lügen straft; fällt aber
in demselben Augenblick als Opfer von Bernardo's Wun-
den schlagendem Erfindungsgeiste, zu Tode geängstigt mit des
Gebirgsvetters im Duell erhaltenen Wunden und den ihm, dem
Lima- Vetter, auf den Hacken sitzenden Alguazils. ^) Nun kommt
auch Don Julian herbei, um, wie gewöhnlich. Kehrt zu machen,
beim blossen Kedenhören von Duellwunden. Dona Isabel fin-
det ihn so abgeschmackt, dass sie ihn nicht möchte, selbst wenn
er zu Fuss ginge. 2) Bernardo bewirft ihn mit Hecheln, die
an Juli an 's handschuhlederglatter — aber nicht fehde- und
fechthandschuhlederglatter Haut nicht haften bleiben. Gross und
unanfechtbar wie immer schreitet er davon, über das Zeitliche
und über kleinliche Duellrache erhaben. ^) und weltverachtenden
Schrittes geradenwegs unter Isabel's Fensterbalcon mit Musikan-
ten, Ständchen halber, und um bei dieser Gelegenheit obgemel-
dete Taufe vom Escudero mit dem Kammertopfe zu empfangen,
der nebenbei Oel in Don Juan's Eifersuchtsfeuer schüttet, aus
Ursache, weil dieser mit Don Juan den Escudero für Isabel
hält und die Taufe für ein Symbol von Liebeserguss. Don Ju-
lian meckert mit triefendem Haupte : „0 süsse Isabel!"^) Täu-
fer Escudero giesst, wie der Wassermann im Thierkreis, aus seinem
unversieglichen Topf. Don Juan schiesst auf ihn los, wie Mars
auf Adonis als Eber. Montanes gesellt sich hinzu als unauf-
haltsamer Schädelspalter mit Valentin's Worten in Goethe's Faust
bei Mephistopheles' Ständchen vor Gretcliens Fenster:^)
1) Bernardo. Estä el Montanes herido,
Y no es tu peligio poco;
La justicia como un rayo
Anda ya, y es janto al pecho.
2) Dona Isabol (ap.)
No te qiiisiera,
Aunque anduvieras a pie.
3) — Que yo me fundo
En qne no hay, cosa en el mundo
Que me merezca un enojo.
4) iAy dulce Isabel,
5) No canteis,
Y ä quien aqui se atreviere
608 Das spanische Drama.
Valentin.
„Wen lockst Du hier? beim Element!
Vermaledeiter Rattenfänger !
Zum Teufel erst das Instrument!
Zum Teufel hinterdrein den Sänger!
Mephistopheles.
Die Zitter ist entzwei!
An der ist nichts zu halten.
Valentin.
Nun soll es an ein Schädelspalten!*'
Allgemeines Serenadeii-Holzen mit Saiten- und Klappen-Hölzern,
von Don Julian's Discantschrei nach „Gerechtigkeit'' ^) und
ihren Dienern durchgellt und überschrillt.
Montanes beginnt die dritte Jornada mit einer dem
Oheim-Schwiegerpapa auftrumpfenden Streitscene, worin jeder seiner
Einwürfe ein an den casco des Onkels fliegender Bruchsplitter
scheint vom Schädelspalten her mittelst entzweigeschlagener In-
strumente. Er sey herberufen, wettert er, zu heirathen, nicht zu
lieben. 2) Wer hat denn aber jemals die Heirathsthür — eifert
Hernan Perez seinerseits — als eifersüchtiger Ständchen- W^ütherich,
mit gespaltenen Hirnschädeln eingerannt? 3) Des Montanes
darauffolgende Bewerbung um Isabel könnte man sogleich für
den Polterabend einer in Scherben geschlagenen Zankscene zwi-
schen Braut und Bräutigam halten. Mindestens fürchtet IsabeFs
hinter dem inamoviblen Möbel der spanischen Komödie, hinter
der spanischen Schirmwand, versteckter Vater, dass es zu einer
solchen Polterabendscene kommen könnte, und springt, während
des Montanes gleichzeitigem Aufspringen vom Stuhl, zwischen
den gebirgsfuchswilden Freier-Neffen und seine Tochter, um ei-
nen regelrechten Polterabend anzubahnen. Zärtlich, nicht bär-
A cantar le rompere
El instrumento en los cascos.
1) ;La justicia!
2) Yo de vos llamado he sido
Solo para ser marido,
Que no para ser am ante.
3) iQuien ha entrado ä ser marido
Por las puertas de celoso?
Dublonen -Seraph. ß09
beissig sey der Freier i), glaubt der Schwiegervater billigerweise
von dem Cyklopen aus dem Leon'schen Waldgebirge verlangen
zu dürfen, der noch mehr Cyklope, als der siculische Menschen-
fresser^), der sich doch wenigstens um die Liebe Galatea's auf
seinem Haferrohr zärtlich bewarb, in verliebtes Flötenspiel zer-
schmelzend, dieweil der Cyklop aus Leons Bergesklüften das Ha-
ferrohr schier als ein spanisches Kohr behandle. Montanes pol-
tert entgegen: sein Haberrohr pfeife einmal auf diesem Loche,
und trollt mit dem Wahlspruch der Dona Diana davon: „Ver-
schmähung um Verschmähung" ^) , und seine Cousine sey ihm
zehnmal lieber. 4) Isabel's tema oder Liebeslaune giebt selbst
dem Don Juan harte Nüsse zu knacken. Sie neckt ihn erst ei-
fersuchtswild mit dem Vorgeben, sie sey schon versprochen, wie
der Matador den Stier mit dem rothen Lappen vor der doppel-
hakigen Pike reizt und eifert sich nach einer Weile selbst in
Wuth über Don Juan's Zögern, auf ihren Vorschlag, sie au-
genblicklich zu entführen ^)', staute pede einzugehen. Als gut-
müthiger Mephistopheles ist schon Bernardo bei der Hand, um
über die Eifersuchtsschlacht, die sich das Paar liefert ^0? sein
Lotterspöttlein anzubringen: Don Juan's tema oder Capricho sey
kein Haar weniger Schrulle, als die der übrigen Titelfiguren,
dieweil en Isabel ein Seraph sey, inbetreff spanischer Doublonen
oder doblones, und ausserdem ein frischer Liebesphönix. ') Bernar-
do's Spötteltic trumpft Don Juan mit seinem schwärmerischen und
mit edlem Armuthsstolz sich brüstenden Liebestic ab : Er verlange
keinen andern Keichthum, als die Geliebte anbeten zu dür-
1)
Tierno, y no bravo, el amante.
2)
^Que mas testarudo fuera,
Que mas fiero, si viniera
A enamorar ä un gigante?
3)
Desden pago con desden.
4)
Mas me agrado que su hermana.
5)
Llevame luego contigo.
6)
Dense batalla de celos.
V
— a Isabel tu la pierdes
Por solo un capricho siendo
Un serafin de doblones
Y un fenix de amores nuevo.
X. 39
ß\Q Das spanische Drama.
fen. ^) Sonderbarer Schwärmer! und eigonthümliche Laune der
Verliebten !
Da lernt nun auch Tante Aldonza, das alte heiraths-
lustige Altjungfern-tema mit Bernardo durchspielen, der aber
wieder hinter sein tema, wie Mephisto gegen Martha, sich
verschanzt als Matatias, Vater der heiligen Makkabäer, mit
Hinzielung auf das Wortspiel „matatias", „Tantentödter". Alte
Tantenjungfern sind aber nicht todt zu machen, zählebig wie die
Kröten oder Katzen, und, wie diese, immer wieder auf die Füsse
fallend, auf die Freiersfüsse nämlich, dem Tantenmörder Ber-
nardo unter den mit dergleichen Füssen über den Fuss ge-
spannten Fuss die zwölf Goldbarren gebend, die sie aus Peru
mitgebracht. ^)
Die nächsten Scenen sind nicht danach angethan, um un-
sere Sehnsucht nach der endlichen Abwickelung des Thema's und
des Tema's zu beschwichtigen. Die Scene z. B. zwischen Leo-
nor und Bernardo, die sich um Don Juan's Füsse dreht, um
seine Liebhaberei nämlich, Grille und tema, zu Fuss zu gehen,
worüber Dona Leonor sich wundert, und was ihr Bernardo
als so ein eigenes Gelüst von Don Juan erklärt, aber ein von
Schicksalstücke auferlegtes 3) 'gusto', die ihm das Pferd zwischen
den Beinen weggezogen und ßindsleder unter dieselben gescho-
ben, worauf Doiia Leonor der Neugierteufel reitet, zu fragen:
ob Don Juan, falls sie ihn in den Stand setzte, sich eine
Mähre anzuschaffen, sie, die Mähre, reiten würde? ^) Dazu,
1) ~ que ni espero
Mas riqueza que adorarla.
2) Otros majores que tu
Me ruegan, j ansi me vengo
<5ue por cara y edad tengo
Doce barras del Peru.
3) Dona Leonor.
Andar a pie (ique desgusto!)
,:Es necesidad 6 es gusto?
Bernardo/ Es gusto j necesidad.
4) Dona Leonor.
(iSi rico lo Meiere yo
A caballo no andaria?
IsabeFs Liebesgeständniss. 611
meint Bernardo, sey Don Juan zu stolz und nicht ge-
nugsam auf den Frauensattel eingeritten. Ebensowenig fällt
Bernardo's Scene mit dem hölzernen Eheringelspiel -Türken,
dem Don Julian, der von aller Welt Stiche bekommt und
keine erwidert, und nun auch Bernardo's ihn mit Eifer-
suchtsstichen zusetzenden Bemühungen eine Brust von Holz ent-
gegensetzt 1} — auch diese Scene kann unserem gusto nach der
Comedia Ende gut in die Zügel fallen. Selbst des Gebirgsbären
von Leon, des Montanes, Sichherumbeissen mit Leonor, mit
Bernardo und DonJulian's Affensprünge auf — genauer: hin-
ter des Bären Rücken, um vor demx Gebisse sich zu retten. Mon-
tanes' und Don Luis' sich gegenseitig als aufgebundene Bä-
ren verwundernd über ihre heile Haut trotz Bernardo's jedem
von ihnen aufgebundenen Duell wunden. 2) Dieses mit Don Ju-
lian um den Preis zälier Lustigkeit kämpfenden Montanes —
der einzige Zweikampf, den Julian rühmlich besteht — dieses
Montanes grossmüthiges Abtreten der Dona Isabel an den Vet-
ter von Lima, dem westindischen Bremen zum Vetter, und des
Vetters gerührter Ablehnungsdank für diesen edlen Freundschafts-
beweis. ^) Des Hern an Perez' Meldung an seine Tochter Isa-
bel, den päpstlichen Dispens betreffend, zur Vermählung mit
dem Montanes — all diese Scenen vermögen nur, als Bündel
trockenes ßeissig, unsern Sehnsuchtsdrang nach derjenigen Scene
in lebhafter Gluth zu entflammen, worin Dona Isabel ihrem Va-
ter das lautere Geständniss ihrer Liebe für Don Juan ablegt,
mit der Fälschung als Beischlag, dass er sie verführt und plantirt
habe. ^) Der fälschende Beischlag fördert, wie bei Silbermünze,
1)
Ten celos, bestia; ten celos,
Majaderon confiado.
^)
Mont.
— ^No estäs
Herido?
D. Luis.
Y ^tii ne quedaste herido?
3)
M 0 11 1.
Mi nobleza se asegura,
Su esposo, Don Luis, seräs
D. Luis.
Yo me fio
De vuestra noble araistad.
4)
Me dio la palabra,
Que atrevido rompe.
39^
ß|2 r^3,s spanische Drama.
den Cours und Annahme ihres Geständnisses für den Vater, zu-
mal Don Juan de Guevara von achtem alten Adel ohne
Kupferbeischlag. ^ Don Juan's Freude über die Pistole, die ihm
Isabel's Vater auf die vermeintlich treulose Brust setzt, um den
vorgeblichen Eheflüchtling zur Heirath und Ehrenrettung der
Tochter zu zwingen 2), Don Juan's Jubelfreude über diesen uner-
warteten Ausgang der Komödie bricht um so unaufhaltsamer
durch, als dieser Ausgang hingehalten worden, und von ihm
selbst hingehalten, da er jetzt noch, unter dem Hochentzücken
über die Pistole vor der Brust, seine Armutb geschämig vor-
schützt, bis Isabel den Furchtsamen an ihr Herz reisst und zum
Ehemann, den Seligen, presst. ^) Montanes nimmt mit Dona
Leonor vorlieb, die ihm, auf das vom Vater verheissene Reit-
pferd hin, als Leibrente^), die Hand reicht. Dem Don Julian
hilft der Escudero mit dem Nachtständchentopf oder Ständ-
chennachttopf aus dem Traume seiner Ansprüche auf Dona Isa-
bel. Selbst Tantenmörder Bernardo lässt sich die ihm ihre
Hand zum Ehebund reichende Tante Aldonza als eventuelle
Schwiegermutter gefallen. '')
1)
Isabel (ap.)
Herile por la hidalguia;
Amor, i Victoria, victoria!
2)
Hernan.
El traidor muera,
Si al momento no se casa.
3)
Cobarde
Pecador, ^que temes? Llega:
Que ä mi melo debes todo.
4)
Hernan.
— Que tanta renta
Le pondre, que ande ä caballo.
Dona Leonor.
A caballo, eso nie basta.
5)
Dona Aldonza.
(däle la mano)
Eecibesme ?
Bern.
Por mi taegra.
Don Luis de Belmonte Bermudez. 613
Don Luis de Belmonte Bermudez. ^)
El Diablo Predicador y major contrario amigo.^)
Das kirchliche Thema geht auf Wiedereinsetzung des in
Lucca gefährdeten Pranciscanerordens in sein Kloster und sein
Almosenrecht. Ein originelles und pikantes Motiv ist, dass diese
Wiedereinsetzung durch den Teufel (Luzbel) bewirkt wird, der,
im höchsten Auftrage des göttlichen Kindes, die Wiederherstel-
lung in der Gestalt eines Mönches predigt, so dass es manchmal
1) Um 1587 zu Sevilla geboren. 1605 war er in Lima, wie er selbst sagt,
im Prologe zu seiner 1622 erschienenen, mit noch andern acht Ingeniös
zusammen verfassten Comedia: *Algunas hazarlas de las muchas
de Don Garcia Hurtado de Mendoza, marques de Canete'.*)
Ausser dem Achtel dieser und dem Antheil an einigen andern mit Cal-
deron und Moreto, Martin de Meneses u. A. in Gemeinschaft ver-
fassten Comedias und seiner von uns erörterten Teufel-Prediger-Komö-
die**), ist Belmonte Bermudez auch als Verfasser von zwei episch-lyri-
schen Poemen bekannt: 'La Hispalia', bisjetzt, uns wissentlich, noch
ungedruckt, und das 1616 herausgegebene Poem: *La Aurora de
Cristo\ Auch an den Preisdichtungsfesten zur Feier des h. Isidoro
(1620, 1622) und des wunderlichsten aller Heiligen, San Ignacio de
Loyola, nahm unser Belmonte Bermudez Theil (1622), mit Sonetten und
Canzonen in Octaven.
2) „Der Teufel als Prediger und der Freund als grösster Widersacher".
Schauplatz die ital. Stadt Lucca.
*) Einige Thaten von den vielen des Don Garcia** u. s. w. Die Comedia
ist dem Sohne des Mendoza, Seigeurs von Arauco gewidmet. ~ **) Von
derselben sind drei handschriftliche Copien in der Bibl. de Osuna vor-
handen, unter der Jahreszahl 1635, und dem Francisco de Villegas
zugeschrieben. In einem Einzelabdrucke wird als Verfasser bald Fray
Damian Cornejo, bald Francisco Malaspina genannt, der sie aber
nur umgearbeitet hat. Mit dem Autornamen des Luis de Belmonte er-
schien sie in der 'Parte sexta de Comedias de los mejores ingeniös de
Espafia'. Zaragoza 1653. 1654. Leirado führt noch ein Dutzend mehr oder
minder zweifelhafter vielvätriger oder ausschliesslich unserm Bermudez bei-
gelegter Stücke an, meist handschriftlich. Mögen sie die Manuscripten-
Würmer fressen oder pressen! — wir unseres Orts boten sie sämmtlich
zum Diablo-Predicador.
()14 ^^^ spanisclie Drama.
d^ Anschein gewinnt, als könnte dem Bermudez selbst, beim
Abfassen dieses Mönchs- Auto, der Teufel als Schalk im Nacken
gesessen haben, und dass er, der Autor, der zum ßechtsfreunde
befohlene verkappte Widersacher des Franciscanerordens war. Durch
dieses eigenthümliche Grundgewebe schlingt sich die weltliche
Liebe des Tlorentinischen Ritters Feliciano zu der ihm früher
bestimmten, nun aber mit Ludovico, einem reichen Geizhals
in Lucca, nächst Teufel L uz bei (Lucifer), dem unversöhnlichsten
und verstocktesten Feinde des Franciscanerordens, vermählten,
höchst tugendsamen Frau Octavia, die ihres einstmaligen Ju-
gendgeliebten, Feliciano, Liebesanträge, aus ehelicher Treue
zu ihrem verhassten Gatten, standhaft zurückweist, schliesslich jedoch
von dem Mönch-Teufel, dem 'Diablo Predicador', als Eheprocu-
rator, mit dem Geliebten vermählt wird, nachdem der verruchte
Geizhals vom Teufel geholt oder in die Hölle gepredigt und ge-
betet worden.
Erste Jornada. Luzbel (Lucifer) erscheint auf einem
Drachen, ruft seinen Collegen, Asmodeo, aus der Hölle empor,
erzählt ihm den Anlass zu seiner Weltfahrt in 4V2 Folio-Colum-
nen, die eine widerwillige Verherrlichung und Vergieichung des
H. Pranciscus mit Jesu Christo verkünden, ferner seine, Luzbel's,
ingrimmige Feindschaft gegen des Heiligen Ordensjünger, die
Franciscaner, Luzbel's grösste Gegner 0, die -elenden Barfüsser,
über deren besondere Gunst bei Gott Vater und der h. Jung-
frau er sich mehr, als über alle von Gott und Jungfrau ihm
zugefügten Unbilden, ärgere. ^) Fordert seinen höllischen Bruder,
Asmodeo auf, nach Toledo in Spanien zu eilen, wo die Fran-
ciscaner am eifrigsten gehegt und gepflegt wurden, daselbst die
Bevölkerung gegen sie aufzuhetzen und Gottlosigkeit unter die
Mittelclasse zu säen, da die Reichen ohnehin die Almosenbedürf-
tigen hassen.^) Während er selbst, Luzbel, in Lucca, den
1)
Son mis contrarios majores.
2)
Que a tantas persecuciones
Estos miseros descalzos
Tantos vencimientos logren . .
3)
— siembra impiedades
En los de mediana porte . . .
Belmonte Bermudez: Der Teufel als Prediger. 615
Franciscanermönchen die Hölle heiss machen, ihnen den Riegel
vor dem von ihnen gegründeten Kloster vorschieben, und Schimpf
und Misshandlungen von den Einwohnern, statt Almosen, zu-
schanzen wolle. 1) Hierbei würde ihm ein reicher Geizhals aus
Lucca, Namens Ludovico, eifrig zur Hand gehen, dessen Gat-
tin aus Florenz eben in Lucca eintreffe, die von ihrem Vater,
einem vermögenlosen, goldgierigen Edelmann, mit diesem ehr-
geizigen Viehkerl'^) verheirathet worden. Asmodeo besteigt
Luzbel's Kennthier, den Höllendrachen, zum Fluge nach Spanien.
Luzbel rüstet sich zu seinen den Mönchen zu spielenden Teu-
felsstückchen. Ludovico empfängt seine aus Florenz mit ihrer
Dienerin Juana eintreffende, vor seiner Hässlichkeit schaudernde
junge Gattin ^) mit aller Filzigkeit eines reichen Knickers. Luz-
bel, beim Empfange unsichtbar gegenwärtig, hat seine Freude
dran, und begleitet das darauf folgende Gespräch der tugendhaf-
ten Octavia mit ihrem vormaligen Freier, Feliciano, den
Ludovico als Verwandten seiner Neuvermählten duldet, mit
entsprechenden Apartes und Einbläsereien gegen die Gattin und
den heimlichen Anbeter. Ludovico's Eifer für Almosenspen-
den erfährt der Klosterguardian sogleich, der mit Bruder
Antolin, dem Gracioso im Mönchsspiel, vorspricht. Barsch und
grob weist ihnen Ludovico die Thür, zu Octavia's stillem Kum-
mer, die ihr Loos, das Zusammenleben mit einem solchen Men-
schen, beiseit ihrer Dienerin Juana klagt. ^) Luzbel hat sich.
No en los ricos te embaraces,
Que —
Aimque vean dos mil pobres
No harän reparo ninguno.
1) La conservacion no logren .
De un convento que han fundado,
Haciendo en sus moradores
Que las limosnas conviertan
En vergonzosas baldones.
2) Con este ambkioso bruto.
3) Horror el verle nie lia dado.
4) Juana,
Morir serä lo mas cierto,
Pues naci tan desticbada.
Qlß Das spanische Drama.
als Überflüssig neben einem solchen Wicht, entfernt. Bruder
Guardian, der sich durch eine besonders feine Nase für Wit-
terung von Teufel und HöUenunrath auszeichnet, hat es schon
dem Ludovico angerochen, dass der Teufel aus ihm spreche.^)
Wüthend bedroht der Geizhals die beiden Klosterbrüder als Va-
gabunden mit Mord und Todtschlag. 2) Guardian erscheint mit
Bruder Antolin vor dem Gobernador, ihre Noth klagen.
Schon liegt diesem aber Luzbel, als unsichtbarer Einbläser, in
den Ohren mit verhetzenden Apartes gegen die Pranciscaner.
Zum Unglück für den Guardian und sein Kloster spielt ihm
sein Teufelsriecher, die Nase, wiederum den Streich, auch am
Gobernador den Teufelsbraten zu riechen. 3) Ein zorniges Ver-
bot des Gobernadors, den Mönchen Almosen zu geben, ist der
Bescheid, womit des Guardian feine Teufelsnase, als lange, ab-
zieht. Nun steht Luzbel selbst mit einer solchen vor dem ver-
schleierten Kind Jesus, das durch Engel Michael dem Teu-
fel gebieten lässt, dass er den widerspenstigsten Almosen- und
Franciscanerfeind , den Geizkragen Ludovico, zum Almosen-
austheiler an die Mönche umstimme mit Teufelsgewalt. „Was?"
— schreit Luzbel — „Gewalt? Ich soll gegen mein eigenes
Höllenfleisch wüthen? Dass Gott sich erbarme über mein Ge-
schick!"^) Das dicke Ende seines Jammers kommt aber erst
mit des Erzengels Befehl, im Namen des verschleierten Jesuskin-
des: Luzbel solle sich sofort und unweigerlich aufmachen und, in
Gestalt eines Franciscanermönchs, das ausrichten, was der h. Frau-
ciscus selber thun würde, in's Kloster nämlich sich verfügen, und
die Mönche, die den Entschluss gefasst, die Stadt zu verlassen
und ein anderes Kloster aufzusuchen, daselbst festhalten, und
Almosen für sie einsammeln und für ihren Unterhalt sorgen.
Man kann sich LuzbeTs Gesicht denken, nachdem die himmli-
sche Erscheinung, das verschleierte Jesuskind, und der für
1)
El demonio por ti habla.
2)
Matad esos vagamundos.
3)
Sin duda
Mueve el demonio tu lingua.
^)
^Yo contra mi Tni.smo? jPesia
Mi desdicha!
Der Teufel als nothgedruiigener Franciscaner. 617
ihn fürchterlichste aller Erzengel, der heilige Michael, sich ent-
hoben, unter dessen Fusstritt er seiner Zeit geächzt und als
Höllenwurm sich elendiglich gekrümmt und gewunden ! Man kann
sich LuzbePs Gesicht und den Monolog denken, den er über
die unerhörte Zumuthung hält: „Er soll den Heiligen spielen,
den Almosensack über die Schulter nehmen, und sich vor allen
seinen Teufeln so lächerlich blamiren! Was aber machen? Mit
San Michael ist nicht zu spassen. Zwinge Dich, Israel, und
bange Dich, Jacob I^) Du bist nicht der erste Teufel, der in
einer Kutte steckt. Frisch denn, die Kapuze über die Ohren
und den Bettelsack über die Schulter!'' Da steht er schon, als
Franciscaner, vor Pater Guardian und Bruder Antolin: „Ge-
lobt sey Jesus Christus!" grüsst er die Brüder mit einer aparten
Kolik- Grimasse. 2) Guardian schlägt ein Kreuz über seine
Nase, die sich schon aufs Wittern legt 3), und Bruder Antolin
fragt sich: Durch welche Thür ist dieser Bruder denn eigent-
lich eingetreten? 4) Bruder Nicolas versichert, er habe selbst
die Thür zugeschlossen. Bruder Luzbel meint dagegen: Vor
Gott sind alle Thüren gleich, verschlossene wie offene^), und
giebt sich als „Bruder Gehorcher mit Teufelsgewalt, vormals
Cherub", zu erkennen. 0) Guardian dringt auf Angabe von
seines Kommens Zweck durch verschlossene Thüren, dergleichen
scheine seiner Nase nicht geheuer, er für seine Person zittere "),
und sie für die ihrige wittere. Letzteres erscheint dem Fray
Antolin so bedenklich, dass er sich nach Ysop und Weihwasser
1) Pero ^para que me causo,
Si el ejecutarlo es fuerza?
2) Deo Gracias,
Hermanos (ap.) jFiero castigo!
3) iValgame Dios! (iQuien es, padre?
4) (jPor donde ha entrado este fraile?
5) No hay puerta
Cerrada al pader divin 0
6) Mi nombre es y mi apellido
Fray Obediente Forzado
De antes Querub . . .
7) ;Temblando estoy!
618 Das spanische Drama.
umsieht^), um Guardian's ßiecher zu besprengen für den Fall,
dass es der Böse wäre. Pater Luzbel bestellt seinen von Gott
selbst erhaltenen Auftrag unter bauchgrimmigen Apartes/^) Die
Mönche geloben, das Kloster nicht zu verlassen, und sehen, ins-
besondere Bruder Antolin, dem gefüllten Almosensack des
Paters, „Gehorcher aus Höllenzwang, vormals Cherub", mit wäss-
rigem Mund entgegen, nicht ohne Zwinkeln der Nasenlöcher von-
seiten Pater Guardians 3), und nicht ohne leises, instinctmässiges
Mitschnoppern vonseiten Bruders Antolin 4), der kein Auge von
Guardian's Nase lässt. Mit Luzbel's Aufforderung an Bruder
Antolin, ihm beim Almoseneinsammeln mit den nöthigen Trag-
körben zur Hand zu seyn, und mit der Versicherung, dem zweiten
Komödientitel: su mayor Contrario Amigo, als Schlussvers, geht
die erste Jornada unserer humoristischen Mönch-Teufels komödie
zur Rüste.
In der zweiten Jornada kommen sämmtliche Mönchsnasen,
mit Pater Guardian's seiner an der Spitze, immermehr dahinter,
dass Fray Forzado der Geist sein möchte, der stets das Böse
will und stets das Gute schafft.^) Fray Antolin und sein
Klosteresel sind reichbeladen mit Almosenspenden zurückgekehrt,
und kann nicht genug von den Seltsamkeiten erzählen, die er an
dem Wundermann, dem Fray Forzado, unterweges erlebte.
Schnellfüssiger, als der Wind, arbeitet er für hundert Bar-
1) Yo apercibo
Hisupo y agua bendita,
Por si acaso es el inaligno.
2) (ap.) ;Que yo tal pronuncie!
(ap.) jVoleanes respiro!
3) Este es angel; no replico.
4) Alguna sarna se cura
El padre; que el olorcillo
Es de azufre.
Der Pater muss die Krätzcur halten
Denn er riecht ein weniges nach Schwefel.
5) Fray Pedro.
Yo creo que es angel . . .
Guardian (ap.)
Puede ser; pero no bueno.
Der Teufel als Pater mit Teufels-Gewalt. 619
füsser. 1) Für Guardian's Aparte's ist es eine ausgemachte
Sache, dass Pater F orz ad o niemals in solchen Ehren gestan-
den, seitdem er vom Himmel gefallen, ^j Gleich geschäftig zeigt
sich der Teufel-AImosenier und Almosenprediger bei dem neuen
Ehepaar. Octavia weist alle Versuche ihres Vetters und ehe-
maligen Geliebten Feliciano, durch Juana eine Unterredung
mit ihr zu erlangen, unerbittlich zurück, entreisst ihm ihr Lie-
besbriefchen aus früherer Zeit und zerreisst es vor seinen Augen,
mit der Drohung, ihn durch ihren Gatten Ludovico ermorden
zu lassen, wenn er sich nicht schleunigst entferne. Ludovico,
der dies im stehenden Winkel (rincon) der spanischen Bühne be-
lauscht, findet die Briefschnitzel, buchstabirt so viel heraus, als
nöthig zu dem Vorsatz, Octavia zu erdrosseln.^; Wer hält
ihn davon ab? Luzbel, Pater Forzado, der die Jago's auf
den Weg der Tugend zu predigen, die Heiligen-Mission und das
Teufels-Zeug hat. Der Teufel tritt ihm mit der Almosenbüchse
in die Quere, worüber Geizhals des Teufels ist vor Wuth und
dem infernalischen Almosenmönche Widerwillen und um Got-
teswillen Dämon , Höllenphantom , und solcher Verbalinjurien
mehr in's Gesicht schnaubt^), als bliese sie Pater Guardian's
Teufelspech und Teufelsdr— schnüffelndes Nasenloch. Dem
Wucherer und Geizhals geisselt Luzbel das unbarmherzige Ohr
mit socialtheoretischen Hieben, dass es schier schallt wie ein alt-
Held'scher Leitartikel: „Glaubst Du, Dein Capital sey Dein ei-
gen? Nicht etwa das durch Wechsel wucher ergaunerte Vermögen
ist Eigenthum, sondern das im Schweisse des Angesichts durch
Arbeit von Früh bis Abend verdiente und im Arbeitsschweiss
1) El camina luas que el viento,
Y trabaja por cien hombres.
2) Guardian (ap.)
Nunca se viö tan honrado
Desde que cayo del cielo.
3) Mis manos en su garganta
Podran impedir que acudan
A sus voces las criadas . . .
4) No se.
Como no temes mi furia
Fraile, fantasma 6 demonio.
620 I^as spanische Drama.
genossene Brot, i) Was? Du dünkst Dich Herr und Eigenthü-
mer Deines Besitzes, Du Krähe! der nur mit lauter fremden,
von anderer Leute Arbeitssch weisse glänzenden Federn prangt?" ^)
El Diablo predicador ein Socialdemokrat, Socialreformer! Der Teu-
fel als Prediger und Eeelamemacher für die Socialdemokratische
oder Alt-Heldische! — Nicht blos in diesem Franciscaner-Auto,
in den meisten Autos, selbst sacramentales , streut der Teufel
solche socialistische Dörner unter den Waizen, oder — wie
man's nimmt — dieses Waizenkorn unter die Dörner, und pre-
digt aus der Biblia pauperum den Armen das socialistische Evan-
gelium, die reichen Schlemmer, Börsenmäkler, Gründerund Ca-
pitalisten als Höllenböcke, die Armen als Himmelsschafe gegen-
einanderstellend mit Schellen von internationalen Tendenzen, die
freilich noch hinter der eisernen Maske der Almosenklosterbüchse
als Pfennige kirchlicher Barmherzigkeit klappern, welche Maske
aber doch schon auf das communale oder internationale Visier
hindeutet, mit welchem drei Jahrhunderte später der Krieg gegen
das Capital von den Kadmus-Rittern oder den LuzbeUs der so-
cialdemokratischen Theorien geführt werden wird. Insofern hat
das spanische Auto sacram. eine culturhistorische Bedeutung
und gährt in seinem Brotdogma die Brotfrage. Am ent-
schiedensten arbeitet dieser Sauerteig in dem längsten aller Autos
*Las Cortes de la Muerte', dessen Grundmotiv als der Zwie-
spalt zwischen Pauperismus und Capital, in der Form von Al-
mosenbarmherzigkeit und Bettelmöncherei freilich immer noch,
bezeichnet werden kann. Es sollte uns leidthun, wenn die Länge
des gedachten, durch alle Stände vor den Cortes des Todes die
Armenfrage, für's erste als Barmherzigkeitsfrage, hindurcherör-
1) Y no solo la adquirida (fortuna)
Con viles caml^ios y usuras
Oro es toda de quien la goza,
Sino la del que madruga
Para el trabajo ä la aurora
Comiendo de lo que saca.
2) Pues ^Como tu de la hacienda
Dueno absuluto juzgas
Siendo corneja, vestida
De tantas ajenas pluraas.
Der Teufel als Alraosensammler. 621
ternden Auto — wenn der Umfang dieses Auto , als Armen-
advocaten, dasselbe unserer Analyse entziehen sollte, deren enger
Walfischschlund wohl Schwärme von dramatischen Häringen,
ganze Tonnen voll Auto-Sardellen verschlingen kann, aber nicht
die Tonne zugleich, mit der sie blos zu spielen sich begnügen
und bescheiden muss.
Den Almosen- und Barmherzigkeitsdolch setzt auch unser
Luzbel dem hartherzigen Capitalisten Ludovico an die Kehle,
nebenbei auch das Gottesschwert des jüngsten Gerichts über
dessen Haupt schwingend. Vor diesem Eichtschwert zittert, reue-
zerknischt^ der Wucherer; dem Almosendolch an der Kehle aber
setzt er den metallenen Geizhals unerweichlich entgegen. ^)
. Luzbel sprüht Höllenfunken vor Zorn und schnaubt den Wuche-
rer an: „Verworfne Creatur! Du schlimmer als Luzbel! Denn
Lucifer, wenn er könnte, würde Reue fühlen; Du könntest
bereuen und willst nicht!" 2) Der Wucherer schreit nach
Hülfe — unter dem Keulenschlage und Ruf: 'La bourse ou la
vie', lässt der Börsenmäkler das Leben, aber nicht die Börse —
Diener stürzen herbei und wollen den zur Thür hinauswerfen,
der mit den Pforten der Hölle zur Thür hereinfällt! Gracioso-
Scenen zwischen Luzbel und Bruder Antolin, der vom barm-
herzigen Almosenteufel beim heimlichen Beschmausen des einge-
sammelten Vorraths und hamsterartigen Verbergen eines guten
1) Luzbel. Mira que de su justicia
La divina espada empuiia . . ,
Mira que ya la desnuda,
Mira que el brazo levanta,
Mira que el golpe ejecuta.
Ludovico. Yame arrepiento.
Luzbel. — Pues ^que dudas?
La caridad es puerta.
dame limosna
Ludov. Eso HO.
2) Vil creatura,
Peor que Luzbel te juzgo,
Pues si el pudiera, sin duda
Fuera su arrepentimiento
Tan grande como su culpa,
Y tu, pudiendo, no quieres.
522 ^^^ spanische Drama.
Theils in seine Backentaschen betroffen, und vom mildthätigen
Sohn der Hölle gezwungen wird, das Unterschlagene den herbei-
gerufenen Armen herauszugeben; LuzbeTs Scenen ferner mit
Feliciano, der, als Vetter und Liebhaber, Anstalten zur Ent-
führung Octavia's macht ^), und von Pater Luzbel auf Octa-
via's schliessliche Lebens- und Ehrenrettung durch Den ver-
tröstet wird, der ihn, den Teufel, mit seiner Heilssendung be-
traut hat 2), — vertröstet wird mit dem stillen Vorsatz, im näch-
sten Teufels-Monolog Gott den Herrn zu fragen, warum er ihn
gerade, der am wenigsten dazu berufen, geschweige auserwählt —
ihn gerade zum Vollbringer frommer Thaten auserkoren ^), der sich
dagegen nur mit seiner stehenden Redensart verwahren könne:
Non possumus?" — Gedachte Scenen gehen nach der Schluss-
scene vor sich, die mit Octavia's vom verruchten Geizhals, trotz
Abmahnung des unsichtbar bleibenden Luzbel^), vollführten Er-
mordung der zweiten Jornada ihren Teufelsschlussantheil unter
des Erzengels Michael Aegide zumisst. „Ich sterbe unschuldig;
heilige Jungfrau verleihe mir Deinen Schutz !" — haucht Octavia
als ihren Todesseufzer aus. — . Siehe, da steigt auch schon die
heilige Jungfrau in einem Engelchor hernieder, berührt mit ihren
himmlischen Händen die Erwürgte, sie zum Leben erweckend,
und entschwebt, vom Höllen-Pater Luzbel auf den Knieen ange-
betet, wie von einem der Apostel bei ihrer eigenen Auferstehung
und Himmelfahrt. Die erstandene Octavia will dem Teufel
die Püsse küssen, dem h. Beizebub, in der Meinung, dieser habe
sie vom Tode erweckt. Bescheiden lehnt er den Pantoffelkuss
ab, die Auferstandene an die heilige Jungfrau, und den Feli-
ciano, der schon voller Freude sich zu Octavia's Entführung
gemeldet hat, nach Gottes Beschluss verweisend, dass ihm, Luz-
bel, genannt Pater mit Teufelsgewalt (Forzado), Octavia's Obhut
1) Por primo suj'^o y amante,
A Octavia debo librar.
2) Pues quien aqui me ha enviado,
Vida y honor le darä.
3) t^ov que a mi me lo niandais?
Sabiendo vos que no puedo.
4) Eucantador, embustero,
^Donde te escondes?
Su caridad der Teufel. 623
bis auf Weiteres vom allerhöchsten Herrn überantwortet worden.
Feliciano möchte nur getrost zur Stadt zurückkehren. Er, des
Herren Sendbote und Stellvertreter auf Erden, werde schon einen
Ort ausfindig machen, wo die Auferweckte vorläufig in Sicherheit
und gefahrlos verweilen könne. ^) —
Der Teufel ist ein strammer Worthalter, was ihm die dritte
Jornada bezeugen muss. Er verwahrt die vom Tod erstandene
Oetavia so unversehrt, als ob sie niemals gestorben wäre, und
nur, wie sie selbst gegen Juana äussert, nur geträumt hätte. 2)
Der Tod ein Traum — das Gegenstück zum Leben ein Traum.
Der Teufel-Prediger bewahrt sie mit so heiler Haut, dass er zu-
gleich die Continuität ihres posthumen Zustandes mit ihrem vor-
todlichen wieder herstellt, indem er sie zu ihrem abscheulichen
Gatten, dem geizhalsigen Würger, zurückbegleitet, mit dem sie,
laut ihrer eigenen, gegen Feliciano's erneute Liebesanträge sich
verwahrenden Erklärung, leben und sterben wolle, als treue,
kirchlich angetraute Gattin. ^) Seine Barmherzigkeit 'su caridad',
wie sich Pater Luzbel — analog dem 'su santitad' und mit
Antwartschaft auf das 'su infalibilidad' — nennen lässt, be-
gleitet Oetavia zu ihrem Galgenstrick zurück, aber an sein
dem Feliciano gegebenes Versprechen erinnernd, dass Oeta-
via nicht umhin werde können, ihm, dem Feliciano, schliess-
lich anzugehören. 4) Währenddessen getröstet sich Ludovico
daheim der Hoffnung, dass seine an ihm mit Hängen und Wür-
gen hängende Gattin von dem Bruder Hexenmeister heimlich
begraben worden^), und lebt nebenbei der Zuversicht, bald den
Feliciano ihr nachzuschicken. Oetavia und Juana ver-
schleiert, Luzbel mit seinem Knappen, Bruder An tolin, un-
\)
Vos, Feliciano, volveos
A la ciudad; que yo ä Oetavia
Pondre donde este sin riesgo.
2)
Mi mnerte,
Como la he dicho, fue un sneno.
3)
— he de volverme
Con el ä vivir muriendo.
4)
Id seguro; que no puede
Dejar de ser vuestra Oetavia.
5)
Ese fraile encantador
De secreto la ha enterrädo.
624 I^as spanische Drama.
sichtbar bleibend, treten bei Ludovico ein. Beim Erblicken
der verschleierten Gattin glaubt Ludovico des Todes zu se}^! vor
Entsetzen. Von allen Schrecken das Schrecklichste ist — selbst
für bessere Ehemänner als Ludovico — eine vom Tode aufer-
standene Trau das Fürchterlichste. Um nicht in Ohnmacht zu
fallen, hält er sie für ein Gespenst, ein Phantasma. ^) Nachdem
sie ihn des Gegentheils und ihrer Verzeihung versichert, schwingt
der Teufelsracker den Dolch, um sie zu einem Gespenst zu ma-
chen. Der bisjetzt unsichtbar gebliebene Bruder Antolin fällt
dem recidiven Mörder in den Arm. Ludovico bleibt verzaubert
stehen, Octavia und Juana entschlüpfen. Ludovico, aus
dem Starrkrampf zu sich gekommen, will seinen Ingrimm an
dem nun unsichtbar gewordenen Bruder Antolin auswüthen,
der ihn aber mit einem zu dem Behufe im Aermel verborgenen
Kieselstein in einen wiederholten Starrkrampf versetzt. Ludo-
vico fühlt einen kalten Schweiss durch die Adern rinnen. 2)
Teufel-Prediger ermahnt den Verstockten zur Besserung, mit so
salbungsvoller Eindringlichkeit, dass dem Sünder das Herz im
Leibe schmilzt, sogleich aber in Starrkrampf verfällt, so wie Pa-
ter Luzbel die Almosen-Saite anschlägt. Eso no — „Alles, nur
das nicht", berlinisch kürzer: „Jo nich!" Nun hat seine letzte
Stunde geschlagen. Luzbel ruft: „Herr! ist es Zeit?" San
Miguel (hinter der Scene) „Ja." „Hinunter mit Dir, Rebell,
elender Frevler!" — donnert ihm Luzbel zu mit der Donner-
stimme, die er am Leibe hat, wo es gilt — „Hinunter mit Dir,
Du mein leibhaft Ebenbild! hinunter in die wilde Flamme, die
Dich zu Kohle für ewige Zeiten brennen soU!"^) Ludovico
1) ;Valgame el cielo!
Fantastica vision.
2) Un frio sudor
Se ha esparcido por mis venas.
3) Rebeide vil pecador.
fiero
ßetrato mio
Adonde en Uaraa feroz
Seas eterno carbon.
lieber- und unterirdische Zauberei. 625
versinkt wie nur der Teufel selbst. San Miguel erscheint in
einer Wolkenmaschine und trägt dem Luzbel auf, dafür zu sor-
gen, dass der Versunkene sein Vermögen an die Armen vergebe.
Luzbel citirt seine Grossmutter Astarot aus der Hölle, die, in
Ludovico's Gestalt, des Erzengels Befehl vollzieht, und in Gegen-
wart des verblüfften Gobernador die Schätze des Wucherers
unter die zusammenberufenen Armen der Stadt Lucca vertheilt.
Luzbel giebt nun auch das inzwischen hinzugetretene Liebes-
paar, Octavia und Peliciano, zusammen, wirft die Francis-
canerkutte ab, aus der er sich zu des Pudels Kern entpuppt, der
er ist, desgleichen die Astarot, seine Grossmama, und versinkt
mit ihr und der Legion Teufel^), die ihm beim Vertheilen von
des Börsenmaklers Ludovico Baarschaften und Staatspapieren
an die Stadtarmen behülflich gewesen, in sein höllisches Erbreich
vor Pater Guardian's ihm nachschnoppernder Nase und vor
Bruder Antolin's glotzenden Augen, der sich darüber zumeist
verwundert, dass er des Teufels Cumpan^) und Sancho Pansa
gewesen. Unstreitig eines der geistvollsten Auto's und, inbetreff
des kühnen, volksthümlichen Gracioso-Humors, der es durchweht,
ein ünicum.
Don Carlos Boil Vives de Canesma. ^)
El Marido asegurado
(Der sichergestellte Ehegatte).
Der Ehegatte, der vor der Verheirathung sich, inbetreff der
Liebestreue seiner Zukünftigen, sicher stellen, in dem heiklichsten
1) Con una legion
De espiritus que le asiste.
2) 6 Que fuese yo
Companero del demonio?
3) Erblickte 1560 das Licht von Valencia. War Mitglied der Acade-
mia de los Nocturnos unter dem nächtlichen Namen 'Recelo' (Besorg-
niss). Befreundet mit Lope de Vega, während dessen Aufenthalt in Va-
lencia, auf den Boil oder Boyl ein akrostichisches Sonett dichtete
(abgedruckt in Lope's uns bekanntem beschreibenden Poem *Fiestas de
Denia\ Val. 1599). Ferner schrieb Boyl zur Feier der Vermählung König
Felipe's III. mit Margarita de Austria ein Epitalamio in Octaven, und
X. 40
526 ^^^ spanische Drama.
Ehepunkte also, Numero Sicher, wie man zu sagen pflegt, ziehen
will, ist Sigismundo, König von Neapel, und die Braut, die
sicüianische Prinzessin, Infanta Menandra, ist das Versuchs-
und Prüfangsopfer, deren eheliche Treue er dadurch auf die
sicherste Probe zu stellen ^sich getröstet, dass er sie in ihrem
Verhalten gegen einen als mitverlobten Bräutigam untergescho-
benen Substituten beobachtet. Der Substitut ist Con de Man-
frede, der, zum Glück für die wenigstens subjective Richtigkeit
der Beobachtung und für Erlangung eines für die Beobachtung
geeigneten Phänomens — ein ernstes Liebesverhältniss mit der
Schwester des Königs Sigismundo von Neapel, mit Prinzessin
Fulgencia hat, das aber für den königlichen Bruder bis zu
Ende ein Geheimniss bleibt. Zum Glücke! Denn sonst hätte
der auf Ehetreue experimentirende Frauenherzensforscher gleich
bei der ersten Verrichtung, behufs Gewinnung eines reinen Phä-
nomens, seinen Unberuf zu solchen Beobachtungsanstellungen be-
kundet, massen der Substitut in die sicilianische Infanta sich
allen Ernstes hätte verlieben und Gegenliebe finden können, ohne
dass im Mindesten deshalb die Richtigkeit des Experiments tan-
girt und in Frage gestellt worden wäre. Die Berechtigung zum
Experiment konnte König Sigismundo nur aus der Braut schon
erprobter Liebe für ihn schöpfen; einer Braut, die er nie, und
die auch ihn nie gesehen ; um die er durch Procuration, von sei-
nem Abgesandten nach Palermo, hatte werben lassen. Zum
Glück, zum zweitmaligen Glück für das Experiment, hatte der
Gesandte König Sigismund's Portrait der sicilianischen Prin-
zessin mitgebracht, so dass der König sich ihrer Liebes- und
Treueverpflichtung jedenfalls in effigie versichert zu haben, und
auf diesen bildlichen Versicherungsgrund das Experiment der
weiteren Sicherstellung anstellen und bauen zu können glauben
verschiedene andere lyrische Poesien (in der Gedichtsammlung 'El prado
de Valencia'. Herausg. von D. Gaspar Mercader Conde de Bunal.
Val. 1608). Von dramatischen Dichtungen sind hlos zwei Comedias des
Boyl bekannt: *E1 Marido asegurado', die wir unseren Lesern der
Länge und Breite nach vorlegen, und *E1 Pastor de Menandra, ein
wenig bekanntes, von Jimeno angeführtes, von Garcia de la Huerta
nicht erwähntes Stück. Boyl's Sterbejahr und seliger Sterbetag werden
merkwürdigerweise von den Biographen angegeben: 24. Febr. 1621.
Ein Labyrintli von Portrait-Wirren. ß27
durfte. Stellt denn nun wirklich König .Sigismundo auf Grund
dieses durch eine Portrait-Liebe errungenen Anspruchstitels die Probe
an? Keinesweges! Er experimentirt auf ein ganz anderes Phänomen
hin: auf die unbedingte, Ehetreue schlechthin, seinem eigenen
Portrait in's Gesicht, und auf die Voraussetzung, dass Infanta
Menandra, Cond e Manfrede, mit dem Sigismundo die
Bräutigams-ßoUe tauschte i), von diesem Personenwechsel bona fide
getäuscht, für König Sigismundo halten und ihn als den mit
ihr verlobten Bräutigam nehmen werde. Mit ihr verlobten? Da
sie doch König Sigismundo's Bildniss als das ihres Bräu-
tigams aus der Hand seines Brautwerbers, seines Gesandten,
empfangen ? Zum Glück, zum drittmaligen Glück, ist dieser vom
König Sigismundo selbst angewiesen, der Infanta Menandra,
die dem als König Sigismundo sie empfangenden Manfrede
das vom Gesandten ihr zugestellte Portrait des als Manfrede
gegenwärtigen Originals vorzeigt, weiss zu machen, dass er, Ge-
sandter Honorio, bei der üeberreichung die Portraits verwech-
selt, und ihr Manfrede 's, statt König Sigismundo's, Portrait
zugestellt habe. Der wirkliche Manfrede kann daher getrost
die Infanta bedeuten; das von ihr vorgezeigte Portrait sey des
(Pseudo-) Manfredo Bildniss. Wenn jemals in einem spanischen
Stücke das nationaltypische Parallelbild sein Wesen trieb, so ist
es in diesem Gattentreueassecurations- und Gattensicherstellungs-
Drama, dem genuinen Urbild-Drama des genetisch dem National-
geist eingeborenen, um eine imaginäre Bildniss- und Personenver-
wechslung sich bewegenden doppelbildlichen Paralleltypus, in je-
dem der nun sich aufrollenden Situationsbilder des Stückes durch-
gängig abgespiegelt. Wie kam nun überhaupt König Sigismundo
auf den Gedanken, ein so verwickeltes Phänomen seiner Beobach-
tung zu unterziehen ? Den Gedanken blies ihm auf gut spanisch
ein Eifersuchtsverdacht auf den Duque Norandino ein, der in
Palermo zu den eifrigsten Anbetern des Infanta gehörte'-^), der
1) Quiero que vos llame el mundo
A Sigismundo, Manfredo,
Y a Manfredo, Sigismundo.
2) Sigism. A Norandino ha tenido
Por galan Menandra bella,"
40*
ß28 ^^s spanische Drama.
sie nach Neapel begleitete, und zum Glück, zum viertmaligen
Glück für die Versuchsmühe und das Beobachtungs-Oel des Kö-
nigs Sigismundo, zu den albernsten herzoglichen Galans der spa-
nischen Bühne zählt. Ein Glück für das vermeinte subjective
Gelingen des Experiments; da ein solcher Galan, im Maasse sei-
ner windigen Albernheit, nur ein negatives Gewicht auf der Wag-
schale der Sicherstellungsgewissheit abgiebt.
In einer so angelegten Komödie musste, selbst wenn sie
keine spanische wäre, jede Scene, jeder Dialog ein Janusgesicht
zur Schau tragen. In einer spanischen Komödie dieses Schlags
wird das Janusgesicht auch noch mit dem Doppelschielen behaftet
zu seyn nicht umhin können, mit Strabismus convergens und
divergens zugleich. Menandra, die Märtyrin dieser auf die
letzten Spitzen hinaufcombinirten Doppelbrautstands- und Dop-
pelehe-Verwechslungsexperimente und Treuheitsproben, wird, im
Verhältniss ihrer für den Pseudo-Sigismundo, fürManfredO; an
den Tag gelegten Treugefühle ^) , den Experimentator, den wirk-
lichen König Sigismundo, mit der Freude eines zu seiner Be-
friedigung gelangenden Experimentes erfüllen; gleichzeitig aber
in demselben Grade dem Manfrede, im Hinblick auf geheimes
Liebesverhältniss oder gar geheimes Ehebündniss mit des Königs
Schwester, Fulgencia, angst und bange machen. Und je mehr
der Pseudo-Manfredo (Sigismundo) Menandra's Eifersucht gegen
seinen Substituten, den vermeinten König, durch Vorspiegelung
von dessen geheimer Liebe für eine Dame 2), ein Phantasiebild ^)
Y quiero, desconocido,
Probar lo que tengo en ella,
Pues he de ser su marido.
1) Menandra (zu Manfredo).
Toda soy obligacion
Todo tu gusto es mi ley . . .
Yo naci para quererte,
Y he de querer tus antojos .
2) Mas no culpemos al Eey,
Que tiene adönde acudir,
3) Sigism. (ap.) Por bautizar
La tengo en el pensamiento.
Pensando estoy ä que nombre.
Mikroskopische Eifersuchtsexperimente. 629
für Sigismuüdo , aufstachelt; desto vergnügter wird sich der
Pseudo-Manfredo mit- diesem neuen für seine Beobachtung er-
freulichen Phänomen kitzeln, i) Und wie juckt ihn, den als Man-
frede verkappten König, nicht erst der heimliche Lustkitzel ob
dem glänzenden Resultat seines Experimentirens , wenn er für
seine heissberedte Liebeserklärung und die Berufung auf sein der
Menandra von seinem Frei werber Honorio überbrachtesPseudo-
Manfredo-Portrait 2) — wenn Sigismundo für diese Aufdie-
probestellung von Menandra's ihre Neigung für ihn, den fal-
schen Manfrede, erstickender Brauttreue eine noch heissere Ver-
schmähungs-, Schimpf- und Verdammungslauge über den Kopf
empfängt, mit der hochentrüsteten Drohung, seine Unverschämt-
heit züchtigen, mit dem Tode bestrafen zu lassen! 3) Die ehe-
liche Liebe, er schlägt sie für die Sicherstellung seiner eheli-
chen — Stirne vor dem Syllogismus cornutus mit Wonne in die
Schanze. Dem Doppelgänger des Königs, dem Manfrede, der
sie nach der Ursache ihrer Entrüstung fragt, erwiedert sie, hinter
Sigismundo's Rücken: ihr Zorn sey ein verstellter 4), und zielt
auf seines, des vermeinten Königs Verhältniss mit einer andern
Dame, einer ihrer Hofdamen ~ doch so, als rüge sie des Pseudo-
Manfredo (Sigismundo) Liebesverhältniss zu sothaner Dame, für
welches Vergehen sie des Manfrede (Sigismundo) Bestrafung ver-
1) Me arrime . , .
Pues sabes que yo te quiero,
Pues sabes que me enternece
Tu duro pecho de acero,
Pues sabes lo que merece
Un amador verdadero,
Pues sabes und noch mehr des Pues sabes —
Sic vos non vobis ... sie vos non vobis . . . Aehnlich ereifert sich Me-
nandra, sie weiss nicht für welchen Manfredo und welchen Sigismundo. .
2) Para enamorar tu ver
Te diö Honorio mi traslado.
3) Vil, viUano
Con el Rey, coi^mi tambien,
Y con mi honra inhumano
Yo te mandare matar.
4) Era un enojo finjido.
ß30 ^^^ spanische Drama.
lange. 1) Jeder Januszweikopf ist die Atrappe und das Maskeu-
gehäuse eines dahinter verborgenen Jannsdoppelgesichtes, und die
ganze Komödie gleichsam ein Parallel-Palimpsest in unzähligen
Deckschichten. Zuletzt, da Manfredo, der Pseudo-Sigismundo, ein
taubes Ohr zu der Anklage macht, deckt sie ihre Karte auf:
Wie nun wenn i c h die Dame wäre, die der M a n f r e d o (Sigismundo)
mit Liebesanträgen verfolgt? -) Auf diese Anklage sieht sich
Pseudo-Sigismundo, der wirkliche Manfredo, gemüssigt, zwei
taube Ohren zu machen, so dass Menandra voll Aerger über ei-
fersuchtslose Taubheit und gUnzliche Fühllosigkeit gegen den
ihm in's Ohr gesetzten Eifersuchtsfloh, zornig davongeht. Die
Citronenpresse der Verwechslungsspiele drückt diese, wie man
sieht, bis auf den letzten Tropfen aus. Wackere Citronenpresse!
Die Scenen zwischen Manfredo und König Sigismundo,
worin das Janusdoppelgesicht wenigstens ohne Doppelmaske sich
zeigt, besorgen die Eeinigung der Citronenpresse, um sie zu wei-
teren Ausquetschungen in Stand zu setzen. Zwischendurch nimmt
Sigismundo auch die verschimmelte Citrone, den Duque Noran-
dino, in die Presse und quetscht ihm innige Freudenächzer aus
über die Erfolge, die König Sigismundo, auch für den Duque
der Manfredo, bei Menandra zu des Duque Gunsten zu erzielen
ihm versichert. Duque regt in der Quetsche so lustig die vor
Entzücken zappelnden Gliedmassen, wie die hölzerne Glieder-
schlange in der drückenden Hand Kopf, Hals und Schwanz.
Kein so grosses Vergnügen äussert Pulgen cia unter der Press-
schraube, die Menandra's Klage über des Königs (Manfredo)
Kaltsinn gegen sie und seinen absoluten Mangel an Eifersuchts-
empfänglichkeit so nachdrücklich auf Prinzessin Fulgencia
wirken lässt, dass sie dieser Eifersuchtsangsttropfen auspresst. ^)
In diese Tropfen schmilzt die letzte Scene der ersten Jor-
nada, zwischen Fulgencia und ihrem Manfredo aus, der
ihr mit dem Sultanfavorittuch seiner zugeschwornen Liebestreue
den Angstschweiss von der Stirne wischt.
1)
Mandalde, Rey, desterror.
2)
^Y si digo que fue a mi? . .
3)
Fulg.
;Ay triste, que no me agrada
Que ä ti te parezca bien!
Handscliriften-Taschenspiel aus der Hosentasche. 631
Die zweite Jornada eröffnet König Sigismundo mit
einem Tanz, den er nämlich an seinem Schnürchen den Duque-
Hampelmann, den Norandino, ausführen lässt, der, ausser sich
vor Entzücken über die, laut Sigismundo's Versicherungen, ihm
von Menandra geweihte Liebe, deckenhoch springt und, mit
Horazens summo feriam sidera vertice Erde und Himmel, und
Alles was zwischen Erd' und Himmel sich regt und kreucht,
anjauchzt, i) Als ihm gar Sigismundo den Inhalt seines mit
der hinzugetretenen Menandra gepflogenen Gespräches mittheilt,
welcher Inhalt von Menandra's schwärmerischer Leidenschaft für
die herzogliche Marionette überfliesse — die Purzelbäume, die diese
Marionette vor Liebeslust schlägt! Schade, dass wir an seinem
Entzücken uns nicht betheiligen können , maassen dasselbe , wie
diese Eingangsscene überhaupt, nur eine Wiederholung ähnlicher
Scenen in der ersten Jornada ist. Das einzige neue Incidenz
in Sigismundo's für den albernen Duque zum Fopp- und Vexir-
dialog glossirtem Gespräche mit Menandra ist das billet doux der
unbekannten Dame, das sie in ihres Pseudo-Verlobten (Manfre-
do's) Hosentasche 2) gefunden, und dem Pseudo-Manfredo
(Sigismundo) mit der Frage vorzeigt, ob er vielleicht die
Schreiberin mit der Handschrift errathen könne? Und wie kennt
und erklärt er sie ! Handschrift und Schreiberin ! Er erkennt in
der Handschrift die seiner Schwester Fulgencia, und in der
Schreiberin die Geliebte seines Substituten Manfrede, und kaut
in Apartes an der bitteren Pille, anstatt sie zu verschlucken,
unter fürchterlichen Drohungen gegen die leichtfertige Schwester
und gegen den elenden Wicht, ihren unebenbürtigen Liebhaber,
1) Tierra alegre, adonde mora
Un favor tan impensado,
Jardin do nace el aurora
Cielo que no te has mostrado
Sei* tan ciclo como agora;
Plantas que reverdeceis
Con las nuevas que escuchais.
Foentes . . . Pojaros . . . Flores . . . Sol hello . . . etc. etc. cum
gratia in infinitum.
2) Halle en una fattriquera
De aquellas calzas . . .
632 ^^s spanische Drama.
oder gar heimlichen Gatten. ^) Von der schäumenden Wuth, wo-
mit Sigismundo dem von ihm selbst bestellten Doppelgänger das
verrätherische Briefchen in der nächsten Scene vor Augen hält,
kann man sich aus den angezogenen Apartes einen Begriff ma-
chen; desgleichen aus dem bisher erprobten Verwickelungsge-
schicke unseres valencianischen Dramatikers, Don Carlos Boil
de Canesma, sich auch zu ihm ^ der geschickten Finte ver-
sehen, womit sein Manfrede sich aus dieser Schlinge zieht.
Hatte nicht König Sigismundo selbst [ihm, seinem bestallten
ehelichen Doppelgänger, unter den Fuss gegeben, dass er, behufs
Eifersuchtserregung bei Menandra", dieser den Verdacht seiner
heimlichen Liebe für eine Dame beibringe? Konnte er diesem
königlichen Eathe getreulicher und überzeugender nachkommen,
als wenn er, den Menandra doch für König Sigismundo halte,
deren Verdacht auf dessen Schwester, folglich für Menandra,
seine (Manfredo'sj, Schwester, lenke, und die vermeinte Schwester
dadurch noch vermeinter mache, dass er — Sigismundo selbst! —
der Menandra insinuire, die vermeinte Schwester sey eben nur
eine vermeinte, die, unter dem Namen einer vorgeblichen
Schwester, sein (Manfredo's) heimliches Liebchen sey? 2) Bravo
Don Carlos Boil! utroque pollice bravo! So bravo, dass es ihm
König Sigismundo, in dulci jubilo über Fund und Finte, als
bravissimo! zuruft, den Substituten als seinen treuesten Freund,
Doppelgänger und Pseudo-Pseudo an sein Herz drückend ^) , um
das „Ein Schlag und zwei Pseudo-Herzen" vollauf zu gemessen.
Von seines Alter Ego, als Pseudo-Yo el Rey, glücklichem Funde
fühlt sich König Sigismundo's erfindrischer Ehrgeiz so ange-
stachelt, dass auch er sein Verwickelungskunststück zumbesten
1) jAh liviana! [Ah vil villano!
jAh Manfredo mal nacido!
2) Man fr. Si la haces tu creer
Que no es Fulgencia mi hermana,
Sino que en nombre fingido
De hermana, es mi dulce amiga.
3) [Oh mi amigo verdadero,
De mi vida la midad
De mis gustos fiel tercero etc. etc.
Verwickelte Eifersuchts-Zwickmühle. 633
geben muss, mit dem, Manfredo's Doppelfinte überbietenden Kniff,
in Menandra's Gegenwart mit seiner Doppelvermeinten und des
Königs einfachen Schwester Fulgencia so schön zu thun, wie
möglich, um Menandra's Eifersucht auf die Höhe der Ver-
wickelungsfinte — welche zugleich die äusserste Spitze der Ver-
wickelungskunst des spanischen Drama's überhaupt sein dürfte —
zu treiben, und nun, in dieser allerhöchsten Doppelspitze den
glänzenden Spitzpunkt seines überraschend gelungenen Experi-
mentes erblickend, sich selbst am Hochgenüsse von Menandra's
aus reiner, dogmatisch-abstracter Gattinnen-Ehre und Ehetreue
für den vermeinten, nichtgeliebten Gatten, pflichtschuldigst ge-
hegten Eifersucht zu laben und zu weiden. . Aus solchem Ver-
wickelungs-Mechanismus geht nun eine Doppelscene als Triumph
der spanischen Parallelgestaltung hervor, von zwei Gruppen ge-
bildet; auf der einen Seite i) Manfredo mit Fulgencia, mit
der er, des Königs Sigismundo, ihrers Bruders Anordnung buch-
stäblich befolgend, wie in einem tete-ä-tete scharmutzirt. Auf
der andern Seite die darüber, dem ehelichen Ehrendogma zulieb,
sich grün und gelb vor Eifersucht ärgernde Menandra mit dem
falschen Manfredo und ächten, über diese probate, sein Expe-
riment in allen Punkten bestätigende Eifersucht sich bis in den
vierten spanischen Himmel hineinkitzelnden Sigismundo. Ein
zugespitzteres, gelungeneres Aufschraubestellen des Situationsme-
chanismus aufkosten des natürlichen Gefühls und einer psycho-
logisch gesunden Motivirung ist kaum denkbar. Menandra,
das Opfer dieser, man möchte sagen, inquisitorischen Folterda-
menschraube und Pseudo „spanischen Stiefel" als dramatischen
Schnürschuh oder Stiefel der Intrigue — Menandra wankt,
auf Fulgencia gestützt, aus dieser Doppelscene davon, wie eine
peinlich Inquirirte aus der Folterkammer des heiligen Gerichts:
„Weh mir! wie das Herz mir bricht vor Schmerz !" 2) Vor Folter-
schmerz, Du Aermste! „Lass nur gehen" — sagt sie ächzend
1) Nach der Theater-Anweisung: (Aqui se apartan Sigismundo y Me-
nandra a una parte, y Manfredo y Fulgencia ä otro.)
2) Menandra (ap.)
;Ay da mi! que el corazon
Me revienta de dolor!
634 I^^s spanische Drama.
ZU Pulgencia — „denn ein tyrannischer Schmerz wird meinem
Leben ein Ende machen, wenn es meine Hand nicht thut."^)
Alles in; majorem gloriam des Frauenehren-Dogma's ; wie in
der Folterkammer des heiligen Gerichts die wirkliche Marter-
schraube und der wirkliche spanische Stiefel in majorem gloriam
des spanisch-katholischen Qlaubensdogma's ihr Spiel treiben. Und
ein spanischer König und Grossinquisitor könnten ihre gegensei-
tige Befriedigung nach dem Auto-da-fe nicht wärmer und mit
gefühlteren Worten zu erkennen geben, als unser KönigtSigis-
mundo und sein Substitut Manfrede einander beglückwün-
schen 2), mit herzensbrüderlichem Händedruck die zweite Jor-
nada schliessend.
und f Jornada tercerea vollendet das peinliche Unter-
suchungs- und Verhörspiel mit Menandra im Styl des heiligen
Officiums. Gleich im Beginn des dritten Tags sieht man Me-
nandra in ihrer Verzweiflung einen Dolch zücken, um sich zu
tödten, diesen Selbstmord, den Pseudo-Manfredo verhindert,
als. einen christlichen bezeichnend. 3) Pseudo-Manfredo
(Sigismundo), der sie auf das christliche Gesetz verwies ^), schlägt
ihr als bestes Eachemittel vor, die Fulgencia zu ermorden,
und erbietet ihr, für den Lohn ihrer Gunstgewährung, das von
ihm bereitete Gift an. ^) Weiss auch der Zuschauer, was er von
diesem Anerbieten zu halten hat, so bleibt für ihn Menandra's
1) Vamos, que un dolor tirano
Ha de acabarme la vida,
Si no la acaba mi vida.
2) Sigism. Digo que es tan ä mi gusto
Querido amigo Manfredo
Que del placer de este susto
Darte las gzacias no puedo .
3) Y ha de dejar darme muerte
Siquiera por cristiandad.
Antes soy cristiana fiel
— dando muerte ä mis celos..
4) Que desdice tu crueldad
De la ley cristiana.
5) Pues yo el veneno aprestado
Te dare.
Ueberspamiter Intriguen-Bogen. 635
Lage und Stimmung doch peinlich und grausam. Zu der vom
falschen Manfrede als Lohnesdank für Gift geforderten Gunst-
gewährung will sich die ehrendogmensteife Menandra nur un-
ter der Einschränkung verstehen, dass diese Gunst die Grenzen
der Freundschaft nicht überschreite ^), unbeschadet der namen-
losen Freude, die sie über den Vergiftungsvorschlag empfindet. 2)
Sigismundo bereitet das vermeinte Giftgetränk, Menandra
holt es der Fulgencia als köstlichen Labetrank. Fulgencia
setzt den Becher an die Lippen, Manfrede hält sie vom Trin-
ken zurück, und besteht darauf, dass „dieses eifersüchtige Weib" ^)
zuerst davon trinke. Menandra in der grössten Angstklemme.*)
Sigismundo zieht gegen sie , als Vergifterin, den Degen, ruft die
Wache herbei und entfernt sich mit Fulgencia und Man-
frede, die unglückliche Menandra ihrer Seelenqual überlas-
send, die sie in einem Sonett aushaucht. Sie wird als Gefangene
in ihr Zimmer verwiesen, wo sie von ihrem Hofmeister Conrado
erfährt, dass sie zum Tode verurtheilt sey. Er rathet ihr, auf Du-
que-Hampelmanns, Norandino, Fregatte nach Sicilien zu fliehen.
Menandra, als todesmuthiges Ehrenweib von Pseudo-GattLn,
weist selbstverständlich die Rettung zurück. Mag der König
thun, was er nicht lassen kann: sie will sterben und am liebsten
von seiner Hand sterben. ^) Ein Capitan kommt, ihr das To-
desurtheil verkünden. Sie schenkt ihm dafür eine goldene
Kette mit der Erklärung, sie sterbe mit demuthvoUer Ergebung
in die gerechte Verurtheilung ihres hohen Herrn, des Königs. '^
Nun aber die Entwickelung! Der bis auf's Aeusserste gespannte
Bogen der Doppelgänger- Verwickelung zerbricht in der Hand der
Katastrophe. Statt einer der Schürzung entsprechenden Knoten-
1) Men. A'dar favores iiie Obligo
Con amistad sin deshonra.
2) Divino engaiio,:
Que adorar Menandra debe.
3) esta celosa miijer.
4) Men. jQue terrible confusion!
5) Haga el Rey, su acuerdo siga;
Muera, y muera de su mano.
6) Y dile al Rey, mi senor,
Que procede como justo.
636 I^as spanische Drama.
lösung erhalten wir eine, wie beim verzauberten Nestel-
knüpfen, durch Besprechung, kraft Hexenspruch, bewirkte Ent-
knüpfung. Fulgencia stattet nämlich der zur Hinrichtung sich
bereithaltenden Menandra einen Besuch ab, um ihr das Sachver-
hältniss zu erzählen: „Dieser Manfrede ist ein verstellter Si-
gismundo" u. s. w. Tulgencia's Aufschluss soll ein Geheimniss
seyn, was zur Folge hat;, dass Menandra der Auseinander-
setzung gegenüber, die ihr in der letzten Scene Manfrede noch
als König Sigismundo [über die Gründe ihrer Hinrichtung hält,
und den zwei von ihm gestellten Bedingungen gegenüber, an
deren Annahme er ihre Begnadigung knüpft: dass sie nämlich
dem Manfrede (Sigismundo) ihre Hand gebe, und ihn von der
Verlobung mit ihr losspreche, damit er sich mit Fulgencia
vermählen könne — dass Menandra, diesen schliesslichen Erör-
terungen gegenüber, sich in der Lage jenes geheuchelten In-
cognitohahnes befindet, der des Malers Unterschrift; das ist
keine Gans oder Ente, sondern ein Hahn, stillschweigend accep-
tirt. Und nicht blos Menandra — jede der zuletzt noch am
Aufschluss sich betheiligenden Personen, stellt einen solchen durch
seine Unterschrift sich legitimirenden Hahn vor! König Sigis-
mundo mit seinen Aufschlussgebern als Haupthahn, kraft seiner
Namentunterschrift, an der Spitze ein für die Komödie schlimme-
rer Hahnrei, als die, gegen welche König Sigismundo sich
mit seinem Experiment sicher gestellt zu haben vermeint.
Guillem de Castro. 0
El Amor Constante
Die standhafte Liebe.
Nicht des Königs —- namen- und geschichtslosen Königs
— Liebe zur Nisida, der Königin Kammerfräulein — Fräu-
1) In seinen handschriftlich gebliebenen ^Efemerides' berichtet
der aragonische Comthur Don Diego Vieh: „Castro starb in Madrid,
am Montag des Jahres 1621, im Alter von 62 Jahren. Ein hochberühmter
Dichter. Er starb so arm, dass man ihn von Almosengeldern im Spital
der Krone von Aragon begraben musste.*'*) Gleichwohl hatten wenige
*) „Murio Castro en Madrid, lünes el de 1621, de edad de sesanta
y dos anos; poeta famoso; murio tan pobre, quo de limosna le enterraron
Guillem de Castro. 637
lein vor der Welt, Kammerfrau vor Gott und ihrem Gewissen
und ihrem heimlichen Gatten — nicht des Königs Liebe be-
spanische Dichter sich so reichlicher Jahresrenten und Einkünfte, dank der
freigebigen Gunst hoher Gönner, zu [erfreuen, wie Guillem de Castro y
Bellois, der, aus alterlauchter Familie, zu Valencia 1569 geboren, inbezug
auf Anlage, Leichtigkeit und Erfindung, unter den valencianischen Büh-
nendichtern die Stellung etwa einnehmen möchte, die Lope de Vega unter
den castilischen Dramatikern behauptet. Die uns schon bekannten valen-
cianischen Biographen Foster, Rodriguez, Ximeno wissen aus Guillem
de Castro's Jugendzeiten so wenig zu berichten, wie Nicol. Antonio, so
wenig, als hätte ihr Landsmann, der Koryphäe der ältesten und gefeier-
testen der spanischen Bühne, der valencianischen, — gar keine Jugendzeit
gehabt, und hätte sich mit Einem Sprung von der Wiege auf den Rücken
seines Dienstpferdes, das er als Hauptmann einer Küstenwächter-Cavallerie-
Compagnie ritt, und sich im Hui wieder aus dem Reitsattel mit Einem
Voltigierwurf nach Neapel hinüber in die Gunst der Grafen von Bena-
vente geschwungen, die ihn, wie die Raketten den Federball, mit ihrem
Gönnerschläger der Glücksgöttin als Statthalter von Segano in den Schooss
warfen, woraus ihn diese wieder flugs mit ihrer Schürze nach Madrid und
gradenwegs in das von silberumsponnenen Darmsaiten gestrickte Schlagnetz
der Herzoge von Osuna und Olivarez schnellte. Vor lauter Glücks-
würfen kam der Dichter-Federball so weit, dass er die auf seinen zwan-
zigjährigen Ikarusflügen verzettelten Federn zusammenklauben musste, um,
zur Fristung seines und seiner Gattin Leben, Theaterstücke zu schreiben.
Dass es Ikarusflüge gewesen, erfahren wir aus der einstimmigen Beschul-
digung seiner Biographen, die ihm jenen schwunghaft hochfliegerischen
Schwindelgeist, jenen ritterlich-phantastischen Abenteuergeist eines spa-
nischen Dichter-Don Quijote zur Last legen, der [ja auch den Sohn des
Kunstmeisters Dädalos, den jugendlichen Don Quijote der Lüfte, in's Blaue
durch den Aether jagte, und schliesslich in das nach ihm benannte Ikari-
sche Meer stürzte, das nicht stürmischer und klippenvoller, als das Büh-
nen-Meer, worauf so viele Planken gescheiterter Stücke als schwankend
schlüpfrige Bretter treiben, welche dieses Meer bedeuten.
Der genannte aragonische Comthur, Don Diego Vieh, schenkte Guillem
de Castro's von dem berühmten Ribalta gemaltes Bildniss, wie auch
die Portraits anderer Kunst -, Zeit- und Landschaftsgenossen Castro's, des
Komödiendichters Tarrega z.B., des Caspar Aguilar, deren dramatische
Conterfeye wir ebenfalls in unsere Geschichtsgallerie aufnahmen — und
anderer valencianischen Theaterdichter Bildnisse, dem Kloster de la Marta
in der Stadt Alcira, wohin sich G. de Castro zurückgezogen hatte und
en el hospidal de la Corona de Aragon." (Vom valencianischen Biographen
Ximeno mitgetheilt.)
638 öas spanische Drama.
steht die Standhaftigkeitsprobe ; diese Liebe ist, aus unüberwind-
licher Leidenschaft, blos toll, spanisch-fartalistisch-brunsttoU, und
wo er starb. Diese Portraits befinden sich gegenwärtig in der Akademie
San Carlos zu Valencia,
Zwischen G. de Castro und Lope de Vega bestand eine edle kunstge-
nössische Freundschaft. Der grösste castilianische , in der Valencianer
Schule gebildete Dramatiker widmete unter andern seiner Komödien, die
*Las Almenas de Toro' (Die Zinnen von Toro) betitelte dem grössten
Valencianischen Bühnendichter, unserem G. de Castro, welcher als Gegen-
ehrengeschenk mehrere von seinen Comedias Lope's natürlicher Tochter,
Marcela, die auch wir in gutem Angedenken behalten, dedicirte.
Alle Zeitgenossen, die seiner gedenken, stimmen im Lobpreis überein.
Cervantes zeichnet ihn ehrend aus in seinem Viaje. Im prologo zu sei-
nen Comedias rühmt er „die Lieblichkeit und Süsse des Castro.''*) Der
grosse Lope ruft ihn in seinem ^Laurel de Apolo' an als lebensvolles Ge-
nie, Lichtstrahl, Feuergeist.**) Drei Jahre vor seinem Tode erhielt G. de
Castro die Investitur eines Ritters vom Santiago - Orden. Er war auch
Mitglied der Academie de los Nocturnes***) in Valencia.
Als lyrischen Mitkämpfer beim San Isidorfeste kennen wir be-
reits unsern G. de Castro. Dergleichen Festgedichte zur Feier von Hei-
ligen sind von ihm in reicher Anzahl gedruckt in mancherlei Büchern
jener Zeit, und handschriftlich in den Archiven der Academie de los Noc-
turnes und Bibliotheken vorhanden. G. de Castro's Comedias sind in
zwei Theilen erschienen:
Primera parte de las Comedias de Don Guillem de Castro
— Valencia, por Felipe Mey 1618. 4o. Und bei demselben 1621. 4».
*) „Estimense — la suavidad y dulzara de don Guillem de Castro."
**) El vivo ingenio, el rogo,
El espirita ardiente
De don Guillem de Castro.
***) Die „Academie der Nächtlichen" wurde am 4. Oct. 1591 ge-
stiftet und bestand bis zum 15. April 1593. Die Mitglieder versammelten
sich jeden Mittwoch zur Nachtzeit (daher der Name) im Hause ihres Prä-
sidenten Don Bernardo Cathalan de Valerie la. In jeder Sitzung
wurde eine Rede in Prosa verlesen und poetische Productionen vorgetragen.
Der nächtlichen Zusammenkunft entsprachen die akademischen Namen der
Mitglieder: Stillschweigen (Silencio), Schatten (Sombra), Finster-
niss (Tinieblas), Ruhe (Riposo) u. s. w. Guillem de Castro hiess So-
or eto (Geheimniss); Gaspar de Aguilar 'Sombra', Carlos Boil 'Re-
celo' (Besorgniss) , Miguel Bencito 'Sosiego* (Ruhe). —
Guillem de Castro's Leben und Dramen. 639
bleibt es bis tief in die Katastrophe hinein; aber nicht darüber
hinaus. Diese, die Katastrophe überdauernde Liebesstandhaftig-
Dieser erste Band enthält folgende Comedias:
Don Quijote de la Mancha.
El curioso impertinente.
El perfecto Caballero.
El Conde Alarcos,
Las mocedades del Cid, primera parte.
Las hazanas del Cid, segunda parte.
La humildad soberbia,
El desenganado dichoso.
El Conde de Irlos.
Los mal casados de Valencia.
El nacimiento de Montesinos. (El conde Grimaldos).
Progne y Filomena.
Parte segunda de las Comedias de don Guillem de Castro,
dirigidas a Dona Maria Ana de Figuerola y Castro.*) Ano 1625. Valencia
por Miguel SoroUa. 4^\
Enthält:
Enganarse enganando.
El mejor esposo San Jose. (El transito de San Jose),
Los enemigos hermanos.
Quanto se estima el honor.
El Narciso en su opinion.
La verdad averiguada, y enganoso casamiento.
La justicia en la piedad.
Pretender con pobreza.
La fuerza de la costumbre.
El vicio en los extremes. ,
La fuerza de la sangre.
Dido y Eneas. (Los am eres de Dido y Eneas).
Und andere Comedias in verschiedenen Sammlungen oder als 'sueltas'
gedruckt, und handschriftlich (in der Bibl. des Duque Osuiia namentlich,
diesem Manuscripten-Luxor voll handschriftlicher Komödien -Mumien).
Mit Mira de Mescua zusammen schrieb G. de Castro das mythologische
Schauspiel: La manzana de la discordia y robo de Elena (Apfel
der Zwietracht oder Raub der Helena).
Ein Lieblingsthema für GuiUem de Castro, im Unterschiede von an-
dern spanischen Bühnendichtern seiner Zeit, ist der Ehebruch. Schick-
licher und glücklicher als solches Argument ist die Wahl historischer Ro-
*) Guillem' s Cousine.
640 I^äs spanische Drama.
keit verbeispielt das geheimeheliche Liebespaar: Celauro, des
Königs Bruder, und Nisida, das Hoffräulein vor dem ganzen
manzenstoife , die G. de Castro mit Vorliebe und grossem Talent behan-
delt. Das Capa y espada genannte Genre der Sitten - Komödie (Com.
de Costumbre), hat G. de Castro zuerst mit theatralischer Kunstfertigkeit
zur Geltung gebracht. Zu den vorzüglichsten dieses Schlages rechnet die
spanische Dramaturgie die Comedia El Narciso en su opinion (Der
Narciss in seiner Einbildung, Vorbild für Moreto's Comedia de Costumbre:
El lindo Don Diego), ferner die schon durch den Titel die Gattung
kennzeichnende Comedia: La Fuerza del Costumbre (Die Macht der
Sitte oder Gewohnheit), von welcher Lorenzo Gracian in seiner Schrift
'Arte de ingenio' sagt: ,,dass sie durch Schmuck und Schönheit des Verses
wie durch Erfindung den unsterblichen Lorbeer verdiene.^'*) In der Sit-
ten- und Charakterkomödie El perfecto Caballero, zeichnet de Castro
in der Person des Don Martin Centellas ein Muster ritterlicher Voll-
kommenheiten und Tugenden, im seltsamsten Abstich gegen das Hauptmo-
tiv der Handlung, das die doppelte und kreuzweis verflochtene ehebreche-
rische Liebe des Königs von Neapel für Briseida, Cousine und Hof-
dame seiner Gemahlin, der Königin, und parallel zu dieser die Liebe glei-
cher Natur, die Briscida's Bruder für die Königin hegt, zum Gegenstande
hat. Castro's Kunstmänier in Behandlung solcher Motive kann unser Le-
ser aus de Castro' s von uns besprochener Comedia 'El amor Constante'
entnehmen, die sich um einen ähnlichen Zapfen dreht, und auch darin
mit dem 'Perfecto Caballero' übereinstimmt, dass in letzterer die vom
Könige geliebte Briseida dessen verbrecherische Liebe zurückweist, in rei-
ner Liebe glühend für den spanischen Caballero Don Miguel de Cen-
tellas, wie in der Com. 'El const. Amor' Dona Ines für ihren heimlich
mit ihr vermählten Gatten Don Celauro, des Königs Bruder. Weicht
aber zu ihrem ünglimpf und Nachtheil von unserer Castro-Comedia in
dem überaus anstössigen Motive ab, dass dieselbe Briseida die Liebe
ihres Bruders Ludovico zu der Königin begünstigt, und seinen nächt-
lichen Besuch bei dieser fördert, die ihn für den König hält, den sie,
die Königin, als vermeinte Briseida erwartet. Um das Maass von Scan-
dal und frechverbrecherischer Sittenschändung voll zu machen, lässt diese
„Sitten^-Comedia Ludovico's Nachtbesuch im Schlafgemach der Königin
vom Könige überraschen, und diesen vom Ehebrecher ermorden. Ein
französischer Tragiker aus Victor Hugo's gräulromantischer Unzuchtschule
konnte G. de Castro's Perfecto Caballero mit demselben Glück und ange-
massten Ruhme auf die französische Bühne verpflanzen, mit welchem der
*) „por la bizarria del verso y por la invencion merece el inmortal
laurel." (Vgl. Mesonero Apuntos a. a. 0. p. XXIX).
Die heimliche Ehe. Stehender Artikel der span. Comedia. 641
Theaterpersonal, mit alleiniger Ausnahme des Celauro, den der
König, sein Bruder, fünfzehn Jahre lang in finsterer Haft i) ge-
halten, während welcher fünfzehnjährigen Strohwittwer- und Stroh-
wittwen-Zeit 2), sein Söhnlein ^3, aus heimlicher Ehe mit Nisida,
zum Jüngling und Vater- und Mutter-Rächer erwachsen, unbe-
wusst der Eltern, die den Knaben als verschollen beweinen
mussten, seitdem ihn die Mutter, gleich nach der Geburt, einer
Hirtin durch's Fenster, in einem Weidenkörbchen eingeschlossen,
übergeben hatte, um nichts mehr über das Schicksal des Klei-
nen zu erfahren. 4) Diese zum Verständniss der Fabel wissens-
werthen vorgeschichtlichen Ereignisse theilt sie ihrem heimlichen
Gatten Celauro mit, den der grausame Bruder, der anonyme
König, aus der fünfzehnjährigen Kerkerhaft probehalber ent-
lassen, um nämlich seinen Verdacht, Celauro's Verhältniss zu
Nisida betreffend, auf die rechte Fährte zu bringen. ^) Die funf-
grosse Corneille sich Castro's Cid-Drama angeeignet hat und noch immer
als der Vervollkommner und eigenthche poetisch -dramatische Schöpfer
des ,,Cid'' von den französischen Dramaturgen gepriesen wird, und, ihrer
Ueberzeugung nach, mit demselben Kechte, wie G. de Castro in seiner Co-
media 'El curioso impertinente' (Der lästige Neugierige) Lope de
Vega als den Schöpfer der spanisch-romantischen Comedia, im Gegensatz
zur classischen, in die Wolken erhebt.*)
1) En tinieblas de quince afios.
2) De un nino recien nacido
Con lagrimas despedime.
3) Quede sin padre y sin hijo.
4) Saber de — el
Jamas ha sido posible.
5) Key (ap.) Darele la libertad,
Que nunca le hubiera dado,
Yo asi la suspecha mia
Hare segura certeza
Si descubro en su tristeza
Efetos de su alegria.
*) Camila. ,jComo no es mucho que asombre
Con las comedias de un hombre,
Monstruo de Naturaleza?
Duque. ^Es Lope?
Camila. En el has caido etc.
X. 41
642 I^^s spanische Drama.
zehujährige Einsperrungszeit benutzte der König zu unerhörten
Liebesverfolgungen \), unerhört insbesondere vonseiten Nisida's,
an deren heimlicher Liebestreue und Standhaftigkeit des Königs
fünfzehnjähriges Sturmlaufen abprallte, keinesweges aber erlahmte,
sondern so unausgesetzt und so unermüdlich, dass er gleich in der
ersten Scene der ersten Jornada im Sturmanlauf auf Nisida's
Standhaftigkeit die Königin, seine Gemahlin, über den Haufen
rennt mit den Worten ; „Ha, Ehestand , die beschwerlichste aller
Gefangenschaften!"-) in der Tanzstunde, die Nisida mit der
Infanta zusammen nimmt, gebärdet sich der königliche Beren-
ner von heimlichen Strohwittwern so wonnetoll, dass Aristophanes
in ihm einen seiner vor Entzücken coram populo sich besch — en-
den K — kerlinge ei'kennen würde. ^^) In diesen Zustand versetzt
sich der König coram Regina. ^) Bald nachher findet der gekrönte
Mauerbrecher die von einer in Celauro's Armen vor Liebesleid
und Lust überstandenen Ohnmacht sich erholende Nisida,
riecht Lunte, jagt den um sie beschäftigten Bruder Celauro,
mit der Aufforderung, seiner Liebe zu entsagen, hinaus, und nun
up! like a german boar, wie Shakspeare's Pothumus sich derb, aber
bezeichnend ausdrückt. König -boar's up! brunzgrunzt spanisch;
in deutscher Wildschwein-Üebersetzung: „Nisida, halt's Maul!
denn ich sterbe vor Liebe und Eifersucht"^), und up't die noch
halb Ohnmächtige blutrünstig oder brünstig mit der scharfen
Kante ihres Diamantrings. ^) Das Blut macht den Eber zum
blutleckenden Tiger, coram Eegina wieder, die dazu kommt.
König bekennt sich zum Liebeseber und Königstiger, die grie-
1)
Que nie agravia y me persigue.
2)
iah matrimonio
Cautiveiio el inas pesado!
3)
Dance mientras niuero yo
iOh, si me acabära yo !
Ciian dichoso hubiera sido.
4)
jQue esto pase en ml presencia!
So was passirt, mir vor der Nase.
5)
Nisida, cierra los labios,
Qae muero de amor y celos.
6)
Herido te ha tu sortija,
Sangre te pudo sacar.
Die Liebe eines spanischen Königs. 643
chische Mythologie, die den Amor darstellt, als Löwenbändiger
und Bezähmer bestialer Leidenschaften, an seinem Beispiel Lügen
strafend, das, der spanischen ars amandi nachlebend, einen König
zur Schau stellt, den die Liebesbrunst zum Vieh bestialisirt, und
zum schäumenden Eber raset. ^) Die um ihre Gebühren geprellte
Königin ist so nachsichtig, dass sie, weit entfernt ihr coram,
das ihr die Komödie einmal anweist, in der Verbalforni zu ge-
brauchen, ihren königlichen Gemahl nämlich und Wildschweinigel
zu coramisiren, ihm noch gute Worte giebt, und die Nisida er-
sucht, ihre Abwehr zu massigen.^) Was ist die Folge? König
schlägt um sich mit Händen und Füssen und stürzt ab mit dem
unerschütterlichen Vorsatz: „Ich will nicht König heissen, oder
muss der Tarquinius dieser Lucrecia seyn^'^*^) — stürzt davon,
aber wie ein gehetzter Keuler, der mit rasselnden Borsten gleich
wieder umkehrt, die gewetzten Hauer ansetzt auf Jäger und
Rüden.
Wem wischt nun unser, wie Mars vor Eifersucht und Lie-
besbrunst rasender König-Eber mit dem Hauer Eins aus? Dem
würdigen Duque, Nisida's grauehrwürdigem Vater, der mit ge-
zogenem Schwert die Frauenehre der Tochter gegen den Wuth-
brünstigen zu schützen sucht. Flaps! hat Duque Eins über den
Schädel mit dem vom König einem Diener entrissenen Schwerte.
Jetzt stürzt auch Celauro herbei und, gleichfalls mit blankem
Schwert, um den geheimen Schwiegervater und die heimliche
Gattin vor dem Viehkerl sicher zu stellen, schwenkt aber selbst,
nach einigem auf die Lakeyen einzudringen Miene machenden Ge-
fuchtel mit der Klinge, mit der seinem brunsttollen königlichen
Bruder zugeschnaubten Drohung ab, bei einer günstigeren Gele-
1) proeedo como loco
Rabio y muero en sus desdenes.
2) Reina (zum König):
Como tanto pena tienes
Por eso tanta me dos.
(zu Nisida):
Nisida, el desden reporta.
3) Dejame, que yo he de ser
Tarquinio desta Lucrecia.
4r
644* I^äs spanische Drama.
genheit wiederzukehren mit einer fürchterlichen , von dem und
dem Potentaten geborgten See- und Landmacht ^), und stellt dem
Wütherich ein Sengen und Brennen und Metzeln und Würgen
in Aussicht, das den vor Eifersucht, Liebestollwuth und Wuth
schlechthin schnaufenden König keineswegs abhält, den alten bra-
ven Duque in's Loch schmeissen zu lassen 2) — des Ebers letzter
Hauerhieb beim Schluss der ersten Jornada.
Der zweite „Tag" geht über den eigentlichen Held der Ko-
mödie, Leonido, den geheimen Sohn des Crj^to-Ehepaars, Ce-
lauro und Nisida, auf und zeigt ihn, eingeschlafen mit dem von
der Bäuerin Kosela ihm eingehändigten Portrait seiner ihm
annoch unbekannten Mutter, Nisida, in der Hand. Nach einem
Weilchen aber erwacht er aus dem Schlummer im Walde, mit
einem andern Portrait in der Hand, das ihm von der blutjujigen,
ein lustiges Jagen eben abhaltenden Infanta, anstelle von Nisi-
da's Bildniss hingelegt worden, mit dem Bemerken, dass sie an
dem hübschen Schläfer Wohlgefallen gefunden. 3) Der erwachte
Schläfer weiss beim Erblicken des verwandelten Portraits nun sei-
nerseits nicht, ob er schläft oder wacht. Doch glaubt er mit vol-
lem Bewusstseyn versichern zu können, dass er das Bildniss in
erster Gestalt uneigennütziger, zärtlicher, nach dessen Verwand-
lung aber leidenschaftlicher liebe, mit Interesse für den Ge-
schmack und mit Folterqual für die Seele. ^) Die auf Portraits
und junge Waldschläfer Jagd machende Infanta ist mit ihrem
Gefolge zurückgekehrt. Ein Jagdcavalier versucht an Leonido's
Backe, wie eine Maulschelle im Walde widerhalle. Infanta
bedauert, dass der hübsche Junge kein Echo ist, der den Schall
1) — Veras de naves y galeras
Cubierto el mar.
2) Llevad el Duque preso.
3) Que yo no puedo negar
Que me ha parecido bien.
4) Tuve un tierno sentimiento
Sin interes ni disgusto;
Pero ya en el pecho siento
El interes para el gusto,
Y para el alma el tormento.
Sprünge über die Klinge im grünen Walde. 645
zurückgiebt. ^) Leonido erwidert den Backenschlag fürserste
mit dem Erbieten, den Herrn Jagdjunkern einige überraschende
Kunststücke zu zeigen, wozu sie ihm einen Degen borgen möch-
ten. Aeusserst neugierig auf das Kunststück , leiht ihm Einer
sein Schwert. Leonido's Kunststück übertrifft noch die Er-
wartung und belustigt die Cavaliere dermassen, dass sie vor Ver-
gnügen Luftsprünge ausführen, bis über die „grünen Beeme" gehen,
wie der Berliner sagt, so lustig lässt sie Leonido, zum Er-
götzen der Infanta, über die Klinge springen. Ein Löwe,
der sich das Kunststück auch mitansehen kommt, weiss sich vor
Vergnügen nicht zu lassen, und springt, alle Andern davonjagend,
dem Leonido über das Schwert hinüber und herüber, wie ein
Pudel über den Stock 2), bis ihn Leonido zu den davongelaufenen
Cavalieren fortjagt 3), und nun selbst vor der Infanta über das
Wortspiel mit Leon und Leonido hin und zurück über'n Stock
springt 4), und so dass er bei jedem Sprung über den Wortspiel-
Stock vor der Infanta zu knieen kommt. Die Infanta ist
darüber so ausser sich vor Entzücken, dass sie mitspringt,
das Wortspiel wie einen Hasen todthetzend ^) , und im Springen
des Löwenbezwingers Löwennamensvetter an ihr gleichfalls
mitspringendes Herz emporreissen möchte zu ihrer Sprunghöhe,
wenn dies möglich wäre. ^) Aus dem Ton unserer Inhaltserör-
terung wird der Leser den Charakter und Werth dieser Scenen
1)
Mal empleada hermosura.
2)
(sale un leon)
Caballero 3o.
AI leon, guarda el leon.
3)
(enträse el leon, y leonido tras el).
4)
Porque veas que soy hombre
Que de leon tengo el ser.
5)
No leon ido (leonido) seräs
Sin venido ä matarme.
Du wirst kein davongegangener Löwe seyn,
Sondern ein mich zu tödten gekommener Löwe.
Dass der Dichter der 'Mocedades del Cid' zu solchen abgeschmackten
necedades herunterkommen muss!
6) Quien levantarte pudiera,
Hasta igualarte conmigo!
646 ^^s spanische Drama.
richtiger, als aus einer ernsthaften Zergliederung derselben beur-
theilen. Ohne tödtliche Langweile für den Leser und ohne den
peinlichsten ästhetischen Missmuth lassen sich dergleichen dramati-
sche Verzwicktheiten nur parodistisch tractiren, wodurch diese,
weil sie selbst nur eine Parodie kunstgerechter scenischer Erfin-
dung vorstellen, wie mittelst eines Umkehrspiegels, gewissermassen
wieder in die Richte kommen. Für die Selbstaufopferung, dass
wir die Langeweile und den Missmuth auf unser Haupt neh-
men, wird der Leser auch unsere Capricio's, zu deutsch Bocks-
sprünge, zu den geschilderten Sprüngen der dramatischen Figuren
in diesen Scenen mit in den Kauf nehmen. Die Geissei des
Momus besteht aus drei Eiemen, die der Gott der Aesthetik,
Poetik und Dramaturgie, die Phoibos-ApoUon aus der Haut des
Marsyas geschnitten.
Leider muss jene Geissei Schlag auf Schlag auf die weitern
Scenen dieser Komödie fallen, der Komödie eines bei der deut-
schen dramaturgischen Kritik durch den Cid, den Peter Corneille
aus de Castro's apollinischer Haut geschnitten, so gut angeschrie-
benen spanischen Bühnendichters, wie unser Guillem de Castro.
Die Nachtscene z. ß. zwischen Celauro, der inzwischen mit
seiner Hülfsflottenexpedition gegen seinen Bruder, den Eifer-
suchts- und Liebeswütherich, den sogenannten König, schimpf-
lich gescheitert ist und Nisida, die da wimmernd, wehklagend
und bangmüthelnd daherschleicht über die bösen Vorbedeutun-
gen % die sie erlebt, über den Spiegel , der ihr unter der Hand
gebrochen, und über den Diamanten, der aus ihrem Trauring
gesprungen. König überfällt Celauro mit Dienergefolge, Sce-
nen, die er längst hinter sich hat, wiederkäuend, indem er aber-
mals auf Celauro seine Schergen h^tzt, diesmal freilich mit
Leonido als Zugabe, der nun den König und dessen Mord-
knechte und Hofbüttel ähnliche Sprünge über seine Klinge aus-
führen lässt, wie in den Scenen mit den Hof- und Jagdjunkern
der Infanta. Leonido im Begriff, dem beim Sprung über seine
Klinge hingestürzten König den Rest zu geben, wird von Ce-
1) ;0h agueros! no puedo veros;
Que sempre sois verdaderos, *
Cuando un humbre es desdichado.
Lähmende Wirkung des blossen Wortes *König\ 647
lauro daran verhindert, wegen der sacrosancten ünverletzlich-
keit des Königscharakters, mag dieser Charakter auch der eines
Buben seyn und nicht eines Königs. Im Kartenspiel sticht
Trumpf bube den König, im spanischen Schauspiel ist der König
Trumpf und sticht alles um sich herum, den Dichter selbst zu-
letzt nieder, der ihm doch wenigstens, wie dem blinden Oedipus,
den Staar stechen sollte. Demzufolge würde ein Kartenspiel phi-
losophischer seyn, als ein spanisches Schauspiel. Gelauro thut
noch ein üebriges und stürzt dem stichfesten König huldigend
zu Füssen, Leonido mit dem Zuruf: „Er ist der König,
Schlingel!" niederreissend auf den Boden, um, mit ihm gemein-
schaftlich, den König Baal anzubeten. ') Wie nimmt der vom
Wuthteufel nun einmal besessene Rey '^) die knieende Huldigung auf?
Er entreisst dem Ce lauro das Schwert und übergiebt es dem
Leonido, um den Celauro (Leonido's noch verkappten Vater)
zu ermorden. Das geht denn doch selbst einem spanischen Kö-
niggötzendiener über den Spass. Leonido sagt dem König —
quand meme den Gehorsam auf. ^) „Gut! Sehr gut! — Du willst
nicht mein Leibhenkor seyn, so werde ich Deiner seyn!" Und
sticht drauf los, vorläufig auf Leonido, um sich dann über
Celauro herzumachen.*) Nun steigt auch dem Celauro der
verdugo in die Krone, erwischt das Schwert, und schwingt es
über den ßey tirano, aber mit zwei spanischen Fragezeichen, zur
rechten und zur linken: ^ Bring' ich den König- Wütherich um,
oder lass' ich's lieber bleiben?^) „Bleiben lassen!" fährt dem
Celauro jetzt wieder Leonido in die Parade. Deine Schuld!
Warum fragst Du nicht einfach, ob Du den „Tyrannen" todt-
stechen sollst, und plagt Dich der Teufel, dass Du „König"
1)
Gel.
El Rey es.
Leonido
^El Rey? Perdona,
A tus pies estoy rendido.
2)
La rabia no me quita.
3)
Que ä injusto rey no obedezco.
4)
Si el officio no te plugo
De verdugo, y soy verdugo
Tuyo el suyo lo he de ser.
5)
^Matare ä este rey tirano?
648 I^^s spanische Drama.
tirano sagen musst. Der Name König wirft Dir das Schwert
aus der Hand, und deckt wie ein Schild den tirano. i) Der
Name König macht den thatsächlichen Tyrannen unverletzlich,
unvergleichliche spanische Poetik ! Herrlicher Königsspiegel in der
Hand der dramatischen poetischen Gerechtigkeit! Sacrosancter
Basilisk, dessen blosser Name den Spiegel in Scherben blickt,
nicht, dass der Spiegel dem Basilisken durch Vorhalten seines
Bildes ein Haar krümme! Im Namen des Königs wird Mel-
pomene's Dolch ausschliesslich aufs Spinatstechen angewiesen;
weh' ihm aber, wenn er einer Zwiebel zu Leibe geht, die unter
der Namensägide des Zwiebelkönigs steht, welcher deshalb auch
von den alten Aegyptern in jeder Zwiebel abgöttisch verehrt wor-
den. Leonido heisst den König ruhig sein Koss besteigen und
seiner Wege ziehen, und giebt ihm als Schutz- und Geleitengel
den Namen König mit auf den Weg^), nicht als atra cura post
equitem, sondern als Eselsschatten, der sich zum Esel verhält,
wie der Name zu seinem Träger, und den die Abderiten als
Ding an sich anbeten. Schattengötzendiener, wie die alten Perser
Lichtdiener waren. Celauro umarmt in Leonido den Vor-
schatten seines verkappten Sohnes, entwirft ihm eine anderthalb
Foliocolumne lange Schilderung von seiner am Vorgebirge der
gescheiterten Hoffnung zugrundegegangenen Flotte^ mit welcher
die Schilderung selbst für uns begraben liegen mag im Meeres-
schlamm der Vergessenheit; hält mit Leonido vorNisida's
und der Inf anta gemeinschaftlichem Balcon eine spanisch dop-
pelte Julia-Komeo-Balconscene, und theilt dem unbewussten Sohn
an der Ausgangsschwelle des zweiten Tages vor Tagesanbruch ^)
die Sensationsnachricht mit, dass der König mit drei Carossen,
sechs Sänften, unberittener und berittener Mannschaft auf ihn
fahnden lasse ^), den hoffnungsvollen Sohn der Zukunft dringlichst
1) Leon. Tu con el nombre le amparas
Nunca yo le defendieta,
Si nunca tu le nombraras.
2) Säle en el caballo y pica.
3) Gel. Ahora amanece el dia.
4) Gente de ä pie y de ä caballo,
Apokalyptische Bestialität. 649
ersuchend, seinem obschon zurzeit für ihn noch geheimen Vater,
dem er, als sein Vater, das Leben gerettet, nun auch in dieser
schwierigen Angelegenheit unbekannterweise guten Eath zu ge-
ben 0? und begiebt sich mit ihm zu dem Behuf, Arm in Arm,
in das Sprechzimmer der dritten Jornada, die uns den Kö-
nig in der ganzen Glorie der apokalyptischen Bestialität eines
rey neto zeigt. Er kündet den Granden seinen durch Beispiele
aus der heiligen Schrift gerechtfertigten Entschluss an, seine Ge-
mahlin sammt der Infanta zu Verstössen, und Nisida zu hei-
rathen. Die Königin ergiebt sich lammfromm in ihr Geschick
und bittet nur um Gnade für die Infanta, ihren gemeinschaft-
lichen Engel von Tochter. 2) Nisida und ihr Vater, der Duque,
beten den Ehegeier, Rabenvater und Braut -Nachtraben zu
allen Teufeln, und huldigen knieend der Königin. In's Loch mit
Beiden! Vater und Tochter! schnaubt er, und geht selbst die
Folterwerkzeuge holen. 3) Inzwischen erfährt Leonido von ei-
nem alten Hirten, seinem Pflegevater, dass er ein Findling und
allen Anzeichen nach von hoher Geburt sey. Eine schauerliche
Kerkerscene thut sich auf, mit zwei Schüsseln; in der einen ein
Dolch, in der andern ein Giftbecher; der Dolch für den Duque;
der Giftbecher für Nisida. Ein blosser Dolch scheint dem Kö-
nig, der das Henkeramt allerhöchst selbst versieht, nachgerade
ein viel zu gelindes Todeswerkzeug für einen alten Herzog, und
sprüht ihm geistigere, langsam bohrende Herzensdolche zu: Kum-
Tres carrozas, seis literas
Llegaron en este punto;
De aquel enemigo airado
El mayor dano barrunto.
1) Pues que la vida me has dado,
Ven y me daräs consejo.
2) Que tu rigor se corrija
Pues ninguno merecia
Este angel desta hija.
Que es tan tuya como mia.
3) Con tormentos destruiUos ;
Que luego pienso seguUlos
Parä conseguir mi gusto.
650 I^2,s spanische Drama.
mer und Gram^), ein psychologischer Seelenhenker, wie Franz
Moor. Inbetreff Nisida's bescheidet er sich bei dem Gifte,
aber potenzirt durch seinen Hauch 2), der es infernalisch würzt.
Sejan, Tiber, die Brinvillier, Franz Moor und die Pest als Extra-
beilage, stecken in der Pandorabüchse dieser Königsbrust. Gift
nehmen oder ihn nehmen! kredenzt er der Nisida. Sie wählt
natürlich das kleinere Uebel, das Gift, wie Serafina in Tärrega's
'Duquesa coustante'. Nur fackelt diese nicht so lang zwischen
Nehmen und Nichtnehmen, wie Nisida, die sich erst nach weit-
läufigen Zweifelsagonien, ob sie für Celauro leben oder für ihre
und seine Ehre sterben; ob sie den Zureden ihres Vaters, des
Duque, das Gift zu trinken, oder dem Anliegen des Key, in
ihn lieber, den sauren Apfel, zu beissen, Gehör schenken soll,
bis sie endlich den Giftbecher ansetzt. Da fangt König erst
recht an Gift und Galle zu speien 3) gegen seinen Bruder Ce-
lauro, und befiehlt heimlich seinen Dienern, denselben zu er-
morden, dem Duque aber die Fesseln abzunehmen, um es die-
sem zum Selbstmorde so bequem zu machen wie möglich. "*)
Allein mit dem Vater im Kerker, holt Nisida mit dem
Trank im Leibe die Todesklage nach, inform einer Selbstanklage,
die sie wieder in ihre dem Vater mitgetheilte Liebesgeschichte,
nebst Verirrung, Keue und Busse einkleidet. In dieser posthu-
men Erzählung in letzten Zügen werden einige ergreifende und
des Dichters würdige Töne angeschlagen, die nur leider wie Fun-
ken in's Wasser fallen, wenn auch in Thränenwasser, das der
hinzutretende Celauro vollends zu Güssen strudeln macht, zau-
berlehrlingsmässig. Nisida liegt endlich als todt da, man weiss
nicht, ob infolge des Giftes oder vor Erschöpfung durch Liebe-
1) Key. Pero no, dejalde estar;
Que pues mata con pesas
Ha de morir con pesares.
2) Con mi aliento te lo doy,
Porque te mate mas presto;
(Dale el veneno, y alientole).
3) Peno, rabio, estoy de modo,
Que de mi mismo no se.
4) — quitaide las cadenas,
Para que se mate el mismo.
Der König lässt den Bruder hinterrücks ermorden. 651
Lebensschilderung und Todesklagen, deren Erbschaft Celauro
und Duque nun antreten, worin wieder Züge von Empfindungs-
ausdruck, die mit einigen in Arviragus' und Quiderius' Todten-
klage um Imogen in rührender Schönheit wetteifern dürfen. Nichts
überrascht mehr bei diesen spanischen Dramatikern, als das Miss-
verhältniss von kunstfertiger und hinreissender Sprechweise, und
von verkehrter, widersinniger, nicht selten widerwärtiger Pathos-
Motivirung. Celauro will mit dem Schwert seinen Wehklagen
ein erwünschtes Ende machen, Duque aber das Geschäft fort-
setzen mit ungeschwächten Kräften. Die Folge ist, dass des
Königs Henkerknechte, die den Celauro auf Schritt und Tritt
verfolgen, ihm hinterrücks den Schwertstreich versetzen, den sich
vorne zu versetzen sein Schwiegervater, der Duque, mit klage-
eifriger Zunge parirt hatte. Verblutend, am Boden liegend, findet
nun Leonido den Celauro, seinen cryptogamen Vai^er. Ce-
lauro verlangt nach einem Crucifix. Leonido reicht ihm das
in seinem Wickelzeug gefundene, mit Edelsteinen besetzte Kreuz.
Es wickelt sich ein Erkennungszeichen nach dem andern aus den
Findlings-Tüchern hervor, bis ein Zettel von Nisida's Hand über
das noch etwaige im Kückstand befindliche Dunkel das hellste Licht
verbreitet und Leonido aus den von seinen Windeln gelieferten
Beweisstücken die Gewissheit schöpft, dass er seiner Eltern Sohn ist,
die so lange verborgene Frucht von Celauro's und Nisida's heimli-
cher Ehe. Zum üeberfluss greift Celauro in seines schwertdurch-
bohrten Busens Herzblut und stellt dem Leonido in Blutschrift
das Zeugniss seiner Vaterschaft aus, als dem legitimen Reichs-
Erben nach seinem Tode. Aus Celauro's letztwilligen Bestim-
mungen, worunter die wichtigste, dass man ihn neben seiner Ni-
sida begrabe, erfahren wir nebenbei zuerst den Schauplatz un-
serer mit dem tragischen Tode ihres Liebesheldenpaares endigen-
den Comedia. Der Schauplatz der Handlung ist nicht Spanien,
sondern Ungarn^), und der König kein spanischer Key neto,
sondern ein magyarischer, kurz, Handlung, Personen, Situationen
1) Gel. Mas ya imagino y confio
Que todo el mundo y Hungria
En viendo una firma mia
Te tendran por hijo mio,
652 Das spanische Drama.
und was dran und drum hängt, transleithanisch. Der König,
faul wie der faule Wenzel, liess eher vermuthen, dass die Ko-
mödie in Böhmen spiele, dem Czechenlande. Zumal die Komö-
die mit einem czechenhaften Ausgleich schliesst, wo der Kö-
nig, wie das Ministerium Hohenwart, abdankt und mit der hohen
Ausgleichs-Erwartung zusammen in die Pilze geht. Das uner-
wartet Ueberraschendste sind 'die Gewissensbisse^), die dem
Könige so zusetzen, wie gewisse andere Bisse, die als dritte Pha-
raoplage Könige und Wütheriche seines Schlages heimsuchen,
wie den König Herodes, wie das „lausige ungeheuer" Sulla, wie
die Wasserpolaken überhaupt, als eine national slawische Phtheiria-
sis, Königs- und Herrsch wuthskrankheit, wie das Wort „Zecke",
das eine Schafl— oder Hundel — bedeutet, etymologisch ausser
allen Zweifel stellt. Tritt doch Leonido als Schafhirt vor den
König, einen Vorhang wegziehend, hinter welchem das Leichenpaar
Celauro's und Nisida's sichtbar wird, und sein Grossvater
mütterlicherseits, der Duque, an der Ermordeten Seiten. Leo-
nido schlägt den Oheim mit dem Schwert zu Boden, und weist
sich durch Celauro's Blutschrift, Nisida's Kreuz und seines Pflege-
vaters, des alten Schäfers, Schafpelz als rechtmässigen Thronerben
aus, als welcher Leonido nun von den Granden anerkannt wird
und die Huldigung und die ungarische Krone des heiligen
Stephan, des ersten christlichen Magyarenkönigs, empfängt. ^) Zu
allerletzt erscheint auch die Königin und die Infanta, wel-
cher der im Bauernkleide als üngarnkönig gekrönte Leonido
die von seinem Haupt abgenommene Krone aufsetzt. Aus diplo-
1) iAy alma injusta y fiera,
De algun demonio!*)
2) Grande 4^.
Eeciba pues tu persona
Deste reino este corona . . .
Que otorgö su santidad
Del pontifice romano,
En aquel dichoso dia
A Esteban, que fae en Hungria
El primero rey cristiano.
*) Dem Herrn der Ratten und Mäuse, Wanzen etc.
G. de Castro's Cid-Drama. 653
matischen Rücksichten enthielten wir uns, die Ausgleichs-Schluss-
Parallele von Guillem de Castro's Dreileichen-Komödie mit der
politischen weltläufigen, oben nur berührten Ausgleichsfrage un-
serer Zeit durchzuführen.
Las Mocedades del Cid
(Die Jugendthaten des Cid).
Unter den Comedias famosas die vorzugsweis famose, durch
den famosen vom grossen Corneille, in seiner Tragödie 'Le
Cid', an ihr begangenen Raub. Guillem de Castro's Cid-
Schauspiel verdankt Ruhm und Nachruhm seinen eigenen, vom
grossen Corneille ihm, nicht sieghaft abgekämpften, nein, geraub-
ten spoliis opimis. Der Lehnsherr empfing knieend vom Lehns-
mann sein Obereigenthum als Afterlehn zurück, wo es nicht gar
dem Guillem de Castro und seinem Cid mit dem grossen Cor-
neille ähnlich wie jenen zwei Juden mit dem Cid selber erging,
welche für die vom Campeador bei ihnen gegen Verpfändung von
zwei Kisten voll Gold und Silbergeräthe, eröffnete grosse Anleihe,
in den verpfändeten Kisten, statt Gold und Silber, Feld- und
Ziegelsteine fanden. Der Fund ist von der vergleichenden Kritik
vielfach illustrirt worden i), mit dem merkwürdigen Ergebniss,
dass nicht nur die französische 2), bei der sich dies von selbst
1) Um von alten Literarhistorikern wieBatteux, LaHarpe, Sis-
mondi, Bonterwek u. A. zu schweigen, und Neuere und Neueste zu
erwähnen: Ticknor a. a. 0. L 657 f. deutsche Uebers. v. Schack n.
S. 437 f. 0. G ollmann: *The french „Cid" and his spanish Prototype',
Programm der königl. Realschule zu Meseritz 1868. eh. VII. worin der
Gegenstand nach allen Seiten hin des Weitläufigsten erörtert wird, ohne
eben etwas Neues und Eigenes zu bieten, und ohne Würzung und kriti-
sche Sichtung früherer Vergleichungsversuche. — 2) Unter den Neueren:
Villemain, Puibusque, Phil. Chasles : der einzige uns bekannte Franzose, der
ein fulminantes Verdammungsurtheil gegen Corneille's * Tragicomedie le
Cid' schleuderte, war der spätere Akademiker Scudery, der in seiner
Diatribe, 'Observations sur le Cid', mehr Libell als Kritik, mit brei-
ter Bramarbas-Plempe Corneille's Tragicomedie in die Pfanne hieb, haupt-
sächlich als ein Scandalproduct voller Sünden gegen die aristotelisch-
orthodoxe Poetik der damaligen französischen Bühne, womit zugleich über
den Cid als Theaterstück überhaupt, mithin auch über de Castro's 'Moce-
654 I^as spanische Drama.
versteht, sondern auch die spanische Kritik ^ — freilieh eine Fi-
liale eben nur der französischen — die Steine in Corneille's fünf
Cid-Kisten vermöge der Zauberkraft der Verjährung oder Passung
in Edelsteine verwandelt erkannten, und dafür erklärten, wonach
Guillem de Castro ein glänzendes Geschäft gemacht hätte.
Bringen auch wir denn noch einmal die beiden Cid, des
Spaniers und des grössten französischen Tragikers dem Spanier
entlehnten Cid in den Schmelztiegel unserer vergleichenden Ana-
lysen, behufs metallurgisch-dramaturgischer Prüfung, auf welcher
Seite das gediegene Gold und auf welcher das taube Gestein zu
suchen, ob jenseits oder diesseits der Pyrenäen. Vielleicht ge-
lingt es uns doch, aus den Steinen des französischen Cid ein und
anderes Goldkörnchen oder Goldäderchen, als nothdürftige Ent-
schädigung für Guillem de Castro's dem Cid des Corneille
dades del Cid' der Stab gebrochen wird, die Scudery indess nur den
Namen nach gekannt zu haben scheint. Seine „Observations*' leitet
er mit nachstehendem, Corneille's 'Cid' verwerfendem Sündenregister ein :
„Que le sujet n'en vaut rien du tout;
Qu'il choque les principales regles du poeme dramatique;
Qu'il manque de jugement en sa conduite;
Qu'il a beaucoup de mechants vers;
Qae presque tout ce qu'il a de beautes sont derobees;
Et qu'ainsi l'estime qu'on en fait est injuste;
0 n'y voit aucune diversite, aucune intrigue, aucun noeud.*'
Letztern Vorwurf widerlegt die Äcademie fran9aise in ihrer insbesondere
gegen Scudery's „Observations'* gerichteten, in akademisch gestrenger,
aber maassvoUer Coiporations Würdigkeit gehaltenen Kritik*) des Cor-
neille'schen Cid. Scudery's von Missgunst, Widerspruchsgeist undüeber-
treibung strotzender Angriff enthält doch viel Richtiges und Treffendes, so
dass eine unbefangene internationale Äcademie Europeenne der Gegenwart
Scudery's Verwerfungsurtheile, nicht die der Lobpreiser von Corneille's hoch-
bewunderter Vezballhorung des spanischen Cid, unterschreiben würde.
1) „Pues entre las confusas escenas de Guillen de Castro hallo Corneille
la verdadera tragedia cläsica." „So hat denn unter den verworrenen Sce-
nen des G. de Castro Corneille die wahre classische Tragödie gefunden."
Lista a. a. 0. p. 224. Aehnlich urtheilen Martinez de la Kosa, Du-
ran und Gil y Zarate.
*) Les Sentimens de TAcademie fran9aise sur la Tragi-Comedie du
Cid. Paris 1638. 1636 hatte die erste Vorstellung von Corneille's 'Cid'
stattgefunden.
Grossartiges Exposition s-Tableau. 655
in geprägter baarer Müuze vorgeschossenes Darlelin herauszu-
schmelzen.
Guillem de Castro's 'Las Mocedades del Cid' bildete eine
Dilogie von zwei parallelen Stücken, wovon das erste (Primera
Parte) die frühesten Jünglingsthaten des gefeiertsten spanischen
Volkshelden, als dramatisirter jene Jugendepoche umfassender ßo-
manzen-CykluS; vorführt, mit Rodrigo's von König Fernando
empfangenem Ritterschläge beginnend, und schliessend mit seiner
und Jimena's Vermählung. Die ßomanzenfolge erscheint hier nur
gleichsam in scenischer Fassung, die Scenen aber an sich tragen
das Gepräge einer grossartigen dramatischen Behandlung. Scenen
und Acte, in opischer Weise gegliedert, eine Folge von Ereig-
nissen und Thateu, die des dramatischen Mittelpunkts entbehren,
eine Reihe von Unternehmungen, die sich zu keiner einheitlichen
Handlung zusammenschliessen , und trotzalledem eine bewäl-
tigende Bühnenwirkung, theatralisch bewegtes Pathos, geschicht-
lich prägnante, in dramatischen Conflict gesetzte Charaktere und,
dem angemessen, eine kunstgerecht aus dem epischen Romanzen-
in den dialogischen Schauspielton übertragene Gesprächsführung.
Das epische und dramatische Element, mithin auch hier nicht
ineinander verschmolzen , sondern beide Stylarten nebeneinander
waltend, und dennoch zu bedeutsamen scenischen Nationalbildern
zusammenwirkend. Wie imposant stellt sich nicht gleich das
Eingangs-Tableau! Der feierliche vom greisen Könige Fernando,
in Gegenwart des hochbejahrten, altergebeugten Diego Lainez,
des Vaters von Rodrigo, und dessen zwei Brüdern, in Gegen-
wart der ganzen königlichen Familie, der Königin, des Prinzen
Don Sancho, der Infanta Dona ürraca, des Conde Lo-
zano und seiner Tochter Jimena, dem jungen Recken ertheilte
Ritterschlag. Und kein blosses scenisches Gemälde entfaltet sich
vor uns: Die Verwickelungs- und Conflictsmotive kündigen sich
vorweg in feinen Tonschattirungen an. Die beiden für den Hel-
denjüngling in der Knospe von geheimer Liebe glühenden Frauen,
Infanta ürraca und Jimena Gomez, verrathen mit den
ersten, wie lose Tastfäden sich befühlenden Worten ihre Her-
zensstimmungen i) für den kampffeurigen Ritter- Jüngling, das
1) D. ürraca. iQ^ne te parece, Jimena,
656 I^^s spanische Drama.
vorbestimmte Volksheldenideal, zum Liebling der Eomanze, zur
Unbesiegbarkeit im Einzel- und Schlachtenkampfe, vom König
mit dem Schwert umgürtet; von Prinzessin ürraca durch An-
legen der Sporen geweiht zum alsbaldigen Provinzeneroberer,
Stadtbezwinger, Mohrentilger in den Plegeljahren. Von den Spo-
ren, womit Prinzessin ürraca den Holden schmückt, fühlt Ji-
mena sich in's Herz gestochen, i) Aber auch die widerstrebenden
Conflicte beginnen sich zu regen. Jimena's Vater, Conde
Lozano, erbebt hochfahrend, stolzen ünmuths, bei des Knaben
Eodrigo Selbstüberhebung: das vom Könige ihm umgegürtete
Schwert nicht abzulegen als bis er in fünf Schlachten gesiegt.
Conde Lozano's stählernes Herz schwillt und schlägt gegen
den Panzer in einem unwilligen Aparte: „Vermessenes Erkühnen'/* 2)
Und sein Vetter Peranzüles schüttelt sich in seinem Aparte,
ob der übermässigen dem jungen Fant erwiesenen Ehren, ^)
Nach der Eitterweihe berathet sich König Fernando mit
Conde Lozano, Diego Lainez, Arias Gonzalo und Pe-
ranzüles über die, in Betracht des ungestümen unbändigen Na-
turells des Eeichserben, des streitbaren Don Sancho, höchst
schwierige Wahl eines für ihn geeigneten Erziehers. Der König
entschiiesst sich für den ebenso treugesinnten als weisen, im
Eathe wie im Kriege gleich erfahrenen Diego Lainez, Eodrigo's
greisen Vater, dessen ehrwürdige Sanftheit am wirksamsten das
wilde, zügellose Gemüth des Prinzen in Schranken halten würde. ^)
De Eodrigo?
Jimena Que es galan.
(Ap.) Y que sus ojos le dan
AI alma sabrosa pena.
1) Con la espuela que le ha puesto,
El corazon me ha picado.
2) ; Ofrecimiento atrevido!
3) Ya estas honras son extremas.
4) Y siendo de condicion
Tan indomable y tan bravo,
Que tiene asombrado el mundo
Con sus prodigios extranos,
Un vasallo ha menester,
Que tan leal como sabio,
Enfrene sus apetitos.
Eine heroische Maulschelle. ß57
Darüber entbrennt ein Wortstreit zwischen dem gewaltthätigen,
hochfahrenden Conde Lozano und dem unter der Last seiner
Jahre und seiner Thaten ruhmgebeugten Diego Lainez, in
Gegenwart des Königs; ein Wortwechsel, der blitzartig hin und
her fliegt, bis er sich in den verhängnissvollen Schlag auf Diego
Lainez' ehrwürdige Backe entladet, der in Komanze und Drama tau-
sendfältig widerhallte; in jene Sagenreiche Ohrfeige entladet,
die heroische Ahnmutter aller seitdem auf der Bühne verabreich-
ten, tragischen, Schicksal vollen Maulschellen. Der Schlag fällt
angesichts des Königs, als Echo mithin gewissermaassen auch
auf des Königs Angesicht, das die Möglichkeit eines solchen Er-
frechens von selten eines Vasallen, im Beiseyn der Majestät, nicht
unverschuldet büsst. Schreitet doch der verwegene Majestätsbe-
leidiger mitten durch die Aufregung der Anwesenden, durch die
entrüsteten Machtworte des Königs, ihn festzunehmen, die Zer-
malmungslaute des entehrten, das von Schlag und Schmach ge-
röthete Antlitz mit runzlig zitternden Händen bedeckenden Grei-
ses — schreitet doch durch diese von dramatischer Bewegtheit
in allen Fasern zuckende Scene der freche, dem König selbst
mit einem mindestens rückschlägigen Backenstreich in's Gesicht
schlagende Oberhofmaulschellenaustheiler — schreitet er doch,
gross, unnahbar gTOss, in aller Herrlichkeit gleichsam seiner
Majestätsbeschimpfung, als ein Gott, ein Donnergott der Maul-
schellen-Keile, hochgetragnen Hauptes 0 davon! Und wankt doch
Diego Lainez, im zerschmetternden Gefühle solchen, den König
selbst in ihm entehrenden Schimpfes, seinem Schänder nach,
ächzend: „üebel nimmt sich ein Beschimpfter aus in seines Kö-
nigs Gegenwart." 2) Das Zugegenseyn des Königs ist aber aus
Kunstgründen gefordert. Einmal als Signum .temporis, als kenn-
zeichnender Charakterzug der Zeit, deren Farbe ein Romanzen-
Drama, ein Volkssagen-Schauspiel nicht verwischen darf, den viel-
mehr alle dramatischen Factoren und Momente, Personen, Pathos,
Conflicte bekennen müssen, um so unerlässlicher , als unsere Di-
1) altivo y gallardo, knirscht vergeltungsohiimächtig der Silbergreis
mit der kupferrothen Dachtel auf der Backe.
2) Mal parece un afrentado
Ell preseiicia de su rey.
X. 42
658 I)as spanische Drama.
logie das 'Vasallenverhältniss zum Königthum, im Sagenschau-
spiel mithin zugleich ein hochwi:chtiges historisches Entwickelungs-
moment des spanischen Geschichtslebens zur Anschauung und
zum Austrage bringt. Ein Allotrion für die kahlmäuserische ab-
stracte Aesthetik, die denn auch mit Corneille's Cid an Einem
Strange zieht. Aus Kunstgründen ist ferner des Königs Gegen-^
wart bei Diego Lainez' Entehrung geboten, weil des Monarchen
Machtlosigkeit, den Schimpf zu rächen, Kodrigo's Selbstrache be-
rechtigt, und ihr den Stempel tragischer Nothwendigkeit auf-
drückt. In wie ganz anderem Lichte, wie ungleich heroischer
erscheint nun sein Liebesverhältniss zu Jimena, und wie ungleich
tragischer der Conflict von unausweichlicher, durch die Sachlage,
durch die Natur der Verhältnisse, durch Fügung und Schicksal
folglich, auferlegter Eache- und Ehrenpflicht mit der Liebes Ver-
pflichtung und dem Liebesgebot, von dem Bühneneffect zu schwei-
gen, den der durch des Königs Gegenwart und Aufregung mit-
erregte Gemüthsaufruhr aller Anwesenden hervorruft! Ein Blick
auf Corneille's entsprechende, all dieser Momente baare Scene
wird uns vorweg zeigen, welche Dürre, Vertrockniss und Ver-
kommenheit die Verpflanzung des spanischen Nationalschauspieles,
des Cid der Komanze, in den Gartenkübel der Versailler Hofeti-
kettentragik über Guillem de Castro's 'Mocedades' verhängte.
Nun der greise, in seiner Menschenwürde und Familienehre
vernichtete, wie sein, dess als Zeichen, geknickter Stab, im In-
nersten zerbrochne Vater vor seinen drei Söhnen in seinem ge-
schändeten Hause! Erst das bangnissvoUe Niederkämpfen und
Verschweigen des Schimpfes. Hierauf allein mit seinen ruhm-
reichen um ihn her hangenden Waffen, dem Mudarra-Schwert,
das die sieben Lara-Söhne gerächt, und nun noch seine Ehre
rächen solP), und das dann auch Rodrigo in einem Monolog,
1) En ti, en ti, espada Valien te
Ha de fundarse nii honor:
De Mudarra el vengador
Eres, tu acero afamölo
Desde el uno al otro polo;
Pues vengaron tus heridas
La muerte de siete vidas
Venga en mi un agravio solo.
Der Zweikampf. 659
racaebeflügelt, schwingt^), nach erfolgter, vom alten Vater an
den drei Söhnen, allzu getreu der Romanze und bühnenunzulässig
angestellter, nur von Rodrigo bestandener Kraftprobe durch
Händequetschuug und Riss in den Daumen. Die hochbewegte
Schlussscene des ersten Actes endlich, wo der Knabe Ro-
drigo den furchtbaren Conde Lozano Orgaz zum Zweikampfe
herausfordert in Gegenwart der beiden für ihn heimlich glühen-
den Frauen, Jimena's und der Infanta ürraca — Reide des
Vorgefallenen unkundig. Nun das Aufeinanderplatzen der stürmisch
entbrannten Zweikampfsgeister, des Geliebten mit dem Vater,
nach einer vorhergegangenen Scene zwischen Jimena und Ro-
drigo, voll heissen Seelenkampfes vonseiten Rodrigo's, der in
Aparte's sein von heiliger Ehrenrache und Liebesw^h zerrissenes
Herz ausseufzt 2); während Jimena ob seiner unerklärlichen
Retrübniss verzagt. Wie herrlich, wie erschütternd schön siegt
in dem Innern, dem Duell mit dem Vater der Geliebten vor-
ausgehenden Seelenzweikampfe die heroische Kindes- und Ehren-
pflicht über den Liebesschmerz! 3) Siegt unter den Augen der mit
jammervollem Herzen um den Vater und den Seelenhelden zit-
ternden Geliebten! Ein Weilchen darauf hört sie schon den Vater
rufen: „Ich bin des Todes"^); stürzt schon Rodrigo fechtend
mit des Conde Leuten herein, die er sämmtlich in die Flucht
schlägt, mit so glücklichem Erfolge, dass die Infanta ürraca
den ersten Act mit dem Zuruf schliessen kann: 0 tapferer
Castillaner!^) und wir unsern Zuruf dem Act in's Geleite geben
1)
Llevare esta espada vieja
De Mudarra el castellano,
Aunque estä bota y mohosa
Por la muerte de su amo.
2) Cid (ap).
^Que he de verter
Saiigre del alma? jAy Jimena!
jOh rigor
De Fortuna! Oh suerte avara!
3)
Perdonad, Senora;
Que soy hijo de mr honor. —
Seguidme Conde.
4)
Muerto soy.
5)
;0h valiente CasteUano!
42^
660 ^as spanische Drama.
können: Oh valiente acto primero! Von leidenschaftlichen T^^at-
momenten, wie von Sturmgeläute, durchhallter und durchbrauster
Erster katastrophenschwangerer Act!
Wird uns des grossen Corneille erster und zweiter, de Castro's
erstem entsprechender Act einen ähnlichen Nachruf abringen?
Das hinge von den leidenschaftlichen, katastrophenschwangeren
Thatmomenten ab, die auch er aufböte. Vorläufig glänzen die
beiden ersten Scenen von Corneille's erstem Cid-Act nur durch
die Abwesenheit solcher Momente, indem sie nicht blos die Ein-
gangsfeier der pomphaft scenischen Eitterweihe im spanischen
Cid, und die Stellung aller Hauptfiguren und Gruppen zur Hand-
lung ausscheiden, sonder-n alle und jede Zeit- und Localfarbe,
allen und jeden geschichtlichen und nationalen Zug verwischen
und von vornherein das specifische, eigenschwere Cid-Drama in
die gewöhnliche schablonenhafte Cabinets- und Antichambre-
Tragik Verblasen. Wenn Corneille's erste zwei Cid-Scenen doch
mindestens diese Herzensintrigue in eine wahrhaft dramatische
Bewegung zu setzen verstünden! Statt dessen wird uns dasselbe
Schaukelspiel von Contrasteffecten zumbesten gegeben, das uns
in Corneille's „Horace" äffte ^j, und das wir vom Patriarchen der
1) s. oben S. 319 ff. Voltaire giebt uns eine wichtige Thatsache mit
folgender Bemerkung an die Hand. ,,0n ne connaissait point encore
ävant le Cid de Corneille le combat des passions qui dechire le coeur,
et devant lequel toutes les autres beautes de l'art ne sont que des beautes
inanimees."*) Ein sprechender Beleg dafür, dass dieser, nachgewiesener-
maassen, falsche Grundsatz eines, behufs tragischer Wirkung, gebotenen
dualistischen Pathos, Pflichtenstreites^ oder Leiden Schaftskampfes — dass
dieser Widerstreit der Affecte, diese combats du coeur, von Corneille zu-
erst als der zum französischen Antagonismus der Affecte appretirte
spanische Parallelismus auf die französische Bühne eingeschmuggelt
worden. Wir werden einen Zusammenhang mit jener spanischen Doppel-
gestaltung vielleicht bis tief hinein in die Zweiseitigkeit der Haupt- und
Nebenhandlung, der Plots und Underplots der englischen Stücke, in kunst-
vollster Verschmelzung bei Shakspeare — zu verfolgen, und vielleicht wohl
gar in jenem spanischen Paralleltypus den Vater oder doch den Keim,
die Primitivfäden gleichsam, auch dieser durch Shakspeare erst zu höchster
Kunstgültigkeit ausgeprägten Doppelgestaltung zu erkennen haben.
*) Theätre de Corneille avec les Cummentaires de Voltaire. T. III, Paris
1796. Prachtausg. p. 114,
Das tragische Pathos kein Widerstreit. ßß]
fraiizösischen Tragik dadurch zustande bringen sahen, dass er den
parallelen Dualismus im spanischen Drama, als Contra st- Dua-
lismus, die parallele Synthese, — wenn die Bezeichnung gestattet
ist — als Antithese wirken lässt, und die lineare Symmetrie in
der spanischen Composition zu einer Mechanik und Statik ver-
knüpft; zu einem psychologisch-pathischen Hebel- oder Wage-
balkensystem combinirt, nicht in lebensvoll schöpferischer Weise,
sondern im Wege einer abstracten Verstandesoperation angewandt
auf ein gegensätzliches Kräftespiel der Leidenschaften, deren dra-
matisch-tragische Wirkung, dargethanermaassen, vielmehr in einer
allesbeherrschenden , das Gemüth in. Sturm und wie fatahsti-
schem Dahinrasen bewältigenden Entschiedenheit bestellt.
Sophokles' Antigene kämpft nicht erst einen Pflichtenstreit aus
Hamlet's Pathos verschlingt miteins alle seine frühern Affecte
und löscht sie von der Tafel seines Gedächtnisses, und reisst mit
Einem selbstmörderischen Griff alle andern Herzblätter aus
seinem verstörten Herzen aus. Corneille's tragische Figuren da-
gegen lassen ihre beiden, wie zwei, an Alexandrinern als Schnü-
ren schwebende, von Contrastaffecten , als Gewicht und Last,
beschwerte Wagschalen, sich schaukelnden Herzhälften auf und
niederschwanken, und das darüber im selben Khythmus spielende
Zünglein Grad und Maass gleichsam erklärend messen und be-
zeichnen. Corneille's tragische Figur spricht unaufhörlich über
das 'Combats du coeur' genannte Contrastspiel ihres Herzens,
raisonirt darüber i), hält Vorträge über pathologische Hydrostatik,
dem Mitspielenden in Wechselgesprächen, und dem Publicum in
Monologen; und in der Kegel mehr im spitzfindig schwülstigen
Kedepathos der Romane des Scudery oder d'ürfe, als im Charakter
und Styl der classischen Tragödie, als deren Gesetzgeber und
Erzvater der französische Grosstragiker auftritt. Seine tragischen
Helden und Heldinnen erörtern, discutiren ihr Doppelpathos, wäh-
rend sie selbst mit ihren Personen aus dem Spiele und an
der Handlung unbetheiligt bleiben, wie Krämer hinter den schwan-
kenden Wagschaalen.
So spielt denn gleich das Eröffnungsgespräch der ersten Cid-
1) s. ob. a. a. 0.
6ß2 ^^^ spanische Drama.
Scene zwischen Chimene und ihrer Vertrauten oder Gouver-
nante, El vir e — schon das Gegenüberstellen zweier Figuren, worin
sich die eine, die Vertraute, hors du combat du Coeur befindet,
macht diese zum blossen Stützpunkt und Widerhall des Affec-
tenspiels der Heroine — so spielt denn gleich die Eröffnungsscene
hin und her inmitten von Chimene's zwiespaltiger Besorgniss:
ob die Gouvernante nicht auch um ein Wörtchen zu viel, um
einen Ton zu stark, gegen Chimene's Vater die grössere Hin-
neigung ihres Herzens für Eodrigue als für dessen Mitfreier
und Nebenbuhler, Don Sanche, verrathen habe. Nebenbei
lässt die Gouvernante ein Wörtchen von der Erzieherstelle beim
Thronfolger fallen, die kein anderer als Don Gomez, Chimene's
Vater, erhalten könne, der seine Tochter dem wackern Jüngling,
Eodrigue, zu lieben gern gestatte, obgleich beide Bewerber auf
der 'Wage des Verdienstes sich das Gleichgewicht halten. ')
Gleich hinterher führt die zweite Scene das Parallelpaar zu
dem der ersten in der Infant in von Castilien, ^Doila ürraque',
und ihrer Gouvernante, Leonor, herbei. Der Infantin Contrast-
pathos ist Liebe für Eodrigue einerseits, und Infantinnen-Ehre
und Tugend andererseits. Letztere giebt den Ausschlag mit so
viel Uebergewicht an grossmüthiger Tugend, dass sie den Ge-
liebten ihres Herzens, den Eodrigue, ihrer Nebenbuhlerin, Chi-
mene, zuwägt. 2) Das Convenienz-Pathos, die Geburts- und Stan-
desehre schleudert den Natureffect, das Liebespathos aus der Prin-
1) Chimene.
N'as tu point trop fait voir quelle inegalite
Entre les deux amants me penche d'un cöte?
„Me penche d'un cote" — die unverholene Wagschale.
Elvire.
Non: j'ai peint votre coeur dans une indifference
Qui n'enfle d'aucun d'eux ni n'abat Tesperance.
Vollkommenes Gleichgewicht der beiden Schalen.
Auch glaube sie nicht, dass des Vaters Wahl zwischen beiden Liebha-
bern sehr balancire:
que sa pensee
Entre vos deux amants n'est par fort balancee.
2) tous deux sont dignes d'elle.
Cet amant que je donne,
Examen du Cid. 663
zessin ürraca Schale in die solcher Liebe ebenbürtigere Wag-
schale der Grafentochter Chimene. Die Infantin fühlt ihren Geist
in zwei Theile gespalten: Wenn der Muth ihres Entsagungsstolzes
hoch schwebt, so ist ihr Herz, contrastgemäss, entbrannt. ^) Wun-
dersam kommt der Klang und Tonfall des Alexandriners solchem
Affecten-Contrastspiel zu statten, dessen metrisches Abbild er
scheint. Die Gouvernante tröstet sie mit dem Aequilibrium der
Affectwage, die ihre Tugend in Euhe bringen und bewirken wird,
dass sich ihre schwankenden Geister die Wage halten.'^) Chi-
mene wird angemeldet. Die Infantin ersucht die Gouvernante,
die Besuchende einstweilen zu unterhalten, bis sie ihr Gesicht ein
wenig mit Müsse in Ordnung gebracht hat.^) Welche Arm-
seligkeit! Welcher tragische Styl! Welcher Ersatz für des Spa-
niers erste Scene ! Worin doch nur die noch jetzt gefeierte Grösse
des grossen Corneille bestehen mag! Worin die grande Nation
selber besteht: in der Phrase und in den Stelzen. Nachdem die
Infantin ihr Gefühl zum Empfang der Chimene zürecht gemacht
hat, macht Don Gomez, Comte de Gormaz, das Gesicht des
alten Don Diegue mit der Ohrfeige zuschanden. Wo? an wel-
chem Orte das vor sich geht, darüber giebt Corneille's Intelligenz-
Comtoir, sein 'Examen du Cid', Auskunft, der sich mit den drei
Einheiten herumschlägt, und, inbetreff der Ortseinheit und des
Schauplatzes der Ohrfeige, es dem Leser und Zuschauer frei-
stellt, ob sie, vermöge einer Theaterfiction , sich denken wollen^
dass Don Diegue, und der Comte, wie sie aus dem könig-
lichen Palaste getreten, ihren Gang unter Zank und Streit fort-
setzen, bis sie vor Don Diegue 's Haus gekommen, wo dieser
Je Faiine -^ ~
Je mis, au Heu de moi, Chimene en ces Kens
Et j'alluiuai leur feux pour eteindre les mieus.
1) Je sens en deux partis mon esprit divise:
Si mon courage est haut, mon coeur est enibrase.
2) Elle (votre vertu) rendra le calme ä vos esprits flottans.
3) — allez, Fentretenir —
— je veux seulement —
Remettre mon visage un peu plus ä loisir.
(364 ^^s spanische Drama.
die obligate Ohrfeige empfängt, die ihn nöthigt, in sein Haus zu
gehen, um Hülfe daselbst zu suchen. „Befriedigt Euch" — Leser
und Zuschauer nämlich — „diese poetische Fiction nicht, ei
denn, so lassen wir den guten Don Diego mit seiner Ohrfeige
auf offener Strasse ruhig stehen, und sagen wir uns, dass der
Zusammenlauf des Volks, die Diensleistungs- Anerbietungen, die
ihm die zuerst an ihn herangetretenen Freunde machen, Umstände
sind, welche wohl der Koman nicht vergessen darf, die aber für
die Bühne völlig gleichgültig sind". ^) Gleichgültig, grosser Cor-
neille! für den dramatischen Dichter, der überhaupt mit der
Ortseinheit keine Umstände hat. Keineswegs aber gleichgültig
für den Bearbeiter von Guillem de Castro's Meisterdrama, das
er rechts und links ohrfeigt, um nur nicht gegen die Convenienz
der Ortseinheit zu Verstössen, und ein weitläufiges Examen
pro domo zugunsten dieser, trotz seinem beredten Plaidoyer,
alle Nasenlang geohrfeigten Einheit^) anstellt. Bei einem
Dramatiker par la grace der absoluten Drameneinheiten ist die ge-
ringste Verletzung derselben ein crimen laesae, ein der classisch-
französischen Melpomene versetzter Schlag in's Gesicht, eine ihr
gegebene Don Diegue-Ohrfeige.
Wenn nur — den Ort dahingestellt — die Ohrfeige über-
haupt am Ort wäre! Wir unterstehen uns, die Meinung zu hegen,
dass nach Beschaffenheit von Corneille's Cid-Drama, in anbetracht
1) „Ainsi, par une fiction de theätre, on peut s'imaginer que don Diegue
et le Comte, sortant du palais du roi , avancent toujours en se querellant,
et sont arrives devant la maison de ce premier, lorsque il re^oit le soufflet
qui Toblige ä y entrer pour y chercher du secours. Si cette fiction poeti-
que ne vous satisfait point, laissous le dans la place publique, et disons
que le concours du peuple autour de lui apres cette. off ense et les offres
de Service que lui fönt les premier s amis qui s*y rencontrent \ sont des
circonstances que le roman ne doit pas oublier, mais que ces memes actions
ne servent de rien ä la principale, il n'est pas besoin que le poete s'en
embarrasse sur la scene/' Welche Misere von dramaturgischen Betrach-
tungen, welche Mesquinerien ! Die Poetik des grossen Corneille steht ganz
auf der Höhe seiner Tragik.
2) Le lieu particulier change de scene en scene; et tantöt c'est le
palais du roi, tantöt Tappartement de Tinfante, tantöt la maison de Chi-
mene, et tantöt une rue ou place publique.
Hüifähige Ohrfeige. 565
des Tons, Styls, Charakters desselben, der schematisch-conventio-
nellen Figuren, dieses Versailleshofritterthums, dieses servilen Schran-
zen-Adels, vor Allem in anbetracht des zahmen, höfisch geschmei-
digen , ceremoniös-officiösen Scherwenzel- Wortwechsels zwischen
Don Diegue und Gerate, eine Ohrfeige gar nicht zustande kommen
konnte, oder doch nur eine hoffähige, keine katastrophenschwangere
Ohrfeige. In dieser von spiessbürgerlich-antichambrehaften Aus-
dünstungen erfüllten Atmosphäre ist nicht so viel Cid-Elektricität,
nicht so viel dramatisch-elektrischer Ohrfeigenstoff vorhanden, um
einen Backenschlag von solcher pathosvollen Stärke und Trag-
weite zu erzeugen. Doch steht es einmal da, in Klammern mit
Italique verzeichnet: (il lui donne un soufflet), so hab' er ihn
denn, und behalte ihn unangefochten, den Soufflet-Abklatsch, diese
Pseudo-Dachtel, den vom Spanier dem Franzosen soufflirten Soufflet
dieses Ohrfeigen-Echo, das von des spanischen Heldengreises und
Cid- Vaters faltenreicher Wange so schwächlich auf die des alten
Versailler Valet de Chambre und gentilhomme du Roi herüberhallt
— sie bleibe ihm unbenommen, die maulheldenthümliche Maul-
schelle — was aber weiter? Welche irgendwie mit der ureigen
angestammt spanischen Original-Cid-Maulschelle vergleichbare
Folgen wird die vom grossen Corneille auf den französischen Cid
übertragene aufweisen können? Wir sorgen und sorgen, dass alles
Weitere sich eben auch nur wie des Comte d'Orgas Seidenhand-
schuh-Soufflet zu des Conde Lozano Eisenfaustschlag als schwäch-
licher Naclihall zu den Folgeentwickelungen im spanischen Cid
verhalten wird. So z. B. des Don Diegue Monolog nach erlittenem.
Schimpfe, verglichen mit dem oben bezeigten Monolog des Diego
Lainez. So auch ferner des französischen Cid- Vaters an seinen
Sohn ßodrigue gerichteter Aufruf zur Rache, der mit der Frage
beginnt: Rodrigue, as-tu du coeur? und mit dem banalen
„geh, lauf, flieg und räche uns"^) endet. So endlich auch des
Rodrigue Schlussmonolog zum ersten xlct, dessen metrischer
Strophenbau sogar ein schwindsüchtiger, von ganzen und halben
Alexandrinern, als Windfängen, in antithesische Doppelechos hin
und her geworfener Widerhall ist von Rodrigo's mit Mudarra's
1) — va, cours, vole et nous venge.
566 ^^^ spanische Drama
Schwert den Racheblitz schwingendem, und von „Thatensturm"
durchtobtem Monolog, dem allsogleich die Kachethat auch auf
dem Fusse folgt, wie dem Blitzstrahl der Donner, wozu der
französische Rodrigue noch über einen halben Act braucht, der
diesen Donnerschlag in die Sylben von Fiescos zerstücktem Don-
ner zerlegt, mit dessen Echo man Kinder in den Schlaf wiegt.
„Tout couvert de lauriers craignez öncore la foudre", sagt. Don
Arias zu Chimene's Vater Act II. 1. Für die foudres in Cor-
neille's Cid bedarf es keiner Lorbeerkrone als Blitzableiter; diese
Foudres sind, wie alles üebrige, blosse Paraphrasen der spani-
schen Blitzschläge, was Corneille, freilich nur bezüglich Einer
Stelle, und im grossen Bewusstseyn, dass sein Cid den des Spa-
niers erst zu regelrecht dramatischen Ehren gebracht, selbst
gesteht. ^)
Was hat nun der grosse Corneille und noch grössere Para-
phraseur mit der Paraphrase von Guillem de Castro's erstem
Act zu 1 3/4 Acten, was besonders mit der Paraphrase jener einen
Scene im ersten Act des spanischen Cid gross gewonnen, wo die
in Gegenwart der beiden Huldinnen Rodrigo's, Jimena und ür-
raca, erfolgte Herausforderung der gewaltigen Actionsschläge und
die allseits in Einen Brennpunkt zusammenwirkenden Affecte
einen so mächtigen dramatisch-sturmvollen ersten Actschluss
herbeiführen? Sieben bauschige, von emphatischen Redensarten
strotzende, mit nachschleppendem Liebezwiespalts-Pathos wech-
selnde Füllselscenen hat er gewonnen, die den hingehaltnen Zwei-
kampf, dessen verhängnissvolle Bedeutung und tragische Wirkung
nur schwächend, wie Wollsäcke Kugeln und Bomben lahm legen.
II. Sc. 1., ein nackter Abklatsch vonConde Lozano's und Feran-
zuelo's farbenreicher Alteration über des Conde verwegenen, der
Familie Lainez zugefügten Schimpf, erscheint noch mattherziger
und stumpf ej durch die schematische Figur des Don Arias,
der nichts als ein Höflingshörrohr, während Feranzuelo als Ver-
wandter und Parteigänger des Conde Lozano seinen Bedenken
und Vorstellungen ein ganz anderes Gewicht giebt. Wie leer,
gemeinörtlich und schablonenhaft die darauf folgende Herausfor-
derungsscene unter vier Augen, im Vergleich mit de Castro's
1) — je n'ai fait que la paraphrase de Fespagnol.
Chimene und die Infantin. 667
angesichts der Tochter, zugleich Geliebten, ist schon berührt wor-
den. Diese schnöde Entmannung der spanischen Scene zeugt für den
Stumpfsinn des grössten französischen |Tragikers, und stempelt ihn
zum tragischen Eunuchen, zum verzweifelten Selbstcastraten(Gallus)
mittelst des Dreieinheitsmessers, i) Die blosse Gegenwart der
spanischen Jimena bei der Provocation und die kurzen ihrer See-
lenschreckniss entrungenen dazwischengeworfenen Schlagworte, sie
schlagen die nun hinterher angestückte Scene (II, 3.) der franzö-
sischen Chimene mit der Infantin platt und matt, wo diese
der Chimene zu dem Familienzerwürfniss glückwünscht, aus wel-
chem ihr „Hymen" mit ßodrigue sich glänzend entpuppen
werde 2) — wie so? will uns so wenig ein, wie der Chimene.
Prinzessin ürraca irrt das aber nicht, die eifrige Heirathsagentin
fortzuspielen, um nur den von ihr geliebten Eodrigue sich selber
abspenstig zu machen, und die Möglichkeit, mit ihm eine mesail-
lance einzugehen, ein für allemal sich selber über den Kopf weg-
zunehmen, wess behufs sie der Chimene als geeignetstes Mittel
vorschlägt, den gemeinschaftlichen Liebhaber, „diesen voUkommnen
Amant", bei sich unter Schloss und Eiegel in Verwahrsam zu
halten, bis die Versöhnung zwischen dem Ohrfeiger und Geohr-
feigten erfolgt seyn werde. Oder sollte — resumirt die Infantin
schelmisch — Chimene's verliebter Geist einen Eifersuchtsverdacht
deshalb hegen können? 3) Und kaum hat sie von der Her-
1) Welches Armuthszeugniss über dramatisches Verständniss sich der
spanische Kritiker in unsern Augen ausstellt, wenn er diese Verküm-
merung von Castro's herrlicher Herausforderungsscene zu einer nüchternen
tete-ä-tete-Bravade als eine Verbesserung vonseiten Corneille's belob-
preist*) überlassen wir dem Leser zur Begutachtung.
2) L'Infante.
Et nous verrons bientöt votre amour le plus fort,
Par un heureux hymen etouffer ce discord.
Chimene.
Je le souhaite ainsi, plus que je ne Tespere.
3) Mais si, jusques un jour de Tacommodement,
*) La (escena) del desafio del Conde, que imito Corneille mejorän-
dola . . . Esta escena esta mejorada por Corneille, porque pasa entre
los dos solos. Listä a. O/. 0. 225. 226.
668 Das spanische Drama.
ausfordemng Wind bekommen, dreht sich der Wetterhahn ihres
Herzens um und Chimene's Heirathsagentin schlägt aus dem
Duell für sich selber Heirathscapital. Den Sieger ebenbürtigt
der Zweikampf. Auf Rodrigue's aus diesem Zweikampf und, in-
folge dessen, aus anderweitigen Kämpfen mit Mohren, Aragonesen
und Portuesen ihm entspriessendem Ruhmeslorbeer wird sie stan-
desgemäss ausruhen und mit dem blossen einfachen Hildago Bei-
iager halten dürfend) Flugs packt sie die combats du coeur, die
Schnellwage und Kraftmesser der sich gegenseitig balancirenden
Leidenschaften und Bedenken zusammen und den ganzen pathe-
tischen Kram in die Tasche. Jetzt ist Liebesflamme Trumpf
und der Tugend werden die Wagschalen um die Ohren geschla-
gen. 2) Der Erste, der an dieser überzähligen unnützen und
lästigen Infantin Anstoss nahm, war Cardinal Richelieu; der
Erste überhaupt, dessen klarer Verstand und grosser Sinn die
Gebrechen des Stückes herausfühlte und angab. 3) Für Guillem
Je fais mon prisonnier de ce parfait amant,
Et qae j'empeche ainsi TeiFet de son courage,
Ton esprit amourenx n'aura-t-il pomt d'ombrage?
1) Si Rodrigue une fois sort vainquenr du combat,
Si dessons sa valeur ce grand guerrier s'abat,
Je puis en faire cas, je puis Taimer sans honte.
2) Leonor.
Cette haute vertu qui regne dans votre äme
Se rend eile sitöt ä cette lache flamme.
L'Infante.
Ne la nomme point lache, ä present que chez moi
Pompeuse et triomphante eile me fait la loi . . .
Ma vertu la combat, mais malgre moi j 'esper e.
3) Je crois, sagt Voltaire (a. a. 0. p. 115), que le cardinal de Ri-
chelieu avait raison en ne considerant que les irregularites de la piece,
rinutilite et Tinconvenance du röle de l'infante, le röle faible du roi, le
röle encore plus faible de don Sanche. Son grand sens lui faisait voire
clairement toutes ces fautes, et c'est en quoi il me parait plus qu'excusable.
Gleich viTohl rühmt derselbe Voltaire in Einem Athem von Corneille: II
sut faire du Cid espagnol une piece moins irreguliere et non moins
touchante. Wie der Teufel im Volksbuch, der dem edlen Finkenritter
den Weg vorn mit Bratwürsten pflastert, und sie hinter ihm alle wieder
auifrisst. Corneille, beiläufig bemerkt, war der Jüngste unter den fünf
Autoren, die an Richelieu's Stücken arbeiteten.^ Rot rou, L'Etoile, Col^
Die span. Kritiker lobpreisen Corneille's Cid als eine Verbesserung. ß69
de Castro ist die Infaiita Urraca wegen seines zweiten Theils
seiner „Mocedades" eine unentbehrliche Figur.^ Unser grand Cor-
neille aber hat frischweg auch die Urraca mit als gute Prise auf-
gegriffen und als Wagemeisterin in seinem „Cid'' angestellt, wo
sie, ähnlich wie die 'Sibylle' in seinem 'Horace', ihre und anderer
Leidenspäckchen auf Skrupel und Quentchen darwiegt.
Doch sehen wir wieder nach Guillem de Castro's trefflichen
„Mocedades", dem die spanischen Dramaturgen, ihr eigenes poe-
tisch-dramatisches Phönix-Nest beschmutzend, den bösen Leu-
mund anhängen, die grosse französische Krähe habe ihn dadurch
verbessert, dass sie des von ihm bemausten Phönix golden
sonniges Gefieder in ihren aschgrauen Krähenpelz eingemausert.
Klappt das nicht wunderschön, wenn der Zweite Act des Spa-
niers mit Feranzuelo's Nachricht an König Fernando von
Conde Lozano's Tödtung im Zweikampf durch Rodrigo be-
ginnt?^) Und mit Arias Gonzalo's Entgegnung, auf des Königs
Frage, ob man den Mörder ergriffen: dass Rodrigo, ein Hektor
an Kraft der Arme, an schnellfüssigen Beinen ein Achilles, sich
auf letztern aus dem Staube gemacht.-) Und mit wie ergreifen-
den, vollen Accorden fällt nun Jimena's und Diego 's Erschei-
nen in die Situation, wie in eine Trauer-Symphonie ! Jimena mit
dem von ihres Vaters Blut gefärbten Taschentuch in der Hand;
Diego die von der Ohrfeige noch brennende Wange, geröthet
von des Erschlagenen Blut, rachefroh! Die Röthe der Schmach
überpurpurt mit des Beschimpfers vom Sohne vergossenen Herz-
blut, wie man Brandwunden mit Feuer löscht! Beide knieend
vor dem König. Die Tochter Gerechtigkeit fordernd; der Vater
Gnade für den durch Ehre und Kindespflicht zur Rache der grössten
letet, Boisrobert, Corneille. 1635, ein Jahr vor Aufführung^des „Cid**
hatte Richelieu seine 'Comedie des Tuileries' im Palais Royal (Palais
Eichelieu) spielen lassen. Corneille hatte Einiges im 3. Act geändert,
was angeblich der Cardinal dem *Cid' sollte haben entgelten lassen. Sey
dem wie ihm wolle, gegen die von Richelieu bezeichneten Schwächen des
Cid lässt sich nur einwenden, dass sie nicht die schwächsten sind.
1) Ha muerte al conde de Orgaz.
2) Fuese, y la espada en la mano,
Llevando ä compas los pies ...
Parececio un flechar troyano.
670 ^^'S spanische Drama.
Schmach aufgerufenen Sohnes. 0 l^er Gegensatz an sich schon
das Herz in seinen Tiefen, in seinen Wurzeln erfassend, auch
ohne von den Lippen der verwaisten Tochter sprühende Worte,
jedes ein heisser Blutstropfen; auch ohne Thränen, vergossen von
der Tochter Rache strahlenden Augen; jede Thräne ein Dolch,
zielend nach des Mörders Herz; der Blitz eines ßacheschwertes,
zückend auf des Mörders Haupt. 2) Daneben des heroischen Rä-
cher-Jünglings Vater sein Haupt als Sühne darbietend der vater-
beraubten Tochter. 3) Da ist nichts von Streit und Widerstreit,
von Gewicht und Gegengewicht, von Balancierstange und Tanz-
seil der Affecte. Der Seelenkampf in Jimena's Busen, der Zwei-
kampf von Liebe und Blutrache darf in dieser Situation und
Stimmung nicht zur Sprache kommen. Des Vaters Manensühne
verzehrt in diesem Augenblick die Liebe zu dem Mörder, und
erglüht nur stärker, durchloht von der Liebesflamme. Die Rache
steht da gewappnet im Rüstzeug der Liebe, das im Liebesfeuer
gehärtete Racheschwert sprüht das Feuer aus als Rachefunken.
Jimena's einziges Aparte in dieser Scene, worin der Doppel-
affect sich verrathen könnte, schärft ihn zu dem Einen doppel-
schneidigen der Racheverfolgung aus.^) Ja, Liebe und Rache
zieht sie nur als zweischneidiges Racheschwert aus dem Busen.
Und selbst ihr Abgangs- Ausruf entladet sich, als doppelläufiges
Pistol, auf Rodrigo's, und dann auf ihre Brust. ^)
1) - jSenor, matole mi hijo!
Fue obligacion sin malicia.
2) Jimena. A tus ojos poner quiero
Letras que en mi alma est an,
Y en los njios, como iman,
Säcan lägrimas de acero ...
Costar tiene una cabeza
Cada gota de esta sangre.
3) Diego. Con mi cabeza cortada
Quede Jiraana contenta.
4) Jimena (aparte).
jAy Kodrigo! pues me obligas,
Si te persigo veräs.
5) jAy Eodrigo, que me has muerto!
Coriieille's Mohren und die drei Einheiten. ßl]
Was thut Corneille? Er flickt nicht blos diese Scene unmit-
bar der Herausforderungsscene an, womit Guillem de Castro's
erster Act schliesst; Corneille flickt auch noch, vor der Meldung
von des Conde Tod, mit allerluiud Flicken und Lappen an dem
König herum, um ihn aus einem Lumpenkönig zu einem majestä-
tischen Stelzenkönig zurechtzuflicken, welcher sich selbst mit
grossartigen sentenzenhaffcen Stopfphrasen am Zeuge flickt, und
aus der angemaassten Löwenhaut Pfundleder zu Sohlen und Ab-
sätzen für seinen schiefgetretnen Kothurn schneidet ^). Und
Flicken auf Flicken! „N'en parlons plus". Ein neuer Lappen
aufgesetzt! Die Mohren sind gelandet ! Jetzt, wo Alles auf den
Zweikampf gespannt ist? und wo gelandet? In seiner Residenz-
stadt seit zehn Jahren, in Sevilla'^), das erst zweihundert Jahre
nach ihm den Mauren von den Spaniern entrissen worden. Man
hat sich weidlich über diesen Anachronismus des classisch ge-
lehrten Tragikers lustig gemacht.^) Zehn solcher Anachronismen
1) Et quoiqu^on veuille dire, et qiioiqa'il ose croire
Le Comte ä m'obeir ne peut perdre sa gloire . . .
S 'attaquer ä mon choix, c'est se prendre a moi-meme
Et faire un attentat sur le pouvoir supreme.
„S'attaquer ä mon choix!" Mit einer Ohrfeige, die er, König Fernand,
eingesteckt hat, maassen er den Austheiler nicht unschädlich machen
konnte, und ihm noch freie Hand zum Duell Hess!
2) C'est l'unique raison qui m'a fait dans Seville
Depuis dix ans fixer le tröne de Gastille.
3) „Durch einen ihm (dem Corneille) zur Last fallenden Irrthum der
Zeitrechnung lässt er auch den spanischen Hof in Sevilla zwei Jahrhun-
derte früher gehalten werden, als diese Stadt den Mauren entrissen
wurde." Ticknor a. a. 0. S. 657. Dass Ticknor selbst irrthümlich dem
französischen Tragiker den Anachronismus als Irrthum aufmutzt, wird
man gleich sehen. Danach ist auch die gleichlautende, nur noch schärfer
betonte Rüge Herrn v. Schack's in seiner so treffenden Vergleichung des
französischen mit dem spanischen Cid zu berichtigen: — ,,bei ihm (Cor-
neille) haben wir einen baaren handgreiflichen Irrthum, gegründet auf eine
Unkenntniss der Geschichte, wie sie nicht grösser gedacht werden kann.
Und seltsam! Die scharfsichtigen Kritiker, welche die unbedeutendsten
Verletzungen der örtlichen und zeitlichen Wahrheit in Shakspeare so
streng getadelt haben, gedenken dieses Verstosses mit keiner Sylbe.**
(II. S. 439). Das Lustige ist, dass Corneille selber den Anachronismus
sich aufmutzt, aber als eine verdienstliche That!
672 ^2,s spanische Drama.
und zehnmal gröbere, geben wir dem Dichter drein, wenn er
damit einen , sey es noch so geringen Compositionsvortheil er-
kauft. Zum Schimpf und ünglimpf gereicht dem Dichter nur
dies, dass sein grober Anachronismus in diese Scene, in diese
Situation passt, wie die Faust auf's Auge, wie der Balken im
Auge, wie der Lederfleck eines Kurrierstiefels auf einen Tanz-
schuh, wie das Kameel in's Nadelöhr. Und schimpft den Dra-
matiker noch mehr, und macht den Plickbehelf noch lächerlicher
und absurder durch den Umstand, dass der Anachronismus wis-
sentlich und absichtlich vom Dichter der Scene aufgeflickt
worden, von wegen der Dreieinheiten, um in Sevilla die Mohren
gleich an Ort und Stelle zu haben, damit sie Kodrigue unmit-
telbar nach Tödtung des Comte de Gormas bekämpfen, besiegen^)
und dann frisch von der Faust weg die Chimene heirathen
könne. Alles im Verlauf der Theaterzeit von 24 Stunden auf den
Glockenschlag, unbekümmert um die Anstössigkeit, die innere
und äussere Unmöglichkeit, unbekümmert um den der Chimene
angehefteten Schandfleck, dass sie an demselben Tage, wo ihr
Vater ermordet worden und vor seinem noch blutenden Leichnam
sich, wenn auch nicht vom Fleck weg mit dem Mörder vermählt.'^)
Chimene's Erscheinen yor dem König mit dem Anruf um Ge-
rechtigkeit — fast in allen Punkten, wo diese Scene bei Corneille
von der Castro's sich entfernt, weicht sie aus dem Lothe der Si-
tuation und des ihr gemässen Pathos, das in die declamatorische
Emphase umschlägt und den tragischen Schmerz als Stachel
1) ,,J'ai place (le lieu) dans Seville, bien que Fernand n'en ait ja*
mais ete le maitre, et j'ai ete oblige ä cette falsification , pour former
quelque vraisemblance ä la descente des Maures, dont Tarmee ne pouvait
venir si vite par terre que par eau.'' Examen. Ein stattlicher .Gala- und
Paraderitt auf dem fahlen Pferd! — 2) Wie die „Sentimens" der Academ.
fran9. aufstechen, immerhin aber doch dem Cid die Hand zur Versöhnung
als Handschlag auf demnächstige Eheschiiessung reicht, pour sauver ]es
appavences, eine heuchlerische Abfindung also mit der Etiquette; für ei-
nen dramatischen Helden ein poetischer Schandfleck noch in den Kauf, da
sie nicht das Herz, den Muth ihrer Leidenschaft hat, und sich nach bei-
den Seiten hin decken zu können glaubt, wenn sie am Tage der Ermor-
dung ihres .Vaters den Mörder auf ihr Jawort vertröstet und den Hoch-
zeittag nur aufschiebt.
G. de Castro's und Corneille's Liebespaar. 573
braucht, um staatsredneriscti dem Könige das Gewissen zu schärfen. ^)
Iramolez, dis-je, sire, au bien de tout Tetat. Tout ce qu'enor-
gueillit un si grand attentat. — Eichelieu hätte in einem Expose
an Louis XIII. sich betreffs der Duelle nicht staatsmännischer
auf die Raison d'etat berufen können.
Mit dem Blute von Jimena's Vater bespritzt, erscheint de
Castro's Rodrigo in ihrem Zimmer, wo er nur die Vertraute,
Elvira, findet. Den Tod komme er bei Jimena zu suchen, ster-
ben will er von ihren Händen.'^) Elvira hört die Gebieterin
nahen.* Sie verbirgt den Unglücklichen hinter einer Teppichthür.
Jimena schmerzvergessen, spricht ihr Innerstes aus. „Sterbend
muss ich tqdten. Verfolgen werde ich ihn, bis ich gerächt bin. 3)
Rodrigo stürzt vor, kniet hin, reicht ihr den Dolch, um ihn in
sein Herz zu stossen: „In so grossem Missgeschick kämpften
feindselig in meiner Brust meine Sclimach mit Deiner Schönheit,
und Du hättest gesiegt, Herrhi, wenn ich nicht bedacht, dass den
Ehrlosen Du verabscheuen musstest, den Du nur als Ehrenhaften
lieben konntest.''^) Ein tiefes aus der verhängnissvollen Ver-
1) Sire, ne souffrez pas que sous votre puissance
Regne devant vos yeux ime teile licence,
Que les plus valeureux avec impunite
Soient exposes anx coups de la temerite,
Qu'un jeune audacieux triomphe de leur gioire,
Se baigne dans leur sang, et brave leur memoire
Enfin, mon pere mort, j'en demande vengeance,
Plus pour votre interet que ponr mon aUegeance.
2) Rod. Yo busco la rauerte
En SU casa . . .
Vengo ä niorir en sus manos.
3) ~ - habre de matar muriendo
Seguirele hasta vengarme.
4) Rod. Mas en tan gran desventura
Luchäran, ä mi despecho
Contrapuestos en mi peclio
Mi afrenta con tu hermosura.
Y tu, Senora, vencieras,
A no haber imaginado
Que, afrentado,
X. 43
(374 ^^s spanische Drama.
Wickelung der Lage strömendes Wort, darauf hindeutend, dass
aus der Liebe selbst das Pflicht- und Ehrengebot entspringe, wo-
durch es eben tragisch wird, nicht wie es der Franzose missver-
ständlich anbringt, zu einem als Gegensätze sich wiegenden Lie-
bes- und Pflichtenstreit. Vielleicht beruht auf dieser falschge-
deuteten Stelle die ganze Pseudotragik des Corneille und seiner
Nachfolger, betreffs der combats du coeur. Ohne jeglichen Kampf
und Gegenkampf enthüllt eTimena ihre ganze Seele; ist jeder
ihrer Hauche von Liebes- und Trauerweh durchglüht: Mit ihrem
Tode werde sie büssen, dass sie ihm nicht den Tod gegeben.
Ihn zu verfolgen, sey über sie verhängt, nicht ihm das Leben zu
nehmen." 1) Diese tragische Sühne liegt denn auch im Conflict,
den leider Romanze und Comedia mit einer Lustspielheirath zu
lösen sich gemüssiget fanden.
„Verabscheust Du mich?" fragt Rodrigo.
Jim. Ich vermag es nicht;
Du beherrschest meinen Stern . . .
Geh' und lass mich meinem Schmerze
Rod. Bleib denn, ich geh in den Tod.^J
Corneille's dritter Act ist wieder nur die Paraphrase der so
tief schmerzlichen, als Abschiedsseuf^er getauschten Seelenergüsse
der beiden Liebenden; Paraphrasen, ausgerenkt auf dem Pro-
krustesbette der Antithese und ihres metrischen Abbildes des
Alexandriners. Und auf die langgestreckte Paraphrase wieder
Por infame aborrecieras
Quien quisiste por honrado.
1) Jim. Tal soy
Que habre de emplear en mi
La muerte que no te doy . . ,
Mas soy parte
Para sola perseguirte,
Pero no para matarte.
2) Cid. ^,Me aborreces?
Jim. No es posible
Que predominas mi estrella.
Vete, y dejame penando.
Cid. Quedote, iremc muriendo.
Gorneillc's Chimene und de Castro's Jiiiieiia. ß75
Flickwerk gedöbelt, wie das improvisirte ; an Chimene vonseiten
der matten Stechfliege, des Don Sanche, gestellte Anerbieten,
sie möchte von seiner Liebe Gebrauch machen, er sey bereit, sie
an dem Frevler mit seiner tapfern Klinge zu rächen.^) Chimene
behält sich seine Klinge für den äussersten Nothfall vor-) und
empfiehlt sich ihm bis auf Weiteres. Ihre darauf folgende Scene
mit Elvire ist an combats du coeur die Schachtel voll kämpfen-
der und gegenseitig sich vertilgender Spinnen, oder gleicht jenem
mit Strohhalmen als Lanzen und Schwertern von Flöhen ausge-
fochtenen Berserkerkampfe , durch das Vergrösserungsglas be-
trachtet.^) Corneille's Chimene liefert nur den Commentar in
Alexandrinern zu der Seelenerregung der spanischen Jimena. Ein
frischer Thautropfen, von einer eben aufgebrochnen Blume aufge-
fangen und in künstlichem Wege zu einem Faul wassertropfen getrübt,
der nun im Sonnenlicht das Getümmel und Gewimmel einer In-
fusorienschlacht zur Schau gäbe. — Dieser Unterschied der beiden
Tropfen würde allenfalls ein ungefähres Bild des Contrastes bie-
ten, der zwischen Guillem de Castro's poetischen Aurorathränen
rosig glühender Liebeslust und Liebeleides, und zwischen den von
Corneille's Chimene vergossenen Alexandrinerthränen waltet, wir-
belnd und wabbelnd von infusorischen Antithesenkämpfen, die
ihr winzig ungeheuerliches Spiel am tumultuarischsten in der
Schlussscene des dritten Acts treiben, wo Corneille's Cid aus
dem Verstecke vortritt, um mit Chimene Guillem de Castro's
Abschiedsweh des Liebespaares, von Liebesleide]ischaft, Ehren-
pflicht und kindlichem Liebesgebot in sechs Seiten langen Wech-
1) Employez mon epee ä puiiir le coupable,
Employez mon anionr ä venger cette mort,
2) 0/est le dernier remede.
3) Chim.
C'est peu de dire aimer, Elvire, je Fadore,
Ma passion s'oppose ä mon ressentiment,
Dedans mon ennemi je trouve mon amant,
Et je sens qu'en depit de tonte ma colere
Kodrigue dans mon coeur combat encor mon pere,
II Fattaque, il le presse, il cede, il se defend,
Tan tot fort, tantot foible, et tantot triompliaut . ,
43*
ß76 ^^^ spanische Drama.
seireden paraphraseologisch zu parodiren.^) und welche combats
d'antitheses declamatoires! Welcher Schwall von dialogischen mit
falschem Pathos aufgestutzten Streitreden über längst bekannte,
abgethane Vorgänge! Einen Trommelwettkampf zweier Tambour-
major's glaubt man in Alexandrinern wirbeln zu hören. 2) Die
flehentlich inbrünstige Bitte des spanischen Cid, dass ihn eTimena
mit seinem ihr dargereichten Schwerte tödte — wie breit wird
dieses schöne, rührende und naturgemässe Motiv von Corneille's
Eodrigue, wie unleidlich breit getreten! Noch am Schlüsse des
declamatorisch-galanten Streitgesprächs setzt er diesen selbstmör-
derischen Dolch der Chimene abermals auf die Brust, „Thu' mir
den einzigen Gefallen und stoss' ihn mir in's Herz! Kann ich
1) Rod.
Tu sais comme im soufflet touche un homme de coeur.
Dieser eine Alexandriner reicht hin, um die ganze Scene in travestirende
Lächerlichkeit zu begraben.
2) Rod.
J'avais part ä Fatfront, j'en.ai cherche Fauteur,
Je Fai vu, j'ai venge mon honneur et nion pere,
Je le ferais encor, si j'avais a le faire.
Ce n'est pas qu'en effet contre mon pere et moi
Ma flamme assez long-temps n'ait combattu pour toi,
Juge de son pouvoir dans une teile offense,
J'ai pu douter encor, si j'en prendrais vengeance . . .
Chim.
Je sais ce que Fhonneur, apres un tel outrage,
Demandoit a Fardeur d'un genereux courage:
Tu n'a fait le devoir que d'un homme de bien;
Mais aussi, le faisant, tu m'as appris le mien,
Ta funeste valeur m'instruit par ta victoire:
Elle a venge ton pere, et soutenu ta gloire . . .
Ist das eine thränenvoUe Aifectsprache oder das Alexandrinerkettengeras-
sel zweier verwunschenen Theatergespenster? Sind das die von Schmerz
und Liebe glänzenden Zähren des spanischen Cid und der spanischen Ji-
mena, oder sind es die Würmer, die sich jenes graue Grabgespenst aus
den Augen wischt? Nur dass Corneille's Schemen sich diese Würmer in
Gestalt von trivial emphatischen Alexandrinern gegenseitig aus der Nase
ziehen.
Corneille's als Corapositioiiöküiistler. (377
nicht einmal diese Gefälligkeit von dir erlangen?'") Des spani-
schen Cid verzagungsvolle, zitternde Frage an die Geliebte : „Ver-
abscheust du mich?"'^) dreht ihm der französische im Munde um,
und ruft gebieterisch der Chimene zu: aber du sollst mich hassen!^)
Und setzt ihr breit und umständlich die Gründe auseinander,
weshalb sie ihn hassen soll und muss, überall die feinsten see-
lenvollsten Herzensbedrängnisse des spanischen Liebespaares auf
die äussersten Spitzen eines unnatürlich abstracten Combinations-
spiels von Antithesen treibend, wie sie nur ein im Innersten pro-
saischer und unfruchtbarer, zwischen der Tabulatur seiner Schablo-
nentragik, wie zwischen Brettern eingeengter, vernagelter Grosskopf
ausklügeln kann ; überall die poetischen Kosenbüsche des Spaniers,
wie der Hirschkäfer mit hörnerlangen Fressspitzen Blüthenreiser
abkahlt, mit seinen Antithesen zu nackten Dornhecken schrotend,
woraus denn auch Chimene ihren Rodrigue als Liebesandenken
ein recht stattliches Dornenruthenbüschel voll Antithesenstacheln
liicht.^) Und wie geschickt versteht es die Compositionskunst,
die Art dramatique des grossen Corneille, unbeirrt von seiner
tragikomischen, im Hesperidengarten des Spaniers angerichteten Ver-
wüstung, doch immer wieder, wo es ihm zupasse kommt, die
vollsten Rosenzweige des spanischen Cid durch sein Dorngesträuch
zu winden oder des Spaniers duftige Blumen ohne weiteres drüber
zu streuen, als Futter für seinen grauen Pegasus, der, ein Anti-
thesen-Maulthier von Grund aus, broute egalement le chardon et
la rose. So bindet er hier auch den Schluss der spanischen Tren-
nungsscene der französischen ohne weiteres als Blumenbouquet dem ,
fahlen Pferde unter den Schwanzriemen. Eine Prüfung der Com-
positionskunst des grossen Corneille würde ein noch trübse-
ligeres Resultat ergeben, als die seines poetisch -tragischen,
1) — quoique je fasse,
Ne pourrai-je a la fin obtenir cette graceV
2) ^irie aborreces?
3) Chirn. Va, je ne te hais point.
D. ßod. Tu le dois.
4) Malgre des feux si beaux qui troublent ma colere,
Je ferai mon possible ä bien venger mon pere:
Mais, malgre la rigueur d'un si cruel devoir,
Mon unique souhait est de ne rien ponvoir.
(578 ^^^ spanisclie Drama.
schöpferischen Genies. Au diesem Orte können wir nur beiläufige
Streiflichter zwischendurch werfen, und müssen es dem Mr.
Ernest Desjardin's anheimgeben, in einer besondern Schrift
den in seiner Abhandlung über den „grossen Corneille als Histo-
riker" noch nicht gelieferten Beweis nachzuholen, dass nämlich
der grosse Corneille eben so gross als Künstler wie als
Dichter sey: den Ergänzungsbeweis zu seinem so überzeugend
in der beregten Abhandlung durchgeführten Beweise: „dass Cor-
neille ein ebenso grosser Historiker wie grosser Poet ist."^) Wir
unserntheils treten imvoraus dem noch zu liefernden Ergänzungs-
beweise bei, wie wir mit dem Ergebniss von Mr. Desjardins Ab-
handlung über den „Historiker-' Corneille uns in vollem Einver-
ständnisse befinden, vorweg überzeugt, und mit beiden Händen
zugebend, „dass der grosse Corneille ein ebenso grosser Historiker,
wie Poet, und ein ebenso grosser Künstler in der dramatischen
Composition wie grosser Historiker und grosser Poet ist, mit der
einzigen Beschränkung unsrerseits, dass uns gestattet sey, das
Maass von des grossen Corneille poetischer Grösse anders als
Mr. Desjardins zu bestimmen, es nämlich so niedrig zu stellen,
als hoch es Mr. Dejardins anschlägt.
Den abschliessenden Füllstein zu Corneille's drittem Cid-Act
bildet die Paraphrase der Scene zwischen Diego Lainez und
seinem Sohne ßodrigo, welche im spanischen Cid unmittelbar
auf obige zwischen Eodrigo und Jimena folgt, und die mit
patriotisch-romanzenhaftem Colorit des greisen vom Sohne in
seine Ritter- und Mannes -Ehre wieder eingesetzten Vaters
Aufruf an den jungen Helden schildert: in offner Feldschlacht
gegen die Feinde des Vaterlandes, die Saracenen, nunmehr aucli
die Lanze so ruhmvoll zu führen, wie er im Zweikampf das
Schwert erprobt hat.^) Die pflichtschuldige Stelzengängerei drein-
gegeben, darf die Paraphrase dieser Scene nach dem spanischen
Original als die gelungenste im französischen Cid gerühmt, und
des alten Di egue Aufforderung: Kodrigue möchte auf die von
1) ,,J'ai vonlu montrer que Corneille est aussi grand historien que
grand poete.'' Le Grand Corneille Historien par Ernest Desjardins.
Paris 1861. Preface.
2) Diego. Sal en campana ä ejercitar los brios . . .
Pruebe la lanza, quien prob 61a espada.
Coriieille's negative Grösse. 679
ihm entsühnte Ohrfeigenstelle einen kindlichen Abschiedskuss
drücken, leicht als das wohlklingendste, beziehungsweis anspre-
chendste Alexandrinerreimpaar ^) in der Cid-Tragedie gepriesen
werden.
Nicht so hoch rechnen wir dem französischen Tragiker das
negative, spottwohlfeile Verdienst an, die nun folgenden Scenen
nicht paraphrasirt und demgemäss nicht travestirt zu haben,
welche den zweiten Act der spanischen Cid-Tragicomedia zum
Abschluss bringen, und worin Rodrigo's Ausmarsch in's Feld,
sein Abschied von der am Fenster erschienenen Infantin ürraca,
die ersten Kriegstliaten des jungen Compeador; die Gefangen-
nehmung von vier Mohrenkönigen auf einmal in Handlung treten,
und als folgerechter Anschluss hieran die des Infanten Don
Sancho, Kodrigo's kronprinzlichen Gönners und Schützers, betref-
fenden Scenen, die des Thronfolgers Abneigung gegen seine
Geschwister auf Grund einer astrologischen Prophezeihung mo-
tiviren, dahin lautend, dass er von einem der Geschwister
mit dem Wurfspeer würde getödtet werden, woran er zurstelle
das bestätigende Vorspiel in einem dahersausenden Jagdspiess zu
erblicken vermeint, den die mit ihrem Vater, dem König, im
nahen Walde jagende Infanta ürraca auf ein Schwarzwild ge-
schleudert hatte, und der über den Prinzen Sancho hinflog. Der
hinzugetretenen, ob Don Sanclio's Zornausbruch betroffenen In-
fantin erklärt des Prinzen greiser Hofmeister, Don Diego Lai-
nez, das bestürzende Verhalten desselben mit der astrologischen,
von ihm als thöricht bezeichneten Prophezeihung.^) So schön,
und von so hoher theatralischer Wirkung die Scene auch seyn
mag?, worin Kodrigo dem Könige Fernando die vier kriegs-
gefangenen Mohrenkönige vorstellt, so durfte doch der französische
Tragiker diese unparaphrasirt und, in anbetracht ihres ureigenen
Nationalcharakters und ihrer blos für ein spanisches Publicum
hochwichtigen historischen Bedeutung, nur erzählungsweise in
1) Viens baiser cette joue, et recoiinais la place
Qu tut empreint Taffroiit qiie ton courage efface.
2) Diego. Una necia astrologia
Le causa nielancholia.
Y tu la creciste ahora.
680 Das spanische Drama.
einer späteren Scene') berühren lassen. Wir meinen die Scene,
in welcher die erste Begrüssung des grössten spanischen Volks-
hel^en als „Cid'^ durch den gefangenen Mohrenkönig widerklingt:
Mohrenkönig: „Grosser Rodrigo! - Rodrigo. Ha Almanzor!
Mohrenkönig. Gieb mir die Hand, mein Cide! — Don
Sancho. „Mein Cid" — nannte er ihn. — Mohrenkönig.
In meiner Sprache heisst das: „mein Gebieter."^) Wie eine
Adlerfeder, dem römischen Antiquar zufolge, alle anderen Federn
verzehrt, so verschlingt diese Cid-Scene in den Augen des Spa-
niers alle übrigen Scenen seiner Tragikomödie, die Rodrigo- Ji-
mena-Scene nicht ausgenommen, für den spanischen Dichter
blosse episodische, um das historische Grundmotiv sich grup-
pirende Momente, die für den französischen Tragiker dagegen,
dem das Liebesverhältniss, der combat du coeur zwischen Galan-
terie und Ehrenetikette, das Hauptinteresse bildet und ausschliess-
lich bühnen- und tragödienwürdig erscheint, losgelöst von aller
ausserfranzösischen Nationalität und historischen Wurzel — un-
beschadet des von Mr. Ernest Desjardins dem grössten französi-
schen Tragiker vindicirten, gleichberechtigten Anspruchs auf den
grossen Historiker, wie auf den grossen Dichter.
Selbst der, für den Ausfall der Kampfscene, von Corneille's
Rodrigue dem Könige abgestattete Schlachtenbericht und seine
von ihm geschilderten Kämpfe zu Land und Wasser mit den
Mauren, mögen dem französischen Tragiker zugut kommen, ja,
von seinem Standpunkt aus, als ein dramatisches Verdienst an-
gerechnet werden, der alten Kunstanweisung gemäss, multaque
tolles Ex oculis quae mox narret facundia praesens, — Schlach-
ten- und Kampfscenen zumal, dem epischen Gedichte wesentlich,
1) IV. 3.
2) Key Moro.
jGran Rodrigo!
Rod. jOh Abnanzor!
R. Moro.
Dame la raano il mio Cide!
D. Sancho.
El mio Cid le ha llamado.
R. Moro.
En mi lingua es mi Senor.
Was bei Corneille Alles in 24 Stunden passirt. 681
vom Drama aber entschieden abgelehnt , vom spanischen freilich
nicht, das, in seiner durchgängigen Duplicität, das epische auf-
nimmt und neben sich schalten und walten lässt. Ob indess die
„facundia praesens'' des französischen Cid in den Schilderungen
„vom Kriegsschauplatz'^ nicht ein üebriges thut, und von dem
mustergültigen Brauche der oft meisterhaften Botenberichte in
der attischen Tragödie nicht eine zu weitschweifige, durch keinerlei
Gehaltsinteresse den achtzig Alexandriner schweren Kriegsbericht
rechtfertigende Nutzanwendung macht, das bleibe dahingestellt,
desgleichen die Zulässigkeit solchen in der antiken Tragödie
meist durch Tritagonisten erledigten Berichtes aus dem Munde
des Kampfeshelden selbst. Wichtiger möchten Einwände gegen
die nun folgende Paraphrase von Jimena's wiederholter An-
klagescene scheinen, worin sie zum zweitenmal mit ihrer Ge~
rechtigkeitsforderung vor den König tritt. Guillem de Castro's
Jimena begründet gleich mit dem ersten Vers das Zeitgemässe
und dramatisch Wahrscheinliche ihrer wiederholten Bittbeschwer:
„Herr" — so spricht sie den König an — „heute sind es drei
Monate, dass mein Vater von den Händen eines Jünglings
fiel." ^) Welchen psychologisch-dramatischen Wahrscheinlichkeits-
grund kann Corneille's Chimene für ihre, innerhalb derselben vier-
undzwanzig Stunden, wo des Vaters Ermordung vorfiel, wieder-
holte Aufforderung an den König geltend machen? Sie müsste
denn diesen ihrem ersten Anruf um Gerechtigkeit und Rache auf
dem Eusse folgenden Strafantrag beim König der Fülle von Er-
eignissen mit in Rechnung stellen, die binnen derselben Tages-
frist sich in den vier Acten so dicht zusammendrängen, dass dem
knappen Zeitraum von der Masse der inzwischen vorgefallenen
Begebenheiten alle Nähte platzen, und dass die Cid-Tragedie das
schreckliche Schicksal jenes Unglücklichen erfährt, dem Einer von
Prof. Stahr's Lieblingen, einer der Kaiserlich römischen ehren-
werthen Scheusale, allerhand Flüssigkeiten und Getränke so lange
gewaltsam eintrichtern Hess, bis dem schaudervoll Aufgeschwell-
ten sämmtliche uropoetischen Organe, die ganze Blase, wie man
1) Jim. Senor, hoy hace tres meses
Qua murio mi padre a manos
De un rapaz . . .
682 Das spanische Drama.
in Berlin sagt^ platzte. ^) Etwas Aehnliches leistete die unter dem
Namen „der schwedische Trank'' im dreissigjährigen Kriege an
eingefangenen Bauern vorgenommene, über den Durst gewährte
Tränkung: Den feindlichen Landleuten gössen die schwedischen
Soldaten faules Wasser scheffelweis in den Schlund, und stampf-
ten es nachher aus den geschwollenen Leibern mit Fusstritten
wieder heraus. ^j Wie muss nicht erst so einer armen Tragedie
aus allen Poren das faule Wasser sickern^ der die Fusstritte
mit tragischen Stelzen oder mit dem französischen Kothurn das
üebermaass von eingegossenen, durch den Trichter der Zeiteinheit
in den Hals geschütteten, während vierundzwanzig Stunden ge-
schehenen und vollendeten Thatsachen aus dem Leibe stampfen!
Insonders wo die Paraphrase von Jim e na 's zweitem Eacheschrei
nach Gerechtigkeit sich nicht, wie bei dieser, durch die Ventile
der Aparte's, die den Innern Kampf ihres Liebeschmerzes mit
ihrer Tochterpfficht ausströmen, Luft machen^); wo vielmehr
Chimene's Paraphrase nur eine monoton - weitläufige Umschrei-
bung der an den König zum zweitenmal gestellten Eache-
forderung ist, deren aufbegehrendes Pathos die angeblichen com-
bats du coeur zu einer schwungvollen, dem Könige über Stan-
desrecht und Herrscherpflicht gehaltenen „Pauke" trommelt ; ander-
weitiger, auch hier wiederum ein- und angeflickter Motive zu ge-
1) Siiet. Tib. c. LXII.
2) Rose, Herzog Bernhard IL S. 189.
3) Jimena. Rey, Rey justo, en tu presoiicia
Advierte bien como ostamos
El ofensor, yo ofendido,
Yo gimiendo, y el triunfandu . . .
El riendo y yo llorando.
(ap.)
jAy Rodrigo! ;Ay honra! [Ay ojos!
jAdonde os lleva el cuidado!
Und am Schluss der Scene: (ap.)
^Que la opiuion queda tanto,
Qiie persigo lo que adoro?
Dass der Ruf*) sa Schweres fordert
Zu verfolgen, was man liebt!
*) Die öffentliche Meinung.
Chimeue hält einen Vortrag über Staatsrecht. (383
schweigen, wie z. B. das spätere, dem dritten spanischen Act und
der Jimena über den Kopf weg- und in diese Scene herüber-
genommene Katastrophenmotiv, den im letzten Act der spanischen
Tragicomedia von Jimena, und im vierten der französischen
Cid-Tragedie von Chimene vorgeschlagenen Austragszweikampf
betreffend, mit der Verpflichtung ihrerseits, ßodrigue's Besieger
ihre Hand zu reichen.^) Worin verräth sich hier der stehende
Trumpf der französischen Tragik: die combats du coeur? Nicht
mit Einem Hauch ! Die pure pure Rache-Heroine toute pure trumpft
dem Könige von Anfang bis Ende auf.-^)
Aus dem Munde von Guillem de Castro's Dona ürraca
vernehmen wir in der ersten Scene seines dritten, letzten Acts,
das gegen Arias Gonzalo geäusserte Geständniss ihrer Liebe
für den Cid, mit dem sie sich zu vermählen gedacht hatte, wenn
sein Liebesverhältniss mit Jimena nicht im Wege stände, das
nach ihres Vaters Tödtung im Duell durch Cid sich bis zu ge-
genseitiger Vergötterung zwischen dem Liebespaar gesteigert
habe.^) Je heftiger Jimena den Geliebten gerichtlich verfolge,
desto mehr bete sie ihn an. *) An Stelle dieser allerdings müssigen
Eingangsscene zu Castro's Entscheidungsact, tritt Corneille's
1) A tous vos Chevaliers je demande sa tete;
Oui, qu'un d'eux me Tapporte, et je suis sa conquete.
2) Das Votum der von EicheHeu - fast möchte man sagen, behufs
der Cid -Kritik eingesetzten — Academie über diese Schlussscene des
111. Acts lautet: ,,Noas tenons cette scene principalement reprehensible
en ce que Chimene y veut deguiser au roi la passiou qu'elle a pour Ro-
drigue". Bemerkens werth in gedachter Scene (111. 5) möchte auch das
Cerherus-Honigklöscben seyn, das Corneille's König Ferdinand, zur Be-
schwichtigung des gewaltigen Staatsminister-Cardinais, wegen des Duell-
punktes hinwirft:
D. Ferd.
Mais, de peur qu'en exemple un tel combat ne passe,
Pour temoigner ä tous qu'a regret je permets
Un sanglant procede qui ne me plut jamäis,
De moi ni de la cour il n'aura la presence . . .
3) Y despues del Conde muerto
Se adoran.
4) Cuanto mas justicia sigue,
Es cierto que mas le adora.
684 Das spanische Drama.
fünfter Act vor dem vom König anberaumten Zweikampf des
Don Eodrigue und seines schattenhaften Nebenbuhlers Don
San che mit einer Eröffnungsscene zwischen Chimene und
Rodrigue in die Schranken^ deren combat de langue mit zwei
schweren dramatischen üebelständen sich herumschlägt: Erstens
mit dem wiederholten Motiv von Scene 4, Act II, wo Rodrigue
sein vom Blute des Comte Gormaz gefärbtes Schwert der Chimene
anbot, um es ihm brevi manu in die Brust zu stossen, und wel-
ches Motiv hier, Scene 1 , Act V , sich nun abermals aufdrängt,
mit dem modificirten Anerbeiten, im bevorstehenden Zweikampf
mit DonSanche, dem Schwerte desselben seinen „entblössten
Magen" als Stichblatt preiszugeben, in Don Sanche's Hand die
ihrige anbetend, die ihn, Rodrigue, zu G-runde richtet.^) Der
zweite noch schwerere üebelstand, womit die erste Scene in Cor-
neille's fünftem Act, den combats du coeur oder de langue zu
Diensten, sich herumschlägt, ist das Product aus dem gerügten
üebelstande, der Wiederholung des Motives, und der Steigerung
desselben bis zum Verstoss gegen Sitte und Anstand, den auch
Chimene bei seinem Erscheinen ihm als erste Begrüssung vor-
hält^), aber nur um den rücksichtslosen Anstoss, als ihr Vor-
recht, im Verlauf der Scene noch dadurch zu überbieten, dass
sie mit einem schonungslosen Schlag in's Gesicht ihrer Mädchen-
ehre und Tochterpflicht, ihrer Liebeserklärung die Zügel schiessen
lässt und mit einem unendlichen Antithesenschwall ihn himmel-
hoch beschwört, sein Vorhaben, mit entblösstem Magen zu fech-
ten, aufzugeben, und ihrem von ihm erschlagenen Vater niclit
den Unglimpf anzuthun, nachdem er ihn getödtet, „einen Sieger
zu dulden''.^) Da aber Rodrigue, um seinem Antheil beim Habnen-
1) -Je vais lui presenter mon estomac ouvert
Adorant en sa maiu la vötre qui me perd.
2) Chim,
Quoi i Rodrigue eu plein jourl
D'oü te vient cette audace?
Va, tu me perds d'honneur; retire toi, de grace,
3) Chim.
Si d'uii triste devoir la juste violence
Qui me fait, malgre moi, poursuiver ta vaillance
Prescrit ä ton amour une si forte loi
Chimene vergisst über CicVs 'estomac ouvert' ilire Ehre n. Tochterpflicht. 085
kämpfe des combat de langue, welcher das Herz des combat du
coem- auf der Zunge trägt, nicht das Geringste zu vergeben, —
da der ebenso tapfere Duellant im Herzenszweikampf, wie im
Duell überhaupt, auf seinem ^estomac ouvert' unabbringbar be-
steht: so bleibt der Chimene in diesem hitzigen, vier Acte hin-
durch so tapfer zwischen Liebesleidenschaft und Tochterehren-
pflicht gefochtenen Zweikampfe nichts übrig, als ihre Zunge mit
ihrem Herzen durchgehen zu lassen, und den geliebten Vater-
mörder inbrünstiglich zu beschwören, um ihrer Liebe willen^ sich
und seinen estomac zu schonen, und als Sieger aus einem Kampfe
hervorzugehen, dessen Preis Chimene istJ) Diesen schamver-
gessenen Sieg der Leidenschaft über weibliche und kindliche Pflicht
und Ehre erklärt Richelieu's Academie für den tadelnswürdigsten
Fehler im ganzen Stück 2), und eine Chimene's Tugend noch
preisgebendere Blosse, als Eodrigue's entblösster, sein Leben in
die Schanze schlagender estomac. In welchen Paroxysmus von"
sittlicher Entrüstung geräth nicht erst Scudery über Chimene's
ihre Ehrenpreisgebung mit der Schminke selbstgeständlicher Scham-
röthe beschönigenden letzten Alexandriner, den sich der vorletzte*)
Qu'il te rend sans defense*) a qiii combat pour moi,
En cet aveiiglement ne perds pas de memoire
Qu'ainsi que de ta vie il y va de ta gloire
Quoi! n'es-tu genereux que pour me faire outrage?
S'il me faut m'offenser n'ai-tu point de courage?
Et traites-tu mon pere avec tant de rigueur,
Qu'apres Tavoir vaincu tu souffres mi vainqueur?
1) Si jamais je t'aimai, eher Rodrigue, en revanche,
Defends-toi maintenant, pour m'oter a don Sanche . . .
Et si tu sens pour moi ton coeur encore epris
Sors vainqueur d'un combat dont Chimene est le prix.
2) — „decouvre tellement l'avantage que sa passion a pris sur eile que
nous n'estimons pas qu'il y ait guere de chose plus blamable en toute la
piece."
3) Adieu. Ce mot lache.
4) Sors vainqueur d'un combat dont Chimene est le prix.
*) Bezieht sich auf Rodrigue's Vorsatz:
Je vais lui presenter mon estomac ouvert.
ß^ß Das spanische Drama.
wie einen Schürzenzipfel vorhält! 'Zornerglüht über den Schürzen- ^
Zipfel, womit Chimene ihre Schamröthe bedeckt, ruft Scuderj^:
Wohl hat sie alle Ursache zu erröthen und sich zu verbergen
nach einer Handlung, die sie mit Schmach bedeckt und unwürdig
macht, das Tageslicht zu schauen, i) Chimene denkt sich, wenn
es mich nur würdig macht, das Lampenlicht zu schauen, und
wie siegreich würdig! so siegreich, dass gerade dieser Alexandriner
von Hof und Publicum-) mit donnerndem Beifall überschüttet ward,
und den Triumph des ganzen fünften Actes entschied; so sieg-
reich, dass Richelieu's zum Verfluchen commandirte Academie
ihren an sich mehr liebkosenden, als verletzenden Tadel noch mit
einem Bileams-Segenspruche zu versüssen sich bewogen fand,
der die Behandlung der Leidenschaft, Führung und Ausdrucks-
weise in dieser Scene, für sich betrachtet und ohne Rücksicht
auf den Gegenstand, des höchsten Lobes würdig erklärt.^) Kann
sie nun nicht hinter ihrem Schürzenzipfel kichern, die Chimene,
und den Scudery mit seiner moralisch gascognischen Zornwuth
auslachen? Kann? Mochte sie ihrer Zeit gekonnt haben, da noch
die Rosen ihrer Theater-Schamrothe und — wie es, dem neu-
griechischen Lied zufolge, bei reizenden Jungfrauen geschieht —
auch der Chimene noch beim Lachen die Rosen in die Schürze
fielen.^) Wer aber zuletzt lacht, das steht auf einem andern
Blatte, auf dem Blatte, das man nicht mehr vor den Mund zu
nehmen braucht, um in Scudery's Hohnlachen mit dem unbe-
fangensten heitersten Zustimmungsgelächter einzustimmen, unbe-
schadet der üeberzeugung, dass Scudery's selbeigene Stücke, sein
'Annibar, 'Ligdamar', 'Cesaf und wie sie alle heissen — dass sein
1) Elle a bien raison de rougir et de se cacher apres une aetion qui
la couvre d'infamie et qui la rend indigne de voir la lumiere. Observations
a. a. 0. p. 303. — 2) Ne vous etes-vous pas souvenu" ~ ruft Corneille,
in seinem apologetischen Antwortschreiben auf Scudery 's 'Observations',
herzfrohlockend in die Seele seiner Chimene, dem Gegner zu — ,,Ne vous
etes-vous pas souvenu que la reine, les princesses et les plus vertueuses
dames de la cour et de Paris l'ont re9ue (die Chimene) et caressee en
fille d'honneur?" ~ 3) ,,mais en la (la scene) considerant ä part et de-
täcliee du sujet, la passion qu'elle contient nous semble fort bien touchee
et fort bien conduite, et les expressions dignes de beaucoup de lou-
anges/' — 4) J. Grimm, D. Myth. S. 620.
G. de Castro's und Corneille's Knotenlösung. ßgT
und seiner Genossen Stücke mit den schäbigsten Federn, die, bei
der Mauser, die Corneille-Krähe, als sie mit Guillem de Castro's
Pfauenfedern ihre Blosse drappirte^), fallen Hess, noch Staat
machen und sich aufs schmuckeste herausputzen könnten.
Unmittelbar vor Jimena's drittem Racheaufruf an König
Fernando, im Beginn des letzten Acts, da erst lässt de Castro
seinen König durch AriasGonzalo eine und auch von diesem,
der es durch Urraca erfahren, nur vermuthungsweise insinuirte An-
deutung über Jimena's Liebesverhältniss mit ßodrigo em-
pfangen. Arias Gonzalo giebt dem Könige zu verstehen, Ji-
mena dürfte vielleicht nur aus Kücksicht auf ihren Ruf und die
öffentliche Meinung gegen Rodrigo so entschieden vorgehen, im
Herzen aber, unter dem Schein einer Rechtsforderung einen ihre
stillen Wünsche befriedigenden Ausgang herbeiführen wollen, und
in der Vermählung mit Rodrigo Erleichterung für ihre Trauer
ünden.2) Der König fragt: Lieben sie sich denn wirklich?
Arias: Sonder Zweifel. König: Weisst du es gewiss? Arias:
Ich vermuth' es, — und bittet den König, dass er Jimena auf
die Probe stellen dürfe. 3) Jimena bringt nun ihren drittmaligen
1) In einem versificirten Pamphlet des Tages apostropMrt Guillem de
Castro seinen Plünderer Corneille wie foigt:
Donc fier de mon plmnage en Corneille d'Horace*),
Ne pretends plus voler plus haut que le Parnasse,
Ingrat, rends-moi mon Cid jusqu'au dernier mot.
Apres tu connaitras, Corneille deplumee,
Que Tesprit le plus vain est souvent le plus sot,
Et qu'enfin tu me dois tonte ta renommee.
2) Pero asi de la malicia
Defendera la opinion
0 quizä satisfaccion
Pide, pidiendo justicia
Y el tratar el casamiento
De Eodrigo con Jimena
Sera olivio de su pena.
3) Rey. ^Quieren se bien?
Arias. No hay dudar.
*) Ne si forte suas repetitum venerit olim
Grex avium plumas moveat Cornicula risum;
Furtivis nudata coloribus. Hör. Ep. III. 1. 187.
688 ^^s spanische Drama.
Anruf um Gerechtigkeit vor, underhält auf Gonzalo's heimliches
Anstiften Kunde von einer dem König überbrachten Botschaft,
dass Eodrigo an vierzehn tödtlichen Wunden in einem mit
zwanzig Keisig'en gegen fünfhundert Mohren bestandenen Kampfe
erlegen. Jimena wandelt eine Ohnmacht an. Arias Gon-
zalo's Probemittel hat sich glänzend bewährt, und nun kann
auch der König, ohne Gewaltact und mit der vollen Wahrung
seiner Austragswürde und Majestät, sanft und versöhnend den
Knoten lösen und dem mächtigsten aller Herrscher in und ausser-
halb der Komödie, Gott Amor, gewonnen Spiel geben. i) Ji-
mena's Finte, behufs nothdürftiger Ehrenrettung ihres in den
letzten Zügen liegenden Widerstandes: man kann auch vor Freu-
den über des Feindes Tod ohnmächtig werden 2), und zum Be-
weise biete sie ihre Hand Demjenigen an, der ihr das Haupt des
Rodrigo de Vivar überi'eichen würde — diese letzte ihrem bhiten-
den Herzen abgerungene Finte hält doch nur noch für eine letzte
Erschütterung vor, die der spanische Dichter wirkungsvoll aus
der Verflechtung mit seinem geschichtlich-nationalen Grundgewebe
entspringen lä^st. Die von Aragoniern in Anspruch genommene
Grenzstadt Calahorra ist König Fernando entschlossen, durch
Cid für Castilien in Besitz nehmen und behaupten zu lassen.
Durcli üebereinkunft wird die Entscheidung einem Zweikampf an-
heimgestellt, zwischen Cid und dem Aragonesen Don Martin
Rey.
^Tu lo sabes?
Arias.
Lo sospecho.
Key.
(iDe que manera podre
Averiguarlo en su pecho?
Arias.
Dejandome el cargo ä mi
Hare uua prueba bastante.
1)
Eey.
Vivo es Rodrigo, Senora,
Que yo he querido probar
Si es que dice vuestra boca
Lo que en vuestro pecho estä,
Ya os he visto el corazon;
Reportadle, sosegad.
2)
Que con gusto y con piedad
Tanto atribula un placer
Como congoja un placer.
Der Goliath von Aragon. 689
Gonzales, einem Goliath, Rodomont, Milon an Körperwucht
und Stärke ^), und Grossmaul, die drei in Einer Person. „Deinen
Kopf der Jimena, und Calahorra meinem Könige-), bramarbarsirt
gegen den jugendlichen castilischen David, den Cid-Jüngling von
Al-ciden, der dreimäulige aus Goliath, Rodomont und Milon zu-
sammengewachsene Geryon.
Mit glücklichem Compositions-Verständniss lässt gleich nach
obiger, vor dem König zwischen den Zweikämpfern gewechselten
Herausforderung Guillem de Castro seine Jimena ihre wahre
Herzensmeinung in Elvira's Busen ausschütten: „Verwirrt und
beschämt habe sie mit dem Munde vor dem König das Begehren
gestellt, worüber ihre Seele nun sich gräme und härme. 3) Diesen
Aragonier, Don Martin Gonzalez, den Elvira als einen Popanz
und Allerweltschrecken abmalt — mag Jimena gar nicht nennen
hören. '^) Nun muss ihr gar noch ein zärtliches Brief chen vom
Aragonesischen Kinderschreck Rodrigo's Kopf in sichere Aussicht
stellen! und sie auffordern, Hochzeitskleider anzulegen, und sich
als seine Braut herauszuputzen.^) Jimena zerfliesst in Verzweif-
lungsthränen : „Ach Rodrigo! Ich tödte und beweine dich!"^) Wie
1) Es Don Martin un gigante
En fuerza y en proporcion,
ün Rodomonte, nn Milon.
2) A Jimena tu cabeza,
Y ä mi rey ä Calahorra.
3) Jim. Delante del Rey corrida
Y de corrida, turbada,
Y ofreciome un pensamiento
Para excusa de mi mengua;
Dijo aquello con la lengua,
Y con el alma lo siento.
4) Elv. Que es espanto de los horabres
Y do los ninos el coco.
Jim. Y es la muerte para mi:
No me le nombres, Elvira.
5) Ponte vestidas de bodas . , .
De Rodrigo la cabeza
Te promete mi valor.
6) jAy Rodrigo!
Yo te mato y yo te Uoro,
X. 44
690 l^as spanisclie Drama.
unendlich rührender ergreift bei dieser standhaften Durchführung
ihrer Ehren- und Kachepflicht Jimena's heimlicher Liebesklage-
schmerz, die ihre stillen Seufzer und Thränen auch vor dem
Könige nicht verbergen kann und aus ihrem Schrei nach Gerechtigkeit
und Bache hervorbrechen lässt' — wie ungleich rührender als Cbi-
mene's ähnliche Ergüsse, die doch nur als Jimena's zwölf- und
dreizehnsylbiges Alexandriner - Echo widerhallen. Und darum er-
greifender, rührender als Corneille's Heroine, weil diese in ihren
wiederholten ßacheforderungen eben nur die Ehrenracheheldin
hervorstellt, nachdem sie ihre Liebe zu Hause, unter Obhut der
Elvira gelassen, wo sie mitsamt der hydrostatischen Wage der
combats du coeur bis auf weiteres am Nagel hängt.
Die Herzensangelegenheiten durchschlingt der Spanier, seiner
Aufgabe gemäss, mit den grossen nationalgeschichtlichen In-
teressen und Thaten jener Zeit. Für den Cid ist die Ehren- und
Familiensühne durch Tödtung des Vaters der Geliebten, ist tra-
gisches Liebesgeschick selber nur eine von seinen Mocedades.
Er wäre der Cid nicht, und Guillem de Castro nicht der drama-
tische Verherrlicher des Cid und dessen Jugendthaten, wenn der
jugendliche Nationalheld in seiner Liebesleidenschaft selbstsüchtig
aufginge, und nicht vielmehr die Entsühnung seiner durch Blut-
rache befleckten Liebe aus der Alles läuternden Quelle ruhmvoller
Wagethaten für sein Vaterland schöpfte; ja inkraft dieser Blut-
sühne und Wiederherstellung des Begriffs der Familien- und
Mannesehre, der unbedingten Sohnespflicht in seiner Heiligkeit
und Würde, sich selbst erst zum Liebeshelden läuterte, des höchsten
Kampfpreises, Jimena's trauer- und thränenvoUer Liebeshuld,
würdig; Jimena's, die ja auch mit noch gleicher Familiensühne
ringt, mit der zugunsten von ßodrigo's Blutrache entscheidenden
Maassgabe, dass sein Vater der Beschimpfte ist, die von ihm er-
langte Genugthuung mithin die unab weisliche war, eine heilige
Pflicht, deren Verabsäumung ihn und sein Haus entehrt, des be-
glückendsten Ehrendankes , folglich der Frauenhuld, des edelsten
Ehrenrechtes gleichsam, verlustig gemacht hätte. Als Eächer
des staatenerhaltenden Famiiienehrenbegriffs, aufkosten seiner
Liebesleidenschaft, als ßacheheld unbedingter Sohnespietät, hat
Kodrigo seine tragische Ehrenschuld gleichsam abgetragen, und
dadurch zugleich der Geliebten, die ihrer Liebe dieselbe Sühne
Das Cid-Drama ohne tragischen Ausgang. 691
abkämpft, der Idee nach, Genugthuung gegeben. Jimena's Ver-
geltungssühne trägt schon mehr den Charakter der Privatrache,
ja der Verfolgung um gekränkter Liebe willen, deren Maske
nur die Blutrachepflicht, die sie Scheines- und ehrenhalber vor-
nimmt. Jimena kann daher, wenn sie der öffentlichen Meinung
genug gethan, wenn sie die Verfolgung durch alle Stadien bis
aufs äusserste getrieben, sie kann, vom Könige, von der gesühn-
ten öffentlichen Meinung selber dazu gedrängt, ihrer Muthung die
letzte Consequenz nachsehen und vergeben, kann von ihrer Ver-
folgung mit Ehren abstehen, in Eücksicht auf einen Liebeshelden,
der seine Herzensleidenschaft einer höheren allgemeinen Idee zum
Opfer brachte, der sonach ihre Liebe, weit entfernt sie zu kränken,
in der Aufopferung tragisch weihte, den Liebeshelden im tragi-
schen Helden verklärte. Zu einem solchen tragischen Ausgangs-
schicksal ist Jimena's, wenn man so sagen darf, nur privatrecht-
liche persönliche Eacheverpflichtung nicht angethan, nicht berufen.
Der mit ihrem Tode besiegelte Triumph ihrer Tochterrache über
ihre Liebe erschiene immerdar von einem Schatten des Verdachtes
befleckt: ihr Tod sey nur die Sühne beleidigter Liebe, und ihre
Selbstaufopferung nur ein dem Leumund gebrachtes Sühnopfer.
Dieser tragische Ausgang war in einem ausschliesslich um Liebes-
confiicte sich bewegenden Schauspiel geboten, und für eine Lie-
besheroine verpflichtend, welche eben nur die im Sinne eines solchen
Drama's an und von der Liebe begangene Schuld zu tilgen, als
Eächerin der Liebesidee sich zu opfern hatte. Ein Drama dieses
Schlages mit nothwendigem tragischen Ausgang ist eben das Cid-
Drama nicht, wo der effectvollste Schwerpunkt in den Volkshel-
den des Nationalruhmes, nicht in den Liebeshelden fällt, und
worin die in einen verhängnissvollen Herzenskampf verstrickte
Liebesheldin ihre Ehrenrache durch die vom Geliebten, im Na^
men des Familien- und" des Volksgeistes, erkämpfte und durch zahl-
reiche das Vaterland erhöhende und verherrlichende Waffenthaten
glorwürdige Genugthuung gesühnt und befriedigt empfinden muss.
In dem Maasse als der Liebeseffect das Pathos der Nationalsache
überwiegt, und Cid's Verfolgerin nur die Genugthuung ihrer von
des Vaters Mörder rücksichtlos gekränkten Liebe zu erstreben
scheinen könnte; tritt auch die Forderung an das Drama heran,
die individuelle, persönliche Leidenschaft, die selbstische Herzens-
44*
692 I)as spanische Drama.
Sache durch einen tragischen Ausgang poetisch zu erhöhen und
zu veredeln; mit dem Tode der Liebesheroine und im Siege der
Tochterpflicht und Ehre über ihre Privatrache, über die Befrie-
digung eigensüchtiger Liebesrache, die Ehrenrettung der dramati-
schen Idee, die Sühne des allgemeinen Pflichtengebotes, zu voll-
ziehen. Corneille's als „Tragedie" angekündigtes Drama musste,
als wesentliches durch Situation und Conflicte tragisch angelegtes
Liebesdrama, auch tragisch enden. Um so entschiedener, als
Corneille's Chimene die Liebesher o in e^ die Bekampferin ihrer
Leidenschaft, die Athletin im Eingkampf ihrer Ehrenrache mit
ihrer Liebe, aufs schärfste betont und hervorstellt; als sie, stark-
muthig bis zum Trotz, vor dem tim Verfolgung des Vatermörders
bestürmten König ihre Liebe verleugnet, die daher nur durch
einen tragischen Tod den Glauben an einen wirklich in ihrem
Innern ausgefochtenen Seelenkampf retten konnte; nicht dass sie
zuletzt zwischen einem geziert frostigen Anstandsbekenntnisse vor
dem König: dass sie den Rodrigue eben nicht hasse und auch
seine Verdienste zu schätzen wisse, sich hin und her drehe in
geschraubten Etiquettenwindungen, als gäbe sie es bloss aus Ge-
horsam gegen den König ab^), aber gleich auch wieder diesen
Gehorsam und diese ehrfürchtige Ergebung in des Königs Willen
umwindend mit Verwahrungen, Vorbehalten und unbestimmten
Zusagen für eine ferne Zukunft. Man sieht sie förmlich die in
ihrer Busen-Falte verborgene Wage der combats du coeur zu-
guterletzt noch einmal hervorziehen und, angesichts des Königs
und seines Hofes, die Combats scrupelweise vorwiegen mit einer
so gleichmässigen Vertheilung von Last und Gewicht, dass die
Wagschale am Schlüsse genau wieder in der Schwebe bleibt,
wie zu Anfang, und das Tragische des Ausgangs darin besteht,
dass die Tragedie mit ihren Combats in einen unentschiedenen
Kampf, und in eine desto entschiedenere Ausgangslosigkeit ge-
linde ausschwankt.
Vor allen diesen Fehlschlagen und üebelständen sicherte den
spanischen 'Cid' die patriotisch-heroische Glorification des Liebes-
helden, die seine ßuhmesthaten vor Augen stellt; die ihn sogar
1) Roderigue a des vertus que je ne puis hair,
Et quand un roi commande, on lui doit obeir.
Chimene's Vermählung und die Staatsraison. 693
mit einem Heiligenschein zu umgeben für angemessen erachtete,
durch Einflechtung der Legende, des Romanzenmotivs vom Aus-
sätzigen, mit dem der Cid, während sein Gefolge sich von dem-
selben voll Ekel und Abscheu fernhält, allein verkehrt, aus Einer
Schüssel isst, unter Einer Decke schläft, und der sich als der
h eilige Lazarus selber dem jungen Helden zu erkennen giebt^),
ihn zu Gross- und ßuhmesthaten ermuthigend, und unausbleib-
liche Siege durch seinen, des Schutzpatrons von Spanien, Beistand
ihm verheissend.^)
Im Strahlenglanze eines solchen himmlischen und irdischen
Theater-Glorienscheins musste da nicht der dünne Eispanzer von
Jimena's Verfolgungseifer schmelzen? Bei dem zugleich von innen
heraus fortwirkendem Feuer ihrer Liebesleidenschaft zumal, das
wir unter dem, wie ein Eisflor durchsichtigen Gorgo-Harnisch,
unter ihrem mehr vor Liebeserzitterung als vor ßacheschauder
zur morschen Eis-Aegide erstarrten Herzblatt, unausgesetzt
wühlen und lodern sehen. Die Bemerkung im Gutachten der
Academie franpaise^): die Vermählung der Chimene mit dem Cid
sey dramatisch nur zulässig, wenn das Staatswohl die Verbindung
erheischen würde, findet Voltaire fein und treffend, meint aber,
dass alsdann Plan und Bau des Drama's ganz umgeändert werden
müssten. Nur so weit, will uns bedünken, umgeändert werden
müssten, dass jenes von Guillem de Castro in dem ersten Theil
seiner 'Mocedades' allerdings berücksichtigte und nahezu durch-
geführte Motiv einer von der Volksmeinung zu des Staates Bestem
gewünschten und begehrten Verbindung der Jimena mit dem
Nationalhelden, dass dieses Motiv nur dramatisch kunstreicher
entwickelt worden wäre, als Guillem de Castro es vermochte, der
in den epischen Momenten und in der DarstellungSAveise der Cid-
Romanze, vor allem in dem schematischen Parallelismus der Com-
1) Gel San Lazaro so}^, Rodrigo
2) Emprende cualquier hazana,
SoHcito cualquier gloria
Pues te ofrece la victoria
El tanto patron de Espana.
3) Richelieu's Akademiker, die Corneille's 'Cid' zu prüfen hatten,
waren die Herren Desmarets, Boisrobert, nebenbei Richelieu's Instiger
Rath, Balthasar Baro, Sirmond, Bourzey, Cerizy, Gombauld.
694 ^^s spanische Drama
Position auch in diesem vorzüglichen Nationaldrama befangen
blieb. Dieser spanisch-dualistische Parallelismus ist dem Thema,
dem Stoffmotive der Cid-Jimena-Legende schon so in Fleisch und
Blut gewachsen, dass derselbe in Mariana's geschichtlichem Be-
richte darüber blank und nackt zutage liegt. „Jimena, heisst es
daselbst, verlangte vom Könige, dass er ihr den Cid zum Gatten
gebe, oder ihn, nach den Gesetzen, als den Mörder ihres Vaters,
mit dem Tode bestrafe." i) In keinem andern als in dem Herzen
einer Spanierin können die Extreme einer Alternative so schroff
und schneidend, und zugleich so friedlich und freundnachbarlich
nebeneinander hausen. In der einen Herzkammer, die Brautkam-
mer mit dem geliebten Gatten; in der andern Herzhälfte derselbe
Gatte als blutiger Eumpf, und neben ihm das abgeschlagene
Haupt. Dieses Zerblättern der dramatischen Composition in schich-
tenweise Lagen galt es, völlig umzugestalten und zu einer kunst-
gemässen Concentration umzugliedern. Was aber keineswegs durch
ein blosses negatives Verfahren ä la Corneille erreicht wird, durch
blosses Ausscheiden der episodisch-epischeii Bestandtheile, und
noch weniger dadurch zu erreichen steht, dass der steife Paral-
lelismus selber in einen dramatischen Zwiespalt versetzt, in einen
nicht minder schematischen Contrastirungszweikampf verwickelt
wird, wobei zuletzt, wie bei jenem Löwenkampf, doch wieder in
den zwei von dem Gegensatz aufgefressenen Löwen unversehrt
zurückgelassenen Schweifen der alte Dualismus bestehen bleibt.
Uebermeistert doch der Spanier, dessen Bruchsilber der grosse
Corneille nicht einmal umzuschmelzen verstanden, übermeistert
doch die spanische Tragikomödie seinen pseudotragischen Plün-
derer, wie an poetischer Kraft, Bühnenwirkung, psychologischer
Wahrheit und Charaktergestaltung, so auch in der Kunst der Ab-
rundung seines ob noch so gefächerten Scenengefüges. Guillem
de Castro's Abschluss des ersten Theils seiner 'Mocedades' ist ein
wirklicher Schlussstein, um so verdienstlicher, als dessen Schluss-
stein zugleich den Grundstein zum zweiten Theil der Dilogie
bildet, während, vorbemerktermassen, Corneille's Cid-Schluss in
1) EUa (Jimena) requirio al rey que se le diesse por marido — o le
castigasse, conforme a las leyes, por muerte que dio a su padre. Mariana
Hiöt. de Esp. L. IV, c. 50.
Beglückende Täuschung. 695
Chimene's Unschlüssigkeit sich verirrt und die combats du coenr
blos zu vertagen droht, um sie gelegentlich wieder aufzunehmen.
Mit dem Tod im Herzen erscheint die spanische Jimena vor
dem König im festlichen Brautgewande, um, ihrem Gelöbniss
gemäss, sich dem Sieger im eben auszufechtenden Zweikampfe zu
vermählen ij, der nur zugunsten des verabscheuten aragonischen
Goliath ausfallen kann. Die Meldung eines Boten, dass ein Ca-
vallero aus Aragon des Kodrigo Kopf überbringe — welcher Schlag
für Jimena's Herz, womit verglichen die von Corneille's Don
Sanche der Chimene überreichte, von Rodrigue's Blut, wie sie zu
glauben sich anstellt, noch triefende Klinge als eine Spiegelfech-
terei und ein schaler Spass erscheint. Des Boten Kunde schau-
dert aus Jimena's Herzen das Geständniss, dass sie immer Eo-
drigo's Tugenden angebetet und dass nun dasselbe Schwert mit
seinem Haupte zugleich ihren Lebensfaden abgeschnitten. 2) Ihre
letzte Seelenbitte an den König ist, dass sie nicht die grässliche
Hand des abscheulichen Aragonesen anzunehmen gezwungen
werde. Er möge sich an ihrem Hab und Gut genügen lassen.
Was ihre Person betreffe, so sey sie entschlossen, wenn sie der
Himmel nicht zu sich nehme, in einem Kloster ihr Leben hin-
zubringen.^) Das klingt anders, als die auf Stelzen getanzte
1) Jim. (ap.)
Muerto traigo el corazon
iCieloI ^si podre fingir?
2) Jim. De Eodrigo de Vivar
Adore siempre las prendas,
Y por cumplir con las leyos
Que nunca el mundo tuviera,
Procure la muerte suya
Tan a costa de mis penas,
Que ahora la misma espada
Que lia cortado su cabeza
Corto el hilo de mi vida.
3) Mas pues soy tan desdichada,
Tan Majestad no consienta
Que ese Don Martin Gonzales,
Esa mano injusta y fiera,
Quiera darmela de esposo;
Contentese con mi hacienda;
696 I^a,s spanische Drama.
Auskehr-Menuett, die des französischen Zieraffen, der Chimene,
Ja und Nein einander gegenüber auf- und abwärts, in entgegen-
gesetzter Richtung knicken und schleifen. Jimena's Seufzer, mit
dem Tode im Herzen , werden als Todesseufzer empfunden und
wirken inGuillem's Tragikomödie tragisch; die seufzerlose Hoch-
tönigkeit von Chimene's gespreizter Tiraden-Pruderie wirkt in
Corneille's Tragödie komisch.
In erfreulichstem Abstich zu Jimena's tragischer Stimmung
ergänzt Guillem de Castro's Cid den ersten Theil des Drama's
seiner „Mocedades" durch den heitersten Schluss zur Tragico-
media. Sein plötzliches Erscheinen wandelt miteins die tiefste
Trauer in die höchste beglückendste Lust. Die Herzen aller An-
wesenden fliegen dem jungen, sein Haupt unversehrt auf den
Schultern dahertragenden Kämpen entgegen : Das Herz des Prin-
zen Sancho, dessen Herzzipfel der junge Volksheld im ersten
Theil der Dilogie noch ist; das Herz des alten Diego, der Ji-
mena's gegen den Sohn gerichtete Verfolgungs-Anklagen mit
seiner väterlich gegnerischen Anwaltschaft stetig parallel begleitete,
und nun beim angemeldeten rumpflosen Haupte seines Sohnes
von Neuem auf seiner Wange den verhängnissvollen Backenstreich
glühen fühlt 0, die ihn in's Gesicht, und zuletzt nun gar, durch
Rückschlag, seines kindlich heldenhaften Ehrenrächers Gesicht
selber vom Rumpfe schlug; das Herz der Infanta ürraca, die
in rührender Entsagungsliebe sich als Parallelbild zu Jimena's
kampfvoller Resignation aus freien Stücken darbietet. 2) — Und
ach! ihr, Jimena's Herz! Wir haben es in seine zwei Hälften
zerreissen sehen: von Trauerschmerz über Rodrigo's ihr zuge-
sandtes Haupt, und vom Schauder ob des Aragonischen Goliath
blutiger, ihr zur Vermählung dargereichter Siegerhand, und im
Handumdrehen alle diese Herzen aus tiefstem Gram, Schrecken und
Que mi persona, seiior,
Si no es que el cielo la Ueva,
Llevarela ä un monasterio.
1) ^ Vencio Don Martin? !Yo muero!
2) Dona ürraca (zu Jimena).
Como he sabido tu pena
He venido (ap. Y como mia,
Hartas lagrimas me cuesta.)
Rodrigo mit zwei Köpfen. 697
Kummer umgeschnellt zu seligster Freude, wie die doppelten
Ausrufungszeichen, von denen immer eines dem anderen parallel
gegenüber auf dem Kopfe steht, plötzlich bei Kodrigo's unver-
sehenem Anblick aus Wehklagelauten in Entzückungsrufe um-
schlagen, das Unterste zu Oberst, und das Oberste zu Unterst
kehrend. ^)
König Fernando drappirt seine freudigen Ausrufungszeichen
majestätisch mit den doppelten Fragezeichen würdeoller Neugier
auf den Urheber solcher Neuigkeits-Lügen. -) In schwankhaft
anmuthiger Entgegnung erfährt der Cid die Wahrheit der Bot-
schaft: „Kommt er denn nicht wirklich; Kodrigo's Haupt der Ji-
mena darbieten?" Und mit seinem Kopf auf gut castilisch, zu-
gleich auch des Aragonesischen Goliath Parallelkopf, der draussen
auf seiner Lanzenspitze steckt !'0 Da er nun als Sieger sein eignes
Haupt der Jimena zustelle, so fordere er auch den in ihrem öffent-
lichen Aufruf verheissenen Siegerpreis: Jimena' s Hand.^) Ist
1) Diego. iHijo Rodrigo!
Jimena. jAy de mi!
^Si son sonadas quimeras?
Sancho. j Rodrigo!
Dona Urraca.
Vivo le quiero, aunque ingrato.
,,Lebt er nur, liebt er mich auch nicht!"
Edles anspruchsloses Infanta-Herz ! das bei seiner Freadenäusserung selbst
auf die Ausrufungszeichen entsagungsvoll verzichtet! Lauf denn so mit,
liebt man Dich auch nicht!
2) De tan mentirosas nuevas
^Donde estä quien fue el autor?
3) Cid. Antes fueron verdaderas
Que si bien, lo adviertes, yo
No mande decir en ellas
Sino solo que venia
A presentarle ä Jimena
La cabeza de Rodrigo . . .
De Aragon uu caballero;
Y esto es, Senor, cosa cierta,
Pues yo vengo de Aragon
Y la de Martin Gonzales
Estä en mi lanza alli fuera . . ,
4) pues le doy
698 ^^^ spanische Drama.
das nicht ein Spass, Geschwisterkind mit dem des Herakles in
Euripides' Satyrspiel: Älkeste? ein genuiner Herculesspass? Der
die Familientrauer, wie dort, in Festlust und Hochzeitfreude um-
wandelt? Der die Tragödie zur Komödie durch Zweikampf aus-
führt: dort durch Duell mit dem Tode selber in leibhafter Ge-
stalt; hier: mit einem Goliath, verhasst wie der Tod? Und solchen
prächtigen Herculesspass sollte Jimena dem Könige verderben? 0
Dem Prinzen Sancho verderben, der sie mit gefalteten Händen
bittet: „thu's doch, mir zu Liebe !'^ 2) Sollte Jimena ihren Al-
Ciden und, was die Hauptsache, sich selber verderben ? Ein holdes,
süsses Erröthen,^) — immerhin unverwehrt! Ein Erröthen, das
die letzte Spur von der väterlichen Ohrfeige auf Diego's Backe
tilgt. Ein Schamerröthen, das die spanische Cid-Heldin mit einem
Glorienschein umglänzt, und der französischen die tragische An-
stands-Schminke^) von der Wange sengt. — „Des Himmels Wille
geschehe!"^) Welcher Himmel für den spanischen, und welche
Hölle für den französischen Cid, der am Schluss des fünften Actes
zwischen Himmel und Hölle schweben bleibt, zwischen Hangen
und Bangen ! Des Himmels „Schluss" — der befriedigendste
Schluss für die spanische Cid-Tragicomödia, — ist für die schluss-
lose, französische Cid-Tragedie eine Verurtheilung in contumaciam.
Das wesentlich vaterländische Nationalinteresse, das Guillem
De Eodrigo la cabeza,
Ya me debe el ser mi
1) Eey. Yo pronuncio la seiitencia
En SU favor.
2) Sancho. Jimena, hacedlo por mi.
3) Jimenn. ;Ay de mi!
Impideme la verguenza.
4) „Was haben sie** (die französischen Tragödien des Corneille und
seiner Schule) „sonst noch viel Gutes; — 'Anständigkeit', wird man sa-
gen. — Nun ja, Anständigkeit. 'Alle ihre Verwickelungen sind anständi-
ger und einfacher* (als die der Spanier); alle ihre Theaterstreiche an-
ständiger und abgedroschener; aUe ihre Situationen anständiger und ge-
zwungener. Das kömmt von der Anständigkeit!" Hamb. Dramt. St. 68.
Corneille's Melpomene ist eben eine Anstandsdame, mit dem einen Bein
in Spaniens Kothurn, mit dem andern im Halbstiefel der spanischen Tragi-
Komödie daherstelzend.-
5) Jim. Hare lo que el cielo ordena.
Anderweitige Dramatiker aus Lope's Schule. 699
de Castro's zweiten, aus den Cid-Legenden und Romanzen, wie
eine Nelkenblume aus der andern, hervorgewachsene Theil, die
„Segunda Parte", der 'Moeedades del Cid', trägt, dieses spanische
Nationalinteresse entfremdet gewissermassen das für's castilische
Königsthum katastrophenreiche Ergänzungs-Drama zur Cid-Dio-
logie einer allgemeinen, rein literarischen Mitbetheiligung. Wir
dürfen uns daher auf eine nur andeutende Inhaltsskizze beschrän-
ken, die uns glücklicherweise bereits in so verlockender, von einem
Virtuosen in der Kunst, das Wesentlichste mit kräftigen Strichen
unter Hauptgesichtspunkte zusammenzudrängen, dargebotener Form
vorliegt, dass wir, im Nutzen unserer Leser, den Auszugs- Abriss
am zweckmässigsten einfach wiedergeben und, wie die Wichtel-
männchen beim Auswandern, die aus Keller und Speisekammer
mitgenommene ßeisezehrung, so auch wir unsere Beute auf „Gänse-
füssen*' in Sicherheit bringen, i)
Andere Trabanten, Monde und Nebenmonde, die sich noch
um Lope de Vega als zeitgenössische Dramatiker seiner Schule
oder seines Styls gruppiren, wollen wir in unsere Tafeln eintragen,
ohne sie weiter mit dem analytischen Tubus zu verfolgen. Als
einen der namhaften dieser Trabanten verzeichnen wir den Ri-
cardo del Turia, einen Mond, der von Lope de Vega sein
„Der zweite Theil der ^Mocedades', der die fernereu Jugenderleb-
nisse des Cid und die damit zusammenliängenden Begebenheiten, die Er-
mordung des Königs Sancho von Zamora u. s. w. behandelt, steht dem
ersten in Bezug auf Einheit des Interesses nach, nicht aber an poetischen
Schönheiten im Einzelnen. Besonders glücklich sind in diesem ächten Na-
tionalschauspiel Geist und Ton des spanischen Mittelalters getroffen. Der
Cid trägt hier mehr als in dem ersten Theile jenen hochfahrenden und
trotzigen Charakter, der ihm von den Komanzen geliehen wird; überhaupt
sind die Volkslieder und Chroniken noch fleissiger benutzt. Vorzüglich
glänzt im dritten Act die bewundernswerthe Scene von dem Kampfe der
drei Söhne des Arias Gonzalo. Der König Sancho ist vor Zamora, in wel-
cher Stadt er seine Schwester belagert hielt, ermordet worden. Ein Ritter
aus dem königlichen Lager, Diego de Lara, hat die Bewohner von Zamora
der Mitwissenschaft um den Mord angeklagt und sie aufgefordert, vier
Kämpfer zu stellen, gegen welche er seine Aussage mit dem Schwerte
erhärten wolle. Der Greis Arias Gonzalo, Befehlshaber der belagerten
Stadt, erscheint mit seinen vier Söhnen, um die Ehre von Zamora zu ver-
700 Das spanische Drama.
ihn sichtbar machendes Licht in dem glänzenden Lobpreis empfing,
den Lope's oftgenannte Dichtungen, SFilomena' und 'Laurel de
theidigen. *) Trotz seines Alters will er der erste in der Kampfbahn seyn
und nur mit Mühe kann Sancho's Schwester**), deren einzige Stütze er
ist, ihn bestimmen, zuerst seine Söhne kämpfen zu lassen. Die Infantin,
in tiefer Trauer, steigt auf ein Gerüst, von wo sie dem Kampfe zusehen
will; Arias Gonzalo, das Herz voll trüber Vorahnungen, sitzt neben ihr.
Gegenüber auf einem andern Gerüste erblickt man den Cid als Kampf-
richter***) und um ihn 'her die vorzüglichsten Ritter des castilianischen
Heeres. Der Ankläger, Diego de Lara, tritt hervor und gleich darauf
stellt sich auch der älteste Sohn des Arias ein, beugt sich vor der Infan-
tin, bittet um den Segen des Vaters und beginnt den Zweikampf. Nicht
lange, und der Jüngling sinkt tödtlich getroffen zu Boden. Der Vater
verbirgt seinen Schmerz und ruft den zweiten Sohn herbei.
„Mein Sohn, der Tod Deines Bruders muss Dir noch mehr Muth ver-
leihen ! Er ist als wackerer Krieger gestorben ; räche ihn und dank ihm so
*) Das Motiv der für den Vater durch Zweikampf vollzogenen
Ehrenrache im ersten Theil der Moced. erscheint im zweiten erweitert und
erhöht zur Ehrensühne für die Vaterstadtf), durch einen Vierkampf
vollbracht.
**) Dona Urraca.
Cid. A mi me ha tocado el ser
Fiel del Campo,
***) Cid, der Thatenheld reift, auf den Lorbeeren des ersten Theils
der Mocedades im zweiten als Kampfwärtel ausruhend, dem Leidenshelden
der Verbannung entgegen, als welcher schliesslich der greise Cid, ,,auf
hohem Balcon'S dem für seine und seiner Töchter Ehrenrettung und Til-
gung seiner Vaterschmach ausgefochtenen Zweikampf zuschaut. (Vgl. Gesch.
d. Dram. VIII. S. 350 f.) Der betrübsamen Entgegenreifung, ach, eines
Actionshelden zum Passionshelden, der das Zusehen hat, schier so betrüb-
sam, wie das ihrer Reife Entgegenfaulen der auf ihren Lorbeern aus-
ruhenden Mispel, nämlich auf Stroh. Ein Drittstück, worin die Moceda-
des und der Cid diesen Ausgang nähmen, hätte die tragikomische Dilogie
zu einer tragischen Trilogie abgerundet, die aber, dank der dilogisch -pa-
rallelen Gestaltungsform der spanischen Dramatiker, sich nur im Cid-Epos
vollzieht.
t) Arias Gonzalo.
El verte traidora
Libre ami patria Zamora
Me ha servido de consuelo.
Der zweite Theil von G. de Castro's Cid-Dilogie. 701
Apolo', auf den Valeiicianer warfen, und das dieser, wie Moses
die Lichthörner verhüllte, hinter der Larve eines Versedrania's
für das Beispiel, das er Dir gegeben hat!''*) Der Jüngling legt die Lanze
ein ; die Drommete erschallt von Neuem, die Infantin schaudert, und bald
sieht Arias auch das zweite seiner geliebten Kinder todt zur Erde
fallen.**)
Diego de Lara. Den dritten Sohn, Don Arias! mit diesem hier ist
es zu Ende.
Rodrigo Arias. Da bin ich! Da bin ich!
Arias. Mein Sohn, ich halte mich nicht mehr; ich will mit Dir in
die Kampfbahn hinabsteigen; bin ich in Deiner Nähe, so kann ich Dir
eher Anleitung geben; mein Athem, meine Stimme werden Dich er-
muthigen.
Rodrigo Arias. Du scheinst an mir zu zweifeln, mein Vater. Habe
ich nicht seit lange gezeigt, dass ich zu siegen und zu tödten weiss? Es
schmerzt mich, dass gerade Du mich verkennen kannst ! Wollte Gott ich
hätte die Kampfbahn vor meinen Brüdern besteigen dürfen ! ***)
*) Arias Gonzalo.
Con la muerte de tu hermano
Das mas fuerza ä tu razon.
Como caballero honrado
Hizo eterna su alabanza;
Ve ä pagarle en la venganza
El ejemplo que te ha dado.
**) Diese Scenen athmen in Wahrheit das heroische Pathos der anti-
ken Tragödie. Hier ist Arias Gonzalo, der Vater, in Lage und Seelen-
stimmung der Niobe, die ein Kind nach dem andern stürzen sieht. Die
Infantin Urraca wirft zu Arias Gonzales' Niobe-Situation und Niobe-
schmerz den Parallel-Schatten. Diesem Paare gegenüber, läuft ein zweites
immer zwischendurch nach je einem gefallenen Sohne des Arias heran-
schreitentes Paar parallel: Kampfrichter Cid, und der Sieger im Zwei-
kampf mit Gonzalo's nach einander den Kampf aufnehmenden vier Söhnen,
Don Diego Ordoiiez de Lara.
***) D. D. Ord.
Don Arias, envia el tercero:
Que el segundo he despachado.
D. ßodr.
Va va, Don Diego, ya va.
Padre, ya tengo abrasada
Toda el alma por salir.
702 I^as spanische Drama.
verbarg. DerEicardo del Turia ist der Pseudonym eines vor-
nehmen Staatsbeamten des Don Ferrer de Cardina, Gouver-
Die Lanzen werden eingelegt; Diego de Lara zerschmettert den Helm
des Kodrigo Arias, dieser aber spaltet mit letzter Kraft dem Pferde sei-
nes Gegners den Kopf; das sterbende Steitross trägt seinen Herrn, der es
nicht mehr bemeistern kann, über die Schranken hinaus. Eodrigo Arias,
durch den Streich, der seinen Helm getroffen hat, selbst tödtlich verwun-
det, sinkt sterbend in die Arme seines Vaters und denkt selbst im letzten
Augenblick nur daran, zu fragen, wer Sieger sey. Diego de Lara will
den Kampf von Neuem beginnen, um den Sieg zu vollenden, aber man
ruft ihm zu, er sey besiegt, weil er die Schranken überschritten habe. Es
entsteht ein lebhafter Streit, der zuletzt dahin beigelegt wird, dass man
erklärt, Zamora sey von dem Verdacht der Theilnahme an Sancho's Er-
mordung gereinigt, dem Rodrigo Arias aber müsse der Ruhm des Siegers
zuerkannt werden." (v. Schack, II. S. 442 ff.)
Der eigentliche Schluss — ohne „Gänsefüsse" bemerkt! — schürzt aber
noch den Knoten zu dem, uns wissentlich, weder von Guillem de Castro
noch von einem andern spanischen Bühnendichter dramatisirten Drittstück
einer Cid-Trilogie : indem König Alonso, der Cid-Legende und der Cid-Ro-
Ar. Gonz. No
Hay mas pacieneia, Rodrigo j
Yo quiero salir contigo
A ser tu padrino yo,
Y asi, en el trance feroz,
Mas cercano, mas violento,
Alcanzaräte mi aliento . . .
D. Rodr.
Ya eso parece dudar
En lo que tengo de hacer
^No sabes que se vencer?
(iNo sabes que se matar? , . .
Vamos, que corrido estoy
Que en mi valor dudaste . . .
Y ojala que saliera
Primero que mis hermanos.
Das ausschliesslich unter dem Geschoss der Gottheiten leidsame, wi-
derstandslose Pathos der Niobe und ihrer Kinder erhöht den tragischen
Druck durch das Gefühl der Unausweichlichkeit der Götterahndung. Das
Widerstandsmoment gegen des Schicksals zermalmende Gewalt ist ein epi-
sches, von dem germanisch kriegerischen Freiheitsgeiste und Ehr- und
Tapferkeitspathos in das Drama geworfenes Ferment. (Vgl. Gesch. d.
Drama's I. S. 108 f. II. S. 301.)
Bicardo del Turia. 703
neurs von Valencia, Regenten der Statthalterschaft und des Ge-
neral-Capitanats, der 1641 starb; und dem der erste Theil der schon
raanze gemäss, den ihm vom Cid als Bedingung seiner zu leistenden Va-
salleuhuldigung vorgesprochenen Eeinigungseid wegen des Verdachtes, dass
er, König Alonso von Leon, irgendwie bei dem Meuchelmorde des Kö-
nigs Sancho von Castilien seines Bruders betheiligt gewesen, zornentbrannt
nachspricht mit den Schwurfingern an dem vom Cid ihm vorgehaltenen
Crucifixe. König Alfonso schwört, aber Zornesfunken dem Cid in's Antlitz
sprühend, ob dessen Verwegenheit, anstatt huldigend das Knie zu beu-
gen, seinem Lehnsherrn und Könige vorgesprochene Eidesfluchformeln ab-
zuzwingen. Ein Wortwechsel entzündet sich wie zwischen Funken und
Pulver, Zungen treffen aufeinander wie zwei Schlachtschwerter. Ein Zungen-
Zweikampf von gefahrvolleren Folgen , als der grosse Campeador der Zwei-
kämpfe bisher ausgefochten. Entrüstet reisst sich der Held vom Könige
los, um ein glorreiches Exil anzutreten. Unmuthsvoll versinkt der König
in seinen Löwengroll. Da erscheint Dona ürraca als versöhnende Mitt-
lerin; versöhnend noch zwischen düsterem tragischen und tragi-komischem,
in's Heitere sich aufhellenden Ausgang. An ihrer Hand kehrt Cid wieder
ein, und König Alfonso — heimlich von Arias Gonzalo bedeutet, der
König möchte den zu Fürchtenden bis nach der Krönung zurückhalten —
Don Alfonso giebt dem Helden gute Worte, aus dessen Hand er die
Krone empfange. Der Volksheld, königsgläubig, wie das Volk selber, ist
der erste, der Vasallentreue und Gehorsam dem Oberlehnsherrn angelobt,
sorglos wegen des Vernichtungsstrahls, den ein persönlich verletzter König
unversöhnlich im Busen birgt und hegt, um ihn zu gelegener Zeit unver-
sehens zu schleudern.*)
Zum fröhlichsten Ausgang für den König heitert ihn die schöne Sa-
rac^nin, Zaida**), sein Liebchen, die zweite katastrophenreiche Hälfte der
Cid-Dilogie durch die Erklärung auf, dass sie, nach empfangener Taufe,
*) Ar. Gonz. (al oido).
Mira, Senor, que te importa
Ahora desenojarlo,
Hasta teuer la Corona,
D. Alonso.
Vuelve, Cid; que de tu mano
Quiero la corona yo.
Cid. Ya de servirte me incargo.
**) Als Gefangene der Mauren zu Toledo hatte sie dem Könige
Alonso das Leben gerettet (Act H.) Die Belagerung von Zamora und
seiner darin eingeschlossenen Schwester TJrraca, durch König Sancho
von Castilien, und dessen Ermordung durch Bellido de Olfos nimmt den
ersten Act ein und den Anfang des zweiten.
704 ^^^ spaiiisclie Drama.
erwähnten Sammlung der vier Valencianischen Schriftsteller ge-
widmet ist. Die vier Theaterstücke des Pseudonymen Statthal-
ters stehen im zweiten Bande der zu Valencia von Aurelio
Mey 1616 unter dem Titel: 'Norte de la poesia espanol'
(Wegweiser der spanischen Poesie) veröffentlichten, gleichfalls schon
berührten Komödiensammlung. Pseudo-Turia's vier Comedias liefern
das Widerspiel zu ihrem Verfasser: An ihnen ist der Name acht und
das Innere ein Pseudo-Gehalt. Die vier genauen Komödientitel
lauten: La burladora burlada (Die verspottete Spötterin),
die unter der Larve einer verworrenen Intrigue und stylistischer
Nachlässigkeiten doch noch eine Art von dramatischer • Absicht
und einige beziehungsweis schätzenswerthe Partien birgt. Wir
sprechen dieses ürtheil dem reisigen spanischen Kritiker und
Herausgeber von Lope's Dramaticos Contemporaneos, dem Don
Romanen de Mesonero Romanos auf Treu und Glauben nach,
und lassen die Comedia aus Rücksicht ungelesen , damit nicht
unsere Nachprüfung unser unbedingtes Vertrauen in die Einsicht
und Fähigkeit des Urtheils eines so bewährten spanischen Dra-
maturgen verdächtige, auf die Gefahr noch obenein, dasselbe nur
seiner ersten Hälfte nach zn bestätigen. Eine Nachprüfung der
übrigen drei Stücke aber des hinter dem Pseudo-Dichter verbor-
genen Statthalters — vermöge der Stellvertreterschaft
(lugartenencia) eigentlich nur eine Art Pseudonymen Staatsamtes
— des Ricardo del Turia drei andere Comedias: La beli-
gera Espaiiola (Die kriegerische Spanierin); La fe pagada
(Die vergoltene Treue); Vida y martirio de San Vicente
(Leben und Märtyrerthum des heiligen Vicente) - diese drei noch
nachträglich lesen, welche Romanos selber in der erste Hälfte
seines über die burladora burlada gefällten Urtheils ausschliesslich
nicht mehr Zaida, sondern Maria heisse. „Und schon'^ — versetzt der
vermählungslustige König — „harrte Dein die Hälfte meiner Krone. Nimm
hin des Gatten Hand. Zaida, Deine glückselige Gattin bin ich."*)
*) Zaida. Ya, de Zaida, soy Maria.
D. Alonso.
Y ya te estaba esperando
La mitad de mi corona;
Toma de esposo la mano.
Zaida. Tu dichosa esposa soy.
Der Licenciado Juan Gräjales. 705
und mit Vorenthalt der zweiten Hälfte verwickelt 0: Das wäre
die unverzeihlichste Oel- und Müheverschwendung, da unsere Nach-
prüfung im günstigsten Falle und beim besten Willen auch nicht
mehr zu leisten vermöchte.
Ueber den dramatischen Dichter, El Licenciado Juan
Gräjales, Zeitgenossen von Lope de Vega, ist kaum die Iden-
tität der Persönlichkeit festgestellt. Theils zweifeln, theils be-
zweifeln die Gelehrten, ob der von Eoxas in seiner 'Loa de la
Comedia' erwähnte Komödiant Gräjales^) unser Licentiat sey.
In die Tercera parte de las Comedias de Lope de
Vega y otros autores. Barcel. 1612. Madr. 1613. Barcel. 16! 4.
sind zwei Stücke^ vom Licenc. Juan de Gräjales aufgenommen,
die eine Dilogie bilden. Die Primera parte führt den Titel: La
prospera fortuna del Caballero 'del Espiritu Santo:
Die glücklichen Umstände des Caballero vom heiligen Geiste;
und die Segunda Parte, La adversa fortuna del caballero del
Espiritu Santo: „Die unglücklichen Umstände des" u. s. w. Beide
Stücke behandeln die Erfolge und Abenteuer des römischen Tri-
buns Cola di ßienzi (Nicola Eenzi) mit sehr geringem Er-
1) „aquel embroUo incomprensible y menguado desalino snben de
todo punto en su fe pagada, en su beligera espanola (especie de
episodio de la guerra de Arauco, cantada por Ercilla) y en La vida del
Märtir San Vicente. Als Gegenprobe gewissermaassen zu den vier
missglückten Komödien des valencianischen Pseudonymen dramatikers, Ri-
cardo deTuria, führt Romaneros dessen apologetische Abhandlung über
Lope de Vega's Komödienschule (*Apologetico de las Comedias
Espanolas'), welcher Apologetico den zweiten Band der angegeben Val.
Komödiensammlung einleitet, in extenso ein, um zu zeigen, ,,in welcher
sophistischen Weise" die Mit- und Nacheiferer jenes grossen Genius des-
sen Compositionsprincipien vertheidigten. *)
2) De los farsantes que han hecho
Farsas, loas, baites, letras,
Son Alonso de Moral es
Gräjales, Zarita, Mesa.
*) — documento tan curioso como poco conocido, que me parece del
caso reproducir, siquiera no sen mas que para hacer ver la manera so-
fistica con que se defendian por entonces las condescendencias del gran
genio. a. a. 0. p. XXIV.
X. ^ 45
706 Öas spanische Drama.
folge vonseiten' des Dichters. ^) Weit schärfer lautet noch das
über Gräjales' Renzi vom Verfasser der Geschichte der drama-
tischen Kunst in Spanien ausgesprochene Verdammungsurtheil.'^)
Die einzige im Kreise der von Lope's Zeitgenossen gedichteten
Dramen nennenswerthe Comedia des Licentiaten Gräjales ist:
El Bastarde de Ceuta.^)
Die Exposition hat an Sonderbarkeit vielleicht nicht ihres-
gleichen. Eine Mutter spricht im Schlaf und klagt, in Gegen-
wart ihrer Tochter, sich des Ehebruchs an, mit dem wie an ihren
Gatten gerichteten Bekenntniss, dass ihr Sohn ein Bastard.^) In
krampfhafter Umarmung der Tochter, als sey es der Gatte, der
sie ermorden wolle, erwacht sie. Damit nicht ^enug, erzählt sie
der Tochter den Traum: In Abwesenheit ihres Gatten, Capitan
Melendez, hätte sie dessen Pähndrich, Gomez de Melo,
im Schlafe bewältigt. Die verzweifelten Klagen ihrer Mutter über
den Traum beschwichtigt die Tochter, Petxonila, zwischen-
durch mit dem Tröste: es war ja nur' ein Traum. ^) „Ich ward
von ihm schwanger." — „Besinne dich doch nur, Mutter, du
träumtest nur das Alles.'^^j „Ja, aber der Traum ging in Er-
füllung.'^') Der Bastard ßodrigo nennt seinen vermeinten Vater,
den Capitan Melendez, 'Senor' und 'Capitan', nicht Vater.
Die Mutter fragt nach dem Grund, da der Capitan doch sein
Vater sey.*) Bastard Rodrigo bringt lauter halbschlächtige
Bastardgründe vor, und weiös nur, dass die Mutter, so oft sie
1) „con bien escaso merito." Meson. Eoiii. a. a. 0. XXXIV. — 2) „In
diesen Stücken sind Anlage und Ausführung gleich roh, die.Scenen nur
wie durch Zufall zusammengewürfelt, und von Berechnung und Gliederung
des Planes, von einer poetischen Intention, die das Ganze durchdränge,
ist nicht ,die Eede." IL S. 405. — 3) Flor de las Comedias de Es-
pana de diferentes Autores. Quintaparte, Madrid. — Alcala 1615. Barcel.
1616.
4) Elena. Digo pues que no es su hijo.
5) Considera que fue sueiio.
6) Elena. Hiceme prena del.
Petronila. En tu entendimiente vuelve;
Que lo sanabas diräs.
7) Esto sone y es verdad.
8) Elena. Porque no le Hamas padre,
Siendolo ?
Gräjales' Com. El Bastavdo de Ceuta. 707
ihn erblickt , die Augen mit einem Thränenschleier verhängt. ^)
Ist es denkbar, dass bei einer solchen Lage von Mutter und
Sohn, ein Publicum, das kein spanisches ist, einen Pähndrich,
wie den Gomez de Melo, auf der Bühne dulden könne? Und
diesen Fähndrich, seinen Traum- Vater, kommt der Incubations-
Bastard, der von den Göttern seiner Mutter im Schlaf bescheerte
Ehebrüchling , kommt Eodrigo, im Auftrag seines Pseudo- Va-
ters, des Gap it an Molen de z, als eingeladenen Tischgast, der
Mutter melden. Und um diesen Pähndrich Gomez muss Elena
von ihrem Gatten, dem Gapitan, noch Vorwürfe darüber hinneh-
men, dass sie gegen den Freund des Mannes einen Widerwillen
empfinde! Gomez erscheint wirklich zu Tische, mit Aparte's
über Elena's von Schamgefühl und Thränen gepeinigtes Wesen
und Gebahren! Und ein spanisches Publicum liess sich eine
solche Situation gefallen, ohne die schlafschänderische Familie
unter faulen Aepfeln zu begraben!
Das hierzu parallele Bastard-Gegenstück bleibt uns nicht ge-
schenkt. Im Kriege mit den Mauren in Africa hat Gapitan
M elend ez von einer schönen Mohrin, Fatima, gleichfalls einen
Bastarde erzielt, aber nicht im magnetischen Traumschlaf, wie
sein Fähndrich, sondern in vollkommen wachem Zustande eines
hellsehenden Bankertvaters, der da weiss, was er macht, nämlich
einen Parallel-Bastardo von Calpe zu dem Bastarde de Genta.
In einem harten Kampf auf afrikanischem Boden ruft Gapitan
Molen dez seinen, aus der Kraft der Lenden seines Fähndrichs
im Schlaf entsprossenen Sohn Kodrigo zu seiner Befreiung herbei
gegen die üebermacht der Mauren. Der Schlaferzeugte zieht
aber die Schlafmütze der Bastardenfühllosigkeit und Feigheit über
die Ohren, thut, als höre und sehe er nichts und schleicht da-
von. 2) Nun kommt des Gapitan maurischer Bastarde, Gel in, der
Ghristenschlächter, herangestürmt, und haut seinen natürlichen,
aber ihm zugleich unbekannten, und auch ihn, den Sohn, nicht
1) Sin suda el verme os da pena,
Pues jamas, madre, me veis,
Que ä mis ojos no lloreis.
2) Kodrigo. Quiero hacer qne no le veo.
Capitan. (^Asi hujes y me dejas?
45^
708 ^as spanische Drama.
kennenden Vater, mit seinem an der Stimme der Natur geschlif-
fenen Kruramsäbel, zum Skandal aller Mohren, ans dem Schar-
mützel heraus.^) Der natürliche Sohn, Celin, erstaunt unbe-
kannterweise über den unnatürlichen Sohn Rodrigo, als er vom
Capitan vernimmt, dass ihn derselbe im Stich gelassen. Von
Wirkung, von unfehlbarer Wirkung ist aber diese Schlussscene
des ersten Actes, trotzalledem.
Im zweiten Act trifft Capitan Melendez mit Celin,
in Ceuta, zu seiner namenlosen Freude zusammen, und führt ihn
in seine Häuslichkeit ein, und stellt seinen ihm unbewussten
Bastarde seiner im Schlaf aber mit einem bewussten Bastardo
gesegneten Gattin, Elena, als seinen tapfern Lebensretter vor.
Celin verliebt sich in seine natürliche Stiefschwester Petronila,
aus Elena's erster Ehe, verbittet sich aber die Freundschaft des
Eodrigo, der seinen, des ßodrigo, vermeinten, und seinen,
des Celin, unbewussten Vater, den feindlichen Schwertern, aus
Bastard -Instinct, überlassen. Dieser Instinct erreicht in der
Scene des zweiten Acts, wo der mütterlicherseits bewusste
Bastardo ßodrigo, seiner Halbschwester, Petronila, den letzten
Ring, den ihr seine Spielsucht gelassen, mit gezücktem Dolche
zu entreissen droht, eine solche Stärke, dass sich derselbe gegen
die Vaterautorität des Capitan, der die Stieftochter vor dem
Raubmörder schützt, offen auflehnt, in Gegenwart der Mutter, und
der instinctive Naturschrei: „Du bist nicht mein Vater!" den Ca-
pitan versteinert vor Entsetzen. 2) Mit einer wüthenden, dem
Ex-Vater mit negativer Naturstimme zugeschleuderten Heraus-
forderung zum Zweikampf stürzt der Teufelssprösslin:; davon. Die
unselige Mutter erklärt das nur ihr Erklärliche, in einem Aparte,
durch Ahnungen, deren düstere Schatten über die Seele wie im
Traume hinfliegen. ^) 'El adulterio es sueno'. Gleiche Ahnungen
1)
Celin.
No podre
Jurar que te vi en mi vida.
Capit.
Cosa extrana y rninca oida.
2)
Elena.
^A tu padre?
ßodrigo.
No es mi padre.
3)
Elena
(ap.)
Estas son sombras de! alraa.
Angeträumte Hörner. 709
steigen aparte auch in der Seele des Capitan auf. i) Gewal-
tiger Seelenkampf im stürmenden Busen, da er seines Weibes
Tugend und Treue, heilige Sittsamkeit und Keuschheit erprobt
hat. Wie lässt sich das vereinbaren? 2) Man denke Desdemona
in dieser Lage, der Aehnliches von des Mohren Fähndrich, Jago,
hätte passiren können! Wie Othello ruft Capitan Melendez: „Ich
kann's nicht glauben!" 2) Elena. „Schuldlos fürchte ich die
Strafe. Welcher Schmerz ist dem vergleichbar!" ... Capitan.
„Welcher fürchterliche Widersinn! Welche wahnsinnige Einbil-
dung!"*) Welche musterhafte Schlussscene des zweiten Acts
einer durch das Schuldmotiv verdammlichen — schlimmer! — -
einer widerwärtigen, abstossenden, abscheulichen Komödie!
Das parallele Gegenbild dazu liefert die erste Scene des drit-
te n Acts. Aus heissem Kampfe zwischen Mauren und Christen
stürzt Colin unverwundet seiner Mutter, Fatima, in die Arme.
Ein Medaillonbildniss des Heilands, das ihm Petronila gab, und
Colin auf der Brust trägt, stumpfte die Spitzen der christlichen
Schwerter. Beim Erblicken des Bildes geräth Fatima in fana-
tische Wuth, und verlangt vom Sohne die Ermordung des Pedro
1) Capit. (ap.)
Si me hizo traicion Elena,
Si ha faltado de la fe
Fuego por viento suspiro
Mi mujer me hizo traicion
No es mi hijo.
2) Capitan (mirala).
Pero tanta santitad
En tan grande compostura,
Modestia, amor, hermosura,
Virtud, valor y humildad,
Bondad, respeto, vergnenza,
Modo y traza de vivir,
<jComo se pudo imprimir?
3) No hay razon que me convenza.
4) Elena. Sin culpa temo la pena;
iQue dolor ä este se igiiala? . .
Capitan. jQue terrible disparate!
Que imaginacion tan loca!
710 l^as spanische Drama.
Melendez, in dessen Hause Celin dasBildniss gefunden haben
will, soll sie ihn anders für ihren Sohn und keinen Christenhund
halten. „Was Melendez ihr zuleide gethan?" Den unauslösch-
lichsten Schimpf. Mehreres darf sie nicht über die Lippen brin-
gen. Der Sohn schwört bei Allah, die Mutter zu rächen und ihren
Kränker zu tödten. ^) Ist das nun nicht wieder eine bewältigende
Scene, wo Celin im Zweikampf mit Melendez, zu dem ihn
sein Herz unwiderstehlich hinzieht, aus dessen Andeutungen auf
Celin's Frage, ob er eine Maurin Fatima Lela kenne, die
Entehrung seiner Mutter entnimmt, und zugleich dass sein und
seiner Mutter Entehrer sein Vater? 2) Wie die Säule von paral-
lelen Zink- und Kupferplatten mit elektrischen Funken einen
chemischen Process erregt, so entladen die parallelen Lagen gleich-
sam der spanischen Motivirung und scenischen Incidenzen die
glänzendsten Situationen, aber auch mit dem gleichen Zwiespalt
des dramatischen Products, wie dort, beim chemischen, zersetzt
der Process die Stoffe, und wirft die zwiespaltigen Producte nach
entgegengesetzten Enden, dem Zink- und Kupferpol.
Capitan Melendez findet die Gattin, nach einer aufge-
regten Erörterung mit dem Sohne, der abermals der Mutter in's
Gesicht die Vaterschaft des Capitan, nach der Philosophie des
ünbewussten, verläugnete, eingeschlummert. Pedro Melendez
setzt sich neben die Eingeschlafene. Nicht lange, und sie be-
ginnt laut zu träumen. Eine Scene gestaltet sich, das Kehrbild
zu der von Kleist's Grafen Strahl mit dem im magnetischen
Traumschlaf herzinnig kosenden Käthchen, bis auf Käthchens
magnetisch -mystisch -hyperromantische Naivetät und Unschuld.
Melendez' Gattin, Elena, giebt im natürlichen gesunden Traum-
schlaf ihrem Manne unumwunden ünbewussten Aufschluss über
Eodrigo's Ursprung, durch eine ebenso vonseiten der Traumschlä-
ferin unbewusste vom Fähndrich Gomez de Melo bewerk-
stelligte Incubation — mithin eine vonseiten der Schläferin un-
1) Matarele, por Alä,
2) Celin. Aguarda, enemiga madre;
Que el espejo de mi espada
Veras la venganza honrada
de la ofensa de mi padre (vase).
Situations-Scliraube. 711
befleckte Empfängniss. Wie Graf Wetter von Strahl lockt unser
Capitaii der Traumsprecherin durch Lauschfragen, die aber zu-
nächst selbstgesprächlich gemeint sind, Geständnisse ab. „Sollte
es wahr seyn, was Colin sagte, dass dieser Mensch (ßodrigo)
nicht mein Sohn?" — Elena (im Schlafe). „Er ist nicht Dein
Sohn." 0 Die bündige Erklärung genügt ihm nicht: er will sie
von der Erwachten bestätigt haben, mit Todesandrohung. -) Die
unglückliche legt nun die General-, richtiger: ihre Fähndrichs-
Beichte ab. Selbst nachdem sie in jener Beschlafungsnacht er-
wacht war, hielt sie, noch schlaftrunken, den Fähndrich für den
Capitan, zu dem er sich selbst, aus dem Stegreif, für selbige
Nacht avancirt hatte. Nun weiss Melendez genug. Elena's
breite ßechtfertigungs-Casuistik, begründet in dem Thatbestand
einer halb im Schlafe, halb im Wachen erlittenen Vergewal-
tigung, verfängt nicht beim Capitan. Er argumeutirt ihre uner-
weisbare Unschuld zu einer thatsächlichen Schuldbefleckung, tobt
und schnaubt Mord. 3) Elena flieht nicht den Tod, nur die
Schande. ^)
Der tragische Conflict schwebt in dieser Scene auf der höch-
sten Spitze. Die üeberbietung durch die sich anschliessende
Scene, wo Gomez de Melo den Eodrigo als reuige Abbitte
leistenden Sohn 'seinem verläugnenden Vater zuführt -^j, vermag
1)
Cap.
^Si, como Cehn me dijo,
No es aqueste hombre ml 'hijo?
Elena.
(Entre suenos)
No es tu hijo.
2)
Capit.
(Asela de un brazo y despierta.)
Elen
Espera, deten la mano;
Yo dire la verdad.
Cap.
Dila pues, 6 vive el cielo
Que te ha de costar la vida.
3)
Capit.
jAh mujer, ah Circe, ah fiera!
iQue bien el alma me dijo!
Enganame tu humildad.
4)
Elen.
No el morir, mi infamia huyo.
5)
Goniez.
Rodrigo de lo que ha hecho
Estä — arrepentido . . .
Sefior ßodrigo, y besad
A vuestro padre la mano.
712 I^^s spanische Drama.
nur die aufs Aeusserste gespannten Federn zu lockern und zu
erschlaffen. Der immerwiederkehrende Uebelstand in den spani-
schen, von Hause aus situationssüchtigen und auf Theaterstreiche
losarbeitenden Dramen tritt auch in dieser Folgescene hervor:
Das ü eberschrauben der parallelen Contrastwirkung, das va-banque
Spielen mit dem Situationsspiel. Und doch kommt dieser Geistes-
richtung eine so schlagfertige Virtuosität selbst noch in Be-
nutzung solcher excentrischen Situationswirkungen zustatten, dass
die überkünstelte Steigerung eine gebotene kunstreich erfundene
erscheinen kann. Aus der Zuführung des ßodrigo durch den
wirklichen, von Elena's eben abgelegtem Geständnisse nichts
ahnenden Vater-Fähnrich, lässt der Dichter den von der Bastard-
schaft dieses Sohnes nunmehr vollkommen überzeugten Pseudo-
vater die Katastrophe dadurch entwickeln, dass dieser den vom
Fähnrich als Nachtalp erzeugten Ehebruchssprössling mit allem
Aufgebot eines beschimpften Vatergefühls zum Rächer seiner
Entehrung aufruft^); und dass der Bastard dieses Rächeramt
eifrig übernimmt, und war' es selbst gegen seinen wirklichen
Vater!-) Im flagrantesten Widerspruch mit seinen durchgängig
kundgegebenen Gesinnungen gegen den von seiner — wenn wir
den Ausdruck wiederholen dürfen — negativen Naturstimme ver-
leugneten Scheinvater, die jetzt plötzlich, offenbar der übersinn-
reichen Katastrophenzuspitzung und dem spanisch Alles über-
spitzenden Ehrbegriff zulieb, erstickt wird. Nun an diese Scene
wieder unmittelbar die Parallelcontrastscene von schroffster Ge-
genbildlichkeit angenestelt, in welcher Colin, der Bastard von
Ceuta, auf seine Mutter, Fatima, mit gezücktem Dolche ein-
dringt, weil ein Christ ihn zu dem gemacht hat, was er ist.
„Ist dieser Christ'' — schwingt Colin den Dolch — „der Ca-
pitan Melendez?" Fatima. „Wer sagte es Dir?" Celin.
„Meine Liebe; die Stimme der Natur." ^) . . . Und als er der
1) Porque el padre es como espejo,
Adonde reverberando
El sol del amor, y dando,
Alcanza el Hjo el reflejo;
Yo soy, Eodrigo, afrentado.
2) Rod. Sea quien fuera, sea mi padre.
3) Celin, ^Es el capitan Melendez?
Der unbewusste Vatermörder. 713
Mutter mit der Dolchspitze an der Kehle das Geständniss ent-
rissen, dass Capitan Melendez sein wirtlicher Vater, durch-
strömt auch gleich wieder die warme Kindesliebe für die Mutter
sein Herz, die ihn als Bastard de Ceuta von einem ihm so theu-
ren Vater auf die V^elt gesetzt, und vergiebt ihr den Schmach-
flecken seiner Geburt ^) , den er im Wasser der Taufe rein zu
waschen mit der Mutter zusammen nach Ceuta eilt. -) Die
Taufe: zu der Situationsgipfelspitze des Ehrenhochpunkts,
die sie noch überragende Parallelspitze! Konnte nun eine aus-
geklügeltere Katastrophenscene folgen, als die, wo Rodrigo, den
ihm vom Pseudovater, dem Capitan , als seinen Ehrenkränker be-
zeichneten, aus der Spielstube, bei stockfinsterer Nacht eben da-
herkommenden Fähndrich Gomez deMelo mit Dolchstössen
ermordet, ohne ihn zu erkennen. „Er sterbe" — stürzt rachebe-
friedigt Capitan Melendez davon. — „Er sterbe, der mit seinem
Blut den Altar des Gottes der Ehre sühnt!" ^; Rodrigo
bleibt noch bei dem Sterbenden zurück, für den seine negative
Naturstimme keinen kindlichen Laut hat und stumm bleibt, bis
der unter des Sohnes Dolch verblutende Vater sich ihm als sol-
chen zu erkennen giebt. „Ich kannte Dich nicht, vergieb!"'*)
sagt dieser im Finstern erzeugte und im Finstern den Erzeuger,
Fatima.
iQuien te lo dejo?
Celin.
Mi amor,
Naturaleza . . .
1)
Fatima.
Melendez, Celin amado,
Es tu padre natural.
Celin.
Es tan ä mi gusto igual
El padre que me habeis dado,
Que enmudezco, y os perdouo
El agravio que me hicistes.
2)
Fatima.
Yo estoy resuelta ä pasarme
A Ceuta a volverme ä Cristo.
Celin.
El corazon me habeis vesto;
Con Yos he de bantizarme.
3)
Capit,
Muera quien con sacrificios
De sangre, ä sü altar propicios
Sc aplaca el dios del bonor.
(Entrase.)
4)
No te conoci, perdona.
714 I^8,s »panische Drama.
wie in Traumesdusel ^) , erdolchende Sohn. Weder Lope noch
Calderou, oder sonst Einer von den Kunstmeistern der spanischen
Bühne haben das in parallelen Situations-Gegensätzen sich zu
den luftigsten Situationskatastrophenspitzen emporschwindelnde
Komödien-Schema mit grösserer Kunstfertigkeit, durchdachterer
Steigerung und mit tieferer psychologischer Berechnung zu Ehren
gebracht, als dieser Licenciad9 Juan Gräjales, über dessen
Persönlichkeitsidentität die spanischen Biographen und dramatur-
gischen Literaturgeschichtschreiber im Zweifel sind und sie mit
Sicherheit festzustellen nicht vermögen. Was den Vergeltungs-
begriff, die tragische Sühne, anbetrifft, so ist uns kein spanisches
Drama bekannt, das diese Sühne so streng und furchtbar, und
so aus der Tiefe des Schuldcharakters entwickelt, wie dieses.
Was noch folgt, ist ein Aufräumen mit den „Restern": Ro-
drigo's Verhaftung und Verbannung, ausgesprochen durch den
Commissar der poetischen Gerechtigkeit, den Austragsvollstrecker,
Marques de Villareal; ferner Elena's Rückzug in ein Klo-
ster; Celin's und Fatima's Erklärung zu des Capitan
Füssen, dass er, Pedro Molen dez, der Vater des heldenhaften
Mohrenjünglings, und dass Sohn und Mutter nach der heiligen
Taufe lechzen, und der Sohn nebenbei nach der Hand von Melendez'
Stieftochter, Petronila — und letzten Endes noch als Schluss-
motiv und historischer Ausblick in eine für Portugal verhängniss-
volle Fernentiefe: König Sebastian's Ankunft mit der Flotte
im Hafen von Ceuta auf seiner mit der grossen Nationaltragödie
schwangern Expedition nach Africa, deren unheilvollen Ausgang
der Maure Colin vorhersagt.'^) Dem üblichen, hier von Mar-
ques de Villareal an das verehrungswürdige Publicum ge-
richteten Abschiedsgrusse fügen wir den unsrigen an den Senado
de los Criticos Sonores y Dramaturgos, in Form unseres wieder-
holten Ausspruchs hinzu, der dahin lautet, dass der 'Bastardo
de Ceuta' des verschollenen Licenciado Juan Gräjales zu
1) Rodr, Ya de mi sueno despierto.
2) Celin. Mucho, padr^ mio, temo
Que tu rey venga a buscar
En el Africa su entierro,
Pale, padre, por perdido.
Doctor Godinez. 7I5
den, in psychologischer Beziehung, merkwürdigsten, in ethischer
Hinsicht, unerträglichsten Dramen des spanischen Theaters zählt.
Doctor Felipe Godinez.
Ausser zwei Empfehlungszeugnissen über Doctor Godinez'
poetische Verdienste um die Komödie, das eine ausgestellt von Cer-
vantes im 'Viage al Parnaso'^), das zweite von Montalvan,
der dem Godinez in seinem Tara-Todos' testirt, dass derselbe
eine ungewöhnlich grosse Leichtigkeit, Kenntniss und Geistesfein-
heit für diese Art von Poesie, für Bühnenspiele und vornehmlich
für geistliche Komödie besass'^), wissen wir von dem Besitzer
dieser gerühmten Eigenschaft, von seiner Persönlichkeit und seinen
Lebensumständen so gar nichts, als hätten jene ausgezeichneten
Qualitäten an gar keinem Individuum gehaftet, und als sey dieses
nicht mehr denn ein unpersönliches Fürwort gewesen. Ohne die
Aufschrift über Godinez' in einem bändereichen Schmökerwerk zu-
fällig entdecktem Sonett, wüsste man auch dies nicht, dass Se-
villa sein Geburtsort war. üeber seinen Geburts- und Todestag
vollends schwebt ewiges Grabesschweigen. Und doch wird ein
halbes Schock mindestens heiliger und weltlicher Theaterstücke
aufgezählt^), die mit besonderem Beifall gespielt worden. Die
Person des Dichters löst sich in Stücke auf, wie in Würmer.
In gedruckten Sammlungen finden sich von Godinez' geist-
lichen Komödien u. a. Los trabajos de Job (Hiobs Leiden).
La Virgen de Guadelupe, Aman y Mardaqueo ö la
Eeina Ester, das bekannteste seiner geistlichen Dramen, unter
den weltlichen Komödien zeichnet sich durch „Gewandtheit und
1) Este que tiene, como mes de mayo,
Florido ingenio, y que comienza ahora
A hacer de sus comedias nuevo ensayo
Godinez es . . .
2) ,,que tiene grandisima facilidad, conocimiento y sutileza para este
genero de poesia, particularmente en las comedias divinas. — 3) Parnassus
t. XXXIV. fol. 231. — Unter den geistlichen Spielen werden als au-
tographe Manuscripte genannt: 'El divino Isaac' (Auto sacra-
mental autografo), San Mateo en Etiopia. El soldado del Oielo
San Sebastian. (Manuscript von 1613).
716 J^as spanische Drama.
Eigenthümlichkeit der Intrigue, Entschlossenheit der Handlung,
Schönheit der Charaktere, und Correctheit des Styls"^) aus; Die
Comedia famosa
Aun de noche alumbra el sol.
(Auch bei Nacht scheint die Sonne.)
Dona Sol Abarca nämlich, die im Auftrage des Königs
Sancho von Navarra, welcher den in sie verliebten Kronprinzen,
Don Carlos mit der Thronerbin von Aragon zu vermählen
wünscht, vo.n ihrem durch Missverständniss eifersüchtigen, heim-
lichen Gatten, Don Juan de Zuniga, ermordet werden soll,
und die der König zuletzt in Don Juan 's Armen findet, bei
plötzlicher das Nachtdunkel erhellender Beleuchtung, die des
Königs Fackelträger verbreiten. Zugleich betrifft König Sancho
den Kronprinzen, Don Carlos, in den Armen einer andern
Dame, Doiia Costanza, die der Prinz für Dona Sol hält.
Da nun der glücklich geschlungene Knoten sich durch die Situa-
tion selbst löst, und Doiia Sol ohne weitere Aufklärungen Licht
über die Verwickelung ertheilt, so steht der Titel der Komödie:
„Auch bei Nacht scheint die Sonne", gleichfalls im schönsten
Lichte gerechtfertigt da. 2) Der Knoten schürzt sich ungefähr so:
Der in Dona Sol verliebte Kronprinz giebt dem Don Jaime,
dem Freunde des Don Juan, Befehl, diesen aus dem Wege zu
räumen. Don Jaime benachrichtigt den Freund von des Prin-
zen Anschlagt) und bestimmt ihn, im Verein mit Doiia SoP),
1) „por la facilidad y propiedad de la hitriga, la economia de la ac-
cion — - la beUezza de los caracteres y correccion del stilo. Kam. Meson.
Eomanos a. a. 0. IL Apunt. biogr. p. XVIII.
2) Don Juan. Sol es aqui
Que desengana; y asi
Lo que engaiia, desengana.
3) Su alteza manda que os mate.
4) Nachdem sie ihren Entschluss erklärt, Don Juan's, ihres Gatten,
Schicksal zu theilen:
Que quiere que nos conduzca
A un fin una misma vida.
Nur Don Juan's Besorgniss, wegen der Gefahren, die seine und Dona
SoFs Ehre, wenn er die Gattin allein zurückliesse; bedrohe, ermuthigt sie,
Godiiiez' Oom. Aun de noche etc. 7 17
sich durch die Flucht zu retten. Don Juan hält sich in der
Nähe von Pampelona einige Tage verborgen. Mit der Trennung
schliesst der erste Act, dem nur eine einfachere Ausdrucksweise
und minder breitselige Weitschweifigkeit im Dialog zu wünschen
wäre. Des Herausgebers Mesonero Romano's Lob, bezüglich der
„Correctheit des Styls'S bewahrheitet der erste Act demnach nicht,
wenn anders diese „Correctheit" keinerlei Luxuriren und üeber-
ladungen der Sprechweise bedingt. Sollte die „Eigenthümlich-
keit der Intrigue" auch ihr Häkchen haben? Die Intrigue knüpft
zwar eben auch nur das stehende Motiv und die obligate Ver-
wicklungsfigur der spanischen Komödie, die zur Primadonna
amorosa zweite Primadonna, die zu jener parallele Eifersucht-
Dame, hier Dona Costanza, welche den Don Juan, Dona
SoFs heimlichen Gemahl, liebt. Doch möchte sich das Motiv
ihres Intriguenplanes darin von ähnlichen unterscheiden, dass sie
durch Liebesbriefe, die Dona SoPs Namen tragen, und nächt-
liche Zusammenkünfte im Garten den Prinzen Don Carlos
täuscht, um den Geliebten vor des Prinzen Eifersucht und Ver-
folgungen zu schützen.*) Eine Intrigue also in edelster Absicht,
und eine schöne Seele mehr im Stücke. Eine Eifersuchts-Intri-
zurückzubleiben, um dem Gatten einen Beweis ihrer unerschrockenen Ehr-
barkeit zu geben:
Vete, y veräs cuan segura
Armadas huestes desprecia . . .
Yo quedo conmigo misma . . .
D. Juan. Yo ire donde
Por unos dias me encubra.
1) Dona Costanza erklärt sich darüber gegen die Kammerjungfer
Ines:
Y como para aplicar
AI principe el medio era
Que Sol le hablara y quisiera
Y ella, enfin, no le ha de hablar,
Porque el piense, aunque engafiado,
Que tiene ä Sol reducida,
Y asi Don Juan tenga vida,
Que este solo es mi cuidado,
Hurtändole ä Sol el nombre
A hablarle de noche vengo
AI 3 ardin.
718 I)as spanische Drama.
gantiii als schöne Seele — ist allerdings keine gewöhnliche Er-
scheinung in der spanischen Comedia, so wenig, wie ein treuer
Freund und Hüter anvertrauter heimlicher Gattinnen, gleich dem
Don Jaime, darin so leicht zu finden wäre. In demselben
Garten hält aber auch Don Juan mit der heimlichen Gattin dem-
gemässe Zusammenkünfte unter den vielfältigsten Schleiern; dem
Schleier der Nacht, der heimlichen Rückkehr aus seinem Ver-
steck, den Schleiern seiner ehelichen Heimlichkeit. Von der
treuen und schönen Freundschaftsseele, Don Jaime, erfährt
König Sancho, der Dona Sol standhafte Abwehr gegen die
Liebesbewerbungen des Prinzen. Dadurch spielt die Situation
zwischen König und Prinzen in jenem Farbenwechsel, ähnlich
dem Schillertafft, der Leibfarbe der spanischen Komödie, nur dass
die Täuschungen solchen Changeant's, solchen Farbenwechselspiels,
schon in dem von schönen Seelen gesponnenen Fadengewebe zu
einer edlen Intrigue liegen. Das Farbenspiel ist acht, und schil-
lert nicht blos in der Sonne, die Sonne selbst (Sol) taucht sie
in ihre genuine Farbe. Sie strahlt in dieser Farbe sonnenächt im
nächtlichen Gartendunkel; in einer trefflich geschlungenen In-
triguenscene, woDonJuan, unbemerkt, den herangeschlichenen
Prinzen sich bei Doiia Sol entschuldigen hört, dass er, gegen
ihren brieflichen Wink^, sich diesmal nicht zu einer Zusammen-
kunft einzufinden, von seiner Liebe bewältigt, die Weisung nicht
beachte. Die sonnenreine, reiner als die wirkliche Sonne, die be-
kanntlich nicht fleckenlos, unsere Dona Sonne, wirft des Prin-
zen, wie sie denken muss, unverschämte und verläumderische In-
sinuation mit dem Flammenschild ihrer Tugend und Liebestreue
zurück. Welcher Schillertaö't , welcher Changeant in des hinter
der Kammerthür lauschenden Don Juan wallender Seele und
seinen farbenwechselnden Aparte's!^) Principe, dessen Täuschungen
1) Constanza^s 'Dona Sol Abarca' gezeichnetes Billet hatte Bon
Juan's Diener Nebli dem Prinzen zugestellt.
2) Don Juan (ap.)
Confiada ha respondido;
0 es conocida inocencia,
0 es que me parece que es
Lo que me holgära que fuera.
Freuiidscliafts-Märtyrer. 7 [9
durcli Dorla Costanza's Pseudo-Sonneiijungfrauschaft doch eben-
falls acht in der Intriguen- Wolle gefärbt sind, kann sich Dona
SoTs sittliche Entrüstung nur mit der Verrauthung erklären,
dass sie von einem Lauscher sich behorcht wissen müsse, und
fordert sie auf, ihm in ihr Zimmer zu folgen. Don Juan's
Aparte's spielen natürlich in allen Farben eines ergrimmten Cha-
mäleon. Und nun das Chromatrop von unzähligen durcheinander-
hüpfenden Intriguen-Farbenspielen, das Don Jaime's Dazwi-
schenkunft aufwirbelt! Ein Chromatrop, dass DonaSol selber
in allen diesen Farben zu blitzen scheint. Ueberrascht von des
Prinzen Gegenwart, giebt Freundestreue Don Jaime's schöner
Seele die ächtgefärbte Lüge ein: Er bringe Soldaten mit, um,
des Prinzen Befehle gemäss, den hier irgendwo verborgenen Don
Juan zu ermorden, von dem aber Don Jaime's Aparte, in treu-
seliger Freundschaft tröstlichem Bewusstseyn, sogleich erklärt,
dass er dort, im nahen Dorfe bei Pampelona, den Freund wohl
geborgen wisse ^), während ihm hier die Beschimpfung seiner
Ehre erspart werde. Don Jaime's Aparte hört Don Juan
natürlich nicht, und muss sich von so vielerlei Verrath seitens
der Geliebten und des Freundes bedroht glauben, als das Chro-
matrop seines Innern Funken der verschiedensten Farben wirft.
Dem Principe, noch immer sturmlaufend auf Dona Sol's Zimmer,
um den Lauscher daselbst in der Mitternachtsstunde an's Son-
nenlicht zu ziehen, schloss Sol die Zimmerthür vor der schnop-
pernden Nase zu, vor welcher aber schon im selben Wurf der
wieder aufgesprengten Thür Don Juan steht, mit dem kühnen
Zuruf der prinzlichen Nase in's Gesicht: „Don Juan de Zuniga
bin ich!"^) Bis auf den Principe, lauter treuschöne Seelen,
die, nach Maassgabe ihrer Aechtgefärbtheit, im falschen Sonnen-
licht erscheinen, den Prinzen nicht ausgenommen, der in dem
Verblendungsscheine des ihm von Dona Costanza gespielten Truges
doch mindestens bona fide strahlt. Demzufolge befiehlt er dem
i) D. Jaime (ap.)
Buen amigo soy, que mientras
Don Juan estä allä seguro,
Yo le excuso acä su afrenta
2) Don Juan de Zaniga soy.
720 I^as spanische Drama.
Don Jaime augenblicklich mit acht von seiner Mannschaft
den Don Juan zu greifen, und zwei Mann zur Bewachung der
Dona Sol zurückzulassen, damit sie, die heldenthümlich als
Don Juan's angetraute Gattin dem Prinzen entgegentritt, dem
Könige, wie sie gedroht, keine Anzeige machen könne. Der
Schluss des zweiten Actes lässt jeden der Betheiligten noch ein-
mal im Schillertafft der kunstreich gewebten Intriguen-Situation
mit vierfachem „Ay!", jedes mit zweifachen Ausrufungszeichen
flankirt, doppelfarbig spielen.^)
Wie all diese *Ay's' mitsammt ihren doppelten Interjections-
zeichen als Qlorienstrahlen in Dona SoTAbarca's Sonnen-
antlitz aufleuchten, ist eingangs unserer Besprechung dieser vor-
züglichen Komödie — des Phönix-Nestes zum Sonnenvogel durch
sittliche Schönheit der Charaktere — schon angedeutet worden, und
ist nur ergänzend noch hinzuzufügen, dass der gefangen gehaltene
Don Juan von seinem treuen Freunde, Don Jaime, Aufklä-
rung über Alles erhält, nachdem er ihm, im Auftrage des Königs,
die Freiheit angekündigt und ihn in einer leider nur wieder zu
redseligen und wortreichen Scene zum Monarchen beschieden. Was
Don Juan's Diener Nebli (Weihe) von sich sagt, kann jede
der Personen in Doctor Godinez' Komödie von sich sagen:
„Ich bin ein grosser Vielwortemacher. "^) Dies sagt Nebli in der
Scene, wo der Prinz von ihm erfährt, dass Costanza die Zu-
1) Dona Sol.
jAy, que amor tan desdichadol
Principe.
jAy, que ingratitnd tan bella!
Don Jaime.
jAy, qnien es raosträra el alma!
Don Juan.
;Ay, que ä un tiempo me hacen guerra.
Un rey que de nada cura*)
Un principe que gubierna,
Una mujer que me agravia,
Y un amigo que me niega!
2) Yo soy un gran hablador.
*) Dieser Don Sancho König von Navarra führt, wegen seiner Sorglo-
sigkeit im Regieren, den Beinamen 'El Encerrado Don Sancho', „der ein-
geschlossene Don Sancho'*, der sich um nichts kümmert.
Sonnenaufgang. 721
senderin des ihm durch Nebli überbrachten Briefchens. Die Ent-
täuschung des Prinzen hält Costanza nun selber noch hin,
indem sie ihn zu einem angeblichen Stelldichein mit Sol in deren
Namen auffordert. Principe flattert auf den Flügeln eines Licht-
falters, um, galt es, sich an der Sonne zu verbrennen. ^) Dieses,
wie uns dünkt, nicht eben glückliche, behufs Hinhaltung einer
zuletzt noch einmal aufgewundenen Verwickelung, hineinge-
flochtene Incidens bringt Sol abermals in Gefahr, von Don
Juan, und noch obenein im xluftrage des Königs, ermordet zu
werden.^) Schon schwebt Don Juan's Dolch über Dona Sol im
Finstern, als der Prinz mit Dona Costanza eintritt, die er als
Sol anspricht. Nun erst klärt sich Alles mit Hülfe von König
Sancho's leuchtenden Fackelträgern auf, doch durfte schon vor
der Erscheinung des Königs mit Windlichtern im Dunkel des Ge-
maches, wo sich die beiden Paare zusammenfinden, Dona Sol
triumphirend rufen: „Sieh, trotz der Finsterniss, leuchtet die
Sonne auch bei Nacht l""^) um ihr Haupt mit dem Titel des
Stückes, wie mit einem Paradiesvogel, oder gar wie mit dem
Vogel Phönix ihre wieder hell und glänzend aufstrahlende Ehre
schmücken. Der Prinz ist bereit, die Thronerbin von Aragon
heimzuführen, und ersucht den Don Jaime, um sich vor Co-
stanza's Ansprüchen sicher zu stellen, dieser die Hand zu rei-
chen, wobei Don Jaime, der Costanza liebt, nur gewinnen
kann, wie er sagt.^)
Das Verdienst der einzigen Comedia des Valencianers Mi-
guel Beneyto, der als Mitglied der mehrbezielten „Academia
de los Nocturnes'' seit 1591 darin das Amt eines Thürhüters
(portero) unter deto Namen *Sosiego' (Ruhe) verwaltete, ist, un-
serem zuverlässigen Währmann, Mesonero zufolge, so gering,
dass er diese einzige, *E1 hijo obe diente' benamsete Comedia
1)
Quiero, aunque muera abrasado,
Ser mariposa del Sol.
2)
Yo puedo seguramente
Matarte; que el rey lo manda.
3)
Vea, a pesar de la sombra
Que Ann de noclie alumbra el sol.
4)
Yo soy quien gano.
X.
46
722 I^as spanische Drama,
in seine Sammlung: 'Dramaticos Contemporaneos de Lope de
Vega' aufzunehmen Bedenken trug.^) Und wir sollten auf den
einzigen Sammelband, wo Beneyto's einzige Comedia ein un-
terkommen fand, Jagd anstellen, um über sie in unseren Samm-
lungen Worte zu machen, welche nicht blos die mit Lope de
Vega zeitverwandten dramaticos, sondern auch die dramaticos vor
und nach Lope zu umfassen haben? So muss denn schon die
einzige Komödie des Thürstehers der „Akademie der Nächtlichen"
im schattigen Dunkel der zwölf Comedias^), deren Dutzend sie
voll macht, bis zum jüngsten Tage begraben bleiben, wo ihr der
Richter über die Todten und Lebendigen eine selige Urständ
schenken möge.
Denselben frommen Wunsch schicken wir auch der einzigen
Tragedia des Licenciado Mexia de la Gerda in die Ewig-
keit nach, und um so berechtigter zu diesem Wunsche, da Mexia
de la Cerda's einzige Tragedia Doiia Ines de Castro heisst,
mithin als Ines de Castro-Tragedia der Gruppe zufällt, deren Er-
örterung wir bis zur Besprechung der Aeltermutter aller Ines-
Tragödien, der Ines de Castro-Tragödie des Portugiesen Antonio
Ferreira, verschieben zu wollen und zu sollen feierlich ange-
lobt, gelegentlich der ältesten spanischen Ines-Tragedia, der 'Ines
lastimosa' des B ermüde z, die eben nichts als eine üebertragung
jener portugiesischen ist.^) Muss sich doch das Musterstück in
der Gruppe der Ines-Tragödie: Luis Velez de Guevara's^)
1) Su merito, ä mi juicio, es tan escaso, que no la he juzgado digna
de colocarla entre las de aquellos. — 2) Doce Comedias de cuatro
poetas naturales de la insigne y coronada cindad Valencia. — Valencia
por Anrelio Mey, 1608. ~ 3) Gesch. d. Dram. IX. S. 192.
4) Auf diesen möglichen Fall hin, dass Luis Velez de Guevara mit
seinem Drama ein Judicium exspectans in alle Ewigkeit für unsere Ge-
schichte bliehe, wollen wir nur rasch, gleich an dieser Stelle, einige Worte
über den immerhin namhaften, schon um seinen weltläufigen satirischen
Roman 'El diablo cojuelo' (Der hinkende Teufel), rühmenswerthen Zeitge-
nossen Lope de Vega's, eine Hand voll Erdschollen oder Blumen, ihm auf
den versenkten Sarg nachwerfen*
Luis Velez de Guevara, zu Ecija in Andalusien um 1570 geb.^ studirte
auf der Hochschule in Sevilla, kam früh nach Madrid, wo er als Advocat
und Schriftsteller sich bald Euf und Stellung eroberte. Beide Beschäf-
tigungen wirkten in seinem Geiste so einträchtiglich, dass er einmal durch
Don Luis Velez Guevara. 723
'Reina despues de morir': „Eine Königin nach dem Tode", bis
zu der in Aussicht gestellten Gesammtbesprechung der Ines-Dra-
ein munteres in seine pathetische Vertheidigungsrede eingeschaltetes Volks-
liedchen in dem Gerichtssaal die heiterste Stimmung hervorrief, die für
den Wahrspruch zugunsten seines Clienten den entscheidenden Ausschlag
gab und diesen vom Tode rettete. Infolge der Appellation des Staatsan-
walts oder Fiscals wurde freilich der Inculpat in zweiter Instanz zur ge-
setzlichen Strafe, zum Tode verurtheilt. Als König Philipp IV. von dem
sonderbaren Fall Kunde erhielt, liess er den wunderlichen Advocaten, der
seine Clienten mit Gassenhauern vertheidigt und die Eichter mit chacaras
besticht und umstimmt, vor sich kommen. Der Bänkelsänger auf der Ad-
vocatenbank trug dem Könige den Fall in so ergötzlicher und lustiger
Weise vor, dass der König nicht nur dem Advocaten die in höherer Instanz
ihm auferlegte Geldstrafe erliess, sondern auch den zum Tode Verurtheilten
zu einfacher Festungsstrafe begnadigte. Den lustigen Gesellen liess König
Philipp nicht wieder los. Er nahm ihn in seinen Dienst, als Komödiendich-
ter für sein Hoftheater zu Buenretiro , für welches Philipp's IV. geübtes
Auge in Guevara bald eine vorzügliche Begabung entdeckt hatte, die des
Königs eigenen Theaterstücken zustatten kamen, an die Guevara die letzte
Hand zu legen hatte, mitunter auch die erste. So warm and wohlig
hatte sich der heitere Gast gebettet, dass er neben der Gunst des Königs
bald auch die des höchsten Mäcenatenadels in Madrid und die allerhöchste,
die Gunst des Theaterpublicums genoss; die allerköstlichste und süsseste,
die des schönen Geschlechtes, ungerechnet, um die er sich eifriger, als
um die Auszeichnungen aller andern Gönner bewarb, eifriger als seiner
Gesundheit und seinem Alter frommen mochte, so eifrig, dass die Bewerbung
um jene allerbeglückendste Huld mit dem Alter und der Zerrüttung sei-
ner Gesundheit, mit der Nichtberechtigung folglich seiner Ansprüche, zu-
nahm, bis der Tod das umgekehrte Verhältniss durch Umkehren seines
Stundenglases im November 1644 zum Stillstand brachte. Pellicer, in
seinen „Avisos historicos", giebt folgenden kurzen Tagesbericht über
das Ereigniss: ,, Madrid, 15. Nov. 1644. Vergangenen Donnerstag starb
Luis Velez de Guevara, gebürtig aus Ecija, Kammerdiener seiner Maje-
stät (ugier de cämar de sua majestad), berühmt als Verfasser von mehr denn
400 Komödien, hochberühmt durch sein grosses Genie, seine treffenden in Aller
Munde lebenden Einfälle und Witz werte, und als einer der besten Hofcavaliere
Spaniens. Er starb im Alter von 74 Jahren. Seine Testamentsvollstrecker
waren die Grafen von Demos und Herzog von Veraguas, in dessen Diensten
sein Sohn, Don Juan Velez, steht. Bestattet wurde er im Kloster von
Dona Maria de Aragon, in der Grabcapelle der Ferren Herzoge von Ve-
raguas, eine seinen Verdiensten gezollte Ehrenauszeichnung. Gestern fan-
den die Bestattungsfeierlichkeiten in derselben Kirche statt mit aller
46*
724 I^äs spanische Drama.
men vertrösten lassen! Ja Guevara's, eines der wohlberufen-
sten Kunstmeister neben Lope de Vega, anderweitige nicht un-
Pracht, als gälten sie einem vom höchsten Rang und Adel, da an der
Feier die vornehmsten Herren und Caballeros der Residenz theilnahmen.*^
Hohes Lob spendet Cervantes dem Luis Velez Guevara in seinem
*Viage'*), Lope de Vega im 'Laurel de Apolo', vom „Lorbeerwalde**,
wo an jedem Baume ein Dutzend Dichter ersten Ranges in effigie hangen
und prangen, und jeder mit der Lorbeer kröne als seines Hauptes Privat-
lorbeerkrone. Luis Velez de Guevara ist gar Ecija's „nuevo Apolo" selber.**)
Lope de Vega's Posaunenengel, Montalvan, nimmt nicht weniger beim
Lobespsalm des Guevara die Backen voll in seinem *Para-todos\ Der
treffliche Montalvan war eben ein Posaunenengel para todos. Demzufolge
sind Guevara's 400 Comedias eben so viele unvergleichliche Meisterstücke,
was vielleicht die ^/s verloren gegangenen gewesen seyn mochten. Das
von ihnen noch vorhandene Vs i^^g etwa drei bis vier Comedias enthalten,
die zu den bessern der spanischen Bühne, keinesweges zu den besten, am
wenigsten zu den Meisterwerken ersten Ranges zählen. Als jene bessern
und Guevara's beste sind zu preisen: Das historische von unserer Ge-
schichte schon belobte und in den Hauptumrissen gezeichnete Drama***),
*Mas pesa el Rey que la sangre' (Mehr wiegt der König als das
Blut). Ein Blut-König besonders, wie der in diesem Geschichtsdrama:
König Sancho el Bravo. Zu den nicht an sich, wohl aber zu Guevara's
besten Stücken gehört ferner seine gleichfalls mehrfach schon belobpreiste
Ines-de Castro-Tragödie (Reinar despues de morir), die Mustertragödie der
Gattung. Als Guevara's Allerbestes dürfte endlich die Comedia *La Luna
de la Sierra' t) zu rühmen seyn, deren höchster Werth und Ruhm darin
liegt, dass sie zu Franc, de Rojas' Meisterwerk, ^Garcia del Castanar',
Modell gestanden; wie Guevara's schätzbarer Comedia, 'La Nina de Go-
mez Arias', der vom grossen Calderon an ihr begangene Prometheus-
Raub zur höchsten Ehre gereicht. Den schönsten Glanz verleiht dem klei-
nen Lichte der Diebstahl, den das grössere oder gar ein grösstes an ihn
begeht, wie ja die Sonne selbst eigentlich erst nach Prometheus' an ihr
*) Es poeta gigante, en quien alabo
El verso numeroso, el peregrino
Ingenio.
**) Ni en Ecija dejara
El florido Luis Velez de Guevara
De ser su nuevo Apolo . . .
Asi sus versos de oro
Con blande estilo la materia esmaltan.
***) VUI. S. 485. — t) Von Mesonero abgedruckt aus * Flor de los
doce mejores Comedias'. Madr. 1652.
Alberto Lista und Guevara. 725
bedeutsame Dramen können eine Aufnahme in unsere von dra-
matischen Schattenseelen übervolle Charon-Barke dieses Bandes
verübtem Plagiat berühmt geworden. An dem ephemeren klebrichten Schleim-
licht eines Johanniskäferchens zündet kein Calderon und Shakspeare seine
Fackel an: ein auf literarischen Blättern, dank dem Dunkel seiner
Leistungen und dem Verwesungsphosphor, glänzender Leuchtwurm ist vor
solchem Plagiat sicher.
Am unglimpflichsten beurtheilt Alberto Listä unsern Velez de Gue-
vara. Seinem Zeitgenossen, Lope de Vega, reicht, Listä zufolge, Luis Guevara
nicht an's Knie. *) Einem Riesen wie Lope nicht an's Knie reichen — da-
bei kann ein Dichter wie Guevara seinen Kritiker immer noch um Kopfes-
länge überragen. „In komischem Salz und in Charakterzeichnung steht
Guevara tief * unter Tirso de Molina; in der Versification darf er sich dem
Mira de Mescua, in der Kunst eine Fabel zu führen, dem Montalvan nicht
vergleichen, wiewohl er diesem vielleicht in SchAvulst der Phrase und in
der Uebertreibung der AfTecte gleichkommen mag. Fast alle seine drama-
tischen Fabeln sind Geschichtsfiguren oder geben sich dafür aus. Ta-
merlan**), Skanderbegh***), König Desideriusf), Atilaft) —
diese geschichtlichen Personen entstellt Guevara durch die Eisenfresser-
sprache und Raufboldsitten, die er ihnen zutheilt. Guevara findet, wie Virues,
an Theatergetümmel und Spectakel Geschmack, und führt, wie dieser,
allegorische Figuren ein. ftt) Seine Versification ist im Allgemeinen ent-
weder niedrig oder gongorinisch ; sein Styl schwach und nervlos . . .
Selten lassen sich bei ihm poetische Absichten erkennen, und noch seltner
tiefe Combination. Seine dramatischen Hülfsmittel sind insgemein äusserst
beschränkt. Dessungeachtet muss man ihm eine Art von Verdienst zuer-
kennen, welches darin besteht, dass er die Handlung nicht ihres Werthes
entkleidet, wenn sie an sich so beschaffen ist', dass sie allgemein mensch-
liche Empfindungen und ein eigenthümliches Interesse erregt; diesem Ver-
dienste, und diesem allein, verdankte Velez den Ruf seiner Komödie,
und hat er die Erhaltung und vielfachen Wiederholungen seiner Ines de
Castro auf unsern Theatern bis auf den heutigen Tag zu danken. Der
. müsste jeglichen Urtheils baar seyn, der von dem Charakter der unglück-
lichen Ines de Castro nicht gerührt werden könnte. Velez, ob sein Ge-
*) muy inferior en la sal comica y en la descripcion de caracteres. —
**) La nueva era de Dios y Tamorlan de Persia. — ***) El
Principe esclavo, 6 Escanderbech. — f) El cerco de Roma por
el Rey Desiderio. - ff) Atila, azote dö Dios. — ftt) Gusta mucho
de la bambolla y del aparato teatral, como Virues, y entroduce, como el,
personages alegoricos.
726 I^as spanische Drama.
nicht mehr beanspruchen, wenn sie überhaupt noch eine üeber-
fahrt und Gestellung vor das kritische Todtengericht möchten
zu gewärtigen haben.
sclimack gleich äusserst schlecht war, war doch nicht von allem Talent
enthlösst."*)
Dergleichen harte Strafurtelverlesung hält in der Eegel das aus dem
kritischen Tintenfass emportauchende schwarze Gespenst, triefend von
Galläpfelsäure, Kupfervitriol und Schimmel, das entweder von grünspan-
farhenem Misswollen, oder von der oberflächlichen Kenntniss des Gegen-
standes, aus dem Bodensatz des Tintenhorns vom Kritiker heraufbeschwo-
ren wird. Listä gesteht selbst, dass er nur einige wenige von Velez Gue-
vara's Stücken kennt, und diese, muss man glauben, nur obenhin. Das
ist so eine specifische Feindseligkeit kritischer back-biters: unbekannte oder
nur oberflächlich gekannte Geistesproducte mit Zelotenwuth zu verfol-
gen, solche gerade am gehässigsten hinter ihrem Rücken zu verlästern
und zu verleumden, und die Gewissensbisse, dass man sie doch nur von
Weitem, par distance, oder gar nicht kennt, durch Schlangenbisse in die
Ferse zu beschwichtigen, die das Gegentheil eben, eine intime Bekannt-
schaft nämlich mit dem Gebissenen, beweisen sollen. So fällt der Ver-
fasser der *Ensayos' über ein aus Guevara's Komödienliste herausgegriffe-
nes Drama 'Los celos hasta los cielos, y desdichada Estefania'
her, die nicht von Guevara ist, sondern allem Anschein nach von Lope de
Vega, in dessen Werken (t. XII.) sie steht. Ferran Ruiz de Castro
ermordet aus Eifersucht seine Gattin Estefania, Tochter König Alfon-
so's VII. (El Emperador), deren Unschuld, nachdem er sie im Bette er-
stochen, zutage kommt, wie Desdemona's, nachdem sie der Mohr in den
Bettpolstern erwürgt und erstickt hat.**) Listä sticht noch anderweiti-
gen Comedias famosas unter Guevara's Firma' in die Ferse, wie La Ro-
mer a de Santiago, die offenkundig den Tirso de Molina zum Verfasser
hat, unter dessen gesammelten Komödien sich dieselbe befindet.***) Fer-
ner La duquesa de Sajonia (Cumplir dos Obligaciones y Duquesa de
Sajonia), ein muthmassliches Product des jungen Guevara, Don Juan de
Guevara, wovon gleichfalls eine Inhaltsangabe bei Herrn v. Schack sich
findet, der sie dem alten Guevara zuschreibt. Der von seinen Landsleuten
so hochgehaltene spanische Kritiker, Alberto Listä, verbeisst sich demnach
*) Velez, si bien su gusto era pesimo, no estaba desprovisto de
talento. Ensayos literar. y criticos. Sev. 1844. 40. t. II. p. 144 ff. —
**) Herr.v. Schack giebt den Inhaltsauszug. IL S. 486 f. — ***) ,,que es
notariamente de Tirso de Molina" sagt Mesonero, im Widerspruch gegen
Schack, der in dem Drama Guevara's Eigenthümlichkeit erkennen will,
und einen Fabelauszug mittheilt a. a. 0.
Verschiedene Theaterstücke verschiedener Herrera's. 727
Die Theaterstücke der verschiedenen Herrera's, deren Cer-
vantes in seinem 'Viaje al Parnaso' gedenkt — Eodrigo, Pedro,
Don Juan, Don Jacinto und anderer Herrera's — diean-
dalusischen Herrera's, worunter Fernando de Herrer a, als
lyrischer Dichter der berühmteste i) , ganz beiseite gestellt —
drängen sich an uns mit keinem anderen Erfolge, als dem, dass
wir ihnen in corpore den Laufpass geben und sie in Pausch und
Bogen morboviam, d. h. den Weg alles Fleisches gehen heissen.^)
Fast sämmtliche Comedias des Salas Barbadillo (geb. zu
Madrid um 1586, gest. 1630) stehen in seinen Novo las, wovon
obenein in zweifelhafte, fragliche Stücke, in Afterstücke von Guevara, die er,
der Kritiker, mit dem Eücken angesehen, während er die genuinen , die aner-
kannt trefflichsten des Luis Velez Guevara, wie schon berührt, nicht ein-
mal mit dem Eücken ansah. Die beiden Cerkopen oder Aft'endämonen,
die Herkules in einem Schulterstock über seinen Rücken herunterhängend
heimtrug, und die bei dieser Gelegenheit des Helden kolossales schwarzes
Hintertheil (Melampygos) zerkratzten, müssen zwei Kritiker gewesen seyn,
ein Paar Recensenten oder Essayisten.
1) Einige Notizen über diesen Herrera enthält die von der Akademie
von Sevilla gekrönte Preisschrift: Historia y juicio critico de la
Escula Poetica Sevillana en los siglos XVI. y XVII. Memoria escrita
por D. Angel Lasso de la Vega y Argüelles etc. y precedida de
una carta del lUim. Sr. D. Jose Amador de los Rios. Madr. 1871. —
2) kws den von Baena erwähnten*) und andern von Don Rodrigo de Her-
rera, Si Yago-Ritter, verfassten Comedias**), hat Mesonero die letzte:
Del Cielo vien el buen Rey (Vom Himmel kommt der gute König),
für den IL Band seiner Dram. Comtemp. de L. de Vega (BibL Aut. Esp.
t. 45), ausgewählt. Aus den Comedias des Don Jacinto de Herrera
y Sotomayor (Bibliothekar im Dienste des Cardinal -Infanten Fernando
de Austria, den er nach Brüssel begleitete (f) 1647): die „hübsche" Co-
media 'Duelo de honor y amistad' (Kampf zwischen Ehre und Freund-
schaft). Wenn sie wirklich die ,, hübsche" (linda) Comedia ist, als welche
sie Mesonero rühmt, so wird sie auch ohne uns ihr Fortkommen finden
und bei dieser Gelegenheit hübsch unterwegs bleiben.
*) Biografias Matritenses (Hijos ilustres de Madrid 1789). Buena führt
folgende Dramen des R. Herrera an: El voto de Santiago y batalla
de Clavijo. El primer templo de Espana y El segundo Obispo de
Avila. — **) Gastigar por defender (nebst der Com. burlesca gleichen
Titels); El major triunfo de Julio Cesar; La fe no ha menester
armas o venida delingles äCadiz; Del cielo viene el buen rey.
728 ^^^ spanische Drama.
Nie. Anton, und Baena eine lange Liste angefertigt. Dia Come-
dias sind niemals in besonderem Abdruck erschienen. Die beste
darunter: Galan, tramposo y pobre (Liebhaber, falscher Spie-
ler und armer Schlucker) nahm Mesonero in seine Sammlung auf.
Wir lassen sie [ruhig in |den Morpheus- Armen der Novelas fort-
schlummern. Lope de Vega's, Montalvan's und Nicolas Antonio's
überschwengliche, diesem Barbadillo gespendete Lobeserhebungen
sind für uns die Schlummerlieder dazu, oder die in den ewigen
Schlaf sie feierlich singenden Grabgesänge.
Wie Salas Barbadillo, ist auch Don Alonso del Castillo
Solorzano mehr durch seine Novelas^) als seine Dramen ge-
kannter Zeitgenosse Lope de Vega's. Und gleiclk dem Barba-
dillo, schaltete Solorzano in seine Novellenbücher dramatische
Spiele ein, wie: 'La torre de Florisbella'; 'La fantasma
de Valencia; El majorozgo Figura; El marques de Ci-
garral, letztere beiden von Mesonero seiner Sammlung einver-
leibt. Den Marquis de Cigarral hat Scarron, der hinkende Ehe-
teufel der Maintenon, dem Ludwig XIV. seine Kukuksteufels-
eier in's Nest geheckt, unter dem Titel 'Don Japhet d'Armenie,
übersetzt. Wie Scarron die spanische Komödie zu seiner
Maitresse kebste, so übersetzte Louis XIV. die Maintenon aus
dem Scarron'schen in's Concubinische. In unseren an Dramen-
Analysen reichsten aller Serail-Harems kann Solorzano's vom
spanischen Herausgeber zu den besten 'figuron'-Stücken ge-
zählten Cigarral-Comedia nur eben flguriren, ohne sich auf das
zugeworfene Favoriten-Schnupftuch spitzen zu dürfen.
Von den Lebensumständen des Novellen-Dramatikers Solor-
zano weiss man nur, dass er Secretär beim Vicekönig von Va-
lencia, Don Pedro Fajardo, gewesen. Für sein Ansehen in der
Zeitliteratm- spricht Lope de Vega's Laurel, der auch ihn über
die grünen Bäume seines Lorbeerwaldes rühmt und auch dem
„prodigioso ingenio", der „copia de su fertil genio" nicht genug
Lorbeerkränze flechten kann. Die Dramaticos Contemparo-
neos des Lope de Vega sind nun einmal die Planeten, die
1) 'La Garduna de Sevilla', 'Las liestas del jardin', 'Las noches del
placer honesto', und mehr dergleichen aus dem Bereich der Lesewelt und
selbst der Literatur verschwundene Novellen.
Diego Ximenes Enciso. 729
sich um ihn, als ihre Sonne, bewegen, und die denn auch diese
nicht anders als mit den Strahlen ihrer Lobesspenden vergolden
kann.
Unter den Dutzend Dramen des Don Diego Jimenes
Enciso ragt seine Comedia famosa: 'Los Medicis de Flo-
re ncia' so hoch empor, wie der Dichter selbst sich über die
Dramatiker seiner Geburtsstadt Sevilla erhebt, die, Stapelplatz und
Emporiumdes spanischen Welthandels im 16. und 17. Jahrhundert,
der lyrischen Poesie günstiger als der dramatischen sich erwies i),
den arabischen Geistescharakter bewahrend. Als bedeutendsten
der Sevillanischen Bühnendichter kennzeichnet den Jimenes
Enciso, nächst dem genannten novellistisch -geschichtlichen
Drama 'Los Medicis'^), das Dramenpaar: ^El principe D.
Carlos' und 'La major hazana de Carlos V.' („Die grösste
That Carls V.", die Abdankung nämlich). Von beiden giebt G.
V. Schack eine Inhaltsandeutung, auf die wir verweisen.^) Don
Carlos, in den Grundstrichen vielleicht geschichtlicher, als Schil-
ler's, gehalten, ist trotzdem eben so ungeschichtlich, da kein spa-
nischer Dichter aus Philipps IL noch warmer Asche die gefähr-
lichen Funken historischer Wahrheit zu blasen wagte. Unzweifel-
haft aber steht Enciso's Don Carlos dem Schiller'schen an poe-
tischer Wahrheit nach, da der Spanier alles Licht auf den vä-
terlich so milden und hochherzigen Philipp IL wirft und alle
Schatten auf den halb wilden und halb verrückten Prinzen, an-
1) — que los grandes poetas de la escuela sevinaiia , ä pesar de
sü numeu brillante e imaginacion vivisima solo aprosechavan estas dotes
en la poesia Urica. Angel Lasso de a Vega, a. a. 0. p. 151. ~ 2) Mon-
talvan führt sie in seinem Para-todos an, als „Vorbild und Kegel für alle
grosse Komödien'* (pauta y ejemplar para todas las Comedias. Und Can-
damo schreibt dem Enciso, aufgrund dieses Drama's, die Erfindung der
Capa y espada Comedia zu, wahrscheinlich wegen der vielen, dieser spa-
nischen Komödiengattung eigenthümlichen Verwickelungen, herbeigeführt
durch das Grundmotiv der alten Familienfeindschaft der Pazzi und Me-
dici, die um die Heldin des Drama^s, Isabela, aus der Familie de' Pazzi,
und die drei Medicis, Cosme, Duque Alejandro und Laurencio spie-
len, von denen Cosme der einzige edle und biedergesinnte sich bekundet,
während sie die beiden andern mit Trug und Eänken zu umgarnen stre-
ben. — 3) a. a. 0. n. S. 527 f.
730 öas spanische Drama.
statt für solche Entartung und solchen ingrimmigen Eigenwillen
die Hyänennatur des Vaters zu tragischer Verantwortung zu ziehen,
dessen Schatten, wie der Hyäne ihrer, vergiftend und verzehrend
wirkte. Dieser Mangel an poetischer Charakterwahrheit und Ge-
rechtigkeit muss, in unseren Augen, Enciso's Drama, *E1 Principe
Don Carlos', im Vergleich zu Schiller's, als das dem Geiste und
der inneren Wahrheit nach, ungeschichtlichere kennzeichnen. Von
einer Königin Elisabeth ist natürlich hei Enciso nicht die allerleiseste
Andeutung zu finden. Don Carlos liebt eine Dame Violante
mit der Liebeswuth eines brünstigen Tollhäuslers und trachtet
auch einzig dahin, den Namen der Violante etymologisch zu be-
gründen, stolpert aber, wie so mancher mit einem conatu violento
oder violante an einem Worte sich versündigender Philolog —
stolpert, im Dunklen nach der Violante herumtappend, über die
Leiche seines Vertrauten, Mens de Monbeni, (St. EeaPs und
Schiller's Marquis Posa), mit dem Enciso's Don Carlos ganz
Flandern zu revolutioniren und zu violantiren sich verschworen, und
den er nun beim Lichte gleichzeitig herbeigebrachter Fackeln
erdrosselt vor sich liegen sieht, — beim Fackellicht besehen, ein
Theaterstreich vom reinsten Wasser, „aber" — wie unsere Auto-
rität von der zuverlässlichsten Gewährschaft versichert — „ein The-
aterstreich, doch unbestreitbar von eminentem Effect". Der Effect,
der Erfolg entscheidet auf der Weltbühne, mithin auch auf der
Bühnenwelt Alles. Wie der Erfolg auf jener einen schlechten
Streich rechtfertigt und mit dem schönsten Glanz umgiebt, so
verherrlicht der Effect und der Erfolg auf dieser jeden noch so
crassen Theaterstreich.
üeber Diego Jimenes Enciso's Lebensverhältnisse er-
fährt man erst aus Biographen neuerer Zeit einige Data: Dass
er 1585 zu Sevilla geboren, in der Kirche Santa Cruz daselbst
getauft ward, und in seiner Vaterstadt das Amt eines Veinto-
cuatro (Mitglied eines SchöffencoUegiums von 24 Käthen) und die
ihm von seinen Gönner dem Conde-Duque de Olivarez übertragene
Stelle eines Oberaufsehers der königlichen Schlösser zu Sevilla
(tenencia de Alcaldia de los alcäzares reales de Sevilla) versah,
und 1623 das Ordenskleid von Santiago anlegte. Ausser den ge-
nannten Stücken schrieb Enciso noch folgende: Jupiter veu-
gado (Der gerächte Jupiter), ein grosses Spectakelstück, 1632 im
Antonio Coello und seine Com. El Conde de Sex. 731
königlichen Palast zu Madrid zur Huldigungsfeier des Principe
Don Balthasar Carlos in Gegenwart des Königspaares aufgeführt.
— 'El valiente Sevillano' (Der tapfere Sevillaner), Pedro
Lobon) eine Dilogie. — 'Juan Latino'. — 'Santa Margarita'.
— 'El encubierto' (Der Verhüllte).— 'Quien calla otorga'
(Wer schweigt, gewährt). Das unserem Jimenes Enciso Lope de
Vega's Lorbeerwald die rauschendsten Lobeserhebungen zubrausete ;
dass ihm Lope de Vega's 'Filomena' die schmelzendsten Lobes-
triller an die Ohren schlug ; und dass alle neun Musen von Cer-
vantes' 'Viage del Parnaso' dem Enciso durch alle sieben oder
neun Himmel lobjauchzten, ist so selbstverständlich, wie dass die
Sonne vorne auf- und hinten untergeht!
Die Comedia, El Conde de Sex (Graf Essex), dem An-
tonio Coello^) von Mesonero aufs entschiedenste beigelegt^
dürfen wir schon Lessing's wegen nicht unerwähnt lassen, der sie
zuerst in einer ausführlichen Analyse (Hamb. Dramat. St. 60 — 68.)
den Deutschen mitgetheilt. Lessing fand das Stück in der von
Joseph Pedrino zu Sevilla gedruckten Sammlung, worin es das
zweite ist. Der Titel, den Lessing angiebt, lautet: 'Dar la
vida por su Dama, el Conde de Sex: de un ingenio de esta
Corte. „Wenn er" (dieser spanische Essex) „verfertigt worden,
weiss ich nicht; ich sehe auch nichts, woraus es sich ungefähr
abnehmen liesse." Mesonero bezeichnet als erste Ausgabe der-
selben, blos mit dem Einen Titel: El conde Sex, und ohne Ver-
fassernamen, die coleccion primitiva de varios, betitelt 'la anti-
gua 6 de afuera' (Die alte oder die von ausserhalb), um sie von
der andern zu Madrid 1652- 1704 veröffentlichten Sammlung zu
unterscheiden. Die Conde Sex-Comedia steht im XXXL Theil
der 'Antigua-Coleccion'. In dem 'Mejor de los mejores' genannten
Bande, dem VL Theil der Madrider Ausgabe (1653), findet sich
der 'Conde Sex' mit dem Namen des Coello als Verfasser. Trotz-
1) Don x^ntonio Coello, geb. zu Madrid. Seine Eltern gehörten
zu der Hausdienerschaft des Duque de Albuquerque,, unter dessen Be-
fehlen Coello als Infanterie-Hauptmann diente. König Philipp IV. zeichnete
ihn durch die Santiago Ordensritterwürde aus und ernannte ihn zum
Ministro der königlichen Junta de la Casa Aposento. Coello starb zu
Madrid im Hause des genannten Duque 20. Oct. 1652.
732 I^as spanische Drama.
dem wurde der 'Conde de Sex' von Jovellanos, Garcia Parra,
Huerta, Oclioa und selbst von Ticknor dem Könige Don Fe-
lipe IV. zugeschrieben, aufgrund der Tradition, die ihren wahr-
scheinlichen Ursprung in dem Umstände hat, dass dieser König
als anonymer ingenio seiner eigenen Corte in Gemeinschaft mit
berufenen, namhaften und wirklichen ingeniös de Corte von gutem
Klang noch andere Stücke schrieb. Sothaner 4ngenio de esta
Corte' war ein Hof- und Hausgeist, ein Spiritus familiaris, der
Eingebungen empfing, nicht einblies, und mit den Haus-
geistern oder Wichtelmännchen auch die Eigenschaft gemein
hatte, dass er die Sahne von anderer Leute Milchtöpfen naschte.
So mochte denn auch in Gemeinschaft mit Coello die Comedia
'El Conde de Sex' entsanden seyn, die aber, wie schon bemerkt,
von dem jüngsten Abdrucker derselben, Mesonero^) dem Coello
ausschliesslich beigelegt wird, und zwar aufgrund einer sorg-
fältigen Vergleichung des Styls und der Manier, in 'Conde de
Sex' mit Coello's Schreibart und Eigenthümlichkeit in anderen
von ihm gemeinschaftlich mitEojas, Guevara und Cal deren
verfassten Stücken.-)
Wir werden nicht so thöricht seyn und unser analytisches
Kleinholz in Lessiug's Wald tragen. Seine Analyse des 'Conde
de Sex' ist, unseres Wissens, die erste nicht blos eines spanischen
Stückes, die erste dieses Schlages überhaupt, die Schritt für Schritt
bis in's kleinste Detail , Handlung und Verlauf, Scene und Situa-
tion begleitet, die Nestor-Analyse, die leider nur unser lebhaftes
Verlangen nach einer Kritik des Stückes, wie sie Lessing allein
l) Dramat. Contemp. de Lope de Vega (Bibl. Rivid. II. t. 45.) Vol.
IL p. 403 — 21. — 2) Z. B. El privilegio de las mujeres, El Cata-
lan Serrallogan und La Baltasara, Vereinsarbeiten von ßojas, Co-
ello und Guevara, ferner *E1 pastor fido', ein Callaboratorstück
von Calderon, Solls und Coello. Als Widerspiel zu solcher genossen-
schaftlichen Stückarbeit wird dem Könige Felipe IV., dem ingenio de esta
Corte von Gottesgnaden, die Comedia: *Don Enrique el Doliente aus-
schliesslich zugeschrieben, obgleich sie, laut Manuscripts in der Osuna-Bibl.
sechs ingeniös zu Verfassern hat : Zabaleta, Martinez, Rosete, Vil-
laviciosa, Cancer und Moreto. Ein gleiches Sechstel konnte der ge-
krönte ingenio de Corte in der Sex- Comedia (Conde de Sex) par excel-
lence mit gleichem Fug in Anspruch nehmen,
Lessing und der Conde de Sex. 733
geben konnte, unbefriedigt lässt. Keines Kunstrichters kritische
Ruthe war, wie Lessing's, zugleich Wünschelruthe , die auf ver-
borgene lebendige Quellen und auf die reichsten Schätze einschlug;
war, wie Lessing's, zugleich ein Runenstab, den er, wie ein nor-
discher Gott, weissagend schüttelte, die Zukunftsgeschicke und
Entwickelungen der Literatur prophetisch deutend.
Nur einen kleinen Beitrag zu den Textcitaten in des grössten
Dramaturgen erschöpfender Inhaltszergliederung nachzuliefern, sey
uns verstattet ; die Stelle nämlich, wo der Dichter des spanischen
Essex eine entschiedene Parteinahme für Maria Stuart gegen
Elisabeth kund giebt, gleich in der ersten Jornada und*' in
Blanca's erster Unterredung mit dem Conde de Sex. ^) Die zweite
Stelle, auf die wir hinweisen, betrifft Lessing selber. Geg^n Ende
der 2. Jornada stösst Königin Isabela, in Staatspapieren le-
send, auf einen ^Conde Felix^ und zuckt über den "Conde" zu-
sammen, der ihr den Conde ihres Herzens, den Conde de Sex in
Erinnerung ruft.^) Lessing rühmt diesen Zug als vortrefflich,
und hat ihn vielleicht seinem Prinzen in 'Emilia Galotti' als
erstes Wort in den Mund gelegt: „Emilia! eine Emilia" . . .
1) Bianca. Prendio (Isabela) ä Maria Astuarda
Reina de Escocia, y arcliivo
De virtudes, y belleza
Por unos falsos endicios.
En fin, Conde; en fin senor
(jCon que lastima lo digo!)
Temen do en sangre la Reina
Aqael infame cuchillo,
Noble victima, inocente
Fue de injusto sacrificio . . .
(^Tragedia mas lastimosa de Amor, titulada El Conde de Sex, 6 dar la
vida por- SU Daraa, de Don Antonio Coello (Atribuida al rey Don Fe-
lipe IV.}. So klingt die pomphafte üeberschrift in Mesonero's Coleccion
(Rivad.) Lessing spricht davon (S. 61), ohne das Motiv sonderlich zu
betonen. Blanca's Auslassung über Maria Stuart ist insofern wichtig, weil
ihre Umtriebe und Verschwörungen gegen Königin Elisabeth dadurch
näher motivirt und ihre Schuld am tragischen Ausgang für Essex gemil-
dert wird.
2) Aqui dice el Conde Felix,
Conde huvo de ser por fuer9a
Con el primero que encuentre.
Leipzig,
Druck von Hundertstund & Pries.
UNIVERSITYO MICHIGAN
3 9015 03084 0469
BOUND
ÜAf 203941
UNl\ Oi^ MICH.
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Geschichte des span-
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