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Full text of "Geschichte des dramas,"

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GESCHICHTE  DES  DRAMAS. 


GESCHICHTE 


DES 


DRAM    AS 


VON 


J.     L.     KLEIN. 


Das  spanische  Drama. 
DEITTEß  BAND. 


LEIPZIG, 

T.    0.    W  E  I  G  E  L. 
1874. 


GESCHICHTE 


DES    SPANISCHEN 


D    11    A    M    AS 


VON 


J.    L.    KLEIN. 


DÄITTEE  BAND. 


LEIPZIG, 

T.    0.     W  E  I  G  E  L. 

1874. 


Der  Autor  behält  sich  das  Recht  der  Uebersetzung  vor. 


Inhalt 

des  zehnten  Bandes. 


Seite 

Lope  de  Vega  (Fortsetzung) 1-— 529 

Die  Dramatiker  aus  Lope's  Schule  540 — 733 


Das  spanische  Drama  am  Ende  des  16.  und  in 
der  ersten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts. 

Lope's  „König  Wamba".  i) 

Den  Westgothenkönig  Eegisvind  (Eecevinth),  den  eifer- 
vollen Verfechter  des  römisch-katholischen  Dogma's  und  der  ortho- 
doxen Kirche  in  Spanien  2),  und  Ausrotter  des  „Pelagianer  Un- 
krauts", stellt  die  erste  Scene  in  Lope's  Vamba-Schauspiel  voran. 
Hochfreudig  in  seiner  frommen  Eifergluth  preist  König  Eegis- 
vind, umgeben  von  seinen  gothischen  Fürsten,  Gott  den  Herrn, 
der  den  Patriarchen  von  Toledo,  dengrossen  Ildefonso,  herabge- 
sandt, „vor  dessen  Wissenschaft  und  Priesterstimme  die  Ketzerei 
des  Manrique  das  Volk  nicht  blendet."  ^)  In  gottseliger  Entzückung 
vernimmt  der  König  von  Fürst  Atanagild  das  Wunderereig- 
niss,  das  sich  im  Gotteshause  um  Mitternacht  begeben;  Aus 
einer  Glorie  von  Heiligen  und  Engeln  überreichte  die  Himmels- 
königin Maria  dem  Erzbischof  Ildefonso  ein  Messgewand.  4) 
Die  erste  Scene  verschwindet  hierauf,  auch  sie  wie  eine  Wolken- 


1)  Vgl.  IX.  S.  639.  -  2)  Gesch.  d.  Dram.  Vni.  S.  43  ff. 

3)  sacando  por  su  sciencia  y  sacro  ruego 
estos  hereges  de  su  error  tan  ciego. 

4)  —  „Nimm  hin,  Ildefons, 

Den  wohlverdienten  Lohn,  den  ich  dir  biete. 
Und  wie  die  Herrliche  dies  Wort  gesprochen, 
Erhob  sich  wieder  untern  lautem  Chor 
Der  Himmelssohn  und  sehwand  gen  Himmel.** 
Nach  Moritz  Eapp's  (Bibl  ausl.  Klassik.  88.  Hildburghausen  bibliogr.  In- 
stitut 1869)  Umdeutschung    der    span.  Redondille    in   den  Elfsylbler  der 
uralten   hinkenden   Jambe,   alternis"  aptum  sermonibus   et  natum  rebus 
agendis,   als  den  diesen  Vers  der  Römer,   nicht  aber  der  Spanier  preist. 
Rapp's  Jambe  hinkt  oft  auf  beiden  Seiten. 
Diziendo  toma  Hefonso 
El  justo  y  devido  premio 
X.  1 


2  Das  spanische  Drama. 

erscheinuiig  mit  König  und  Fürsten,  bis  auf  Fürst  Herwig 
(Erwig,  Ervicio),  den  wir  als  giftbrütende  Königsbusenschlange 
kennen  i)  und  dessen  Abgangsmonolog  mit  den  entsprechenden 
Schlussversen  wir  daher  durchaus  für  charaktergemäss  halten 
dürfen.  2) 

Das  Kehrbild  zur  ersten  ist  die  zweite  Scene,  die  uns  den 
annoch  in  seinem  Ackergrase  keimenden  König  Vamba  mit  sei- 
nem Weibe,  Sancha,  im  „Bauernhof"  vorführt.  Die  Bäuerin 
stellt  ihrem  Bauersmann  einen  schmackhaften  Fleischtopf  in 
nächste  Aussicht,  textgetreu  nach  der  Romanze.  ^)  Vamba,  der 
König  in  herbis,  schAvatzt  aber  schon  in  diesem  Kraut  aus  der 
Schule  %  sich  im  Voraus  unbewussterweise  Lügen  strafend.  Seine 
Bäuerin  Sancha  hört  schon  pfiffiger  das  Gras  wachsen^);  ge- 


de  lo  bien,  que  me  has  servido, 
y  del  favor  que  me  has  hecho  .  .  . 
ßolviose  hiego  Maria 
A  subir  al  cielo  eterno  .  .  . 

1)  Gesch.  d.  Dram.  a.  a.  0. 

2)  —  „Die  Welt  läuft  rund  wie  eine  Kugel 

Und  gleich  dem  Glück  auch  diese  spanische  Krone; 
Sollte  sie  mir  einst  vor  die  Füsse  rollen, 
Nicht  säum'  ich,  beide  Fersen  drauf  zu  setzen." 

Mas  es  como  bola  el  mundo, 

y  assi  no  puede  parar. 

Pero  Corona  espanola 

si  una  vez  os  veo  sola 

por  que  no  podais  correr 

yo  OS  prometo  de  poner 

los  dos  pies  sobre  la  bola. 

3)  Venid  ya,  Vamba,  a  comer.  a.  a.  0.  Nr.  578. 

4)  „Die  Einsamkeit  und  ein  bescheidnes  Haus 
Zieh  ich  Palästen  aller  Kön'ge  vor"  ... 

Mas  precio  mi  soledad 
y  mi  casa  derribada 
que  los  palacios  famosos 
de  los  Eeyes  sumptuosos. 

5)  Sancha.  Schwatz  doch  nicht  so!  Hat  denn  ein  König  Noth? 

So  redet  doch  kein  Bauer  von  Verstand." 
Calla  no  digais  aquesso 
^el  Eey  trabajos  tendra? 
^,Tal  dize  un  hombre  de  seso? 


Unfindbare  Exposition.  3 

lüstet  aber  für's  erste  nur  nach  der  „neuen  Haube",  die  sie  auf 
Sanct  Johann  möchte,  für  den  Fall,  dass  ihr  Mann  Vamba,  bei 
der  anstehenden  Alcaldenwahl,  zum  Alcalden  gewählt  würde  und 
sie  Frau  Alcaldin  hiesse.  Vamba  schwatzt  weiter  im  Königs- 
kraut aus  der  Schule,  wie  Hoffmann's  „Rüben"-  und  Weissflog's 
„Zwiebelkönig",  sich  abermals,  bezüglich  des  Alcalden  in  herba, 
Lügen  strafend.  ^)  Die  Scene ,  naiv  und  schalkhaft ,  trefflich  im 
idyllischen  Ton,  wie  Lope's  ähnliche  Scenen  überall;  nur  scheint 
sie  uns,  als  Expositionskehrbild  zur  ersten  Scene,  nicht  im  fol- 
gefesten Anschluss  an  diese  das  Drama  einzuleiten;  mehr  in 
lockerem,  romanzenartigem  Hintereinander,  als  in  wechselweiser 
Beziehung  eine  auf  die  andere  vor-  und  zurückdeutend,  worin 
doch  eigentlich  die  dramatische  Scenenfolge,  Verflechtung  und 
Verzahnung  besteht.  Nun  kommt  gar  die  3.  Scene,  die  den 
König  ßegisvind  als  inzwischen  „unvermuthet"  verstorben  an- 
kündigt. 2)  Mit  einem  König,  der  gleich  nach  der  ersten  Scene 
eines  plötzlichen  Todes  stirbt,  versinkt  diese  Scene  gleich  mit, 
wie  mit  dem  Theatergespenst  das  Versenkungsbrett,  oder  wie  mit 
dem  Theatermaschinisten  das  zusammenbrechende  Gerüst.  So 
wenig  ein  solcher  Unfall,  der  sich  wirklich  einmal  beim  Beginn 
eines  Stückes  ereignete,  als  dessen  erste  Scene  gelten  kann;  so 
wenig  wird  ein  König,  der  mit  der  ersten  Scene  gleich  zusam- 
menbricht und  für  das  ganze  übrige  Stück  ein  für  allemal  todt 
ist,  diese  Scene  zur  ersten  Expositionsscene  eines  regelrechten 
Drama's  machen  können.  Mit  der  ersten  stürzt  dann  auch  die 
dritte  ein,  die  deren  Einsturz  meldet.  Davor  kann  sie  der,  so- 
fort nach  der  Kunde  von  König  Eegisvind's  unvemiutlietem  Hin- 
tritt,  zwischen  Fürst  Teofil  undAtanagild  ausbrechende  Wett- 


1)  Vamb.  ,,Nein,  Vamba,  wird  sein  Leben  nicht  Alcalcle, 

Da  kenn'  ich  ihn  zu  gut  .  .  . 

Schlag  dir  das  aus  dem  Kopfe,  meine  Sancha  .  . 

So  wie  du  bist,  gefäUst  du  mir''  .  .  . 

Bamba  en  su  vida  serä 

Alcalde,  que  yo  bien  siento 

el  valor  que  en  Bamba  estä  ,  .  . 

2)  Fürst  Teofil  als  Sieger  heimkehrend,  heisst  vor'm  Thor  von  To- 
ledo den  „Siegeslärmen  zum  Trauerton  umstimmen,  da  ich  höre,  dass  un- 
vermuthet  unser  König  starb/' 

1* 


4  Bas  spanische  Drama. 

streit  um  die  Krone  um  so  weniger  bewahren,  da  die  4.  Scene 
als  die  eigentliche  Zankscene  sich  aufwirft,  die  diesen  vom  gan- 
zen Aufgebot  „gothischer  Fürsten",  wegen  der  Nachfolge,  unter 
einander  geführten  Streit  in  ereifertem  Wortwechsel  ausgleicht, 
und  ihm  mit  Fürst  Atolfo's  Erklärung  ein  Ende  macht:  „So 
will  ich  stehenden  Fusses  nach  Rom;  der  Papst  entscheide,  wer 
hier  König  sey."  und  nun  noch  alle  übrigen  hinterdrein,  wie  die 
sieben  Schwaben  einander  am  Eockschoss  fassend,  zum  Papst 
nach  Rom!  Die  Fürstenstreitscene  um  die  Krone,  angesichts  der 
Leiche  des  im  offenen  Sarge  daliegenden  Königs —  eine  solche 
Eröffnungsscene ,  dünkt  uns,  würde  den  Grundton  eines  histori- 
schen Königsstückes  dramatisch-feierlicher  und  zugleich  bewegter 
und  wirksamer  angeben.  Eine  frommkirchliche  Legendenvision, 
auch  nur  erzählungsweise  geschildert,  ist  freilich  die  Expositions- 
scene  nach  dem  Herzen  der  spanischen  Poetik,  unter  König  Re- 
gisvind  wie  unter  Philipp  IL,  mit  dem  Unterschiede,  dass  diese 
Poetik  unter  Philipp  IL  canonisirt  worden,  im  feindseligsten  Ge- 
gensatz zum  historischen  Geist,  diesem  Erzketzer,  dem  Häre- 
siarchen  schlechthin.  Im  Styl  der  Wundervisionslegende  lässt 
nun  auch  die  5.  Scene  einen  JBlumenkranz  aus  dem  Wipfel  eines 
Baumes  auf  Vamba's  Haupt  niederfallen,  der  eben  im  Begriffe 
ist  den  Stamm  zu  einer  „Last  Holz  für  eine  Wittwe"  zu  fällen. 
Ein  zweiter  Kranz,  ein  dritter  und  vierter  fallen  hintereinander 
aus  dem  Wipfel  herab,  wie  die  Blumenbouquets  aus  des  Taschen- 
spielers Hut:  „Noch  ein  Sträusserl",  „noch  ein  8träusserl".  Zu- 
letzt entwickelt  sich  ein  Arm  aus  des  Baumes  Krone,  welcher 
Arm  eine  wirkliche  Krone  dem  Vamba  darbeut  und  dabei  eine 
Stimme  hören  lässt,  die  da  ruft:  „Nimm!"  —  Um  keinen  Preis! 
versichert  Vamba  und  beschwört  die  „Simme",  ihn  mit  dem 
bittern  Kelch  einer  Krone  von  so  sorgenschwerem  Golde  zu  ver- 
schonen i),  und  geht  davon,  geradesweges  in  die  Rathsstube  zu 


1)  „V\reil  sorgenschwer  mir  dein  Gewicht 

Aufs  Herz  fäUt 

Hier  auf  meinen  Knieen 

Bitt'  ich.  Du  weisst,  dass  ich  mein  Lebenlang 

Vor  einer  Krone  keinen  Knicks  gemacht." 
Den  „Knicks"  macht  die  hinkende  Jambe.  Die  Eedond.  drückt  es  so  aus : 


Guckkasten-Scenen.  5 

Ircaiia,  wo  Alcaldenwahl  stattfindet  im  Beiseyn  des  Alt- 
Schultheiss  Cardencho,  und  anderer  Bauern  und  Gemeindeväter. 
Die  Stimmenmehrheit  fällt  Vamba  zu.  Selbstverständlich  muss 
sich  Vamba,  wenn  auch  nur  ein  wenig,  sperren;  erklärt  jedoch 
alsogleich: 

„Aus  purer  Nöthigung  denn  nehm'  ich  ihn, 

Denn  solche  schwere  Last  passt  mir  gar  nicht''  ,  .  .  i) 

Drauf  erscheint  ein  Bettler  in  der  Wachtstube  als  Drappir- 
puppe  für  Vamba' s  Barmherzigkeit,  der  ihm  seinen  Mantel 
schenkt.  Schultheiss  Cardencho,  ein  Freigeist,  wundert  sich: 
„Euren  Matel  gebt  Ihr?"  Vamba,  der  es,  schon  als  richtiger 
Bauer,  dick  hinter  den  Ohren  sitzen  hat,  noch  dicker,  als  ihm 
Krone  und  Alcaldenstab  schwer  scheinen,  versetzt  darauf  neckisch 
naiv:  „Still!  für  den  einen  (Mantel)  hoff  ich  ihrer  zwei"^),  den 
er  dann  auf  die  leichte  Achsel  nehmen  wird.  Hierauf  lässt  der 
neugewählte  Alcalde  einen  „Holgenhändler'S  der  mit  Heiligenbil- 
dern handelt,  kommen,  um  an  ihm  seine  Wunderverehrung  zu 
erproben.  Alcalde  Vamba  kauft  dem  Krämer  das  Bild  ab,  das 
die  Ueberreichung  des  Messgewandes  durch  die  heilige  Jungfrau 
an  den  Erzbischof  von  Toledo,  den  h.  Hdefons,  darstellt,  das  uns 
die  „erste  Scene"  als  erzählte  Vision  hat  schauen  lassen.  Der 
neue  Alcalde  heisst  das  wunderthätige  Bild  im  Audienzsaale  zur 
Anbetung  aufhängen.  Wird  der  Dichter  nicht  selbst  zum 
Bilderkrämer,  und  die  Alcaldenwahlscene  ein  Guckkasten,  — 
schnurr!  ein  anderes  Bild!  „Unter  der  Thüre  erscheint  ein  Tauf- 
zug mit  Schüssel,  Krug,  Kerze  und  eine  Amme  mit  dem 
Kinde."    Der  Täufling  ist  des  Wahlbanern  Beroucco  Kind. 


Porque  eres  pesada  .  .  . 
que  de  hinojos  te  lo  pido 
pues  saber  que  mi  persona 
en  el  tiempo  que  la  vivido 
nunca  le  hizo  el  buz  corona. 

1)  Por  pura  fuer9a  le  tomo 
porque  carga  tan  pesada 
para  mi  no  vale  nada. 

2)  Callad, 

que  por  una  tendre  dos. 


6  Das  spanische  Drama. 

Vamba  nimmt  es  auf  den  Arm;  das  Kind  spricht;  „Vamba 
ist  König."  Ob  ihm  auch  das  Kind  auf  dem  Arm  zu  schwer 
wird?  Was  wir  von  der  Scene  erfahren,  ist  Vamba's  Aparte: 
„Hinter  dem  Kind  und  jener  Krone  steckt  mir  ein  Geheimniss" 
und  geht  mit  Allen  ab.  Für  uns  aber  bleibt  es  ein  ewiges  Ge- 
heimniss,  wie  ein  Lope  in  einem  historischen  i)  Schauspiel,  und 
wenn  zehnmal  im  Geist  der  Volkssage  gedichtet,  eine  so  kindi- 
sche und  dramatisch  haltlose  Guckkastenscene  hat  schreiben 
können! 

Die  zu  Rom  im  Vatican  erfolgende  Schlussscene  des  ersten 
Vamba-Actes  besiegelt  die  vorhergegangenen  Wundererscheinun- 
gen mit  einer  letztgültigen:  mit  der  Verkündung  eines  vom  Him- 
mel herniederschwebenden  Engels,  der  dem  rathlosen,  sorgen- 
voll über  den  Zettel  sinnenden  Papst  Agato,  worauf  die  Namen 
der  fünf  um  Spaniens  herrenlose  Krone  streitenden,  und  draussen 
vor  der  Thür  des  Vaticans  haiTenden  Gothenfürsten  verzeichnet 
stehen,  die  bereits  von  Gott  getroffene  Königswahl  meldet.  2)  Nach- 
dem der  Engel  verschwunden,  ruft  der  Papst  die  vor  der  Thür 


1)  „Wenn  die  Darstellung  historisch  genannt  zu  werden  verdient, 
welche  vom  Geist  der  Geschichte  durchdrungen  ist  und  die  bedeutenden  Er- 
scheinungen der  Zeit,  jede  in  ihrem  eigenthümlichen  Lichte,  vorzuführen 
weiss,  so  dürfen  zahlreiche  Lope'sche  Compositionen  mit  vöUem  Eechte 
historische  Dramen  genannt  werden,  ja  man  kann  zweifeln,  ob  irgend  eine 
Literatur  Trefflicheres  in  dieser  Gattung  aufzuweisen  habe."  v.  Schack 
a.  a.  0.  S.  267.  Der  tiefe  Kenner  der  dramatischen  Kunst  in  Spanien  und 
ihr  mustergültigster  Geschichtschreiber  —  Lope's  König  Vamba,  dessen 
Titel  wir  nur  in  seiner  Geschichte  verzeichnet  finden,  würde  der  berühmte, 
in  der  dramaturgischen  Kritik  so  gewiegte  Literarhistoriker,  schon  auf 
Grund  des  ersten  Actes,  aus  jenen  Lope'schen  Mustercompositionen  des 
historischen  Styls  doch  wohl  ausgemustert  haben. 

2)  „Agathus,  nicht  will  Gott,  dass  deren  einer 
Sey  König,  denn  er  hat  ihn  schon  gewählt; 
Den  sie  am  Pflug  in  Spanien  treffen  werden 
Mit  zweien  Rindern,  eines  roth,  eins  weiss, 
Und  den  man  ruft  mit  dem  Zunamen  Vamba," 

Agato,  Dios  no  quiere  que  ninguno 
Destos  sea  Rey,  que  Key  tiene  elegido 
El  quäl  arando  le  hallara  en  Espana 
Con  dos  bueyes,  uno  roxo  y  otro  blanco 
El  quäl  tendra  par  sobrenombre  Bamba. 


König  Wamba  in  herbis.  7 

wartenden  fünf  Fürsten  herein.  „Bin  ich's?"  „Bin  ich's?"  fragt 
jeder.  Der  Papst  theilt  ihnen  die  Worte  des  Engels  mit.  „Was 
ist  zu  machen?"  zuckt  Herwig  resignirt  die  Schultern,  „suchen 
wir  ihn  auf"  i) ,  den  Vamba  nämlich.  Die  vier  andern  Fürsten 
treten  Herwig's  Meinung  bei.  „Gott  und  dem  heiligen  Vater 
gilt's  gehorchen",  bescheidet  sich  Fürst  Eodulfo,  und  trollen 
nun  selbfünf  wieder  ab  mit  des  Papstes  heiligem  Segen,  um 
ihren  gotterwählten  König  am  Pfluge  „mit  zwei  Eindern,  davon 
das  eine  roth,  das  andere  weiss  ist",  zu  huldigen.  Für  ein  Le- 
gendenpuppenspiel aus  der  Wiegenperiode  der  dramatischen  Kunst 
wäre  dieser  erste  Vamba-Act  zu  dürftig  und  zu  schwächlich; 
hierzu  fehlt  es  ihm  an  unbewusster  Glaubensinnigkeit  und  Nai- 
vetät;  ist  er  ein  viel  zu  absichtliches  Gemisch  von  schablonen- 
hafter Wundergläubigkeit  und  geschichtlichen  Intentionen,  die  in 
dem  Kronenstreit  dieser  flachen,  geprägelosen,  vergilbten  Tape- 
tenfiguren aus  der  Zeit  Vamba's  vergleichbaren,  gothischen  Fürsten 
einen  so  kümmerlichen  Ausdruck  finden. 

Des  zweiten  Actes  erste  Scene  lässt  den  Fürsten  Eodulf 
zuerst  den  gottverheissenen  König  Spaniens  2)  am  Pfluge,  den  Acker- 
bauern Vamba,  vor  dessen  Hütte  in  einer  galicischen 3)  Land- 
schaft, erblicken.  Vamba  recitirt  am  Pfluge,  mit  einem  Stachel- 
stock in  der  Hand,  eine  Variante  zu  Horazens  'Beatus  ille'.  4) 
Erwig,  der  seinen  Wohlthäter,  König  Vamba,  beschimpfen, 
vom  Thron  stossen,  in  ein  Kloster  sperren  wird,  ruft  bei  des 
Pflügers  Anblick: 


1)  Que  tencmos  de  hazer,  biisquese  kiego. 

2)  ,,Die  sichersten  Kennzeiclieu  deuten  ilm 
Das  ist  der  Gothen  gottverheissner  König!" 

3)  In  der  Eomanze  lieisst  es: 

Y  lo  habian  de  hallar  arando 
Cerca  de  la  Andalucia. 

4)  „GMckselig,  wer  in  häTisHcliem  Behagen 

In  stiller  Einsamkeit  lebt  seiner  Pflicht"  u.  s. 
Quan  bien  aventurado 
Es  el,  que  vive  on  su  sabroso  officio 
Kemoto  y  apartado 
Del  traxe  e  del  buUicio  .  .  . 


8  Das  spanische  Drama. 

„Obwohl  der  Mann  ein  schmutzger  Bauer  ist, 
Er  ist  vor  Gott  und  Menschen  unser  König."  i) 

Und  als  die  Bauerfrau  Sancha  ihren  Mann  bei  seinem  Namen 
zum  Essen  ruft,  ist  Fürst  Atanarich  vollends  gewiss,  seinen  Mann 
gefunden  zu  haben,  und  fordert  die  Genossen  auf,  dem  geweih- 
ten Könige  zu  huldigen.  Diese  Scenen  sind  der  Komanze  nach- 
gebildet. 2)    Vamba  betheuert: 

,,Zum  König  taug'  ich  just  so,  wie  allhier 
Mein  Stachelstecken  frische  Blüten  treibt. 
(Der  Stock  bricht  in  Blüthen  aus."  3) 


1)  aunque  assi  villano  impropio, 
es  Santo  y  es  justo  Rey. 

2)  Eleccion  de  Vamba  par  Eey  de  los  Godos. 

(Anonimo.) 

Los  Godos  siendo  informados  (durch  den  Papst.) 

Cada  enal  se  departia: 

AUä  le  van  a  buscar 

A  do  hallarse  presumia. 

ün  dia  estando  los  Godos 

Cansados  en  demasia 

De  ir  ä  buscar  ä  Vamba, 

Volviendo  sin  alegrla, 

Vieren  venir  una  duena 

Por  una  canada  arriba, 

Con  una  canasta  al  hombro, 

Y  estas  palabras  decia: 

—  Venid  ya,  Vamba,  a  conier: 
Desuneid,  qu'es  mediodia.  — 
Los  Godos,  quando  lo  oyeron, 
Luego  ä  Vamba  se  vinian; 
Las  rodillas  por  el  suelo 
D*esta  manera  decian: 

—  Denos  las  manos  tu  Alteza, 
Con  amor  y  cortezia.  — 
Vamba,  atonito,  espantado, 
Temblando,  asi  respondia: 

No  me  matedes,  senores, 
No  me  quitedes  la  vida  .  .  . 

3)  Assi  puedo  yo  ser  Rey 
Como  dar  flor  mi  aguijada 

(Florece  el  aguijada.) 


König  Wamba  unter  den  Empörern.  9 

Die  Augen,  die  Sancha  beim  Erblicken  der  vornehmen  Gäste 
macht,  als  sie  mit  der  Suppenschüssel  daherkommt!  und  nun 
gar,  wo  sie  von  Vamba's  Erwählung  zu  Spaniens  König  hört! 
„Und  was"  —  fragt  sie  —  „wird  aus  mir  dann  werden,  wenn 
du  König  wirst?"  Vamba:  ,^ei,  eine  Königin.  Wo  ein  König 
herrscht,  da  herrscht  als  Königin  seine  Frau  auch  mit."  Mit 
Sperren  und  Spreizen  hat  sich  der  Ackerbauer  die  Krone  nur 
„angetrieben",  wie  man  in  Berlin  einen  Hut  über  die  Augen 
„antreibt",  so  fest,  dass  er  sich  blindlings  nach  Toledo  zur  Krö- 
nung führen  lässt,  sich  und  sein  Weib,  Sancha,  um  die  eigent- 
lich Schade,  als  die  lebensvollste,  naturwahrste  Figur  in  diesem 
Ge seh ichts Schauspiel,  die  einzige,  die  durch  ihre  idyllische 
Einfalt  und  Frische  anspricht,  —  und  muss  nun,  zur  historischen 
Königin  gekrönt,  auf  der  verschossenen  Tapete  neben  den  an- 
deren Geschichtsfiguren  unkenntlich  ausbleichen  und  verfalben! 

Das  Stück  siedelt  nach  Africa  über,  wo  der  „Empörer 
Paulo",  der  „Griechen-Häuptling",  den  Mohrenkönig,  Alicän, 
zur  Eroberung  von  ganz  Spanien  aufstachelt.  Dieser  Scene 
schliesst  sich  ein  hagiologisches  Panorama  als  Folgescene  an,  das 
König  Vamba,  umgeben  von  den  fünf  Gothenfürsten,  auf  einer 
Terrasse,  mit  der  Aussicht  über  Toledo,  geniesst.  Die  Fürsten 
erklären  ihm  die  topographischen  Punkte.  Fürst  Ataulf  zeigt 
den  „Alcäzar"  mit  dem  „Mosaikdach",  wozu  König  Vamba  den 
Witz  von  acht  spanisch-historischem  Schrot  und  Korn  zumbesten 
giebt:  „Gemalt  auch  klingt  Mosaik  mir  zu  jüdisch."  ^j  Beim 
Erblicken  der  Hauptkirche  mit  der  heil.  Eugenia  Körper  nebst 
„andern  tausend  Reliquien",  worunter  der  Mantel  von  Santa 
Leucadia,  ferner  das  mehrgenannte  Messgewand  des  h.  Ildefons, 
zieht  König  Vamba  Schuh  und  Strümpfe  aus,  um  die  Kirche 
baarfuss  zu  betreten.  Dicht  auf  der  nackten  Ferse  folgt  ihm 
die   nächste  Scene,    mit   Alicän,   Paulo  und  Mohren  vor 


Cuando  esta  vara  floresca 
Yo  sare  rey  de  CastiUa.  — 
Ann  no  lo  hübe  bien  dicho 
La  vara  ya  florecia. 

Eomanc.  a.  a.  0. 
1)  No  es  bueno  porque  aun  pintado 

aborresco  lo  Judaico. 


10  Das  spanische  Drama. 

einem  spanischen  Castell,  das  der  Mohrenkönig  niederbrennen 
lässt,  um  der  nächsten  Krönungsscene  im  Palast  zu  Toledo  Platz 
zu  machen,  wo  man  der  Bäuerin  Sancha  die  Krone  aufsetzt, 
oder  die  „goldene  Haube",  wie  sie's  nennt,  und  König  Vamba 
„mit  Kürass  und  goldenen  Sporen",  Krone  und  Gewandstücke 
einzeln  ihr  erklärt,  und  dann  die  fünf  Fürsten  mit  Grafschaften, 
Herzogthümern  und  den  höchsten  Eeichswürden  begnadet.  Hierauf 
lässt  König  Vamba  des  gleich  nach  der  ersten  Scene  des  Stückes 
unvermuthet  verstorbenen  Königs  ßegisvind  vierjähriges,  bisher 
versteckt  gehaltenes  Söhnlein,  Theodoret  holen,  mit  der  Erklä- 
rung, dass  er  nur  für  diesen  rechtmässigen  Nachfolger  im  Gothen- 
reich  Spanien  regiere,  bis  der  Knabe  mündig  geworden,  wovon, 
uns  wissentlich,  die  Geschichten  nichts  melden;  noch  auch  von 
dem  Huldigungswettstreit  zwischen  den  von  Gott  und  Papst  doch 
zum  Könige  eines  Wahlreichs  erkornen  Vamba,  und  dem 
vierjährigen  Söhnlein  ßegisvind' s,  als  dessen  Diener  sich  König 
Vamba  feierlichst  verkündet,  i)  Der  Königin  Sancha  den  Kna- 
ben zu  liebevoller  Hut  übergebend,  bis  er,  König  Vamba,  vom 
Kriegszug  gegen  den  Empörer  Paulos  und  den  Mohrenkönig  Ali- 
cän  als  Sieger  heimgekehrt.  Das  Alles  macht  die  nächste,  letzte 
Scene  des  H.  Acts  in  Einem  Aufräumen  ab.  Kaum  kreuzen  nun 
auf  dem  Schlachtfeld  bei  Murcia  König  Vamba  und  der  Mohren- 
könig Alicän  die  Klingen,  hat  sich  letzterer  schon  als  des 
„Bauernkönigs"  Sclav,  „weil  es  Mahoma  will",  unterworfen.*^) 
Der  gefangen  vorgeführte  Grieche,  Paulo,  fleht  desgleichen  zu 
König  Vamba 's  Füssen  um  seine  wohlverdiente  Strafe.  Da 
überkommt  den  König  auf  dem  Platz,  wie  bei  einer  Wunder- 
schau, bei  Paulo's  Anblick  ein  ihm,  wie  uns,  und  wie  Lope's  an 
Mirakel  gewöhntem  Publicum  unerklärliches,,  aber  ein  solches 
Publicum  für  den  letzten,  den  dritten  Act  in  Wunderspannung 
hinhaltendes  Zaubergefühl,    dem  König  Vamba   einen  entspre- 


1)  „Ja,  Prinz,  als  euren  Diener  seht  mich  an*' 

Principe,  yo  os  servire. 

2)  Pues  dello  gnsta  Mahoma 
rendirme  quiero,  qiie  es  justo, 
tu  esclavo  soy. 


Der  Grieche  Paulo  Vamba's  Gegenkönig.  H 

chenden  Ausdruck  in  Worten  von  unfehlbarer  Schlusswirkung  i) 
giebt,  verstärkt  durch  die  Lossage,  welche  vorläufig  zwei  von 
den  fünf  Gothenfürsten,  ßodulf  und  Teofil,  dem  mit  Paulo 
und  Mohrenkönig  Ali c an  als  Ein  Herz  und  Eine  Seele  davon- 
gehenden König  Vamba  nachfluchen.  2) 

Was  lässt  uns  hierauf  der  dritte  Act,  der  Schlussact  er- 
leben? Dieselben  zwei  gothischen  Fürsten,  Eodulf  und  Teofil, 
sind  die  Ersten,  die  demselben  aus  Griechenland  wie  der  Schat- 
ten einer  Strichwolke  über  das  Stück  hingejagten,  aller  geschicht- 
lichen Persönlichkeit  haaren  Paulo,  als  dem  Könige  von  Spa- 
nien, huldigen!  ^)  nachdem  Fürst  Atanarich  dem  König  Vamba 


1)  „Paulos, 

Mich  überkommt  gross  Wunder  über  Dich 
Ich  weiss  nicht,  was  in  meiner  Brust  spricht  für  Dich.  *) 
Du  hast  wie  eine  Circo  mich  bezaubert, 
Sey  frei  und  leb'  an  meinem  Hof  in  Ehren.'' 
Paulo  espantado, 

me  tienes  ambelesado 

dudando  estoy  si  eres  hombre. 

2)  Rod.    „Fürwahr  zu  unsrer  Schmach 

Beschimpft  uns  dieser  Bauer  und  erhebt, 
Verherrlicht  einen  Fremdling  aus  den  Feinden. 


Teof.  Ob  man  solches  duldet? 

Wie,  schönes  Spanien,  hast  du  das  verschuldet? 
Rod.   AI  fin  par  nuestro  castigo 

un  villano  nos  deshonra 

y  ensal9a,  engrandece  y  honra 

a  un  estrangero  enemigo  .  .  . 
Teof.  quien  assi  te  sugeta 

libre  y  belicosa  Espana. 

3)       Teof.  „Paulos,  entschliesst  Du  Dich,  König  zu  werden, 

So  biet'  ich  meine  Hülf  in  treuer  Freundschaft .  .  , 
Rod.    Paulos,  weil  Alles  Dir  von  Gott  zufällt. 

Was  Du  bedarfst,  so  brich  Vamba  die  Treue 
Und  in  Besitz  nimm  wohlgemuth  das  Reich; 
Bei  Gothenschwur !  ich  will  Dir  treulich  beistehn." 


*)  Und  wir  wissen  nicht,    wie  dieses  „Brust  spricht  für  Dich"  sich 
für  den  Ausgang  eines  fünffüssigen  Jambus  halten  kann! 


]2  '  I)as  spanische  Drama. 

in  der  1.  Scene  Act  3.  die  Botschaft  gebracht  hat:  „Das  Gothen- 
volk  missgönnt  Dir  Deine  Herrschaft;  sie  schelten  Dich  als 
einen  rohen  Bauern,  der  Ochsen  nur,  nicht  Reiche  wisse  zu  len- 
ken", und  Vamba  auf  diese  Kunde  die  Ohren  hat  hängen  las- 
sen, wimmernd:  „Auf  meinem  Bauernhof  war's  mir  doch  woh- 
ler!" Der  Paulo,  der  König  Vamba's  Puss  eben,  als  dessen 
treuergebener  Sclav,  geküsst,  wird  im  Nu  die  Schlange,  die  die- 
sen Fuss  in  die  Ferse  sticht.  Die  Vision  des  Papstes  deutet  er 
ohne  Weiteres  auf  sich,  und  was  die  zwei  Ackerochsen  betrifft, 
die  der  Visionsengel  als  Vamba's  Kennzeichen  ausdrücklich  an- 
gegeben, so  glaubt  Paulo  diese  Ochsen  sonder  allem  Zweifel 
in  den  beiden  Gothenfürsten,  ßodulf  und  Teofil,  zu  erkennen,  die 
ihm  die  Krone  Spaniens  anbieten,  i)  Nun  müsste  die  Katastrophe 
mit  Macht  daherstürmen,  Schlag  auf  Schlag.  Erst  aber  —  sagt 
die  dritte  Scene  —  komm'  ich !  Die  „Gerichtssaalscene",  wo  un- 
ser Vamba  als  gerechter  Richter  und  weiser  Salomo  sich  noch 
zu  erproben  hat,  um,  nach  hergebrachter  Art  der  spanischen 
Wunder-  und  Heiligenhelden  und  gotterwählten  Könige,   sich  in 


Teof.  Paulo,  si  quieres  ser  Bey, 
yo  prometo  de  agujarte, 
si  quieres  determinarte 
en  toda  amistad  y  ley  .  .  . 
Rod.    Paulo,  pues  que  Dios  te  ofrece 
todo  lo  que  has  menester 
Niegale  a  Bamba  la  fe 
y  el  regno  toma  äl  seguro 
que  a  fe  de  bien  godo  juro 
que  en  todo  te  ajudare. 
1)       Paul  „Was  die  Vision  dem  heiigen  Vater  sprach 

Von  den  zwei  Ochsen,  deut'  ich  gottbegeistert 
Euch  unverweilt  als  auf  Euch  selbst  bezüglich, 
Die  beiden  Ochsen  seyd  ohn'  Zweifel  Ihr, 
Die  Ihr  mit  mir  das  Reich  zu  pflügen  kommt" 

y  la  Vision  que  hablo 

al  Papa  de  los  dos  bueyes, 

oy  por  soberanos  leyes 

si  bien  lo  mirais  soy  yo. 

Los  dos  bueyes  sois  los  dos, 

que  conmigo  estais  arando 

y  el  bien  de  Espana  aumentando.  .  .  . 


Der  Gegenkönig  mit  dem  Strick  um  den  Hals.  lg 

jedem  Betracht  und  von  allen  Seiten  als  musterwürdigen  Herr- 
scher und  mit  sämmtlichen  Eigenschaften  eines  solchen  gesegne- 
tes Rüstzeug  des  Herrn  auszuweisen.  Die  Gerichtssaalscene  passt 
an  diese  Stelle  und  in  diesen  Moment,  wie  Vamba's  zwei  Pflug- 
ochsen in  den  Tanzsaal,  und  die  Bezüchtigten,  über  welche  König 
Vamba  zu  Gericht  sitzt  und  rechtspricht,  gehen  das  Stück  gerade 
so  viel  an,  wie  das  seitenlange  Instrument,  das  Fürst  Atanarich 
im  Namen  des  rechtsprechenden  Königs  verliest,  und  worin 
sämmtliche  spanische  Bischofssitze,  Suffraganen  und  Sprengel 
aufgezählt  werden,  ein  Kehrichtfass  voll  Städtenamen!  Ver- 
wandter mit  der  Katastrophe,  obschon  weitläufig,  oder  wie  ein 
verschollener,  plötzlich  auftauchender  Stegreifvetter,  ist  der  nun 
folgende  „Marktplatz",  der  den  Z wisch enscenenkönig,  Paulo, 
mit  seinen  beiden  Visionsochsen,  ßodulf  und  Teofil,  an  ei- 
ner Tafel  zechend  vor  Augen  stellt,  mit  KnipperdoUing's,  Thomas 
Münzef  s  und  Joh.  von  Leyden's  Wiedertäufergelüst  nach  Wei- 
berfleisch. *)  Der  Wunsch  steckt  ihm  noch  halb  in  der  Kehle, 
da  meldet  ihm  schon  ein  Bürger:  König  Vamba  habe  mittler- 
weile des  Paulo  ganze  Kriegsmacht  in  die  Pfanne  gehauen  und 
von  dessen  zehntausend  Soldaten  keine  vierhundert  übrig  gelas- 
sen. Dies  hören  und  reissausnehmen  ist  für  Paulo  und  seine 
zwei  Visionsochsen,  Rodulf  und  Teofil,  Ein  Ochsenschritt. 
Kaum  ist  der  Schritt  gethan,  stehen  sie  wieder  da  selbdritt  an 
König  Vamba' s  Strick,  eigenhändig  von  ihm  zurückgeführt 
Paulo  erkennt  sogleich  in  dem  Strick  den  „bittern  Reif",  das 
Diadem,  das  ihm  nur  herabgerutscht  von  der  Stirne  auf  den  Hals  '^), 
verbittet  sich  indessen  Vamba's  väterliche  Gewissenserweckung, 
wünscht   kurzen  Process,  da  er  ein  ganz  besonderes  Verlangen 


1)  Paul.  „Lasst  Damen  kommen;  mich  verlangt  nach  ihnen. 

Mein  ew'ges  Heil  sey  jetzt  in  Lust  vergeudet. 
Eod.     Ja,  ohne  Weiber  ist  kein  Glück  zu  hoffen  .  .  . 
Teof.    Waren  die  gestrigen  nach  Eurem  Sinn? 
Paul.    Nur  vorwärts,  vorwärts!  Leben  und  leben  lassen!'* 

2)  „Als  Krone  wollt'  ich  auf  Dein  Haupt  ihn  heben 

(den  bittem  Keifen) 
Da  war's  zu  weit  und  fiel  mir  um  den  Hals." 
y  es  tan  grande  esta  Corona, 
que  se  me  ha  baxado  al  cuello. 


14  I^as  spanische  Drama. 

nach  höllischer  G-esellschaft  verspüre.  ^)  Die  Visionsochsen  knieen 
dagegen  wie  die  Kameele,  um  Gnade  bittend.  König  Vamba 
macht  mit  allen  dreien  kurzen  Process,  lässt  sie  abführen  und 
abschlachten.  Jetzt  endlich  bricht  die  Katastrophe  herein,  aber 
mit  der  Thür  in's  Haus,  als  besonderes  Stück,  aus  der  Büchse 
geschossen,  Knall  und  Fall  —  das  nicht  einmal!  Wie  aus  der 
Windbüchse  geschossen:  ohne  Knall,  geht  die  Katastrophe  los, 
trifft  ihr  eigenes  Stück  vor  den  Kopf  —  da  liegt  es  und  ver- 
röchelt. 

Eine  Dona  Bianca  führt  dem  Erwig,  der,  laut  Ge- 
schichte 2),  Chronik  3)  und  Sage  dem  Könige  Vamba  die  Krone 
vom  Haupte  blasen  und  zugleich  das  Lebenslicht  nun  einmal 
ausblasen  soll,  —  Dona  Bianca  führt  dem  Erwig  einen  mau- 
rischen Zauberer,  einen  „weltberühmten  Magier",  zu.  Woher 
kommt  diese  Dona  Bianca?  Sie  kommt  und  geht  wie  der  Wind, 
man  weiss  nicht  woher  und  wohin?  Gerade  wie  der  arabische  Magier 
und  Zukunftsdeuter,  Mujarävo,  der  dem  Erwig  die  Katastrophe 
als  Horoskop  stellt,  unbekümmert  um  das  ganze,  bis  zu  dieser 
Scene  herangeführte,  bis  auf  diesen  Schweif büschel  verbrannte 
und  verkohlte  Stück,  aus  dessen  Asche  der  Zauberer  dem  Thron- 
räuber und  Mörder  seines  Wohlthäters,  Königs  Vamba,  die  durch 
ein  Wunder,  und  Gottes  Kathschluss  ihm  zufallende  Krone  Spa- 
niens weissagt.^)    Dadurch  erhält  das  Scheusal  von  Ruchlosig- 


1)  „Tödte  mich,  mach  nicht  Lärm  von  Gothengrossmuth, 
Sieh,  mich  verlangt  nach  höUischer  GeseUschaft." 

Matame,  que  traes  gran  grita 
y  borra  el  valor  de  Espaiia, 
que  ya  mi  alma  maldita 
quiere  seguir  la  compana, 
que  en  los  infiernos  abita. 

2)  Mariana  Gothica  fol.  372  f.  —  3)  Saavedra  Faxardo  Coron. 
4)  Durch  Wunder,  ohne  wem  es  zu  verdanken, 

Wirst  Du  Dich  sehn  als  König  von  ganz  Spanien. 


In  seiner  Suppe  oder  Trank  wirst  Du 
Das  Gift  ihm  reichen  .  .  . 
Que  por  maraviila  estraiia 
sin  pagar  ningun  tributo 


Volkssage  und  Geschichte.  15 

keit  und  Undank  die  Weihe  eines  prädestinirten ,  schuldlosen, 
himmlischen  Küstzeuges,  und  seine  Nachfolge  im  Eeich  den  Cha- 
rakter unanfechtbarer  Rechtmässigkeit  und  Legitimität.  Ist  solche 
Motivirung  einer  dramatischen  Katastrophe,  wir  fragen  nicht,  —  um 
uns  nicht  an  den  grossen,  den  Gott  der  Völker-  und  Königs- 
geschichte stetig  offenbarenden  Lehren,  um  uns  nicht  an  dem  in 
der  Menschengeschichte  sich  immerdar  bethätigenden  Gottes- 
gewissen zu  versündigen  —  wir  fragen  nicht,  ob  eine  solche 
Katastrophe  einer  dramatischen  Dichtung  nicht  gegen  den  Geist 
der  Geschichte  frevelt;  nicht  den,  wie  in  der  Natur,  so  in  der 
Menschengeschichte  allgegenwärtig  wirksamen  Gottesgeist,  nicht 
Gott  selber,  verläugne  und  läugne:  wir  fragen,  ob  eine  solche  ihr 
Drama  mit  einem  Fusstritt  beseitigende  Katastrophe  nicht  auch 
zugleich  den  Geist  der  Volks  sage,  der  freien,  die  historischen 
Motive  verbildlichenden  Volksphantasie  blödsichtig  verkennt  und 
vernichtet?  Blödsichtig,  und  die  wundergläubige  Volksumdich- 
tung  mit  pfäffischer  Absichtlichkeit  zum  schamanenhaft  dumpfen 
Köhlerglauben  entgeistigend  und  verdummend:  da  die  Volks- 
phantasie ja  doch  nur  die  inneren,  d!urch  Charakter,  Grund- 
sätze, Wahnvorstellungen  und  Leidenschaften  bestimmten  An- 
triebe geschichtlicher  Persönlichkeiten  zu  frevelhaften  Thathand- 
lungen  für  die  sinnliche  Anschauung  projicirt,  hypostasirt,  als 
sichtbare  Spiegelbilder  herausstellt;  da  der  Volksgeist  ja  doch 
nur,  kraft  seiner  dunklen,  gläubig-poetischen  Schauahnung  eines 
in  letzter  Folge  und  Tiefe  die  Menschengeschicke  lenkenden  Welt- 
geistes, dasjenige  Moment  in  den  Triebfedern  und  Handlungen 
seiner  Geschichtspersonen,  Könige,  Helden,  Vorkämpfer,  als  eine 
göttlich  freiwillige,  gnadenvolle,  oder  strafrichterliche  Einwirkung 
von  aussen  herein,  als  eine  wunderhafte  Offenbarung  der  gött- 
lichen Weltpersönlichkeit,  den  sinnlichen  Blicken  darbietet,  —  das- 
jenige Moment,  das,  als  Lebensgrund  und  Quell  des  freithätigen, 
selbstbewusstenTichtens  und  Trachtens,  WoUens,  Strebens  und  Hau- 


te Veras  Key  absoluto 

de  todo  la  fuerte  Espana  .  , 

Que  con  ciertas  yernas  puesta 
en  el  caldo  en  la  bevida 
has  de  dar  fin  ä  su  vida. 


Iß  Das  spanische  Örama. 

delns  seiner  Geschichtshelden,  diese  Wirknisse  beseelend  durch- 
dringt, aufnehmend  das  mit  diesem  Bestand-  und  Beseelungsgrund- 
quell, übereinstimmende  Thun  und  Wollen,  es  aufnehmend  und  auf- 
lösend in  seinen  Heil-  und  Segensborn;  das  Widerstrebsame  aber, 
das  eigenwillig  dem  Weltgesetze,  dem  Wesen  Gottes  Widersetzliche, 
ausstossend,  und  im  Feuer  selbstgeschaffener  Trübsal  läuternd, 
um  das  Sittlichschlechte,  Verderbnissvolle,  wie  die  Natur  den 
Wegwurf,  das  Lebensfeindliche,  im  Nutzen  ihres  Haushaltes  ver- 
wendet, —  um  gleichermaassen,  vermöge  seiner  unendlichen  Heil- 
kraft, seiner  —  im  Volkssinn  gesprochen  —  göttlichen  Gnade, 
das  Vernunftwidrige,  Sittlichverwerfliche  in  Wohlthat  und  Segen 
umzuwandeln.  Dieses  Moment  ist  das  dem  menschlichen  Thun 
und  Lassen  immanente,  die  Menschengeschicke  regelnde,  richtende 
Sittengesetz,  die  Weltvernunft,  sich  offenbarend  im  Vernunft- 
gewissen. Während  die  geschichtliche  Darstellung  von  die- 
sem Momente  absieht,  oder  es  auf  sich  beruhen  lässt,  als  ihre 
Aufgabe  vorzugsweise  eine  Ableitung  und  Entwickelung  der  That- 
sachen  aus  inneren  menschlich  eigenthümlichen,  von  Zeitbegriffen 
und  Leidenschaften  erregten  Antrieben  betrachtend:  entfalten 
sich  für  das  Auge  des  Sonntagskindes,  der  Volksphantasie,  die 
inneren  Vorgänge  und  Beweggründe  selbst  zu  Apokalypsen,  zu 
äusseren  Thatsachen,  zu  Gotterscheinungen  als  übernatürliche 
Naturphänomene  gleichsam  —  ein  Widerspruch,  den  die  zwischen 
beiden  Anschauungsweisen,  der  geschichtlichen  und  volksthüm- 
lichen,  mitteninnestehende  poetische  Gestaltung  dadurch  aus- 
gleicht, dass  sie  in  der  Verkörperung,  in  der  Erscheinungsgestalt 
das  üebersinnliche,  Transscendente,  das  Geistige  und  Geister- 
hafte des  innerlichen  Seelenvorgangs,  eine  psychologische  Epi- 
phanie  andeutet,  in  welcher  sich  zugleich  die  realistisch  ge- 
schichtliche wie  die  imaginativ  volksmässige  Auffassung  symbo- 
lisch spiegelt:  letztere,  indem  die  poetisch-psychologische  Dar- 
stellung die  im  Volksglauben  hypostasirten  Weltgesetze  und  sitt- 
lichen Weltmächte  als  wirkliche  Personen  einführt;  die  historische 
Behandlungsweise  aber  darin  bekundend,  dass  sie  jene  phatasti- 
schen  Gestalten,  wenn  nicht  als  blosse  Gebilde  einer  geistersehe- 
rischen Phantasie,  doch  immerhin  als  complementäre  Er- 
scheinungen zu  den  inneren,  die  Seele  bewegenden  und  beherr- 
schenden und  zu  Frevelthaten  aufstachelnden  Wahnbildern  in  den 


Bas  historische  Drama  der  Spanier.  17 

Kreis  der  Schauhandlung  eintreten  lässt,  so  dass  in  dieser  Ver- 
sichtbarung  inneren  Brütens  gleichsam  schon  die  erste  Schreck- 
gestalt eines  unheilvollen  Sinnens  und  Trachtens,  schon  von  vorn- 
herein das  in  leibhafter  Warnungsgestalt  sich  selber  gegenständ- 
lich gewordene  Gewissen,  angedeutet  liege:  im  tiefsten  Grunde 
der   dichterischen   Intention  immer  nur    der  Dens    in    nobis 
zu  seinem  Kechte  und  seiner  Verherrlichung  gelange.    Man  denke 
an    Shakspeare's    Gespenster,     Geistererscheinungen,     Zauber- 
schwestern, die  vor  dem  Geschichtsrealismus,  wie  vor  dem  Volks- 
glauben gleichmässig  standhalten;  wo  sinnliche  Erscheinung  und 
psychologische  Spiegelung,  ähnlich  wie,  nach  der  prästabilirten 
Harmonie,  die  beiden,  das  üeberein wirken  von  Leib  und  Seele 
verbildlichenden   gleichgehenden   Uhren,   als   von  einander  un- 
terschieden, dennoch   als  identische  sich  gegenübertreten.    Von 
solcher  speculativ   poetischen  Auffassung    des  üebernatürlichen 
bietet  das  spanische  Drama,  selbst  der  grössten  Meister,  nur  ver- 
einzelte, verwischte  Spuren  und  Lichtblicke  dar.    Die  im  geist- 
lichen Wahn-  und  Aberglauben  —  um  wiederholt  darauf  hinzu- 
weisen —  grundsätzlich  dressirten  und  eingeschulten  Köpfe  der 
glänzendsten  dramatischen  Genies  der  Spanier  im  17.  Jahrhundert 
lassen  sie  uns  als  völlig  unfähig,  nicht  von  Natur,  sondern  durch 
kirchliche  Geisteszucht,   zu  solcher  philosophisch-psychologischen 
Behandlung  der  Theophanien,   des   Wunderbaren,  Dämonischen, 
erscheinen.    Weshalb  wir  ihnen  denn  auch,  so  fürchten  wir,  ein 
wahrhaftes  Verständniss  des  historischen  Geistes,  mithin  die  Kunst- 
begabniss  für  das  poetisch-historische  Drama  werden  absprechen 
müssen.    Ja  bei  aller  staunenden  Bewunderung  vor  Lope  de  Ve- 
ga's  dramatischem  Genie,  dürfen  wir  unsere  Ansicht  nicht  zu- 
rückhalten, dass  sein  Schauspiel,  „König  Vamba",  nicht  nur  dem 
Begriff  und  Wesen  eines  historisch-poetischen  Drama's  in's  Ge- 
sicht schlägt;  dass  es  auch,  als  Carricatur  einer  Behandlung  die- 
ser Sage  jm  Volksgeiste  vom  poetisch-dramatischen  Gesichtspunkte 
aus  zu  verwerfen,  und  dass  die  grossartigen,  wirklich  historisch- 
poetischen Züge,   die  uns  in  einigen   von  Lope's  Geschichtsdra- 
men überraschen  werden,  auf  Rechnung  seines  genialischen  Dich- 
terinstinctes,  nicht  aber  seines  Kunstbegriffs  und  Verständnisses 
zu  setzen;  um  so  weniger,  als  er  meist  mit  der  Charakteristik 
der  Geschichtsfiguren  in  den  Romanzen  und  in  der  nachRoman- 

X.  2 


18  Das  spanische  Drama. 

zen  schildernden  Chronik  Schritt  hielt.  Die  an  sich  auch  bei  dem 
Dichter ,  und  noch  in  ihrer  dogmatisch-kirchlichen  Form,  achtbare 
Glaubensinbrunst,  selbst  diese  hat  seit  den  eklogischen  Christspielen 
der  Väter  des  spanischen  Drama's  aus  dem  ersten  Drittel  des  16.  Jahr- 
hunderts an  innerer  Wahrheit,  Einfalt  und  kindlicher  Unschuld,  mit- 
hin an  poetischer  Berechtigung,  das  Geschichtliche  im  kirchlichen 
Sinne  darzustellen,  eingebüsst.  Der  Glaubenseifer  der  spanischen 
Dramatiker  zur  Zeit  Philipp's  IL  nahm  Charakter  und  Farbe  der 
düstern,  verfolgungssüchtigen  Strenggläubigkeit  dieses  Königs  an: 
des  fanatischen,  im  Dienste  der  Inquisition  und  des  absoluten  Des- 
potismus erglühten  Kirchenglaubens.  Die  Glaubensinnigkeit  der 
dramatischen  Dichter  unter  Philipp  IL  hatte  ein  Element  von 
dieses  Königs  finsterem  Blutgeist  und  geistesknechtender  Unduld- 
samkeit eingesogen.  Die  geistlichen  Spiele,  die  Legenden-  und 
Wunderdramen  aus  Philipp's  IL  und  der  nächsten  Philippe  Eegie- 
rungsepoche  verrathen  'auch  schon  diese  Ansteckung,  diese  grund- 
sätzliche Verderbniss  des  kirchlichen  Eiferwahns,  diese  tendenziös 
bigotte  Absicht,  den  Volksglauben,  den  in  Romanzen  und  mittel- 
alterlichen Dichtungen  so  thatkräftig  waltenden  heroischen  Wun- 
derglauben, im  Nutzen  des  kirchlichstaatlichen  Despotismus,  zum 
geisttodten  Glaubenswahn  und  Aberglauben  abzustumpfen.  In 
dieser  Beziehung  hat,  unseres  Dafürachtens,  das  Lope-Calderon'sche 
geistliche  Drama  unheilsam,  wo  nicht  verwildernd,  auf  den  spanischen 
Volksgeist  eingewirkt,  wie  der  Ehr-  und  Liebesbegriff  der  Eitterdra- 
men  die  höhern  lund  mittlem  Schichten,  durch  Verwirrung  der 
Begriffe  und  Herzenstriebe,  nur  entsittlichen  konnte;  mit  wenigen 
Ausnahmen,  die  —  zu  Lope's  Ehren  sey  es  gesagt  —  einige  sei- 
ner geschichtlichen  Dramen  und  Mantel-  und  Degenstücke,  ins- 
besondere durch  den  Liebesheroismus  der  Frauen,  vorzugsweise 
glänzend  vertreten.  Das  Auto  aber,  dies  eigentliche  Kirchen- 
drama, durchweht  und  beherrscht  Philipp's  IL  Glaubensgeist  so 
unbedingt,  dass  diese  Spiele  meist  in  seiner  Verherrlichung 
gipfeln,  und  selbst  in  „König  Vamba",  Erwig's  Weissager,  der 
Mohr  Mujarävo,  diesen  König  in  seine  Prophezeihungen  herein- 
zieht ,  und  ihn  ob  der  grausam  fanatischen  Vertreibung  aller 
Alarben  aus  Granada  preist. 

Wie  alle  Incidenzen  in  diesem  Drama  aus  den  Wolken  fal- 
len, aus  Glorienwolken,  oder  Wolken  schlechthin,  so  auch  Er- 


Seliggesprochener  Königsmörder.  19 

wig's  plötzlicher  Einfall,  des  Maurischen  Zauberers  Prophezeihung 
als  Oelgemälde  zu  besitzen,  das  ihm  der  in  der  Schwarzkunst 
wie  in  der  Oelmalerei  gut  beschlagene  Hexenmeister  auch 
sogleich  liefert  und,  Erwig's  gleichfalls  aus  der  Luft  gegriffenen 
Grille  nachkommend,  „wohlverpicht  in  einer  Truhe  verschliesst", 
um  das  Weissagungsbild  in  einer  finstern  geheimnissvollen  Gruft  in 
Toledo,  deren  Thüre  mit  sechs  bis  sieben  Schlössern  versehen  ist, 
unzugänglich  aufzubewahren.  Den  auch  dramatisch  werth-  und 
reizlosen  Stegreif-Incidenzen  setzt  der  Schluss  die  Vamba-Krone 
auf,  mit  der  Meldung  an  König  Vamba  von  der  Hinrichtung 
des  Paulo  und  Aufsteckung  seines  Hauptes  auf  einen  Eisen- 
haken; mit  König  Vamba's  in  Krone  und  Königsmantel  knieend 
abgelegtem  Sündenbekenntniss  und  Schlussgebete  zu  Gott  um 
Vergebung,  dass  er  im  Drange  der  ßeichsgeschäfte  des  Herrn 
vergessen:  „üomine  miserere  mei",  „Domine  dele  iniquitatem 
meam";  „libera  me  de  peccato  meo";  mit  des  Königs  Einschlum- 
mern auf  einem  Stuhl,  und  infolge  dessen  mit  einer  letzten  En- 
gelserscheinung, die  ihn  auffordert,  „noch  heut  aufzubrechen,  den 
Leib  zur  Erde,  himmelwärts  die  Seele",  und  ihn,  den  schlum- 
mernden König,  bedeutend:  „Herwig  sey  der  von  uns  berufene 
König",  demgemäss  nun  auch,  nach  Verschwinden  des  Engels, 
der  von  Gott  eingesetzte  Herwig,  seinem  erwachten  und  nach 
einem  Kruge  Wassers,  zur  Löschung  des  Durstes,  verlangenden 
Könige  und  Wohlthäter  den  Giftrank  getrost  nach  Gottes  Rathschluss 
und  Willen  reichen,  und  die  Nachfolge  als  giftgesalbter  König  des 
Herrn  mit  gutem  Gewissen  antreten  kann,  im  Einverständnisse 
mit  dem  vor  Vergiftungsschmerzen  sich  windenden  und  seinem 
Mörder  fluchenden  König  Vamba,  der,  dess  unbeschadet,  den 
Mörder  als  seinen  gotterwählten  Nachfolger  den  um  ihn  versam- 
melten Fürsten  empfiehlt  und  seine  Gemahlin,  Königin  Dona 
Sancha,  dem  Schutze  desselbigen  Meuchelmörders  von  Gottes 
Gnaden  übergiebt.  0  Der  König  stirbt  und  Fürst  Atanarich 
ertheilt  dem  Stück  den  letzten  Segensspruch: 


1)  —  „Durch  Himmelseingebung 

Weiss  ich,  dass  Spaniens  Krön'  und  Scepter  ihr 
Dem  Fürsten  Herwig  nach  mir  übergebt. 


20  I^s-s  spanische  Bramä. 

dando  fin  ä  la  Comedia, 

y  vida  y  muerte  de  Bamba. 
Hiermit  schliessen  wir  das  Bühnenspiel 
Vom  Leben  und  dem  Tode  König  Vamba's. 

Unsere  Zergliederung  des  Lope'schen  'König  Vamba'  setzt 
auch  in  diesem  Falle,  durch  Darlegung  der  regelwidrigen  und 
schadhaften  inneren  Organe  des  Stückes,  unseren  Leser  in  die 
Lage,  sich  mit  eignen  Äugen  von  der  krankhaften  Beschaffenheit 
der  Eingeweide  dieser  dramatischen  Dichtung  zu  überzeugen,  und 
als  geübter,  durch  so  viele  ähnliche  Zerlegungen  in  die  kritische 
Opferschaukunst  eingeweihter  Haruspex  unseren  aus  solchem  Sa- 
crificio  non  litante  gezogenen  Wahrsagerausspruch  zu  würdigen, 
zu  begutachten  und  daher  auch  an  demselben  die  Stichhaltigkeit 
eines  früheren,  unseres  Wissens  des  einzigen,  auf  Grund  einer 
genaueren  Einschau  in  das  Vambadrama,  vor  wenig  Jahren  be- 
reits von  einem  in  der  Lopeliteratur  nicht  unrühmlich  bekannten 
deutschen  Dramaturgen  verkündeten  Haruspiciums  zu  erprüfen. 
Es  lautet  wie  folgt:  „Eine  historische  Composition  in  der  ge- 
wöhnlichen Bedeutung  des  Wortes  findet  sich  hier  nicht;  und 
dennoch  ist  dieser  König  Vamba  ein  so  acht  historisches 
Drama,  als  man  nur  immer  es  verlangen  kann.  Es  ruht  ganz 
auf  einer  historischen  Grundlage;  auf  der  Thatsache  nämlich, 
dass  es  zunächst  die  Lüste  und  die  Grausamkeit  der  vier  letzten 
gothischen  Könige  waren,  welche  das  Unglück  der  maurischen 
Invasion  über  Spanien  brachten,  und  es  in  einen  siebenhundert- 
jährigen Kampf  gegen  die  Araber  verwickelten.  Das  war  der 
Standpunkt,  den  Lope  für  seine  dramatische  Composition  wählte; 


Graf  Herwig,  meine  Gattin,  Dona  Sancba, 

Sey  Deinem  Schutz  vertraut.    Nimm  hier  die  Krone 

Und  setze  Dir  sie  auf,  nur  ohne  Weitres." 

Por  inspiracion  de  Dios 

supe,  que  Dios  quiere  y  manda, 

Que  a  Eruizio  le  deis  el  cetro, 

y  la  Corona  de  Espana  .  .  . 

Encargote  conde  Eruizio 

a  mi  muger  dona  Sancha. 

Toma,  ponte  mi  Corona 

no  dudes  pontela,  acaba. 


Wamba-Studien.  2 1 

und  tritt  man  in  diesen  Standpunkt,  so  wird  man  nicht  umhin 
können,  die  Besonnenheit  und  die  Consequenz  in  der  Durch- 
führung eben  so  sehr  zu  bewundern,  als  die  Tiefe  der  poetischen 
Intention.  Diese  ist  von  Anfang  bis  zum  Ende  festgehalten,  und 
schon  in  den  Scenen  des  Eingangs  in  der  Frömmigkeit  Eecis- 
vind's  bestimmt  angedeutet.  Wie  locker  nun  die  Fäden  der 
ganzen  Composition  auch  dazuliegen  scheinen,  so  wird  man  doch 
nicht  läugnen  können,  dass  sie  wenigstens  in  einer  Beziehung, 
und  zwar  in  der  wesentlichsten,  in  der  nämlich,  die  poetische 
Intention  auf  das  Klarste  und  Entschiedenste  herauszustellen, 
fest  und  sicher  zusammengehalten  sind  .  .  .  Das  Vorzüglichste 
sind  die  Schlussscenen ,  in  welchen  sich  bei  der  ergreifendsten 
Innigkeit  des  Gefühls  eine  poetische  Enthaltsamkeit  ausspricht, 
wie  man  sie  sonst  gewöhnlich  nur  bei  den  classischen  Dichtern 
des  Alterthums  antrifft .  . . "  i)  Der  Kernpunkt  dieses,  die  drama- 
turgische Varaba-Kritik  wie  einen  Polypen  umstülpenden  ürtheils, 
dass  Lope's  „König  Vamba"  nämlich  auf  der  das  ganze  Stück 
beherrschenden  Intention  beruhe,  „dass  es  zunächst  die  Lüste 
und  die  Grausamkeit  der  vier  letzten  gothischen  Könige  waren, 
welche  das  Unglück  der  Maurischen  Invasion  über  Spanien  brach- 
ten" —  dieser  Kernpunkt  erweist  sich  vorweg  als  der  faule  Kern 
des  kritischen  Votums  unseres  Wiener  Lope-Forschers  vor  vierzig 
Jahren ;  zunächst  inbezug  auf  „König  Vamba".  Man  müsste  denn 
mit  demselben  die  beiläufige  Erwähnung  des  Königs  Koderich 
unter  Hinzielung  auf  dessen  Liebschaft  mit  der  Cava  für  die  durch- 
gängige Intention,  den  Untergang  des  westgothischen  Reichs 
als  eine  Folge  der  Lüste  und  Grausamkeit  der  vier  letzten  gothi- 
schen Könige  im  „König  Vamba"  darzustellen,  halten  und  aus- 
geben wollen.  Durchgängiger,  als  Lope's  Vamba  von  dieser  In- 
tention, ist  des  Lope-Studien- Dramaturgen  Vamba-Kritik  von 
gedachtem  faulen  Kernpunkt  durchzogen.  Sämmtlichen  Lobestira- 
den,  die  drum  und  dran  hängen,  wird  unser  in  den  Vamba- 
Acten  nun  gründlich  bewanderter  Leser  den  fumet  und  haut- 
goüt  besagten  Kernpunktes  anriechen.  So  viel  Worte  und  Phra- 
sen, so  viel  solcher  Kernpunkte.  Und  doch  hat  der  Lope-Studierer 


1)  Studien  über  Lope   de  Vega  Carpio.    Von  N.  Enk.    Wien  1839. 
S.  41  f. 


22  J^as  spanische  Drama. 

vor  vierzig  Jahren  sein  „Studium''  treufleissig  betrieben  und  eine 
im  Ganzen  dankenswerthe  Vorarbeit  geliefert.  Und  doch  hat  der 
Wiener  Lope-Dramaturg  von  1839  auch  seinem  Vamba-Urtheil 
eine  eingängliche  Inhaltsangabe  des  Stückes  voraufgehen  lassen, 
die  aber,  so  detaillirt  sie  ist,  doch  nur,  üblichermaassen,  die  breit- 
getretene dramatische  Fabel  darlegt,  die,  als  Gemeingut  für  jedes 
beliebige  Vambastück,  auf  die  Eigenthüralichkeit  der  poetischen 
Behandlung  derselben  keine  Folgerung  gestattet,  wie  die  analy- 
tische Beleuchtung  des  Inhalts,  eine  solche  nämlich,  die  mit 
der  die  Fabelbehandlung  durchgängig  begleitenden  Fackel  der 
dramaturgischen  Kunstregeln  und  Kritik  erfolgt;  eine  Beleuch- 
tung des  poetischen  Gehalts  und  der  dramatischen  Technik,  wie 
sie  jenem  uraltehrwürdigen  Schreibrohre  entquillt,  worin,  bekannt- 
lich, der  erste  Menschenkunstbildner,  worin  Prometheus  den  Son- 
nenfunken einschloss,  und  das  auf  dessen  Nachfolger,  die  Pfleger 
der  selbstschöpferischen  Kritik,  vererbte,  nicht  auf  die  der  blossen 
Studien-Dilettanten,  auch  nicht  auf  die  mit  ästhetischen  Heften 
ohne  Klinge  die  verwickeltsten  Knoten  der  dramatischen  Kunst 
wie  mit  Alexanderschwertern  zerhauenden  Schuldramaturgen;  noch 
auch  auf  die  ex  professo-Kunstphilosophen,  die  inkraft  von  Me- 
phistopheles'  Zauberspruch : 

„Trauben  trägt  der  Weinstock; 

Hörner  der  Ziegenbock! 

Der  Wein  ist  saftig,  Holz  die  Beben, 

Der  hölzerne  Tisch  kann  Wein  auch  geben.*'  — 

Abhandlungen  über  dramatische  Kunst,  Aphorismen  über  das 
Drama  und  was  des  Teufelszeugs  mehr,  aus  ihrem  hölzernen 
Schreibtisch,  aus  ihrem  Kathederholz  in  die  Gläser  —  Tinten- 
gläser —  der  Studenten,  der  Altmayer,  Frosch,  Siebel  und  Bran- 
der, springen  lassen.  Für  den  Vorenthalt  von  Prometheus' 
Schreibrohr  (vaQd'Tj^)  und  Himmelsfunken  entschädigen  sich  diese 
kunstdogmatischen  Bildner  und  Zurechtkneter  von  Köpfen  studien- 
beflissener Lehmklöse  durch  den  Eifer,  womit  sie  —  um  auf 
unser  haruspicisches  Gleichniss  einen  Rückblick  zu  werfen  — 
womit  sie  in  ihren  kunstkritischen  Hekatomben  jener  Opferlist 
des  Titanen-Altvaters  und  vordenklichen  (promethischen)  Men- 
schenbildners aus  unvordenklichen  Zeiten,  nachleben:  indem  sie, 
wie  der  Titanische  Urahn,   den  Zeus  um   seine  Opfergebühren 


Lope  de  Vega's  ^El  mayor  imposible'.  23 

prellend,  statt  der  ganzen  vollen  Opferthiere,  nur  deren  Haut  und 
Knochen  verbrannte  —  indem  sie  ähnlich  in  ihren  ästhetischen, 
kunstphilosophischen,  dramaturgischen,  aphoristischen  und  literar- 
historischen Lehrschriften  gleichermaassen,  anstatt  den  poetischen 
Gehalt  der  von  ihnen  zerlegten  dramatischen  Dichtungen  zum 
einleuchtenden  Verständniss  zu  bringen,  nur  deren  Haut  und 
Knochen  auf  dem  Opferaltar  ihrer  Lehrkanzel  oder  ihres  Lehr- 
stuhls verbrennen  —  die  Haut:  die  kahle  trockene  von  der  dra- 
matischen Dichtung  abgezogene  Fabelerzählung;  die  Knochjpn: 
das  Todtengebein  ihrer  kunstkritischen  hirngespinnstisch-grauen 
moderfahlen  Schrullen:  Lemur-  und  Larvenskelette,  zu  denen  sie 
die  grössten  dramatischen  Schöpfungen,  Shakspeare's  am  liebsten, 
entfleischen  und  entseelen. 

Nun  aber,  nachdem  wir  ein  historisches  aus  Spaniens 
westgothischen  Königsgeschichten  frühester  Zeit  geschöpftes  Schau- 
spiel von  Lope  als  Exponenten  der  ersten  Gruppe  unserer  trilo- 
gisch-kritischen ,  je  drei  Stücke  der  verschiedenartigen  Dramen- 
gattungen in  Lope's  unerschöpflichen  Bühnenrepertoire  umfassen- 
den Lope-Studien  mit  einer  gerade  der  Verfehltheit  und  Werth- 
losigkeit  desselben,  in  Rücksicht  der  Grösse  des  Dichters  und  sei- 
nes um  so  gebieterischem  Anspruchs  auf  volle  Beweisaufnahme 
und  Begründung  unseres  ürtheils,  entsprechenden  Ausführlich- 
keit, vorangestellt:  nun  möge  als  zweites  Stück  dieser  ersten 
Gruppe  unserer  analytischen  Trilogien  ein  Drama  aus  Lope's 
Mantel-  und  Degenspielen  zur  Untersuchung  gelangen; 
einer  Schauspielgattung,  als  deren  eigentlicher  Schöpfer  und  Schöpf- 
brunnen für  seine  Nachfolger,  und,  durch  Reichthum  des  Motiven- 
wechsels und  der  Incidenzenerfindung  unübertroffener  Kunstmei- 
ster Lope  de  Vega  ein  [für  allemal  zu  gelten  hat.  Wir  greifen 
auf  gut  Glück  in  die  kolossale,  an  Nieten,  aber  auch  an  Treffern 
reiche  Urne  Lope'scher  Comedias  famosas,  und  ziehen  —  huida! 
einen  Treffer: 

Das  Unmöglichste  von  Allem  (El  Mayor  imposible).i) 
Des  Stückes  Grundmotiv:  die  Unmöglichkeit,  Willen  und  Gelüst 


1)  Comedias,  grosse  Ausgabe  t.  XXV.  Zargoz.  1647.  N.  4.  Bibl.  Eivad 
t.  n.  p.  463—486. 


24  I^äs  spanische  Drama. 

eines  Weibes  zu  bewachen,  unter  Schloss  und  Siegel  zu  stellen, 
hat  Cervantes  in  einer  seiner  berühmtesten  Novelas  (1613)  i)  er- 
schöpfend und  aufs  ergötzlichste,  und  wahrscheinlich  vor  Lope, 
durchgeführt.  Als  Komödienstoff  wurde  das  Thema  noch  im 
17.  Jahrhundert  mehrfach,  namentlich  auch  von  der  englischen 
Komödie,  am  meisterhaftesten,  im  plautinischen  Geist  als  Zeit-  und 
Sittenbild,  von  Meliere 2)  behandelt.  Lope's  Stück  zeichnet  sich 
vor  Allem  durch  poetischen  Glanz  aus,  durch  lyrischen  Eeiz  und 
eine  dramatische  Entwickelung  der  Grundgedanken  im  Cancio- 
nero-Styl.  Diesen  Styl  verräth  gleich  der  Eingang,  der  nicht 
mit  der  Exposition  des  Stückes,  sondern  mit  dem  Anlass  zu  dem- 
selben beginnt.  Eine  Königin,  Antonie  von  Neapel,  die  an  ei- 
nem hartnäckigen  Wechselfieber  leidet,  veranstaltet  an  fieberfreien 
Tagen  ^)  zu  ihrer  Zerstreuung  und  als  einige  Linderung  der  Krank- 


1)  Novela  del  zeloso  Extremeno.  —  2)  Ecole  des  Maris.  —  3)  Der 
Hofcavalier  Feniso  setzt  in  der  ersten  Scene  den  ans  Aegypten  nach 
Neapel  zurückgekehrten  Hofherm  Alb  an o  von  diesem  eigenthümlichen 
Umstand  in  Kenntniss: 

Eso  SU  alteza  procura 

Los  dias  que  libres  sou, 

La  cuya  totnesta  ocasion 

El  mas  grave  se  aventura 

A  descomponerse  mas, 

Donde  la  musica  prueba 

Con  los  ecos  de  esa  cueva 

Que  Ueva  al  mar  el  compäs. 

Aqui  Veras  la  poesia 

Que  muchos  necios  pretenden 

Y  muchos  sabios  no  entienden, 
Eu  SU  major  monarquia; 

Los  bailes  y  los  comedias 
Con  notable  perfecion; 

Y  porque  al  fin  tristes  son, 
Desterradas  las  tragedias. 
üna  academia  diras 

Que  es  este  campo,  un  Liceo. 

„Also  thut  die  Königin, 
Wenn  ihr  Fieber  sie  verlässt; 
Dann  giebt's  jedesmal  ein  Fest, 
Wo  sich  Ernst  und  trüber  Sinn 


Akademische  Streitfrage-Spiel.  25 

heit  schöngeistige  Feste,  sogenannte  Akademien,  dergleichen  schon 
die  provenzalischen  Fürsten,  wie  uns  bekannt,  inform  poetischer 
Streitfragen,  Tenzonen,  und  ähnlicher  lyrisch-dialogischen  Wett- 
spiele, hielten.  An  den  Styl  der  höfischen  Liederbücher  klingt 
auch  das  kehrreimartig  durch  die  ganze  Komödie  widerhallende 
Titelmotiv: 

Ein  Weib  zu  hüten,  das  in  Liebe  schmachtet, 
Bleibt  immer  das  Unmöglichste  von  Allem,  i) 

Für  dies  „Unmöglichste"  erklärt  sich  nämlich  die  Königin, 
nachdem  die  von  ihren  höfischen  Schöngeistern  aufgeworfene 
Streitfrage,  was  das  Unmöglichste  sey,  verschiedentlich  beantwor- 
tet worden. 2)    Der  Ansicht  der  Königin  tritt  Höfling  Roberto 


Selbst  mit  heitrer  Stirne  zeigen. 
Weit  in's  Meer  tont  Liederschall; 
Und  der  Grotten  Wiederhall 
Schlägt  den  Tact  zum  Wellenreigen. 
Hier  wirst  Du  die  Dichtkunst  schauen, 
Mit  der  oft  sich  Thoren  blähen, 
Die  oft  Weise  nicht  verstehen, 
Walten  stolz  im  Kreis  der  Frauen. 
Tänze  wirst  Du,  Komödien 
Schauen  in  Vollkommenheit; 
Doch  weil  sie  voll  Schmerz  und  Leid, 
Sind  verbannt  die  Tragödien. 
Hörsal  und  Akademien 
Ist  der  Hain  und  jede  Laube!"*) 

1)  Porque  es  guardar  una  mujer,  si  quiere, 
El  mayor  imposible  de  los  hombres. 

2)  Die  Akademische  Streitfrage  wird  von  der  Königin  vorgelegt: 

Reina. que  quiero 

Que  cuantos  estais  aqui 
Digais  sobre  este  conceto, 
Cual  OS  parece  el  mayor 
Imposible. 

*)  Nach   der  freien,  aber  in   Ton  und  Klang  dem   Text    sich   mit 

poetischem    Sprachgefühl  anschliessenden    üebertragung    von    Ludwig 

Braunfels   (Dramen  aus  und  nach  dem  Spanischen,    Frankf.  a.  M.  1836. 
2  Thl.  I.  2.) 


26  ^as  spanische  Drama. 

entgegen,  der  dem  weiblichen  Pflichtgefühl  eine  solche  unnahbare 
Wächterstrenge  zutraut,  seine  Schwester  als  Beispiel  nennend. 
Ja  wenn  Familienehre  und  Tugend  ihr  nicht  die  strengste  Selbst- 
hut auferlegte,  so  wäre  er,  als  Bruder,  doch  Mannes  genug,  sie 
unzugänglich  zu  bewachen,  i)  Mit  dieser  Bruder-  und  Mannes- 
Zuversicht,  mit  dieser  Selbstüberhebung  spricht  sich  Roberto 
stehenden  Fusses  zur  komischen  Foppfigur   der  unversehens  aus 


Königin. Ich  begehre, 

Dass  mir  Jeder  sagen  soll, 
Was  er  in  der  Welt  erkläre 
Als  Unmöglichstes  von  Allem. 


Eeina. Yo  para  mi 

Por  mas  impossible  tengo 
El  guardar  a  una  mujer. 

Königin. Soll  ich's  versuchen 

Das  Unmöglichste  zu  nennen ; 
Sag'  ich  dies:  ein  Weib  zu  hüten. 
1)    Koberto.  Digo  que  cuando  mi  hermana 
Por  humil  nacimiento 
Desobligada  naciera, 
Del  hombre  de  mas  ingenio 
De  mas  valor  la  guardara, 
Aunque  conquistas  y  rüegos 
Batieran  su  tbrtoleza 
Con  los  tiros  del  dinero 
Y  las  espias  que  ponen 
En  los  terceros  discretos 
Papeles,  galas,  suspiros, 
Ocasiones  y  paseos. 

Roberto.        —  „Wenn  auch  meine  Schwester 
Von  so  niedrem  Ursprung  wäre, 
Däss  ihr  niedre  Pflicht  obläge, 
Wollt'  ich's  hindern,  dass  der  Beste, 
Dass  der  Schlauste  sich  ihr  nahe; 
Ob  man  ihrer  Tugend  Veste 
Auch  bestürmt  mit  goldnen  Pfeilen, 
Mit  Gewalt  und  list'gen  Ränken; 
Den  Vermittler  feinster  Kniffe 
Wüsst'  ich  siegreich  abzulenken, 
Trotz  den  Brief chen,  Liebesseufzern, 
Lustpartieen  und  Geschenken.** 


Cancionero-Lustspiel.  27 

dieser  von  der  Königin  als  Fieberrinde  genossenen  schöngeistigen 
Akademie  sich  entwickelnden  Komödie;  und  Hofherr  Lisardo, 
der  von  der  Königin  die  Vergünstigung  erbeten,  ihren  Ausspruch 
als  Ritter  zu  verfechten  —  Lisardo  tritt  in  die  Komödie  mit  die- 
sem Vorhaben  auch  sofort  als  erster  Liebhaber  und  Liebesränke- 
spinner ein,  wozu  ihn  die  Königin  in  einem  Aparte  noch  beson- 
ders wirbt  1),  ohne  im  entferntesten  daran  zu  denken,  dass  sie 
mit  ihrer  akademischen  Streitfragen-Unterhaltung  der  Geschichte 
des  Drama's  in's  Handwerk  greift,  indem  sie  durch  den  üeber- 
gang  ihrer  Akademie  in  die  wirkliche  Komödie  auf  den  Ur- 
sprung des  romanischen  Drama's,  insbesondere  der  Capa  y  espada- 
Comedia,  aus  den  provenzalischen  Tenzonen  und  aus  Streit-  und 
ähnlichen  Gesprächsspielen,  wenn  auch  unabsichtlich,  unbewusst 
und  inform  einer  scenischen  Streitfragen -Akademie,  zurück- 
weist. Selbst  der  pathologische  Anlass  zu  dieser  theatergeschicht- 
lichen Komödie:  die  unheilbare  Krankheit  der  Königin,  muss  an 
die  ähnliche,  von  der  Geschichte  des  Drama's  öfter  berührte  That- 
sache  erinnern:  dass  Krankheiten  eben,  ganze  Landschaften  und 
Bevölkerungen  heimsuchende  Epidemien  zur  Einführung  von  Schau- 
spielen imzwecke  der  Aufheiterung  und  Zerstreuung  den  An- 
stoss  gaben.  Lope  freilich  dachte  an  das  Alles  so  wenig  wie 
seine  Königin;  deshalb  nicht,  weil  er  selbst,  als  ein  Ausläufer 
dieser,  aus  den  provenzalischen  Hofstreitspielen  hervorgewachsenen 
spanischen  Hofkomödie,  unbewussterweise  Mitspieler  in  seinem 
Stücke  ist.  Er  dichtete  seine  Cancionero-Comedia,  wie  die  Fin- 
galshöhle noch  jetzt  vom  Nachhall  ossianischer  Harfenlieder  tönen 
soll;  dichtete  sie  als  ein  dramatischer  Macias  des  17.  Jahrhun- 


1)  Reina  (ap.  ä  Lis.). 

Consada  estoy  de  este  necio. 
Tu  has  de  conquistar  su  hermana, 
Si  me  cuesta  los  dos  reinos 
De  Napoles  y  Aragon. 
Königin  (beiseite  zu  Lisardo). 

Hör,  Lisard:  weil  dieser  Thor  mich 
Aergert,  musst  du  mir  versprechen, 
Seine  Schwester  zu  erobern; 
Sollt'  es  auch,  um  mich  zu  rächen, 
Meine  beiden  Reiche  kosten!" 


28  Das  spanische  Drama. 

derts;  als  verspäteter  Troubadour  der  höfischen  Liederbücher, 
die  dramatischen  Personen  dieser  seiner  Comedia  zu  Parallel- 
figuren und  Doppelspielern  einer  provenzalischen  Tenzonen- 
Akademie  und  einer  castilischen  Capa  y  Espada-Comedia,  und  ne- 
benbei diese  selbst  in  eine  Parallel- Allegorie  spaltend:  in  eine 
scenirte  Entwickelungsgeschichte  des  spanischen  Salonlustspiels, 
und  gleich  auch  in  die  Komödie  dazu,  als  leuchtende  Nachspie- 
gelung der  Cancionero-Poesie.  Denn  erst  mit  der  4.  Scene,  zwi- 
schen Lisardo  und  seinem  Lacayo-Gracioso,  ßamon,  der  ge- 
schäftigen Weberspindel,  die,  behufs  der  thematischen  oder  glos- 
senartigen Durchführung  und  Bewahrheitung  jenes,  das  „unmög- 
lichste von  Allem"  betreffenden  Ausspruchs  der  Königin,  die  Gar- 
derobe zu  dem  Verkleidungsstücke  spuhlt  —  erst  mit  dieser  Scene 
beginnt  die  Exposition  der  eigentlichen  Comedia. 

ßamon  bringt  dem  Lisardo  ein  Brief  eben  von  einer 
Estella.  Was  Estella!  Inzwischen  hat  sein  Liebessinn  den  Wet- 
terhahn gespielt;  sein  hofritterliches  Herz  hat  sich  ja  eben  der 
Königin  verpflichtet,  als  ihr  Windspiel  auf  einer  andern  Fährte 
das  Liebeswild  aufzujagen.  ^)  Aechte  höfische  Cancionero-Liebe 
auf  allerhöchstes  Begehren:  eine  Liebe  aus  der  Phantasie,  der 
Fürstin  zu  Hulden  und  Treuen.  L  i  s  a  r  d  o ,  der  ßoberto's  Schwester 
nicht  näher  kennt,  zieht  Erkundigungen  über  die  von  der  könig- 
lichen Gebieterin  zur  Herzensdame  ihm  befohlene  Schöne  ein.  Der 
Diener,  der  wie  ein  Servus  der  römischen  Komödie  über  Alles 
Auskunft  zu  geben  weiss,  zeichnet  das  gewünschte  Bild  mit  ei- 
nigen kräftigen  Strichen. 2)    Uebrigens  ist  ßamon  durchaus  der 


1)  desde  hoy  me  Obligo 

La  que  me  puede  niandar 
Que  müde  de  pensamiento. 

,,ich  versprach  heut  Morgen 

Nun  ein  andres  Weib  zu  lieben. 
Mir  ward  ein  Gebot,  fortan 
Neue  Ziele  mir  zu  wählen/' 

2)  tiene  del  leon 

La  soberbia  y  fortaleza, 
Si  bien  con  rara  belleza 
Peregrina  discrecion. 
„denn  es  spricht 


Schwachsinniger  Widerpart:  schwachselige  Conflict-Komik.         29 

Ansicht  der  Königin.  Auf  Lisardo's  Bemerkung:  „doch  ihr 
Bruder  ist  zu  scheuen",  meint  Eamon:  „Nicht  Thüren  und 
Wälle  nützen,  nicht  thebanische  Mauern  schützen  gegen  Lieb', 
die  Gluth  der  Herzen!"  Bruder  Roberto,  du  bist  von  vorn- 
herein geklatscht!  Als  wohlbestallten  Argus  sitzen  dir,  wie  die- 
sem, die  Augen  hinten,  um  das  Nachsehen  zu  haben.  Ein 
Eamon,  von  der  Schlauheit,  Anschlägigkeit,  Kühnheit  und  Frech- 
heit eines  Pseudolus;  ein  Lisardo,  der  diese  Eigenschaften 
seines  Dieners  aufruft  %  und  in  solchen  Fahrten  und  Wagnissen 
der  Löwe  ist,  der  mit  dem  Fuchs  auf  die  Jagd  geht:  und  sol- 
cher Schwester,  solchem  Jägerpaar  gegenüber,  ein  Bruder  Ro- 
berto, der  schon  unter  den  Hofakademikern  als  Kammerherr 
Lampe,  der  Hase  oder  Marschall  von  Kalb  figurirt  —  heisst  das, 
die  Chance  der  Wette  gleichstellen,  und  nicht  vielmehr  der  ei- 
nen Partei,  der  königlichen,  vonanfangherein  gewonnen  Spiel 
geben  und  ihr  die  komische  Erfindung  und  Verwickelung  vorweg 
zu  Füssen  legen?  Womit  beginnt  Roberto,  um  die  Schwester- 
hut zu  verstärken  und  zu  verschanzen?  Damit,  dass  er  sei- 
nem Hauswart  Fulgencio,  einem  blöden,  alten  Gauch,  ver- 
schärfte Aufsicht  in  Terzinen  anempfiehlt  2) ,  halb  und  halb  ein- 
gestehend, dass  er  sich,  dem  Lisardo  gegenüber,  einer  bedenk- 
lichen Aufgabe  unterzogen.^)    Schwächt  dies  Zugeständniss  nun 


Stolz  und  Wildheit  eines  Leuen 
Ihr  aus  jedem  Blick  und  Zug.  — 
Schön  zwar  ist  sie,  und  gar  klug." 

1)  „Du  sollst  mit  kluger  List 
Meiner  Lieb'  zu  Hülfe  kommen.** 

2)  Mi  casa,  aunque  estä  bien,  de  hoy  mas  mejore. 
Tu  cuidado,  Fulgencio 

Aqui  no  ha  de  entrar  hombre  niun. 
„Bis  jetzt  war  ich  des  Hauses  Schirm  und  Wehr; 
Nun  soUst  du  besser  noch  der  Obhut  pflegen  .  .  . 
Lass  Niemand  ein'*  .  .  . 

3)  —  digo. 

Para  que  mas  se  guarde  el  confiado, 
Que  el  que  tiene  mujer  tiene  enemigo. 
—  „und  mir  scheint, 
Getäuscht  ist  wer  auf  eigne  Klugheit  zählt, 
Denn  wer  ein  Weib  hat,  der  hat  einen  Feind.** 


30  I^^s  spanische  Drama. 

nicht  das  Lächerliche  thörichter  Selbstzuversicht,  und  erschlafft 
es  nicht  andererseits  die  Spannfedern  der  aus  einer  nachdrück- 
lichen Gegenwehr  entspringenden  Conflicte?  Ein  argwöhni- 
scher Bruder  giebt  der  Königin  und  ihrem  Verfechter  Lisardo, 
im  Widerspruch  mit  seiner  herausfordernden  Gegenmeinung,  Recht; 
ein  vertrauensseliger  Bruder,  als  der  er  die  üeberzeugung 
der  Königin  hinsichtlich  des  „Unmöglichsten"'  zu  Schanden  ma- 
chen zu  wollen  sich  erbrüstet,  öffnet  selbst  dem  Feinde  die 
Festungsthore  und  liefert  ihm  mit  den  Bollwerken  die  Intrigue 
der  Komödie  aus;  es  sey  denn,  diese  würde  von  der  Schwester 
so  gezettelt,  dass  der  glaubensstarke  Bruder  in  jedem  ihrer  Trug- 
erfolge einen  Beweis  ihrer  tugendstrengen  Abwehr  und  unbeweg- 
baren Selbsthut,  mithin  einen  Triumph  seiner  Ansicht  erblickte. 
Diese  Durchführung  des  Problems  will  uns  denn  auch  die  der 
Charakteranlage  Roberto 's,  bei  der  Aufnahme  der  Wette,  ge- 
mässere  und,  inbetracht  der  siegessichern  Selbsttäuschung,  in- 
folge der  Vertrauensseligkeit,  auch  komischer  bedünken,  als  die 
Vereitelung  der  Bewachungsvorkehrungen  eines  argwöhnischen 
Bruders.  Lope's  Roberto  schwankt  zwischen  beiden  Charakter- 
stimmungen hin  und  her,  verfällt  daher  unserer  Meinung  nach, 
dem  reichbevölkerten  limbo  so  vieler  anderen,  unentschieden  von 
Doppelmotiven  bewegten  Figuren  der  spanischen  Komödie. 

Welche  erste  Probe  legt  nun  der  alte  Hauswart,  Fulgencio, 
von  seinem  Berufe  zum  Frauenhüteramte  ab?  Sein  Erstes  ist: 
der  Schwester  Roberto's,  Diana,  als  Grund  von  des  Bruders 
Missmuth  und  Verstimmtheit  dessen  Sorge  um  ihre  Ehre  anzu- 
geben, und  ihr  haarklein  zu  erzählen,  um  was  es  sich,  bezüglich 
ihrer,  handelt,  und  dass  ihm  von  Diana's  Bruder  die  Aufsicht 
und  Obhut  über  sie  und  seines  Hauses  Ehre  aufgetragen  wor- 
den. 1)    Kein  Dramaturg   vermöchte    an   diesem  Beginne   eine 


1)  Con  esto  mi  manda  a  mi 

Que  desde  la  noche  al  alba 
Y  desde  al  alba  ä  la  noche 
Vele  SU  honor  y  su  casa  .  .  . 

„So  hat  er  mir  aufgetragen, 
Morgens,  Abends,  Nacht  und  Tag, 
Treu  sein  Haus  ihm  zu  bewahren  . 


ßamon*s  Taktik.  3j^ 

schärfere  Kritik  zu  üben,  als  Diana  in  ihrem  folgenden  Mono- 
log. 1)  Die  Thorheit  des  Wahns  konnte,  ob  ihrer  Lächerlichkeit, 
sich  als  eine  komödien würdige  erweisen;  die  Zerstörung  dieser 
Thorheit  durch  Tulgencio's  Schwatzen  aus  der  Schule  ist  als 
falschberechneter,  die  Kreuzungsfäden  derintrigue  durchkreuzen- 
der Verwickelungsbehelf  eine  lustspiel widrige,  und  daher  nichts 
weniger  als  komische  Thorheit. 

Eamon's  erster  Wurf  glückt  ganz  anders!  Er  hat  sich 
als  „flandrischer  Kaufmann"  in  ßoberto's  Haus  und  in  Dia- 
na's  Zimmer  eingeschlichen.  Sein  Kasten  ist  so  reich  ausge- 
stattet, wie  der,  den  Ulysses  die  Töchter  des  Lykomedes  mustern 
liess»  Diana  greift  aber  nur  nach  einem  Bilde,  rasch  und  eif- 
rig —  wie  der  junge  Achilles  im  Unterrock  nach  dem  Dolche. 
Das  Bildniss  ist  Lisardo's,  auf  den  Diana  schon  früher,  von 
ihm  unbemerkt  oder  unbeachtet,  ein  Auge  geworfen.'-^)  Schlau 
und  fein  und  rückhaltlich  -  neckisch ,  verräth  der  flämische 
Krämer,    Ramon,     der    neugierig    forschenden    Diana    die 


1)  Entre  ignorancias  del  mundo 
Ninguna  he  visto  mayor. 
Despues  del  primero  error, 
Hizo  este  necio  el  segimdo. 
^Con  que  ingenio,  con  que  Uave 
Guardar  quiere  una  mujer?  .  .  . 

„Unter  aUen  Albernheiten 
Ist  doch  keine  dieser  gleich; 
Auf  den  ersten  Narrenstreich 
Setzt  der  Thor  sogleich  den  zweiten. 
Wo  der  Schlüssel,  wo  der  Witz, 
Der  ein  Weib  behüten  könnte?** 

2)  Yo  he  mirado  atentamente 
A  Lisardo,  y  me  pesaba 
De  Ter  que  no  me  pagaba 
Este  amoroso  accidente. 

„Auf  Lisardo's  Schönheit  weilte 
Schon  mein  Blick  so  oft,  so  gerne; 
Und  mich  grämt'  es,  dass  er  ferne 
Blieb,  und  kalt  vorüber  eilte.*' 
Erfahren  wir  aus  Diana's  vorgedachtem  Monolog. 


32  Das  spanische  Drätna. 

Herzensdame  des  Cavallero,  des  Originals  vom  Bilde.  ^  ...  Ra- 
in on  lässt  ihr  das  Bildniss  nicht  anders,  als  gegen  ein  Pfand, 
gegen  ihr,  Diana's,  Portrait.  Sie  giebt  es  ihm,  bestellt  ihn 
auf  morgen,  „aber  in  anderer  Tracht",  als  hätten  die  beiden 
Frauenwächter,  Roberto  und  Fulgencio,  wie  zu  einem  Mas- 
kenball, nur  Maskirten  den  Einlass  verstattet;  und  schliesst 
den  Act  mit  dem  Kehrreim  als  Stichwort,  wie  eine  Glosa: 

„Bleibt  doch  stets  ein  Weib  zu  hüten, 
Das  Unmöglichste  von  Allem!" 

„Die  andere  Tracht",  in  welcher,  laut  Verabredung  mit 
Diana,  nächsten  Tages  Ramon  wieder  bei  ihr  erscheinen  soll, 
entfaltet  der  zweite  Act  in  voller  Pracht.  Ausgestattet  von 
der  Königin  mit  sechs  herrlichen  Rossen,  geführt  von  sechs 
Reitknechten,  stellt  sich  Ramon  dem  Roberto  als  Spanier 
vor,  der  diesem  vom  Kronfeldherrn  Aragoniens,  auf  dessen  Ver- 
wandtschaft mit  ihm  Roberto  „eitel  ist  in  tiefster  Seele",  Rosse 
und  Wärtel  als  Geschenk,  gelegentlich  des  Vermählungsfestes 
zuführt,  das  die  Königin  Antonie  von  Neapel  mit  Alfonso, 
Prinzen  von  Aragon  und  Könige  von  Castilien^)  zu  feiern  im 
Begriffe  steht.  Nun  hat  Roberto  schon  Lisardo's,  vom  flämi- 
schen Tabuletkrämer,  Ramon  der  Diana  überlassenes  und  in 
deren  Bette  gefundenes  Bildniss  in  Händen:^) 

„Wenn  ich  heut  im  Bett  versteckt 
Den  gemalten  Freund  entdeckt, 
Find'  ich  ihn  lebendig  morgen/' 4)  — 


1)  ^Conoceis  cierta  Diana? 
Bellisima  .  .  . 

De  cierto  Eoberto  hermana  .  .  . 

2)  Johanna's  IL  von  Neapel  und  Alfonso's  V.  von  Aragon  historische 
Beziehungen  erscheinen  hier  zu  einem  Komödienphantasiebilde  idealisirt. 
Vg^C^lesch.  d.  Dram.  Vm.  S.  784.  Anm.  5. 

§)  En  la  cama  de  mi  hermana 

Un  retrato  de  Lisardo! 
4)  Pues  si  en  su  cama  he  hallado 

Hoy  a  Lisardo  pintado, 

Mafiana  le  hallare  vivo. 


Rainon's  Gegenminen.  33 

Und  schilt,  wie  nach  dem  Sprichwort  ein  Esel  den  andern  Sack- 
träger, seinen  grauköpfigen  Hauswart  Pulgencio  einen  faulen 
Lugeck,  der  er  selber  ist.  i)  Zwei  düpirte  Prauenhüter  sind  im- 
mer komisch;  doch  wären  es  vielleicht  die  unsrigen  noch  mehr, 
wenn  sie,  oder  Einer  mindestens  von  ihnen,  sich  von  dem  Eari- 
tätenverkäufer,  Eamon,  hätten  düpiren  lassen,  bevor  sich  der- 
selbe bei  Diana  so  ohneweiteres  eingeschlichen.  Wahrscheinlich 
sollte  Ramon's  zweite  Verkleidung  eine  dramatische  Steigerung 
aufsparen.  Doch  würde,  scheint  uns,  die  Erfindungskunst  noch 
schönerglänzen,  wenn  bei  des  verkleideten  Kamen  erstem Einlass 
in'sHaus  Pulgencio,  beim  zweiten  Versuch  Roberto  getäuscht 
wurde,  was  ohne  Abbruch  an  Wahrscheinlichkeit  und  gesteiger- 
ter Situationskomik,  bei  der  so  trefflich  erdachten,  bewältigenden 
Glaubwürdigkeit  des  Täuschungsmotives ,  das  in  der  Zuführung 
der  sechs  prächtigen  Rosse  und  Stallknechte  liegt,  zu  bewirken 
war;  um  so  unfehlbarer  und  überzeugender,  als  sich  derPferdezu- 
führer  durch  des  Kronfeldherrn  2)  von  Aragon  an  seinen  Vetter, 
Roberto,  überbrachtes  Schreiben  legitimiren  konnte,  dessen  Unter- 
schrift der  im  Besitze  von  Briefen  des  Admirals  sich  befindende 
Lisardo  genau  nachgeahmt  hatte.  •^)  Die  List,  mit  welcher  sich 
Diana  wegen  des  in  ihrem  Bette  gefundenen  Portraits  heraus- 
schwindelt, giebt  vollends  Ramon's,  des  mit  Rossen  täuschenden 
nicht  Ross-  sondern  Eseltäuschers  zweiter  Einführung  eine  Wahr- 
scheinlichkeit, eine  Glaublichkeit,  die  fast  einer  Ehrenrettung  der 
so  leichten  Kaufs  zu  übertölpelnden  beiden  Hausehrenwächter 
gleichkommt.  Das  Bildniss  —  spiegelt  Diana,  ihrem  schelten- 
den Bruder  vor,  habe  ihr  Kammermädchen,  Celia,  gefunden  — 
und  im  selben  Augenblicke  hören  auch  schon  Bruder  und  Ro- 


1)  Que  bien  mi  casa  guardaste! 
Qua  bien  la  fie  le  ti. 

„Schön  bewachtest  du  mein  Haus! 
Zeigtest  klug  dich  und  verschlagen!" 

2)  Almirante,  Admiral.    Kronfeldherr  ist  wohl  der  Condestable. 

3)  Lisardo.         —  La  firma 

Del  Almirante,  que  tengo 
En  cartos  suyös,  serä 
Fäcil,  ä  lo  que  yo  creo, 
De  contrahacer. 
X,  3 


34  Das  spanische  Drama. 

berto  und  Hauswart  Fulgencio  von  der  Strasse  herein  den 
öffentlichen  Ausrufer  den  Verlust  eines  Portraits  austrommeln, 
dessen  Eigenthümer  dem  ehrlichen  Finder  fünfzehn  Ducaten  ver- 
spricht. Diesen  Trug  hatte  Diana  inzwischen  mit  der  Zofe,  die 
den  Eamon  in  aller  Eile  verständigte,  abgekartet.  Roberto, 
hochfreudig  ob  der  Schwester  und  seines  Hauses  Ehrenrettung, 
schenkt  ihr  einen  Schmuck  Diamanten,  begleitet  von  seiner  ab- 
bittenden Ehrenerklärung.  Eine  Mustererfindung  nach  der  ande- 
ren, die  vor  ähnlichen  der  ital.  Komödie  den  poetischen  Schmelz, 
romantischen  Duft  und  Zauber  und  die  Sirenensüssigkeit  des 
metrischen,  diesen  Situationen  und  Stimmungen  sich  wunderbar  an- 
schmiegenden und  sie  abspiegelnden  Wohlklangs  voraushaben,  wovon 
die  italienische  komische  Oper  des  18.  Jahrhunderts  allenfalls  ein 
Nachhall  scheinen  möchte.  Wenn  nun  Fulgencio  mit  der 
Meldung  von  Dienern  eintritt,  die  aussen  des  Empfanges  harren, 
„Geschenk'  und  Briefe  bringend  aus  den  spanischen  Landen",  und 
in  einer  jener  glänzenden  Beschreibungen  der  zugeführten  Rosse  ^ 


1)  Fulg.  Seis  cabaUos, 

Que  qualquiera  deUos  bastä 
A  dar  a  Cordoba  honor 
Bien  puedes  mandar  manana 
Que  se  empiedren  el  zaguan; 
Que  al  son  que  los  frenos  tascan 
Llevan  el  compäs  los  pies: 
Con  tanto  conciertp  danzaii; 
Las  armas  del  Almirante 
Las  aragonesas  barras, 
Traen  bordadas  de  tela 
Sobre  cubiertos  de  grana 
Trae  un  bayo,  cabos  negros 
La  Clin  en  cintas  de  näcar. 
Que,  aunque  es  encarecimiento, 
Puede  invidialle  una  dama. 
Corto  de  cuello,  un  rosillo 
Fuego  por  los  ojos  lanza, 
E  un  castano  con  bufidos 
Parece  que  al  toro  llama. 
Dos  rucios  son  tan  iguales, 
Que  no  harän  en  una  entrada 
En  Espana  diferencia  .  .  . 


Bereiter-Motiv.  35 

sich  ergeht,    die   als  Muster   für  alle  ähnlichen  Schilderungen, 
für  das  herkömmliche,  in  spanischen  Dramen  stereotype  Schau- 


Digo  eil  sus  juegos  de  caiias. 
Bizarro  muerde  un  overo 
El  bocado  con  tal  gala, 
Que  me  Obligo  ä  descubriUe 
Por  las  cubiertas  las  aiicas; 
Todes  en  fin,  son  de  suerte, 
Que  en  el  carro  de  la  fama 
Perdieron  de  ir  solamente 
Por  ser  de  colores  varias. 

A.  II.  Ese.  IX 

Fulgencio. 
Sechs  Bosse, 
Jedes  schön  genug,  den  Namen 
Cprdoba's  zu  überglänzen. 
Morgen  gleich,  kann  ich  Dir  sagen, 
Musst  den  Hof  Du  pflastern  lassen; 
Denn  wie  sie  die  Zügel  nagen, 
Heben  sie  zum  Tanz  die  Hufe, 
Die  im  Takt  den  Boden  schlagen. 
Die  vier  Pfähle  Aragoniens, 
Des  Kronfeldherrn  Wappen,  tragen 
Sie  in  goldgestickten  Decken, 
Die  purpuren  niederhangen. 
Erst  ein  Brauner,  schwarzgeschweift, 
Dem  wie  Gold  die  Mähnen  prangen, 
Dass  wohl  manche  Dame  wünschte 
Solche  Färbung  ihren  Haaren. 
Dann  ein  Falber,  kurz  von  Hals,  dem 
Flammen  aus  den  Augen  fahren. 
Ein  Schwarzbrauner  schnaubt,  als  rief  er 
Einen  Stier,  den  Kampf  zu  wagen. 
Dann  zwei  Schimmel,  so  sich  gleichend, 
Dass,  wenn  sie  zwei  Ritter  tragen 
Zum  Turnier,  kein  Aug'  vermöchte 
Ihren  Unterschied  zu  sagen. 
Dann  ein  Schecke  beisst  die  Zügel 
Mit  so  muthigem  Behagen, 
Dass  er  mich  ihm  zwang  die  Decken 
Bis  zum  Bug  zurückzuschlagen. 
Kurz,  so  sind  die  Rosse,  dass  sie 


36  Jf^as  spanische  Drama. 

tummeln  des  kunstdressirten ,  als  Gallapferd  dem  Publicum  vor- 
gerittenen Musenrosses  aufgestellt  zu  werden  verdient:  da  wäre 
dies  das  Unglaubliche,  Unwahrscheinliche,  in  psychologisch-dra- 
matischer Hinsicht  anstössig  Verfehlte,  wäre  dies,  vom  Gesichtspunkt 
der  poetischen  Komödienwahrheit  „das  Unmöglichste  von  Allem" : 
wenn  Roberto  nicht  in  die  Falle  ginge.  Das  kostbarste  Ge- 
schenk, das  der  mit  offenen  Armen  von  Eoberto  empfangeüe 
Bereiter  oder  Stallmeister  seines  hohen  Verwandten,  des  Kron- 
feldherrn (Almirante);  der  Diana  in  dessen  Namen  zustellt:  ist  ein 
Kästchen,  worin  ein  Juwel,  der,  in  einer  tete-ä-tete  der  Herrin 
mit  der  Dienerin,  Roberto's  Schwester  als  ein  Brief  eben  von  Li- 
sardo  anstrahlt,  das  ihr  Licht  und  Aufschluss  über  Alles  giebt. 
Bald  ist  mit  Ramon  ein  Stelldichein  für  Lisardo  eingefädelt, 
im  Garten  nämlich,  woselbst  Roberto  unterdessen  von  seinem 
Gast,  dem  spanischen  Rosswart,  bei  einem  lucuUischen  Abend- 
schmause sich  würde  unterhalten  lassen.  Diana's  zweifelvolle 
Besorgniss:  wie  Lisardo  in  den  Garten  kommen  soll,  da  doch 
Roberto  oder  sein  Burgvogt  Fulgencio,  die  Gartenschlüssel  in 
Händen  habe,  beseitigt  der  erfindsame  Ramon  mit  dem  An- 
schlag: „Als  Lastträger  wohl  verkleidet,  kommt  Lisardo  heut  in 
später  Abendstunde;  und  Fulgencio  selbst  wird  gern  ihn  kom- 
men lassen:  denn  er  bringt  mir  meinen  Koffer."  Unter  den  Ad- 
lerflügeln der  brillanten  sechsspännigen  Täuschung,  herrlich  wie 
der  Prachtzug  am  Wagen  der  Cherubim  in  der  Vision  der  Pro- 
pheten —  mag  sich  denn  auch  Ramon's  Beifracht-Anschlag:  der 
Lastträger  mit  dem  Koffer,  unbeschadet  der  Wahrscheinlichkeit; 
einschmuggeln.  Diana's  zweitem  Bedenken  aber;  dass  man, 
gleich  nach  Ablieferung  des  Koffers,  den  Lastträger,  um  den  es 
ihr  doch  hauptsächlich  zu  thun  ist,  würde  fortschicken,  diesem 
Bedenken  begegnet  Ramon  mit  einem  Auskunftsmittel,  das 
selbst  der  Adler  in  der  Prophetenschau,  im  Verein  mit  sämmt- 
lichen  Fittigen  der  übrigen  Visionsreitthiere ,  schwerlich  unter 
seine  Flügel  nehmen  möchte.    Ramon 's  Pfiff  ist  nämlich  der: 


Zum  Gespann  vor  Fama's  Wagen 
Nur  darum  nicht  taugen,  weil  sie 
So  verschiedne  Farben  tragen. 


Pferde-Parade.  37 

„Unter  Einem  Mantel  sollen  Zweie  sich  in'sHaus  begeben,  dass 
man  meint,  es  sey  nur  Einer"  .  .  .  Sobald  der  Koffer  abgesetzt, 
„geht  der  Andere",  während  Lisardo  von  Ramon  der  Diana, 
als  ihr  Leibpferd,  im  Garten  zugeführt  wird,  „eh  der  Bruder 
kommt  vom  Essen."  „Zwei  als  Einer?"  schüttelt  Diana  das 
Köpfchen,  und  unsere  Geschichte  desgleichen.  Die  doppelten 
Lastträger  unter  einer  Mantelkappe  —  das  ist  ja  die  leibhafte, 
doppelleibhafte  spanische  Parallelformel,  eingeschmuggelt  auch 
hinwiederum  in  Lope's  Mantelkomödie:  „das  Unmöglichste  von 
Allem",  und  gleichfalls  in  lastträgerischer  Doppelgestalt,  um  als 
Zwillingskaryatide  das  Intriguengebälke  der  Capa  y  Espada-Co- 
media  auf  ihre  Doppelkappe  zu  nehmen!  Die  Ausführung  all 
dieser  Listen  und  Täuschungen  besorgt  der  Schluss  des  zweiten 
Acts,  dessen  Doppelscenen  im  mondbeglänzten,  von  den  Lie- 
dern zweier  „Sänger"  durchklungenen  Garten  —  hier  die  von 
ßamon's  Trug  wie  verzaubert  beim  Schmause  festgebannte 
Gruppe  ßoberto-Fulgencio;  dort  die  Gruppe  Diana-Li- 
sardo;  nachdem  der  Zwillingslastträger,  Lisardo's  Freund  und 
„Hofherr"  Alb  an  o,  glücklich  unter'm  Mantel  weg  entschlüpfte  — 
einen  poetischen  Reiz  athmen,  einen  Hesperidenduft,  eine  von 
klingenden,  mondschein-umzitterten  Springbrunnen,  von  Nachti- 
gallen- und  Serenadengesang,  Mädchenschalkheit  und  Liebesfeier 
durchschimmerte  „nuit  des  dupes",  dass  alle  Zaubernachtstücke, 
alle  Märchen-Mondscheine  in  den  Feenlustwäldchen  und  Liebes- 
gärten der  Komödien,  Opern  und  Ballete,  dass  namentlich  die 
gepriesenen  Gartenscenen  in  Gozzi's  Zauberspiel:  „Das  grüne 
Vögelchen"  i),  nur  ein  matter  Abschimmer  dieses  von  allen  Amo- 
retten und  Genien  scherzhafter  Anmuth,  neckender  Liebeslist  und 
graziöser  Foppspiele  durchflatterten  und  umgaukelten  Eden-Irr- 
gartens der  Komödienpoesie  scheinen  muss.  Eine  einzige,  neben 
all  den  genannten  Schönheiten  auch  noch  von  himmeltiefen  Ge- 
danken, wie  vom  sternenvollen  Aether,  überfunkelte  Komödie 
nehmen  wir  aus:  den  „Sommernachtstraum",  mit  dem  einen  Ver- 
gleich auszuhalten,  uns  „das  Unmöglichste  von  Allem"  bedünkt. 
Ah  vereinzelten  Lichtblick  von  Lope's  poetischer  Komödienzau- 


1)  Vgl.  Gesch.  d.  Dram.  VI.  1.  S.  742  ff. 


38  I^as  spanische  Drama. 

berkuDst  lassen  wir  Esc.  XXII.  A.  IL  in  unsere  Camera  obscura 
faUen.  i) 


J)  Fünfundzwanzigster  Auftritt. 

Celia,    Eamon.    Roberto.   Diana.    Feniso.    Die  Sänger. 
Roberto. 
Bringt  uns  Stühle  her. 

(Es  geschieht.) 
Feniso. 

Viel  kühler 
Müssen  hier  die  Lüfte  wehen; 
Denn  sie  streu'n  weitum  die  Perlen, 
Die  sie  hier  dem  SpringqueU  stehlen. 

Diana  (zu  den  Sängern). 
Singt  was! 

Sänger. 
Gleich;  doch  wird  das  Liedchen 
Sich  durch  Neuheit  nicht  empfehlen. 

Robero  (Ramon  bemerkend). 
He,  wer  da? 

Ramon. 
Ich  bin's. 
Roberto. 

Don  Pedro? 
Ramon. 
Freilich. 

Roberto. 
Habt  Ihr  Eu'r  Gepäcke? 
Ramon. 
Ja;  es  ist  auf  meinem  Zimmer, 
Doch  ich  lief  gar  manche  Strecke 
Hin  und  her,  bis  ich's  bekam, 
Hatte  Kosten  und  Beschwerden. 

Roberto. 
Schon  gespeist? 

Ramon. 

Das  will  ich  eben. 
Roberto. 
Nun,  wie  geht's  mit  unsern  Pferden? 

Ramon. 
Lassen  all  die  Mäuler  hängen. 

Roberto. 
Glaub's. 


Doppelte  Tarnkappe.  39 

In  der  letzten  Scene  dieses  Actes  lässt  Diana  ihren  Li- 
ardo  schwören,  „unter  ihrem  Dache",  wie  es  einem  Lastträger 


Eamon. 
Ich  schwör's  bei  memer  Seele 
Roberto. 
Stets  bei  Laune! 

Ramon. 
Auch  voll  Launen. 
Roberto  (zu  den  Sängern). 
Nun  das  Liedchen! 

Sänger. 

Zu  Befehle. 
(Singen.) 
Mutter,  lieb  Frau  Mutter, 
Hüter  stellst  du  mir? 
Hut'  ich  mich  nicht  selber. 
Hilft  kein  Hüten  dir. 

Roberto. 
Unsinn ! 

Diana. 
Recht  hat  das  Gedicht. 
Roberto. 
So!  warum? 

Diana. 
Man  muss  die  Frauen 
Ihrer  Tugend  anvertrauen; 
Bessren  Hüter  giebt  es  nicht. 

Roberto. 
Steht's  nicht  in  des  Mannes  Macht 
Sie  zu  hüten? 

Diana. 

'S  kann  gelingen; 
Doch  wer  kann  ihr  Herz  bezwingen, 
Wenn  sie  erst  sich  selbst  bewacht? 

Roberto  (spottend). 
Doch  ein  Mann,  hab'  ich  vernommen 
Freit  ein  Mädchen,  das  ihn  liebt; 
Und  so  viel  sie  Müh'  sich  giebt, 
Kann  sie  doch  zum  Ziel  nicht  kommen. 

Diana  (ebenso). 
Und  ein  Weib,  hab'  ich  vernommen, 
Kos't  mit  ihrem  Freund  bei  Nacht 
Yor  dem  Narrn,  der  sie  bewacht. 


40  Das  spanische  Drama. 

Roberto. 
Ei,  das  ist  mir  hochwillkommen; 
Dir,  Feniso,  gilt  dies  Wort. 
Feniso. 


Mir? 

Ja  wohl, 


Roberto. 


Feniso. 
0  Glück  und  Wonne! 

Diana. 
Sagt  ihm  Nein,  o  holde  Bronnen; 
,,Ja!**  rnft  in  die  Büsche  dort. 

Feniso. 
Bin  ich  solches  Glück  denn  werth? 

Diana. 
'S  ist  für  Euch  noch  zu  geringe. 

Feniso. 
Rausche,  Quelle!  Welle,  singe, 
Welch  ein  Heil  mir  widerfährt! 

Diana. 
Bronnen,  die  mit  reinem  Thaue 
Meines  Freundes  Antlitz  baden, 
Habt  ihr  ihn  hierher  geladen, 
Dass  er  meine  Treue  sch^e? 
Sagt,  ich  bleib'  ihm  fest  verbunden! 

Feniso. 
Saget  ihr,  des  Gartens  Bäume, 
Dass  ich  meiner  kühnsten  Träume 
Höchste  Ziele  hier  gefunden. 
Gleich  Medor  von  Lust  verzehrt, 
Schrieb'  ich  gern,  was  ich  empfinde. 
All  mein  Glück  in  eure  Rinde, 
—  Doch  es  dunkelt  schon;  so  darf  ich 
Nicht  mehr  zu  verweilen  wagen. 

Roberto. 
Ich  geleit'  Euch;  denn  die  Schlüssel 
Muss  ich  selber  bei  mir  tragen. 

Feniso. 
Gerne  nehm  ich's  an;  Euch,  Fräulein, 
Schütze  Gott  mit  seinen  Gnaden. 

Diana  (ironisch). 
Und  Euch  geh'  er  „Glück  und  Wonnen !'* 
(Roberto  und  Feniso  ab,  ihnen  folgen  die  Sänger.) 


Der  verwegene  Eoberto.  41 

als  Karyatide  zukommt,  „still  und  ruhig  zu  verweilen",  dass  ihr 
Bruder  nicht  erwache  -—  „dann  versteck'  ich  dich."  ^)  In  den 
Kleidern  ihrer  Zofe,  Celia,  wird  ihm  Roberto  den  Eingang 
„ohne  Argwohn  gestatten." 

Sieben  ganzer  Tage  liegt  Lisardo  im  Zwischenact  vom 
zweiten  zum  dritten  Aufzug  bei  Diana  versteckt,  „ohne  Arg- 
wohn" vonseiten  ßoberto's.  Nun  aber  evadere  ad  auras!  aus  dem 
Versteck  davon  kommen!  mit  heiler  Haut  entfliehen!  Seiner  hei- 
len Haut  und  der  von  Diana's  und  des  Hauses  Ehre!  ßamon 
kennt  keinen  andern  Ausweg,  „als  vermummt  zu  fliehen,  mit 
Degen  und  Pistolen  in  der  Hand."  Nun  möchte  Ramon,  ent- 
gegnet Celia,  den  Lisardo  bedeuten:  —  „schwach  sey  von  Ver- 
stand unser  Herr,  doch  höchst  verwegen."  ^)  Die  Comedia  stutzt 
über  diese  Aeusserung  und  denkt  bei  sich :  Wie  soll  ein  schwach- 
köpfiger  Ehrenhort  mein  Thema  und  meinen  Titel:  „Das  unmög- 
lichste von  Allem",  zu  Ehren  bringen?  Das  Unmöglichste  von 
Allem  bleibt  solches  Hüteramt  für  einen  'necio'  allerdings;  aber 
für  einen  Gewitzten,  der  es  besser  versteht  —  wie  da?  Die 
Rechtfertigung  meines  Themas  und  Titels  hätte  somit  noch  erst 
ein  Frauenwart  von  mehr  Verstand,  als  Roberto,  zu  führen,  und 
die  eigentliche  Comedia  famosa:  'El  mayor  Imposible',  liefe  mit 
ihrem  ungelösten  Problem  noch  neben  mir  umher!  So  denkt 
unsere  Comedia  im  Stillen  und  schüttelt  ihr  „Haupt"  wie  der 
Ahnherr  in  Iphigenia's  „Parzenlied".  Doch  kann  sich  die  Gute 
immerhin  mit  der  Annahme  trösten,  d.  h.  mit  ihres  grossen  Dich- 


1)  Lisardo.  Und  wo? 
Diana.     Hinter  meinem  Schlafgemache 

Ist  ein  Gang;  du  wirst  in  Stille 
Als  mein  Schutzpatron  da  walten  .  .  . 
Mäuschenstill  musst  du  dich  halten. 
Denn  in  seinen  ew'gen  Aengsten, 
Die  der  eignen  Thorheit  Strafe, 
Liess  er*)  sich  ein  Bett  aufschlagen, 
Dicht  am  Zimmer,  wo  ich  schlafe  .  .  . 

2)  Dile  que  es  necio  su  hermano, 
Celoso,  y  valiente  mozo. 


*)  Ihr  Bruder  Roberto 


42  Das  spanische  Drama. 

ters  muthmaslichem Busengedanken  trösten:  dass  eben  nur  ein 
Thor  und  Tropf  auf  einen  solchen  Einfall  kommen,  und  sich  als 
Zwanghüter  von  Frauenehre  und  Tugend  aufwerfen  könne. 

Kaum  zwei  Auftritte  gehen  über  Celia's  „necio"  hin,  da  sieht 
auch  schon  Fulgencio  einen  in  den  Mantel  Vermummten  daher- 
stürzen,  in  jeder  Hand  eine  Pistole;  nun  öffnet  auch  schon  Pul- 
gencio,  als  dienstwilliger  Schlosswart,  dem  Vermummten  [so 
viel  Thüren,  als  das  Zimmer  aufweisen  kann,  versichert  aber 
nichts  desto  weniger  dem  Roberto:  „Darum  kurz:  ein  fremder 
Mann  war  im  Hause,  —  ist  entsprungen",  zu  seiner  Rechtfer- 
tigung sich  auf  den  kolchischen  Ochsen  berufend,  der,  so  Ochse 
er  war,  das  goldneVliess  doch  nicht  bewahren  konnte  und,  trotz 
Feuer-  und  Flammenschnauben,  stehlen  liess.  ^)  Roberto  muss 
seinem  Mitwächter  Recht  geben  ^);,  schnaubt  aber  dessungeachtet 
noch  nachträglich,  mit  dem  kolchischen  'bravo  toro'  um  die  Wette, 
Feuer  und  Flamme  gegen  seine  Schwester  Diana,  die  er  mit 
dem  Kloster  bedroht,  den  untrüglichsten  Frauehren wärteldrachen, 
wofür  es  wenigstens  Celia  hält.  ^) 

Unsere  Komödie  kehrt  nun  wieder  in  ihren  Anfang  zurück, 
in  ihre  von  der  Königin  vertretene  ürsprungsgeschichte,  die  sie 
wie  ein  Rahmen  umgiebt,  oder  wie  die  Devise  das  Bild  beglei- 
tet. Der  Königin  wird  die  bevorstehende  Ankunft  des  Prin- 
zen von  Aragon,  ihres  künftigen  Gemahls,  gemeldet.  „Ringsum"  — 
klagt  sie  —  „Wonne,  Lust  und  Pracht;  mich  nur  quält  des  Fie- 
bers Hitze."  20,000  Ducaten  bietet  sie  dem  Arzt,  der  sie  vom 
Fieber  befreien  würde.  Hofherr  Albano  lässt  das  Gebot  durch 
einen  Ausrufer  allem  Volk  zur  Kunde  bringen.    Währenddessen 


1)  Uli  dragon  y  im  bravo  toro 
Tuvo  el  vellocino  de  oro, 

Y  lo  robaron,  senor. 

2)  ,,Und  tief  beschämt  gesteh'  ich 

Dass  eines  Weibes  Witz  mich  überwunden  .  .  , 

Unmöglich  ist's  hienieden 

Ein  Weib  zu  hüten,  das  in  Liebe  glühet  .  .  . 

Nur  wer  sich  selbst  betrüget, 

Kann  sagen,  dass  sich  Weiber  hüten  lassen.** 

3)  Därsela  ä  Dios  procura; 

Que  solo  Dios  la  guardarä  segura. 


Raraon's  Chinarinde.  43 

erklärt  Roberto  der  Königin  seinen  Entschluss,  seine  nicht 
zu  hütende  Schwester,  Diana,  mit  dem  ihm  befreundeten  Hof- 
herrn Feniso  zu  vermählen,  den  Celia  sonderzweifel  ebenfalls 
in  die  Kategorie  der  'necios'  sprechen  würde,  wenn  Roberto  ihr 
nicht  zuvorkäme  und  den  Freund  und  künftigen  Schwager  für 
einen  „Tölpel''  (majadero)  erklärte^),  und  zwar  inFeniso's  Gegen- 
wart, der  Königin  sub  rosa. 

üeberflüssigerweise  bekommt  das  Publicum  in  Lisardo's 
Bericht  an  die  Königin  (II.  Sc.  II.)  das  vor  seinen,  des  Zu- 
schauers, Augen  Vorgefallene  noch  einmal  zu  hören  —  ein  Ver- 
stoss gegen  die  dramatische  Technik,  den  aber  das  Ritual  des 
spanischen  Drama's  sanctionirt.  Ob  auch  R  a  m  o  n '  s  neuen  Fund : 
die  Königin  vom  Fieber  durch  Schrecken  zu  heilen  und  die 
20,000  vom  öffentlichen  Ausrufer  zugesagten  Ducaten  einzustrei- 
chen 2;  —  ob  das  Ritual  des  spanischen  Drama's  auch  diesen 
psychologisch -iatrischen  Coup  Ramon's  gutheisst,  möchten  wir 
nicht  zu  behaupten  wagen.  Ramon's  Fieberrinden-Surrogat:  der 
Schrecken,  ist  zwar  ein  halber  Freudenschreck,  veranlasst  durch 
seine  plötzliche  Botschaft  von  des  Prinzen  Ankunft,  worüber  die 
Königin  vor  üeberraschung  und  Alteration  ob  solchen,  vonsei- 
ten des  Prinz-Bräutigams,  unziemlichen  „üeberfalls" ,  halb  einer 
Ohnmacht  nah,  in  den  Sessel  sinkt:  der  halbe  Freudenschreck 
reicht  aber  vollkommen  zu  einem  ganzen  Nervenschlag  hin,  in 
den  sich  die  Comedia  mit  der  Königin  theilt.  Denn  das  solche 
Schreckwirkung  erzielende  Heilmittel  —  mit  welcher  Zuversicht 
konnte  der  Arzt  das  Specificum  bei  einer  Königin  anzuwenden 
wagen,  und  dessen  Dosis  berechnen?  zumal  die  auf  den  Plotz 


1)  „Leichter  dacht'  ich  mir  die  Sache, 
Als  sie  ist.    An  meiner  Stelle 

Sey  der  tölpische  Geselle 
Künftig  ihre  Ehrenwache! 
Und  ein  Kloster  unterdessen 
Bürgt  für  sie.** 

2)  „Heilt  mein  Schreck  das  böse  Fieber, 
Strömt  das  Geld  in  meine  Tasche: 
Und  dann  heiss'  ich  Don  Eamon, 
Don  Baron  durch  Gottes  Gnade; 


44  Das  spanische  Drama. 

einbrechende  Nachricht  von  des  Prinzen  Ankunft  erlogen  ist.  ^) 
Quodcunque  ostendis  mihi  sie,  incredulus  odi.  Das  Schreckmit- 
tel ist  ein  so  schlechter  Komödienspass,  dass  die  Komödie  ein 
unheilbar  dreitägiges  —  ein  tres  Jornadas- Fieber  davontragen 
kann,  wo  nicht  eine  halbseitige  Lähmung.  Lege  artis  dagegen 
ist  der  Schrecken,  den  Ramon's  Meldung,  betreff  Eoberto's  und 
Diana' s,  dem  Lisardo  beibringt:  Eoberto's  Entschluss  nämlich, 
die  Schwester  in  ein  Kloster  zu  sperren,  und  Diana's  Auffor- 
derung, dass  Lisardo  sie  zu  retten  eile.  Behufs  der  Eettung, 
muss  ßamon's  anschlägiger  —  mitunter  auch,  wie  eben  sich 
zeigte,  Gehirnschläge  bewirkender  Kopf  wiederum  herhalten  und 
aushelfen.  Dianen  meldet  er,  Lisardo  harre  draussen,  und  be- 
wache ihre  Thür  „im  Schutz  der  Nacht."  Diana  verzweifelt 
am  Erfolgt)  der  ünerschöpflichkeit  der  Hülfsquellen  und  Aus- 
kunfsmittel  eines  liebenden  Weibes  gegen  gewaltsame  üeber- 
wachung  zum  Possen;  eine  ünerschöpflichkeit,  die  Thema  u»d 
Titel  der  Comedia  doch  so  stark  betont.  „Das  Unmöglichste  von 
Allem",  dass  nämlich  die  Zwangshut  gegen  die  Unermüdlichkeit 
und  Unversiegbarkeit  der  Anschläge  einer  verliebten  und  wider- 
willig bewachten  Schönen  aufkommen  könne,  droht  in  ein  ganz 
anderes  Komödienproblem  umzuschlagen,  in  den  durchzuführen- 
den Lustspiel -Vorwurf:  „das  Unmöglichste  von  Allem"  sey:  den 
Anschlägen  eines  frechen,  an  Auskunftsmitteln,  Nothbehelfen, 
Finten  und  Sünden  ergiebigen  Bedientenkopfes  die  Stirne  zu  bie- 
ten. Diana's  gesunkenen  Muth  richtet  dieser  an  Fallen  und 
Hinterthürchen  so  reiche  Bedientenkopf  durch  seine  unbeirrte  Zu- 
versicht wieder  auf;  gleichzeitig  dem  Fulgencio  und  den  Haus- 


Demi  mit  einem  vollen  Geldsack 

Wird  der  krummste  Buckel  grade.** 
Jeder  Buckel,  nur  nicht  der  einer  Komödie,  der  solchen  anstössigen  Aus- 
wuchs  der  Erfindung    auf  die   leichte   Schulter  nimmt.  —    1)   „Er  (der 
Prinz)  ist  gar  nicht  da**  (vertraut  Eamon  seinem  Gebieter  Lisardo);  „man 
weiss  nicht,  wann  er  kommt.** 

2)       Diana.    „Heiss  ihn  gehn;  's  ist  Alles  aus; 

Ganz  unmöglich  ist  die  Flucht. 
Ramon.  Wie?!    Kam  ich  als  Dein  Befreier 

Muss  es  gehn**  —  ob  auch  meine  Erfindung   und  die 
Wahrscheinlichkeit  und  die  Komöcliß  darüber  in  die  Brüche  geht! 


Hornringe.  45 

dienern  des  Roberto  ein  dutzend  Nasen  drehend  und  diesem  einen 
Hocuspocus  vormachend,  von  dem  sich  übertölpeln  zu  lassen,  ein 
asturischer  Sumpf büffel  sich  schämen  würde,  ßamon  —  noch 
immer  als  des  Kronfeldherrn  Bereiter  und  Rossetummler  —  E  a- 
mon  vermisst  seinen  hörnernen,  aus  Elennsklaue  gedrehten,  gegen 
Krämpfe  heilkräftigen  ßing,  bekommt  auch  gleich  die  hef- 
tigsten Krämpfe,  und  stürzt  besinnungslos  zu  Boden.  Entsetzt 
über  den  Schreckensanblick,  brümmelt  Fulgencio  einige,  der- 
gleichen Zufälle  beschwichtigende  Zauberworte,  die  ihm  einst 
„ein  frommer  Mann  als  Yermächtniss"  zurückgelassen,  dem  am 
Boden  in  Krämpfen  sich  windenden  Eamon  in's  Ohr.  Während 
nun  Fulgencio  und  Diener  sich  mit  dem  in  Zuckungen  Da- 
liegenden beschäftigen,  kann  Diana  mit  Celia  unbemerkt  ent- 
wischen. Der  Ring  von  Elennshaut,  die  Krämpfe,  Fulgencio's 
zugeflüsterte  Besprechung  derselben  sind,  selbst  bei  aller  Be- 
dachtnahme  auf  die  Zeit,  wo  dergleichen  ein  gläubigeres  Publi- 
cum finden  mochte  —  derlei  Kunstmittel  sind  zu  jeder  Zeit  und 
unter  allen  Umständen  als  komische,  den  Ausgang  der  Komödie 
bestimmende  Erfindungsbehelfe  zu  gewaltsamer  Art,  zu  bühnen- 
widrig, in  einem  so  poetischdurchhauchten  Höflingslustspiel  zu- 
mal von  allzugrellem  Abstich,  um  nicht,  auch  aus  dem  Gesichts- 
punkte der  Kritik  damaliger  Zeiten  beurtheilt,  abgelehnt  zu 
werden.  Ein  Dichter  wie  Lope  freilich  versteht  es  meisterlich, 
hexenmeisterlich,  selbst  solche  Noth-  und  Gewaltmittel  der  ko- 
mischen Erfindung  anmuthig,  geistreich  und  witzig  zu  verzieren,  zu 
arabesciren,  versteht  es,  als  poetischer  Bosco,  ein  Milchferkel 
in  einen Blumenstrauss  zu  Verwandeln.  So  könnte  uns  ßamon' s 
Angabe,  aufFulgencio's  Frage:  „Und  wie  macht  man  denn 
die  Ringe?"  mit  seinen,  am  Schluss  seiner  Aufzählung  der  zur 
Verfertigung  solcher  Ringe  erforderlichen  Ingredienzien  ihn  plötz- 
lich überfallenden  Krämpfen   schier  versöhnen.  ^)    Und  welches 


Eamon. 
Dazu  braucht  man  noch  viel  Sachen:  — 
Nägelschnitzel  jener  schlauen 
Männer,  die  sich  ihrer  Frauen 
Freunde  recht  zu  Nutzen  machen; 
Nägel  auch,  von  jenen  Thoren, 


46  I^as  spanische  Drama. 

reizende  Simmungssonett,  das  Lisardo,  harrend  seiner  Gelieb- 
ten in  der  Strasse  bei  sternenhellem  süditalischen  Himmel  —  mo- 
nologisch hinseufzt!  ^) 


Die  als  Weise  sich  betrachten, 
Wissenschaft  und  Kunst  verachten; 
Witzlinge  mit  langen  Ohren; 
Nägel  auch  von  niedren  Wichten 
Die  ergattern  Eang  und  Hoheit, 
Bis  durch  niedern  Sinn  und  Rohheit 
Sie  ihr  eigen  Glück  vernichten; 
Auch  von  Neulingen,  die  werben 
Um  des  Hofs  ersehnte  Gunst, 
Und,  eh  sie  die  höf  sehe  Kunst 
Noch  erlernt,  im  Werben  sterben; 
Auch  von  jenen  tausend  Lumpen, 
Die  mit  Prahlen,  Eühmen,  Schnattern, 
Reiche  Leute  stets  umflattern, 
Um  sie  einmal  anzupumpen; 
Von  Doctoren,  aufgebläht, 
Die  die  Muttersprache  hassen. 
Und  sich  griechisch  hören  lassen, 
Da  wo  Niemand  es  versteht; 
Von  Poeten,  die  aus  Fetzen 
Fremden  Guts,  gestohlnen  Sprüchen, 
Wütherei'n  und  Ehebrüchen, 
Dramen  plump  zusammensetzen; 
Auch  von  Vetteln,  die  da  laufen 
Heissen  Bluts  nach  jungen  Laffen, 
Und  ihr  Erbtheil  solchen  Affen 
Für  ein  Linsenmuss  verkaufen;  .  .  . 
Weh!  da  fasst  der  Krampf  mich  an! 
Helft!  es  zuckt  durch  alle  Glieder! 

(Sinkt  zu  Boden.) 

1)  Zwanzigster  Auftritt. 

(Strasse,  Nacht.) 
Lisardo. 
0  holde  Nacht,  die  du  den  Schleier  gerne  — 
Der  Liebe  und  des  Traumes  Phantasien, 
Auch  diebischen  Gelüsten  gern  geliehen, 
Sey  hold  mir,  da  ich  nun  zu  stehlen  lerne. 

Wenn  du  geliebt  hast,  —  in  des  Aethers  Ferne 
Kann  ja  ein  Gott  selbst  nicht  der  Lieb'  entfliehen! 


El  major  imposible  bleibt  eine  offene  Frage.  47 

Da  hören  wir  aus  Diana' s  eignem  Munde  das  Geständniss, 
das  sie  an  der  Brust  ihres  Lisardo  lispelt,  und  das,  wie  be- 
merkt, den  Schwerpunkt  des  Grundgedankens  der  Komödie  ver- 
schiebt : 

Wenn  geglückt  ist  mein  Beginnen, 

Nur  Eamon  hat  es  vollbrachte ) 

Sie  verbessert  sich  gleich  wieder,  als  zupfte  sie  der  Titel  des 
Stückes  am  Aermel: 

„Nein,  kein  Witz  kein  Schicksal  giebt 
Uns  den  Ring:  nur  dieses  Eine: 
Dass  mein  Herz  erwählt  das  Deine;  — 
Dass  ein  Weib  es  ist,  das  liebt.'' 2) 

Die  ihr  entschlüpfte  Aeusserung  ist  aber  nichts  desto  weniger 
Wasser  auf  unsere  Mühle.  Welches  Figurenpaar  schleicht  nun 
alsStaifage  des  Entführungs-Nachtstückes,  heran?  Roberto  mit 
seinem  präsumtiven  Schwager-majadero,  dem  Feniso.  Die  Si- 
tuation, ein  Juwel  der  spanischen  Capa  y  Espada-Comedia;  ein 
Karfunkel,  der  im  Finstern  einen  Lichtglanz  ausstrahlt,  mit  dem 
Venussterne  dort  am  neapolitanischen  Nachthimmel  um  die 
Wette  —  den  vermässe  sich  die  kritische  Blendlaterne  beleuchten 
zu  wollen?  Er  schimmere  in  seinem  eigenen  Feuer,  nur  gefasst 
in  den  klaren  Krystall  der  Braunfels'schen  üebersetzung!  ^) 


So  lass'  nun  volle  Dunkelheit  umziehen 
Des  Himmels  Späheraugen,  jene  Sterne.  — 

Musst  du  auch,  Mond,  Diana's  Glanz  beneiden. 
Doch  lass  sie  strahlend  jetzt  der  Nacht  entschweben; 
Du  hast  geliebt,  und  kennst  der  Liebe  Leiden. 

Dann  werden  Perlen  auf  den  Blumen  beben. 
Dann  wird  die  Nacht  in  Sonnenglanz  sich  kleiden; 
Mein  Schmerz  wird  Seligkeit,  mein  Traum  wird  Leben! 

1)  la  invencion  de  Eamon. 

2)  Nien  los  hadas  hay  poder 
Ni  en  el  in  genio  mejor, 
Sino  en  tenerte  yo  amor 
Y  en  querer  una  mujer. 

3)  Zweiundzwanzigster  Auftritt. 
Die  Vorigen.    Roberto.    Feniso. 

Feniso. 
Folge  mir  und  sprich  kein  Wort. 


48  Bas  spanische  Drama. 

Doch  die  Königin?  die  wir  von Eamon's Schreckheilmittel, 
in  den  Sessel  hingesunken,  als  ohnmächtig  verliessen?  Gleich 
ihre  ersten  Verse  beruhigen  uns  mit  der  fröhlichen  Kunde: 


Roberto. 
Wer  sind  Jene,  die  sich  dort 
Noch  an  meinem  Hause  zeigen? 

Feniso. 
Dort?  ein  Herr  ist's  mit  zwei  Damen. 

Roberto. 
Halt!  werda? 

Lisardo. 
Ein  friedlich  Paar, 
Mann  und  Frau. 

Celia  (leise  zu  Dianen). 
Nun  ist  Gefahr! 
Diana  (leise). 
0  mein  Gott! 

Roberto. 

Sagt  Euren  Namen! 
Lisardo. 
Seyd  Ihr  die  Gerechtigkeit? 

Roberto. 
Nicht  einmal  die  Gnade! 

Lisardo  (ihn  erkennend). 
Ha, 
Robert?! 

Roberto. 
Ihr  Lisard? 
Lisardo. 

Nun  ja! 
Diana  (leise). 
Weh!  das  ist  mein  Tod! 

Roberto. 

Verzeiht ! 
Nur  weil  ich  Euch  nicht  erkannt, 
Hab'  ich  so  keck  mich  betragen. 

Feniso. 
Ganz  dasselbe  wollt'  ich  sagen; 
Drum  war  ich  so  ungalant. 

Lisardo. 
0,  Ihr  wolltet  nicht  verletzen. 


Freier  Fiebertag.  49 

„Gewiss,  er  heilte  mich  durch  jenen  Schrecken, 

Heut  war  der  Tag  des  Fieheranfalls ; 

Der  Anfall  kam  nicht,  und  ich  bin  genesen." 

Wie  freut  sie  sich,   den  Prinzen  nun  gesund  empfangen  zu  kön- 
nen!   Aber  auch  dem  Ramon  „Spass  für  Spass"  zu   entgelten; 


Koberto. 
Da  nun  Alles  aufgeklärt, 
Und  Ihr  wisst,  wie  hohen  Werth 
Wir  auf  Eure  Freundschaft  setzen, 
So  erlaubt,  uns  anzutragen 
Als  Begleiter  diesen  Damen; 
Denn  wenn  wir  uns  keck  benehmen, 
Könnten  Andre  Schlimmres  wagen. 

Lisardo. 
Diese  Damen  sind  vermählt, 
Fliehn  vor  eines  Gatten  Wuth, 
Der  sie  hält  in  strenger  Hut, 
Und  mit  Eifersucht  sie  quält; 
Er  verfolgt  uns  auf  der  Flucht, 
WoUt  ihr  das  Geleit  uns  geben, 
Dank*  ich  Euch  vieUeicht  das  Leben; 
Denn  ich  weiss,  dass  er  mich  sucht, 
Und  dass  Freunde  ihn  begleiten. 

Feniso. 
Da  wir  Euch  in  Schutz  genommen, 
Mag  ein  Heer  in  Waffen  kommen! 
Wir  sind  Manns,  mit  ihm  zu  streiten. 
Koberto  (zu  Diana  und  Celia). 
Edle  Frau'n,  seyd  ohne  Bangen; 
Treue  Freunde  seht  Ihr  hier. 

Lisardo. 
Kommt,  Eoberto,  kommt  mit  mir; 
Lasst  sie  doch!  sie  sind  befangen.  — 
Vor  dem  eifersücht'gen  Gatten, 
Der  uns  sucht,  bin  ich  in  Sorgen.  -— 
Wer  sie  sind,  sag'  ich  Euch  morgen; 
Und  sie  werden's  gern  gestatten, 
Da  Ihr  schützend  uns  geleitet. 

Eoberto. 
Euch  zu  dienen,  ist  mir  Pflicht. 

Lisardo. 
Wahrlich,  Ihr  begreift  es  nicht, 
Welche  Lust  Ihr  mir  bereitet. 


X. 


50  I^as  spanische  Drama. 

ihn  ebenfalls  homöopatbiscli  zu  behandeln:  Schreck  für  Schreck. 
Dem  schnell  herbeigeholten  und  in  erregtester  Erwartung  vor  der 
genesenen  Fürstin  dastehenden  Heilpopanz  lässt  sie  durch  den 
Kammerherrn  Albano  eine  Anweisung  auf  die  20,000  Ducaten 
überreichen,  welche  Anweisung  auf  die  Bank,  „die  Dünenbank 
von  Flandern"  lautet,  „bei  welcher  der  Betrag  aus  den  Schätzen 
der  dort  gestrandeten  Schiffe  zu  entnehmen  ist."  Eamon's  Ge- 
sicht, beim  Schlucken  dieser  Chinapille!  Ob  er  nicht  wenig- 
stens auf  sein  Specificum  hin,  das  sich  doch  bei  der  Königin  so 
heilsam  bewährte,  ein  Patent  als  Hoferzt  bekäme — ?  Ein  Titel, 
der  ihm  ein  jährliches  Einkommen  von  zwei  Millionen  in  Aus- 
sicht stelle  „für  geheilte  Leichdörner",  geheilt  und  vertrieben 
mittelst  Schrecken.  Darüber  fährt  nun  wirklich  der  Prinz  von 
Aragon  mit  seinem  Kronfeldherrn  auf  prächtiger  Galeere  in 
den  Hafen  von  Neapel  ein,  und  begrüsst  auch  schon  im  Palastsaale 
die  Königin-Gemahlin.  Selbstverständlich  erscheint  der  spani- 
sche Prinz-Gemahl  nicht  blos  als  solcher.  In  der  Majestät  einer 
königlichen  Schlussfigur,  mit  dem  Alexanderschwert  in  der  Hand, 


Eoberto  (beiseite  zu  Feniso). 
So  Feniso  geht's  Meuieden:  — 
Wie  ist  Alles,  was  wir  dachten, 
Wenn  wir  es  bei  Licht  betrachten, 
Von  der  Wirklichkeit  verschieden! 
Durch  ihn  selber  wird  uns  kund, 
Dass  er  andre  Neigung  hege! 
Feniso  (ebenso). 
Wohl;  dann  steht  nichts  mehr  im  Wege 
Dem  ersehnten  Ehebund. 

Roberto  (laut). 
Lasst  uns  gehn. 

Feniso  (zu  Lisardo). 

Geht  Ihr  voraus. 
Lisardo  (zu  Roberto). 
Welche  Grossmuth! 

Roberto. 

Pflicht  aUein! 
Lisardo  (für  sich). 
Helf  mir  Gott!  das  Brüderlein 
Bringt  sie  selber  mir  in's  Haus! 

(Alle  ab.) 


Honorirter  Sandbank  Wechsel.  51 

schreitet  er  zugleich  als  Schlichter  der  Komödienverwickelungen 
und  Zerhauer  ihrer  Knoten  ein,  deren  letzten  Roberto  vor- 
stellt oder  knüpft,  indem  er  knieend  vor  dem  Pürstenpaar  Ge- 
rechtigkeit und  von  Lisardo  ritterliche  Genugthuung  fordert. 
Der  Prinz,  von  der  Königin  zum  Schiedrichter  erkoren, 
nachdem  ihn  die  Königin,  Eoberto  und  Lisardo  über 
den  Sachverhalt  in  Kenntniss  gesetzt,  und  Lisardo  die  Erklä- 
rung abgegeben,  dass  er  in  allen  Züchten  und  Ehren  um  Diana's 
Liebe  geworben  und  sie  zu  seiner  Gattin  erwählt  i),  ~  der  Prinz, 
da  Roberto,  von  dieser  Ehrenerklärung  zufriedengestellt,  seine 
Schwester  herbeiholen  lässt,  froh,  dass  seine  Hausehre  mit  einem 
blauen  Auge  davonkommt,  —  wie  kann,  unter  so  gestalteten  und 
sich  von  selbst  und  ohne  ihn  abwickelnden  Sachen,  wie  kann 
der  Prinz  sein  Richteramt  nun  anders  üben,  als  blos  sein 
Alexanderschwert  zum  Ehrengruss  vor  der  knieenden  Diana 
senken  und  den  Richterspruch  in  die  zwei  Worte:  „Sey  Lisar- 
do's!"  zusammenfassen?  Um  indess  sein  Alexanderschwert  nicht 
ganz  unverrichteter  Sache  wieder  einzustecken,  lässt  es  der 
Prinz  den  „Dünen"-Knoten  zerhauen^  und  den  ihm  von  Ramon 
präsentirten  Sandbankwechsel  querdurch,  und  mit  den  Worten 
zerschneiden:  „Ich  zahle  Ihre  Schulden!"  zu  Ramon's  himmel- 
seligem Freudeschreck,  der  ihm  mit  einem  Wonnefieberschauer 
durch  alle  Glieder  fährt,  dessen  elektrische  Schläge,  bei  des 
Prinzen  an  das  Liebespaar  gerichteter  Aufforderung,  sich  zu 
umarmen,  Ramon  augenblicks  der  Zofe  Celia  mittheilt,  sie  als 
sein  Weib  umarmend,  und  bei  dieser  Gelegenheit  die  Schluss- 
moral der  Beherzigung  des  Publicums  empfehlend: 


1)  Lisardo  (zu  Roberto). 

„Hier  weilt  sie  in  Ehr  und  Züchten; 
Gern  wird  man  sie  wiedergeben  — 
Doch,  als  meine  Gattin,  dass  sie 
Deiner*)  Freundschaft  Pfand  mir  werde. 
Hier  schwör  ich's  beim  Kreuz  des  Schwertes 
Dass  nie  Wort  und  nie  Geberde 
Sich  von  fern  erkühnten  ihre, 
Deine  Ehre  zu  verletzen. 

*)  Roberto's. 


52  Das  spanische  Drama. 

„Wohl,  so  mag  hier  Dam'  und  Zofe 
Frau  und  Fräulein  euch  belehren: 
Dass  man  Weiber  nie  kann  hüten, 
Wenn  sie  sich  des  Hüters  wehren." 

Experto  crede  Eoberto!  Besonders  wenn  die  Weiber  einen 
Kamen  zur  Hand  haben,  der  in  Komödienstreichen  und  An- 
schlägen, womit  er  dreier  solcher  Hanse,  wie  Eoberto,  Ful- 
gencio  und  Feniso,  Bewachungskünste  zu  Schanden  machte, 
„das  Unmöglichste  von  Allem"  leistet! 

Mit  Momus'  Brustglas  als  Lupe  vor  dem  linken  Auge  hätte 
nun  die  Analyse  an  Lope's  von  allen  Seiten  geprüfter  Komödie, 
*E1  major  imposible',  Flecken  und  Fleckchen,  grössere  und  klei- 
nere Makel  und  Makelchen  erspäht,  und  sogar  die  Correctheit 
der  Durchführung  des  thematischen  Grundgedankens  in's  Frag- 
liche geklittert  —  und  doch!  und  alldessungeachtet!  Wie  un- 
widerstehlich musste  sie  selbst,  sie,  die  gestrenge,  die  hochweise 
Analyse,  sich  von  dem  Zauber  des  Ganzen,  wenn  nicht  um- 
strickt, doch  befangen  fühlen!  Von  derselben  magischen  Mercur- 
flöte,  welche  die  Fabelmoral  den  hundert  eingeschläferten  Argus- 
augen als  Komödie  vorspielte,  auch  ihr  linkes  mitMomus'  Lupe 
bewaffnetes  Prüferauge  von  den  lieblichen  Schlummerklängen  um- 
flort, und  wie  in  ein  süsses  Duseln  eingewiegt  fühlen,  ihr  blin- 
zelndes Einnicken  mit  der  Lupe  wie  hinter  ein  Schiebefenster- 
chen verbergend!  —  Wohllautzauber,  Musik  der  Sprache,  der 
metrischen  Formen  und  Reime;  eine  einzige  über  ein  stets  durch- 
klingendes Thema  als  Liebesfeier  unter  spanisch-italischem  von 
Orangendüften  und  Sternengefunkel  trunkenen  Nachthimmel,  in 
Form  einer  Komödie,  der  Venus,  dem  Amor  und  den  Grazien 
gebrachte  Garten-Serenade,  abgehalten  in  einem  Gartenparadiese, 
wo  das  Eeimgesprudel ,  wie  Springbrunnen  und  Wasserkünste, 
wehend  flattert  und  klingt,  und  diese  wieder,  die  Springstrahlen, 
Eeime  und  Strophen,  Quintillen,  Decimen,  Terzinen  und  Eedon- 
dillen,  zu  sprühen  und  zu  perlen  scheinen;  wo  die  dramatischen 
Scenen  und  Situationen  als  reizende,  in  die  Irrgänge  des  Zauber- 
gartens vertheilte  Musikständchen  das  thematische  Grundmotiv  in 
entzückend-überraschenden  Modulationen  wechseln.  Musik,  holde, 
süsse  Musik,  als  Komödienpause;  doch  mehr  die  Sinne  bezaubernde, 
als  die  Seele  ergötzende  und  beseligende  Musik.    Sirenenmusik, 


Musen-  und  Sirenenmusik.  53 

gespielt  auf  Thalia's  Doppelflöte;  nicht  der  Musen  himmlische 
Melodien,  die,  im  Wettstreit  mit  den  Sirenen,  deren  verführerische, 
den  Geist  berauschende  Klänge  entzaubern,  und  die  Sirenenflöten 
ton-  und  machtlos  singen.  Die  Spanier  konnten  der  Oper  ent- 
behren. Ihre  Komödie,  ihr  Drama  des  17.  Jahrhunderts  vertritt 
die  Stelle  des  Gesangspiels.  Wogegen  das  italienische  Drama, 
mehr  noch  die  italienische  Komödie,  im  Innersten  der  musikali- 
schen Seele  baar  und  bedürftig,  das  lyrische  Drama,  die  Oper, 
als  eine  eigene  Gattung,  sich  hinzu  erfinden  musste,  um  der  in 
ihm,  wie  in  dem  romanischen  Kunstgeiste  überhaupt,  schlum- 
mernden Sirenenflöte  gleichsam  Luft  zu  schaffen.  Aus  der  spa- 
nischen Komödie,  aus  der  italienischen  Oper  schallt  immerdar  die 
Seele  berückende,  in  Zauberschlaf  spielende,  Sinnenreiz  und  Tau- 
mel fachende  Mercur-  und  Sirenenflöte.  Die  reine,  heilighimm- 
lische Seelenmusik,  die  musische  Musik,  die,  im  Wettkampf 
mit  jenem,  das  Menschenherz  mit  den  süssesten  Buhlklängen 
lockenden,  und  in  lieblichen  Schmeichelwahn  und  Lusttrunken- 
heit einlullenden  Flötenspiele,  dieses  eben  kampflos  stellt  und 
zum  Schweigen  bringt  —  die  Seelenmusik  der  Musen,  sie  tönt 
einzig  aus  der  Poesie  und  Musik,  aus  dem  Drama  und  der  Oper 
der  grossen  Kunstmeister  des  germanischen  Volksstammes ;  des  un- 
verfälschten, durch  keine  Mischung  mit  allerlei  Völkerracen,  mit 
der  geistesfinstern,  sinnenzaubergebannten ,  dämonisch  -  keltischen 
namentlich,  bis  zur  Absorption  der  reinen  iranischen  Abstammung 
verdunkelten,  indogermanischen  Volksgeistes:  tönt  einzig  aus  der 
Poesie  der  Griechen,  Alemannen,  Germanen,  Scandinavier ;  aus  dem 
Hindu-Drama,  aus  dem  Shakspeare-Drama,  dem  Goethe-Schiller- 
drama und  der  Poesie  der  Gluck-Mozart-Oper,  mit  welcher  denn  auch 
die  Geschichte  des  deutschen  Drama's  abschliessen  muss,  ja  in 
die  es,  Beider  Glorien:  des  Shakspeare-  und  des  Aeschylos-So- 
phoklesdrama's,  in  sich  verschmelzend  —  in  die  es  gipfelt  und 
sich  verklärt,  das  grösste  Transfigurationswunder  in  der  Mozart- 
Oper  vollbringend,  die  das  romanische,  sinnenbezaubernde,  und 
sinnentrunkene  Sirenenelement,  den  vorzugsweise  auf  Lusterregung 
hinwirkenden  frivolen  Kunstreiz  in  letzter  Tiefe  zu  himmlisch- 
schönen Seelen-  und  Herzensentzückungen  läutert,  adelt  und  heiligt. 
Fahren  wir  denn  fort,  dem  Sirenenflötenspiel  der  spanischen 
Komödie  scharf  auf  die  Finger  zu  sehen  mit  des  Momus'  Lupe 


54  I^as  spanische  Drama. 

vor  dem  linken  Auge,  jedoch  mit  den  Seilen  unzerreissbarer 
Kunstregeln  an  unser  kritisches  Grundprincip ,  wie  jener  Ithaker 
an  den  Mastbaum,  festgebunden,  nicht  aber  mit  dessen  Wachs  in 
^en  Ohren,  auf  dass  wir  den  Zauber  wohl  vernehmen  und  prüfen 
können,  ohne  ihm  zu  verfallen. 

Zur  Abrundung  der  ersten  Gruppe  unserer  trilogischen,  je 
drei  Stücke  verschiedener  Gattungen  aus  Lope's  Dramen  zusam- 
menfassenden Analyse,  mag  nun  eines  seiner  „wundersamsten" 
Schauspiele,  ein  Mischdrama  von  Auto  und  historischem  Spec- 
takelstück,  sich  den  beiden  voraufgegangenen:  dem  legendenhaft 
historischen  Drama  mit  tragischem  Ausgang,  und  dem  Mantel- 
und  Degenstücke,  als  Drittes  anschliessen. 

La  famosa  Comedia   del   Nuevo  mundo  descubierto 
por  Cristoval  Colon.^) 

Columbus  ging  von  Haus  zu  Haus,  von  Königshaus  zu 
Königshaus,  von  Hof  zu  Hof,  um  den  Mächtigen  der  Erde  eine 
halbe  Welt,  eine  „neue  Welt"  anzubieten,  anzubetteln,  und  wurde 
überall  barsch  abgewiesen,  wie  der  Trödeljude,  der,  von  Thür  zu 
Thür,  einen  schäbigen  Eock  oder  eine  alte  Hose  zum  Verkauf 
herumträgt.  Endlich  traf  Columbus  auf  ein  barmherziges  Frauen- 
herz, das  in  der  Brust  der  Königin  Isabel  schlug.  Diese 
borgte  dem  Hausirer  auf  die  halbe  Erdkugel  ein  paar  Schifflein, 
mehr  wie  ein  Almosen,  denn  als  Handschilling.  Beim  Abliefern 
seiner  Waare,  seiner  Erdhalbkugel,  fand  Columbus  die  hohe  Cre- 
ditg eberin  nicht  mehr  am  Leben.  Statt  ihrer  nahm  der  Gemahl, 
König  Fernando  der  Katholische,  das  Kaufgut,  die  halbe  Welt, 
in  Empfang  und  liess,  als  guter  Staatswirth  und  Haushalter,  um 
die  Auslage  zu  ersparen,  den  Händler  mit  überseeischen  Welten 
in  Ketten  und  Kerker  werfen.  Aus  der  Kerkergrube,  die  Co- 
lumbus für  all  die  Gold-  und  Juwelengruben  seiner  „neuen 
Welt"  in  Zahlung  erhalten,  wankte  er,  auf  den  Bettelstab  ge- 
stützt, und  von  König  Fernando's  Thür,  au  der  er  um  sein  Gut- 
haben bettelte,  mit  den  auf  ihn  gehetzten  Hofhunden  vertrie- 
ben —  wankte  Columbus,  italienisch  Cristoforo  Colombo,  spanisch 
Cristoval  Colon,  in  die  ewige  Kerkergrube,  in  sein  Grab.    Gelt, 


1)  Doze  Comedias  de  Lopa  de  Yega  Carpio  etc.  Barcelona  1614.  No.  2. 


Lope's  Colon -Comedia.  55 

eine  Tragödie,  eine  Welttragödie,  alter  und  neuer  Welt,  wie  es 
wenige  giebt !  Nur  schade,  dass  sie  dem  Genie  unsers  Lope  nicht 
in  den  Kram  passte.  Ihm  war  es  mehr  um  die  Verherrlichung 
des  katholischen  Königspaares,  des  katholischen  Spaniens,  des  ka- 
tholischen Weltentdeckers  und  vor  Allem  der  orthodox-spanisch- 
katholischen Kirche,  als  um  das  Tragische  zu  thun,  das  in  Stoff 
und  Vorwurf  lag;  als  um  die  poetische  Darstellung  und  Sühne 
des  Untergangs  eines  der  grössten  Wohlthäter  und  Bereicherer 
der  Menschheit,  eines  der  werkmeisterlichen  Mitschöpfer  an  der 
Völkergeschichte,  Entwickelung  und  Cultur;  des  ruhmwürdig- 
sten Belehners  der  Könige  mit  Land  und  Leuten,  mit  ganzen 
Welttheilen;  der,  nicht  blos  ein  Cristoforo,  ein  „Träger  Christi", 
der  auch  ein  neuweltlich-weltlicher  Christus,  wie  der  Gottessohn 
ein  himmlisches  Weltreich,  dem  Menschengeschlecht  ein  irdisches 
schenkte,  das  vielleicht  berufen  ist,  an  der  grausamen,  gewissen- 
losen Undankbarkeit  der  reyes  netos  die  Vergeltungssühne  zu  voll- 
ziehen, an  welcher  sich  Lope's  Genie  die  Finger  nicht  verbren- 
nen wollte;  die  Vergeltungssühne,  für  den  Tod,  den  der  Spender 
eines  irdischen  Weltreichs  an  seinem  Marterpfahle  starb,  wie  der 
göttliche  Austheiler  des  himmlischen  Reiches  an  dem  seinigen. 

Doch  lasst  uns  immer  das  Walten  von  Lope's  mehr  komö- 
dienhaftem, als  tragischem,  mehr  versöhnungslustigem,  als  sühne- 
eifrigem, mehr  schöpferfreudigem,  vom  Reize  des  römischen  Cu- 
pido  befruchtetem  Genie,  als  beseelt  von  jenem,  nach  griechischer 
und  indischer  Sage,  den  Tiefen  der  uralten  Nacht,  des  Erebos 
und  der  chaotischen  Finsterniss  entstiegenen,  weltenbildenden, 
erhaltenden  und  durchgeistigenden  Liebesgotte  ^)  ■-  lasst  uns  das 
Walten  dieses,  paradiesvogelgleich,  im  glänzenden  Genussesäther 
gaukelnden  Genie's  auch  in  seinem  Colombus-Drama,  belauschen. 
Vielleicht  überrascht  uns  auch  hier  das  Wunder,  dass,  infolge  der 
Abwehr  einer  starkmächtigen  tragischgewaltigen  Katastrophe, 
Lope's  Ueberfluss  über  seine  Comedia,  „die  neue  Welt",  eine 
Sternensaat  von  dramatischer  Erfindung  streute,  wie  Juno's,  als 


1)  —  Salfxov  ovQaviE  —  ^Qong  ^  ov  xaxov  vt^ttlov,  ondla  C^yQoccpojv 
nai^ovöt  /slqsSj  «/A*  ov  tj  nQCJTocfnoQog  ^y^vvrjdev  ccQxijf  jikaiov  evd^v 
TS^d^ivTcc.  aif  yaq  l|  a(pavovg  xal  xsxvfÄivrjg  äfiogiflag  t6  nav 
k^oQipwaag.  Lucian.  Amores  c.  32. 


56  I^as  spanische  Drama. 

sie,  erwacht,  den  ihr,  der  Schlafenden,  vom  Jupiter  an  die  Brust 
gelegten  Säugling,  Hercules,  von  sich  stiess  —  wie  Juno's  träufelnde 
Brust  mit  den  hervorquellenden  Tropfen  die  Milchstrasse  über 
den  Himmel  sprühte. 

Lope's  Colon-Drama  beginnt  zwar  mit  des  grossen  Weltfeil- 
bieters, Hemisphären-Hausirers  und  Ausrufers  vergeblichem  An- 
klopfen an  die  Cabinetsthüren  der  europäischen  Monarchen; 
schliesst  aber  mit  dem,  bei  seiner  ersten  Eückkehr  nach  Spanien, 
ihm,  vonseiten  des  katholischen  Herrscherpaars,  zutheilgeworde- 
nen  feierlichen  Empfange  und  mit  Colones  Triumpheinzug  in  Bar- 
celona. „Schon  tausendmal"  —  äussert  er  gegen  seinen  Bruder, 
Bartolomeo,  in  der  ersten,  nach  Santarem  in  Portugal  verlegten 
Scene  — 

„Schon  tausendmal  bin  ich  zurückgeschreckt 
Und  tausendmal  hab'  ich  mich  neu  ermuthigt.^) 

„Ermuthigt"  —  durch  welchen  Stachel  und  Sporn  und  Schick- 
salsschluss?  Ermuthigt,  inkraft  seines  weltentdeckenden  Genie's 
eben,  seiner  weltgeschichtlichen  Mission:  die  Bestimmung  der 
Erde,  sich  zu  einer  culturparadiesischen  Weltkugel,  als  Wohnstätte 
verbrüderter  freier  Völker,  abzurunden  —  diese  Bestimmung  der 
Erdfeste  zu  erfüllen;  die  Sagen,  Ahnungen,  Träume  und 
Gesichte  von  einem  atlantischen  Westreiche,  von  einer  Atlantis, 
zu  einem  wissenschaftlichen  Axiom,  einem  geographischen  Postu- 
lat, zu  erheben  und  auf  diese  ihre  reale  Wirklichkeit  durch  ihre 
ideale,  ihre  Existenz  im  Geiste,  verbürgende  und  mit  jnathema- 
tischer  Gewissheit  erweisende  Idee  so  lange  loszusteuern,  bis  sie, 
wie  alle  geschichtsphilosophischen  Ideen,  des  vorschauenden  Ge- 
nies, in  leibhafter  Gestalt,  als  entdeckter  Welttheil,  vor  ihm 
stand  2);  bis  diese  Atlantis  auf  das  Machtgebot  seines  welten- 


1)  Mil  vezes  atras  me  bueluo 
y  otras  tantas  me  reaueluo 
en  estas  temeridades. 

2)  Schillerte  „Columbus**  überschriebene  vier  Distichen  feiern  dies  mit 
pythagoräisch-dichterischem  Groldmund : 

Steure,  muthiger  Segler!  Es  mag  der  Witz  dich  verhöhnen, 

Und  der  Schiffer  am  Steu'r  senken  die  lässige  Hand. 
Immer,  immer  nach  West!  Dort  muss  die  Küste  sich  zeigen, 


Alte  und  Neue  Welt:  Menächmen.  57 

schöpferischen  Genie's  emportauchte  aus  der  Meeresfluth,  worin 
sie  für  das  Menschengeschlecht  Jahrtausende  versunken  lag;  bis 
Colombo's  Weltidee,  wie  Plato's  Seelen  ihren  Körper,  das  atlan- 
tische Festland,  die  neue  Welt,  gefunden,  sich  in  ihn  einsenkend 
und  nun,  als  Ein  Leib  und  Eine  Seele  mit  ihm,  sich  offenbarend. 
So  sehr  Ein  Leib  und  Eine  Seele,  in  Colombo's  geographischer 
Intuition,  dass  er,  nach  Westen  steuernd,  die  Ostküste  von 
Asien  zu  entdecken  ausging.  Ist  sie  es  denn  nicht?  Durfte  denn 
Columbus,  wenn  man  den  stillen  Ocean  als  verknüpfendes  Silber- 
band betrachten  will,  das  Amerika  und  Asien  vereinigt  —  durfte 
Columbus  nicht  mit  Fug  den  Ostsaum  seiner  „neuen  Welt"  als 
Asiens  Ostküste  ansprechen  und  begrüssen?  Wie  jenes  von  ein- 
ander getrennte  Liebespaar  in  der  spanischen  Novellenkomödie  i), 
mittelst  der  Hälften  des  zweigetheilten  ßinges,  wovon  jeder  die 
eine  Hälfte  bei  der  Trennung  bewahrt  hatte,  sich  erkennt  und 
die  beiden  Hälften  zum  Ehering  vom  Goldschmied  wieder  zu- 
sammenlöthen  lässt:  so  fügte  der  Genuesische  Goldschmied, 
Colombo,  die  beiden  einander  abhanden  gekommenen  Erdhälften 
zum  Trauringe  zusammen,  den  Ost  und  West,  der  das  Völkerge- 
schlecht des  Osten  mit  dem  des  Westen  verband.  Menächmen 
des  Plautus;  Menächmen,  die,  von  Kindheit  auf,  für  einander 
verloren,  nach  einer  vom  Bruder  Zwilling  unternommenen  Auf- 
suchungsseefahrt, sich,  mithülfe  des  treuen  Dieners  und  Keise- 
genossen,  wiederfanden,  der  den  Verlornen  zuerst  entdeckte  und 
erkannte.  „Ein  armer,  ja  armseliger  Mann  wie  ich"  —  fragte 
sich  Colombo  —  „eine  zweite  Welt  der  ersten  hinzufügen?" 
„Ich,  Cristoforo  Colombo,  aus  dem  Dorfe  Nervi  im  Staate  Ge- 
nua" —  warum  denn  nicht?  Hat  denn  nicht  auch  ein  Colombo, 
die  Taube,  die  Noah  fliegen  liess,  „Land!  Land!"  verkündet,  mit 
dem  Oelblatt  im  Munde?    Dass  Lope's  Colombo  vorweg  in  der 


Liegt  sie  doch  deutlich  und  liegt  schimmernd  vor  deinem  Verstand. 
Traue  dem  leitenden  Gott  und  folge  dem  schweigenden  Weltmeer: 

War'  sie  noch  nicht,  sie  stieg  jetzt  aus  den  Fluthen  empor. 
Mit  dem  Genius  steht  die  Natur  in  ewigem  Bunde: 

Was  der  Eine  verspricht,  leistet  die  Andre  gewiss, 

1)  s.  Bd.  IX.  S.  191, 


58  I^as  spanische  Drama. 

ersten  Scene  sich  seiner  Sendung  bewusst  ist  und  berühmt  i)» 
das  erseheint  gleich  als  der  erste  Himmelsfunken,  als  Stern,  zu 
welchem  die  aus  der  Junobrustwarze  von  Lope's  dramatischer 
Muse  quillende  Milchperle  erglänzt.  Hochgemuth  und  missions- 
erfüUt  tritt  Colon  sofort  denn  auch  dem  Könige  von  Portugal, 
Don  Juan  IL,  unter  die  Äugen: 

„Ich  bin  arm  geboren, 
Doch  Kopf  und  Muth  trieb  mich  von  je  zum  Grossen, 
Und  der  Euhmwürdigkeit  schäm'  ich  mich  nicht. 
Ich  will,  wenn  Deine  Gunst  mich  unterstützt, 
Dieser  gefahrenreichen  Unternehmung 
Die  nach  dem  unerforschten  Lande  steuert, 
Der  erste  Argonaut  se3^n"  .  .  . 

König.  „Mich  wundert,  wie  ich  Deine  lange  Rede, 
Colombo,  ohne  Lachen  angehört; 
Tollern  Mann  sah  noch  die  Sonne  nicht  .  .  . 
Geh  denn  mit  Gott  und  lass  Dich  heilen  Aermster, 
Von  deiner  Thorheit  und  Goldmacherkunst!*' 2) 


1)  „Aber  ein  glücklicher  Stern  meines  Lebens, 
Der  nicht  in  Niedrigkeit  verglimmen  will, 
Mein  weltberühmt  Heimathland  Genua 
Und  mathematische  Intuition 

Stacheln  das  ritterliche  Herz  mir  auf. 
Dem  griechischen  Euklid  mich  nachzuschwingen. 
Auf  jenen  Fittigen  durch  die  Welt  getragen. 
Selbst  Hercules  Grossthaten  zu  verdunkeln." 

Pero  mi  buen  nascimiento, 
de  SU  humildad  descontento 
y  de  mi  patria  famosa 
Genova  insigne  y  dichosa 
El  triangulär  fundamento, 
Alientan  el  pecho  hidalgo 
a  exceder  al  Griego  Euclides 
que  si  con  mi  intento  salgo 
Ven9o  la  fama  de  Aleides, 
y  mas  que  sus  hechos  valgo. 

2)  Das  ist  derselbe  König  D.  Juan  II,  von  Portugal,  den  Lope  de  Vega 
in  seinen  beiden  dilogischen  Komödien:  *E1  Principe  Perfecto'  „Der 
vollkommene  Fürst**,  als  Muster  und  Ideal  sämmtlicher  dankbaren  Kö- 
nigstugenden und  Trefflichkeiten   feiert.    Im  ersten  The il  der  Dilogie 


Colon  und  König  Juan  II.  von  Portugal.  59 

Yo,  que  aunque  pobre  nasci, 
Tengo,  para  cosas  tan  altas, 
entendimiento  y  valor, 
que  aqui  no  es  vil  la  alaban^a 
Quiero  si  me  das  favor 
desta  empressa  temeraria 
desta  tierra  nunca  vista 
ser  el  primero  Argonauto  .  .  . 

Rey.  No  se  como  te  he  escucliado 
Colon,  sin  aver  reydo 
hasta  el  fin,  lo  que  lias  hablado 
el  hombre  mas  loco  ha  sido, 
que  el  cielo  ha  visto  y  criado  .  .  . 
Vete  en  buen  hora,  procura 
Cura  para  tu  locura  .  .  . 

„0  meine  Hoffnung"  —  ruft  Colon,  mit  seinem  Bruder  Bar- 
tolomeo  allein  gelassen  — 

,,0  meine  Hoffnung,  die  Wassergeborne ! 
Wirst  mir  zu  Wasser**  .  .  .  i) 


(Primera  parte)  muss  auch  Colon  in  einer  völlig  episodischen  Einschieb- 
selscene  (III.  esc.  XXI.),  sich  zu  einem  Lichtpünktchen,  behufs  Verherr- 
lichung des  ,,voUkommenen  Fürsten",  hergeben.  Colon  spricht,  auf  seiner 
ersten  Rückkehr  nach  Spanien  aus  Domingo,  beim  Könige  von  Portugal 
vor,  der  ihn  als  „Freund**  begrüsst,  und  Colon's  Bedauern,  dass  er  die 
Schätze  der  von  ihm  entdeckten  Welt  nicht  ihm,  dem  Könige  von  Por- 
tugal zu  Füssen  legen  könne,  da  das  spanische  katholische  Königspaar 
das  Früherrecht  beanspruche,  mit  der  insgeheim  ihm  ertheilten  freund- 
schaftlichen Warnung  erwidert:  sich  so  bald  wie  möglich  aus  Portugal, 
wo  man  seinem  Leben  nachstelle,  zu  entfernen.*)  Colon  verfehlt  nicht, 
den  Rath  augenblicklich  zu  befolgen  und  sich  so  schnell  zu  drücken,  wie 
er  unversehens  erschienen  war.  Wir  bringen  wohl  noch  Näheres  über  die 
,, vollkommenen  Fürsten**  in  zwei  Theilen,  falls  uns  bis  dahin  nicht  Athem, 
Papier  und  Dinte  ausgehen. 

1)  Y  a  mi  esperan9a,  perdida, 

del  mar  sale  y  buelve  al  mar. 


*)  Rey  (ap.  ä  Colon). 

Oye,  que  en  Portugal  quieren  matarte, 
Vete,  y  gocen  los  Reyes  de  CastiHa 
Este  mundo  que  hallo  su  ingenio  y  arte. 


60  ^^3  spauische  Drama. 

Bartolomeo  will  nach  England  gehen,  um  König  Heinrich  VII. 
für  die  Entdeckungsfahrt  zu  gewinnen.  Colon  begiebt  sich 
nach  Spanien  zum  katholischen  Königspaar,  mit  geringer  Aus- 
sicht auf  Erfolg:  „denn  der  Krieg  in  Granada  nimmt"  dem  Kö- 
nige von  Spanien  „See  und  Gold  und  Volk  zu  sehr  in  An- 
spruch." „0  Bruder"  —  seufzt  sein  mit  einer  Welt  im  Kreissen 
liegendes  Genie  — 

„0  Bruder,  unter  mir  zittert  das  Meer: 
Ihm  ist,  als  ob's  was  Ungeheures  ahnte/' i) 

Wie  trefflich  durchhin  die  Missionsstimmung  eines  solchen  Ent- 
deckungshelden vom  Dichter  gefühlt  und  zu  beredtem  Ausdruck 
gebracht ! 

Nach  einer  mehr  arabeskenhaft  als  dramatisch  das  Haupt- 
thema durchrankenden  Scene  auf  Schloss  Albaicin,  vor  der  Al- 
hambra  zu  Granda,  mit  dem  uns  genugsam  bekannten  Key 
Chico'-^),  als  betrübsamem  Ausblicker  in  die  Zukunft,  der  vom 
Liebchen,  Dalifa,  und  von  Musik  und  Gesang  seine  bangen 
Sorgen  verscheuchen  lässt,  finden  wir  uns  mit  Colon  in  den 
königlichen  Palast  zu  Toledo  versetzt,  den  Herzogen  von  Medina 
Coli  und  von  Medina  Sidonia  gegenüber,  denen  der  Welten- 
seher aus  Karten  und  Papieren  seine  Argumente  entwickelt,  und 
die  ihn  mit  seiner  „neuen  Welt"  und  seinen  „Gegenfüsslern"  als 
unheilbaren  Narren  auslachen,  und  ahnen  nicht,  dass  sie  selber 
Colones  Gegenfüssler  sind,  der  den  Kopf  oben  hat  und  noch  trägt, 
während  der  ihrige  unten  sitzt  und  den  niedrigsten  Punkt  ein- 
nimmt; wenn  sie  nicht  überhaupt  von  Kopf  bis  Fuss  nichts  als 
Gegenfüssler,  lauter  Fuss  ohne  Kopf. 

Es  drängt  sich  wieder  eine  granadische  Parallelscene  der 
Nebenhandlung  zwischen  Colon  und  seine  halbe  Welt,  worin 
Gonzalo  de  Cordoba  sich  mit  dem  Erbieten  aufwirft,  dem 
katholischen  Königspaare  Granada  zu  Füssen  zu  legen  —  neben 
Colon's  Anerbieten:  einen  Maulwurfshügel  zur  Seite  des  Chim- 
borafo;  das  Zwergköniglein,  Key  Chico,  neben  dem  grossen  Chri- 


1)  Ya,  hermano,  me  tiembla  el  mar, 
Alguna  cosa  adiuina, 

2)  s,  Bd.  IX.  S.  59  ff. 


Colon  und  die  h.  drei  Könige.  Q\ 

stoph  mit  dem  Weltheiland  auf  der  Schulter  —  Wodurch  aber  diese 
Granada-Katastrophe,  gerade  als  Contrastparallele,  keine  blosse 
lückenbüsserische  Nebenhandlung  abgiebt. 

König  Heinrich's  VII,  Schädel  —  so  berichtet  der  aus  England 
inmittelst  zurückgekehrte  Bartolomeo  seinem  Bruder  Cristo- 
val,  inmitten  einer  von  Bäumen  umsäumten  Seeküstenscene —  Kö- 
nig Heinrich's  VII.  englischen  Schädel  fand  Bartolomeo  noch  ver- 
nagelter gegen  Colon's  neue  Welt  und  deren  Bewohner,  die  in 
der  heissen  Zone  doch  unausweichlich  braten  und  in  der  kalten 
zu  Eiszapfen  einfrieren  müssen.  Hier  in  Spanien  —  erzählt  nun 
seinerseits  Cristoval  Colon  dem  Bruder  und  dem  Steuermann 
Pinzon  —  ging's  ihm  in  seiner  durch  den  Grosszahlmeister 
Alonso  Quintavilla  und  Cardinal  Mendoza  vermittelten 
Audienz  bei  König  Fernando  nicht  besser,  der  mit  Granada 
die  Hände  so  voll  zu  thun  habe,  dass  er  sich  mit  Colon's  Gegen- 
füsslern  schlechterdings  nicht  befassen  könne.  Bartolomeo 
und  Steuermann  Pinzon  lassen  Colon  mit  seiner  halben  Welt- 
kugel, die  die  heiligen  drei  Könige  des  Abendlandes,  Juan  IL 
von  Portugal,  Fernando  von  Spanien  und  Heinrich  VII.  von  Eng- 
land nicht  geschenkt  haben  mochten,  allein.  Unter  eine  Stein- 
eiche hingelagert,  misst  Colon  mit  dem  Zirkel  auf  seinen  vor  ihm 
ausgebreiteten  Karten  nach  allen  Kichtungen  umher,  und  misst 
alleweile  dasselbe  Eesultat  heraus,  die  unumstössliche  Gewissheit 
seiner  neuen,  über  die  westliche  Erdhälfte  sich  erstreckenden 
und  mit  Gegenfüsslern  bevölkerten  Welt.  So  versenkt  in  seine 
Träume  von  mathematischer  Evidenz,  was  Wunder,  wenn  er  mit- 
eins seine  eigene  Phantasie  vor  sich  als  Vision  stehen  sieht, 
die  Lope,  trotz  allegorischer  Machinerien,  mit  dem  Instinct  eines 
grossen  Poeten  und  dramatischen  Genie's,  aus  dem  Innersten  ei- 
nes Weltvisionärs,  wie  Colon,  vor  dessen  sinnliche  Augen  her- 
ausstellt, als  bunte  Gestalt,  „die  aus  der  Höhe  herabschwebt", 
und  sie  auf  Colon's  Frage,  wer  sie  sey,  antworten  lässt: 

„Ich  bin  nichts  weiter 
Als  deine  eigene  Einbildung."  *) 


1)  Colon.  Quien  eres,  que  lo  preguntas. 

Imag.    Tu  propia  imaginacion. 


62  I^as  spanische  Drama. 

Der  tiefe  Zug  von  tragischer  Wehmuth,  der  sich  in  Colones  Ge- 
spräch mit  der  Phantasie,  mit  seiner  Phantasie  ausspricht, 
kann  nur  aus  der  Scene  selbst  empfunden  werden.  Die  unmit- 
telbar sich  anschliessende  Vision,  die  freilich  eher  in  ein  Auto 
sacram.  als  in  ein  Colon-Drama  gehören  möchte,  übt  dessungeach- 
tet  eine  so  bewältigende,  aus  dem  Stoffe,  der  Zeitanschauung, 
aus  des  Helden  Charakter  und  Missionsstimmung  fliessende  Wir- 
kung; wirft  so  schlagende  Motivirungslichter,  —  und  zwar  aus 
des  Teufels  Munde,  auf  die  geheimsten,  hinter  den  kirchlich 
katholischen  Zwecken  verborgenen,  von  keinem  andern  Colombo- 
dichter  erkannten  und  gewürdigten  Antriebe  zur  Entdeckung  der 
neuen  Welt:  dass  wir  auch  diesen  Ergänzungstheil  der  in  die 
Seele  des  Helden  gleichsam  und  des  Problems  mit  so  poetischer 
Durchschauung  personificirten  Vorgänge  im  Gemüthe  des  Trä- 
gers der  dramatischen  Idee,  wie  im  Innern  der  geschichtlichen 
Thatsachen,  mitzutheilen  uns  gemüssiget  finden,  auf  dass  ersicht- 
lich werde,  mit  welchem  Erfolge  das  Dichtergenie  selbst  aus 
scheinbar  unzulässigen  und  dem  Stoffe,  wie  man  glauben  möchte, 
kunstgesetzlich  unangemessenen  Wirkungsbehelfen  Meisterzüge 
herausarbeitet  und  entwickelt,  welche  die  Kunstgattung  berei- 
chern, und  durch  Erfindungen  uns  überrascht,  die  ihrerseits  eine 
neue  Welt  von  dramatisch-poetischen  Anschauungen  aufdecken 
und  erschliessen.  i) 


1)  Phantasie.*) 

Was  treibst  du  hier,  Columbo,  wenn  du  so 
Den  Zirkel  dehnst  und  wieder  faltest? 
Columbo. 

Wer 
Bist  du,  der  mich  das  fragt? 
Phantasie. 
Ich  bin  nichts  weiter 
Als  deine  eigne  Einbildung. 
Columbo. 

Wohl  weiss  ich, 
Der  Weise,  wenn  er  arm  ist,  kann  auf  Erden 
Nur  ruhmlos  untergehn. 

Phantasie. 

Doch  schwillt  dein  Ruhm, 
Der  deiner  harrt,  schon  der  Posaunenton. 

*)  Nach  M.  Rapp's  Uebers. 


Granada  und  die  Neue  Welt.  63 

Hiernächst  folgt  Mahomed's,  des  Eey  Chico,  des  Klein- 
königs von  Granada,  des  zum  Schlusspunkt  eingeschrumpften  spa- 


Columbo. 
Nach  meiner  Heimath  zieh'  ich  traurig  wieder, 
Da  mir  kein  Glück  blüht. 

Phantasie. 

Spanien  bietet  dir, 
Ist  erst  sein  Krieg  zu  Ende,  hohe  Ehren. 

Columbo. 
Der  Krieg  in  meinem  Innern  macht  mich  matt; 
Drum  lass  mich  wandern. 

Phantasie. 

Nicht  doch  darf  ich  das, 
Vielmehr,  dass  du  mir  folgest,  bin  ich  da. 

Columbo. 
Und  wohin  führst  du  mich? 
Phantasie. 

Halt  dich  fest  an  mich! 
Columbo. 
Halt  ein!  sonst,  Phantasie,  muss  ich  verzweifeln. 

Phantasie. 
Vertraue  mir. 

Columbo. 
Wohin  wirst  du  mich  stürzen? 
Phantasie. 
Wo  deine  Wünsche  Wahrheit  werden  sollen. 
(Die  Phantasie  hat  inzwischen  Columbo  mit  in  die  Lüfte  erhoben  und  senkt 
sich  wieder  herab,  während  im  Hintergrund  der  Bühne  ein  Thron  sichtbar 
wird,  auf  dem  die  Vorsehung  sitzt;  zu  beiden  Seiten  steht  die  christ- 
liche Keligion  und  der  Götzendienst.) 
Vor  diesem  Thron  wird  dein  Geschäft  verhandelt. 

Columbo. 
Wer  ist  der  Eichter,  der  hier  sprechen  soll? 

Phantasie. 
Es  ist  die  göttliche  Vorsehung  selbst. 
Der  Götzendienst  spricht  als  dein  Widersacher. 

Columbo. 
Und  wer  dagegen  führt  für  mich  das  Wort? 

Phantasie. 
Das  ist  der  Christenglauben.  —  Göttliche 
Vorsehung  und  erhabne  Eeligion, 
Christof ero  Columbo  führ'  ich  vor  euch. 


64  Das  spanische  Drama. 

Vorsehung. 
Was  hast  du  hier  zu  sagen,  Götzendienst? 

Götzendienst. 
Dass  an  meinem  Besitzthum  ich  festhalte. 

Eeligion. 
Und  dass  mein  Anspruch  dran  vollgültig  ist. 

Götzendienst. 
Unvordenkliche  Jahre  ist  es  her, 
Dass  ich  im  abendländischen  Indien 
Das  Volk  mit  meinem  Truge  hab'  umsponnen. 
Nun  willst  du,  Christenthum,  es  mir  entreissen 
Aus  dem  Besitz  durch  einen  armen  Schlucker? 
Dem  Teufel  zugesprochen  sind  die  Länder. 

Eeligion. 
Unrechtmässig  Besitzthum,  das  verjährt  nicht. 
Bewies  ich  dir  nicht,  dass  seit  der  Erlösung 
Der  Menschheit  Herrschaft  du  mit  Unrecht  ansprichst? 
Denn  Christi  Testament  bot  ich  der  Kirche, 
Sie  ist  die  Erbin,  ihr  ist's  übergeben. 

Götzendienst. 
Mit  Testamenten  hab'  ich  nichts  zu  thun. 

Eeligion. 
Mit  Blut  ist's  festgemacht,  mit  sieben  Siegeln 
Der  sieben  Sacramente  fest  gesiegelt. 
Auch  Indien  hat  drauf  Anspruch,  seiner  Leiden 
Frucht  will  Gott  sehn;  drum.  Schnöder,  huldge  ihm. 

Götzendienst. 
Mit  deiner  Erlösung  hab'  ich  nichts  zu  schaffen. 

Vorsehung. 
Da  von  des  Götzendiensts  falschem  Besitz 
Nicht  kann  die  Eede  seyn,  drum,  Eeligion, 
Kehre  dich  nicht  an  sie;  deine  Eroberung 
Um  Christi  wiUen  ist  längst  ausgesprochen. 

Götzendienst. 
Mit  Waffen,  List  und  Mannschaft  werd'  ich's  wehren. 
Die  unwissenden  Indier,  die  die  Sonn' 
AUein  anbeten,  fragen  nach  dem  Kreuze? 

Eeligion. 
Zu  deinem  Schrecken,  eh  du  es  vermuthest. 

Götzendienst. 
Leid  es  nicht,  Vorsehung,  dass  sie  dies  Unrecht 
An  mir  begehn;  ihr  Eifer  ist  nur  Geiz. 
Unter  dem  schönen  Namen  Eeligion 
Ist  es  nur  Gold  und  Silber,  was  sie  suchen. 


Colon's  Visioü.  65 

Vorsehung. 
Um  ihre  Herzensmeinung  richte  Gott; 
Wenn  er  durch  dieses  Gold,  das  sie  begehren, 
Seelen  errettet,  ist's  des  Himmels  Vortheil, 
Und  dieser  muss  dem  irdischen  doch  vorgehn. 
Vorm  christlichen  Fernando,  der  den  Anfang 
Macht  dieser  Unternehmung,  schweigt  der  Argwohn, 

Ein  Teufel  (ruft  von  innen). 
Ich  bitt'  um  die  Erlaubniss  einzutreten. 

Vorsehung. 
Wer  ist's? 

Teufel. 
Der  König  ist's  des  Abendlandes. 
Vorsehung. 
Ich  kenne  dich,  Verfluchter,  schon;  tritt  ein. 
(Der  Teufel  kommt.) 
Teufel. 
0  heil'ges  Tribunal,  ewige  Vorsicht, 
Columbo  sendest  du  zu  frischer  Qual? 
Erkennst  nicht  lang  verjährt  meinen  Besitz  an? 
0  wecke  nicht  Fernando!  lass  ihn  ziehn 
In  seine  Kriege!  Nie  gekannte  Länder 
Erschliessest  du  ihm,  und  das  heisst  dir  Recht? 

Vorsehung. 
Verstumme,  Mund  der  Bosheit! 
Teufel. 

Christenthum? 
Ja  Gold  und  Geldgier  ist  es,  was  sie  antreibt, 
Spanien  bedarf  nitjht  Goldes,  hat's  in  sich; 
Lasst  sie  nur  suchen,  ich  wiH's  zu  Tage  fördern, 
Meine  unterird'schen  Diener  sollen's  weisen; 
Doch  nie  gesehenes  Land  und  Meer  lass  du 
In  meinen  einzigen  Registern  laufen, 
Und  handle  nicht  an  mir  mit  solchem  Unrecht. 

Vorsehung 
Diese  Eroberung  muss  zu  Stande  kommen. 

TeufeL 
Hab'  ich  nicht  Macht?  Bin  ich  nicht  stark  und  klug? 
Wir  treffen  uns  dort  drüben,  er  und  ich. 

(Geht  ab.) 
Vorsehung. 
Führ',  Phantasie,  ihn  zum  König  Fernando! 

Götzendienst. 
So  geht  man  um  mit  mir? 
X.  5 


66  I^as  spanische  Dram. 

Phantasie. 

Komm,  Freund  Columbo. 
Columbo. 
Ist's  möglich,  Phantasie?  auf  deinen  Schwingen? 
(Sie  verschwinden.) 

Imag.   ^Que  es  lo  que  piensas,  Colon. 

Que  el  compas  doblas  y  juntas? 
Col.       ^Quien  eres,  que  lo  preguntas? 
Imag.   Tu  propia  imaginacion. 
Col.       Pienso  que  el  que  es  pobre  y  sabio 

muere  en  el  mundo  sin  fama. 
Imag.   Ya  de  la  que  a  ti  te  Uama 

rompe  la  trompeta  el  labio. 
Col.       Quiero  boluerme  a  mi  tierra, 

que  no  hallo  en  nadie  favor. 
Imag.  Espana  te  ofrece  honor 

en  acabando  la  guerra. 
Col.      La  de  mis  desdichas  sigo, 

dexame  yr  a  descansar. 
Imag.  Ya  no  te  puedo  dexar, 

que  te  he  de  Ueuar  conmigo. 
Col.      ^Adonde  quieres  lleuarme? 
Imag.  Asete  a  mi  fuertemente. 
Col.       Imaginacion  detente, 

que  quieres  desesperarme. 
Imag,   Conmigo  has  de  yr,  ven  tras  mi. 
Col.      ^A  donde  me  precipitas? 
Imag.   Donde  lo  que  solicitas 

veas  si  ha  de  ser  ansi. 
(Llevansele  en  el  ayre,  y  Uevele  al  otro  lado  del  teatro,  donde  se  descu- 
bra  un  trono,  en  que  este  sentada  la  Providencia,   ya  los  lados  la 
Religion  Christiana  y  la  Idolatria.) 

Atiende  en  aquesta  Audiencia 

de  tu  negocio  el    cnydado. 
Col.      ^Q^iöii  jiizga  en  aqueste  estrado? 
Imag.  La  divina  Providencia. 

Con  SU  retorica  vana 

la  idolatria  te  ofende. 
Col.      ^Quien  es  la  que  me  defiende? 
Imag.  Es  la  Religion  Christiana. 

Ya  divina  Providencia 

la  christiana  Religion 

al  gran  Cristoval  Colon 

ha  traydo  a  tu  presencia. 


Colon's  Vision.  67 


Prov.    <iQue  dizes,  Holatria? 

Idol.     Que  a  mi  possession  me  atengo. 

Rel.      Yo,  que  a  pretenderla  vengo, 
porque  de  derecho  es  mia. 

Idol.     Tras  afios  inmimerabiles, 

que  en  las  Indias  de  Ocidente 
Vino  enganando  la  gente 
Con  mis  errores  notables. 
Tu,  Christiana  Religion, 
por  medio  de  un  hombre  pobre 
quieres  que  tu  fe  la  cobre 
estando  la  possession. 
El  demonio  en  ellas  viue,; 
la  possession  le  entregue. 

Rel.      quien  possee  con  mala  fe, 

en  ningun  tiempo  prescribe. 
ya  estä  muy  averiguado 
que  desde  su  Redencion 
me  usurpas  la  possession, 
todo  lo  tengo  prouado. 
El  testamento  de  Christo 
a  la  Iglesia  presente, 
ella  la  heredera  fue, 
como  en  el  traslado  has  visto. 

Idol.     Que  no  entiendo  testamentos. 

Rel.      Estä  con  sagre  firmado, 
Con  siete  sellos  sellado 
de  los  siete  Sacramentos. 
De  la  fe  las  Indias  son, 
Dios  quiere  gozar  su  fruto, 
,    buelue  le  infame  el  tributo. 

Idol.     Ya  no  tiene  redencion. 

Prov.    Pues  de  lo  que  estä  cobrado 
por  la  falsa  idolatria 
no  ay  hablar  Religion  mia, 
vaya  a  mal  lo  mal  ganado. 
Esta  cenquista  se  intente, 
que  para  Christo  ha  de  ser. 

Idol.     Yo  la  pienso  def ender 

Con  armas,  industria  y  gente. 
(JÜnos  Indios  ignorantes 
que  adoran  sola  la  luz, 
adoraran  vuestra  Cruz? 

Rel.       Y  tan  presto,  que  te  espantes. 


68  i>as  spanische  Drätoä. 

Idol.     No  pennitas  Providencia 
hazerme  esta  sinjusticia 
pues  los  lleva  la  codicia, 
a  hazer  esta  diligencia 
So  color  de  Religion, 
van  a  buscar  plata  y  oro 
del  encubierto  tesoro. 

Prov.    Dios  juzga  de  la  intencion. 

Si  el,  por  el  oro  que  encierra 

gana  las  almas  que  ves, 

en  el  cielo  ay  interes, 

no  es  mucho  le  aya  en  la  tierra. 

y  del  Christiano  Fernando 

que  da  principio  a  esta  empressa, 

toda  la  sospecha  cessa. 

(Dentro  un  demonio.) 

Dem.     Licencia  de  entrar  demando. 

Prov.    ^Quien  es? 

Dem.  El  Key  de  Ocidente. 

Prov.    Ya  se  quien  eres  maldito;  entra. 
(Entra  aora.) 

Dem.     0  tribunal  bendito, 

Providencia  etemamente. 
^Donde  embias  a  Colon 
para  renovar  mis  danos? 
^no  sabes  que  ha  muchos  anos 
que  tengo  alli  possession? 
No  despiertes  a  Fernando. 
Dexale  andar  en  sus  guerras, 
las  no  conocidas  tierras 
andas  aora  ensenando 
En  ti  caben  sin  justicia. 

Prov.    Calla  boca  de  maldad. 

Dem.     No  los  lleva  Christiandad, 
sino  el  oro  y  la  codicia. 
Espana  no  ha  menester 
oro,  que  oro  tiene  en  si; 
sepanlo  buscar  alli, 
que  aun  yo  lo  bare  parecer 
Mis  subterraneos  ministros 
lo  mostrarän.  Dexa  estar 
la  no  vista  tierra,  y  mar, 
sino  en  solo  mis  registros. 
No  me  hagas  este  agravio 


Eey  Chico's  Abschied  von  Granada.  69 

nisch-mauiischen  Emirats,  Unterwerfung  und  rührend  ergreifen- 
der Abschied  von  Granada.  i) 


Prov.    La  conquista  se  ha  de  hazer. 
Dem.     Y  yo  no  tengo  poder, 

no  soy  fuerte,  no  soy  sabio. 

(Vayase  el  demonio.) 
Vaya  en  bnen  hora  que  allä 
nos  aucudremos  yo  y  el. 
Prov.    Ve  Imaginacion  con  el 

Donde  el  Rey  Fernando  esta. 
Idol.     Bien  tratas  la  idolatria. 
Imag.   Vamos  amigo  Colon. 
Col.      (iQue  es  esto,  Imaginacion 
es  possible  que  ires  mia? 
(Vanse  y  cierrase  el  trono.) 
1)  „Leb  wohl,  berühmtes,  herrliches  Granada, 

Du  Spaniens  Lorbeer,  der  den  Wipfel  birgt 
Im  lichten  Schneeglanz  der  Sierra  Nevada, 
Die  doch  von  vielem  Blut  steht  roth  gefärbt. 
Leb  wohl,  mein  Albaicin,  geliebte  Alhambra, 
Leb  wohl,  Generalife,  o  meine  Heimath! 
Des  Himmels  Zorn  hat  mich  aus  dir  verbannt 
Und  dich  dem  Christenthum  dahingegeben. 
Vom  höchsten  Thurm  bis  in  die  Tiefen  nieder 
Seufzt  nun  die  Noth,  mein  Elend  zu  beweinen, 
Was  sonst  in  meinem  Glück  sich  warm  gesonnt. 
Kleinfürst  schilt  mich  die  Welt  bis  diesen  Tag, 
Doch  klein  soll  mich  die  Welt  nicht  für  der  nennen, 
Dem  ein  so  grosser  Schmerz  im  Busen  wüthet." 
A  Dios  famosa  e  inclita  Granada 
Laurel  de  Espana  que  su  freute  cierra 
blanca  y  hermosa  en  la  nevada  sierra, 
bermeja  ya,  de  sangre  derramada. 
A  Dios  el  mi  Albaycin,  y  alhambra  amada 
ä  Dios  Generalife,  a  Dios  mi  tierra, 
que  ya  de  vos  la  embidia  me  destierra 
que  se  ha  juntado  a  la  Christiana  espada. 
De  la  torre  mas  alta  a  lo  profundo 
gima  tu  pesadombre,  a  quien  suplico 
Llore  mi  mal  si  le  alegrö  mi  dicha, 
Si  el  Eey  Chico  hasta  aqui  me  llama  el  mundo 
No  me  Uame  de  oy  mas  el  mundo  chico 
pues  ha  cabido  en  mi  tan  grau  desdicba, 


70  Das  spanische  Drama. 

Wir  sind  wieder  im  Palastsaale  zu  Toledo,  und  aber-  und 
abermals  setzt  Colon  seinen  Entdeckungsplan,  diesmal  dem  ihm 
wohlwollenden  Grossschatzmeister,  auseinander,  um  letzt- 
gültig den  ersten  Act  mit  seinem  dem  katholischen  Königspaar 
vorgetragenen  Anerbieten  einer  „neuen  Welt"  zu  schliessen,  be- 
hufs deren  Entdeckung  er  vom  Könige  Fernando  die  verlangte 
Geldsumme  von  19,000  Ducaten  angewiesen  erhält,  begleitet  von 
Königin  Isabels  Vertrauenszuspruch  und  Eeisesegen.  i) 

Des  zweiten  Actes  erste  Scene  spielt  auf  dem  Verdeck 
des  Admiralschiffs.  Sie  stellt  die  gegen  Colon  ausgebrochene 
Meuterei  dar.  Seiner  Zeit  ein  dramatisches  Schaustück  von  kühner 
Neuheit,  die  noch  als  Nachahmung  2)  auf  der  Berliner  Hofbühne 
„packte".  Nicht  minder  originell  ist  die  nächstfolgende  auf  „ei- 
ner Insel"  der  neuen  Welt  von  den  Eingebornen  gespielte  Scene, 
die  erste  wohl  dieser  Art,  an  Colorit  und  Charakteristik  bewun- 
demswerth.  Ein  Hochzeitslied,  gesungen  und  gesprungen  von  In- 
dianerinnen, begrüsst  des  Häuptlings  Dulcankeljin  und  Ta- 
cuana's  Vermählungsfeier.  ^)  Der  Häuptling  Dulcan  hat  einem 


Nur  Othello's  Abschied  von  seinen  Waffen,  Kriegsruhm  und  Trophäen 
greift  rührend  mächtiger  und  schöner  an's  Herz,  weil  sein  Lebewohl  aus 
einem  wahnverstörten  und  doch  heroischen  Herzen  hervorbricht. 

1)  Isab.  „Ein  so  begeistertes  Verlangen  muss 

Der  Himmel,  mein'  ich,  sichtbarlich  begünstigen 
Und  mein  Eath  ist,  dass  er  die  Keise  wage." 

2)  In  Werder's  „Columbus"  dehnt  sich  diese  Verdeckscene  zu  einem 
ganzen  wirkungsvollen  Act  aus. 

3)  „Heut  im  schönen  Schein  der  Sonne 

Heut  im  Sonnenschein, 
In  der  schönen  Morgensonne, 

Heut  im  Sonnenschein, 
Da  verbinden  sich  in  Wonne 

Heut  im  Sonnenschein 
Dulcankeljin  und  Tacuana 

Heut  im  Sonnenschein. 
Phöbus  er  und  sie  Diana 

Heut  im  Sonnenschein, 
Dem  Caziken,  unsrem  Schönen, 

Heut  im  Sonnenschein 


Colon  und  die  Rothhäuter.  71 

andern  Caziken,  dem  Tapirazä  die  Gattin,  Tacuana,  gewalt- 
sam entrissen,  die  ihren  Hass  gegen  den  Tyrannen  in  ihrem, 
dem  rechtmässigen  Gatten  verpflichteten  Herzen  verschliesst.  ^)  So 
charakteristisch  der  gegen  Recht  und  Gesetz  stumpfe  Gewaitsinn 
des  wilden  Rothhäuters  ist,  hätte  Lope  doch  an  seine  national- 
stolze Dichterbrust  demüthiglich  schlagen  müssen,  in  Erinnerung 
so  manches  seiner  Landesfürsten,  insonders  König  Pedro's  I.  von 
Castilien,  der  solcher  Raubacte  mehr  denn  einen  ausführte,  und 
noch  obenein  mit  dem  Blute  der  Ehemänner,  deren  Frauen  Pedro  L 
entrajßft  und  geschändet,  sich  tätowirte.  Auf  welcher  Seite,  pa- 
triotisch-hochsinniger Colon -Dichter,  der  Caziken -wilde  Blut- 
Soll  sich  unsre  Braut  gewöhnen 

Heut  im  Sonnenschein, 
Sey  das  Paar  und  unsre  Feier 
Heut  im  schönen  Schein  der  Sonne, 
Heut  im  Sonnenschein." 
Oy  que  sale  el  sol  divino, 

Oy  que  sale  el  sol: 
Oy  que  sale  de  manana, 

Oy  que  sale  el  sol: 
se  Junta  de  buena  gana 

Oy  que  sale  el  sol: 
Dulcanquellin  con  Tacuana, 

Oy  que  sale  el  sol: 
el,  Febo,  y  ella  Diana, 

Oy  que  sale  el  sol: 
ya  esposa  de  tal  esposo, 

Oy  que  sale  el  sol: 
Consagre  el  canto  famoso: 
Oy  que  sale  el  sol  divino, 
Oy  que  sale  el  sol. 
1)  Tacuana  (für  sich).      Wehe  mir. 

Wenn  ich  wie  mir  das  Herz  spricht,  reden  wollte! 
Verstellung  zügle  des  Tyrannen  Wuth, 
So  lang  das  Glück  ihm  beisteht,  nicht  das  Recht. 
Toc.  Oy  de  mi 

Si  como  quisiera  hablara. 
Dissimulad  cora^on 
la  fuerza  de  este  tyrano, 
mientras  que  tiene  la  mano 
pas  Ventura  que  ra^on. 


72  Das  spanische  Drama. 

götzendienst  verderblicher  rasete:  diesseits  oder  jenseits  der  Säu- 
len des  Hercules,  ob  bei  den  Pedro's  L  und  Pelipe's  und  deren 
Vicekönigen  in  der  neuen  Welt,  oder  bei  den  Dulcankeljin's  und 
sonstigen  Häuptlingen  der  kupferfarbigen  Menschenfresser  West- 
indiens —  dies  möchte  dein  erfindungsreicher,  von Kuhmesglanz 
deines  Volkshelden  gesättigter  Komödienpinsel  nicht  genugsam 
erwogen  haben,  du  grösster  aller  spanischen  Nationaldichter!  Den 
wilden  Tapirazä,  den  lässt  du  vom  Gebirge  mit  einer  Keule 
bewaffnet  hervorbrechen,  um  den  an  ihm  und  seinem  Weibe  be- 
gangenen Gewaltraub  zu  rächen,  oder  zu  sterben  zu  seines  Wei- 
bes Füssen,  i)  Es  wird  sich  offenbaren,  ob  du  in  ähnlichem 
Sinne  deiner  Pedro's  und  anderer  spanischer  Caziken  Hel- 
den-Comedias  gedichtet  hast.  „Ergreif  ich  dich"  -~  schnaubt 
der  wilde  Hahnrei-Häuptling,  Tapirazä,  über  den  wilden  Ehe- 
schänder, Dulcan,  die  Keule  schwingend,  die  Pedro  I.  über  die 
von  ihm  beschimpften  Gatten  schwang: 

„Ergreif  ich  dich,  schleudr'  ich  dich  an  den  Boden, 
Dass  du  der  Erde  Mittelpunkt  durchstichst 
Und  auf  der  andern  Seite  kommst  zu  Tage!'* 2) 

Als  dein  eigener  Gegenfüssler,  als  König  Pedro  L  von  Casti- 
lien!  So  schnauben  aber,  du  Stromesurne,  wie^des  goldreichen 
Tajo  unerschöpflich  strudelnder  Komödien-Goldkrug!  —  so  grol- 
len deine  Comedias  die  hunnischen,  buhlsüchtigen,  mörderischen 
Blutkaziken  nicht  an. 


1)        „Doch  ich  fürchte  mich  nicht  und  hier  steh'  ich! 
Zu  Füssen  meines  Weibes  wiU  ich  sterben. 


Kämpf  mit  mir 
Um  diese  Keule!"  .  .  . 

Pero  no  he  temido  yo, 
que  aqui  me  tienes  presente. 
Donde  solo  a  morir  vengo 
a  los  ojos  de  mi  esposa  .  .  . 
juega  conmigo  esta  ma^a  .  .  . 
2)  Si  te  coxo  he  de  arrojarte 

de  suerte  al  centro  profund  0 
que  has  de  atravesar  el  mundo, 
y  pastar  de  la  otra  parte, 


Aufrichtung  des  Kreuzes.  73 

Den  Keulen  -  Zweikampf  trennt  der  Entdeckungsschrei  von 
aussen:  „Land!  Land!  Land!"  Land  —  dessen  iberische  Gegen- 
füssler  sich  vor  den  seinigen  dadurch  auszeichnen,  dass  sie  zu- 
gleich mit  den  Menschen  die  Länder  fressen;  Menschenfresser 
und  Länderfresser  auf  Einen  Bissen,  unter  frommen  Anrufen: 
„Heilige  Maria!"  „Heiliger  Johannes!"  „Heiliger  Petrus!"  Dahin 
verständigt  denn  auch  Kazike  Dulcan  den  Indianer  Aute,  der 
dahergerannt  kommt,  meldend  in  keuchender  Eile  von  scheinba- 
ren „Häusern",  die  als  Thiere  in  Bewegung  sind,  in  deren  In- 
nerem Leute  hausen,  „die  auf  dem  Kopf  und  selbst  in  den  Ge- 
sichtern führen  Busch-  und  Haarwerk."  „Unwissender"  —  be- 
lehrt ihn  Dulcan: 

„Unwissender,  was  sagst  du?  Das  sind  Fische, 
Fische,  die  brüUend  durch  die  Insel  ziehn, 
Um  sich  mit  Menschenfleische  zu  ersätt'gen; 
Sie  haben  jene  Leute  eingeschluckt, 
Die  jetzt  in  Angst  nach  ihren  Göttern  rufen 
Und  wegen  Ueberfrasses  sie  an*s  Ufer 
Ausspeien,  jedesmal  mit  mächtigem  Donner, 
Der  ihnen  aus  dem  Eingeweid  hervorbricht."  i) 

Die  von  den  hölzernen  Walfischen  ausgespieenen  weissen 
Buschmänner  und  Heiligen-Anrufer  beim  Verschlucken  ganzer 
Erdhalbkugeln  treten  nun  auf.  Die  Indianer  stieben  entsetzt 
davon.  Colon's  Bruder,  Bartolomeo,  fällt  sogleich  über  das 
von  Cr  ist  oval  als  „Land!  0  erwünschtes  Land!"  begrüsste 
Eiland  her,  um  es,  wie  das  Raubthier  seine  Beute  beleckt,  unter 
Küssen  zu  verspeisen.  2)   Colon  pflanzt  das  ihm  vom  Pater  dar- 


1)  (iignorante,  que  dizes? 
Peces  son,  peces  que  braman, 
que  andando  por  essas  islas 

a  hartarse  de  came  humana, 
Se  han  comido  aquessos  hombres 
que  a  vozes  sus  dioses  Uaman. 
y  con  la  gran  pesadombre 
los  vomitan  en  la  playa, 
dando  un  trueno  cada  uno 
que  arrojan  de  las  entranas. 

2)  Bar  toi.  „Ich  küsse  dich, 

Geliebte  Erde!" 


74  r^as  spanische  Drama. 

gereichte  Kreuz  auf:  „Dies  soll  der  Leuclitthurm  seyn,  der  die- 
ser Welt  ein  neues  Licht  entzündet."  0  Ach!  an's  Feuer  denkst 
du  nicht  in  deiner  Taubenunschuld,  Colombo!  an's  Scheiterhau- 
fenfeuer, das  die  spanischen  Patres  mit  Christi  Marterholz  wie 
mit  einem  brennenden  Holzscheit  anzünden  werden!  Colon,  Pa- 
ter Buil,  Bartolomeo  und  die  Andern  überbieten  sich  in 
verzückt  poetischen  Apostrophen  an  das  Kreuz.  2)  Durch  die 
Kreuzeserhöhungs  -  und  Aufrichtungsfeier  bricht  die  Indianerin 
Palca,  die  mittelst  Zeichen,  begleitet  von  gutem  a  parte 
gesprochenen  Spanisch,  sich  mit  den  „schönen,  liebreichen 
Männern"^)  verständigt.    Zunächst  verhandelt  die  Zeichensprache 


Bartol.  yo  te  beso,  amada  tierra. 

1)  Colon.   Padre  dadme  aquessa  Cruz, 

que  aqui  la  quiero  poner, 
que  este  el  farol  ha  de  ser 
que  de  al  mundo  nuevo  luz. 

2)  Colon.  „Glorreich  Bett, 

Worauf  genagelt  uns  der  Gottmensch  starb. 
Du  bist  das  Lichtpanier  wider  die  Sünde  .  .  . 
Pater.     Du  Mast  des  schönen  Schiffes  unsrer  Kirche  .  .  . 
Bartol.   Du  heiliger  Stab  Mosis,  der  dereinst 

Das  rothe  Meer  getheilt,  Leuchthurm  und  Compass !  .  .  . 
Arana.   Du  grüner  Siegeslorbeer  vom  Haupte  Christi  .  .  . 
Du  Gold,  inmitten  aufgestellt  der  Schlacken 
Schnöder  Abgötterei"  .  .  . 
Und  dessen  heiliger  Dienst  entweiht  ward  durch  schnöde  Abgötterei,  ge- 
trieben  mit  dem  die  grössten  Gräuel  und  Frevel  Übergleissenden  Gold- 
götzen ! 

Col.     Cama  ilustre  donde  Dios 

hombre  murio  echado  en  ella  .  .  . 
Fr  ad.  Arbol  de  la  nave  hermosa 

de  la  iglesia. 
Bart.   Vara  de  Moysen  divina 

que  dividio  el  mar  bermejo 
farol,  norte,  luz,  espejo  .  .  . 
Ära.     Verde  laurel  de  victoria 

de  la  cabeza  de  cristo  .  .  . 
Oro  en  medio  de  la  escoria 
desto  falsa  idolatria  .  .  , 

3)  hombres  hermosos  —  amorosos, 


Palca  und  Glaskorallen.  75 

Über  Essen  und  Trinken.  Palca  versteht  sich  aufs  Tischlein 
deck  dich.  Colon  gewinnt  ihre  Gastfreundschaft  durch  jenen 
seitdem  so  erfolgreich  bewährten  Wilden-Köder  und  Angelhaken : 
Spiegelchen,  Schellen,  Glaskorallen,  wofür  die  Farbigen 
den  Weisshäutern  Grund  und  Boden,  ganze  Ländergebiete,  Welt- 
theile  sammt  edlen  Metallen  und  Edelsteinen  hingeben,  See?  und 
Seligkeit  in  Kauf:  wie  ja  die  Spiegel-,  Schellen-  und  Glasperlen- 
tauscher  selber  für  ähnliche  Sächelchen  auch  ihr  Gut  und  Blut, 
ihre  Seel  und  Seligkeit,  ihre  Menschenwürde,  Menschenverstand, 
Freiheit  und  Gewissen  den  Patres  preisgaben.  Gegenfüssler,  wilde 
oder  cultivirte  —  beim  Licht  besehen,  ist  der  Unterschied  nicht 
gar  gross.  Beiderlei  Gegenfüssler  sehen  sich  im  Pater-Spiegel- 
chen vierbeinig  und  ergötzen  sich  am  Anblick,  wie  Palca.  Der 
wilde  und  civilisirte  Gegenfüssler,  Beide  schütteln  die  Schelle  vor 
den  Ohren  und  freuen  sich  des  Glöckchens,  wie  der  Maulesel, 
und  greifen,  wie  dieser,  noch  eins  so  frisch  in's  Geschirr,  oder 
fallen  gar,  wie  das  Lama  der  Peruaner,  beim  Klingeln  auf  die 
Kniee.  Und  die  Glaskorallen?  Seht  doch  den  Buddhadiener,  ob 
er  nicht  die  Betkorallen  seines  Eosenkranzes  so  stillentzückt  durch 
die  Finger  schlüpfen  lässt,  wie  seine  Gegenfüsslerin,  Lope's  In- 
dianerin, Palca,  die  Glasperlen  der  schmucken,  ihr  vom  Pater 
gereichten  Handwurzelschnüre!  Kaum  entfernen  sich  die  Ent- 
decker der  neuen  Welt,  sind  auch  schon  die  Indianer  furcht- 
sam neugierig  herbeigeschlichen  und  staunen  verblüfft  das  aufge- 
richtete Kreuz  an.  Dulcan  erblickt  darin  den  Pflock,  woran 
die  „Ausgespienen"  ihre  „Meereshäuser"  (die  Fische)  festbinden. 
Ante  möchte  es  lieber  für  ein  Wahrzeichen  halten,  „den  Son- 
nenlauf am  Schatten  zu  erkunden,  den  wahren  Mittag  ihres  Lichts 
zu  finden."  1)  Deutungen,  wie  man  sieht,  mit  christlich-mysti- 
schen Anspielungen  auf  das  Kreuzessymbol,  die  sich  wunderlich 
genug  im  Munde  von  wilden  Indianern  ausnehmen;  für  die  spa- 
nisch parallele  Doppelsichtigkeit  aber  keineswegs  wunderlich,  son- 
dern  rechtgläubig   wunderhaft   und  wunderglaubwürdig,   womit 


1)  Ante  pienso  que  es  senal, 

para  en  su  sombra  entender 
del  sol  el  curso,  y  saber 
de  la  luz  el  medio  igaal. 


7Ö  Das  spanische  Drama. 

hinwiederum  des  Kaziken  D  nie  an  Aufforderung  an  seine  India- 
ner: das  Kreuz  zu  Boden  zu  werfen,  recht  gut  verträglich 
und  vereinbar.  Es  fallen  darüber  einige  Flintenschüsse  von 
aussen.  Die  Indianer  stürzen  vor  Schreck  zu  Boden,  und  be- 
kehren sich  augenblicks,  mit,  Ansprachen  an's  Kreuz,  die  den 
vorhin  von  den  spanischen  Yerherrlichern  desselben  abgehaltenen 
Adorationen  an  frommpoetisch  inbrünstigen  Gleichnissen  nicht 
nachstehen.!)  Nun  bringt  ihnen  Palca  die  von  den  „liebrei- 
chen" Fremdlingen  dargebotenen  Geschenke:  die  Schellen 
—  an  Hand-  und  Fussschellen  denken  dabei  die  rothhäutigen 
Naturkinder  nicht  entfernt.  Fällt  doch  Kazike  Dulcan,  beim 
Erblicken  der  niedlichen  Schellen,  in  ein  Wonnetänzeln,  wie  der 
Monostat  in  der  „Zauberflöte"  bei  Papageno's  Klingelkasten. '^) 
Die  Spiegel,  „o  Himmel!"  —  Sie  sehen  sich,  beim  ersten  Blick 
aufs  Glas,  zu  doppelsichtigen  Spaniern;  Jeder  sich  selbst  par- 
allel und  doppelt,  und  Jeder  zugleich  die  Anderen !    Dabei  über- 


J)   Tacuana.  ...  Du  heiiges,  du  schönes  Holz!  .  .  . 
Wir  aUe  sind  bereit,  dich  anzubeten. 

Dulcan.     Schon  auf  den  Knieen  liegen  wir  vor  deiner 
Unfassbaren  Majestät,  du,  reicher,  süsser, 
Als  jedes  Zündholz,  würdig,  dass  der  Phönix, 
Der  bis  zur  Sonn'  auffliegt,  auf  dir  stiU  sitze  .  . 
(„in  Dir  ende'*,  in  Deiner  Gluth  sterbe  und  wieder  auflebe.) 
s.  w. 

Tac.     Palo  santo,  palo  hermoso  .  .  . 

Que  ya  todos  te  adoramos 
Dulc.  Ya  de  rodillas  estamos 
a  tu  Magestad  inmensa, 
Palo  mas  rico  y  suave 
Que  el  cinamomo  y  canela, 
digno  que  el  Fenix,  que  buela 
hasta  el  sol,  en  ti  se  acabe. 
Ansi  fenesca  su  vida 
en  ti  madero  famoso, 
y  de  tu  fuego  oloroso 
nasca  otra  vez  consumada 

2)  „Seht  an!  Lass  klingen!  0  welch  süsses  Ding!'' 

Suena  a  ver,  que  Hnda  cosa, 


Sacra  Pameö.  77 

rascht  sie  Colon  mit  seiner  Mannschaft.  Flugs  retten  sich  die 
wilden  kupferfarbigen  Tauben  auf  die  nächsten  Felsen.  Die  Spa- 
nier kirren  und  locken  sie  wieder  heran;  der  Pater  mit  dem 
Kreuz  1)  als  Stellholz  im  Taubenschlag.  Colombo  hat  seinen 
Plan  bezüglich  der  wilden  indianischen  Tauben  schon  gefasst: 
„Von  diesen,  denk'  ich,  zehn  einzufangen,  einzuschiffen,  sodann 
Thier  und  sonstige  Vögel,  was  hier  des  Ungewohntesten  sich  dar- 
beut." 2)  Thiere  und  Vögel  —  Lumperei!  Gold!  Gold!  gesticu- 
liert  der  Mitargonaute  Pinzon  den  Indianern  vor,  bis  zum  Fin- 
gerkrampf. Land!  Land!  Gold!  Gold!  ist  des  Steuermanns  Pin- 
zon Eaubvogelschrei ;  das  goldene  Vliess,  dies  nur  ist  der  spani- 
schen Ärgo  Fahrtpreis  und  Ziel,  dessen  Abbild  in  kolossalstem 
Maassstab  das  westindische  Kolchis,  die  neue  Welt,  darstellt,  wie 
Iberiens  Conterfei,  dem  Strabo  zufolge,  eine  Stierhaut  ist,  deren 
Tajo- Vergoldung  aber  nicht  so  stichhaltig,  wie  des  Flusses  Pak- 
tolos  am  Kolchischen  Vliesse  erprobte  Durchgoldung.  Drum  schreit 
und  gesticuliert  Pinzon  immer  eifriger  nach  Gold^),  und  Colon 
nach  Land, ^)  Argonaute  Arana  springt  ellenhoch  vor  Ver- 
gnügen „über  das  Gold,  das  Colon  ausführen  wird."    Colon's 


„Vorstenen  wül  ich  ihnen  unser  Kreuz; 
Bereits  beginnen  sie  es  anzubeten  .  .  . 

VS^elch  offenbares  Wunder, 

Dass  hier  die  wilden  Thiere,  blind  und  stumm,  es 
Bereits  verehren!** 
Prade.  Mi  Cruz  les  quiero  sacar, 
ya  la  empie9an  a  adorar 


que  müagro  tan  patente, 
que  estos  animales  rudos 
la  adoren  ciegos  y  mudos  .  .  . 

2)  Diez  de  estos  pienso  Uevar. 
Llevare  animales  y  aves 

Los  que  aqui  estranas  huviere. 

3)  Colon.     Du  meinst  wohl  Gold? 
Pinzon.  Nur  dieses. 

4)  Colon  (gegen  die  Indianer  gewendet.) 

Giebt's  weiter  hier  auch  Land  noch?  . 
Ein  grosses  Land  muss  es  noch  geben. 


78  I^as  spanische  Drama. 

Gegenversicheruüg:  „des  Volkes  Erlösung  ist  mein  höchster 
Schatz"  1)  —  ist  sie  eben  so  lauter,  so  goldrein  und  acht,  wie 
Arana's  Freudensprung?  Der  grosse  Münzwardein  und  grösste 
spanische  Nationaldichter,  Lope,  betont  seiner  Weltentdecker 
Hauptmotiv,  die  Propaganda  fides,  zu  nachdrücklict,  um  nicht  an 
die  Aechtheit  zu  glauben.  Andrerseits  mischt  er  wieder  so  viel 
kupferhaltigen  Beischlag  in  Colones  Glaubensgold,  dass  sich  dieses 
letztgültig  doch  und  aberdoch  mit  wirklichem  Erdgrubengolde 
als  irdischer  Schlacke  versetzt,  ausweist.  Dem  glaubens-  und 
bekehrungseifrigen  Entdecker  der  vermeinten  Goldküste  am  Ost- 
rande der  grossen  Tartarei  missfällt  blos  das  Eine,  dass  Pinzon 
gar  so  voreilig  nach  Golde  verlangt  2),  und  dass  er  nach  den 
inzwischen  von  einem  Indianer  herbeigebrachten  Goldbarren  gar 
so  gierig  greift.  ^)  Und  der  kurze  Meinungsaustausch  gar  zwischen 
dem  Pater  und  dem  Mitargonauten  Terrazas! 

Pater.         ,,Du  küsst  das  Gold? 

Terrazas.  Ja,  während  Du  bekehrst."'*) 

Das  Gastmahl  ferner,  das  Kazike  Dulcan  seinen  gold-  und  län- 
derhungrigen Entdeckern  im  königlichen  Zelte  bereiten  lässt: 

„Ante,  stich  mir  vier  der  Knechte  ab, 
Doch  von  den  fettesten,  die  aufzutreiben, 
Mit  andrer  Waldeskost  bring  sie  gebraten 
Zu  Tisch  uns."5)  — 

Und  wenn  wir  endlich,  feinen  Ohres,  auf  das  hinhorchen,  was 
zwischen  den  Zeilen  von  Colon's,  den  zweiten  Act  schliessen- 


1)  La  salvacion  desta  gente 
es  ml  principal  tesoro. 

2)  De  que  lo  pidas  tan  presto, 
me  pesa. 

3)  Tom  ad  con  menos  codicia. 

4)  Fr.       Que  besas  las  barras? 
Terr.  Si, 

Mientras  les  dizes  la  fee. 

5)  Mata  Ante  quatro  criados 

de  los  mas  gordos  que  haUaras, 
y  entre  siluestres  manjares 
los  pon  en  la  mese  assados. 


Colones  Rückfahrt.  79 

den  Worten  leise  klingt,  so  ist  es  schier,  als  töne  es  von  den 
geisterhaften  Hämmerchen  der  Bergmännlein  in  den  Goldgruben 
der  neuen  Welt;  wo  es  nicht  gar  das  allerfeinste  Goldschmiede- 
getön der  Kobolde  der  spanisch  Lope'schen  Ironie  ist,  ein  kunst- 
heimlicher Tick  des  spanischen  Geistes ,  der  am  hellsten  in  den 
Meisterwerken  des  Cervantes,  und  auch  schon  in  den  Poesien 
des  Erzschalkes  und  Erzpriester  von  Hita,  und  behutsamlichst 
in  Situationen  verschleiert  in  den  Komödien  ihres  Conipositionsver- 
wandten,  grossen  Kunst-Nationalitätsgenossen  und  Genies,  in  den 
dramatischen  Kunstwitzesspielen  Lope  de  Vega's  anklingt,  ab- 
sichtslos, wenn  man  will,  unwissentlich  vielleicht:  gleichwie  Elf en- 
giöcklein  an  der  Blumenmütze  von  Oberon's  winzigem  Hofschalk, 
ja  dass  es  fast  nur  ein  inneres  Ohrenklingen  des  zwischen  Scherz 
und  Ernst  spielerisch  dichtenden  Geistes  scheinen  könnte.  0 

Schwingt  dieser  ironisch-traumhafte  Ton  nicht  auch  in  der 
ersten  Scene  des  dritten  Actes  nach,  wo  Colon  mit  seinen 
westindischen  Entdeckungsproben,  den  kupferhäutigen  Insulanern 
und  anderem  Gethier  und  Gevögel,  bereits  abgesegelt  ist  nach  Spa- 
nien? Bebt  der  leise  Schalk-  und  Spottton  nicht  im  Gespräche 
der  beiden,  unter  Oberbefehl  von  Colones  Bruder  und  Stellvertre- 
ter, Bartolomeo,  auf  der  Insel  Hnanahar  zurückgebliebenen 
Spanier,  Arana  und  Terrazas  mit  goldenem  Ausklange  nach?-^) 


1)  Col.    „Heut,  Himmel,  heft'  ich  meinen  festen  Glauben 

An  diese  zweite  neue  Welt.    Dir  Spanien, 
Hinüber  bring'  ich  sie! 
Alle.  Hoch!  Neue  Welt!^' 

Col.        Cielos  oy  fundo 

La  fee  en  otro  mundo  nuevo. 
Espana,  esto  mundo  os  Uevo, 
nuevo  mundo. 
Tod  OS.  nuevo  mundo. 

Hoch  das  weltgrosse  goldene  Yliess,  das  der  katholische  Jason  „Dir,  Spa- 
nien'*, zu  Füssen  legt,  als  neuweltliches  Emblem  für  die  abgescheuerte 
Tajovergoldung  deines  ursprünglichen  geographischen  Abbildes :  der  Stier- 
haut. 

2)  Terraz.  „Ja  die  Goldgier, 

Von  der  ein  grosser  Dichter  sagt,  es  sey 
Kein  Alter,  keine  Schranke,  die  sie  nicht 


80  l^^s  spanische  Brarüa. 

Und  tönt  er  nicht  gar  wunderlich  auch  in  der  Anschlussscene 
zwischen  den  zwei  spanischen  Weltwindbeuteln  und  der  schönen 
kupferbraunen  Häuterin,  Tacuana,  nach,  die  ihre  Bitte,  sie 
„vom  tyrannischen  Kaziken"  zu  befreien  und  ihrem  Gatten  zu- 
rückzugeben —  mit  einer  Anbetung  des  Kreuzes,  einer  Andacht 


Sich  unterwürfe,  heute  unterwirft 
Alles  der  Schatz  der  neuen  Welt  .  .  . 
Arana.   Du  hast  ganz  recht,  und  merk  dir,  dass  das  Gold 
Chimäre  ist,  gleichwie  des  Cid  Goldkisten.*) 
Zum  Teufel,  wer  zwischen  Toledo  und 
Madrid  dich  hätte! 
Terraz.  In  Sevilla  war'  es 

Am  rechten  Platz  bei  Austern  und  Oliven  .  .  . 
Gott  gebe,  dass  wir  in  die  Lage  kommen, 
Um  unsrer  Schätze  froh  zu  werden;  hier 
Sind  sie  zu  wenig  nütz. 
Arana.  Und  sind  wir  dort. 

Wird  sich  der  Geiz  zurück  nach  hiesigem  sehnen." 
Terr.  La  golosina  del  oro, 

de  quien  deze  el  gran  poeta, 
que  no  ay  edad,  ni  decoro 
que  no  sugete,  oy  sugueta 
del  nuevo  mundo  el  tesoro  .  .  . 


Ära.    Teneys  razon,  y  adverti,         , 

que  estä  en  fe  este  oro,  o  quimera 
Como  las  arcas  del  Cid 
pese  a  tal  quien  lo  tuuiera 
entre  Toledo,  6  Madrid. 

Terr.  Eazonable  era  en  Sevilla 

entre  azeituna  y  ostion  (ostra) 


Quiera  Dios  que  buelta  demos 
dond  el  tesoro  gozemos 
que  aqui  poco  gusto  da, 
Ära.    y  quando  estemos  aUä 
lo  de  acä  codiciaremos. 
Ein  Schlaraffenland  hat  Columbus,  ein  Eldorado,  den  spanischen  Büss- 
lingen  entdeckt!    Dieses  Pudels  Motivkern  kam  von  vornherein  zutage. 


*)  Mit  Steinen  gefüllte  Kisten,  die,  erzähltermassen,  der  Cid  als  gold- 
gefüllte zween  Juden  angeschwindelt.    Gesch.  d.  Dram.  VIII.  S.  315.  1. 


Die  Tochter  der  Wildniss.  g| 

zum  Kreuze  %  einleitet,  als  wollte  der  Dichter  das  heilige  Nebeu- 
motiv  als  Sehlagschatten  über  jenes  frivole  Kernmotiv  seines  Zeit- 
alters werfen?  —  Terrazas  erbietet  sich  zum  Erfüller  ihrer 
Bitte  —  aber  mit  welcher  reservatio  mentalis,  richtiger  mentula? 
Neiget  doch  nur  das  feine  Satyrohr,  das  den  Koboldstimmchen 
zwischen  den  Zeilen  zu  lauschen  versteht,  und  horchet!-)  AVie 
trefflich  weiss  die  schöne  Wilde,  die  Tacuana,  die  das  Spani- 
sche im  Zwischenact  erlernt  hat  und  nun  fertig  spricht,  und 
schon  ganz  als  Spanierin  denkt  und  fühlt,  unbeschadet  der  An- 
dacht zum  Kreuze,  wie  trefflich  weiss  diese  zwischen  den  Zeilen 
in  Terrazas'  Seele  zu  lesen !  Unvergleichlich  fertiger,  als  er  in  ihrer 


1)  „Das  Kreuz,  das  der  gebenedeite  Mönch  (Padre  Buil) 

Uns  predigte  -— 

Werd'  angebetet,  von  Haiti  an  bis 
In's  schöne  Chile  hin,  von  allem  Volk! 
Das  Herz  stärk  uns  die  Messe,  der  wir  harren!*^ 


{Vi.  s.  w.) 


Tac.    y  la  Cruz  que  nos  predica 
aqueste  bendito  Monge 
que  la  truxo  en  sus  espaldas 
por  la  redencion  del  orbe 
Desde  Haj^ti  a  la  hermosa  Chile 
generalmente  se  adore 
y  la  Missa  que  esperamos 
muena  nuestros  cora9ones. 


Ära.    ^Donde  la  barbara  llevas? 

2)   Arana.    Wohin  willst  mit  der  Wilden  du? 
Terraz.  Die  Liebe 

Erbarmt  sich  meiner  Noth. 

Wohin  denn,  denkst  du 

Als  wo  ich  meiner  kranken  Lust  kann  fröhnen? 

Bin  ich  aus  Fleisch  denn  oder  aus  Erz  gegossen? 

Terr.  Amor  mis  quejos  soccorre. 
Donde  quieres  que  la  lleve, 
sino  a  lugar  que  la  gozen 
mis  necesitados  bra90s 
^soy  yo  de  carne  o  de  bronze? 
X.  6 


82  I^as  spanische  Drama. 

Seele.  ^)  Wie  Terrazas  mit  Taeuana,  so  schnäbelt  gleich 
darauf  Arana  mit  Palca.  Terrazas  geht  indess  noch  weiter: 
er  bindet  dem  Dulcan,  Kaziken  von  Gwanahani,  den  asturi- 
schen  Bären  auf,  dass  Tapir azü  mit  seiner  Gattin,  Taeuana, 
nach  Haiti  entflohen,  und  verspricht,  die  Schöne  ihm  wiederzu- 
bringen, wenn  er,  Dulcan,  den  Christenglauben  annimmt  und 
spanisch-katholisch  wird.  Was  meint  man  zu  dieser  Zwischen- 
zeilen-Musik?   Oder  wäre  auch    dies   blosses  Ohrensausen   vom 


1)  „Fürwahr,  der  Spanier  ist  doch  wohl  kein  Gott, 

Denn  mein  Gemüth  weiss  er  nicht  zu  errathen, 
Da  ich  doch  schmacht'  um  seine  Lieb'  allein 
Mit  aufgeputzten  Lügen  trat  ich  vor  ihn, 
Nur  ihm  ergeben,  dass  er  weg  mich  raube. 
Er  denkt  gewiss  er  thue  mir  Gewalt, 
Und  lohnt  mir  mein  gefährlich  Wagstück  nur," 

Tac.  Basta  que  aqueste  Espanol 

no  es  Dies,  pues  que  no  conoce 

el  pensamiento  que  traygo 

perdida  por  sus  amores. 

que  con  aquesta  invencion 

fingiendo  tales  razones 

vengo  a  sus  bra90s  rendida 

porque  ansi  nie  Ueve  y  robe. 

El  piensa  que  me  haze  fuer9a, 

y  amor  sin  fuer9a  me  pone 

donde  descanse  mi  pena  .  .  . 
Aus  einer  Conjunction  der  Gestirne  Venus  und  Mercur  leiteten  die 
damaligen  Astrologen,  die  Astrologen  des  europäisch-amerikanischen,  des 
westöstlichen  Divans,  die  Lustseuche  her.  Bekanntlich  hat  dieselbe  auf 
der  Insel  Haiti,  dem  Geburtseiland  der  schönen  kupferbraunen  Taeuana, 
ihren  Ursprung,  und  gleichfalls  infolge  einer  Conjunction  von  spanisch- 
italienischer Lepra  und  Otahaitisch  localem  Lustgift.  Sollte  es  denn  gar 
so  absonderlich  klingen,  und  sollten  wir  nur  unser  eigenes  Ohrenklingen 
zwischen  den  Zeilen  Lope'scher  Composition  —  ja  nicht  Intention !  —  ver- 
nehmen, wenn  wir  die  dramatisch-komödische  Ahnmutter  jener  beiden  ge- 
nannten Conjunctionen,  der  astrologischen  und  pathologischen,  in  der  Con- 
junction des  spanischen  Lazarus,  Terrazas,  mit  der  Otahaitischen  kupfer- 
rotben  Kypris*),  Taeuana,  begrtissen? 


*)  Kypris  bedeutet  ,, Kupferinsel". 


Haiti's  Bekehrung.  83 

Windfang  in  der  Ohrenmuschel?  i)  Pater  Buil  vollzieht  die 
Bekehrung  auf  Haiti  und  liest  der  Indianerin  die  erste  Messe. 
Auf  Gwanahani  vertritt  der  Conjunctionist  Terrazas  den  Pater, 
erzählt  dem  Kaziken,  Dulcan,  die  Schöpfungsgeschichte,  Luci- 


1)  Terr.  Doch  geb'  ich  Dir  mein  Wort,  ist  erst  die  Messe 
Gelesen,  dann  steh'  ich  mit  Feuer  und  Schwert 
Bereit  zur  Hülfe  Dir,  bei  meiner  Ehre! 
Dulc.  Und  Du  versprichst  das  Weib  mir  einzufangen? 
Terr.   Dir  bring  ich  sie! 
Dulc.  Damit  ist's  gut,  Rodrigo, 

Und  mehr  kein  Wort.  Wann  kommt  der  Pater  an? 
Terr.  Ich  glaube,  dass  er  morgen  hier  seyn  wird. 
Dulc.  Und  Messe  lesen? 
Terr.  Freilich. 

Dulc.  Mich  verlangt 

Gleich  lebhaft,  ihn  zu  sehn  und  sie  zu  hören. 
Komm  und  gieb  an,  wie  den  Altar  man  schmücke. 
Terr.  Du  thust's  zu  Gottes  Ehr. 
Dulc.  Ich  bin^s  schuldig. 

(Ab.) 
Terr.  Y  mi  palabra  te  doy, 
que  la  missa  celebrada 
Con  mi  rayo  y  con  mi  espada 
te  ayude  a  fe  de  quien  soy 
Dulc.  ^Que  la  palabra  me  das 

de  cobrar  mi  esposa? 
Terr.  Digo 

Que  la  traere. 
Dulc.  Pues  Rodrigo, 

essa  me  basta  y  no  mas. 
<^Quando  el  Padre  viene? 
Terr.  Creo 

que  estarä  manana  aqui. 
Dulc.  ^Y  dirä  la  Missa? 
Terr.  Si. 

Dulc.  Verle  y  oyrla  desseo. 

Ven  y  daräs  la  instruccion 
del  altar  del  sacrificio. 
Terr.  Lloräs  a  Dios  gran  servicio. 
Dulc.  No  es  poco  en  esta  occasion. 
Miscet  Sacra  profanis  ~  und  so,  dass  es  der  Verfasser  des  'Candide'  nicht 
besser  könnte! 

0* 


84  üas  spanische  Drama. 

fer's  Sturz,  des  Weltverderbers,  beider  Welten,  der  alten  und  neuen  ^), 
und  die  durch  Christum  bewirkte  Erlösung.     Die  Bekehrungs- 


1)        —  „Dieser  seinem  Gott  Abtrünnige 

Hasst  seit  dem  Tag  die  Menschheit  und  sinnt  nur, 
Wie  lügnerisch  er  sich  zum  Gott  aufwerfe, 
Und  da  ihm  unter  euch  besserer*)  Vorschub  ward, 
Spricht  er  zu  euch  und  nennt  sich  euren  Gott. 
Und  so  betrügt  er  euch,  so  weit  ihm  möglich. 

Er  kriecht  in  eure  Götzen 

Doch  Christus 

Betrübt  es,  dass  der  unter  euch  regiert. 

Da  er  sein  Blut  am  Kreuz  für  euch  gelassen. 

Darum  befahl  er 

Dem  allerchristlichsten  und  weisen  König 
Ferdinand  von  Spanien,  dass  er  euch  Columbo 
Zusend',  euch  seinem  Glauben  zu  erwerben  .  .  . 
Dulc.  Weitläufig  und  verwickelt  und  sehr  schwierig 

Scheint  mir  das  Alles.  Lasst  den  Pater  kommen, 
Dass  wir  die  Sache  gründlicher  erörtern  .  .  . 
Este  rebelde  a  su  Dios 
desde  entonces  odio  tiene 
ä  los  hombres,  y  procura 
ser  dios  enganosamente. 
Y  assi  como  entre  vosotros 
mas  ocasion  se  le  ofrece, 
os  habla,  os  dize  que  es  Dios, 
y  OS  engana  quanto  puede. 
Metese  en  estas  estatuas  .  .  . 
Pues  condoliendose  Christo 
de  que  entre  vosotros  reyne, 
que  le  costasteys  su  sangre, 
en  la  Cruz,  muerta  la  muerte; 
AI  Eey  Fernando  de  Espana. 
Christianissimo,  y  prudente, 
manda  que  a  Colon  embie 
este  que  a  su  fe  os  conuierte  .  .  . 
Dulc.  Muy  largo  e  intricado,  y  muy  dificil 
todo  esso  me  parece,  venga  el  padre 
y  trataremos  con  espacio  desso  .  .  . 


*)  besserer  —  o  belzebubischer  Alexandriner! 


Des  Kaziken  Monolog.  85 

predigt  hält  Terrazas,  unangefochten  von  dem  Gold-  und  Lust- 
teufel, der  ihm  —  und  vielleicht  schon  als  Lustteufelseuche  — 
in  den  Knochen  spukt.  Mittlerweile  ist  Pater  Buil  nach  Gwa- 
nahani  zurückgekehrt.  Bartolomeo  erwartet  den  Kaziken  Dul- 
can  bei  der  Messe,  der,  allein  geblieben,  nachstehendes  bedeut- 
sames Selbstgespräch  ventilirt: 

Dulcan.  „Verwirrt  bin  ich;  mein  Ja  klingt  mir  wie  Nein, 
Was  soll  ich  thun?   Soll  meinen  Ongol^)  lassen 
Für  diesen  fremden  Christus,  den  Gottmenschen, 
Den  spanischen  Gott?  Soll  Mond  und  Morgenstern, 
Die  Nacht,  den  Tag,  Himmel  und  Sonne  lassen? 
Und  lass'  ich  sie,  weiss  ich  mir  keinen  Grund, 
Dass  ich  ihr  Licht  lass'  und  dies  Kreuz  verehre. 

An  dem  ihr  Gott  gelitten. 

Unmöglicher  ist  nichts  als  alten  Glauben 

Verlassen  und  unsre  furchtbar  mächt'ge  Sitte. 

(Der  Teufel  tritt  auf  in  Indianergestalt  und  fasst  Dulcan 
bei  der  Schulter.)  „Wohin"  —  brüllt  Teufel  Ongol  den  Ka- 
ziken an  — 

„Wohin  willst  Du? 

Dulcan.  Zur  versprochnen  Messe. 

Teufel.    0,  wie  so  lächerlich  erscheinst  Du  mir 

Mit  dieser  Lügenfreundschaft!    Die  begehren 
Nur  Gold  von  Deinem  Indien  und  sie  stellen 
Sich  heilig,  spielen  hier  die  Christendemuth ; 
Inzwischen  kommen  Andre  an,  die  euch 
Sämmtliche  Schätze  aus  dem  Lande  schleppen, 
Jener  Andre 2)  ist  ja  schon  in  Spanien." 

Den  noch  unschlüssigen  Dulcan  schleudert  der  indianische 
Goldteufel  oder  Gold-Ongol  mit  der  Nachricht,  dass  ihm  sein  gu- 
ter Freund  und  Bekehrer,  Terrazas,  die  Tacuana  geraubt 
„und  heute  sie  in  seiner  Hütte  erkannt",  in  das  Kaziki'sche  Höl- 
lenfeuer eifersüchtiger  Wuth,  so  prellschwunghaft,  dass  Dulcan 
noch  fürchterlicher  als  Teufels-Ongol  brüllt: 

,,0  schnöd,  unmenschlich  Volk!  erbarmungslos. 
Unter  euren  Glaubensfetzen  schlecht  verhüllt! 


1)  Götze.  —  2)  Colon. 


86  Das  spanische  Drama. 

0  Spanier,  ihr  Verräther!  —  Waffen,  Leute! 
Indianer  zu  den  Waffen!  i) 

Man  nenne  den  Columbus- Dichter,  der  sich  bis  zu  dieser 
historisch -psychologischen  Kühnheit  des  Widerwillen  vom  See- 
len- und  geschichtskundigen  Wahrheitsgeiste  entflammten  und 
hingerissenen  Genius  emporgeschwungen  hätte!  Fände  sich  ein 
solcher  deutsch-protestantischer,  überhaupt  freigeistischer  Colum- 
bus-Dichter,  dann  wäre  ein  solches  psychologisch-historische  Pa- 
thos eben  kein  Ausbruch  dichterischer  Kühnheit  und  dichteri- 
schen Genie's ;  denn  ein  sothaner  Columbusdichter  spräche  ja  nur, 
wie  ihm  der  Schnabel  gewachsen  ist,  und  träfe  auf  die  schönsten 
Schallhöhlen  und  Röhren  in  den  Schädeln  seines  Publicums.  An- 


Que  hare,  dexare  nii  Ongol 
por  este  Christo  estrangero, 
Dios  hombre,  y  Dios  Espanol 
Pero  si  lo  dexare 
aunque  la  causa  no  se 
de  que  auenture  su  luz 
por  esto  que  Uaman  Cruz, 
en  que  su  martyrio  fue  .  .  . 
No  ay  cosa  mas  impossible, 
que  dexar  la  antigua  fee, 
y  a  la  costumbre  terrible  .  .  . 


Dem.    (fDonde  vas,  Dulcan?  detente 


Dulc.  A  la  Missa  prometida. 

Dem.   0  que  gracioso  que  estäs 
Con  esta  amistad  fingida. 
Estos  codiciando  oro 
de  tus  Indias,  se  hazen  santos 
fingen  Christiano  decoro 
rnientras  vienen  otros  tan  tos, 
que  Ileven  todo  el  tesoro. 
Que  ya  el  otro  llega  a  Espana 

Dulc.  0  gente  vil  inhumana 

fuera  de  piedad  desnudas 
Con  pieles  de  ley  Christiana. 
0  Espanoles,  o  traidores 
jArmas  gentes,  Indios  alarma! 


Das  goldene  Ei  des  Columbus.  87 

ders  liegt  die  Karte  bei  Lope ;  bei  einem  spanischen  Bühnendich- 
ter jener  Zeit,  bei  einem  erzkatholischen,  Idrchlichfrommen,  or- 
thodoxgläubigen spanischen  Dichter  wie  Lope,  dessen  oft  bis  zum 
Fanatismus  erglühter  Kircheneifer  gelegentlich  wieder  mit  dem 
übermächtigen  Genie,  wie  mit  der  vom  Gottesschütteln  des  Wahr- 
sagergeistes überwältigten  und  schäumenden  Pythia,  durchgeht. 
Alsbald  freilich  und  endgültig  erschrickt  das  durchgegangene 
Genie  eines  noch  so  grossen  Poeten,  der  im  Grunde  des  Herzens 
immerhin  Dichter-Pfaffe  bleibt  —  sein  Genie  erschrickt  und  er- 
zittert vor  der  eigenen  Kühnheit,  wie  ein  scheugewordenes  und 
plötzlich  zum  Stillstand  gebrachtes  Pferd.  Ein  solches  Genie 
kriecht  gleich  wieder  zu  Kreuz,  und  derselbe  poetische  Feuer- 
geist, der  vermöge  einer  instinctiven  oder  inspiratorischen  Com- 
positionsliste  sein  göttlichstes  Pathos  dem  Teufel  in  den  Mund 
legt  —  derselbe  Feuergeist  beschwört,  wie  hier,  in  seiner  ortho- 
doxen Glaubensangst  sechs  Teufel  in  den  Tempel  vor  den 
Altar  mit  einem  Kreuze  darüber,  und  lässt  den  Obersten  der 
sechs  Teufel,  beim  Zusammenstürzen  aller  Götzenbilder  im 
Tempel,  sich  krümmen  und  ein  Sonett  heulen,  das  mit  dem  Vers 
beginnt : 

,, Besiegt  bin  ich,  da  siegtest  Galiläer!"i) 

Und,  nachdem  die  Teufel  verschwunden,  und  der  Kazike  Dul- 
can,  mit  Terrazas  im  Kampfe,  Keule  gegen  Schwert  —  in 
den  Tempel  eingedrungen,  da  lässt  ein  Dichter  wie  Lope  das  ei- 
gentliche, von  keinem  Columbusdichter,  ausser  ihm,  geahnte  Kern- 
motiv der  Entdeckungshelden  in  den  Columbus-Dramen  seinen 
Kaziken  noch  einmal,  wie  einen  Kehrreim,  von  sich  schnauben: 

,,Mit  falscher  Lehre  und  mit  Lügengöttern 

Kommt  ihr,  um  Gold  und  V^eiber  nur  zu  rauben'/'^)  __ 

Mit  welcher  Palinodie  löst  sich  nun  das  von  selbst  ob  seiner  Ver- 
messenheit erbangende  poetische  Genie  —  löst  es  sich  vom  Schei- 
terhaufen, den  der  Dichter-Pfaffe  in  seinem  Innern  schürt?   Wo- 


1)  Vencido  soy,  venciste  Galileo. 

2)  Con  falsa  relacion  y  falsos  dioses 
vos  venis  a  robar  oro  y  mugeres. 


88  Das  spanische  Drama. 

mit?  ei,  mit  einem  Spectakelstück,  Wunderstück,  einer  Comedia 
de  teatro  —  oder  de  ruido-Mirakel  wie  hier.  An  Stelle  des  von 
den  tumultuirenden  Indianern  in's  Meer  geschleuderten  Kreuzes, 
erhebt  sich  ein  zweites  gleiches  Kreuz  unter  Musikklängen,  bei 
dessen  Anblick  Kazike  Dulcan  in  Extase  geräth,  wunderver- 
zückt stammelnd: 

„Doch  horch!  Was  ist?  Da  grünt  der  Stamm  aufs  neue! 
Himmlische  Sonne  !i) 


Wahrlich,  wahrhaftig  ist  der  Christenglaube, 
Und  wer  dem  widersprechen  wollte,  sterbe! 

Sterbe  —  mit  der  Ketzermütze  und  dem  Sanbenito  angethan, 
worauf  nicht  sechs,  worauf  eine  Legion  Teufel  durch  umgekehrte 
Flammen  hüpfen  und  springen,  deren  Spitze  unterwärts,  der  Hölle 
zugewandt,  lodern  —  Teufel,  die  aber  doch  immer  wieder  nur 
dem  Ongol,  dem  westindianischen  Gold-  und  Menschenfresser- 
teufel, wie  ein  Höllenei  dem  andern,  gleichen! 

Das  letzte  Columbus-Tableau  entfaltet  sich  im  königlichen 
Hoflager  zu  Barcelona:  vor  den  mit  weitaufgesperrten  Mäulern 
und  Augen  staunenden  Hofschranzen.  Das  Schlussscenenbild  stellt 
Cristoval  Colon's  Triumpheinzug  dar  mit  seinenä  Gefolge  von 
wilden  Indianern,  Papageien  und  Affen,  wie  heutigen  Tags  ein 
Marktbudengaukler  mit  wilden  Männern  und  ähnlichen  natur- 
historischen Merkwürdigkeiten  umherzieht  —  zu  Colon's  Zeiten 
aber  hatte  dies,  als  Weltentdeckungsschauspiel,  eine  unermessliche 
Bedeutung,  eine  Tragweite,  neben  welcher  die  Folgewichtigkeit 
von  Triumphzügen,  wie  die  eines  Pompejus,  eines  Julius  Cäsar, 
zur  Schauparade  einer  Faschingsprocession,  eines  Kunstreiterein- 
zugs, eines  Bären-  und  Affentanzinusik  -  Spectakeis  zusammen- 
schwindet. 

„Columbo"  (meldet  die  Theateranweisung  unseres  üeber- 
setzer-Jambisten)  „im  Reisekleid,  sechs  halbnackte  und  bemalte 


1)  Mas  escuchad,  que  reverden  el  tronco, 

Que  es  esto  sol  divino 


Sin  duda  que  es  verdadera 
la  Christiana  Religion, 
Quien  dixera  que  no,  muera. 


Colon's  Triuniphzug.  89 

Indianer,  ein  Fage  mit  einer  Schüssel  mit  Goldbarren,  ein 
zweiter  mit  Papageien,  Falken  etc.  kommen  im  Zuge"  vorbei- 
defilirend  vor  den  katholischen  Majestäten  und  deren  Hofgefolge. 
König  Fernando's  huldreiche  an  den  vor  ihm  knieenden  Colon 
gerichtete  Begrüssung  nimmt  nur  der  Weltgeschichte  die  Worte 
von  der  Zunge: 

,, Erhebe  Dich,  Du  neuer  Alexander 

Der  zweite,  obwohl  grösser  als  der  erste! 

Denn  nicht  nur  Spanien  eine  zweite  Welt, 
Du  schenktest  Gott  auch  ungezählte  Seelen. 
Cristoforo,  Dein  Name  schon  giebt  Zeugniss, 
Denn  Christus  gleich  übst  Du  Erlösungs werke. 
Wie  einst  der  Heilige  deines  Namens  schon 
Die  Menschen  trug  durch  ein  bekannt  Gewässer, 
So  Du  die  Fremdlinge  auf  Deinen  Schultern, 

Den  Vielgewalt'gen . 

So  nehm'  ich  denn  das  triftigste  Geschenk, 
Das  je  ein  Sterblicher  bot  einem  König  .  .  . 
Mit  welchem  Lohn  könnt'  ich  Dir  das  bezahlen? 

Du  seyest  Herzog  von 

Veraguas  und  der  See  Grossadmiral.'*  i) 

Die  Ehrenketten  ungerechnet,  womit  geschmückt  der  Lehnsherr 
des  mächtigsten  der  Könige  der  Christenheit,  den  er  mit  einem 


1)  Rey.  Al9aos,  Alexandro  nuevo, 

aunque  mayor  y  el  segundo  .  .  . 

que  a  Espana  aveys  dado  un  mundo 

y  a  Dios  infinit as  almas. 

Cristoval,  vuestro  apellido 

os  da  alaban9a  Colon, 

que  autor  de  tal  Eedencion 

algo  de  Christo  ha  tenido. 

Vos  Cristoval,  como  el  Santo, 

destos  mares  ya  vezinos 

os  passays  los  peregrinos 

en  hombros  que  pueden  tanto  .  ,  , 

Recibo  el  don  mas  profundo 

que  ha  dado  a  Rey  hombre  human  o  . 

Por  el  quäl,  no  se  que  paga 

os  pueda  dar  .  .  . 

Ya  soys  duque  de  Beraguas 

y  Almirante  de  la  mar. 


90  Das  spanische  Drama 

Welttheil  von  Grösse  der  Erdhalbkugel  belieh,  seinen  zweiten 
Triumpbeinzug  in  den  Kerker  hielt.  Das  vom  grossen  Cristö- 
foro  dargebrachte  Gold  überlässt  König  Fernando  der  Kö- 
nigin Isabel,  die  es  der  Kirche  von  Toledo  weiht:  „Sie  nehm' 
es  in  die  kräftigste  Verwahrung."  Sie  hat  einen  guten,  einen 
kräftigen  Magen,  sie  kann  auch  Goldbarren,  jede  Barre  ein  Welt- 
theil, vertragen.  Das  Königspaar  zieht  sich  mit  Herzog  Co- 
lumbus  zurück,  um  von  ihm  die  merkwürdigsten  aller  See- 
fahrerberichte zu  vernehmen.  Auf  der  Bühne  bleiben  nur 
D.  Alonso  und  Gonzälo  de  Cardova.  Alonso  preist  Ge- 
nua glorreich,  unter  deren  ruhmgekrönten  Helden  Colombo  als 
der  höchste  sich  erweise,  i)  Gonzälo  lässt  sich  den  Werth  der 
Goldbarren  von  Alonso  berechnen,  der  sie  auf  das  Doppelte  des 
von  Colon  erhaltenen  Darlehns  schätzt  —  ein  gutes  Geschäft  je- 
denfalls, die  rückständigen  Barren  mit  Juwelen  und  die  tausende 
der  fremdartigsten  Vögel,  die  allesammt  goldene  Eier  legen,  und 
„die  neuen  Vasallen" 2)  ungezählt,  deren  Blut  statt  eisen-, 
goldhaltig  ist,  wie  das  Goldschmiedefeier  der  Inquisition  zutage 
legen  soll,  das  den  neuen  Vasallen  den  Goldgehalt  aus  den  Adern 
herausschmelzen  wird,  behufs  dessen  diese  neuen  Vasallen  eben 
wieder  auf  der  Bühne  „zur  Taufe"  erscheinen  mit  ihren  Pathen, 
den  katholischen  Majestäten.  „Unter  Musikbegleitung  werden 
Taufschüssel  und  Kannen  getragen,  dann  folgen  die  Indianer 
und  hinter  ihnen  die  Majestäten,  voran  Colombo  mit  einer 
Fahne,  worauf  sein  Wappen  mit  einer  Inschrift  ringsum."  ^) 


1)  Contador  mayor. 

Gloriosa  Genova  estes, 
oy  tu  Eepublica  vista 
Nuevas  y  alegres  colores, 
pues  entre  tus  Capitanes 
tan  heroycos  y  galanes, 
es  Colon  de  los  mejores  .  .  . 

2)  y  aqnestos  nuevos  vasallos. 

3)  Cap.    ya  salen  a  bautizallos. 
Cont.  Los  Reyes  son  los  padrinos. 

(Con  musica  entre  accompanamiento  fuentes  y  aguamanil,  y  los  Indios 
y  los  Reyes  detras,  y  antes  dellos  Colon,  con  una  bandera  con  sns  armas, 
y  una  letra  a  la  redonda.) 


Lope's  Castrucho-Comedia.  9j^ 

0  der  kurzsichtigen  Menschen- Vorschau!  Welches  Küchlein 
aus  dem  Ei  des  Columbus  endgültig  hervorzuschlüpfen  berufen 
ist  ~  davon  haben  die  spanischen  Majestäten,  hat  die  von  ihm 
eingesetzte  spanische  Inquisition,  hat  der  grosse  Cristöforo  selbst, 
der  das  Ei  doch  legte,  keine  Ahnung  -— :  Das  Küchlein 
Washington! 

Für  unsere  Geschichte  aber  hat  Lope,  als  Entdecker  des 
Columbus-Drama's,  in  dem  seinigen  das  Columbus-Ei  dem  Teufel 
in  die  Wirthschaft  gelieckt,  der  einen  ganzen  Schwärm  von  Co- 
lumbus-Dichtern  ausgebrütet,  die,  übereinandergestellt,  so  dass 
ein  Cristöforo  den  nächstfolgenden  auf  der  Schulter  trüge,  all- 
insgesammt  dem  Dichter  des  ,nuevo  mundo',  nicht  etwa  als  Poe- 
ten überhaupt,  die  ihm,  speciell  als  Columbus-Dichter,  nicht  an 
den  Kniegürtel  reichen. 

Fügen  wir  in  die  erste  Gruppe  noch  Lope's  Soldaten-Stück: 
El  Eufian  Castrucho^), 
als  tetralogisches  Satyrspiel  ein. 

Unter  Lope's  Comedias  de  Costumbres  ist  dieser  Kufian  der  voll- 
gültigste Vertreter  des  niedrig-komischen  Genre's.  Ein  Held  vom 
grobschrötigen  Entremes-Kaliber  als  Hauptfigur  eines  Charakter- 
und  Sittenlustspiels.  Um  den  Rufian  gruppiren  sich  durch  Sitten 
ebenbürtige  Standespersonen,  Offiziere  der  spanischen  Truppen 
in  Italien,  wo  die  Komödie  spielt.  Dem  Kufian  im  spanischen 
Sinne,  wonach  ein  solcher  mehr  als  Gauner-ßaufbold ,  denn  als 
Kuppler  2)  hantirt  und  letzteres  Geschäft  nur  nebenher  betreibt, 
vermöge  seines  Gaunergewerbes  nur  mitnimmt  —  steht  eine 
Rufiana  im  italienischen  Wortverstande  zur  Seite,  die  Kupple- 
rin Teodora,  die  der  Sargento  (Sergeant)  Don  Alvaro  selbst 
mit  der  spanischen  Stamm-Urmutter  des  Kuppler  -  und  Zigeuner- 
wesens, mit  der  *  Gele  st  in  a'  zusammenstellt.  3)  Besagte  Teo- 
dora hatte  aus  Sevilla  ein  Mädchen  Namens  Fortuna  nach 
Italien  gebracht,  um  deren  freie  Gunst  sich  das  spanische  Offi- 


1)  In  dem  uns  vorliegenden  Bande  (Doze  Comed.  de  Lope  de  Vega 
etc.  qiiarta  parte.  Barcel.  1614)  lautet  der  Titel:  ,,La  famos a  Co  me- 
dia'' del  Galan  Castruclio.  —  2)  Der  spanische  'alcahuete'.  — 
3)  Como  aquesta  tercera  de  Calisto. 


92  I^as  spanische  Drama. 

ziercorps  in  Neapel  so  eifrig  bewirbt,  als  wäre  unsere  kleine 
Fortuna  die  Kriegs-Glücksgöttin,  die  grösste  H —  nicht  blos  von 
Babylon,  sondern  von  aller  Welt  —  kurz,  die  Göttin  Fortuna 
höchstselbst  in  Gestalt  eines  den  Liebesnektar  kredenzenden 
Eegimentstöchterchens,  einer  zierlichen  Lagerschenkin,  auch  Mar- 
ketenderin genannt.  Fortunchen,  von  Vorkaufsrechtswegen,  Ca- 
strucho's  Liebchen,  erregt  durch  Begünstigung  der  spanischen 
Besatzungskriegshelden :  des  schon  erwähnten  Sargento,DonAl- 
varo,  des  Alferez  (Fähndrich),  Don  Jorge  und  des  Capi- 
tan  Don  Hector,  ihres  Galans  Castrucho  Eifersucht  so 
wenig,  dass  dieser  den  Galan  hinter  den  Eufian  versteckt,  so 
oft  jene  Kriegstapfern  Fortuna's  Gunst  mit  Geld  und  Preciosen 
zu  erkaufen  sich  beeifern,  und  wobei  Castrucho  unverbrüch- 
lich auf  dem  Posten  ist,  um  dem  hinter'm  Eufian  versteckten 
Galan  beide  Augen  mit  beiden  Händen  zuzudrücken,  und  mit 
den  Augen  des  Eufian  bei  dem  Tächtelmächtel  durch  Fortuna's 
vergoldete  und  beringte  Finger  zu  sehen,  um  Gold  und  Einge, 
und  sonstige  Liebesgeschenke  zu  verprassen  und  zu  verwürfein. 
Ein  Skandal  für  die  gestrenge  Kuppelmutter  Teodora,  ein  so 
empörender  Skandal,  dass  sie  ihre  ganze  Beredsamkeit  aufbietet  i), 
um  Fortunchens  Anhänglichkeit  an  den  Galan  zu  erschüttern, 
den  bei  ihr  der  Eufian  nur  vorschiebe,  um  sich  hinter  dessen 
Eücken  die  von  den  Besatzungs- Unter-  und  Oberoffizieren  dem 
Schätzchen  Fortuna  gespendeten  Liebesgeschenke  vom  Galan 
zustecken  zu  lassen,  wenn  nicht  in  Güte,  mit  Gewalt,  in  welchem 
Falle  der  Eufian  wieder  den  Galan  hinter  sich  wirft,  und  als 
bramarbasirender  Eaufbold  Liebchen  und  Sündenmutter  in's  Bocks- 
horn jagt,   bis  sie  herausrücken.  2)    Darum  versteht  auch  unser 


1)  Teod.  Que  cosa  es  esta,  que  una  mo9a  hermosa  . 

a  conquistar  el  mundo  poderosa 
perdida  siga  a  un  hombre  .  .  . 
que  es  un  picano,  un  feo 
Un  publice  rufian. 

2)  Teod.         Tenle  hija, 

abre  el  escritorio,  y  dale 
aquella  negra  sortija. 

Halt  ihn,  Töcbterchen, 
Oeffne  den  Schrein  und  gieb  ihm 
Jenen  schwarzen  Eing. 


Lager-Helden.  93 

Castrucho  keinen  Spass,  wenn  die  Herren  Castrenses,  die 
Kriegslager -Kitter,  die  martialischen  Castmchos  von  der  Be- 
satzung bis  zum  General  en  Chef  hinauf,  ihm  seinen  Schatz, 
Schatz  im  eigentlichen  Sinne,  sein  Portunchen,  sein  Fortunatus- 
Täschelchen,  wegstipizen,  entführen  wollen.  Da  ist  er  gleich  hin- 
terher, um  es  ihnen  zu  entreissen,  als  z.  B.  dem  Sargent o, 
der  mit  Portunchen,  bei  nächtlicher  Weile,  auf  dem  Wege 
ist,  sie  auf  sein  Zimmer  zu  bringen,  behufs  einer  partie 
fine,  welchem  Sargento  aber  der  Alferez  mit  einigen  Frem- 
den das  Glückskind  abjagt,  welchem  Alferez  wiederum  Capi- 
tan  Don  Hector  im  Begriffe  steht,  das  Dämchen  vom  Munde 
wegzuschnappen,  welchem  Capit an  aber  Castrucho,  als  der 
begünstigtste  Glücks-ßitter,  es  wegfischt,  um  das  weisse  Huhn, 
das  ihm  goldene  Eier  legt,  in  den  Nestkorb  heimzutragen.  ^) 
Hähne  im  Korbe  so  viel  Hühnchen  Lust  hat;  nur  nicht  im  Nest- 
korb, worin  er  als  Haushahn  der  ausschliessliche  Hahn  im  Korbe: 
der  Goldhenne  Ritter  und  Vertreter/^)  Im  zweiten  Act  hetzt 
Castrucho  die  drei  Garnisons-Liebhaber  an  einander,  um  jeden 
einzeln  zu  rupfen,  indem  er  je  einen  als  Inhaber  des  Eegiments- 
töchterchens  den  beiden  Nebenbuhlern  bezeichnet,  so  dass  sich 
der  Triumvirat,  wie  der  römische,  untereinander  in  den  Haaren 
liegt,  nur  darin  einmüthig,  dass  sie  selbdritt,  dem  Castrucho  zum 
alleinigen  Vortheil,  Haare  lassen,  bis  Mutter  Teodora  den  ha- 
dernden Triumvirn  unter  den  Puss  giebt,  dass  Castrucho  auf 
Portunchen  Beschlag  gelegt,  und  sie  in  seiner  Stube  versteckt 


1)  Castr.  Yo  soy  el  que  la  he  quitado 

a  los  que  de  aqui  se  van, 
Alferez  y  capitan 
y  el  Sargen tillo  alcorzado, 
Camine  a  casa  badana  .  .  . 
Camine  floresta  humana. 
Ich  bin's,  der  sie  Euch  entwand, 
Jene,  die  von  dannen  gan, 
Fähnderich  und  Capitan 
Und  Sergeäntchen  von  Dragant. 
Kehre  heim  nur  goldnes  Mätzchen, 
In  den  Nestkorb,  holdes  Schätzchen. 

2)  Qiüen  os  ampara  y  cobija 


94  T)as  spanische  Drama. 

hat.  Nun  vereinigen  sich  die  Dreimänner  von  der  Fortnnabesatzung 
zu  einem  gemeinschaftlichen  Angi'iflf  auf  Castrucho,  der  ihm 
den  Garaus  machen  soll  Teodora  in  der  Freude  ihres  Her- 
zens, ist  von  Castrucho's  Ende  so  überzeugt,  dass  sie,  beim 
Schein  ihres  Nachtlichts,  ihrer  vor  Schmutz  glänzenden  Nacht- 
haube und  ihrer  Brille  0  am  Fenster,  den  unter  demselben  nach 
Einlass  fluchenden  Castrucho  für  dessen  Grabgespenst  hält, 
worauf  ein  Wettstreitgespräch  von  gegenseitigen  Laster-  und 
Schimpfapostrophen  in  eine  Versform  von  der  komisch  wunder- 
barlichsten  Wirkung  in  Ganz-  und  Bruch versen  sich  entwickelt.^) 
Mit  einmal  springt  die  drollig-lästerlichste  aller  Fenster-Tenzonen 
zwischen  Eufian  in  spanischer  und  Eufiana  in  italienischer  Be- 
deutung in  einen  Wettkampf  von  sich  überbietenden  Wechsel- 
Schmeichelreden  in  derselben  Vers-  und  Eeimart  über,  infolge 
eines  Goldkettchens,  das  Castrucho  beim  Nachtlicht  in  der 
Hand  der  alten  Kuppelvettel  glitzern  sieht,  und  infolge  eines 
Gewinnantheils,  den  Castrucho,  beim  Erblicken  der  Kette,  der 
alten  Schwer nothshexe  mit  dem  unübersetzbaren  Gesicht,  mit 
der   „cara  de  mona'',  in  Aussicht  stellt.  ^'^)    Mit  offnen  Armen  in 


1)  (Teodora  a  la  ventana  can  una  toca  suzia,  antojos,  y  mi  candil.) 

2)  Castr.  Abre,  a  los  diablos  te  doy 

Cozinera  de  Cayfas, 
Abre  la  puerta  vejona, 
Cara  de  mona. 
Abre  hechicera,  bruja, 
la  que  estraja 
quantos  ninos  ay  de  teta, 
por  alcuheta. 
Teod.    No  te  alborotes 

Vellaco  ruffian,  ladron 

Y  gran  lebron  .  .  . 
esta  casa  tiene  dueno, 
que  a  buen  sueiio 
estä  con  fortuaa  agora 
vete  en  malata  hora. 

3)  Castr.  Abre  amiga  de  mis  ojos 

Y  estos  enojos 

Se  queden  luego  a  una  parte 
que  quiero  darte 


Der  Obersferieral  von  Fortuiia's  Eeitergaicle.  95 

der  geöffneten  Hausthür  empfängt  Teodora  den  Genossen  sammt 
Gewinns-  und  Teufelsantheil,  der  in  einem  Messerstich  besteht,  ^) 
So  endet  Acto  segundo. 

Castrucho  konnte  sich  nur  von  dem  ihm  zugedachten  Prü- 
geltodtschlag  dadurch  lösen ,  dass  er  jedem  der  drei  Würger  für 
die  nächste  Nacht  die  Fortuna  verhiess.  Diese  hatte  aber  die 
vornächste  Nacht  beim  Ober  gener  al  der  spanischen  Besatzung 
zugebracht,  welchem  sie  Mutter  Teodora  überliefert,  nachdem 
sie  mit  einer  Schilderung  der  Keize  des  kaum  sechzehnjährigen 
Töchterleins  2)  seine  Erwartungen  aufs  äusserste  gespannt  hatte. 
Als  der  Obergeneral,  nach  genauer  mit  dem  Original  vorge- 
nommener Prüfung,  sich  von  der  Treue  der  Schilderung  Teo- 
dora's  überzeugt  hatte,  schickte  er  dasselbe  durch  seinen  Feld- 
wachtmeister (maese  de  Campo),  Roderigo,  der  Teodora  zu- 
rück. Maese  de  Campo,  der  bei  der  Schilderung  zugegen  ge- 
wesen war,  glaubte  seinerseits,  sich  als  Maese,  vor  Ablieferung 
des  Originals,  von  der  Wahrheit  der  Schilderung  ebenfalls  über- 
zeugen zu  sollen,  und  brachte  zu  dem  Behufe  Fortunchen  auf 
sein  Zimmer,  wo  er  mit  dem  Vergleiche  des  von  Mutter  Teodora 
entworfenen  Bildes  mit  dem  leibhaften  ürbilde  gerade  beschäftigt 
war,  als  Castrucho  seinen  jedem  der  drei  Mordgesellen,  Ca- 
pitan,   Alferez  und   Sarge nto  versprochenen  Lösepreis   in 


barato  de  una  ganancia 
de  importancia. 

1)  Teod.    Ya  esta  abierta. 

entra  hijo  de  mis  ojos 

110  aya  enojos 

dame  aquessos  bra^os. 
Castr.  Toma 

vieja  mahoma. 
Teod.    Que  me  mata, 

ay  que  ra,e  ha  muerto. 

2)  Teod.  Tengo  una  hija  toa  bella 

que  dexo  de  ser  donzella 
par  no  teuer  que  comer, 
no  tiene  diez  y  scis  anos, 
fresca  como  una  camuessa, 
ayer  la  mire  en  los  banos 
con  una  pierna  tan  gruessa 
y  unos  peziios  tamanos  u.  s. 


96  Das  spanische  Drama. 

natura  entrichten  musste,  und  zwar  jedem  zur  selben  Nacht  und 
Stunde.  Um  in  der  Hauptsache  wenigstens  als  Ehrenmann  sein 
Wort  zu  halten,  beschliesst  Castrucho,  jedem  der  drei  lebens- 
gefährlichen Besatzungs-  und  Berennungsgenossen  unter  dem 
Schleier  der  Nacht  gleichzeitig  ein  Liebchen  als  seine  Fortuna 
in  die  Arme  zu  führen:  dem  Capitan:  die  vielerfahrene,  hoch- 
geschulte, an  Fachgelehrsamkeit  in  ihrer  speciellen  Wissenschaft 
nur  von  Celestina  übertroffene  Mutter  Teodora^);  den  beiden 
Anderen  seine  zwei  Burschen,  Beltranico  und  Escobarillo — 
Beide,  zum  Glück,  verkleidete  Dirnen:  Beltranico,  in  dessen 
Hosen  das  Dämchen  Brisena  steckt,  dem  Fähndrich  Don 
Jorge,  der  liebesfahnenflüchtig  ihr  davongelaufen;  den  Esco- 
barillo, dessen  Burschenwamms  und  Büxen  die  Reize  der  Dame 
Lucrecia  füllen,  dem  Sargento  Don  Alvaro,  ihrem  Tarquin, 
dem  sie  mit  dem  Lucreziendolch  in  der  Hosentasche  nachläuft, 
um  ihn  zur  Lösung  seines  Eheversprechens  anzuhalten. 

Die  Katastrophe,  die  fürchterlichste  für  das  Fortuna-Trium- 
virat, enthüllt  sich  vor  der  ganzen  vom  General  zusammenge- 
trommelten Besatzung,  vor  welcher  Capitan  Hector  mit  sei- 
ner verschleierten  Fortuna  erscheint,  der  altclassischen  näm- 
lich in  Rücksicht  auf  das  Beiden  gemeinsame  ehrwürdige  Alter; 
demnächst  Alferez  Don  Jorge  mit  seinem  dreifach  ver- 
schleierten Liebchen:  verschleiert  als  Castrucho's  Stubenbursche 
Beltranico,  als  Dame  Brisena  und  endlich  als  vermeintes 
Fortunchen,  und  der  dritte  Fortuna-Ritter,  der  S a r g e n t o  D o n 
Alvaro  mit  seiner  dreifach  verschleierten  Nachläuferin  Esco- 
barillo-Lucrecia-Fortuna.  Welche  Enthüllungen,  als  auf 
Befehl  des  Generals  die  Schleier  sich  lüften!  Und  welche 
Capitan- Alferez-Sargento-Gesichter,  als  auf  abermaligen  General- 
befehl Jedem  seine  Entschleierte  zu  heirathen,  oder  sich  hän- 
gen zu  lassen,  freigestellt  wird!  Capitan  kommt  mit  dem 
Schrecken  davon,  und  Castrucho  führt  die  Braut  heim,  For- 
tun che  n  in  Person,  die  ihn  vom  General,  als  ihren  ersten  und 
noch  immer   geliebten  Herzens-Castrucho,  zum  Gemahl  erbeten. 


1)  Que  al  Capitan,  ya  yo  tengo 

una  vieja  que  le  dar 
que  le  sabrä  regulär  .  .  . 


Lope's  Geschichtskomödie  von  den  Benavides.  97 

Von  rechtswegen  nrnsste  der  General  der  Besatzung  das  General- 
liebchen der  Besatzung  heirathen.  Das  Genre  preisgegeben,  trägt 
doch  der  ßufian-Castrucho  den  Stempel  von  Lope's  Genie, 
leichtfertiger  Meisterschaft  und  seiner  in  Behandlung  der  anrüchig- 
sten Komödienprobleme  noch  immer  fesselnden  Grazie  aufge- 
drückt. Der  Versöhnungsreiz  des  multum  amavit  umfliesst  selbst 
sein  Portunchen  mit  der  Magdalenen-Glorie  einer  in  ihrer  Naive- 
tät  unbussfevtigen  Magdalene. 


Comedia  famosa  de  los  Benavides. 

Bewegt  sich,  wie  alle  spanischen  Comedias  famosas,  in  einer 
Ellipse  mit  zwei  Brennpunkten,  deren  erster  hier  eine  Ohrfeige, 
der  zweite  eine  brautpärliche  Geschwisterliebe  ist.  Die 
Ohrfeige,  altehrwürdig,  wie  die  vom  Vater  des  Cid  davongetragene 
und  ihre  Zeitgenossin,  empfängt  der  greise  Hidalgo  und  rico 
hombre,  Mendo  de  Benavides  von  der  kriegstapf ern,  recken- 
haft wuchtigen  Tatze  des  Mohrenfressers,  Payo  de  Viva r.  Es 
ist  eine  politische,  aus  Partei-  und  Staatsgründen  aufgeflammte 
Ohrfeige,  in  welche  sich  ein  heftiger,  zwischen  Mendo  de  Be- 
navides und  Payo  de  Vivar,  wegen  des  Vorrechtsanspruchs 
auf  Obhut  über  den  sechsjährigen  König  Alfonso^),  entbrannter 
Streit,  aussen  vor  der  Thür  der  ersten  Scene  erster  Jornada, 
entlud;  eine  bei  Tagesanbruch,  bei  des  „ersten  Tages"  Anbruch 
und  Vorhangsaufgang,  hinter  den  Coulissen,  versetzte  Ohrfeige: 
„Ich  will  ihn"  (den  Eey  nino  nämlich,  das  König-Kind)  „mit  mir 
nehmen"  —  hört  man  Payo's  Bärenstimme  rülzen.  „Her  mit 
dem  König,  Bauerknecht!"  —   „Du  lügst!"  schreit  Mendo  — 


1)  Ein  romanzensagenhafter  Komödienkönig,  der  hier  als  Sohn  des 
Bermudo  IIL,  Königs  von  Leon  und  Astnrien,  mit  welchem  dieser  Kö- 
nigstamm in  der  zweiten  Hälfte  des  10.  Jahrh.  erlosch,  eingeführt,  und 
als  sechsjähriger  Wechselbalg  dem  König  Alfonso  unterschoben  wird, 
jüngstem  Sohne  König  Fernando 's  I.  von  Castilien,  der  ihn  bei  der 
Reichstheilung  zum  Herrn  von  Leon  und  Asturien  bestimmte.  (Gesch.  d- 
Dram.  VIII.  S.  297.  301.) 

X.  7 


98  Das  spanische  Drama. 

„So  nimm !"  —  schallt's  und  backpfeift's  in  Einem.  ^)  Herein- 
stürzen auf  die  Scene  der  beschimpfte  Hidalgo-Landwirth,  von 
asturisch-altgothischem  Bauernadel,  der  Pelayo-entsprossene  Ca- 
ballero-Labrador mit  der  brühwarmen  Tachtel  auf  der  angestamm- 
ten Backe ,  und  zugleich  mit  ihm  der  gepanzerte  Kriegsfeldstier, 
der  über  Mendo's  ehrwürdige,  furchenreiche  Kinnlade  eine  schmach- 
voll fünfspurige  Furche  gerissen.  Mendo:  die  Hand  am  Schwert- 
griff; der  Auerstier  Payo:  ausholend  zum  Bauch-aufschlitzenden 
Hornstoss;  hinterher  drei  andere  heraldische  Bestien  oder  Käm- 
pen —  „Kämpen"  in  der  ahnenthümlich  abstammungsbürtigen  Ur- 
sprungsbedeutung von  „Wildschwein"  oder  „Keuler"  —  sich  zwi- 
schen die  Streitenden  werfend.  Eine  zweifellos  ungestüme,  nach 
Art  dieser  von  vornherein  mit  der  Expositionsthür  in's  Haus  fal- 
lenden Comedias  famosas,  stürmisch  bewegte,  mit  dem  Ton- 
schlüssel —  einem  ganzen  Bund  von  Tonschlüsseln  —  den  Grund- 
ton anschlagende,  genauer:  in's  Gesicht  oder  Löcher  in  den  Kopf 
schlagende  Eingangs-  und  gleich  auch  Einschlagsscene ;  eine 
solche  nämlich,  die  yorweg,  aus  heiterem  Himmel,  in  den  Zu- 
schauerraum mit  Beifalldonnerwiderhall  einschlägt.  Als  Ersatz 
für  die  von  den  drei  ritterlichen  Mitgliedern  des  Antiohrfeigen- 
vereins  auseinandergehaltenen  Hiebe,  fallen  gegenseitige  Schmähun- 
gen und  Schimpfreden  in  Quintillen  (Fünfvers),  fünffingrigen  Maul- 
schellen zum  Verwechseln  ähnlich.  2) 


1)  Payo.     Yo  le  tengo  de  Uevar  .  .  . 

jSuelta  al  Rey,  villano! 
Mendo.  mientes.    Payo.  toma. 

2)  Mendo.    Los  dedos  que  en  ellas  pones 

dizen,  si  al  honor  los  mides 

en  estos  cinco  reglones  .  .  . 
Die  fünf  Finger  und  die  fünf  auf  seiner  Wange  geschriebenen  Zeilen,  kön- 
nen so  gut  auf  diese,  wie  auf  die  an  den  fünf  Fingern  abgezählten  Quin- 
tillen gehen;  um  so  mehr,  da  Mendo  seine  Backe  mit  einem  Blatt  Papier 
vergleicht,  worauf  der  Schimpf  mit  einer  fünffingrigen  Feder  in  lebendigen 
unauslöschlichen  Zügen  verzeichnet  steht.  ,,Aber  weh  der  infamen  Feder, 
wenn  über  sie  das  Federmesser  kommtl^**) 


Mi  cara  sera  el  papel 
y  assi  vivira  la  suma 


Ein  Geschwister-Findlings-Liebespaar.  99 

Der  zweite  Brennpunkt  unserer  Komödien-Ellipse,  die  gegen- 
seitige Geschwisterliebschaft,  entbrannt  zwischen  dem  vermeinten 
rindlingsburschen,  Sancho,  und  seiner  für  ihn  incognito- 
Pindlingsschwester,  Sol,  dieser  zweite  Brennpunkt  der  Komödie, 
anstatt,  gemeinschaftlich  mit  dem  andern  Focalpunkt,  durch  Ver- 
minderung seiner  Excentrität,  seiner  Entfernung  vom  Mittelpunkt 
der  grossen  Axe  der  Ellipse,  durch  stätige  Annäherung  folglich 
an  diesen,  die  episch-elliptische  Langkreisform,  dem  dramatischen 
Bewegungsgesetze  gemäss,  in  die  Zirkelform  auszurunden:  rücken 
beide  Brennpunkte,  während  des  Umlaufs  der  Komödie',  immer 
weiter  auseinander,  so  dass  zuletzt  der  Umkreis  der  Ellipse  in 
Eine  platte  Linie  zusammenfällt.  Mit  anderen  Worten:  In  Lo- 
pe's  Benavides-Komödie  laufen  die  beiden  Grundmotive  so  un- 
vermittelt, so  gleichgültig  aneinander  her,  wie  kaum  in  einem 
seiner  uns  bekannten  Stücke.  Sie  scheint  uns  daher  auch  in 
Composition  und  Durchführung  die  am  wenigsten  dramatische 
von  allen,  und  dürfte  mehr  denn  irgend  eine  als  Beispiel  und 
Beleg  für  den  grundinnerlich  episch-novellistischen  oder  episch- 
romanzenartigen  Baustyl  und  architektonischen  Charakter  des 
spanischen  Drama's  aufgestellt  werden.  In  dieser  Beziehung  wäre 
Lope's  Comedia  famosa,  'Los  Benavides',  die  Comedia  famosisima 
schlechthin. 

Das  auf  M endo' s  Grund  und  Boden  angeblich  ausgesetzt 
gewesene  und  von  ihm  und  seiner  Tochter,  Clara,  unter  dem 
Bauerngesinde  auferzogene  Findlingspaar,  Sancho  und  Sol,  ver- 
kehrt im  ersten  und  zweiten  Act  als  Brautpaar  miteinander,  das, 
in  liebevoller  Zärtlichkeit  wetteifernd,  Tag  für  Tag  der  hingehal- 
tenen Hochzeit  sehnsüchtig' entgegenharri^)   Mit  dem  Motiv  der 


1)  Oy  es  Sol  tu  amada  esposa, 

y  seras  de  Sol  maxido 
sagt  das  Bauerbräutchen  Sol. 
No  dudo 

Que  oy  ml  esperanca  se  acaba, 
y  Uega  la  possession 
de  aquel  mi  esperado  bien 


de  afrentas  que  has  puesto  en  el; 
mas  ay  de  la  infame  pluma 
que  espera  el  corte  cruel. 


100  I^äs  spanische  Drama. 

unschuldig  unbewussten  Incestliebe  wechselt  Mendo's  Ohrfeigen- 
motiv ab,  in  fortschrittlosen  Wiederholungsscenen  eines  monoto- 
nen Situations-  und  Affectspiels,  bald  auf  Mendo's  Baueradelhof 
und  Heimathssitz,  Benavides  in  Asturien,  bald  zu  Leon,  in  der 
Hauptstadt  des  König-Kindes  Alfonso.  Zwei  Acte  hindurch  blei- 
ben diese  scenisch  einander  ablösenden  Affecte  stationär  und, 
wie  des  Geschwisterpaars  Hochzeit,  in  der  Schwebe,  Hie  und 
da  ein  Streiflicht  von  einem  Motiv  aufs  andere  i)  ruft  keine  con- 
flictvoU  dramatische  Wechselwirkung  hervor,  keine  sich  steigernde 
Erregung  in  der  Eintönigkeit  von  Mendo's  ewigen  Klagen  über 
seine  Beschimpfung  und  ewigem  Wiederkäuen  seiner  Maultasche, 
und  ebenso  wenig  in  den  dieselbe  Liebesarie  ableiernden  Scenen 
des  Geschwisterbrautpaars  mit  Sancho's  refrainartig  wiederkehren- 
der Wortspielverherrlichung  des  Namens  „Sol"  (Sonne),  welche 
Wortspiel-Sonne  ebenso  in  seinen  Liebesscenen  mit  Sol  nie  un- 
tergeht. Und  selbst  nachdem  wir  aus  Clara's  Munde  das  Find- 
lingsgeheimniss  erfahren;  und  selbst  nachdem  sie  ihrem  Vater 
Mendo,  auf  sein  wiederholtes,  die  weitläufig  erzählte  allgemeine 
Vorgeschichte  und  Specialgeschichte  seiner  Ohrfeige  beschliessen- 
des  Klagebedauern,  betreffs  ihrer  Nichtverheirathung  und  seiner 
Enkellosigkeit,  das  Geständniss  ablegt:  das  Liebespaar,  Sancho  und 
Sol,  seyen  ihre,  mit  König  Bermudo,  des  König-Kindes» 
Alfonso,  hochseligem  Vater,  erzeugten  Kinder,  und  nicht  nur 
unter  einander,  sondern  auch  des  König-Kindes  Geschwister  — 
wie  schwach  wirkt  selbst  da  noch  diese  Entdeckungs-Peripetie 
auf  Fortgang  und  Entwickelung  des  Stückes!  Wie  schlurrt  und 
schleift  Mendo's  Grossvaterentzücken  über  den  plötzlich  gewon- 
nenen Enkel-Eächer ,  in  den  Pantalon-Pantoffeln  und  die  Hand 


fäUt  ihr  Sancho  bei,   hüpfend  vor  Freude,  so  hoch  sich  mit  Klotz-  oder 
Bauersepartschuhen  (abarcas)  hüpfen  lässt. 

1)  Wenn  Mendo  z.  B.  sich  einen  Enkel  wünscht  der  seine  Schmach 
räche:  und  in  der  betreffenden  Scene  mit  seiner  Tochter  Clara  schmerz- 
lich bedauert,  dass  sie  nicht  geheirathet  hat: 

Si  tu  te  huuieras  casado, 

por  dicha  tuviera  un  nieto, 

por  quien  tuvieran  respeto, 

al  rostro  que  han  deshonrado. 


FehlstÖsse  vom  Dichter  wie  von  seinen  Personen.  101 

an  der  geschwollenen  iPacke,  durch  so  und  so  viel  Scenen,  wäh- 
rend dritthalb  Jornadas,  immer  noch  hin  und  her,  mit  ungeroche- 
ner  Maulschelle!  Der  Misslage,  in  die  Clara  sich  durch  ihr 
Geständniss  versetzt,  nicht  zu  erwähnen,  dass  sie  unter  ihren  Au- 
gen —  seit  sechs  Jahren!  —  zwischen  den  Geschwistern,  ihren 
Kindern  eine  Incestliebe  spielen  liess,  deren  zufällige  Unschuld 
wahrlich  nicht  ihr,  der  Mutter,  Verdienst  ist. 

Und  welche  irgendwie  durchgreifende  Folge  Wirkung  hat  S  au- 
ch o's  Erscheinen  im  Palaste  des  Kind-Königs  zu  Leon  mit 
Mendo's  ein  todter  Buchstabe  bleibendem  Herausforderungsbrief 
an  seinen  Beschimpfer,  Payo  de  Vivar?  Hat  des  roh  schmäh- 
süchtigen, den  im  Bauernkleide  eingetretenen  Sancho  „Villano*' 
schimpfenden  Payo  Angriff  auf  Mendo's  Bestellboten?  Hat  San- 
cho's  des  Payo  Klinge  parirender  Bauernknüppel?  Hat  Payo's 
dem  Sancho  zugestandner  Zweikampf  mit  einem  seiner  Diener, 
da  er  selbst,  Payo,  sich  unmöglich  als  Hidalgo  mit  einem 
Bauerntölpel  schlagen  könne?  ^)  Alle  diese  Incidenzen  sind  fol- 
gelos und  gehen  —  in  die  Brüche?  —  thäten  sie  doch  so  viel 
mindestens!  nein  —  gehen  in's  völlig  Leere  aus.  Kennt  doch 
Sancho,  auch  nach  dieser  Scene  mit  Payo,  bis  weit  in  die 
zweite  und  dritte  Jornada  hinein,  noch  immer  den  Payo 
nicht!  Und  stösst  auf  seinem  zweiten  Auszug  nach  Leon,  von 
Mendo  und  Clara  zu  dem  Zwecke  bewaffnet  und  ausgerüstet, 
aber  bis  jetzt  immer  noch  in  Unkenntniss  über  sein  Verhältniss 
zu  ihnen  gelassen —  statt  den  Payo,  stösst  Sancho  auf  seinem 
zweiten  Eachezug  einen  ganz  Andern,  ünbetheiligten ,  einen  der 
Hofritter  in  den  Kind-Königs  Zimmern,  den  Lain  Tellez,  die 
allermüssigste  Person  im  Stücke,  nieder,  des  Glaubens,  dieser  sey 
der  Payo!  Und  rühmt  sich  auch,  bei  seiner  Eückkehr,  dem 
Mendo  gegenüber,  dass  er  den  Payo  ermordet. 2)  Entspringt 
nun  aus  der  Verwechslung  etwa  eine  entscheidende,  dramatische 
Folge,  ein  Katastrophenmoment?    Nicht  im  geringsten.    Als  Bo- 


1)  Payo.  mira  yo  soy  Cauallero, 

y  es  reprouado  en  mi  honor 
renir  con  un  labrador. 

2)  porque  dentro  de  palacio 
he  dado  a  Binar  la  muerte. 


102  I^as  spanische  Drama. 

tenlohn  für  diesen  in's  Blaue  verlaufi||den  Fehlstoss  erhält 
-  Sancho  von  dem,  seitens  Sancho's,  unwissentlich  getäuschten,  und 
wiederum  auch  seinerseits  ergebnisslos  getäuschten  Mendo  — 
erhält  Sancho  als  Botenlohn  die  Kunde  von  seiner  Enkelschaft, 
und  dass  der  König  Bermudo  sein  Vater;  nicht  aber,  dass 
Sol  seine  Schwester.  Warum  nicht?  Damit  dieses  ärgerliche 
Verhältniss  noch  eine  Weile  hingezogen  werde  für  nichts  und 
wieder  nichts,  blos  damit  Sancho  seine  Wortspiele  mit  „Söl" 
und  „Sonne"  noch  ein  klein  weniges  todt  hetze.  ^)  Dann  erst  ver- 
nimmt „Freund  Sancho",  dass  Sol  seine  Schwester,  dass  sein 
Liebespiel  mit  Sol  zu  Ende.  Scheint  die  „Sonne"  noch  so  schön, 
einmal  muss  sie  untergehn  —  der  Wortspiele  unbeschadet,  un- 
verwehrt  und  vorbehaltlich,  mit  denen  er  sich  nun  noch  in  der 
darauf  folgenden  Scene,  der  letzten  der  zweiten  Jornada,  gütlich 
thut,  in  seiner  Abschiedsscene  von  der  Schwester,  als  seiner 
Braut,  zu  der  er  nun  in  sein  Aphelium,  seine  Sonnenferne  tritt 
auf  unbestimmte  Zeit.  ^)  S  ancho.  „Lebe  wohl,  unmögliches  Ge- 
mahl!" —  Sol.  „Unmöglicher  Gemahl,  lebe  wohl."  ^)  A  Dios  im- 
possible  esposa.  —  Könnten  wir  doch  auch  sagen:  jAdios  impos- 
sible  Comedia  famosa!  mit  einem  aufrecht  stehenden  und  mit 
einem  auf  den  Kopf  gestellten  Ausrufungszeichen.  „Leb  wohl, 
famose  Komödie,  ein  für  allemal!"  Noch  bannt  uns,  wie  des 
schlafenden  Faust  eingefangenen  Gesellen,  das  „Pentagramm",  die 


1  que  a  Sol  quiero,  a  Sol  adoro, 

Mendo  dame  a  mi  Sol  claro  .  .  . 
El  signo  soy  de  Leon*) 
que  no  el  Leon  coronado, 
porte  aqueste  Sol  por  mi, 
pues  me  ha  quemado  seys  anos. 

2)  Por  dezillo  que  es  mas  cierto, 
mi  Sol,  y  luz  soberana 
Soy  tu  hermano,  y  tu  mi  hermana 
hasta  este  tiempo  encubierto. 

3)  San  eh.  ja  Dios  impossible  esposa! 
Sol.        [impossible  esposo  a  Dios! 

*)  Wortspiel  im  Wortspiel:  Leon  als  Königreich,  und  der  „Löwe" 
Thierkreis  und  als  Gespiel  der  „Sonne". 


Amphibische  Nachwüchse.  103 

dritte  Jornada,  „Pentagramm'',  in  Ansehung  des  mystischen 
Fünfecks  auf  Mendo's  Backe,  das  noch  keinen  Rattenzahn  gefun- 
den, der  es  löse  und  entbanne. 

Was  wird  nun  mit  den  auseinandergerissenen  Herzen  des 
Geschwisterbrautpaars?  Das  Mindeste,  was  man  erwarten  durfte, 
wäre,  dass  sie  verbluten;  dass  die  hinschmelzenden  Herzen  min- 
destens, wie  Arethusa  und  Alpheus  oder  Nymphe  Salmacis  und 
Hermaphrodit  sich  mit  einander  vermischten;  dass  die  grausam 
Getrennten,  wie  nach  der  Sage  ein  ähnliches  Liebespaar  mit  den 
entseelten,  gleich  Baumzweigen  die  Gruftwand  ihrer  Nachbar- 
gräber durchbrechenden  Armen  sich  umfassten  —  dass  auch  sie 
in  ihren  Gräbern  mindestens  sich  die  Hände  reichen  würden. 
Nichts  von  alledem!  Dergleichen  tragischen  Ausgang  einer  ge- 
schwisterlichen Incestliebe  verböte  ja  schon  die  auf  ein  fröhliches 
Ende  sich  spitzende  Comedia;  zumal  eine  Comedia  famosa  wie 
die  der  Benavides,  wo  die  Scenen  sich  polypenartig  fortpflanzen. 
Da  können  und  müssen,  von  solchem  dramatisch-plastischen  Bil- 
dungsgesetze bestimmt,  sich  denn  auch  folgerecht  die  blutenden 
Herzhälften  unseres  Geschwisterliebespaars  so  rasch  und  unver- 
merkt ergänzen,  wie  den  Krebsen,  anstelle  der  ausgerissenen 
Scheeren  und  Schwänze,  neue  nachwachsen.  So  finden  wir  San- 
cho's  Herz  schon  in  der  zweiten  Scene  der  dritten  Jornada 
mit  dem  einer  ihm  aus  heiler  Haut  mittlerweile  zugewachsenen 
Dona  Elena  verschmolzen  und  vollkommen  wiederhergestellt. 
Die  Neubildung  erfolgt  um  so  rascher,  da  Elena  die  Schwester 
des  vermeintlich  von  Sancho  erdolchten  Payo  de  Vivar  ist, 
dessen  Regeneration  Sancho,  kraft  eines  ähnlichen  rhinoplasti- 
schen  Naturprocesses,  bewirkt  glauben  muss,  aufgrund  von  Ele- 
na's  Versicherung,  sie  habe  eben  ihren  aus  Leon  wohl  und  mun- 
ter heimgekehrten  Bruder,  Payo,  frisch  und  gesund  in  seinem 
Schlosse  verlassen,  i)  Sancho  könne  sich  selbst  davon  überzeu- 
gen, wenn  er  ihr  folgen,  und  sich  ihrem  Bruder  als  ihren  Le- 
bensretter aus  den  Armen  eines  Bären,  der  sie  im  Schlafe  über- 
fallen,   von   ihr    wolle   vorstellen   lassen.     Diesen  Bären   hatte 


Elena.  Payo  de  Vivar  mi  hermano 
Vino  aora  de  Leon, 
buen  hombre,  contento  y  sano  . 
Digo  que  estä  en  su  castiUo, 


104  I^s-s  spanische  Draraa. 

Sancho  der  Elena,  die  er  unter  einem  Baum  schlafend  fand, 
als  sie  erwacht  war,  aufgebunden.  ^) 

Gleichermaassen  hat  sich  auch  Sol's  Herzhälfte  durch  Zu- 
sammenwachsung mit  der  eines,  behufs  dessen,  durch  spontane 
Zeugung  unter  Einfluss  der  Sonnen-  oder  Sol-Wärme  entstan- 
denen Hidalgo  aus  des  König-Kindes  Gefolge,  Namens  Inigo 
Arista,  imwege  äquivoker  Wiedererzeugung,  inzwischen  rege- 
nerirt.  Selbstverständlich  schwitzt  der  Sonnenerzeugte  Sol-  und 
Wortspiele  aus  allen  Poren. 2)  Sogar  die  Wortspiele,  Sancho's 
vom  Munde  ihm  abgeschnittene  Wortspiele  mit  „Sol"  und 
„Sonne"  wachsen  dem  liiigo  Arista  als  neue  Krebsscheeren 
wieder  und  setzen  das  Geschäft  fort.  Zu  Mendo's  untröstli- 
chem Kummer  ist  seine  Ohrfeige  demselben  Regenerationspro- 
cesse  unterworfen:  Sie  entsteht  immer  vonneuem;  Sancho's 
Operation  zumtrotz,  der  sie  doch  mit  seinem  Dolche  entfernt  zu 
haben  sich  berühmte.  Dazu  wächst  sie  auch  noch,  nicht  wie 
beim  Krebse  die  abgeschnittenen  Glieder,  sondern  als  tödtlicher 
Wangenkrebs,  nach.  Sancho,  seiner  Liebe  zu  Payo's  Schwester 
Elena  unbeschadet,  schleift  heimlich»  sein  Messer  zu  einem  wie- 
derholten Schnitt,  während  Payo,  auf  den  Bären  hin,  den 
Sancho  seiner  Schwester  Elena  aufgebunden,  den  tapfern  Bären- 
tödter,  absehend  von  dessen  Bauernthum,  zu  seinem  Schildknap- 
pen, gelegentlich  der  vom  König-Kinde,  auf  Mendo's  An- 
dringen vorgeschriebenen  Vorladung  zum  Zweikampf,  wählt  und 
wappnet.  ^)    Der  Daus !  eine  neue  Verwickelung,  um  welche  noch 


1)  Fingir  quiero 

(sagt  er  beim  Anblick  der  schlummernden  Schönen) 
que  algun  osso 
baxa  del  monte  par  ella. 

2)  Inigo.  Si  Sol  era. 

Que  milagro  que  me  hiziera 

Arder  el  alma  en  su  Uama. 

Ay  Sol,  Etiope  soy, 

Negro  del  alma,  y  esclavo. 
Zu   einem    „seelenschwarzen    Aethiopen    und  Negersclaven*',   sagt  liiigo 
habe  ihn  Sol  verbrannt. 

3)  Yo  le  dare 

vestido  y  armas  primero. 


Der  abgejagte  Kind-König.  105 

obendrein  wilde  Mohrenausfälle,  wie  die  Waffentänze  derKureten 
um  die  Wiege  des  kretischen  Götterkönig-Kindes,  lärmten  und 
tobten.  Geschieht  nun  aber  auch  danach?  Wird  Sancho  die 
neue  Verwickelung  wenigstens  entwirren  helfen?  Als  Ehrenrächer 
seines  Grossvaters  und  gleichzeitiger  Schildknappe  des  Entehrers 
Payo?  Als  natürlicher  Bruder  des  König-Kindes  und  als  Anbe- 
ter vonPayo's  Schwester?  Wird  Sancho  in  letzter  Stunde  min- 
destens diesen  parallelgegensätzlichen  Berufen  zumbesten  der 
Entwickelung  nachkommen?  Nicht  Einem  kommt  er  nach!  Wie 
vorhin  mit  dem  Dolche,  so  stösst  er  auch  hier  wieder  daneben. 
Anstatt  nun  diese  ihm  von  der  Katastrophe  zugewiesene  Auf- 
gabe dem  Ziele  zuzuführen,  improvisirt  Sancho  die  Befreiung 
des  bei  einem  Mohrenausfall  geraubten  König-Kindes,  Alfonso, 
so  dass  Mendo,  dem  aus  seinem  Kinnbackenknochen  ein  Rä- 
cher-Engel auferstehen  soll,  sich  gemüssigt  sieht,  seine  Ehren- 
rache selbst  in  die  Hand  zu  nehmen,  und  den  sich  eher  seines 
Todes  als  solcher  Improvisation  versehenden  Payo  mit  einem 
Dolchstoss  niederzustechen.  Potztausend  und  aber  Tausend!  Nun 
wuchern  gar  noch  aus  dem  wilden  Fleisch  der  Katastrophe  frische 
Verwickelungen  auf,  und  wie  aus  faulem  Bocksblute,  dem  Plinius 
zufolge,  Krebse  entstehen  sollen,  so  kriechen  aus  Payo's  improvi- 
sirt vergossenem  Blute  neue  Krebse  mit  eben  nachgewachsenen 
Scheeren  und  Schwänzen  hervor  in  Gestalt  des  edlen  Prauen- 
paares  Clara  und  Elena,  die,  den  Panzerkrebs  um  die  Brust 
geschnallt  und  mit  Schilden  und  Schwertern  bewaffnet,  aufeinan- 
der losgehen,  Clara  den  Kampf  für  ihren,  von  Elena  als  Meu- 
chelmörder und  Verräther  geschimpften  Vater  Mendo;  Elena 
für  den  improvisirten  Brudermord  aufnehmend,  i)  Das  Schreck- 
lichste, nur  nicht  das,  was  man  erwartete,  wäre,  noch  hinter  dem 
Rücken  der  Katastrophe,  geschehen,  wenn  nicht  die  letzte  Scene 
als  nachletzte,  den  Sancho  mit  dem  den  Mohren  abgejagten 
Kind-König  auf  den  Armen  herbeiführte  und  mit  der  Krone 
auf  dem  Kopf,  die  ihm  die  vorletzte  Scene  als  rechtmässigem 
Nachfolger  seines,  wie  sie  glaubte,  von  den  Mohren  ermordeten 


1)  Clara,   paes  biielues  por  tu  hermano 

defender  mi  padre  quiero. 
iSuelta  Senor  essa  espada! 


106  1^3-s  spanische  Drama. 

König-Brüderchens,  Alfonso,  aufgesetzt  hätte.  Solmit  Inigo 
Arista,  aus  dem  edlen  Stamme  der  Lara's,  Elena  mit  Kron- 
prinz, Sancho  Benavides-Bermudo  verquicken  zu  einem 
von  der  Comedia  selber  unvorhergesehenen  Ehepaare,  wie  es 
Goldmachern  zu  passiren  pflegt,  denen  ihre  Mischungen  unter  der 
Hand  zu  etwas  ganz  Anderem  gerathen,  als  sie  beabsichtigt  hat- 
ten. Mit  dem  stehenden  Auskehrspruch  und  der  Krone  auf  dem 
Kopf  empfiehlt  noch  zuletzt  der  muthmaassliche  Thronerbe  von 
Leon  und  Asturien,  Benavides  junior,  und  Bermudo  senior  in 
Einer  kronprinzlichen  Person,  dem  Publicum  die  Comedia ,  deren 
Hauptheld  er  ist,  als  —  erschrick  nicht,  guter  Leser!  als  die 
Comedia  des  ersten  Benavides  i),  einen  zweiten  in  Aussicht 
stellend,  dessen  Existenz  uns  ein  unerforschliches  Geheimniss  ge- 
blieben und,  will's  Gott,  bleiben  soll. 


Las  flores  de  Don  Juan,  y  Rico  e  Pobre  trocados. 

(Die  Blumen  des  Don  Juan,  und  Keichthum  mit  Armuth,  Armuth  mit 
Eeichthum  vertauscht.) 

Abermals  ein  Stoffmotiv,  das  auch  Shakspeare  in  seinem 
Lustspiel  'As  you  like  it'  („Wie  es  euch  gefällt")  benutzte.^) 
Sein  'Orlando',  der  vom  altern  Bruder  und  Stammerben  Oliver 
unterdrückte  jüngere  Bruder,  ist  in  Lope's  Comedia  der  Titelheld, 
Don  Juan,  und  „die  Blumen"  zielen  auf  dessen  Gewerbe.  Des 
Nothdürftigsten  vom  unnatürlichen  Bruder  beraubt,  treibt  Don 
Juan  nicht  ohne  Beziehung  auf  den  Namen  seiner  angebeteten 
Schönen,  La  Condesa  de  la  Flor 3)  (Shakspeare's  ßosalinde), 


1)  Sancho.  aqui  acaba  la  comedia 

del  primero  Benavides. 

2)  Bekanntlich  nach  Thomas  Lodge's  Schäferroman:  *Eosalynd 
Euphues  golden  Legacy'  etc.  1598.  4.  Andern  zufolge  wäre  Shakspeare's 
Quelle  die  gereimte  Erzählung  eines  Zeitgenossen  Chaucer's  gewesen :  'The 
Coke's  Tale  ofChamelin',  die  ihrerseits  aus  einem  französischen,  wohl 
normannischen  Conte  geflossen  seyn  mochte.  (Vgl.  Simrock,  Quellen  zu 
S.  280  ff.)  Wahrscheinlich  folgt  Lope  de  Vega  dieser  französischen  Vor- 
lage, oder  einer  spanischen  Bearbeitung  derselben.  —  3)  „Alle  und  jede 
Frauennamen  nach  Blumen  wurden  ursprünglich  aus  dem  Munde  Lieben- 


Lope's  Comed.   Las  Flores  de  Don  Juan.  107 

ein  Blumengeschäft  1),  das  ihn  ernährt.  Spakspeare's  rührend 
getreuer  biederherziger  Diener  „Adam",  Lope's  German,  steht 
in  einem  ganz  ähnlichen  Verhältnisse  zu  seinem  Herrn,  Don 
Juan.  2) 

Lope  eröffnet  sein  in  Valencia  spielendes  Stück  mit  einer 
Toilettenscene  des  altern  Bruders,  Don  xA  Ion  so,  der,  ein  ver- 
schwenderisches Leben  führend,  aus  der  Hand  seines  Schwertfe- 
gers  (Bspadero)  einen  bestellten  höchst  kostbaren  Degen  und  ei- 
nen vergoldeten  Dolch  empfängt.  Dem  Schwertfeger  folgt  auf 
dem  Fusse  der  Goldarbeiter  (platero)  mit  einer  prachtvollen 
Halskette  (cabestrillo).  Der  Junker  schmückt  sich  für  den  Jo- 
hannestag, der  in  Valencia  mit  besonderer  Pomphaftigkeit  ge- 
feiert wird.  Hierauf  bringen  ihm  seine  Lustgesellen,  die  mit 
DonAlonso  die  Nacht  am  Spieltische  und  bei  Gelagen  mit 
zwei  Buhldirnen  Eosela  und  Celinda,  durchgeschwärmt,  den 
Morgengruss.  Die  Unterhaltung,  der  Gesprächston  folcher  Cava- 
lierchen- Wüstlinge  ist  auf's  glücklichste  der  Zeitmode  abge- 
lauscht; schaales,  abgestandenes  Gewitzel,  Faseleien,  Abhub  der 
schwelgerischen  Gelage  in  übernächtig  katzenjämmerlicher  Stim- 
mung; ein  Conversationsbild  der  Morgenstunde  im  Salonleben 
dieser  aus  faulen  Austern  aufglänzenden  und,  dank  der  Fäulniss, 
leuchtenden  Irrwische  aller  Zeiten.  Als  erste,  Grundton  und 
Grundstimmung  des  Stückes  anzugeben  bestimmte,  das  Geschick 
des  dramatischen  Helden  vorbereitende  und  vorandeutende  Expo- 
sitionsscene  jedoch,  von  mindestens  fraglicher  Angemessenheit  und 
Berechtigung.  Im  Exponiren  seiner  Stücke,  wie  die  spanischen 
Dramatiker  des  17.  Jahrh.  überhaupt,  ein  kunstmeisterlicher  Vir- 
tuose, verliert  sich  Lope  de  Vega  hier  in  Ausmalen  von  Mode- 
bilderchen,  die  mit  dem  Hauptthema  nichts  gemein  haben. 
Alonso's  Verhältniss  zu  seinem  Bruder  wird  in  der  ganzen 
Reihe   der   ersten  Auftritte   mit  keinem  Worte  berührt.    Shak- 


der  ihren  Geliebten  kosend  gegeben  und  soUen  die  innigste  Vorstellung 
glänzender,  duftender  Schönheit  darlegen."  J.  Grimm:  „lieber  Frauen- 
namen aus  Blumen*'.  Kl.  Schriften  Bd.  II.  S.  387.  —  1)  In  Lodge's 
Schäferroman  Rosalynd  heisst  dieser  jüngere  Bruder  'Eosader'.  Blumen, 
Rosen  klingt  auch  in  der  Erzählung  an.  —  2)  Rosader's  treuer  Diener 
ist  in  Lodge's  Erzählung  ein  alter  Engländer,  Namens  Adam  Spencer. 


108  ^^^  spanische  Drama. 

speare  versetzt  uns  sogleich  mit  dem  ersten  Eintritt  Orlando's 
und  Adam's  in  medias  res;  und  diesem  auf  der  Ferse 
folgt  der  ältere  Bruder,  Oliver,  das  Conflictthema  vorweg, 
wie  in  einer  Meisterouverture,  in  vielen  Accorden  hereinstürmend, 
dieweil  Lope's  vier  bis  fünf  Eingangsauftritte  mit  Stimmen  der 
Instrumente  gleichsam  sich  vergnügen;  ein  Ohrenschmaus  für  jenen 
chinesischen  Gesandten,  dem  solches  Stimmen  das  beste  Musik- 
stück in  der  Oper  dünkte.  Lope's  fünfte  Scene  erst  führt  uns 
Don  Juan  mit  seinem  Diener  Germän  vor;  Don  Juan,  als 
Contrast  zu  des  Bruders  Prunkkleidern,  im  ärmlichen  Friesrock 
(bayeta).  Wegen  des  unwürdigen  Anzugs  stellt  Don  Juan  den 
Haushofmeister  seines  alten  Bruders,  Otavio,  zur  Kode.  Bei 
Shakspeare  lässt  Orlando  die  aus  dem  Gehren  seines  groben 
Kittels  gezückten  Dolche  des  Vorwurfs  vor  den  Augen  des  pflicht- 
vergessenen Bruders  blitzen.  „Ich  habe  so  viel  vom  Vater  in 
mir,  als  ihr."  Dies  dem  Bruder  in's  Gesicht,  zündet  ganz  an- 
ders als  Don  Juan's,  hinter  des  Bruders  Bücken,  dem  Diener 
auftrumpfende  Frage:  „Bin  ich  ein  Bastard  denn,  der  ausgesetzt 
ward  vor  der  Thüre  seines  Hauses?"  i)  Und  worauf  pocht  Don 
Juan  zunächst  dem  Haushofmeister  gegenüber?  dass  ihm  doch 
der  in  Hüll  und  Fülle  schwelgende  Bruder  ein  neues  Kleid  zum 
Johannistage  machen  lasse:  „Da  es  doch  kaum  ein  Kartengeld 
ihm  kostet,  mich  neu  zu  kleiden  auf  Sanct  Johannistag."  2)  Mit 
welchen  feurigen  Ruthen  peitscht  Shakspeare's  Orlando  dagegen 
die  Ehr-  und  Pflichtvergessenheit  des  Bruders?  „Mein  Vater 
legte  euch  in  seinem  Testament  auf,  mir  eine  gute  Erziehung  zu 
geben.  Ihr  habt  mich  wie  einen  Bauern  gross  gezogen,  habt 
alle  Eigenschaften,  die  einem  Edelmann  zukommen,  vor  uns  ver- 


1)  ^Soy  algun  bastardo  ecfiado 
A  la  puerta  de  su  casa? 

Gegen  die  aus  der  Uebereinstimmung  des  Wortlauts  gezogene  verführeri- 
sche Folgerung  einer  Entlehnung  —  vonseiten  Shakspeare's  natürlich  — 
woUen  wir  uns  noch  immer  mit  dem  Wachse  des  Ulysses  die  Ohren  ver- 
stopfen. So  viel  nur  sei  bemerkt,  dass  wir  in  Shakspeare's  Erzählungs- 
quelle nichts  von  diesem  Wortwechsel  fanden. 

2)  Fuera  mucho  de  barato 
Vestirme  para  San  Juan, 


Shakspeare  und  Lope  de  Vega.  109 

borgen  und  verschlossen  gehalten.  Der  Geist  meines  Vaters 
wird  mächtig  in  mir,  und  ich  will  es  nicht  länger  erdulden, 
darum  gesteht  mir  solche  üebungen  zu,  wie  sie  dem  Edelmanne 
geziemen"  u.  s.  w.  Verwunderlich,  dass  der  englische  Bürgers- 
sohn dem  Spanier,  dem  gebornen  Dichter-Caballero  zeigen  muss, 
wie  ein  in  seinen  ritterlichen  Ansprüchen  und  Eechten  vom 
Bruder  gekränkter  und  verwahrloster  junger  Edelmann  dem  Un- 
terdrücker die  Hölle  heiss  macht,  und  dass  der  aufs  Ritterwesen 
aus  nationaler  Hochbrüstigkeit  immerdar  pochende  Spanier  seinen 
Don  Juan  wie  einen  verschämten  Armen,  Hausdiener  oder  Haus- 
narren beim  Schaffner  seines  gewissenlosen  Bruders  um  ein  neues 
Wamms  zum  Johannisfest  betteln  lässt!  „Was,  sprichst  du  Bett- 
ler auch  ein  Wörtchen  drein?"  fährt  Otavio  gegen  Ger  man 
auf.  Nicht  mehr  Bettler,  als  mein  Herr  Don  Juan,  könnte  Ger- 
män  erwidern,  und  trumpft  auch  in  diesem  Sinne  den  Otavio 
ab.  1)  Otavio  entfernt  sich,  mit  vornehmer  Grossmuth  sich  er- 
bietend, ein  gutes  Wort  für  Don  Juan  bei  dessen  Bruder  ein- 
legen zu  wollen!  Don  Juan  verschluckt  die  Demüthigung  und 
zerstreut  sich  bei  einer  Partie  Ecarte  mit  Germän  oder  was  es 
für  Kartenspiel  ist.  2)  Während  des  Spieles  treten  die  beiden 
Liebchen  des  Alonso,  Rosela  und  Celinda,  verschleiert  ein. 
Sie  unterhalten  sich  abseits  und  unbemerkt  über  Don  Juan's  un- 
glückliche Lage,  der  eifrig  zwischendurch  in  einem  Paralleldialog 
mit  seinem  Diener  Trümpfe  wechselt.  Germän  bemerkt  die 
Dämchen  zuerst.  Don  Juan  bietet  den  Spieleinsatz  den  unbe- 
kannten verschleierten  Mamsellchen  an,  die  das  Geschenk,  im 
Betrage  von  drei  Eealen  als  Kartengeld  (barato)  „mit  beiden 
Händen"  annehmen.  Celinda,  welche  den  bemitleideten  Jüng- 
ling in's  Herz  geschlossen,  reicht  ihm  als  Gegengeschenk  ihre 
Börse  mit  „hundert  kleinen  Scudo's";  die  er  gleichfalls  einsteckt. 
Ingleichen  ein  Ringlein,  das  ihm  die  verschleierte  Rosela  zum 
Andenken  bietet.  All  das  verträgt  sich  mit  dem  spanischen 
Ritterwürden-  und  Ritterehrbegriffe  vortrefflich.    Kann  sich  der 


1)  „Der  Titel  kommt  mir  zu  von  Rechteswegen, 
Weil  ihn  mein  Herr  führt  nach  dem  hohen  Willen 
Seines  Herrn  Bruders.'* 

2)  „AI  triunfo",  „TriumpfspieP*  nennt  es  Don  Juan. 


110  Das  spanische  Drama. 

junge  Caballero  doch  nun  standesgemäss  auf  Sanct  Johannis  mit 
einem  neuen  Kleide  zeigen,  i)  Schön  und  gut!  Greift  denn  aber 
auch  diese  episodisch  unerfreuliche  Scene  im  Picarescostyl  noth- 
wendig  in  das  Getriebe  der  Handlung  ein? 

Don  Alonso  mit  den  Galgenbrüdern  betreten  nun  den 
Vorsaal  und  nehmen  Don  Juan  aufs  Korn.  Alonso  beab- 
sichtigt den  Bruder  nach  Flandern  in  den  Krieg  zu  schicken, 
damit  er  als  Krüppel  zurückkehre;  dann  soll  er  „neue  Kleider" 
bekommen.  Auf  Fürbitte  eines  der  Zech-  und  Spielgenossen,  dem 
Bruder  zum  Johannisfeste  ein  Kleid  zu  schenken,  erwiedert  Don 
Alonso:  „Ich  thu'  es  nicht,  bei  meinem  ßitterwort!"  und  geht 
in  den  Saal  zurück.  Aus  Mitleid  drücken  die  Wüstlinge  dem 
Don  Juan  ihre  „Kartengelder"  in  die  Hand.  Er  verwahrt  sich 
zwar  gegen  die  Zumuthung,  als  hätte  er  um  ein  Almosen  gebe- 
ten 2),  drückt  aber  doch  die  Hand  zu,  eine  andere  Bitte  aus- 
sprechend, Capitain  Leonardo,  einer  von  Alonso's  Schmaus- 
und  Spielfreunden,  möchte  ihm  ein  Pferd  auf  morgen  (zum 
Johannisfeste)  leihen.  Der  edle  ritterliche  Schmarotzer  stellt  ihm 
den  Schimmel  zur  Verfügung.  Die  Freunde  wollen  an  Freige- 
bigkeit nicht  nachstehen  und  laden  den  ausgehungerten  Bruder 
zu  Tische  ein.  Germän,  Don  Juan's  treuer  Hausdiener,  giebt 
seiner  Anhänglichkeit   an  den  jungen  Sohn   des  seligen  Herrn 


1)  —  Sean  quien  fueran. 
Yo  tengo  dineros  ya 
Para  salir  mas  galan 

Que  el  sol,  de  San  Juan  el  dia. 
„Was  kümmert's  mich?" 
(wer  die  beiden  Franenzimmerchen  waren) 

„Bin  ich  jetzt  doch  bei  Geld 
Um  lichter  als  die  Sonne  mich  zu  zeigen 
Auf  Sanct  Johanns.** 
Auch  Shakspeare's  Orlando  nimmt  eine  goldene  Kette  als  Ehrengeschenk; 
von  Wem,  an?    Von  einer  Königstochter;   und  bei  welcher  Gelegenheit 
an?   Nach  seinem  sieghaften  Ringkampf  mit  dem  Athleten  Charles ;  nimmt 
die  Kette  von  Rosalinden  an,  mit  deren  Herzen  ihn  eine  noch  beiden  ge- 
heimnissvolle Liebeskette  verknüpft!  (1.  2.) 

2)  „Fast  sieht  es  aus, 

Als  hätt'  ich  um  Almosen  euch  gebeten, 

Und  freilich  seh'  ich  aus,  als  hätt'  ich's  nöthig." 


ö 


Wegscheide.  111 

mit  den  Worten  Ausdruck:  „Der  Himmel  hat  ein  Einsehn  heut 
mit  mir,  für  mich  fällt  auch  ein  Brocken  vor  die  Thür."  ^) 
üeberall  die  niedrige  Leibesnothdurft,  beim  Herrn  wie  beim  Die- 
ner. Der  rührende  Schmerz  des  jungen  Edelmanns,  die  tiefe 
berechtigte  Erbitterung,  die  Empörtheit  seiner  Seele  ob  der  grau- 
samen Herzlosigkeit  des  Bruders,  ob  seiner  geistigen  Verwahr- 
losung und  Unterdrückung,  erfährt  vonseiten  des  spanischen  Dich- 
ters eine  ähnliche  Zurücksetzung,  wie  sein  Don  Juan  von  Don 
Alonso. 

Hier  scheiden  sich  die  Wege  von  Shakspeare's  und  Lope  de 
Vega's  in  dem  einen  Conflictmotive  übereinkommenden  Lustspielen. 
Shakspeare,  Schritt  haltend  mit  Lodge's  Erzählung—  eineWaldein- 
samkeits-Komödienidylle  Vbll  der  wunderbarsten  Contrastspiegelun- 
gen  kunsttiefer  Ideensymbolik,  worin  er  unter  den  dramatischen  Dich- 
tern —  Aeschylos  und  etwa  noch  ein  Paar  indische  Bühnendich- 
ter ausgenommen  —  keinesgleichen  hat,  und  wovon  seine  Vor- 
lagen und  Stoffquellen  sich  nichts  träumen  lassen.  So  z.  B.  im 
Vorbeigehen  bemerkt  —  die  Beleuchtungsreflexe,  die  auf  beide  Brü- 
derpaare, —  Herzog  Friedrich,  und  dessen  von  ihm  vertriebenen 
rechtmässigen,  im  Ardennerwald  sein  Verbannungsidyll  hinleben- 
den Herzog,  —  und  auf  das  Brüderpaar  Oliver  und  Orlando  fallen.  In 
Lodge's  Erzählung  treten  die  beiden  Herzoge  nicht  als  Brüder  in 
Gegensatz.  Ferner  — '  um  noch  einen  Zug  anzudeuten  — •  die  im 
grillenhaften,  melancholisch  hyperidyllischen  'Jaques',  der  schä- 
ferlichen Stimmung  des  verbannten,  naturschwärmerischen,  wäl- 
derfrohen Herzogs  beabsichtigte  satirisch  gegenbildliche  Vexir- 
figur.  Kurz,  all'  die  Schachten,  Goldbergwerke  und  Diamanten- 
gruben von  dramatisch  poetischen  kunstintentionellen  Gegenspie- 
gelungen, die  auch  in  diesem  Lustspiele  Shakspeare's  sich  uns 
aufthun  werden,  neben  welchen  die  Conflictcontraste  der  ersten 
und  grössten  Bühnendichter   wie   artige  Zierrathen,   schmucke 


1)  Dios  me  ha  venido  a  ves,  qua  eii  el  tinelo 

Comiera  mucho  hueso,  palo  y  pelo 
Gott  kam  mir  zur  Hülf :  in  der  DienerzeUe, 
Aess'  ich  Knochen  nur  und  Prügel  in  der  Pelle. 

('pelo'  bedeutet  „Haar",  hier  Wortspiel  zu  *palo',   „Prügel  mit  Haut  und 

Haaren".) 


112  ö^s  spanische  Drama. 

Bordüren  und  kostbare,  doch  oberflächlich  an  Säumen  und  Eän- 
dern  der  Gewände  angebrachte  Stickereien  sich  ausnehmen.  Wäre 
etwa  Lope  de  Vega's  in  unserm  Stücke  durchgeführter,  dessen 
zweiten  Titel:  Glückswechsel  von  Eeichthum  in  Armuth  und  von 
Armuth  in  Reichthum,  brodirender  Gegensatz  kein  solcher  in 
Gold-  und  Silberspitzen  flimmernder,  mit  der  Gewandfarbe  ge- 
fällig abstechender  Eandstreifenbesatz,  der  sich  leicht  und  be- 
quem abnehmen  und  gelegentlich  an  ein  anderes  Hof-  und 
Staatskleid  von  Perlenstickereien,  anheften  Hesse?  Dem  Kunst- 
principe  blosser,  noch  so  geistvoll  feinen  und  pikanten  Unterhal- 
tung ist  eben  nur  die  glänzende  Toilettenhülle  der  Poesie  abzu- 
gewinnen. Die  poetische  Lust,  die  Kunstergötzung  ist,  wie  die 
Liebesgöttin,  eine  Schaumgeborene,  aber  emportauchend  aus  ei- 
nem von  meerestiefen  Ideen  gährendem  und  leuchtendem  Schaume. 
Lope  de  Vega's  durchhin  aphrodisische  Komödien  feiern  auch  die- 
sen Ursprung  der  Liebesgöttin  aus  Meerschaum,  aber  ein  Meer- 
schaum im  Sinne  der  Kunstkabinette.  Wunder  von  Nippsgebil- 
den,  kunstrein  geschnitten  aus  dem  zu  erdigen  Resten  verdunste- 
ten Seeschaum;  oder  auch  als  Fontänengruppen  in  königlichen 
Parks  und  Ziergärten,  jenen  Ursprung  darstellend,  umsprüht  von 
blitzenden  Wasserstrahlen  und  Schaumperlen. 

„Gräfin  de  la  Flor"  in  einem  Mantel  mit  Gold  ver- 
brämt und  einem  Hut  mit  Federn;  ihre  Freundinnen  Dona  Con- 
stanza  und  Doiia  Ines  in  Mäntelchen  und  Hüten,  am  Mee- 
resstrande bei  „Sonnenaufgang",  bilden  sie  nicht  eine  ähnliche 
aphrodisische  Gruppe,  von  blendendem,  zauberischem  Glanz  der 
Toilette,  nicht  blos  der  eigenen,  sondern  auch  der  scenischen 
Toilette,  rings  umschimmert,  wie  eine  Fontänenstatuengruppe,  vom 
Schleiergewebe  ihrer  nassen  Gewände?  Und  Ein  Glänzen  auch 
das,  was  sie  sprechen!  Gleich  dem  Funkeln  der  Rieselklänge, 
die  von  den  Lippen  solcher  von  Springquellen  umrauschten  Göt- 
tinnen-Bildergruppen tönen  ^),  im  Einklang  mit  dem  morgen- 
frischen seedurchhauchten  „Gesang  hinter  der  Scene."  ^) 


1)  Ines.      „Fürwahr,  das  schöne  Meer  glänzt  doppelt  schön 

An  einem  solchen  Sanct-Johannismorgen  .  .  /' 
Gräfin.  „Das  schöne  Wasser  lacht  mir  an  das  Herz." 

2)  ^Como  retumban  los  remos, 
Madre,  en  el  agua, 


Ein  Schiller'scher  Taucher-Sprung.  113 

Unter  den  zu  ßoss  schautummelnden  Rittern  am  Meer- 
strande erkennt  Dona  Costanza  Alonso's  Bruder,  Don  Juan, 
über  dessen  „neuen  Eock^'  sich  Gräfin  de  la  Flor  wundert  und 
Doiia  Costanza  über  den  Schimmel.  ^)  Die  Gräfin  heisst  ihren 
alten  Knappen  (escudero),  Durango,  in  ihrem  Namen  bitten: 
„Er  möcht'  auf  dieser  Brücke  hier  im  Meer  gestreckten  Laufs 
die  Sporen  geben."  Der  Stallmeister  macht  sie  auf  das  abschüssig 
iu's  Meer  sich  senkende  Brückenende  aufmerksam.  Die  hoheFrau  be- 
harrt bei  ihrer  liebesprobelaunischen  Zumuthung.  Durango  be- 
stellt an  DonJuan  de  Fox  der  Herrin  Aufforderung.  Don  Juan 
sprengt  los  —  plansch !  stürzt  er  mit  dem  Schimmel  in's  Meer. 
Nun  fährt  die  Gräfin  mit  den  beiden  Freundinnen  vor  Schrecken 
empor.  Dona  Ines  hält  Schimmel  und  Eeiter  für  verloren. 
Gräfin  ruft:  „So  müsst'  ich  mich  in  Thränenflut  ertränken, 
wie  er  ertrunken  in  der  Meeresflut."  —  Doch  ward  dem  Frauen- 
hold der  Sturz  zum  Heil,  „es  riss  ihn  nach  oben."  Das  Wie 
und  Wo  führt  Durango  aus  in  einem  malerischglänzenden  Schil- 
derungsbilde,  das  von  Salzflut  glüht  in  der  Morgensonne.  Grä- 
fin de  la  Flor  schickt  dem  triefnassen  Schimmelritter  ihren 
„gesteppten  Mantel"  (herreruelo  afoi-rado),  in  abgebrochenen  An- 
deutungen, als  Lohn  für  Don  Juan's  „heldenmüthiges"  Sturzbad, 
des  Mantels  süssen  Kern,  ihr  holdes  Selbst,  durch  den  Dunst- 
schleier der  Anadyomene  schimmern  lassend,  wenn  solcher  Hel- 
denmuth  „mit  Unmöglichkeiten"  sich  zahlen  Hesse.  ^)  Beim  Em- 
pfang des  gesteppten  Mantels  erklärt  sich  der  mit  nassen  Haaren, 
in  eine  Pferdedecke  gehüllt,  auf  der  Bühne  erscheinende  Don 
Juan   stolzfreudig  zu  einem  „Wasser-Mucius"^),    als   Pendant 


Con  el  freseo  viento 
De  la  manana. 
„Wie  die  Ruder  klatschen, 
Mütterchen,  in  der  Flut! 
Wie  der  frische  Seewind 
Thut  dem  Morgen  gut!** 
Wetter!  was  für  Trochäen  unsere  Jambe  schnalzen  kann! 

1)  „Seht  wie  er  heut  kommt  stattlich  angesprengt 
Ganz  weiss  und  auf  dem  Schimmel.** 

2)  Porque  nunca  de  imposibles 
Se  pagan  hechos  gallardos. 

3)  He  sido  Mucio  de  agua  .  .  . 

X.  8 


114  Das  spamsche  Drama. 

zum  Peuer-Mucius,  jenem  Scaevola  nämlich  mit  der  verbrannten 
Hand,  ja  zu  einem Fegefeuer-Mucius  oder  Curtius,  sich  hochbegeistert 
gelobend:  „Obschon  ich  freilich  nicht  bin  ihresgleichen,  so  würd' 
ich  doch,  wenn  sie's  befehlen  wollte,  Bei  Gott,  mich  in  das  Fege- 
feuer stürzen,  So  rasch  wie  von  der  Brücke."  ^)  Doch  verläugnet 
der  feuer-  und  wasserdichte  Frauenritter  seinen  Grundzug:  de- 
muthsvoUe  Selbstbescheidung,  nicht.  G  e  r m  a  n '  s  Eath :  der  Gräfin 
den  Hof  zu  machen,  sich  um  ihre  Liebeshuld  zu  bewerben,  weist 
Don  Juan,  der  Zuchtruthe  seines  Bruders  alle  Ehre  gebend,  als 
ein  Unerreichbares,  Unmögliches  zurück:  „Welchen  Kang  hab' 
ich,  Und  welche  Schätze,  um  nur  dran  zu  denken,  Mit  Gräfin  de 
la  Flor  es  aufzunehmen?"  2)  Lassen  wir  den  Duckmäuser  indess, 
Lope'n  zulieb,  als  jenen  Leu  im  Heldenbuch  gelten,  und  dass, 
wie  dieser  seinem  Herrn,  auch  unser  Seelöwe  seiner  Herrin,  als 
treuer  anspruchsloser  Hund  folge.  Denken  wir  uns  ihn  als  einen 
jungen,  im  Käfig  geworfenen  wohldressirten  Menagerielöwen,  der  die 
liebkosende  Reitgerte  seiner  ihn  fütternden  Wärterin  küsst  und 
deren  ihm  in  den  Rachen  gestecktes  Händchen  so  unbehelligt 
fahren  lässt,  wie  Don  Juan  die  hochadelige  Hand  der  grossen 
Dame,  Condesa  de  la  Flor. 

Der  zweite  Act  ist  der  Contrast- Bewerbung  des  lieder- 
lichen durch  Schwelgerei  verarmten  altern  Contrastbruders,  Don 
Alonso,  um  die  Hand  der  begüterten  Dona  Costanza,  und 
deren  hohnvoller  Abweisung  seiner  Freite  gewidmet.  Beiher  geht 
Don  Juan's  entsagungsvolle  Hingebung  an  die  schöne  Gräfin 
de  la  Flor,  die  verlobte  Braut  des  erwarteten  sicilianischen  Mar- 
ques Alejandro.  Einem  Marques  die  Braut,  ihm  noch  dazu  eine 
Condesa  abgewinnen  wollen,  muss  einem  Don  Juan,  wie  die- 
sem Kehrbild  zu  Mozart's  Don  Juan,  ein  Act  des  Wahnsinns 
scheinen.  Er  lässt  es  bei  lunatischen  Blicken,  bei  nächtlichem 
Emporschmachten    zum   Fenster   der   Gräfin    bewenden,    ganze 


1)  Der  Text  übernimmmt  blos  den  Sprung  vom  (Thurm)  ^Micalete' 

Del  micalete  me  echära, 
Como  del  puente,  por  Dios. 

2)  dQ^®  calidad,  que  tesoro 
Tengo  yo,  para  emprender 
La  Condesa  de  la  Flor? 


Bruder-Scene.  Ij5 

Nächte  lang,  wie  ein  Kranich,  stehend  auf  Einem  Entsagungsbein, 
und  in  der  andern  Klaue,  wie  der  Kranich  den  wachsam  erhal- 
tenden Stein,  seinen  schweigsamen,  und  über  diese  Schweigsamkeit 
wachenden  Mund  haltend.  ^)  Die  Scenen  verhaltener  und  zurück- 
getretener Liebe  verschränken  sich  mit  Spielscenen  bei  Don 
Alonso,  der  sein  Alles  auf  die  letzte  Spielkarte  in  Dona  Costan- 
za's  mitgiftreicher  Hand  gesetzt  hat.  Den  an  sich  trefflichen  und 
des  Meisters  würdigen  Scenen  möchte  doch,  inanbetracht  des 
Hauptmotivs,  zu  viel  Spielraum  eingeräumt  seyn.  Näher  zum 
Endziele  trifft  Don  Juan's  seinem  nichtsnutzigen  Bruder  vor- 
getragener Wunsch,  nach  Flandern  zu  gehen  und  dort  Kriegs- 
dienste zu  nehmen.  Alonso  findet  wohl  das  Vorhaben  nach  sei- 
nem Geschmack,  nicht  so  das  dazu  nöthige  Reisegeld,  das  er  mit 
dem  Degen  als  die  „Unverschämtheit  eines  Lumpen"  dem  Bru- 
der in's  Fleisch  zu  kerben  willens  ist,  und  davon  nur  absteht  auf 
die  endlich  sich  ermannende  Drohung  Don  Juan 's,  ihm,  wie 
er  den  Degen  zöge,  Kleid  und  Knochen  zu  Fetzen  zu  hauen.  ^) 
Dass  Don  Juan  nicht  längst  diese  Fetzen  aus  des  Bruders  Kleidern 
klopfte!  Er  hätte  sich  vielleicht  dann  auch  Manns  gefühlt,  mit 
dem  sicilianischen  Marques  Alejandro  um  die  Braut  zu  rin- 
gen, siegreich,  wie  Orlando  den  herzoglichen  Klopffechter  Charles, 


1)  Gräfin.      „Wenn  sprechen  heisst  ein  stets  ergebnes  Blicken 
Mit  jenem  Ausdruck,  der  dich  so  entzückt, 
Dann  hat  Don  Juan  mir  hundertmal  gesprochen; 
Mit  seiner  Zunge  aber  that  er's  nicht. 


Durango.  Wann  hätte  je  Don  Juan 

Ein  Auge  noch  verwandt  von  deinem  Fenster? 
Costanza.  Erbarme  dich  doch  dieser  armen  Seele. 
Gräfin.       Ich  muss  mich  hüten;  gleich  würd'  es  berichtet 
Dem  grossen  Herrn,  dem  ich  bin  zugesagt/' 
Don  Juan:  Ritter  Toggenburg.    Die  Gräfin:   Die  „Nonne"  in  Uhland's 
Ballade,  der  weibliche  Ritter  Toggenburg.    Ein  spanischer  Ritter  Tog- 
genburg?   Selbst  Macias  hatte  sich  für  die  Rolfe  bedankt!    Eine  spani- 
sche Entsagungsnonne?    Mit  jedem  Blatte  schlägt  selbst  der  Cancionero 
den  grossen  spanischen  Tagessittenschilderer  auf  den  erfinderischen  Mund ! 
2)  —  pues  estos  brazos 

Te  harän  vestido  y  carne  mil  pedazos. 


\IQ  Das  spanische  Drama. 

in  „Wie  es  euch  gefällt'S  zu  Boden  boxt,  i)  Doch  durfte  dies 
eben  Don  Juan  des  Contrastes  wegen  nicht,  den  es  dem  Spa- 
nier vor  allem  zu  zeichnen  und  durchzuführen  oblag;  die  stärksten 
Schatten  dicht  neben  den  blendendsten  Lichtern  in  paralleler  Ab- 
wechselung: Spagnoletto's  als  Mantel-  und  Degenkomödiei),  deren 
ständiges  Grundproblem,  das  gleichfalls  zwischen  Höllen-  und 
Empyreumsbeleuchtung  taumelnde  Martyrium  der  L  i  e b  e  sl  e  i  d  e  n- 
schaft,  bildlich,  wie  beim  Maler  das  martyrologische  Motiv  über- 
haupt vorwaltet.  Je  intensiver  und  fleischlicher  Marterbrunst  und 
Folterqualen  im  Gemälde  dargestellt  erscheinen,  desto  flagranter 
und  kunstkirchlicher  ringen  um  die  Martyrerpalme  auch  die,  dem 
Motiv  entsprechenden,  brünstigen  Lichter  und  Schatten.  Glei- 
chermaassen  sammelt  die  spanische  Komödie  alle  feurigen  Strah- 
len des  Liebemotivs  in  den  Brennpunkt  der  Leidenschaft, 
der  von  Eifersucht  durchglühten  Leidenschaft,  nicht  der  Liebe: 
dergestalt,  dass,  je  foltersüchtiger  das  Herz  von  Eifersuchtsqua- 
len, wie  im  spanischen  Martyrium-Gemälde  des  Blutzeugen 
Fleisch  und  Eingeweide  von  Messern,  Haken  und  Geisseistacheln, 
zerrissen  und  zerfetzt  werden,  —  dass  ähnlich  auch  in  der  spa- 
nischen Komödie  einem  solchen  Matyriumbilde  der  in  Leiden- 
schaftsliebe verwilderten  Liebesleidenschaft  eine  um  so  glorrei- 
chere Siegespalme  zufällt.  Weit  entfernt,  dass  der  Leidenschaft 
üebermaass  in  der  spanischen  Liebeskomödie  zur  Sühne,  zur 
dramatischen  Katharsis,  zur  Purification  des  üebermaasses,  durch 
Erkenntniss  und  Empfindung  des  poetischen  Gleichgewichtes  der 
Triebe  und  der  Vernunft  gelange:  erblickt  der  spanische  Dichter 
und  Zuschauer  in  dem  Üebermaass  als  solchem  die  Glorification, 
die  höchste  Läuterung,  die  aus  den  dramatischen  Conflicten  sich 
erhebt,  wie  die  heilige  ßosalia  aus  den  Flammen  des  in  Kosen- 
haufen  verwandelten  Scheiterhaufens.  Insofern  kann  die  Capa  y 
espada-Comedia  gleichfalls  nur  für  ein  Auto  gelten,  und  Komö- 
dienheld und  Heldin  gehen  aus  dem  Fegefeuer  ihrer  Liebes-  und 
Eifersuchtsraserei  nicht  als  entsündigte  Büsser,  sondern  als  ver- 
klärte Glaubenszeugen  und  heilige  Apostel  dieser  Käserei  hervor,  die 
für  ein  spanisches  Herz  ein  eben  so  unantastbares  blindlings  zu 


1)  Celia.  „Es  ist  der  junge  Orlando,  der  den  Einger  und  dein  Herz 
in  einem  Augenblick  zu  Falle  brachte.**    ,,Wie  es  euch  gefällt". 


Liebe  und  Ehe  in  der  span.  Komödie.  117 

verehrendes  Dogma  ist,  wie  irgend  ein  Kirchendogma.  Spricht  ein 
orthodoxer  Glaube  an  dieses  von  allenjSünden  und  Verbrechen  los;  so 
ist  dem  Liebeshelden  der  spanischen  Komödie  die  grosse  Sünde,  das 
Schmachvollste,  Ehrloseste,  um  desünmaasses  und  der  Zügellosigkeit 
seiner  Liebesleidenschaft  willen,  vergeben,  und  in  demselben  Verhält- 
niss  vergeben,  als  diese  Leidenschaft  gesetzloser,  dämonischer,  ver- 
nunftwidriger, gottloser  sich  erweist.  Das  Element  der  höchsten  Lie- 
besseligkeit ist  der  spanischen  Komödie  nicht  der  Himmel,  nicht  das 
Paradies,  sondern  das  höllische  Feuer.  Der  Austrag  der  Liebesirren 
durch  schliessliche  Vermählungsweihe  oder  doch  mindestens  un- 
ter dem  Deckmantel  heimlicher  Ehe^),  ist  nur  eine  Rücksicht, 
die  mehr  dem  Sacrament  der  Kirche,  als  dem  Komödienbrauche 
gilt,  so  wie  die  der  spanischen  Komödie  des  17.  Jahrh.  zur  Zierde 
und  Ehre  gereichende  Vermeidung  der  ehelichen  Komödienskan- 
dale, die  das  gleichzeitige  französische  und  englische  Lustspiel  als 
eine  Schule  des  Ehebruchs  und  der  Eheverspottung  brandmarkt, 
im  Grunde  ebenfalls  aus  der  Scheu  vor  Entheiligung  eines  Sa- 
cramentes,  und  noch  mehr  vielleicht  aus  der  Scheu  vor  den  kleri- 
kalen, vor  den  kirchen-  und  profanfürstlichen,  offenkundigen  Ent- 
weihern desselben,  sich  ableiten  liesse;  welcher  Scheu  und  Rück- 
sicht wohl  gar  auch  das  dramaturgische  Kunstprincip  jener  Poe- 
tik entspringen  mochte,  die  als  Fundamentalsatz,  als  kategori- 
schen Kunstimperativ  gleichsam  für  dramatische  Spiele  und  Dich- 
ter das  Postulat  aufstellt:  die  Zuschauer  um  jeden  Preis  und 
wenn  es  seyn  muss,  aufkosten  der  Kunst  selber,  zu  amüsiren,  nur 
nicht  aufkosten  der  skandalösen  Unsitte,  was  bekanntlich  so  viel 
hiesse,  als  aufkosten  der  guten  Sitte  der  feinen  Welt. 

Scheint  nun  Lope  in  seiner  uns  beschäftigenden  Komödie: 
„Die  Blumen  des  Don  Juan",  durch  eine  von  der  geschilderten 
VS^eise  abweichende  Behandlung  des  Liebe-  und  Eifersuchtsmotives 
zu  überraschen,  indem  er  letzteres  ganz  aus  dem  Spiele  lässt, 
und,  behufs  lUustrirung  des  Liebesthema's,  einen  Galan  vorführt, 


1)  Casete  con  gran  secreto 

Y  cree  que  corresponde 

Esto  ä  ser  noble  y  cristiano, 

Y  lo  contrario  se  opone. 

Lope  de  Vega.    „Los  Embustes  de  Celanro".  IIL  esc.  V. 


\\^  Das  spanische  Drama. 

der  seine  Liebesleidenschaft  durch  Bekämpfung  derselben,  durch 
Vergrabung  seines  Liebespfundes,  durch  Erstickung  der  Leiden- 
schaft mit  allen  vier  Zipfeln  seines  geflickten  Bescheidenheits- 
mantels oder  schäbigen  Flausches  und  gleichzeitig  mit  den 
Zipfeln  des  „gesteppten  Mantels"  der  Gräfin,  die  er  allesammt 
sich  und  seinem  Liebesgeständniss  in  den  Mund  stopft  ■—  scheint 
Lope  mit  solchem  arte  nuevo  seinen  dramaturgischen  arte  nuevo, 
die  Mehrzahl  seiner  eignen  nach  diesem  arte  componirten  Komö- 
dien und  nebenher  unsere  obigen  Ausführungen  aufs  Maul  zu 
schlagen :  so  wird  jeder  Kundige  doch  sogleich  diesem  Scheine 
des  Scheinens  auf  den  Grund  sehen  und  erkennen,  dass  wir  es 
hier  mit  einer  auf  die  Spitze  gestellte  Spitzsäule  zu  thun  haben, 
mit  der  gewöhnlichen  auf  die  Spitze  getriebenen  Liebesleiden- 
schaft nämlich,  nur  dass  diese,  als  umgekehrte  Pyramide,  mit 
der  Spitze  auf  des  Helden  verborgenster  Herzensfalte  steht,  wäh- 
rend die  Basis,  die  verschwiegene  Zunge,  deckend  und  verheim- 
lichend darüber  lagert.  Mit  andern  Worten:  dass  die  sonstige 
Ueberspanntheit  der  wie  toll  sich  gebärdenden  Liebesleidenschaft 
und  Liebessprache  hier  in  das  üebermaass  von  entsagender 
Liebesdemuth  sich  verkehrt  und  umschlägt,  mehr  zugunsten  und 
im  Vortheil  der  Ueberraschung  durch  eine  neue  Finte  und  Volte 
des  stereotypen  Liebemotivs,  als  im  Besten  der  psychologisch-dra- 
matischen Kunst  und  einer  naturwahren  Charakterschilderung, 
insbesondere  einer  wahrheitsgetreuen  Schilderung  des  spanischen 
Lieberittercharakters  und  spanischer  Herzensliebe. 

Mit  Fusstritten  von  seinem  Bruder  aus  dem  Hause  gestossen, 
sieht  sich  unser  Opfer  verschwiegener  Contrastenliebe  und  bruta- 
len Bruderhasses  nach  einem  Handwerk  als  Existenzmit- 
tel um.  Don  Juan  hat  von  seiner  Schwester  das  Talent 
geerbt,  künstliche  Blumen  aus  Seide  und  Gummi  zu  verfer- 
tigen i),  die  sein  treuer  German  auf  der  Strasse  von  Thor  zu 
Thor  zum  Verkauf  ausbietet.  Unstreitig,  wenn  nicht  das  ritter- 
lichste, das  zierlichste  der  Handwerke,  zumal  in  einer  Komödie, 
wo  das  Liebesheldenpaar  durch  die  Blume  seufzt  und  schmachtet. 
German   ruft  seines  Herrn  Meisterwerke  aus  Gaze,  Draht  und 


1)  Yo  se  hacer  flores  con  primor  notable 

(Que  lo  aprendi  de  cierta  hermana  mia.) 


Der  Blumenhändler.  119 

Gummi  eben  vor  den  Palastfenstern  der  Blume  aller  Blumen 
aus,  der  Blumengöttin  selber,  der  Condesa  de  la  Flor,  der  Her- 
zensflora seines  Gebieters,  der  sich  einen  „Mustergarten"  nennt  0? 
Mustergarten  von  lauter  bescheidenen  Veilchen,  bis  auf  den  Ritter- 
sporn, der  vom  Veilchen  noch  die  Farbe  trägt.  Die  Gräfin  lässt 
den  „Blumenmann",  nicht  in  Person,  seinen  Stellvertreter,  den 
die  Blumennamen  ausrufenden  Ger  man  durch  ihren  Knappen 
Durango  in  den  Saal  heraufholen.  German  erschrickt,  als  er 
die  Gräfin  und  ihre  Freundinnen,  Costanza  und  Ines,  erblickt 
und  möchte  sich  am  liebsten  mit  seinem  Körbchen  voll  Seiden- 
blumen aus  dem  Staube  machen.  Doiia  Costanza  hat  ihn  aber 
schon  als  Don  Juan's  Lakai  erkannt.  „Nie  ging  ein  Vogel  tölpi- 
scher  in's  Garn",  kratzt  sich  German  hinter  den^Ohren.  In  sol- 
cher Lage  gilt  es,  Farbe  bekennen,  German  erzählt  den  Da- 
men, wie  sein  Herr  Blumenfabrikant  geworden,  und  bittet  nur 
um  Verschwiegenheit,  sonst  schlägt  ihm  der  Blumenkünstler  Arm 
und  Bein  entzwei.  Nun  geht  es  an  ein  Blumenabkaufen  zu  fa- 
belhaften Preisen.  Für  ein  Veilchenbouquet  giebt  Dona  Ines 
zwei  scudos,  Dona  Costanza  für  ein  Paar  Lilien  eben  so  viel. 
Gräfin  de  la  Flor  lässt  von  Durango  den  ganzen  Korb  leeren 
und,  statt  der  Blumen,  mit  Ducaten  füllen,  goldene  Rosen,  die 
als  Peterspfennige  den  Päpsten  so  lieblich  duften.  Durch  die 
Liebesscene  dieser  Blumenkomödie  scheint  der  Hauch  des  indi- 
schen Liebesgottes,  Käma,  zu  wehen,  dessen  Bogen  aus  Zucker- 
rohr geschnitzt  und  die  Pfeilspitzen  aus  duftigen  Blüthen  beste- 
hen. Die  würzigsten  solcher  Pfeilspitzenblüthen  schnellt  die  Gräfin 
de  la  Flor  von  den  Rosenlippen  sub  rosa,  mit  den  Worten: 

,, Nehmt  German;  eure  Blumen  konnten  wohl 
Noch  schönre  Früchte  tragen,  wenn  die  Hand 
Nicht  lässig  ward,  die  sie  so  fein  gebildet/' 2) 

Und  fertigt  er  mehr,  so  bring  sie  mir  in's  Haus  ; 

,,Wir  wollen  sehn,  ob  aus  so  reichem  Flor, 
Nicht  eine  Wurzel  Keim  fasst/' 


1)  Soy  de  un  j  ardin  particular  modelo. 

2)  Tomäd,  German;  que  pudieran 
Dar  otro  fruto  si  el  tiempo 
No  helara  las  manos  deUas. 


120  jDas  spanische  Drama. 

Ein  Wink  mit  dem  Zaunpfahl  —  aber  immer  *)  durch  die 
Blume!  Germ  an  versteht  denn  auch  den  Wink  nicht  und 
fragt  blödiglich,  wie  nur  sein  Herr  fragen  könnte:  „Was  meinen 
Euer  Gnaden?" 

Ger  man  entfernt  sich,  da  erscheint  Don  Alonso's  Freund, 
Don  Francisco,  als  dessen  Handanträger  bei  Dona  Costanza, 
die  ihm  für  den  Absender  den  Korb  mitgiebt  ohne  Blumen. 
Ein  wo  möglich  noch  misslicheres  Selam  steht  Germ  an  im  Be- 
griff von  seinem  Herrn  zu  empfangen:  einen  Rosenstock  nämlich 
ohne  Rosen,  weil  Gräfin  Hipölita  de  la  Flor  durch  ihn  erfahren, 
dass  er,  Don  Juan,  Weiberarbeit  verrichte.  2)  Todt  schlug'  er  ihn, 
„hätt'  er  ihm  nicht  so  Vieles  zu  danken",  insbesondere  den  reich- 
lichen Erlös  für  die  Blumen,  der  ihm  eine  Soldatenuniform  und 
die  Reise  nach  Flandern  bestreiten  soll.  Aus  der  18.  Scene  des 
2.  Actes,  die,  gleich  so  mancher  anderen,  mehr  Conversations- 
als  dramatische  Scene  ist,  theilen  wir,  beispiels-  und  wunders- 
halben, noch  ein  Stückchen  Gespräch  mit,  das  die  Gräfin  mit 
ihrem  alten  Schildknappen,  Durango,  im  Beiseyn  der  unzer- 
trennlichen zwei  Freundinnen,  Costanza  und  Ines,  wechselt. 
Die  Gräfin  hat  den  alten  Bereiter  mit  seiner  Eifersucht  auf 
seine  Frau  geneckt  und  meint:  „Ein  Eifersüchtiger  findet  doch 
kein  Mittel,  das  ihm  erprobt,  ob  seine  Kinder  sein.*'  Durango 
illustrirt  die  Bemerkung  durch  ein  Geschichtchen: 

„Es  war  ein  Bauer  jüngst, 
Dem  jährlich  seine  Frau  ein  Kind  gebar; 
Er  liebte  dieses  Weib,  doch  graut'  es  ihm, 
Ob  seine  Kinder  auch  sein  eigen  Blut, 
Um  in  dem  Streitpunkt  nun  aufs  Klare  sich 
Zu  setzen,  kam  er  auf  'nen  närrischen  EinfaU  — 

Gräfin.       Was  that  er? 

Duarngo.  Er  castrirte  sich 3);  denn  so 

Dacht'  er,  wenn  seine  Frau  gebäre, 
Sey's  ausser  Zweifel,  dass  sie  ihn  betrüge. 


1)  Si  biciera  mas,  me  las  Ueva 
A  casa,  per  ver  si  en  tantas 
Alguna  esperanza  siembra. 

Y  iojalä  pudiera  ser! 

2)  Olicio  de  mujeres  delicadas. 

3)  Mandose  castrar. 


Lope's  und  Shakspeare's  freie  Komödiensprache.  121 

Costanza.  Das  Mittel  scheint  mir  etwas  theu^r  erkauft. 
Gräfin.       Doch  sicher  wär's,  und  ich  empfehF  es  euch. 
Durango.    Ich  danke,  will  mich  ausserdem  behelfen. 
Gräfin.       Manchem  begegnet's  wider  seinen  Willen." 

Drollig  genug!  Das  Drolligste  aber  ist,  dass  Lope  dergleichen 
von  und  vor  Frauen  der  auserlesensten  Gesellschaft  aus  höchster 
Sphäre  in  einer  Komödie  zur  Sprache  bringt,  die  das  zarteste 
Liebesverhältniss  behandelt  und  durch  den  Mund  der  Liebesheldin 
dieser  nur  Blumendüfte  und  Blumenthau  athmenden  und  davon 
lebenden  Liebe!  Ein  Beweis,  dass  der  damalige  Gesellschaftston 
in  den  vornehmsten  Kreisen  kein  Arg  dabei  fand,  und  dass 
Frauen  mit  einem  aes  triplex  von  hochgesinntem  Keuschheits- 
stolze in  der  Brust,  und  mit  einem  stachelbesetzten  Venusgürtel 
als  Abwehr  und  Schutz-  und  Trutzwaffe  ihrer  weiblichen  Ehre, 
Schaam  und  Tugend  um  den  Leib  geschnallt  tragen  konnten, 
und  doch  kein  Feigenblatt  vor  den  Mund  nahmen.  Finden  sich 
doch,  wie  männiglich  bekannt,  weit  häufigere  und  stärkere  Be- 
lege hiefür,  als  bei  Lope,  der  noch  als  ein  Meister  von  Zartge- 
fühl und  Wohlanständigkeit  gepriesen  werden  darf,  finden  sich 
doch  die  reichlichsten  Belege  hiezu  bei  dem  in  letzter  Kunstab- 
sicht sittlichstrengsten,  keuschesten,  ja  heiligsten  der  dramati- 
schen Dichter,"^  bei  Shakspeare!  Dessen  jungfräulichste  Mädchen, 
makellose  Tugendspiegel  und  Keuschheitsheldinnen,  geschlecht- 
liche Bezüglichkeiten  sich  erlauben,  als  hätten  sie  aller  Schaam 
den  Kopf  abgerissen.  Gleich  in  dem  Seitenstück  zu  Lope's  „Blu- 
men des  Don  Juan",  in  Shakspeare's  Lustspiel;  „Wie  es  euch 
gefällt",  gestattet  sich  das  Mädchenfreundschaftsideal,  das  jung- 
fräulich holdeste  der  Prinzessinnenpaare,  die  jemals  die  Bühne 
verherrlicht,  gestatten  sich  Kosalinde  und  Celia,  letztere  nament- 
lich Aeusserungen,  Zweideutigkeiten,  worüber,  gelinde  ausgedrückt, 
ein  Badeknecht  den  Kopf  schütteln  würde :  ^) 

,,Und  wo  wir  gingen,  wie  der  Juno  Schwäne 
Da  gingen  wir  gepaart  und  unzertrennlich."  2) 


1)  So  sagt  Celia  einmal  zu  der  als  Page  verkleideten  ßosalinde :  „Du 
hast  unserem  Geschlecht  in  deinem  Liebegeschwätz  geradezu  übel  mitge- 
spielt. Wir  müssen  Dir  Hosen  und  Wams  über  den  Kopf  ziehen,  damit 
die  Welt  sieht,  was  der  Vogel  gegen  sein  eigenes  Nest  gethan  hat/* 
IV.  1.  —  2)  I.  2. 


122  I^^s  spanische  Drama. 

Ein  so  prächtiges  Bild  fürstlicher  Gepaartheit,  jungfräulicher 
Seelenfreundschaft  und  schaamhafter  Lauterkeit  zweier  Königs- 
töchter konnte  zu  Shakspeare's  und  Königin  Elisabeths  Zeit  un- 
berührt vom  Schmutze  verfänglicher  Eedeweise  bleiben!  Wie  ja 
eben  auch  die  lichtweissen  Schwäne  von  dem  Schlamme  unbe- 
fleckt blieben,  worin  sie  mit  ihren  schwarzen,  der  Farbe  nach, 
schlammverwandten  Schnäbeln  wühlen.  — 

Von  German,  der  im  Soldatenfederhut  daherspreitzt,  erfährt 
die  Gräfin  Don  Juan's  Entschluss,  Valencia  zu  verlassen  und 
nach  Flandern  zu  gehen.  Sie  erschrickt  bis  in's  Herz  hinein  0, 
so  tief,  dass  auf  den  Schreck  die  Entscheidung,  die  Komödien- 
Katastrophe,  wie  der  Wasserschwall  bei  emporfahrendem  Eöhren- 
stempel  herbeistürzt,  und  Don  Juan,  welchem  German  den 
Eindruck  brühwarm  mittheilt,  am  Schlüsse  des  zweiten,  vorletzten 
Actes,  nun  selbst  an  der  Gräfin  Liebe  zu  ihm  glauben  muss'^), 
und  als  Schlussparaphrase  den  zweiten  Titel  der  Komödie:  „Ar- 


1)  Costanza  (ap.  a  la  Condesa). 

La  color  se  le  ha  mudado. 
Costanza  (heimlich  zur  Gräfin). 

Das  Blut  lässt  eure  Wang'  im  Stiche. 

2)  J).  Juan.     Ein  Labyrinth  des  Irrthums  ist  die  Liebe, 

Wenn's  aber  wahr  ist,  was  einst  Dante  sagte: 

Liebe  wird  stets  dem  Liebenden  vergeben, 

So  wie  Petrark  in  seinen  Zauberversen: 

Ein  Herz  aus  Erz  und  Marmor  müsst'  am  Ende 

Der  nie  gestillten  Liebesklage  weichen. 

So  kann  ja  wohl  Gott  Amor  selbst  einmal 

Das  Herz  einer  Hipolita  berühren: 

Du  bist  ein  Weib;  Du  sahst  mich  manchen  Tag 

In  Sonnengluth  wie  in  der  Nächte  Frost 

Die  angestellte  Wuth  des  Missgeschicks 

Vor  Deiner  Schwelle  Heiligthum  beseufzen, 

Dem  goldnen  Wagen  dieser  Herrin  folgen 

Anbetend  wie  ein  indischer  Götzendiener.*) 

So  viele  Lieb'  und  Elend  hat  ja  wohl 

In  Deine  Seele  ihren  Schmerz  gegraben. 


*)   Helena.         —  „Gleich  dem  Indier, 

Gläubig  in  seinem  Wahne  flehend,  ruf  ich 
Die  Sonne  an"  .  .  . 
Shaksp.  „Ende  gut  Alles  gut."  I.  3. 


Lope*s  u.  Shaksp.  Mangel  an  einem  Plan  in  den  bezügl.  Komödien.    1 23 

muth  und  ßeichthum  ihre  Rollen  tauschen"  (El  rico  y  pobre 
trocados)  anzufügen,  sich  nicht  entbrechen  kann. 

Von  der  Vertauschung  zeigen  schon,  in  der  ersten  auf  der 
Strasse  spielenden Scene  des  dritten  Actes,  Dona  Costanza's 
Eingangsworte  an  die  Gräfin  de  la  Flor,  die  eben  vom  Ball 
kommt:  Dass  Don  Juan  im  Tanzsaaal  alle  Männer  verdunkelt. 
„So  wahr  ich  lebe,  seine  Armuth  hat  den  ßeichthum  auch  der 
Reichsten  ausgelöscht.''  i)  In  seiner  Soldatentracht,  in  der  er  mit 
Germ  an  auch  jetzt  den  beiden,  bei  seinem  Anblick  sich  schnell 
verschleiernden  Damen  begegnet.  Don  Juan's  erstes  Zusammen- 
treffen und  Gespräch  mit  seiner  imstillen  angebeteten,  und  bei 
dieser  ersten  Unterredung  mit  ihr  noch  verschleierten  und  von 
ihm  unerkannten  Göttin.  Ein  seltsames,  dramatisch  planloses, 
gegenseitig  verschwiegenes  Lieben  par  distance.  Der  Mangel  ei- 
ner dramatischen  Verwickelung  und  eines  eigentlichen  Komödien- 
plans lässt  sich  auch  an  Shakspeare's  *As  You  like  it'  rügen; 
doch  führt  er,  seiner  Erzählungsquelle  folgend,  das  Liebespaar, 
Prinzessin  Rosalinde  und  den  bedrohten  Orlando,  im  Ardenner- 
walde  aufs  anmuthigste  zusammen.  Rosalinde,  in  Pagenanzug, 
neckt  sich  dem  sie  nicht  erkennenden  Orlando  scherzweise  als 
Rosalinde  auf.  Der  in  Liebe  zu  seinem,  wie  er  denkt,  fernen, 
ihm  entschwundenen  Ideale  verschmachtende  Orlando  geht  auf 
den  Scherz  ein,  in  der  Einbildung  mit  dem  autoptischen  Schein- 
truge die  Sehnsucht  nährend,  wie  der  Durstige  in  der  Wüste  an 
der  scheinbar  nahen  mit  Quellwasser  ihn  neckenden  Luftspie- 
gelung sein  Lechzen  täuscht.  Rosalinden  sind  Orlando's  scherz- 
haft an  den  Pagen  als  imaginären  Stellvertreter  des  fernen  Her- 
zensidoles  gerichtete  Liebesgeständnisse  wahrhafte  Bekennt- 
nisse, Seelenergüsse,  die  an  die  rechte  Adresse  gelangen,  die- 
weil  die  Hälfte  von  Orlando's  Liebesseufzern  auf  die  bewusste 


Aufschieben  drum  will  ich  das  Unternehmen 
So  lang,  bis  die  Gewissheit  mir  geworden, 
Dass  meines  läst'gen  Diensts  Du  müde  bist. 
1)  Que  un  hombre  como  Don  Juan 

Fuese  anoche  el  mas  galan 


Que  lucio  mas  su  pobreza 
Que  la  riqueza  major. 


124  I^a,s  spanische  Drama. 

Täuschung  kommen,  dass  er  in  seinen  eigenen  Beutel  lügt,  der 
noch  dazu  sein  Herzbeutel,  und  der  sich  gleichwohl  unterm  Be- 
lügen mit  dem  lautersten  Liebesgolde  füllt.  So  entspinnt  sich 
der  verscherzte  Lustspielknoten  doch  wieder  zu  goldnen  Intriguen- 
fäden  einer  idyllisch  lieblichen  und  zugleich  acht  lustspielartigen 
Herzensverwickelung,  mit  einem  Anhauch  von  phantastischem 
Reiz  und  Märchenzauber,  der  um  diese  ganze  Waldeinsamkeits- 
und Verbannungs-Einsiedelei  spielt.  Dahingegen  in  Lope's  Glück- 
wechselkomödie die  scharfe  Tagesbeleuchtung  des  durchaus  rea- 
listischen, und  durch  die  übliche  Schablone  der  Salon-  und 
Strassenbegegnisse  gezeichneten  Contrastiruugssittenbildes  jenen 
Mangel  an  Durchkreuzungs-Conflicten  und  Verflechtungen  der 
Incidenzen  eines  regelrechten  Komödienplans  um  so  auffälliger 
hervorstellt.  Dafür  hat  aber  der  Spanier  seinem  Charakter-  und 
Wendeglücksgemälde,  einem  der  lichtesten  seiner  Sittenlustspiele 
von  der  hellsten  Tönung,  bei  allem  scharfen  Abstich  gegen  die 
starken  Schattenpartien,  —  hat  Lope  seiner  wesentlich  peripeti- 
schen  Komödie,  wo  Handlung  und  Katastrophe  ganz  und  gar  in 
der  Peripetie  aufgehen,  und  worin  sich  Fortuna's  Kad  aus  freier 
Hand  gleichsam,  ohne  Intriguenplan,  ja  ohne  die  Glücksgöttin, 
die  aus  Caprice  doch  mindestens  ihr  Kad  mit  einem  Fussschnipp- 
chen  zum  Spinnrade  schlägt,  um  welches  der  Faden  läuft,  woran 
die  wechselnden  Geschicke  schweben  —  hat  Lope  dieser  Glück- 
spiel- und  Liebezufallskomödie  ohne  Liebesintrigue  einen  Schluss- 
act  abgewonnen,  der,  an  sich  betrachtet,  zu  den  glücklichsten 
Würfen  seines  dramatischen  Genie's  zählt. 

Noch  eine  Probe  ritterlicher  Galanterie  glaubt  die  verschlei- 
erte Gräfin  dem  Don  Juan  auf  der  Strasse  zumuthen  zu  müs- 
sen. Sie  ersucht  ihn,  ihr  aus  dem  Waarenlager  jenes  Mailänder 
Handelsherrn  dort  Bordüren  zu  besorgen.  Kaufmann  Laurencio 
tritt  aus  dem  Laden.  Don  Juan  bestellt  bei  ihm  die  Garni- 
turen und  noch  ein  Stück  Mailänder  Tuch  dazu,  statt  baaren 
Handgeldes  die  Wosse,  geldbaare  Hand  mit  Handschlag  anbie- 
tend ,  als  vorläufige  Abschlagszahlung.  ^)    Flugs  will   der  weisse 


1)  Y  por  vida  de  Don  Juan 

(Mostrad  Laurencio  esas  manos) 
De  pagaros  del  primer 


Handschlag  als  Handschilling.  125 

Kabe  von  Waarenhändler  das  gewünschte  Zeug  herbeiholen.  Die 
Gräfin  flüstert  ihm  in's  Ohr,  nichts  von  Don  Juan  zu  fordern, 
den  sie  nur  im  Scherz  auf  die  Probe  stellen  wollte  %  und  über- 
reicht dem  Kaufmann  einen  kostbaren  Demant  als  Sicherheits- 
pfand, dass  sie  ihm  den  Betrag  sogleich  senden  werde.  Der 
weisse  Rabe  lehnt  das  Juwel  ab:  „Mehr  Ehr'  ist  mir,  zu  dienen 
einem  Herrn,  wie  Don  Juan  ist,  als  alle  Güter  Mailands"  und 
huscht  in  seinen  Laden  zurück  mit  Don  Juan's  Handfeste  in  der 
Tasche.  Auf  Grund  des  galanten  Pumps  wünscht  die  Gräfin, 
dem  ritterlichen  Gutsager  in  ihrem  Hause  den  Dank  abzustatten. 
Don  Juan  entschuldigt  sich  mit  dem  Ritterdienste,  den  er  einer 
hohen  Frau  geweiht,  die  er  durch  einen  solchen  Schritt  zu  be- 
leidigen fürchte.  Auf  die  Gegenbemerkung  der  Gräfin,  jene  hohe 
Dame  erwarte  ihren  Bräutigam,  einen  sicilianischen  Marques,  ver- 
setzt Don  Juan: 

„Ich  weiss,  dass  meine  Niedrigkeit  die  Gunst 
Der  hohen  Frau  nicht  werth  ist  zu  erwerhen. 
Doch  soll  es  seyn,  dass  sie  sich  auch  vermählt, 
Ob  sie  zu  Eis  auch  friert,  zur  Flamm  entzündet, 
Kann  ich  verhindern,  ewig  sie  zu  lieben? 2) 

Gräfin.    Wenn  ich  nun  einen  Auftrag  von  ihr  hätte? 

D.  Juan.  Dann  stand'  ich  allerwärts  zu  euren  Diensten.'* 

Sie  scheiden,  und  nun  —  und  wie  ä  propos!  —  tritt  der  Bräu- 
tigam aus  Sicilien,  der  Marques  AI ej and ro  in  ßeisekleidern 


Dinero  que  me  han  de  dar 

Para  partirme. 
„Und  nehmt,  Laurencio,  diese  Hand  zum  Pfand 
Beim  Leben  des  Don  Juan  euch  zu  bezahlen 
Vom  ersten  Reisepfennig,  den  ich  finde." 

1)  Por  probarle  me  he  burlado. 

2)  Yo  se  que  la  suerte  mia 
No  merece  su  valor; 

Mas  que  importa  que  se  case, 

Que  me  hiele  0  que  me  abrase, 

Para  que  la  tenga  amor. 
Ein  schreiender  Anachronismus  diese  Troubadour -Liebe  zu  Lope's  Zeiten, 
der    aber    als    solcher   gerade   von   einschlagender  Bühnenwirkung   seyn 
mochte.    Je  hohler  die  Felsklüfte,  desto  schallender  das  Echo  auch  des 
kalten  Donners. 


126  I^as  spanische  Drama. 

mit  Dienern  und  Gepäck  auf;  ein  hochadeliger  Gracioso-Pedant 
vom  reinsten  Brillantwasser.  Lässt  sich  eine  solche  Figur  zweck- 
mässiger in  eine  Lustspielkatastrophe  hereinstellen?  Marques 
Alej andre  will  alle  Anstalten  getroffen  wissen,  um  bei  seiner 
hohen  Braut  hochaufgeputzt  mit  seiner  gesammten  Dienerschaft 
in  grosser  Gala  die  Aufwartung  zu  machen.  Gleichzeitig  mit 
diesen  Anstalten  hat  die  hohe  Braut  Don  Juan  mit  German 
von  ihrem  Escudero  Durango  in  den  beleuchteten  Garten  ihrer 
Freundin,  Dona  Ines,  einführen  lassen.  Gräfin  Hipolita 
begrüsst  ihn  holdseligst,  in  doppelte  Verschleierung  gehüllt:  in 
den  Komödienschleier,  den  eine  Spanierin  mit  zur  Welt  bringt,  und 
in  den  Sternenschleier  einer  Valencianischen  Nacht.  Mit  bestem 
VS7"illen  vermag  aber  Don  Juan  nicht,  aus  Rücksicht  auf  seine 
hohe  Herzensdame,  in  deren  ausschliesslichem  Dienste  sein  Herz 
nun  einmal,  sey's  auch  erfolglos,  schlägt,  der  unbekannten  Gön- 
nerin, die  ihm  das  Stelldichein  bewilligt,  „Liebe  vorzulügen."  Es 
folgt  nun  für  die  vor  ihrem  Schleier  verschmähte  Gräfin  die 
schmeichelhafteste  Liebeserklärung,  die  von  der  Gräfin  hinter 
dem  Schleier  mit  Wonne  eingesogen  wird.  Es  kitzelt  sie,  ihr 
von  Don  Juan  vergöttertes  Gedankenbild  zu  bestichein,  um  sich 
desto  überschwänglicher  von  ihm  vergöttern  zu  lassen.  0  So  wie 
sie  seinem,  will  sagen,  ihrem  Ideal,  mit  einem  Wörtchen  zu  nahe 
tritt,  ist  Don  Juan  auf  dem  Sprunge,  sich  zu  entfernen.  2)  0  um 


1)  Es  angelica,  es  divina, 
Trarparente,  cristalina; 
Mujer  que  si  la  mirais, 
Sospirarais  por  ser  hombre, 
jAy  de  mi  humilde  fortuna! 

„Sie  ist  ein  Engel,  stammt  von  Götterart, 
Durchsichtiger  Natur,  pur  wie  Kry stall! 
Säht  ihr  sie,  Weib,  ihr  müsstet  darum  seufzen 
Dass  euch  der  Himmel  nicht  als  Mann  geschaffen, 
0  dass  ich  solch  ein  armer  Teufel  bin! 

2)  Condez.  La  pobreza 

Os  hace  desvanecer. 
D.  Juan.  Pobre  ö  no,  yo  me  contento 
Con  ser  rico  deste  bien 
Gräfin,    „Die  Armuth  hat  euch  den  Verstand  verwirrt. 


Marques  Alejandro.  127 

einen  solchen  spanischen  Komödienschleier,  den,  wie  Göttin  Leu- 
kothea,  die  spanische  Comedia  ihrem  im  Meere  [seiner  Erfindun- 
gen rathlos  und  aufs  Gerathewohl  umherschwimmenden  Dichter 
in  dem  Augenblicke  zuwirft,  wo  ihm  die  Schwimmkraft  auszu- 
gehen droht  und  er  den  Krampf  in  die  Waden  kriegt!  Hinter 
dem  Schleier  —  dieser  glücklichsten  Erfindung  des  spanischen 
Drama's,  dem  Aufzugsgewebe  ihrer  Lustspielintriguen,  dum  stehen- 
den Zettel  und  Einschlag  ihrer  Verwickelungen  —  hat  sich  die 
Gräfin  bis  zur  Gipfelhöhe  des  Entzückens  von  Don  Juan's  Ver- 
herrlichungen emporschwingen  lassen;  sie  berührt  mit  dem  ver- 
schleierten Scheitel  die  Sterne,  jeder  Stern  ein  Liebesstern,  und 
ruft  dem  alten  Knappen  Durango,  der  den  eingetroffenen  Bräu- 
tigam aus  Sicilien,  Seine  Gnaden  den  Marques  Alejandro, 
anmeldet,  zu:  „Was  Bräutigam?  Was  Gemahl?  Ich  weiss  von 
keinem  künftigen  Gemahl,  als  Herrn  Don  Juan."  ^)  Zum  Erstau- 
nen der  beiden  Freundimien,  Costanza  und  Ines,  die  inzwischen 
eine  verschleierte  Unterhaltung  mit  Germ  an  gepflogen,  unter 
Anwandlungen  seinerseits,  mit  der  kühnen  Hand  jenes  Jünglings 
in  Schiller's  Ballade:  'Das  verschleierte  Bild  zu  Sais',  dem  Va- 
lencianischen Isispaar  die  Schleier  abzureissen  mit  Allem  was 
drum  und  dran  hängt.  Nachdem  sie  nun  selbst  sich  entschleiert, 
macht  Ger  man  Anstalten,  in  die  Erde  vor  Schreck  zu  sinken, 
über  die  ungenirte  Art,  womit  er  ihnen  zusetzte:  „Wie  Küchen- 
menscher hab'  ich  sie  behandelt;  das  ist  mein  letzter  Tag/' 2) 
Dass  sein  Herr  vor  der  nun  gleichfalls  schleierlosen  Gräfin  im 
Staube  daliegt,  anbetend,  und  ihre  Erklärung,  dass  er  von  heute 
ab  ihr  Gemahl,  GrafdelaFlor,  mit  Thränen  erwiedernd  zu 
ihren  Füssen  hingeströmt^"^),  versteht  sich   von  einem  Sonnenan- 


D.  Juan.  Arm  oder  reich  ich  fühle  luich  beglückt 

Im  Eeichthum  dieses  Schatzes  meiner  Seele/* 

1)  Yo  no  tengo  otro  marido 
Que  el  senor  Don  Juan. 

2)  Que  como  ä  viles  fregonas 
Las  he  tratado!    Hey  perezco. 

3)  Cond. que  no  quiero 

Marqueses,  condes  ni  duques, 
Sino  un  pobre  tan  discreto, 
Tan  prudente,  tan  galan 
Y  tan  firme  caballero, 


128  ^2,s  spanische  Drama. 

beter,  dessen  Herz  eine  Sonnenblume,  von  selbst.  Welche  Nacht 
zieht  über  den  „Grafen  de  la  Flor"  dahin ,  voll  goldener  Him- 
melsblumen, von  denen  sich  unser  Blumenkünstler  nichts  hatte 
träumen  lassen;  und  glühend  wie  die  Vermählungsküsse  ^) ,  die 
er  mit  der  nun  ganz  entschleierten  Gemahlin-Blume  wechselt, 
einer  Victoria  regia  schwimmend  wie  eine  Sonne  auf  einem  Won- 
nesee! und  welcher  Tag  auf  diese  Nacht  geht  dem  Bruder 
unseres  auf  Eherosen  gebetteten  Grafen  de  la  Flor,  dem  Don 
Alonso  auf,  mit  dem  er  die  Glücksrolle  wechselt!  Alonso, 
durch  Spiel  und  Lotterleben  an  den  Bettelstab  gebracht,  und  der 
von  ihm  misshandelte,  ausgestossene,  seines  Erbes  beraubte  Bru- 
der über  Nacht  aufgeblüht,  in  Einer  Brautnacht  wie  der  Eosen- 
busch,  den  die  persische  Prinzessin  Mandane  in  ihrer  Brautnacht 
ihrem  Schoosse  im  Traume  entspriessen  sah;  überschüttet  wie 
aus  einem  goldenen  Füllhorn  mit  allen  Beglückungen  des  Him- 
mels und  der  Erde  in  den  Armen  einer  Gattin,  die  eine  Idalia 
und  ein  rosiges  Paphos  zugleich,  hingegossen  auf  die  üppigen  ' 
Pfühle  ihres  Ehehimmelbettes!  Und  er,  Alonso,  der  Aus- 
würfling seines  eigenen  Hauses,  ein  Bettler  vor  des  jungem  Bru- 
ders goldener  Paradiesesthür,  den  er  bespieen  und  mit  Füssen 
hinausgestossen  aus  seinem  Hause!  Und  hiermit  noch  nicht  ge- 
nug, stellt  die  Contrastsituation  vor  dieselbe  Thür  auch  noch  den 
Marques  AI ej andre  mit  seiner  gesammten  Dienerschaft  im 
höchsten  Hochzeitsstaat,  als  Gräfin  Hipolita's  de  la  Flor  erlauch- 
ten Bräutigam  in  Floribus.  Er  klopft  an  und  vernimmt  vom 
Knappen  Durango,  angesichts  des  als  Bettler  dastehenden 
Alonso:    „Don  Juan   de  la  Flor,  Herr,   ist  ihr   edler  Gatte." 


„Die  Gräfin  bin  ich,  die  nicht  Grafen,  nicht 
Marquesen,  Herzoge,  noch  sonst  wen  will, 
Ansser  einem  armen,  sehr  verständigen. 
Treu  feinen,  tugendhaften  Cavalier." 
1)  In  Dona  Ines  Garten  sagte  schon  die  Gräfin  de  la  Flor: 
„Ihr  seyd  von  heut  an  der  Graf  de  la  Flor, 
Und  so  entschieden  giebt  sich  meine  Liebe, 
Dass  ich  heut  schon  den  Erzbischof  gesprochen 
•  Und  er  mir  Dispensation  ertheilt, 
Dass  unsere  Hände  man  noch  heut  verbinde.** 
0  um  einen  spanischen  Erzbischof  zum  spanischen  Komödienschleier! 


Der  Hochzeitsstraiiss  am  Leiidemaiii.  129 

Marques  Alejandro  besteht  auf  seinem  Bräutigäms-Blumen- 
strauss  im  Knopfloch;  Durango  auf  seiner  Versicherung: 

„Mein  aufgeräumter  Herr,  ihr  mögt  bedenken, 
Dona  Hipolita  und  Herr  Don  Juan 
Verschlafen  heut  den  ersten  Liebestraum, 
Denn  erst  am  Abend  wurden  sie  getraut.'^  i) 

Und  bettet  den  Hochzeits-Marques  auf  ein  Dornenbrautbett,  und 
pflanzt  dem  Bettelbruder  Alonso  einen  Dornstrauch  in's  Herz, 
das  von  blutigem  Neid  überquillt  2) ,  als  Ger  man,  der  im  rei- 
chen galonnirten  Kleide  eines  Haushofmeisters  hinzugetreten,  kei- 
nen Zweifel  mehr  an  Durango's  erstatteter  Auskunft  zulässt. 
Alonso  schleicht  davon  mit  der  Dornruthe  auf  dem  Rücken, 
und  Marques  Affenschwanz  mit  dem  Hochzeitsstrauss  an  der  Brust, 
um  zu  sehen,  „ob  Recht  noch  in  der  Welt  ist."^*^) 

Man  denke  sich  nun  die  Lendemain-Scene  in  der  Gräfin 
Zimmer  als  Gegensatz.  Das  junge  gräfliche  Ehepaar  im  reichen, 
weichen,  blumenduftigen  Morgenanzuge.  Beider  Seelen,  Beider 
Herzen  ergossen  in  Einen  Wohlgeruch  nicht  nur  der  Liebesin- 
nigkeit, auch  des  Wohlthuns;  Don  Juan's  Herz  in  die  mitleid- 
volle, brüderlich  erbarmungsselige  Bitte  an  die  Gemahlin,  die  von 
seinem  Bruder  verpfändeten  Ländereien  und  Kostbarkeiten  zu 
verabfolgen.  —  Sie  küsst  ihm  die  Bitte,   noch  unausgesprochen. 


1)  Desenfadado  seiior, 
Pienso  que  durmiendo  estän 
Dona  Hipolita  y  Don  Juan 
El  primo  sueno  de  amor; 
Que  anoche  se  desposaron. 

2)  „Von  hinnen  komm,'*  —  sagt  Alonso  zu  seinem  Begleiter,  Ota- 
vio,  ehemaHgen  Spiel-  und  Zechbruder,  jetzt  Bettler  wie  er  selbst  und 
loddrig,  wie  Alonso's  Jamben: 

„Von  hinnen  komm,  eine  Gescliichte  müsst'  ich 
Hier  hören  reichen  Glücks  und  die  vor  Neid 
Mich  bersten  machte." 


3)  Hoy  veremos 

Como  palabras  se  dan. 
X. 


130  ^^^  spanische  Drama. 

von  den  Lippen,  und  hat  sie  mit  dem  Kuss  gewährt,  i)  0  der 
beseligenden  Erfüllung!  Sie  heisst  Durango  ein  Kästchen  brin- 
gen; öffnet  es  —  „Wie?"  —  ruft  Don  Juan  —  „Blumen  drin?'' 
Gräfin: 

,,Ja,  jene  Blumen,  Lieber, 
Die  ihr  verfertigt,  German  für  euch  feil  bot.'*  2) 

Ein  Blumenräthsel,  das  ihr  Eosenmund  mit  zärtlichen  Küssen 
entsiegelt.  3)  Und  nun  lästere  man  und  sage:  die  Ehe  mit  einem 
solchen  Lendemain  sey  kein  Sacrament!  Und  läugne  dann,  das 
Gegenbild  daneben  gehalten:  es  gebe  keine  Hölle!  auf  Alonso's 
Bettelbrief  an  seinen  Lotterbruder  in  Glückesfülle ,  am  Spieltisch 
und  an  reichbesetzter  Tafel,  den  er  im  Briefe  um  ein  Almosen 
von  100  Ducaten  ansprach,  ist  mittlerweile  die  Antwort  einge- 
laufen, die  Alonso  eben  liest  —  rund  abgeschlagen!  Timon, 
Timon!  Am  Bettelstab  ein  Timon,  im  üeberfluss  ein  Lump,  und 
werth  daher,  dass  man  dir  mit  deinem  eignen  Bettelstabe  den 
Lump  von  innen  und  dessen  äussere  Abzeichen,  die  Bettlerlum- 
pen, vom  Leibe  und  aus  dem  Leibe  schlägt.  Schmachvoller, 
schmerzlicher  als  solcher  Lumpen-Exorcismus  dünkt  ihm  seines 
Genossen,  Octavio,  letztes  Auskunftsmittel,  des  Bruders  Mit- 
leid anzuflehen.  Don  Alonso  schaudert  vor  dem  Gedanken 
zurück:    „Diese  Schmach   bringst  Du   über  die  Lippen?"    Ver- 


1)  Gräfin.  „Kein  Wort  mehr!   Heute  sey'n  sie  eingelöst*'  ,  .  . 
Condesa.      No  digais  mas,  advertid, 

Hoy  todos  se  quitarän  .  .  . 

2)  D.  Juan.    (i,Flores  teneis  dentro? 
Condesa.  Si. 

Estas  son  aljuellas  flores 

Que  soliades  hacer, 

Y  German  trajo  de  vender. 

3)  „Die  bleiben  hier  verwahrt,  ja,  und  ich  wünschte, 
Sie  wären  in  Demant  gefasst.   Wenn  jemals 

Ihr  euch  beigehn  lasst,  eure  Frau  zu  quälen, 

So  weis'  ich  diesen  Schatz  euch  vor.'* 
Der  Liebesgöttin  aus  Blumenbüscheln  geflochtene  Strafruthe  für  den  un- 
artigen Amor! 


Lope's  Alonso  und  Shakspeare's  Oliver.  13  t 

hungerte  Lippen  kennen  keine  Schmach.  Octavio  dringt  in  den 
Zaudernden  mit  allen  Stacheln  der  Noth  und  des  Elends  ein. 
Don  Juan  lasse  zudem  in  der  Dunkelheit  Almosen  vertheilen, 
um  die  Empfänger  nicht  zu  beschämen.  Alonso  —  Noth  bricht 
Eisen  —  wankt  heran  an  Don  Juan's  Hausthür,  aus  welcher 
Don  Juan  mit  German  eben  bewaffnet  tritt,  um  des  Mar- 
ques gegen  ihn  aufgebotene  Kotte,  die  der  Graf  vor  seinem 
Hause  vermuthet,  würdig  zu  begrüssen  mit  Schwert  und  Schild. 
Auf  German's  an  Alonso  und  Octavio  gerichtete  Frage: 
„Seyd  ihr  von  Marques  Alejandro's  Bande?"  erwiedert  Alonso: 
„Wenn  schwere  Noth  für  scharfe  Waffe  gilt,  so  treten  wir 
bewaffnet  vor  Eu'r  Thor.  Welchen  von  Euch  nenn'  ich  den 
Herrn  Don  Juan?"  Juan.  „Don  Juan  de  Fox,  Graf  de  la  Flor, 
bin  ich."  Und  nun  entwickelt  sich  eine  Katastrophenscene  zwi- 
schen den  beiden  Brüdern  von  einer  schier  tragischen  Kraft, 
einer  kathartischen  Wirkungsstärke  und  versöhnungsmächtiger, 
grossartiger  Rührung,  die  —  das  Gottessiegel  des  dramatischen 
Genie's,  ja  des  erhabenen  Tragikers!  —  die  diese  Begegnungs- 
katastrophenscene  als  eine  geistesverwandte  mit  jener  heroisch 
erschütternden  Scene  zwischen  Coriolan  und  Aufidius  in  Shakspea- 
re's  gewaltigster  Römertragödie  ^)  kennzeichnet  und  adelt.  Wir 
legen  sie  zur  Selbstbeurtheilung  unseren  Lesern  vor  2),  zugleich  auf 


1)  Ooriol.  V. 

2)  D.  Juan.      (:,Quien  sois  vosV 

D.  Alonso.  Un  caballero 

De  noble  y  clara  prosapia, 
Que  ha  venido  ä  no  tener 
Mas  que  aquesta  pobre  capa. 
Quiere  irse  ä  Flandes;  y  viendo 
Que  la  fortuna  voltaria 
Os  ha  puesto  en  tal  estada 
(Que  unos  ensalza,  otros  baja), 
Viene  a  pediros  limosna 
Para  hacer  esta  jornada. 

D.  Juan.      Esa,  senor  caballero, 

Dare  yo  de  buena  gana. 

Pero  si  esta  es  invencion, 

Y  al  henchiros  de  oro  y  plata 

9* 


132  r^as  spanische  Drama. 

Oliver's  Einführung  am  Schlüsse  von  „Wie  es  euch  gefällt"  hin- 
weisend, und  an  des  Lesers  Gutachten  appellirend :  ob  dieser  Oli- 


Las  manos,  me  henchis  el  p'echo 
Del  plorae  de  alguna  bala, 
No  serä  la  culpa  vuestra. 
Hacedme,  merced,  y  tanta, 
Que  aqui  solamente  entreis. 

D.  Alonso.  ^Adomde? 

D.  Juan.  A  la  pomiera  sala. 

D.  Alonso.  No  puedo  donde  haya  luz; 
Porque  si  me  veis  la  cara, 
En  vez  de  darme  limosna 
Me  atravesareis  la  espada. 

D.  Juan.      ;Yo  ä  vos!  Pues  que  me  habeis  heche? 

D.  Alonso.  (Ap.)  Las  lagrimas  se  me  saltan. 

D.  Juan.      Tomad  de  mi  caballero, 
Si  lo  sois  esta  palabra, 
Que  aunque  fuerades  mi  hermano, 
Que  es  la  cosa  mas  ingrata 
Que  Dios  ha  hecho  en  el  mundo 
Estas  venas  me  rasgära 
En  viendoos  pobre;  que  yo 
Lo  he  vido  tanto  en  su  casa, 
Que  viendo  un  pobre,  si  es  noble, 
Se  me  rasgan  las  entranas. 

D.  Alonso.  Como  sufriran  las  mias, 
Hermano,  tales  palabras? 
Yo  soy  Don  Alonso,  yo, 
Que  vengo  a  darte  venganza. 
Vesme  aqui  a  tus  pies,  Don  Juan. 

D.  Juan.      Senor  mio  de  mi  alma. 

4  Vos  a  mis  piesl  Yo  ä  los  vuestros. 
Entrad,  esta  es  vuestra  casa 
jVos  en  la  calle  ä  estas  hora! 


Venid,  hermano,  conmigo. 
D.  Alonso.  Mi  senor,  los  ojos  hablan. 
Don  Juan. 
Wer  seyd  Ihr? 

Don  Alonso. 
Ein  Edelman  von  hohem 
Geschlecht,  der  so  herunter  ist  gekommen, 


Lope^s  Alonso  und  Shakspeare's  Oliver.  133 

Dass  er  nichts  mehr  als  diesen  Bettlermantel 
Sein  eigen  nennt.    Er  ist  jetzt  im  Begriff 
Nach  Flandern  abzureisen,  und  in  Betracht, 
Dass  wankelmüthiges  Glück  euch  so  gesegnet, 
Wie  es  Einen  erhöht.  Andre  erniedrigt. 
So  spricht  er  euch  um  ein  Almosen  an, 
Dass  er  die  Reis*  im  Stand  sey  anzutreten, 

Don  Juan. 
Das,  Herr,  sey  euch  gewährt  von  ganzem  Herzen. 
Wenn  es  indessen  eine  List  nur  wäre, 
Dass  ihr,  mit  Gold  und  Silber  euch  die  Hände 
Füllend  bei  mir,  zum  Dank  dafür  die  Brust  mir 
Mit  einer  Kugel  Blei  beschwert,  dann  komme 
Die  Unklugheit  auf  meine  Rechnung,  Herr. 
Thut  mir  die  Liebe  jetzt  und  tretet  hier 
Herein. 

Don  Alonso. 
Wohin? 

Don  Juan. 
Nur  in  den  nächsten  Vorsah 
Don  Alonso. 
Unmöglich,  wenn  ein  einzig  Licht  darin. 
Denn  hättet  ihr  erst  mein  Gesicht  erblickt, 
So  stiesst  ihr,  statt  Almosen  mir  zu  geben, 
Den  Degen  in  die  Brust  mir. 

Don  Juan. 

Wie?  ich  euch? 
Was  hättet  ihr  denn  wider  mich  verbrochen? 

Don  Alonso. 
0  meine  Thränen  drängen  sich  hervor. 

Don  Juan. 
Hört  denn  ein  Wort  von  mir,  Herr,  wer  ihr  seyd. 
Und  wenn  ihr  gar  mein  eigner  Bruder  wärt, 
Der  gegen  mich  das  undankbarste 
Geschöpf,  das  Gott  je  schuf,  gewesen,  dennoch 
Riss'  ich  das  Blut  mir  aus  den  eignen  Adern, 
Eh'  ich  euch  sollt'  in  Armuth  sehn,  denn  ich 
Stand  einst  in  seinem  Haus  in  solchem  Elend, 
Dass,  seh'  ich  einen  armen  Edelmann, 
Mir  ist,  als  ob's  mein  Eingeweid  zerrisse. 

Don  Alonso. 
Und  meines,  Bruder,  soll  dies  Wort  ertragen? 
Ja,  ich  bin  Don  Alonso!  sieh,  ich  komme. 


134  Das  spanische  Drama. 

ver  der  Katastrophe  ^)  den  der  Exposition  zum  poetisch  -  dra- 
matischen Austrage  bringt,  oder  als  dessen,  mithin  als  sein  eige- 
ner Wechselbalg  daherschlenkert,  um  sein  unmenschliches,  un- 
natürliches und  ruchloses  Verhalten  gegen  deti  Bruder,  ganz  ge- 
niüthlich,  als  ob  nichts  zwischen  ihnen  vorgefallen  wäre,  aus  un- 
serem und  aller  Betheiligten  empörtem  Innern  wegzulächeln  mit 
einem  textgetreuen,  nach  Lodge's  Erzählung  der  Celia  und  ßosa- 
liude  abgestatteten  Berichte:  wie  er  im  Ardennerwalde  einge- 
schlafen, und  wasmaassen  er  unfehlbar  von  einer  grüngoldnen 
Schlange  nebst  Löwin,  die  ihn  beide  beschlichen,  verspeisst  wor- 
den wäre,  wenn  ihn  sein  Bruder  Orlando  nicht  von  den  ungebe- 
tenen Gästen  befreite.  Auf  welche  Sühne  hin  Oliver  seinen  Bru- 
der Orlando,  dem  er  sich  tödtlicher  und  verderblicher,  als  Schlange 
und  Löwin  zusammengenommen,  erwiesen  —  ohne  weiteres  auf- 
fordert, für  ihn  um  Aliena's  (Celia' s)  Hand  zu  werben,  die  ihm 
diese  denn  auch,  leichten  Herzens,  gewährt,  dem  „unnatürlichen" 
Bruder,  den  sie  in  den  ersten  Acten,  ob  dieser  durch  keinerlei 
entsprechende  Genugthuungsreue  gesühnten  „ünnatürlichkeit",  ver- 
abscheut hatte.  Ueber  dem  im  Walde  eingeschlafenen  Oliver  der 
Katastrophe  ist  —  magnus  dormitat  Homerus  —  zugleich  der 
grösste  aller  dramatischen  Dichter,  und  vielleicht  nur  dieses  ein- 
zigste Mal  in  seinen  Dichtungen,  selber  eingeschlafen.  Oliver,  am 
Schluss  des  Lustspiels  „Wie  es  euch  gefällt"  ist  eine  vereinzelte  Aus- 
nahmsfigur unter  Shakspeare's  gebranntmarkten  Verbrechern,  das 
einzige  Subject,  dem  zuletzt  Lodge's  Novelle  als  Zettel  aus  dem 
Munde  springt,  wie  es  uns  nicht  gefällt.  Doch  getrost!  Die 
Schlüsselchen  zu  diesem  Shakspeare-Eäthsel  tragen-  wir  in  der 


Dass  du  an  mir  die  volle  Eache  nehmest. 
Sieh  hier  zu  deinen  Füssen  mich,  Don  Juan! 

Don  Juan. 
Herr  meiner  Seele!   Und  ihr  solltet  liegen 
Zu  meinen  Füssen?   Nein,  ich  zu  den  euren! 
Tretet  herein!  Dies  Haus  ist  euer  Haus. 
0,  ihr  um  diese  Stund*  auf  offner  Strasse?  .  . 


Kommt,  kommt,  mein  Bruder. 
Don  Alonso. 
Herr,  die  Thränen  sprechen. 
1)  IV.  2.  - 


Lope's  Alonso  und  Shakspeare's  Oliver.  135 

Tasche  und  werden,  wilFs  Gott,  seinerzeit  den  krausen  Bart  im 
Gewinde,  Gefieder  und  Gesperre  des  ßäthsel-Schlosses  nicht  er- 
folglos wirken  und  die  Eiegel  heben  lassen. 

Durango  meldet  die  vom  Vicekönig  befohlene  Verhaftung 
des  Marques  AI ej andre,  weil  derselbe  dem  Don  Juan  nach 
dem  Leben  trachte.  Die  im  Vorsaal  des  gräflichen  Palastes  spie- 
lende Schlussscene  bringt  Alles  in's  Gleiche.  Der  Vicekönig 
erscheint  als  Vicegott  aus  der  Maschine  und  als  Knotenlöser  mit 
Marques  Alejandro,  Alexander  und  Knoten  in  Einer  Person.  Von 
Amtswegen  schlägt  der  Vicemaschinengott  den  Betheiligten  vor: 
„dass  man  zum  Frieden  sich  die  Hände  reiche."  Dona  Co  stanz a 
reicht  die  ihrige  dem  DonAlonso  und  der  Marques  die  seinige 
der  Dona  Ines.  Don  Juan  richtet  das  vorletzte  Schlusswort 
an  den  Zuschauer-„Senat":  „So  schliessen  sich  die  Blumen  des 
Don  Juan."    Die  Gräfin  das  letzte: 

,,Euer  Gnaden  irren  sich;  der  Dichter  meint, 
Eeichthum  und  Armnth  wechseln  die  Rolle, 
Und  dieses  sey  des  Stückes  bester  Titel." 

Ein  Stück  in  Stücken;  aber  jedes  Stück  ein  Stück  Gold  oder 
doch  ein  Goldstück.  Ein  Blumenstück,  die  Blumen  lose  in  einer 
Vase  vereinigt,  gemalt  von  einem  Huysum  oder  Velasquez  der 
spanischen  Komödie.  Ein  Glückswechselspiel  geschüttet  aus  For- 
tuna's  goldnem  Hörn,  dem  die  Glückgüter  wie  der  Sternschnuppe 
die  Funken  entsprühen,  und  als  erdige  trübe  Aerolithen  nieder- 
stieben —  aus  der  Glücksgöttin  Goldhorn  nämlich  und  aus  dessen 
unter  die  Sterne  versetztem  Himmelszeichen:  Giesskanne  der  Stern- 
schnuppen, —  dieweil  die  Meteorsteine,  in  die  sich  Lope's  Füllhorn- 
.  Sternschnuppe  auflöst,  in  einen  Juwelenregen  sich  ergiessen.  ^) 


1)  Das  lockere  Gefüge  dieser  Komödie,  die  fehlerhafte  Vertheilung 
und  das  Auseinanderfallen  der  gut  erfundenen  Incidenzen  und  Situationen 
rügt  auch  der  spanische,  mehrgenannte  tapfere  Kritiker,  Don  Alberto 
Lista;  En  esta  comedia,  que  fue  unas  de  las  primeras  de  Lope,  pues 
se  halla  en  la  lista  del  'Peregrino  en  su  patria'  se  observa  mas  que 
en  otra  alguna  la  pesima  distribucion  de  los  incidentes,  que  echa  ä  per- 
der  un  escelente  asunto.  AI  mismo  tiempo  que  se  admira  su  invencion 
en  multiplicas  situaciones,  se  siente  que  no  las  hubrese  unido  todas  ä  un 
principio,  ä  tina  invencion  comun.  Leccion.  p.  182.  Von  der  letzten  meister- 
haften Scene  zwischen  den  beiden  Brüdern  bemerkt  Lista,  dass  in  dersel- 


j^35  Das  spanisclie  Drama. 

Carlos  el  Perseguido  (der  verfolgte  Carlos). 

Diese  Komödie  wirft  den  Vorschatten  zu  dem  ehebrecheri- 
schen Liebesmotive  in  Lope's  Drama,  *Castigo  sin  Venganza'. 
Nur  bleibt  im  „Verfolgten  Carlos"  die  ehebrecherische  Liebe 
einseitig,  ist  auch  keine  blutschänderische,  und  beschränkt  sich 
auf  das  Gelüste  der  Frau  Potiphar,  das  aber  auch  insofern  bei  der 
blossen  Einschichtigkeit  es  bewenden  lässt,  als  es  nicht  einmal  durch 
eine  vom  Erfolg  gekrönte  Anklagerache  ihre  Lust  an  dem  keu- 
schen Joseph  dieser  Komödie,  am  Titelhelden  Carlos,  büsst, 
indem  der  Gemahl  unserer  Frau  Potiphar,  die  sich,  wie  in  der 
„Eachelosen  Straf-Comedia" ,  Casandra  nennt,  den  von  ihren 
verleumderischen  Anklagen  verfolgten  Joseph  oder  Carlos,  an- 
statt ihn  zu  bestrafen,  mit  Gunstbezeugungen  und  Ehren auszeich- 
nungen  belohnt,  infolge  dessen  die  Komödie  vom  verfolgten  Car- 
los gewissermassen  den  Titel  des  Castigo  sin  Venganza  umkehrt 
und  sich  in  eine  Comedia:  Venganza  sin  Castigo,  „Rache  ohne 
Strafe"  oder  „rachelose  Eache",  umstülpt;  ganz  anders  noch, 
als  wir  diese  Polypenumstülpung  von  der  Komödie  mit 
tragischem  Ausgange,  'Castigo  sin  Venganza',  an  sich  selber  werden 
vollziehen  sehen.  Kurz,  unsere  Frau  Potiphar- Casandra,  die 
Gemahlin  des  Herzogs  von  Burgund,  wird,  durch  das  ganze 
Stück  hindurch  mit  ihrer  Potiphar-Klage  vom  Herzog-Gemahl 
abgewiesen  und  auf  die  drei  ersten  Buchstaben  der  Potiphar,  auf 
den  Pot,  gesetzt.  Der  Verfolgungs-Process  wegen  ehebreche- 
rischen Conats,  der  Joseph-Potiphar-Process ,  verläuft  nun  so: 
Carlos  ist  der  Günstling  des  Herzogs  von  Burgund,  dessen 
Gemahlin  Casandra  darauf  brennt,  seinen  Günstling  zu  dem 
ihrigen  zu  machen.  Nun  ist  dieser  seit  sieben  Jahren  heimlich 
mit  des  Herzogs  Schwester,  Leonor,  verwittweten  Herzogin  von 
Cleve,  vermählt;  ein  Umstand,  der  dem  Carlos  die  keusche 
Josephsfahrt  nicht  unerheblich  erleichtert,  so  dass  Herzogin-Po- 


ben  nicht  von  Fehlern,  Mängeln,  Verstössen  gegen  die  Kegeln  die  Rede 
seyn  könne.  In  dieser  Scene  sey  vielmehr  Alles  und  Jedes  auf's  Voll- 
kommenste durchgeführt,  gehalten  und  vollendet:  'En  esta  escena  no  hay 
que  hablar  de  defectos  ni  de  faltas  de  reglas  ni  de  nada,  todo  esta  per- 
fectamente  sostenido  y  desempenado."  p.  188. 


Lope  de  Vega's  Potiphar-Komödie  'Carlos  el  Perseguido'.        [37 

tiphar  nicht  blos  nichts  von  seiner  leibhaften  Person,  sondern  auch 
nicht  einmal  ein  Stück  von  dem,  was  er  am  Leibe  hat,  nicht 
einmal  das  corpus  delicti,  seinen  Mantel,  in  Händen  behält,  schon 
deshalb  nicht,  weil  er  ihn  zum  Bedecken  und  Verhüllen  seiner 
Geheimehe  mit  Prinzessin  Leonor,  des  Herzogs  Schwester, 
braucht.  Die  heimliche  Ehe  seiner  Schwester  mit  seinem  Günst- 
ling, Carlos,  bleibt  für  den  Herzog  so  ahnungslos  verborgen, 
dass  er  Leonoren's  Hand  dem  um  sie  werbenden  Grafen  Ludovico 
zusagt,  und  als  Morgengabe  die  vom  Eidam  in  spe  ihm  angebo- 
tene Uebernahme  der  Kriegskosten  im  Kriege  gegen  Frankreich 
mit  Vergnügen  annimmt,  die  Hochzeit  bis  nach  Beendigung  des 
Krieges  und  nach  Zahlung  der  Kosten  verschiebend,  mit  dem  Vor- 
behalt, dass  Ludovico's  Bewerbung  um  Leonor  bis  dahin 
ein  Geheimniss  bleibe.  Der  Prinzessin  geheime  Brautschaft  geht 
Hand  in  Hand  mit  ihrer,  der  parallel  geheimen,  Ehe,  nur  dass  sie 
in  dieses  Geheimniss  eingeweiht  ist,  in  jenes  aber  nicht.  Selbst- 
verständlich geht  der  erste  Act  nicht  zu  Ende,  ohne  dass  Ca- 
Sandra-  Potiphar  mit  ihrer  Conatklage  bei  dem  Herzog-Gemahl  ab- 
fällt, der  den  knieend  seine  Unschuld  betheuernden,  und  auf  seinen 
umgehängten  Mantel,  als  unverwerflichsten  ünschuldsbeweis,  sich 
berufenden  Günstling  emporhebt  und  in  die  herzoglichen  Arme 
schliesst,  den  Mantelträger  seiner  ungeschmälerten  Huld  und 
Gnade  und  den  Mantel  selbst  seines  unerschütterlichen  Vertrauens 
in  die  Unschuld  des  Trägers  versichernd,  so  lang  ein  Faden  an 
ihm  ganz  ist.  Dem  Abpaarungs-Parallelismus  zulieb  kommt  noch 
ein  zweiter  Bewerber  um  Leonoren's  Hand,  Caballero  Feliciano, 
zum  Vorschein,  der  seinen  Mitbewerber,  Ludovico,  wenn  nicht 
bei  der  Prinzessin,  jedenfalls  in  der  Gunst  des  Publicums,  durch 
die  erfreuliche  Scene  aussticht,  zu  welchem  seine  Wonne  über 
die  von  Leonor  ihrem  heimlichen  Gatten  für  dessen  Liebessonett 
gespendeten  Gunstbezeugungen  Veranlassung  bietet,  welche  Gunst- 
bezeugungen Don  Feliciano  als  Liebespfänder  an  seine  Kappe 
steckt,  eine  Narrenkappe  vom  selben  Zeuge,  woraus  Malvoglio's 
Kappe  geschnitten  ist. 

Was  uns  überraschen  muss,  ist  des  Herzogs  von  Burgun  d 
gunstfreundliche  Entgegennahme  des  von  Carlos  ihm  vor  Thor- 
schluss  des  zweiten  Actes  abgelegten  Geständnisses  betrefi's 
der  Geheimehe   mit   seiner   Schwester  Leonor.     Warum  —  so 


138  ^^^  spanische  Drama. 

fragen  wir  uns  —  dieses  hermetisch  mit  sieben  Siegeln  verschlos- 
sene Geheimniss,  und  zudem  noch  angesichts  solcher  gefährlichen 
Potiphar-Angriffe  auf  Leib  und  Leben,  so  ängstlich  bei  dieser 
holdseligen  Gemüthsbeschaffenheit  des  Herzogs  bewahren,  zumal 
dasselbe  unter  der  Aegide  des  Landesgesetzes  steht,  wonach  eine 
burgundische  Wittwe,  und  wäre  sie  eine  Königin,  eine  zweite  Ehe 
mit  jedem  beliebigen  Manne  eingehen  könne,  von  noch  so  niedri- 
ger Herkunft  und  Stellung,  und  selbst  mit  ihrem  Bedienten!  0 
Ueberraschen  muss  uns  ferner  die  Ohrfeige,  die  der  Narr  'Coco', 
im  Auftrage  der  vom  Schicksal  verfolgten  statt  verfolgenden,  es 
nicht  einmal  zum  Schicksal  einer  Potiphar  zu  bringen  vermögen- 
den Herzogin  Casandra,  dem  Carlos  vor  allen  Hofleuten  ge- 
ben soll,  und  die  der  Narr,  statt  dessen,  der  hohen  Auftraggeberin 
steckt.  Vielleicht  aber  auch  dies  inkraft  einer  burgundisch  landes- 
gesetzlichen Bestimmung.  Prudencio,  Feliciano —  die  her- 
zogliche Potiphar  in  der  Tinte  hetzt  die  Beiden,  hetzt  das  ganze 
Theaterpersonal  gegen  Carlos  —  Alles  umsonst.  Dem  Pru- 
dencio geht  Carlos  so  liebenswürdig  um  den  Bart,  dass  er 
aus  einem  von  Casandra  auf  den  verfolgten  Carlos  gehetzten 
Jagdhund  ein  liebkosendes  Windspiel  wird,  das  dem  Carlos  Hände 
und  Füsse  leckt.  Feliciano,  aufgehetzt  von  Casandra,  un- 
sern  Carlos  beim  Herzog,  ihrem  Gemahl,  als  eines  gegen  ihn 
beabsichtigten  Vergiftungsversuchs  anzuklagen  —  Feliciano  ent- 
deckt die  Anstiftung  dem  Herzog,  nicht  den  Vergiftungs- An- 
schlag. Eine  verunglücktere  Potiphar  mit  so  vielen  Josephsmänteln 
in  Händen,  wie  Herzogin  Casandra,  hat  die  Theatergeschichte 
nicht  aufzuweisen.  Ihr  Potiphar -Pech  ist  jetzt  schon  maasslos, 
zum  Verrücktwerden  vor  fehlgeschlagener  Verfolgungswuth,  wie 
erst,  nachdem  sie  vom  Herzog  Namen  und  Person  von  Carlos' 
heimlicher  Ehehälfte  erfahren!  Sie  verfällt  nicht  nur  selbst  in  Ei- 
fersuchtsdelirien und  Wuthausbrüche ,  sie  steckt  auch  Carlos'  Gat- 
tin, verwittwete  Herzogin  von  Cleve,  geborne  Prinzessin  von  Bur- 
gund,  mit  einer  der  improvisirtesten  Eifersuchtsrasereien  der  4)a- 
nisch-burgundischen  Bühne  an,  mit  einer  Eifersuchtstollwuth,  die 
beiderseits  dahin  gedeiht,  dass  die  zwei  Candidaten  des  Eifer- 
suchtstollhauses um   das  Vorrecht  kämpfen,   den  Sprössling  von 

1)  Por  humilde  que  fuese,  o  su  criado, 


Eingeständniss.  139 

Carlos  und  Leonoren's  heimlicher  Ehe,  deren  Geheimsöhnchen 
Grimaldico,  als  Bacchantinnen  des  Eifersuchtswahnsinns,  mit 
den  Zähnen  zu  zerreissen.  Den  Wetteifer  schlichtet  der  vom 
Kriege,  den  er  für  den  Herzog  auf  seine  Kosten  geführt,  zurück- 
gekehrte Ludovico,  durch  freiwillige  üebernahme  der  Ermor- 
dung des  kleinen  Grimaldico  aus  Eifersucht  auf  Carlos,  der 
ihn  um  die  Kriegskosten  und  um  Leonoren's  Hand  gebracht.  Nun 
folgt  ein  Monolog  des  wegen  seines  unfindbaren  Kindes  sich  zu- 
tode  ängstigenden  Vaters,  und  auf  den  Monolog  eine  Glückselig- 
keitsscene  zwischen  dem  Vater  und  dem  aus  seinem  Versteck 
hinter  dem  Gebüsch  plötzlich  als  kleiner  Ziethen  aus  dem  Busch 
ihm  entgegenspringenden  Söhnchen,  —  ein  Monolog,  eine  Scene, 
an  sich  beide  von  ergreifend,  von  erschütternd  schöner  Wirkung, 
aber  leider  eben  nur  an  sich,  und  auf  ihre  Herbeiführung,  Mo- 
tivirung  bezogen,  in  das  Gegentheil  solcher  Wirkung,  in  die  Pa- 
rodie des  ganzen  Stückes  umschlagend.  Ist  der  Harlekin,  den  der 
Taschenspieler  unversehens  aus  der  Pastete  springen  lässt,  darum  we- 
niger ein  Harlekin,  wenn  er  im  tragischen  Costüm  vonSchiller's  altem 
„Moor"  z.  B.  aus  der  Pastete  springt?  Und  die  Pastete  weniger 
Pastete?  Und  tranchirt  und  zerlegt,  nach  dem  Harlekinssprung, 
die  Pastete  weniger  nicht  sowohl  ein  Mahl  für  Götter,  als  für  deren  von 
Brutus  ihnen  substituirten  Stellvertreter,  —  um  nicht  auf  Götter,  aus 
Respect  vor  dem  Dichter,  zu  reimen:  Köter?  Den  Harlekins- 
sprung krönt  die  erst  zu  allerletzt  am  Ende  aller  Enden  erfolgte 
Entlarvung  der  Herzogin  Casandra,  die  aus  ihrer  unglückse- 
ligen Potiphar-ßolle  von  Anfang  bis  Ende  fällt  ohne  jegliche 
Larve.  Nach  der  Entlarvung  wird  sie  vom  Herzog,  ihrem  Ge- 
mahl, verbannt,  dessen  Stirnschmuck  das  bleibt  was  er  ist,  war 
und  seyn  wird,  wenn  er  auch  die  ihm  von  seiner  nothgedrungenen 
Diana  von  Carlos'  Gnaden  mit  Verfolgungshunden  angehetzten 
Aktäonshörner  wie  Theaterdolche  beliebig  ein-  und  ausschieben 
kann,  oder  als  Hörner  eines  Cocu-Maskendominos  zurückziehen 
und  emporschnellen,  und  deren  Glöcklein  das  ihm  von  M.  Enk 
gespendete  Lob  „selbstbewusster  Milde  und  Würde"  ^)  ausläuten 
und  ausklingeln  lässt.  Endlich  wird  auch  vom  milden  und  wür- 
devollen Herzog  seines  Günstlings,  Carlos,  landesgesetzliche  Ehe 


1)  Studien  über  Lope  de  Vega  S.  21. 


140  I^^s  spanische  Drama. 

mit  Leonore  von  Burgund  öffentlich  anerkannt,   und  Carlos 
zum  ßeichserben  eingesetzt. 


Los  Teiles  de  Meneses. 

So  oft  Lope  den  landschaftlichen  Grund  des  idyllischen  Dra- 
ma's  betritt,  verstärkt,  verjüngt  sich  seine  dichterische  Kraft,  dem 
Baum  im  Frühling  vergleichbar,  der,  frisch  aufgrünend  aus  safti- 
gem Erdreich,  in  thauiger  Blüthenschönheit  glänzt,  wie  ge- 
schmückt mit  Krone  und  Hermelin.  Seine  Dilogie:  Los  Tel- 
los  de  Meneses,  rechtfertigt  das  Gleichniss  nach  beiden  Sei- 
ten: Sie  blüht  in  maienhaftem  Naturschmuck,  und  prangt,  durch- 
flochten von  königlichen  Kleinodien,,  zugleich  auch  als  jene  Pla- 
tane, deren  Aeste  der  persische  König  mit  seiner  goldnen  Hals- 
kette umwand;  oder  als  einer  von  den  Juwelen  tragenden  aus 
gediegenem  Gold  und  Silber  ciselirten  Bäumen  im  Palastgarten 
des  alten  peruanischen  Kaziken.  ^)  Ja  Lope's  ländliche  Dilogie 
konnte  im  Doppeiglanze  jener  zwei  von  Montavilla  in  seiner  Rei- 
sebeschreibung geschilderten  Paradiesesbäume  zu  blitzen  schei- 
nen: des  „Sonnenbaums"  mit  goldenen  und  des  „Mondbaums"  mit 
silbernen  Blättern:  so  aber,  dass  der  Mondbaum  durch  den  Son- 
nenbaum sich  epheuartig  schlänge,  und  die  Blätter  abwechselnd 
gold-  und  silberglänzig,  wie  Zwischgold,  flimmerten.  Doch  wozu 
in's  Weite  schweifen?  Sprosst  doch  Lope's  pastorale  Baum-  und 
Königsdilogie  aus  demselben  Boden,  worin  der  urmythische  Hespe- 
ridenbaum  mit  den  goldenen  Aepfeln  wurzelte,  durchschlungen 
von  dem  gekrönten  goldschuppigen  Königsdrachen.  Und  wäre 
dieser  Baum  auch  nur  ein  Orangenbaum  gewesen,  so  darf  er 
doch,  selbst  nur  als  solcher,  vermöge  der  Gleichzeitigkeit  seiner 
Silberblüthenfülle  und  Früchtegoldpracht  —  jeder  Apfel  ein  Reichs- 
apfel —  darf  er  doch,  bezüglich  unserer  Doppelmetapher,  für  voll 
gelten:  duftige  Naturblüthe,  und  durch  das  dunkle  Laub  der 
Goldorangen  Glühen,  wie  jenes  Hesperidendrachen  Kammkrone 
durch  das  Gezweige  glühte,  und  wie  der  Orangenwechsel  durch 
zumale  Gemeinsamkeit  von  Frucht  und  Blüthe,  so  erscheint  in 
Lope's  Doppelkomödie  Alles  dilogisch,  gleichsam  als  vervielfältig- 

1)  Gesch.  d.  Dram.  III.  S.  528. 


Lope's  Com.  Los  Tellos  de  Meneses.  |4l 

tes  Abbild  dieser  Gemeinsamkeit.  Dilogisch  im  Ganzen  und  Ein- 
zelnen :  Als  ursprünglich  unbeabsichtigtes  Komödienpaar  i), 
wo  denn  der  erste  Theil  den  zweiten  wie  naturwüchsig  aus  sei- 
ner Wurzel  —  will  sagen  aus  der  Doppelwurzel  des  spanischen 
Parallelschemas  —  hervorgetrieben  hatte.  Dilogisch:  durch  die 
beiden  Tello's,  Vater  und  Sohn,  und  das  Widerspiel  ihrer 
Charaktere:  der  Vater,  ein  Bauer-Krösus,  ein  fürstlich  begüterter 
Edelbauer,  ein  Gothe  vom  alten  Styl,  in  seinem  Haushalt,  in 
Tracht  und  Lebensweise,  bis  zum  Geize,  Knauser  und  Sparer, 
und  strenger  Knapphalter  seiner  Leute  ^) ;  in  grossen  Dingen  aber, 
wo  es  gilt,  Bauernadel,  Hausehre,  Reichthum  und  Ansehen  in 
festlichen  Glanz  zu  setzen,  ein  König  in  Freigebigkeit  und  Pracht- 
liebe auf  seinem  anderthalb  Meilen  umfassenden  Eigenheimwesen 
und  Grundbesitze.  Der  Sohn,  verschwenderisch,  schmuckjunker- 
lich, putzsüchtig,  ein  bauernritterlicher  Majo  und  Stutzer-Galan 
nach  städtisch-höfischem  Zuschnitt  ^),  ein  modischer  Villano-cabal- 
lero,  ein  geschniegelter  labrador-fidalgo,  sich  brüstend  mit  seinem 


1)  In  tomo  XXI.  der  'Comedias'  des  Lopa  schliesst  das  Stück  'Los 
Tellos  de  Meneses*  ohne  Hinweis  anf  einen  zweiten  Theil.*)  —  2)  Den 
Knecht  Silvio  peitscht  er  ans  dem  Hause,  weil  er  ihm  ein  Ferkel  mit 
drei  Beinen  zurückgebracht,  das  vierte  Bein  also  dem  Ferkel  abgeschnit- 
ten und  gefressen  habe.  Auf  dem  Fusse  folgt  diesem  Ferkelbeine  ein  Al- 
mosenritter, der  den  alten  Tello  um  eine  Beisteuer  zum  Bau  einer  Kirche 
angeht.  Noch  heiss  vom  Durchpeitschen  seines  Knechts  wegen  eines  Fer- 
kelbeins, bewilligt  der  alte  Pfennigfuchser  aus  splendider  Freigebigkeit 
3000  Ducaten  zum  Kirchenbau. 

3)  vestido  ä  lo  cortesano. 


*)  —  aqui  la  historia  acaba 

De  los  Tellos  de  Meneses 

Godos  de  la  antiqua  Espana. 
Ein  Beweis,  merkt  Hartzenbusch ,  der  Herausgeber  von  Lope's  Comed. 
escog.  in  der  Bibl.  de  Art.  Esp.  (t.  24)  an  —  Ein  Beweis,  dass  Lope  bei 
der  Abfassung  dieser  Comedia  an  keinen  zweiten  Theil  dachte  („lo,  que 
prueba,  que  quando  la  escribio,  no  pensaba  en  segunda  parte*'.)  Erst  in 
neueren  Ausgaben  findet  man  die  zwei  Verse  zu  obigem  Schluss  hinzu- 
gefügt; 

Hasta  la  segunda  parte 

Que  refiera  sus  hazanas. 


142  I^as  spanische  Drama. 

Adel  durch  die  Mutter  und  mit  seiner  altgothischen  Abstam- 
mung durch  den  Vater.  ^)  Zu  diesem  dilogisch-landschaftlichen 
Gegenbilde  von  Vater  und  Sohn  2)  giebt  der  altgothische  König 
Ordono  von  Leon  mit  seiner  Tochter  Prinzessin,  der  Infanta 
Dona  Elvira,  das  dilogisch-königliche  Seitenpaar  ab.  Die  In- 
fantin soll  and  en  Mohrenkönig,  Tarfe,  sich  vermählen,  den  sie 
verabscheut.^)  Sie  entflieht,  verdingt  sich  als  Magd  Juana,  im 
Hause  des  Tello ,  knüpft  ein  Liebesverhältniss  mit  dem  schmucken 
Bauerjunker,  Tello,  an,  wird  vor  der  Hochzeit  seine  Frau  im 
dilogischen  Liebeszwangwege'*),  dem  König  Ordono  Vater,  der 
sie,  als  Tischgast  des  alten  Tello,  an  ihrem  Einge  erkennt,  mit 
seinem  väterlichen  Segen  die  gesetzliche  Weihe  ertheilt.  Das 
erste  Stück  der  Dilogie  mit  einer  Verbindung  schliessend,  die  im 
zweiten  wieder  dilogisch  auseinanderfällt,  wo  denn  das  ungleiche 
Ehepaar  dem  endgültigen  Komödienaustrage  zulieb,  wie  das  Zwie- 
stück  zu  Einem  Stücke,  sich  zu  jenem  Einen  Leibe  wieder  gattet, 
den  Mann  und  Weib  vorstellt,  der  aber  in  unserer  Dilogie  im- 


1)  —  aunque  Tello  nii  padre 
Es  labrador,  por  mi  niadre 
Hidalgo  y  noble  iiacij 

Y  el  en  toda  la  montana 
De  Leon  sierapre  ha  tenido 
Fama  de  ser  bien  nacido 

Y  de  los  godos  de  Espana. 

2)  Das  der  Knecht  und  Gracioso  Mendo  der  als  Bäuerin  verkleideten 
Infanta  contrastirend  schildert  (II.  2): 

Y  asi,  en  cita  casa  agora 
TeUo  el  viejo  es  agro  y  Tello 
El  mozo  es  dulce. 

,,So  süss*'  —  malte  Mendo  das  Bildniss  des  jungen  Tello  aus  —  ,,so 
süss,  dass  er  den  Weibsen  wie  Zuckerteig  schmeckt,  die  auf  ihn,  wie  die 
Fliegen,  erpicht  sind'*: 

Es  un  mancebo  galan, 

Que  puede  servir  de  alcorza, 

Tan  dulce,  que  algunas  hembras 

Se  le  Uegan  como  moscas. 

3)  Infanta.  Primero  pudiera  ser 

Volverse  gloria  el  infierno 
Que  ser  de  Tarfe  mujer. 

4)  Inf.  —  Tello  me  hizo  fuerza. 


Gegen bilder  von  Yater  und  Sohn;  Vater  und  Tochter.  143 

mer  nur  der  einheitliche  Scheinleib  bleibt,   den  ihr  Charakter 
bedingt. 

Das  Zweitheilige  bewährt  sich  nicht  blos  in  den  üblichen 
übers  Kreuz  gespannten  Eifersuchtsdoubletten,  hier  von  Mendo, 
der  sich  um  Juana's  (Infantin)  Liebe  bewirbt,  und  von  Laura, 
des  jungen  Tello  Base  und  präsumtiver  Braut,  vertreten  —  das 
dilogisch  Zweitheilige  erstreckt  sich  selbst  auf  Episoden  und  Li- 
cidenzen.  Findet  etwa  der  von  ihrem  Begleiter  auf  der  Flucht, 
dem  Hofcavalier,  DonNuno,  anderinfanta  verübte  Juwe- 
lenraub ^)  nicht  sein  dilogisches  Ergänzungsstück  in  dem  Eaube 
des  zugleich  kostbarem,  weil  unersetzlichen  Ehrenschmuckkäst- 
chens, den  der  junge  Tello  an  der  vermeinten  Juana  (Infanta 
Elvira)  auf  einem  Lustritt  mit  ihr,  in  einem  „dichtverschlunge- 
nen Waldgehege",  begeht? 2)  Theilt  Hofcavalier  Don  Nuiio 
nicht  seinen  dilogisch-parallelen  Raub  mit  dem  Dorfcavalier 
Tello,  wenn  er  Dona  Elvira's  Schmuckkästchen  für  sich  behält, 
und  diesem  ihr  unschätzbarstes  Schatzjuwel  überlässt,  das  Infan- 
tinnen so  verheimlichen,  so  heilig  wahren,  wie  ßahel  ihre  Haus- 
götter, worauf  sie,  um  unahnbar  sie  zu  bergen,  sass?  Die  Ein- 
zigperle (unio)  in  des  Magdthums  Venusgürtel,  die  jene  Cleopa- 
traperle und  die  Peregrina-Perle  von  Grösse  eines  Taubeneis  in 
Philipps  IL  Krongeschmeide  an  Werth  und  Seltenheit  überstrahlt, 
kurz,  ein  Kleinod,  das  Kaiser  Augustus'  Vater  an  seiner  Frau  im 
Traume  als  Sonne  hat  leuchten  sehen.  ^)  Und  dies  spart  der  bie- 
dere Hofcavalier  Nuno,  eine  Tereus-Anwandlung  4)  bekämpfend, 
dem  jungen  Tellö  auf,  der  dilogischen  Zweitheilung  zugefallen, 
die  auch  der  Ring  symbolisch  andeutet,  den  Nuno  aus  dem 
geraubten  Schmuckkästchen  nimmt  und  ihn  der  Prinzessin,  die 


1)  I.  esc.  VII.  —  2)  —  aquella  intrincada  selva  (III.  IV.)  Darauf 
beziehen  sich  die  schon  angeführten  Worte  der  Infanta:  'Tello  me  hizo 
fuerza'.  —  3)  Somniavit  et  pater  Octavius  utero  Atiae  jubar  solis  exortum. 
Suet.  Aug.  CXCIV, 

4)  Que  en  esto  monte  pudiera 

Dando  lugar  al  deseo, 

Hacer  que  del  vil  Tereo 

Menor  la  tragedia  fuera 

Y  esta  montana  tuviera 

Otra  Filomena  hermosa. 


144  Das  spanische  Drama. 

darum  gebeten,  in  aller  Ehrerbietung  zurückgiebt,  sich  mit  den 
übrigen  Schmucksachen  eiligst  entfernend,  um  nicht,  wie  er  mit 
einem  tiefen  Abschiedsbückling  ausdrücklich  bemerkt,  gegen  den 
der  Infantin  schuldigen  Kespect  zu  Verstössen,  i)  Es  ist  derselbe 
Ring,  den  König  Ordono,  an  der  Speisetafel  des  alten  Tello, 
dem  er  für  ein  Anlehen  von  100,000  und  ein  Geschenk  von 
50,000  Ducaten  sich  verpflichtet  fühlt,  mit  einem  Bissen  aus  ei- 
ner für  ihn  eigens  zubereiteten  Schüssel  zwischen  die  Zähne  be- 
kommt 2) ;  derselbe  Ring ,  woran  der  König  seine  todtgeglaubte 
Tochter  erkennt,  und  derselbe,  der  die  ohne  Zustimmung  des 
königlichen  Vaters  geschlossene  Nothehe  als  legitimirender  Ehe- 
ring gesetzlich  weiht. 

Welchen  Ehering  aber  König  Ordoilo's  Sohn  und  Nachfolger, 
Alfonso  IIL,  nach  neun  Jahren,  wieder  zerbricht;  den  Ring 
figürlich;  die  Ehe  wirklich  und  thatsächlich ;  die  Ehe  seiner 
Schwester,  der  Infantin  Elvira,  mit  dem  Ackerbauernsohn,  dem 
mit  goldner  Pflugschaar  pflügenden  Korn-  und  Hafer-Prinzen, 
Tello  de  Meneses.    Mit  dem  Ehering  bricht  die  Comedia  selber 


l)  Que  voy  liuyendo  de  ti 

Por  no  perderte  el  respeto. 
An  diesem  Hofcaballero  rächt  Lope  die  Beraubung  einer  Infantin  fürch- 
terlich. Nach  einem  Monolog  im  Walde  voll  Gewissensbissen  im  hohen 
tragischen  Styl*),  wird  Don  Nuiio  von  M  endo 's  auf  einen  Bären  abge- 
schossenen Bolzen  getroffen  und  getödtet.  Mendo  findet  den  von  Nuno 
kurz  vorher  vergrabenen  Juwelenschmuck  der  Infantin,  die  ihn  durch 
Mendo  zurückerhält.  —  2)  (Va  el  Key  ä  comer  y  topa  con  la  sortija  en 
los  dientes.) 


*)  En  mis  imaginaciones 

No  hay  rama  en  esta  ocasion 
Que  no  sea  un  rey  de  Leon 
Y  cada  rey  mil  leones. 
Lo  que  me  da  mas  cuidado 
Son  las  joyas,  enemigos 
Que  han  de  servir  de  testigos  . 

(Dan  voces  dentro.) 
Gritos  dan.    Todo  me  asombra; 
Que  espanta  su  misma  ombra 
A  quien  dice  y  hace  mal. 


Erkennungsring.  145 

in  zwei  Stücke,  deren  dilogisch  zweites  wir  eben  in  der  'segunda 
Parte'  de  los  Teiles  de  Meneses  vor  uns  haben,  welche  segunda 
Parte  ihrestheils  wieder  in  noch  einen  zweiten  Titel  zerbricht: 
'Valor,  Fortuna  yLealtad'.  i)  Während  der  neun  Jahre 
wurde  die  Ehe  des  königlichen  Bauerschwagers  mit  zwei  Spröss- 
lingen  gesegnet»  Der  ältere  zählt  acht  Jahre,  der  zweite  kaum 
so  viel  Tage,  und  harret  seiner  Taufe,  die  der  alte  Tello  so 
prächtig  vollzogen  wissen  will,  dass  man  von  der  Herrlichkeit  in 
Leon  erzählen  soll,  als  von  einem  Wunderereigniss.  2)  Den  Hass 
des  kinderlosen  Königs  Alfonso  gegen  die  Schwester  und  ihre 
Sippschaft  schürt  Conde  Don  Arias,  Einer  von  den  Oberhof- 
leibohrenbläsern der  Könige  im  allgemeinen  Theater-Inventarium. 
Don  Arias  legt  einen  besondern  Accent  auf  die  Nachfolge,  und 
kitzelt  sich  an  des  Königs  Schauder  vor  dem  Gedanken,  dass  ein 
Tello  Thronerbe  sey.  ^)  Der  von  Mendo  überbrachte  Brief  des 
alten  Tello  sammt  dessen  Geschenk,  bestehend  in  zehn  der  pracht- 
vollsten Hengst-  und  vier  Stutenfohlen,  die  Phaeton  an  den  Gala- 
Sonnenwagen  spannen  durfte  *) ,  steigern  des  Königs  Widerwillen, 
anstatt  ihn  zu  besänftigen.  Und  mehr  noch  die  sechs  Saracener- 
schwerter,  die  zehn  goldgeschirrten  jungen  Hengste  und  zwanzig 
Schilde  mit  den  Wappen  von  Castilien  und  Leon,  die  der  junge 
Tello  seinem  königlichen  Schwager  durch  Mendo  zuschickt.  Höh- 
nisch fertigt  König  Alfonso  die  Boten  ab,  empört  ganz  beson- 
ders über  des  alten  Tello  dreiste  Ansprache  im  Brief,  der  den 


1)  „Tapferkeit,  Glück  und  Treugesinntheit".  Diese  Ueberschrift  fand 
Hartzenbusch  in  dem  von  ihm,  behufs  Neudruckes  für  die  Bilbl.  des  Riva- 
deneyra  benutzten  Exemplar  alter  Ausgabe  ohne  Jahreszahl  und  Druckort. 
In  späteren  Ausgaben  lautet  der  üeberschriftstitel:  'Valor,  Lealtad  y 
Ventura  (Glück,  Abenteuer)  de  los  Tellos  de  Meneses'.  (Teatro  de  Frey 
Lope  de  Vega  Carpi.  z.  B.  t.  HI.  No.  144.) 

2)  Que  el  bautismo  se  celebre 
De  manera,  que  se  escriba 
Por  cosa  rura  en  Leon. 

3)  jUn  pobre  labrador,  senor  de  un  valle, 
Con  dos  hijos  que  heredan  mi  corona, 
Y  yo  sin  ellos! 

4)  Que  los  pudiera  poner 

AI  carro  de  oro  Faetoüte. 
X.  10 


146  I^as  spanisclie  Drama. 

gekrönten  Bruder  als  „Sohn"  zu  begrüssen  wage.  ^)  Conde  Arias 
tröpfelt  Oel  in's  Feuer  mit  Aparte's,  die  den  Grund  und  Boden 
schmecken  lassen,  wo  die  Oliven  zu  diesem  Oele  wachsen.  ^)  Sein 
Oel  in's  Feuer  träufelt  zugleich  Tello's  letzte  Oelung,  sein,  Don 
Arias',  Salböl. 

Noch  vor  erhaltenem  Rückbescheide  auf  seinen  Brief  an 
den  König  verwünscht  der  Alte  in  einer  Zankscene  mit  dem 
jungen  Tello,  wegen  der  kostspieligen  Kutsche,  die  derselbe 
für  seine  königliche  Gattin  angeschafft  —  verwünscht  der  Alte 
jedes  Obenhinaus,  jede  Eangsucht  über  den  eignen  Stand  hinaus 
mit  einer  idyllischen  Begnügsamkeits-  und  Stilleben-Philosophie, 
wovon  seine  Variante  über  Horazen's  'Beatus  ille'  bereits  in  der 
ersten  Hälfte  unserer  Dilogie  die  unverwerflichste  Probe  geliefert 
hat.  ^)  „Ah  Tello !"  seufzt  in  der  zweiten  Hälfte  als  Nachhall  des 
Beatus  ille  der  alte  Schwiegervater  einer  Königstochter  und  Kö- 
nigsschwester, der  die  paterna  rura  mit  dem  goldenen  Kalbe  exer- 
cirt,  und,  unbeschadet  des  Beatus  ille,  sich  doch  im  Herzen  ob 
der  Königskrone  kitzelt,  die  er  in  sein  altgothisches  Familien- 
wappen aus  den  Schollen  hervorgeackert  bobus  suis.  „Ah  Tello, 
wollte  Gott"  —  ruft  er  —  „dass  wir  beide  in  diesem  von  Wein- 
reben umlaubten  Gemäuer  traulich  umfriedet,  und  ohne  Kö- 
nige ausruhen  möchten!"  Und  rückt  dem  Sohne  die  alte  Er- 
fahrung nah,  „wie  Hochmuth  stets  dem  Falle  vorausgehe,  und 
wenn  er  die  Sohle  dem  Mond  auf  die  Stirne  setzte."  Selbst  die- 
ses Gleichniss  zeigt,  dass  der  alte  Tello  noch  mondsüchtig  höher 
hinaus  will,  als  der  Sohn;  und  nebenbei  beweist  das  geistreich 


1)  iHijo  me  llama  ä  mi  Tello  insolente! 

2)  jOh  Elvira!  muerto  Tello,  seräs  mia. 
Y  a  pesar  de  las  partes  mas  contrarias 
Key  de  Leon  Don  Arias. 

0  Elvira!    Stirbt  Tello,  wirst  Du  mein. 
Und,  trotz  gehässig  feindlichster  Part  ein, 
Wird  Don  Arias  Leons  König  seyn. 

3)  Esc.  VI.  Der  epodische  Monolog  beginnt: 

jCuan  bienaventurado 
Puede  Ilamarse  el  hombre 
Que  con  escuro  nombre 
Vive  en  su  casa  .  .  . 


Der  alte  und  der  junge  Tello,  147 

glänzende  Bild,  womit  er  in  Parenthese  obigen,  dem  Mond  in's 
Gesicht  versetzten  Fusstritt  erläutert:  dass  der  Bauer  als  Millio- 
när auch  über  das  Gehege  seiner  Standesbildung  hinausgeilt, 
worin  er  in  den  Mondflecken  die  Tapfen  erkennt,  die  des  vom 
Glücke  Begünstigten  strebsüchtiger  Fuss  zurückgelassen,  i)  Es 
könnten  —  so  meint  unsere  Parenthese  —  es  könnten  wohl 
eher  jene  Mondflecken  von  Köpfen  wie  der  Deinige,  altgothisch 
stolzer  Meneses!  herrühren,  von  Köpfen,  die  im  Mond  eine  Krone 
erblicken,  auf  die  ihr  hochstrebender  Scheitel  —  wie  der  Lerchen- 
falk  auf  die  sonnentrunkene  Lerche  —  stösst,  oder  wie  der  lyri- 
sche, Sternensüchtige  Dichter  auf  die  Sterne :  sublimi  feriam  sidera 
vertice!  So  krönen-  ja  Überkronenstolz  klingt  des  alten  Tello 
hochfliegende  Selbstbescheidung,  wenn  er,  nach  Mendo's  Be- 
richt über  König  Alfonso's  Aufnahme  von  Brief  und  Geschenken, 
ausruft:  „Kinder  und  Enkel,  ihr  erfreut  euch  eines  Vermögens 
und  Grundbesitzes,  dass  ihr  als  Könige  leben  könnet,  ohne  Kö- 
nige zu  seyn.  Auf!  Nicht  ist  mehr  Wartens  Zeit.  Heute  noch 
soll  Ordono"  (der  neugeborne  Enkel,  der  Infanta  zweites  Söhn- 
lein) „die  Taufe  empfangen,  und  sein  Bruder"  (der  achtjährige 
Enkel  Garci-Tello)  „Pathe  seyn.  Putz'  ihn  auf,  Elvira,  und 
gürte  ihn   mit  Schwert  und  Dolch!"  2)    Spricht  der  Alte  nicht 


1)  !Ah  Tello!    Pluguiera  a  Dios 
Que  en  aqueste  verde  muro, 
Sin  reyes,  ä  lo  seguro 
Descansäramos  los  dos! 
Conozco  tu  gran  fortuna; 
Pero  dime:  <sä  quien  levanta? 
Puesta  que  ponga  la  planta 
En  la  frenta  de  la  luna 

(Que  aquellas  manchas  que  ves 
Pienso  que  pisadas  fueron 
De  dichosos,  que  pusieron 
Sobre  su  rostro  los  pies.)  .  .  - 

2)  Mis  hijos  y  nietos  ~ 


Hacienda  teneis  y  tierra 
Adonde  poseis  la  vida 
Siendo  reyes,  sin  ser  rej^es  .  .  . 
En,  no  hay  mas  que  aquardar 

10* 


148  ^^^  spanische  Drama. 

als  rex  denique  regum  und  hüllt  er  sich  nicht,  besitzesstolz,  in 
seinen  modrigen  Bauernkittel  wie  in  einen  Purpurmantel?  Und 
doch  ist  dieser  alte  Tello  ein  Prototyp  des  asturischen  Edelbauern, 
in  welchem  ein  halber  Pelayo  und  ein  halber  in  idyllischem  Be- 
hagen schwelgender  Lope  steckt,  die  zusammen  einen  ganzen 
Kerl  und  den  prächtigsten  Helden  zu  einer  dilogisch-landschaft- 
lichen  Comedia  abgeben.  Die  stolze  Grossvaterfreude,  die  er  an 
seinem  schwertumgürtet  so  prinzlich  daherflunkernden  achtjähri- 
gen Enkel  Garci-Tello  hat!  Königlich  —  die  Phrase  ist 
dem  Alten  aus  der  Seele  gesprochen  —  königlich  freut  er  sich 
über  den  Jungen,  den  legitimirten  Bastard  von  Kronprinz  und 
Zwiebelkönig!  Der  Patriarch  von  altem  Ducatenmann,  der  auf  die 
Könige  s . . .  aber  Ducaten,  hängt  dem  halbprinzlichen  Enkelchen 
eine  goldene  Kette  um  und  setzt  ihm  ein  Jahrgeld  von  tausend 
Ducaten  aus  für  seine  Garderobe.  ^)  Bei  allen  drei  Königen! 
Diesem  König  aller  Frei-  und  Edelbauern  fehlt  nur  ein  Alexan- 
der, um  ihn  vom  Pfluge  weg  zum  Könige  krönen  zu  lassen;  wo 
der  Alte  nicht  selber  an  Hochsinn  ein  Alexander  ist,  ein  König- 
macher im  dritten  Gliede  mindestens,  wie  uns  eben  Garci- 
Tello  zeigt  und  noch  zeigen  wird.  Pocht  der  kleine  Säbel- 
schlepper doch  jetzt  schon,  beim  Taufzuge  aus  der  Kirche,  auf 
die  Brust,  dem  Pfarrer,  der  den  Tello's  wünscht,  dass  ihre 
Enkel  Könige  von  Spanien  werden,  goldne  Perspectiven  eröffnend : 
„Wenn  ich  König  wäre,  würde  ich  den  Pfarrer  zum  Erzbischof 
machen."  2)  Der  Heimzug  wird  auf  dem  Wege  zum  Kindtauf- 
schmause  von  einem  Getös  unterbrochen,  das  die  Ankunft  des 
Königs,  in  Begleitung  seines  Fuchses  mit  dem  Büschel  Ohren- 
flöhe in  der  Schnauze,  des  Conde  Arias,  ankündigt, 

König  Alfonso  tritt  daher,   wie   der  Löwe,    der  da  sucht, 
wen  er  verschlinge.    Wenn  nicht  zerreissend  gerade,  so  legt  er 


Hoy  Ordofio  se  bautiza: 
Sea  padrino  su  hermano, 
Vistele  de  gala,  Elvira, 
Y  cinele  espada  y  daga. 

1)  Mil  ducados  os  senalo 
Cada  ano  para  vestiros. 

2)  Cura.  Flegue  a  Dios 


Absoluter  Höflings-König.  149 

doch  die  Tatze  an  die  Schwester-Infanta,  um  sie  dem  Gatten  zu 
entreissen.  i)  Sie  aber  klammert  sich  an  ihre  zehnjährige  Ehe 
mit  den  Krallen  der  Weibes-  und  Muttertreue,  die  noch  stärker 
als  Löwenpranken  2) ,  nur  nicht  —  der  Juno  Lucina  sey  es  ge- 
klagt! ~~  stärker  nicht  als  solche  Fürstentatzen,  die  ihre  Klauen 
in  Herz  und  Seele  schlagen.  Blutend  lässt  die  Mutter  und  Gat- 
tin ihr  Herz  bei  Mann  und  Kindern  zurück,  von  tyrannischer 
Doppelgewalt  entrafft:  des  Bruders  und  Königs.  Zumal  wenn 
diesem,  auf  frischer  That,  gleich  eingangs  des  zweiten  Acts, 
nachdem  sich  selbst  zwei  seiner  Bischöfe,  betreffs  der  Ehe- 
lösung, für  incompetent  erklärt  und  den  König  an-  den  Papst 
verwiesen  —  zumal  wenn  den  Gewaltfürsten  sein  Ahitophel, 
Arias,  an  den  „absoluten"  König  verweist,  den  der  Monarch  zu 
vertreten  und  zu  behaupten  habeJ)  Hei,  wie  trumpft  dem  ab- 
soluten König  der  alte  Tello  auf,  der  eben  mit  dem  acht- 
jährigen Enkel,  Garci -Tello,  vor  Alfonso  HL  erscheint,  und 
als  Ebenbürtiger*)   dem    königlichen  Schwäher  und  Oheim   die 


Veais  reyes  cstos  nietos!  .  .  . 
Garci -Tello.  Si  yo,  Senores,  reinara 

Hiciera  al  Cura  arzobispo. 

1)  Que,  puesto  que  estä  casada 
Con  Tello,  no  esta  ä  mi  gusto. 

Obgleich  vermählt  dem  Tello,  ist  die  Ehe 
Doch  nicht  nach  meinem  Sinn  .  .  . 

2)  Infanta.  Si  yo  quiero  ä  mi  marido, 

y  el  me  quiere  (^hay  ley  que  valga 
Para  que  me  aparte  del? 
Wenn  meinen  Mann  ich  liebe 
Und  er  mich  liebt,  giebts  ein  Gesetz, 
Das  stark  genug,  um  uns  zu  trennen?  .  .  . 
^A  que  tigre  le  quitäran 
Dos  hijos  y  su  marido? 
jAh  consejos  de  don  Arias! 
Welche  Tig'rin  Hesse  rauben 
Sich  zwei  Kinder  und  den  Gatten? 
Ha,  Rathschläge  des  Don  Arias'! 

3)  Alias.  Si  vuestra  alteza  toma, 

Como  absoluto  rey,  el  caso  ä  pechos. 

4)  Y  no  es  mejor  el  Conde  de  Castilla 


150  ^^-s  spanische  Drama. 

Leviten  liest!  Weil  er,  Tello,  als  Ackerbauer  das  Feld  bestelle, 
sey  er  darum  etwa  zu  schlecht  für  so  hohe  Verwandtschaft?  — 
Bauern,  Hirten,  waren  auch  unseres  Herrgotts  (Christi)  Aelter- 
väter.  ^)  „Gebt  mir  die  Infantin  wieder,  und  ich  lass'  Euch  da- 
für meinen  Enkel" '^),  den  kleinen  Garci- Tello,  das  Tüpfel- 
chen auf  dem  I  der  vom  Alten  dem  Könige  gelesenen  Leviten, 
und  der  auch  schon  sein  Schwertlein,  als  seinen  Accent,  dem 
König  gegenüber  geltend  machte.  Der  König  bemerkt:  „Da 
nimmst  Du  Dich  gut  aus  mit  Deinem  Schwerte'',  worauf  der 
kleine  Campeador  versetzt:  „Ich  kam  zur  Welt  mit  ihm." 3) 
König  Alfonso  geht  den  angebotenen  Tausch  ein;  er  giebt  die 
Schwester  ihrem  Gatten  wieder  und  behält  dafür  den  kleinen 
Neffen  bei  sich  mit  dem  Cid-  oder  Rolandschwert  in  der 
Knospenscheide.  Eine  Bedingung  behält  sich  der  König  vor, 
die  er  den  alten  Tello  alsbald  werde  wissen  lassen.  Don  Arias 
kommt  und  drückt  sich,  wie  ein  mit  Ricinusöl  abgetriebe- 
ner Spulwurm,  und  „geht  ab"  wie  ein  solcher,  nur  dass  er 
das  „Abgehen"  infolge  des  vom  König  erhaltenen  Auftrags,  die 
Infantin  dem  alten  Tello  zu  überliefern,  noch  in  einem  Aparte: 
„ich  gehe  sterbend  ab"^),  zu  erkennen  zu  geben  zu  müssen 
glaubt. 

Die  schriftlich  von  Mendo  überbrachte  Bedingung  des  Kö- 
nigs lautet  äahin:  dass  Tello's  Ehefrau  sich  nicht  mehr  'Infanta,' 
sondern  Elvira  de  Meneses  nenne.  Freudigstolz  ruft  Elvira,  der 
schlichte  Name  ihres  Gatten  ehre  sie  mehr,  als  der  Titel  einer 
Prinzessin  von  Leon.  ^)    Sie  kenne  keine  gTössere  Ehre,  als  Tello's 


Que  Tello  de  Meneses.    jVive  el  cielo! 
Und  beim  lebendigen  Gott!  kein  Bessrer  ist 
Castiliens  Graf  als  Tello  von  Meneses. 

1)  Los  abuelos  de  Dios  fueran  pastores. 

2)  Dasme  la  infanta  y  os  dare  mi  nieto. 

3)  Rey.  Bien  pareceis  con  espada 
Garci-Tello.  Con  ella  naci,  Senor. 

4)  Muriendo  voy. 

5)  Que  por  mas  honor  lo  tengo, 
Que  el  titulo  de  Leon. 


Der  kleine  Hidalgo.  151 

Weib  ZU  seyn.  i)  Des  alten  Tello  spanische  Königstreue  (Lealtad) 
beugt  den  altgothischen  Bauernstolz  unter  des  Königs  Willen  '^), 
und  beugt,  inbetracht  seiner  psychologisch  nicht  ganz  mit  dieser 
Unterwürfigkeit  vereinbaren,  so  ansprechend  hochgemuthen  Hal- 
tung dem  Könige  gegenüber  —  beugt  des  Alten  Charaktertreue 
noch  unbedingter  und  tiefer  unter  das  spanische  Parallelgesetz, 
dessen  Dualismus  sich  bis  in  die  innersten  Motive  der  dramati- 
schen Charakteristik,  wie  Wurzelfasern  in  den  Felsen,  einsenkt 
und  auch,  wie  diese  den  Felsblock,  den  festesten  Charakter 
sprengt  und  spaltet.  Nach  demselben  Formations-  und  Trans- 
formationsgesetze ist  der  selbstverständlich  als  todt  abgegangene 
Spulwurm  ^)  in  seiner  ursprünglichen  Gestalt  als  Ohrwurm  wieder 
auferstanden  und  beschleicht  des  Königs  Ohr  mit  dem  Käthe, 
sich  der  beiden  Tello's,  die  des  Königs  Leben  durch  Anwart- 
schaft der  Nachfolge  gefährden,  zu  entledigen.  4)  Die  Unterre- 
dung behorcht  auf  gut  spanisch-dramatisch  der  kleine  Garci- 
Tello,  der,  wie  mit  dem  Schwert,  so  mit  dem  Schema  des  spani- 
schen Drama's  zur  Welt  kam,  und  denn  auch,  inkraft  beider  an- 
geborenen Gaben  aus  dem  Horchversteck  mit  blanker  Klinge  her- 
vor- und  auf  Don  Arias  einspringt,  ihn  fordernd  zum  Zweikampf. 
Der  König  verweist  dem  aus  der  Eierschale  gesprungenen  Ber- 
nardo  del  Carpio,  dessen  Miniatur  der  Kleine  eher  scheint,  als 
ein  naturwahrer  achtjähriger  Garci-Tello  —  verweist  ihm  den«. 
Mangel  an  Ehrfurcht  vor  der  königlichen  Gegenwart,  und  der  mir 
gabelförmigem  Hintertheil  schwänzelnde,  in  Ermangelung  eines 
Giftstachels  oder  Giftbeutels  sich  selbst  und  ganz  und  gar  als 
solcher  in  ein  Königsohr  einschleichende  Ohrwurm  vertröstet  den 
Helden-Embryo  des  spanischen  Drama's  der  Zukunft  auf  den  mit 
dem  bescheidenen  Scepter  gleichzeitigen  Bart  der  Zukunft,  der 
ihm  einst  wachsen  zu  sollen  verheissen  seyn  möchte,  bis  zu  wel- 


1)  —  que  no  tengo 

Mas  honra  yo  que  ser  tuya. 

2)  Eso  es  justo  que  el  rey  manda. 

3)  Muriend  voy  s.  o. 

4)  Para  asegurar  tu  vida, 

(;,Que  impartaii  dos  Montaneses? 


152  Das  spanische  Drama. 

ehern  Ereigniss  er,  Arias,  die  Annahme  der  Herausforderung 
vertagen  müsse.  ^) 

„Zupfst  Du  mich  jetzt  an  meinem  zukünftigen  Bart"  — 
knirscht  Kleinroland  mit  den  Milchzähnen  —  „soll  am  ersten  mir 
keimenden  Kinnhärchen  Dein  Leben  hängen!  —  Oder  glaubst 
Du,  wenn  ich  einen  Bart  bekomme,  dann  noch  zu  leben  ?"^)  — 
und  schwenkt  ab,  gar  gefährlich  fuchtelnd  mit  seiner  Durindane 
in  herba. 

Doch  wie  mit  guter  Manier  den  Tello  aus  dem  Wege  räu- 
men? fragt  Alfonso  III.  seinen  spiritus  infernalis,  mit  dem  der 
kleine  Eisenfresser  den  königlichen  Oheim  wieder  allein  gelas- 
sen. „Wie?"  ^)  —  bläst  Arias  in's  Königsohr  —  dafür  lasset  den 
Almanzor  sorgen,  der  mit  seinen  Mauren  eben  nur,  wie  geru- 
fen, in  Euer  Guadarrama-Gebirge  eingebrochen.  Ihr  habt  blos 
den  jungen  Tello  mit  tausend  Mann  den  Saracenen  in  die 
Lanzen  und  Krummsäbel  zu  jagen,  die  dann  schon  wissen  wer- 
den, wie  sie  mit  Tello  und  den  Tausend,  dank  des  alten  Tello 
Ducaten,  feldrüstig  gemachten  Tausend  Bauern  fertig  werden." 
„Hey da!"  —  schnippt  König  Alfonso  III.  mit  Daumen  undZeige- 
linger  —  „das  klappt!  auf  die  Weise,  guter  Arias!  wird  sich's 
machen  lassen!^)  —  Es  macht  sich  aber  in  der  Eegel  ganz  an- 
ders, als  die  Alfonso's  und  ihre  Ohrwürmer  miteinander  abkarten, 
-^ie  Titelüberschrift  unserer  Tellos-Comedia:  „Valor,  Fortuna  y 
Lealtad"  muss  est  noch  ihr  letztes  Wörtchen,  das  auch  ihr 
erstes  ist,  sprechen:  nämlich  „Valor",  „Tapferkeit",  nachdem  sie 
den  beiden  anderen,  „Glück"  und  „Treue",  gerecht  geworden,  und 


1)  El  cetro  os  dara  la  edad, 

Y  el  tiempo  la  barba  al  rostro: 
Para  entonces  yo  recibo 
El  desafio,  antes  no. 

2)  Quando  tenga  herbar  yo 
^Habiades  do  estar  vivo? 

3)  Don  Arias,  Pues  quitad  la  vida  ä  Tello. 
Key.  Eso  ^icomo  puedo  hacello? 

Sin  que  mal  parezca,  yo. 

4)  Rey.  Pues,  Don  Arias, 

Miiera  Tello  desta  suerte, 


Held  Tello.  153 

eine  vom  Glück  gekrönte  „Tapferkeit"  muss  es  seyn;  einmal  der 
'Comedia'  wegen,  die  sich  den  glücklichen  Ausgang  nicht  neh- 
men lässt,  und  auch  der  'Fortuna'  wegen,  die  in  der  Ueberschrift 
gleich  hinter  'Yalor'  folgt,  um  im  letzten,  dem  dritten  Act,  ihr 
Füllhorn  über  den  tapfermuthigen  Yalor  auszuschütten  und  ihn 
mit  dem  Siegeskranze  zu  krönen.  Fortuna's  Füllhorn  spiegelt 
sich  in  Mendo's  Schilderung  des  Treffens  im  Guadarrama-Ge- 
birge  und  seinem  in  zweihundert  Redondillen-Versen  voller  glocken- 
lauten A-Assonanzen  sich  ergiessenden  Berichte  von  des  jungen 
Tello  %nd  dessen  Tausend,  dank  des  alten  Tello  Ducaten,  aus- 
gerüsteten Bauern,  unter  Mitwirkung  des  spanischen  Schutzpatrons 
Sanjago,  des  heil.  Millan  und  der  heil.  Jungfrau  i)  —  selb- 
dritt  als  Schmuckfiguren  auf  Tello's  Kriegshelm  prangend  —  und 
inkraft  ihres  wunderthätigen  Beistandes  über  die  zahllosen  Sa- 
racenenschaaren  errungenem  ruhmvollen  Siege.  Und  Fortuna's 
dem  kriegsmuthigen  'Valor'  des  jungen  Tello  und  dessen 
des  alten  Tello  königstreuer  'Lealtad'  dargereichten  Euhmes- 
kranz,  ihn  verbildlicht  als  Schlusstableau  die  huldreiche  Ehren- 
spende, die  der  König  in  höchsteigener  Erscheinung  beiden  Tel- 
lo's, Vater  und  Sohn,  zuerkennt  2),  Beide,  zunächst  aber,  da  der 
junge  Tello,  den  der  König  hierzu  entboten,  am  Schluss  unsicht- 
bar bleibt,  zunächst  den  alten  Tello,  als  seinen  könig- 
lichen Schwager,  auf  Antrag  des  kleinen  kronprinzlichen  Neffen, 
Garci-Tello,  durch  die  Aufforderung,  „sich  zu  bedecken'',  zum 


1)  Y  encima  de  su  celada 

Puso  (Tello)  Ulla  imagin  pequeila 

Del  Santo  Padron  de  Espana 

En  forma  de  Caballero, 

Cuyo  lado  acompaiiaba 

San  Millan  monje,  que  suele 

Hacer  del  bäculo  espada. 

En  unas  doradas  nubes 

Sobre  los  Santos  estaba 

La  que  volviö  en  ave  el  Eva 

Siempre  limpia  y  siempre  santa. 

2)  Rey.  Favores,  honras,  decoros 

Pedid,  Tello.  - 

Solo  a  honraros  he  venido. 


154  I^as  spanische  Drama. 

Granden  von  Spanien  erhebend,  i)  Mit  der  Scblussscene,  wo  der 
König  in  der  vom  alten  Tello  erbauten  Kirche  den  achtjährigen 
Neffen,  Garci-Tello,  feierlich  zum  Ritter  schlägt,  schlägt  die 
Comedia  gleichsam  ihr  Pfauenrad,  als  prachtvolles  Schweif-Ta- 
bleau.  Jedes  Wort  in  des  Königs  Eitterweihespruch  ist  ein  him- 
melblau leuchtendes  Juno- Auge  im  Pfauenschweif.  ^) 

Soll  uns  noch  gar  der,  leider,  auch  für  die  Königsohr- Viper 
glückliche  Komödienausgang  behelligen  dürfen,  die  Ohr- Viper,  die, 
umgekehrt  wie  die  Aesculapschlange,  welche  durch  Ohrenbelecken 
heilte,  Königsohren  sammt  Zubehör  mit  ihrem  Züngeli# vergif- 
tet? Die  viel  zu  gutmüthige  und  allzu  versöhnliche  Comedia  lässt 
die  Ohrklapperschlange,  Arias,  sich  schmiegsam  zärtlichst  von 
Laura,  der  ursprünglichen  Parallel-Liebhaberin  zur  Infanta,  um 
die  Finger  ihrer  erbetenen  Hand  wickeln.  Comedia  entschuldigt 
dies,  dem  sie  deshalb  zu  Rede  stellenden  Garci-Tello  gegen- 
über, durch  der  Infantin  Mund,  mit  der  Gegenwart  des  Kö- 


1)  Rey  (zu  Garci-Tello).       ' 

Cubrid,  cubrid,  la  cabeza. 
Garci-Tello.    Honrad,  Senor,  por  mi  madre 

A  mi  padre.  — 
Rey.  Yo  lo  hare 

Garci-Tello.    Porque  no  mi  cubrire, 

Si  no  se  cubre  mi  padre. 
Rey  (zum  alten  Tello). 

Cubrios,  seiior  cunado, 

Que  lo  manda  mi  sobrino. 

2)  Rey  (ä  Garci-Tello). 

En  el  suelo 
Poned  la  rodilla.    Oid 
Hoy,  que  os  hago  caballero, 
Garcia  con  ateneion 
A  lo  que  os  obliga  el  serlo, 
Mientras  que  os  cino  la  espada 
En  cuyo  desnudo  acero 
Escribireis  mis  palabras, 
Que  os  han  de  servir  de  espejo. 
La  ley  de  Dios  sobre  todo, 
Defendereis  lo  primero: 
Guardereis  lealtad  al  Rey, 
y  a  SU  justicia  respetoj 


Lope  de  Vega's  ,,Ende  gut  Alles  gut''.  155 

nigs^),  die  keinen,  ob  noch  so  gebieterisch  von  der  poetischen 
Gerechtigkeit,  auch  Komödiengerechtigkeit,  geforderten  Vergel- 
tuugs-ünglimpf,  selbst  nicht  in  Form  komischer  Beschämung, 
zulasse.  Das  würde  gegen  die  von  der  spanischen  Komödien- 
Etikette  vorgeschriebene  Ehrfurcht  vor  der  Heiligkeit  eines  spa- 
nischen,''auch  eines  Komödienkönigs,  eines  sacrosancten  Key  ab- 
solute y  neto  auf's  ärgerlichste  und  sträflichste  Verstössen. 

Dem  specifisch- spanischen  Nationaldoppelstücke,  unter  Lo- 
pe's  Dramen  einem  der  vorzüglichsten  solcher  Färbung  und 
Tendenz,  kommt  auch  dieser  Zug,  diese  Königsvergötzung  zu- 
gut,  aus  deren  Theater -Maske  der  Dichter,  wie  der  Baals- 
pfaife  aus  der  Bauchhöhle  des  Tempelabgotts  die  Orakel,  seine 
höfisch -bigotte  Loyalitätsadresse  als  dramatische  Fabelmoral 
vorträgt. 

La  Hermosura  aborrecida 

(Die  verschmähte  Schöne). 

Eines  von  Lope's  bemerkenswerthesten  Novellenstücken  im 
historischen  Rahmen.    Für   uns   noch   durch   den  umstand  von 


En  las  guerras  de  los  moros 
Jamäs  volvereis  huyendo, 
Porque  los  hombres  fidalgos 
0  vencen  ö  quedan  muertos. 
Saldreis  al  campo,  Garcia, 
Si  os  Meieren  algun  reto; 
Y  todo  pleito  homenaje 
Guardareis,  6  libre  6  preso. 
No  consentireis  que  agravien 
Mujer  ninguna:  todo  esto 
Habeis  de  jurar  aqui. 
1)    DonArias.     A  tanto  favor  no  puedo 

Eesponder,  sino  humillarme. 
(Danse  las  manos  Laura  y  Don  Arias) 
Garci-Tello.  Seilora,  sabeis  que  tengo 

Desafiado  ä  Don  Arias 

Infanta.  Hijo,  tambien  os  ad  vierte 

Que  no  puede  haber  agravio 
Delante  del  Eey. 


156  I^äs  spanisclie  Drama. 

besonderer  Anziehung,  dass  die  Novellenfabel  im  Grundmotiv  mit 
Shakspeare's  „Ende  gut  Alles  gut"  übereinstimmt;  mit  der  Maass- 
gabe freilich,  dass  bei  Shakspeare  die  Verschmähung,  wie  in  der 
Novelle,  eine  Jungfrau  trifft;  Lope's  „verschmähte  Schöne",  Dofia 
Juana,  dagegen,  von  ihrem  Gatten,  Don  Sancho  de  Guevara, 
der  in  Liebe  um  sie  geworben,  nun  aus  lieber druss  verab- 
scheut und  verläugnet  wird»  Einem  gesunden  ürtheile  muss  von 
vornherein  ein  Pathos,  wie  ehelicher  üeberdruss,  Uebersättigung, 
als  dramatisch-psychologisches  Motiv  widerstreben.  Es  ist  eben 
so  unschön  wie  unsittlich,  mithin  kunstwidrig.  Je  mehr,  wie 
hier  der  Fall  ist,  die  äusseren  und  inneren  Vorzüge  des  vom 
Gatten  verschmähten  und  misshandelten  Weibes  in  das  günstigste 
Licht  gesetzt  werden,  um  so  empörender  für  das  Kunstgefühl 
wird  des  Mannes  Widerwillen,  und  dramatisch  um  so  unmotivir- 
ter,  unberechtigter,  unerklärlicher,  und  daher  verwerflicher.  Das 
grandios  Gehässige,  zumal  infolge  einer  blossen  launenhaften 
Stimmungswandlung  vonseiten  des  Gatten,  und  gegen  sein  schuld- 
loses, mit  allen  Tugenden,  allen  Seelen-  und  Körperreizen  ge- 
schmücktes Weib  gerichtet,  kann  nur  Ekel  und  Abscheu  vor 
einem  solchen  Ehemann  erregen.  Wenn  nun  gar  diese  rohe, 
cynische,  nur  aus  der  Verworfenheit  des  Mannes,  wie  ein  Gift- 
schwamm aus  einem  faulen  Baumstamme,  entsprungene  Antipathie 
gegen  die  musterwürdige  Gattin  als  Folie  ihrer  Trefflichkeit, 
wie  in  unserem  Stücke  beabsichtigt  ist,  dienen  soll:  dann  wird, 
nach  unserer  Empfindung,  durch  eine  so  schmutzige  Folie  ge- 
rade das  Gegentheil  bewirkt,  indem  >ine  der  Eadicaltugenden 
des  Weibes:  Frauenwürde,  von  solcher  Folie  weit  mehr  be- 
fleckt, geschmäht  und  entehrt  wird,  als  ihre  aufdringliche,  auf- 
sässige, klettenhafte ,  durch  üeberlästigkeit  den  Widerwillen  des 
Mannes  nur  steigernde,  ja  die  Antipathie  motivirende  eheliche 
Liebestreue  ihr  unsere  Sympathie  zu  gewinnen  vermöchte.  Selbst 
die  eheliche  Liebe  kann,  bei  aller  Berechtigung  und  Heiligkeit, 
einen  Punkt  des  üebermaasses,  insonderheit  die  zur  Schau  ge- 
stellte, nachläuferische,  mit  ihrer  verfolgungssüchtigen  Anhäng- 
lichkeit die  Abneigung  des  Mannes  bis  zur  Verzweiflungswuth 
hetzende  Gattenliebe,  —  sie  kann  einen  Grad  erreichen,  wo  die 
Frau,  im  Widerspruch  mit  ihren  unveräusserlichen,  unter  keinerlei 
Umständen  preiszugebenden  Pflichten  gegen  sich  selbst,  gegen 


Das  katholische  Königspaar.  157 

ihr  weibliches  Zart-  und  Scharagefühl,  die  Wurzel  ihres  Frauen- 
werthes:  stille,  demuthsvoUe  Duldung,  das  Martyrium  einer  sich 
im  Verborgenen  verzehrenden  Liebestreue,  tödtet.  Leidenschaft- 
liche, unverwindbare  Liebe  eines  Weibes  zu  einem  schlechten 
Kerl  von  Ehemann  ist  kein  Märterthum,  kein  weibliches  Helden- 
thum  mehr:  ist  eine  unselige  Schwäche,  die,  wenn  sie  bis 
zu  öffentlichen  Kundgebungen  und  Schaustellungen  sich  verirrt, 
lächerlich  und  verächtlich  werden  kann.  An's  Ehekreuz  sich 
inbrünstig,  krampfhaft,  unentreissbar  festklammern  aus  Gatten- 
liebe, ist  weiblicher  Heroismus,  höchste  Frauenehre,  rührend,  gross 
und  erhaben.  Das  Ehekreuz  aber  noch  im  Eheschandpfahl 
vergöttern;  die  Selbstausstellung  auf  öffentlichem  Markt  als 
höchste  Beglückung  erkämpfen;  dem  zum  Halseisen  geschände- 
ten Bande,  wie  einem  Ehrenschmuck,  entgegenschmachten;  sich 
mit  dem  Ehejoche,  noch  als  Galgenjoch,  wie  mit  einer  Frauen- 
krone schmücken:  —  Nun,  eine  ehelich  liebeswüthige  Pranger- 
anhänglichkeit solchen  Schlages  habe  denn  was  ihr  Herz  be- 
gehrt 1  sie  feiere  den  Triumphzug  ihrer  ehelichen  Liebestreue, 
quand  memo,  zusammen  mit  ihrem  Ehepranger  auf  einen  Esel 
rückwärts  gebunden,  und  dessen  Schwanz  in  der  Hand  haltend, 
und  werde,  die  Röcke  über  dem  Kopf  zusammengewickelt,  von 
einer  Schaar  Laren  und  Penaten,  Gott  Hymen  an  der  Spitze,  von 
Stadt  zu  Stadt,  von  Dorf  zu  Dorf  mit  Kuthenbündeln ,  geflochten 
aus  Myrthenzweigen  und  Stengeln  von  Ehrenpreis -Frauenflachs, 
bis  aufs  Blut  gepeitscht! 

Zu  der  Novellenfabel  liefert  das  „katholische  Königspaar", 
Fernando  und  Isabel,  die  geschichtliche  Einfassung,  dem 
Brauche  der  spanischen  Hofkomödie  gemäss,  die  in  der  Regel 
das  Geschichtliche,  nicht  selten  sogar  in  dem  eigentlichen  histo- 
rischen oder  heroischen  Schauspiel,  als  Beiwerk  und  Arabeske  be- 
handelt. Wir  glauben  diese  Compositionsweise  mit  dem  Ursprung 
des  spanischen  Novellendrama's  in  Zusammenhang  bringen  zu 
dürfen,  den  wir  aus  jenen,  schon  im  13.  Jahrhundert  üblichen 
Hof-  und  Palastfesten  ableiten,  welche,  bei  Schmaus,  Gesang 
und  Spiel  und  als  Erholung  von  den  geschichtlichen 
Thaten,  Kriegsmühsalen  und  stetigen  Fürsten-  und  Adels- 
kämpfen, vorzugsweise  abgehalten,  den  Hofdichtern,  den  poeti- 
schen Cermonienmeistern  gleichsam  dieser  Palast-Unterhaltungen, 


158  Das  spanische  Drama. 

Gelegenheit  gaben,  die  Tapferkeit  des  ritterlichen  Heldenthums 
im  Verein  mit  holder  Frauenschönheit  und  Galanterie  zu  besin- 
gen, als  höchsten  Ehrenlohn  und  ßuhmespreis  vollbrachter  Krie- 
gesthaten,  Frauendienst  und  Frauenhuld  in  ihren  Reimspielen 
feiernd  und  verherrlichend.  „In  diesen  galanten  Assembleen"  — 
bemerkt  einer  der  gründlichsten  Kenner  der  spanischen  Volks- 
und Hoffeste  im  Mittelalter  —  „wechselte  die  von  Poesie  und 
Gesang  unterstützte  Musik,  auch  sie  nur  Liebe  und  Heldenthaten 
athmend,  mit  gesellschaftlicher  Unterhaltung",  und  in  diesen  mu- 
sikalisch-gesellschaftlichen Hofliederspielen  „eiferten  die  lyrischen 
Dichter  jener  Zeit  im  Wettstreit,  um  mit  ihrer  schwungvollen 
Begeisterung  und  ihrem  Enthusiasmus  zu  prunken,  und  Thaten 
kriegerischer  Tapferkeit  und  den  Zauber  der  Schönheit  in  den 
Himmel  zu  erheben."  ^  In  Lope's  Comedia:  „Das  Unmöglichste 
von  Allem",  konnten  wir  uns  der  reizendsten  Anklänge  an  die- 
sen Ursprung  der  spanischen  Conversations-  oder  Gesellschafts- 
dramen, an  den  Ursprung  der  Mantel-  und  Degenspiele  erfreuen, 
und  es  muss  Wunder  nehmen,  dass  weder  Jovellanos  noch  seine 
Nachfolger  diese  Ableitung  und  Entwickelung  hervorheben.  Das 
merkwürdigste  Gegenstück  zu  der  galanten  Hof-  und  Eitterkomö- 
die  bildet  in  Composition  und  dem  dramatischen  Verständnisse 
nach,  jene  früheste,  der  spanischen  Dramaliteratur  einzige  Tragi- 
komödie, jene  erstaunliche  Ausnahmsschöpfung:  Cota-Eoxas'  „Ce- 
lestina",  in  welcher  wir  eine  tiefere  Verwandtschaft  mit  dem  ei- 
gentlichen Geiste  des  im  Shakspeare-Stücke  zu  höchster  Macht 
und  Poesie  entfalteten  Kunstdrama's,  als  in  der  spanischen  Hof- 
komödie des  17.  Jahrhunderts,  erkennen  durften. 

Den  Ort  der  Handlung  zuLope's  Stück  bietet  der  für  Fernando- 
lsabel-Dramen stehende  Schauplatz:  Das  Lager  vorGranäda. 


1)  En  estas  galantes  asambleas  —  la  mnsica,  qne  ayudada  de  la 
poesia  y  el  canto  alternaba  con  la  conversacion ,  ö  la  cubria,  tan  poco 
sonaba  sino  amores  y  hazanas,  y  en  ella  los  trobadores  o  poetas  liricos 
del  tiempo  pngnaban  por  ostentar  su  estro  y  entusiasmo  ya  levantando  al 
cielo  las  proezas  del  valor,  ya  los  encantos  de  la  hermosura.  Me  moria 
sobre  las  diversiones  püblicas  escrita  por  D.  Gaspar  Melchior  de  Jo- 
vellanos etc.  y  leida  en  Junta  publica  de  la  real  Academia  de  la  Historia 
el  11.  Julio  de  1796.  Madr.  1812.  W^ieder  abgedruckt:  Obr.  de  Jovell 
Bibl.  d.  Aut.  Esp.  I. 


Juana  und  Königin  Isabel.  159 

Frischweg  stellt  uns  sofort  die  erste  Scene  das  Hauptmotiv  in 
fliegender  Handlung  vor  Augen:  die  ihren  entlaufenen  Gatten, 
Sancho  de  Quevara,  festhaltende  Doiia  Juana  wird  mit  dem 
Dolche  von  ihm  bedroht,  wenn  sie  nicht  „loslässt."  i)  Sie  be- 
schwört ihn  umzukehren,  und  ihr  zu  folgen  in  die  Heimath.  „0 
lieber  Tod  von  eines  Mauren  Hand!"  —  und  reisst  sich  los  und 
über  Hals  und  Kopf  davon.  Juana  ringt  die  Hände  ihm  nach: 
„Bleib  Undankbarer!  ...  0  wer  wird's  glauben,  dass  je  höh'r 
der  Hass,  sich  um  so  mehr  die  Lieb'  in  mir  entzündet?"  Köni- 
gin Isabel,  die  eine  klagende  Frauenstimme  vernommen,  tritt 
aus  ihrem  Kriegszelte.  Knieend  giebt  Juana  Kunde  von  ihrem 
Geschick.  Von  edlen  Eltern  abstammend,  um  Schönheit  gemhmt 
und  von  tausend  Freiern  umworben,  wurde  sie  von  ihren  Eltern 
einem  Sancho  de  Guevara  überliefert,  „jenes  Blutes,  das  einst  in 
ßäuberzügen  war  berüchtigt."  Nach  vier  Monaten  schon  ward 
er  ihrer  überdrüssig.  Das  Volk  nannte  sie  bald  nur  die  ver- 
schmähte Schöne  und  die  Geduld  im  Elend.  ^)  „Seine  besten  Stun- 


1)  Sancho.  Mujer  que  desde  Nava^rra 

Hasta  Granäda  ha  venido  .  .  . 
iVive  Dios,  que  estoy  por  darte 
Lo  que  tu  infamia  merece! 


Juana.    Gastaste  mi  rica  hacienda 

En  tus  vicios,  juego  y  damas  .  .  . 
Wir  folgen  Moritz  Rapp's  hinkender  Jambe  auf  dem  Fuss,   die  zu 
den  trochaischen  Redondillen,   die  der  Spanier  aufspielt,  jambische  Elf- 
sylbler  humpelt;  wie  wenn  man  zu  einem  Galopp  oder  einer  Masurek  wal- 
zen wollte. 

Sancho.  Weib,  die  Du  toll  dem  Bettler  von  Gemahl 

Läufst  aus  Navarra  nach  bis  nach  Granäda  .  .  . 
Bei  Gott,  wie  Du's  verdienst,  werf  ich  Dich  weg. 


Juana.    Wohl  mein  Vermögen  hast  Du  durchgebracht 

Durch  Deine  Laster,  Spiel  und  schlechte  Weiber. 
2)  Si  me  llegaba  de  noche 

Por  las  espaldas  ä  asirle 
Ann  que  estuviese  dormido 
Bramaba  por  desasirse. 
,, Rührt'  ich  bei  Nacht  zufällig  ihm  die  Schulter, 
Schüttelt'  er  selbst  im  Schlaf  sich  von  mir  ab.*' 


IßO  I^^s  spanische  Drama. 

den  und  sein  Gut  gingen  mit  Spiel  und  schlechten  Weibern 
drauf/'  Die  rücksichtslose  Anklage  des  Mannes  bei  der  Köni- 
gin, und  gleichsam  bei  erster  Begegnung,  mag  sich  mit  der  ge- 
kränkten Liebe  einer  spanischen  Ehefrau  abfinden;  ob  aber  ein 
Drama,  das  diese  Liebe  und  deren  Heldin  oder  Martyrin  poetisch 
feiern  will,  Amen  dazu  sage,  möchte  doch  noch  dahingestellt 
bleiben.  Sancho  —  erzählt  Juana  der  Königin  weiter  —  läuft 
endlich  davon;  sie,  wie  ein  Häscher,  dem  er  entsprungen,  ihm 
nach  bis  Granäda,  wo  er  in  Kriegsdienst  trat,  „Amors  Luchs- 
auge" ihn  aber  bald  ausgewittert,  und  erzählt  haarklein  Alles  bis 
auf  den  Dolch,  den  Sancho  gegen  sie  schwang,  wie  gegen  eine  ihn 
brünstig  umarmende  Bärin,  die  ihn  verfolgt  und  eingeholt.  Kö- 
nigin Isabel,  die  eine  Thurmerstürmung  abruft,  verspricht  ihr 
Hülfe,  natürlich  im  Profossenwege,  und  nimmt  die,  wie  der  huck- 
pack aufsitzende  Teufel  in  des  h.  Medardus  Genick,  in  den 
Nacken  ihres  Mannes,  als  Eheteufel  aus  Liebe,  verbissene  Gat- 
tin in  ihren  Dienst. 

Bei  Erstürmung  des  Thurms  zeichnet  sich  Sancho  durch 
„bewundernswerthen  Muth"  aus.  Dem  ihn  lobpreisenden  Könige 
Fernando  gegenüber,  rühmt  sich  Sancho  seiner  Abstammung 
aus  altehrwürdigem  Eäuberblut.  i)  Höchlich  erbaut  ob  solcher 
Herkunft  2),  wünscht  der  König  das  tapfere  ßäuberblut  um  seine 
Person  zu  wissen,  als  aufwartenden  Kammerherrn  bei  Tische.  ^) 


\)  Don  Sancho  de  Guevara  nie  apellido 

Sangre  de  los  Ladrones  ... 

I.  Esc.  IV. 

2)  Mucho  huelgo  de  haberte  conocido  .  .  . 
y  este  confirman 

Las  nuevas  que  crecibo,  de  la  sangue 

Que  has  heredade  de  tan  noble  stirpe. 

„Und  was  Du  sagst  von  Deinem  Haus  und  Blute, 

Ehrt  Dich  Dein  Stamm  nicht  minder  als  Du  ihn." 

3)  Yo  gusto  de  que  quedes  en  mi  casa 
Y  que  mi  sirvas  en  mi  mesa  gusto 

Que  esto  se  debe,  y  mas,  ä  los  que  vienen  .  .  , 
A  la  sagrada  empresa  que  prosigo. 
„Denn  Leute  solcher  Art  die  thun  uns  noth 
Für  unser  gottgeweihtes  Unternehmen. 
Das  klingt  königsatirisch,  ist  aber  vom  Dichter  ganz  ehrlich  gemeint. 


Sancho  und  Juana.  161 

Hinzu  tritt  Königin  Isabel  mit  ihrer  neuen  Dienerin,  Juana. 
Die  Situation  ist  wirksam.  Des  Königs  neuer  Diener,  angesichts 
der  neuen  Dienerin  der  Königin,  giebt  ein  pikantes  scenisches 
Begegniss.  König  und  Königin  ziehen  sich  mit  Gefolge  in 
ihr  Z^lt  zurück.  Sancho  und  Juana  bleiben  allein  auf  der 
Bühne.  Sancho  droht  ihr  in  jedem  Worte  mit  dem  Dolche 
gräulichen  Tod,  wenn  sie  nur  Miene  mache,  ihn  zu  kennen.  Der 
Königin  soll  sie  sagen:  ihr  Mann  sey  umgekommen,  sonst  bringt 
er  sie  um.  Das  Eäuberblut  droht  so  gTässlich,  dass  Juana  aus 
Liebe  nachgiebt.  ^)  Aus  Gattenliebe  ertragene  Misshandlungen 
vom  Gemahl  —  0  Hermione,  o  Imogen!  warum  wisst  denn  Ihr 
noch  in  solcher  Erniedrigung  Euere  Frauenhoheit  zu  bewahren? 
Hiezu  freilich  wirken  die  Gatten  wesentlich  mit:  ein  von  Eifer- 
suchtswahn verblendeter  König,  und  ein  Mann,  Mannes  Muster- 
bild, ein  Kriegs-  und  Liebesheld,  wie  Posthumus!  Schnöder, 
ehr-  und  pflichtvergessner  Eheflüchtling  aus  wüster  Antipathie 
und  Sehnsucht  nach  einem  ungebunden  liederlichen  Leben,  Bandit 
vonhausaus,  eine  Canaille  durch  und  durch  bis  auf  die  einzige 
eben  auch  Canaillen  und  Bestien  auszeichnende  Eigenschaft: 
Kampfesmuth  —  ist  es  möglich,  dass  der  rohe  Abscheu  eines 
solchen  Wichtes,  seine  niedrigen  schimpflichen  Kränkungen,  nicht 
auch  das  noch  so  wackere,  tugendhafte,  edle  Weib  entwürdige 
und  ihr  Erdulden  solcher  Schmach  brandmarke?  Was  thut 
Juana?  Als  einzigste  Gunst  für  das  Erdulden,  für  ihren  himm- 
lischen Gehorsam,  bittet  sie  sich  den  Seelentrost  aus:  „Dass 
meine  Arme  Dich  umfassen.  Liebster!" 2)  Er  weigert  den  üm- 
armungskuss  aus  so  anhörbarem  Grunde,  dass  der  Zuschauer  für 
ihn  gegen  das  unglückliche  Weib  Partei  nehmen  könnte.  ^)   Graf 


1)  Por  quien  lo  pides  lo  hare 
Porque  veas  la  grandeza 

De  mi  amor.  I.  Esc.  IV. 

„Aus  Liebe  zu  Dir  tliu'  ich's, 

Dass  Du  den  Abgrund  dieser  Lieb'  ermessest. 

2)  Que  te  despidan  mis  brazos 
De  los  tuyos,  amor  mio. 

3)  (iQue  importan  tibios  abrazos 
Entre  pechos  disconfornies  ? 

X.  n 


162  üas  spanische  Drama. 

Bertrain's  der  Helena  in  „Ende  gut  Alles  gut"  verweigerter  Kuss 
durfte  nur  als  rauhe  Unfreundlichkeit,  als  eigensinniger  Mangel 
an  Courtoisie  empfunden  werden  und  deshalb  Theilnahme  und 
Mitleid  für  die  Verschmähte  nur  erhöhen.  Bertram  liebt  blos 
nicht  die  Helena  aus  Adelsstolz,  und  verschmäht  in  ihr  „des  ar- 
men Arztes  Kind."  In  einer  traulicheren  Stimmung,  nachdem 
Graf  Bertram  der  Helena  Briefe  für  seine  Mutter  mitgegeben, 
entzittert  ihr  gleichsam  in  scheuer  Demuth  die  zaghafte  Bemer- 
kung beim  Abschiede  vom  Grafen:  „Nur  Fremd'  und  Feinde 
scheiden  ungeküsst."  Bertram,  statt  aller  Antwort:  „Ich  bitt' 
euch,  säumt  nicht,  setzt  euch  rasch  zu  Pferd."  Helena:  „Ich 
füge  dem  Befehl  mich ,  theurer  Herr."  ^)  Wie  zart  hier  alles 
abgetönt!  so  dass  Helena  unser  inniges  Mitgefühl  erwirbt,  und 
Graf  Bertram,  der  seinem  Charakter  und  der  Situation  doch  ge- 
treu bleiben  soll,  nicht  unser  Missfallen,  nur  ein  leises  Bedauern 
seiner  unbeugsamen  Sinneshärte  erregt.  Ja  die  Weigerung  ist 
dramatisch  geboten  und  der  Abschiedskuss  unmöglich,  ohne  bei- 
der, Helena's  wie  des  Grafen,  gegebene  Beziehung  zu  gefährden, 
wo  nicht  umzuwerfen. 

König  Fernando  kann  sich  nicht  genug  in  Gnadenbewei- 
sen und  Auszeichnungen  seines  neugebackenen  Günstlings  und 
Lieblings,  Sancho  de  Guevara,  überbieten.  Anstelle  eines 
eben  gefallenen  Hauptmanns  und  Comthurs,  erhält  Sancho  des- 
sen Amt,  Kreuz  und  Compagnie.  Doch  hat  auch  König  Fer- 
nando inzwischen  eine  unvermuthete  Beförderung,  und  zwar  von 
der  Peripetie  der  Komödie,  erfahren,  die  ihn  zum  geheimen  Gön- 
ner der  —  Juana  erhob,  wie  der  König  in  einem  diese  Lust- 
spielwendung andeutenden  Selbstgespräche  verräth.  ^)   ünbewusst 


Was  hilft  denn  ein  lau  Umarmen, 
Wenn  sich  die  Herzen  nicht  entgegenkommen. 

1)  „Ende  gut  Alles  gut."    Act  II.  am  Schluss. 

2)  Yo  vi  la  sin  par  belleza 
Desta  navarra  mujer  .  .  . 
Confieso  que  le  rendi 

Las  armas  y  las  banderas  .  .  . 
Pero  aunque  no  suele  amor 
Las  resistencias  sufrir  .  .  . 


Kennzeichen  des  Genie's.  163 

in  die  verschmähte  Gattin  seines  neuen  Schützlings  verliebt,  Yo  el 
Eey,  und  noch  überdies  in  die  neue  Schutzbefohlene  der  Königin,  sei- 
ner Gemahlin,  der  heiligen  Kriegsheroine  ~  eine  Peripetie  fürwahr, 
die  Lope's  fruchtbarem  Entwickelungsgenie  alle  Ehre  macht  und 
die  überraschendsten  Situationstrümpfe  der  Komödie  in  die  Hände 
spielt,  wenn  auch  im  Eücken  der  spanischen  Geschichtsmuse! 
Juana  —  erster  Trumpf!  —  tritt  ein,  ebenfalls  in  ein  Selbst- 
gespräch vertieft,  und  mit  der  gewichtigen,  thränenvoUen  Zwei- 
felfrage: „Darf  ich  mit  Wahrheit  das  noch  Liebe  nennen,  was 
in  mir  wächst,  nach  Maass,  als  er  (Sancho)  mich  hasst?"  Der 
König  erblickt  sie:  „Das  ist  das  Weib,  die  mir  gefährlich 
wird"  —  und  fragt:  „Sag,  was  hast  Du  zu  weinen,  Dona  Juana?" 
Sie,  eingedenk  des  Dolches,  den  ihr  Gatte  Sancho,  —  gleich  jenem 
indischen  ünthier  mit  Löwenkopf  und  Scorpionstachel,  das  diesen 
dem  Verfolger  entgegenstreckt,  —  auf  ihre  ihm  nachstellende  Lie- 
bestreue zuckt,  —  Juana,  eingedenk  des  liebespfeilförmigen Scor- 
pionschweifstachels ,  des  einzigen  Rüstzeuges,  ach,  das  der  Gatte 
aus  dem  ehelichen  Arsenal  behalten,  —  und  eingedenk  des  ihrer 
Liebe  abgedrungenen  Versprechens:  Juana  giebt  dem  Könige 
als  Grund  ihrer  Thränen  den  Tod  ihres  in  einem  Treffen  gegen 
die  Mauren  gebliebenen  Gemahles  an:  Zweiter  Komödientrumpf! 
Wie  schlagfertig  das  ihr  von  Dolch  und  Liebe  abgepresste  Vor- 
geben^ und  wie  scenisch  trefflich  es  mit  des  Königs  geheimen 
Wünschen  zusammenklappt!  Die  Gattenlose  kommt  diesen 
Wünschen  auf  halbem  Wege  entgegen.  Mit  solchen  Würfen  le- 
gitimirt  sich  das  dramatische  Genie,  ecce  Signum!  „Ich  nehm' 
Antheil"  —  versichert  ihr  der  König  —  „an  Deinem  Schmerz, 
und  rechne  auf  meinen  Schutz  hinfort."    Wir  glauben  ihm  auf's 


ßevolucion  he  tomado. 

De  andar  siempre  con  cuidado  .  .  » 

La  condicion  de  Isabel 

No  sufre  burlas  de  celos. 
„Ich  muss  gestehen,  diese  Navarresin 
Das  ist  ein  majestätisch  Weib;  ihr  könnt'  ich 
Die  Waffen  strecken  ... 

Doch  lässt  sich  schon  Amor  nicht  gern  befehlen 
So  muss  ich.  doch  diesmal  behutsam  lauern, 
Denn  Isabel  versteht  da  keinen  Scherz. 

11* 


154  J^^s  spanische  Drama. 

Wort.  Trümpfe  auf  Trümpfe!  Im  Augenblick,  wo  Juana, 
dankgerührt,  das  Knie  beugt,  erscheint  die  Königin  von  der 
andern  Seite.  Das  nennt  man  eine  Situation!  Als  Vater  solcher 
Situation  verdient  Lope  eine  Extraunsterblichkeit,  und  eine  Extra- 
capelle  im  Rühmestempel  der  spanischen  Comedia.  Der  frappir- 
ten  Königin  macht  der  König  einige  Verlegenheitswippchen 
vor,  empfiehlt  die  durch  den  Tod  ihres  Gatten  Beraubte  und  des- 
halb in  seinen  Schutz  Genommene  dem  gleichen  Wohlwollen  der 
Königin  und  —  ab  in  sein  Zelt.  Königin  Isabel,  die  nicht 
anders,  als  den  Sancho  für  den  als  todt  von  Juana  benannten 
Gatten  halten  muss,  ermahnt  die  trauernde  Wittwe,  sich  schick- 
lichermassen  in  ihr  Zelt  zurückzuziehen.  Des  kurzen,  aber  inhalt- 
reichen Selbstgespräches  der  Königin  noch  kürzeren  und  inhalt- 
reicheren Sinn  fasst  der  Monolog  in  den  bündigen  Entschluss:  .  . . 
„Das  soll  die  Lieb'  ihm  (dem  Könige)  vertreiben,  denn  sobald 
der  Anstand  es  gestattet,  vermähl'  ich  sie  von  neuem"  .  .  .  „Da 
gilt  es  schnell  den  Eiegel  vorzuschieben."  Nun  tritt  —  Ein 
Trumpf  sticht  den  andern!  —  Sancho  auf,  im  Selbstgespräch 
ganz  trunken  von  des  Königs  Gnade,  i)  Königin  Isabels  stau- 
nende Augen!  Aber  die  ebenso  Kluge  wie  Heilige,  und  ebenso 
Weiblichhochherzige  wie  Heldenmüthige  dämpft  sogleich  den 
Staunblick,  und  hat  im  Stillen  schon  ihren  Anschlag  gefasst. 
„Guevara"  —  fragt  sie  —  „bist  Du  vermählt?"  Sancho,  wie 
Einer,  der  von  einem  Selbstschuss  sich  festgehalten  glaubt,  und 
denkend,  sein  Weib  habe  ihn  doch  verrathen,  stammelt  Bekennt- 
nisse, aber  nur  halbe  —  und  auf  dem  Sprung,  Kehrt  zu  machen, 
vorgebend,  er  höre  eine  Trommel  und  finde  den  König  nicht  in 
seinem  Zelte.  Die  List  in  tausend  Aengsten  gelingt  ihm.  Die 
Königin  denkt  an  einen  Maurenausfall  und  will  ab.   Für  „dies- 


1)  Que  en  hacer  hombres,  los  reyes 

Se  parecen  mucho  ä  Dios, 
AI  lado  del  gran  Fernando 
Hoy  comienzo  ä  tener  ser  .  .  . 

I.  Esc.  XIV. 
„Könige  schaifen  Menschen  ja,  gleich  Gott; 
So  durch  Fernando  fang  ich  an  zu  seyn." 
Das  ist  Lope's  orthodoxer  Königsglaube,  von  keiner  ketzerischen  Ironie  ge- 
trübt! 


Tello  und  Parolles.  |65 

mal''  hat  Sancho  den  Kopf  aus  der  Schlinge  gezogen,  lässt  aber 
doch  diesen  Kopf  hängen,  voll  Besorgniss  ob  der  Schlinge,  die 
über  demselben  schweben  bleibt.  Nun  folgt  eine  episodische  Sol- 
datenscene,  die  wir  wegen  einiger,  zwischen  dem  Soldaten  Tello 
—  vormals  Poet,  jetzt  Kriegsmann  mit  einem  Anflug  von  Ei- 
senfresser—  wegen  einiger  mit  Sancho  gewechselten  Aeusserun- 
gen  nicht  ganz  unbeachtet  lassen  mögen:  ' 

Sancho.  „Ihr  seht  mir  danach  aus,  als  ob  Fortuna 

An  euch  schon  ihre  Launen  manchfach  übte."i) 

Tello  (zieht  seine  rostige  Klinge  vor). 

Meine  Tizona  das,  die  nie  verdutzt  ist, 

Meine  Colada2)  das 

Mit  dir  that  ich  die  unerhörtsten  Thaten.  3) 

Wir  hüten  uns  wohl,  aus  solchen  Anklängen  irgend  eine,  auf 
Entlehnung  witternde  Folgerung  zu  ziehen;  wollen  indess  gleich- 
wohl diese  in  zwei  motivverwandten  Stücken  vorkommenden  An- 
klänge doch  ad  notam  nehmen. 

König  Fernando,  mit  Sancho  allein,   vertraut  ihm  den 
Argwohn  der  Königin,  betreffs  jenes  biskayischen  Weibes: 

Die  Königin  hat  diese  Grille,  dass  sie. 

Wo  sie  nur  glaubt,  ein  Fünkchen  auszuwittern 

Von  Leidenschaft,  sie  rasch  den  Kiegel  vorschiebt. 

Ihr  Mittel  ist,  dass  sie  alsbald  die  Verdächtige 

Vermählt  und  dann  beiseite  schiebt,  dann  denkt  sie. 

Ihm  aus  den  Augen  aus  dem  Sinn.    Doch  diesmal 

Macht'  ich  ihr  gern  den  Strich  durch  ihre  Eechnung.  ^) 


1)  Parolles  (zum  Narren  Monsieur  Lavache).  ,,Aber  nun,  Herr, 
bin  ich  in  Fortunens  Morast  muddig  geworden  und  rieche  etwas  streng 
nach  ihrer  Ungnade**,  und  wiederholt  zu  Lafeu:  ,,Ich  bin  ein  Mann, 
den  Fortuna  jämmerlich  zerkratzt  hat."  Ende  g.  A.  g.  V.  2.  —  2)  Uns  schon 
als  Kriegs  Schwerter  des  Cid  bekannt.  —  3)  Parolles.  „Edle  Paladine, 
mein  Schwert  und  das  eure  sind  Blutsfreunde.  Treffliche  Degen  und  junge 
Eecken  .  .  .  Im  Regiment  der  Spini  werdet  ihr  einen  Hauptmann  Spurio 
finden  mit  einer  Narbe  .  .  .  Diese  gute  Klinge  grub  sie  ein.''  II,  2. 
4)  Tiene  la  reina  un  remedio 

Siempre  que  me  ve  en  los  ojos 

Algunos  tiernos  antojos 

Que  es  ponerme  tierra  en  medio 

Esta,  Don  Sancho,  es  su  ciencia; 


55 ;[  Das  spanische  Drama. 

und  entdeckt  ihm,  die  Königin  wolle  die  Navarresin  (Juana)  an 
einen  Sevillaner  verheirathen.  Um  diesem  Vorhaben  seinerseits 
einen  Riegel  vorzuschieben,  hat  der  König  den  Plan  ausgedacht, 
dass  Sancho  mit  einigen  von  seinen  Leuten,  als  Mauren  ver- 
kleidet, die  Biskay erin  (Juana)  stehlen,  nach  der  Quelle  Dindä- 
mar  entführen  und  dort  bis  auf  weiteres  in  seinem  Zelt  bewa- 
chen soll.  Sancho,  wie  bei  gelindem  Feuer  geröstet,  findet  den 
Plan  unübertrefflich  und  beeilt  sich,  von  den  feurigen  Ruthen 
der  Verzweiflung  gejagt,  des  Königs  Anschlag  auszuführen,  wim- 
mernd in  den  Bart: 

„Nun  mein  eigen  Weib 
Soll  ich  in  meinem  Zelt  verborgen  halten? 
Q  iiätt  ich's  gestanden!" 

Zu  seinem  Missgeschick  begegnet  ihm  die  Königin,  die  eben 
dem  Sevillaner,  Don  Luis  de  Narvaez,  einem  Caballero  im 
Gefolge  des  Königs,  von  ihrem  Project,  die  Juana  mit  ihm 
zu  verheirathen,  Kenntniss  gegeben,  das  sie  nun  auch  dem 
Sancho,  zu  dessen  sich  steigerndem  Entsetzen,  mittheilt.  Nar- 
vaez, der  Juana  herbeiholen  sollte,  meldet,  der  König  habe  sie 
nach  Dindamär  schaffen  lassen  von  einem  Escudero  begleitet. 
Sancho  muss  nun  spornstreichs  der  Entführten  nachsetzen,  und 
Königin  Isabel  selbst  begiebt  sich  mit  Narvaez  hin  nach  der 
Quelle  bei  Dindamär.  Ein  einziges  Häkchen  könnte  dieser  treff- 
lichen Verwickelung  sein  naseweises  nisi  zurümpfen:  da  die 
Königin  aus  Juana's  ersten  Eröffnungen  ^)  von  Juana's  und  Sancho 
de  Guevara's  ehelichem  Verhältniss  unterrichtet  ist,  wie  kann  es  sie 
gemuthen,  dasHeirathsprojectaufdiese  Spitze  zutreiben?  Sie  deutet 
die  Verlegenheit  zwar  in  einem  Aparte  an,  das  ein  Hauptbedenken 
ausspricht:    „Erklärt  er  sich  erst,  kommt  Alles  zu  spät."'^) 


Porque  luego  me  la  casa, 
Y  con  esto  el  amor  pasa 
A  los  olvidos  de  ausencia. 


Esc.  XVII. 


1)  s.  0.  S.  159  f. 

2)  Eeina  (Ap.). 


Mas  (Jque  digo?  Que  es  p  erder 
Con  celos  desta  mujer 
Mi  modestia  natural. 


Einige  nisi's.  Iß7 

Welcher  „er"?i)  Der  König  offenbar.  Doch  wenn  San c ho 
dieser  „er"  wäre,  der  sich  erklärte?  Dann  fiele  die  ganze 
schöne  Verwickelung  mitsammt  der  Komödie  in's  Wasser  des 
Brunnens  bei  Dindamär!  Blinzeln  wir  über  das  naseweise 
nisi  hinweg,  das  ja  in  die  besten  Komödienknoten  sein  Ha- 
kennäschen zu  stecken  pflegt,  und  folgen  wir  der  entführten 
Juana  an  den  Brunnen  von  Dindamär,  wo  auch  schon  Sancho 
mit  vier  Soldaten,  als  Mauren  verkleidet,  eingetroffen,  und  gleich 
nach  ihm,  Königin  Isabel  mit  Narvaez,  der  eben  dazu 
kommt,  wie  die  Vermummten  sich  der  Juana  bemächtigen,  und 
dicht  der  Königin  auf  dem  Fuss  der  König  nachgeschlichen.-) 
Die  Fortführung  der  Juana  durch  einen  „Jäger  Vargas",  gegen 
den  Plan  des  Königs,  dass  Sancho  mit  einigen  Soldaten  als  Mau- 
ren verkappt  Juana  in  Sicherheit  bringen  sollten,  Sancho's 
nachzüglerische  Verfolgung  der  Juana,  im  Auftrag  der  Königin, 
und  dass  diese  die  Vermummten  für  wirkliche  Mauren  hält  — 
lauter  kleine  beiläufige  nisi's  —  die  Lope's  flüchtige  Erfindungs- 
eile aus  seinem  Schreibärmel  schüttelte,  diesem  vollen  Säsack  mit 
dem  „Loch  im  Aermel"  —  das  den  Weizen  unter  Dornen  sät  — 
blinzeln  wir  auch  über  die  in  eilfertiger  Zerstreuung  nebenher 
verstreuten   nisi's    hinweg,    aus  Rücksicht   auf  die   wirksame 


Pero  tarn  poco  es  razon 
Que  por  mi  culpa  suceda 
Lo  que  remediar  no  pueda 
Con  declarada  pasion. 


Esc.  XXVI. 


1)  Isabel  (für  sich). 

0  dieses  Weib  und  meine  Eifersucht 
Drängen  mich  ganz  aus  meiner  Fürstenrolle.*) 
Doch  darf  ich  es  so  weit  nicht  kommen  lassen ; 
Erklärt  er  sich  erst,  kommt  Alles  zu  spät. 
Die  Zweideutigkeit  verschuldet  die  Üebersetzung. 

2)  ,, Argwöhnisch  ob  der  Eifersucht  komm  ich 
Der  Königin  auf  dem  Fusse  nachgeschlichen." 

Con  saspechas  de  sus  celos 
Vengo  siguiendo  ä  la  Keina. 


*)  ,, Meine  natürliche  Bescheidenheit' S  sagt  der  Text,  (,,mein  bescheid- 
nes Natureir'). 


168  Das  spanische  Drama. 

Schlusssituation  des  ersten  Acts!  —  Allgemeine  Entlarvung:  der 
Maure  Sancho  und  seine  Soldaten  stehen  mit  entlarvten  Ge- 
si6htern  da.  König  und  Königin  sehen  sich  an  mit  Gesich- 
tern, die  ihre  Projectenmaske  fallen  gelassen.  Mit  der  abgenom- 
menen Maurenlarve  tritt  Sancho,  hart  von  der  Königin  be- 
drängt, zugleich  aus  der  Vermummung  seiner  Incognito-Gatten- 
schaft  heraus,  und  nimmt  auch  der  Juana  seine  ihr  aufgeklebte 
Pechmaske  des  Stillschweigens  vom  Gesicht.  Sogar  seine  Haupt- 
mannschaft lässt  Sancho  wie  eine  Maske  fallen,  von  der  Kö- 
nigin, mit  Zustimmung  des  Königs,  zum  Vicekönig  von 
Navarra  ernannt  und  seine  unfreiwillig  von  ihm  wiedereroberte 
Juana  zu  Navarra's  Vicekönigin.  Juana  (seitwärts).  „0 
welch  Glück  fand  ich!"  Sancho  (auf  der  andern  Seite).  „Wel- 
ches Missgeschick !  Besser  arm  und  allein,  als  mit  ihr  König!"  — 
Welches  „Ende  gut"  des  ersten  Actes!  Und  welcher  biskayische 
Schädel  von  Navarresen,  der  sein  Weib,  und  ein  solches  Weib, 
so  grimmig  hasst,  nicht  wie  ein  Navarrese  eine  Navarresin,  son- 
dern wio  ein  Franzose  einen  Deutschen  nach  dem  Versailler  Frie- 
densschlüsse vom  März  1871. 

0  du  ärmste  Vicekönigin  von  Navarra!  Eines  Gatten,  wie 
Sancho  de  Guevara,  des  nun  gar  Königs- Vicenamensvettern, 
giftiger  und,  je  weniger  verschuldet,  um  so  wilderer  Hass  gegen 
sein  Weib,  kann  eines  solchen  Eheteufels  viceköniglicher  Ingrimm 
nicht  zu  der  mordsüchtigen  Wuth  eines  Königs  Pedro  des  Grau- 
samen entbrennen,  den  wir  seine  nicht  minder  als  Juana  un- 
schuldige, liebevolle  und  liebreizende  Gemahlin,  Königin  Bianca 
von  Frankreich,  mit  gleichgrundlosem  Hasse  verfolgen  sahen  i), 
und  schliesslich  ermorden?  0  du  unglückselige  Schicksalsgenos- 
sin der  Königin  Bianca,  o  du  beklagenswürdigste  Juana,  Vice- 
königin von  Navarra!  Gleich  an  der  Schwelle  des  zweiten  Actes 
lässt  dein  viceköniglicher  Gemahl,  Sancho,  den  armen  Vetter 
aus  seinem  Palast  zu  Pamplona  werfen,  mit  dem  Vorsatze,  dich 
selbst,  und  noch  heute  aus  dem  Wege  zu  räumen!  2)    Noch  zit- 


1)  Gesch.  d.  Dr.  VIII.  S.   595  ff. 

2)  Heute  noch  schaff'  ich  sie  vom  Halse  mir. 
Yergieb  mir,  Himmel,  werd'  ich  drum  blutdürstig! 


Lamm  und  Wolf.  169 

tert  das  letzte  Wort  des  Vorsatzes  bei  Dona  Juana's  Eintritt 
in  der  Brust;  es  bebt  in  Sancho's  Aparte-Echo  aus:  „Die  Schänd- 
liche muss  heut  mir  aus  der  Welt!"  Er  schüttet  eine  Fluth  von 
Schmähungen  über  sie  aus  wegen  ihrer  armen  Verwandtschaft. 
Erbangend  wie  das  „arme  Lamm"  in  der  Fabel,  mit  dem  sie  sich 
vergleicht  i),  das  der  über  ihm  am  Trinkquell  stehende  Wolf  an- 
ranzt: „Was  trübst  du  mir  das  Wasser?"  —  ähnlich  erbangend 
fragt  Juana:  „Wie  ist  da  zu  helfen?"  —  „Das  einzige  Mit- 
tel" —  knirscht  der  blutdürstige  Wolf  —  „wäre  nur  dein  Tod." 
Und  sein  Absehen?  —  Hoffahrt  mischt  sich  nun  noch  in  seinen 
Grimm:  „Dass  mich  der  König  standesgemäss  vermählte."  Juana 
giebt  ihm  zu  bedenken:  ihr  Tod  bliebe  doch  nicht  geheim  und 
würde  sein  Leben  gefährden,  und  schlägt  ihm  vor  —  sie,  mehr 
als  Engel  und  deshalb  weniger  als  menschlich  Weib  —  schlägt  ihm 
vor,  ihm,  mehr  Teufelsfratze  als  Teufel  —  freiwilliges  Verschwin- 
den aus  der  Welt 2)-  und  das  noch  nicht  genug!  Selbstpreisgebung 
ihrer  Prauenehre,  ihres  guten  Rufs!  „Dann  darfst  Du  meine 
Ehre,  Herr,  preisgeben;  sag  nur  ich  sey  Dir  untreu  gewesen."^) 


Hoy  pienso  darle  la  muerte 
Cielo,  el  rigor  perdonad. 

II.  Esc.  IV. 

1)  Bebia  un  cordero  humilde  etc. 

2)  Finge  que  me  has  enviado 

A  Vizcaya,  y  vuelva  en  un  breve 

Quien  diga  que  muerta  soy 

Porque  yo  secretamente, 

Con  pobre  traje  me  ire 

A  esas  sierras,  cujas  nieves 

Me  sepulten  mientras  viva 

Pues  la  tierra  no  me  quiere. 
„Sag  Du  habst  nach  Biskaya  mich  gesandt 
(„habst  nach'*  —  so  rappst  auch  Moritz  Kapp's  Jambe  Lope's  Vers  in 
Plunder!  —  („habst  nach**) 
Und  lass  durch  Jemand  meinen  Tod  Dir  melden; 
Denn  dort  will  ich  geheim,  in  armer  Tracht 
Verborgen,  im  Gebirge  mich  verstecken, 
Der  kalte  Schnee  sey  mein  lebendig  Grab 
Weil  man  mich  doch  auf  Erden  nicht  mehr  will" 

3)  Yo  te  doy  licencia  entonces 


170  Das  spanische  Drama. 

Ein  solcher  Selbststurz  aus  dem  Ehebetthimmel  in  die  Hölle 
selbstschänderischer  Entehrung  und  Verrufs,  aus  Gattenliebe,  Liebe 
zu  einem  solchen  Gatten!  —  teufelt  ein  Sturz  wie  dieser  nicht 
auch  das  Engelweib  in  einen  Dämon  frevelvoller  Liebestreue  um? 
0  du  schöner  Morgenstern,  leuchtend  aus  dem  Schmutze  sünd- 
hafter Selbstaufopferung  für  einen  solchen  Koth  von  Gatten! 
Diese  Schmach,  diese  Versündigung  eines  grossen  Dichters  an 
dem  reinen  Frauenideal,  an  dem  poetischen  Motive,  an  der  hohen 
Psychologie,  der  wahren  Frauenherzens-  und  Seelenkunde,  dieser 
kunstverpönt  grelle  Abstich  von  üebermaass  an  Licht  zugunsten 
der  Weibesverherrlichung,  und  an  Schatten  (dem  biblischen  Satan) 
aufseiten  des  Mannes,  diese  beabsichtigte  üebertreibung,  sie  musste 
eine  Kunstsühne,  eine  dramatische  Genugthuung  erfahren!  I mö- 
gen ist  diese  Sühne!  Und  eine  gleichzeitige!  Blitz  und  Schlag! 
Der  dramatischen  Muse  Kachestrahl  und  hier  als  ihres  Selbst- 
rächergeistes verzehrend  reinigender  Himmelstrahl! 

Sancho  el  Bravo  giebt  seinem  Alp  in  Elfengestalt  seinen, 
eines  Ober-  richtiger  ünterteufels  würdigen  Segen  auf  den  Weg.  0 
Auf  ihr  Lispelflehen : 

„Ob  Du  vielleicht  mit  Deinem  Arme  noch 

Den  letzten  Trost  dem  armen  Nacken  schenktest?*' 

schnaubt  das  ünthier: 

„Sieh  zu, 

Dass  Deinen  Nacken 
Statt  eines  Armes,  wie  Du  meinst,  ein  Strick 
Umschlösse.'* 

Und  mach,  dass  Du  fortkommst!  — 

Juana.  „Ich  gehe,  Lieber,  Dich  zu  sehen. 

Verweil'  ich  nur.  Leb  wohl,  geliebter  Sancho  12) 


Que  en  el  mismo  honor  nie  afrentes 
Di  que  te  fui  desleal  .  .  . 

1)  —  »Geh,  Juana,  Deines  Weges, 

Wo  in  Verborgenheit  Du  noch  der  Tage 
Geniessen  magst,  die  Dir  der  Himmel  schenkt. 
Nur  hüte  Dich  vor  jeglicher  Enthüllung, 
Denn  kämest  Du  mir  vor  das  Auge  wieder. 
Nicht  tausend  Leben  hielten  Deinen  Tod  auf." 

2)  Juana.  Sancho,  advierte. 


Der  Student  beim  Bauerntaiiz.  171 

So  geh  denn  —  müssen  wir  mit  einer  empörten  ünmuthsthräne 
ihr  nachrufen  ~  so  geh  denn  in  tausend  T —  Namen,  geh'  „im 
Gebirge  Dich  verstecken",  oder  gleich  lieber  auf  den  Blocksberg 
zum  Hexensabbath,  Du  Teufelsanbeterin! 

Erquickend  wirkt  der  auf  diese  peinliche  Abschiedsscene  fol- 
gende Bauerntanz  im  Freien,  zur  Feier  des  Sanct  Johannes- 
festes, begleitet  von  Gesang  mit  dem  ßundreim :  „Mädchen,  pflückt 
die  Rosen!"  Hier  ist  Lope  wieder  in  seinem  eigenthümlichen 
Element,  der  landschaftlichen  Idylle.  Und  hier  gewinnt  auch  die 
in  Tracht  eines  Studenten  auftretende  Dona  Juana  unser  gan- 
zes Herz  wieder,  das  ihr  immerhin  den  halben  die  Kirchweih 
verunglimpfenden  Monolog  von  Herzen  geschenkt  hätte,  insonder- 
heit die  zwei,  an  ihren  Gatten  im  Geiste  gerichteten  Verse: 

„Und  die  Du  nicht  ermorden  mochtest,  hoift 
Nach  Möglichkeit,  einst  wieder  Dein  zu  werden." 

Student  Juana  bittet  den  anwesenden  Pfarrer  um  ein  Viati- 
cum^)  und  erklärt  sich  bereit,  beim  Barbier,  der  sie  dazu  auf- 
muntert, die  Chirurgie  zu  erlernen. 


Que  hoy  me  muero  para  ti 
San c ho.  ^Pues  que  quieres  si  te  mueres? 
Juana.     Que  si  quiera  con  tus  brazos 

Esta  garganta  consueles 
Sancho.  No  te  fias  de  mi  enojo; 

Que  podrä  ser  que  te  apristen 
De  forma,  que  pidas  brazos 
Y  se  te  vuelvan  cordeles  .  .  . 
Acaba. 
Juana.  Ya  voy,  mi  bien; 

Que  esto  es  detenerme  ä  verte, 
Adios,  mi  don  Sancho  amado. 
1)  Juana.      Domine,  ein  Viaticum,  ich  reise 

Als  ein  armer  Schüler.   Um  Gottes  willen 
Schenkt  mir  etwas. 
Pfarrer.  Quam  artem  profiteris.*) 

Juana.      Grammaticam . 

-  Pfarrer.  Sehr  wohl,  bleibt  über  Nacht 

Bei  mir,  et  mecum  manducaberis.  **) 


*)  „Welche  Kunst  übst  Du?'*  —  **)  und  Du  sollst  mit  mir  speisen. 


172  I^as  spanische  Drama. 

Wir  sind  wieder  im  Saal  beim  Vicekönig  in  Pamplona, 
den  wir  in  tiefer  Trauer  um  die  verstorbene  Gemahlin  finden, 
deren  Tugenden  er  als  trostloser  Wittwer  vor  Kanzler  und  Ca- 
valieren  preist  mit  der  Ueberschwenglichkeit  eines  für  solchen 
Zweck  bei  den  alten  Eömern  gedungenen  Klageweibes.  Die  Gat- 
tin, jammert  Sancho,  sey  auf  einer  Brücke,  über  die  sie  mit 
ihren  Verwandten  zog,  verunglückt.  Die  Brücke  brach  unter 
ihnen  ein,  allesammt  im  Fluss  begrabend.  Als  Gnade  werde 
sich  sein  Schmerz  von  den  Majestäten  ausbitten,  sein  Amt  auf 
andere  Schultern  zu  übertragen,  „dass  ich  einkleide  mich  in 
fromm  Gewand,  zu  Gottes  Ehre  mein  Leben  zu  beschliessen." 
ßeineke  Fuchs,  wenn  seine  Burg  Malapartus  nicht  in  Pamplona, 
sondern  im  tiefsten  Schlund  der  Hölle  läge,  könnte  nicht  herz- 
brechendere Thränen  vergiessen  und  frommere  Vorsätze  fassen. 
Sancho  gewinnt  förmlich  in  dieser  Scene.  Die  Heuchelei  macht 
ihn  fast  liebenswürdig;  vermenschlicht  ihn  doch  gewissermaassen. 
Kanzler  und  Hofherren  wischen  sich  denn  auch  mit  ihren 
Trauerfloren  die  Augen.  Kaum  wenden  sie  den  Rücken,  wirft 
Sancho  den  Trauermantel  ab,  und  lässt  sich  von  seinem  Gele- 
genheitsmacher, Tello,  ein  Festkleid  reichen,  zum  Empfange 
der  von  diesem  bestellten  drei  Buhldirnen.  Juchhei! 

„Mich  kann  einmal  nichts  besser  amüsiren 
Als  glatte  Wangen  und  frisches  Lippenpaar.* ^ 

Und  zu  den  Musikern,  die  er  mit  Tello  auf  der  Strasse  trifft: 

„Lasst  Vers  und  Prosa  klingen. 

Frei  sey  die  Lust  und  jeder  Kitzel  ledig! 

Spielt!  Singt!  Kein  Mädchen  hier  bleib  euch  verschont."!) 

Der  Bruder  Liederlich  ist  an  dem  verruchten  Kerl  noch  das 
einzige  gesunde  Haar,  woran  ihn  sein  mit  Leib  und  Seele  dem 
Eheteufel  des  ehelichen  'Inferno  d'Amore'  2)  verschriebenes  Weib 
möglicherweise  aus  dem  Höllenpfuhl  ziehen  könnte.  ^) 


1)  Anden  las  musas,  ruede  verso  y  prosa 
Sueltese  el  gusto  y  corran  los  deseos, 
Taned,  cantad,  no  quede  moza  hermosa  .  .  . 

2)  Vgl.  Gesch.  d.  Dram.  VIII.  S.  806,  A.  4.  —  3)  Die  geraeine  W^üstheit  und 
Verlumpung  ähnlicht  unseren  Vicekönig  immer  mehr  der  kleinbürgerlichen 
Lasterhaftigkeit  des  *  London  Prodi  gal'   an,  des  Titelhelden  eines  der 


Der  bartlose  Barbier.  173 

Täuschen  wir  uns  nicht,  sehen  wir  die  Spitze  des  Härchens 
schon  aus  dem  Pfuhl  zum  Vorschein  kommen:  Belardo's,  des 
„Altschultheissen"  (Alcalde)  Töchterlein,  Costanza,  in  das  Stu- 
dentchen, dermalen  Dorf  barbierchen -Juan  a,  sterbensverliebt.  Das 
zierliche  Bartkratzerchen,  das  sich  Rodrigo  nennt,  wird  zur 
Liebeskranken  gerufen.  Nach  langem  Hin-  und  Herfragen,  Puls- 
greifen, den  Sitz  der  Krankheit  erforschend,  merkt  Juana-Ko- 
drigo  endlich  von  Costanza's  handgreiflichen  Andeutungen,  wo 
bei  ihr  der  Haase  hüpft,  und  bemerkt  „beiseite":  „Auf  derlei 
Dienst  bin  ich  nicht  examinirt"  —  „mein  Herzens -Eodrigo! 
Nur  einen  einzigen Kuss !"  —  brennt  Costanza's  Liebesfieber. — 
Damit  kann  das  unbebartete  Barbierchen  dienen.  Vater  Belardo, 
der  dazu  kommt,  meint:  er  setze  ganz  richtig  den  Verband. 
Juana  sagt  ihr  Kecept  her,  das  unter  andern  eine  Unze  Bims- 
stein und  eine  Drachme  faserichten  Asbest  enthält :  „das  wird  er- 


problematischen Jugendstücke  Shakspeare's  von  verwandtem  Thema,  dem- 
gemäss  Luce,  das  junge,  schöne,  fromme,  tugendhafte*)  Eheweib  des 
„Londoner  Verschwenders",  durch  ihre  dem  Fluche  der  Eltern  und  der 
stumpfen  Liederlichkeit  des  Mannes  abgekämpfte  Selbstaufopferung  und 
unerschütterliches  Festhalten  an  dem  im  niedrigsten  Lumpenleben  Versun- 
kenen diesen  zur  Erkenntniss  und  Umkehr  auf  den  Weg  eines  geordneten, 
gesitteten  Wandels  bringt  und  in  die  Umfriedung  einer  liebevoll  eheli- 
chen, beglückenden  Häuslichkeit  zurückführt. 


*)        The  holy  church  pronounced  there  words  but  now 
—  so  eifert  knieend  vor  dem  ihr  fluchenden  Vater  die  junge  Gattin  — 
I  must  not  leave  my  husband  in  distress. 
Die  heilige  Kirche  sprachs  nur  eben  aus: 
Dass  ich  vom  Gatten  in  der  Noth  nicht  lasse. 
Die  Berufung  auf  das  am  Traualtar  eingeschärfte  Gottesgebot  unterschei- 
det die  auf  Tod  und  Leben  verpflichtete  Gattentreue  dieser  Luce  wesent- 
lich und  zu  ihrem  Vortheil,  und  auch  in  dramatischer  Beziehung  zu  ihren 
Gunsten,   von   Dona  Juana's   gattenbrünstiger   Treusucht.    Der  ^London 
Prodigar  —  ob  Shakspeare's  oder  nicht,  beiläufig  dahingestellt  —  scheint 
nns    um    deswillen    auszeichnenswerth ,    weil    derselbe    im  ostwestlichen 
Sagenkreise    dieses    Motivs    ehelicher  Frauenstandhaftigkeit   und    Selbst- 
aufopferung,   seit    der    Griseldis,    unseres    Wissens,     der    einzige   Ver- 
such   ist,    das    Problem    in    engbürgerlicher    Sphäre    zur    Geltung    zu 
bringen. 


174  ^as  spanische  Drama. 

wärmt  ihr  auf  den  Leib  gelegt,  dann  werden  sich  die  Zuckun- 
gen verziehen"  —  und  empfiehlt  sich.  Costanza  schmachtet  dem 
davonhüpfenden  Herzenschirurgchen  nach,  im  Stillen  denkend: 
0  wärst  Du  der  Bimsstein,  Du  der  faserichte  Asbest!  So  endet 
der  zweite  Act,  von  Styl  und  Ton  des  ersten,  wohl  auch 
vom  Stimmungsmotive  und  von  Juana's  Gemüthsverfassung  ab- 
biegend, und  an  den  Charakter  des  schelmischen  Singspiels  an- 
streifend. 

Aus  dem  kleinen  Wundärztchen  wird  im  dritten  Act  der 
„grosse  Arzt  aus  Navarra",  von  welchem  ürbano,  Kammerdie- 
ner des  in  seinem  Palast  zu  Barcelona  krank  darniederliegenden 
Königs  Fernando,  einem  greisen  Verwandten  der  für  todt  gel- 
tenden Juana,  dem  Arnaldo,  der  im  Keiseldeid  als  Fremder 
mit  tJrbano  auf  der  Strasse  in  Barcelona  zusammentraf,  das 
Nähere  mittheilt,  nebst  umständlicher  Erzählung  jenes  auch  ge- 
schichtlich überlieferten,  an  König  Fernando,  nach  Eroberung 
Granäda's  und  nach  dessen  Rückkehr  in  Barcelona  von  einem 
Wahnsinnigen  verübten  Mordanfalles,  infolge  dessen  der  König 
an  der  „vier  Finger  breit"  in  den  Nacken  eingedrungenen  Wunde 
lebensgefährlich  erkrankt  war.  Die  rasche  Heilung  verdankte 
der  König  einem  jungen  Doctor,  Namens  Eodrigo,  aus  Pamp- 
lona.  Hier  berührt  sich  das  Motiv  wieder  mit  dem  in  Boccac- 
cio's  Novelle,  und  in  „Ende  gut  Alles  gut."  Der  junge  Wund- 
arzt Eodrigo  kann  heimliche  Kusshändchen  wechseln  mit  Boc- 
caccio's  Giletta  di  Narbona  und  mit  Shakspeare's  Helena,  seinen 
beiden  Schwestern  in  Aesculäpio.  Der  würdige  Greis,  Arnaldo, 
Einer  von  den  aus  dem  Palast  in  Pamplona  vom  Vicekönig 
Sancho  mit  Fusstritten  verjagten  Vettern  Juana's,  kommt  zum 
Doctor  Eodrigo  in  seine  Vaterstadt  Pamplona.  Arnaldo  sieht 
ihn  nun  vor  sich  im  Doctorhütchen ,  verblüfft  von  der  Aehnlich- 
keit  mit  seiner  todtvermeinten  Base,  Juana,  deren  trübseliges 
Schicksal  der  Alte  ab  ovo  ad  poma  dem  Doctor,  und  leider  auch 
uns,  wiederkäut.  Arnaldo  erscheint 'in  Barcelona  als  Ankläger 
des  Mörders  seiner  Base  bei  den  Majestäten,  dem  katholischen 
Königspaar,  das  ihm  die  Audienz  im  Palaste  erspart,  auf  der 
Strasse  ihm  entgegenkommend.  Königin  Isabel  versichert  dem 
Lebensretter  ihres  königlichen  Gemahls,  dass  jegliches  Gesuch 
imvoraus  ihm  gewährt  sey.    Sofort  tritt  Juana  als  Anwalt  für 


Juaiia  als  Leibarzt.  175 

den  wackern  Greis  Arnaldo  ein,  sein  Anliegen  vortragend, 
dessen  Gewährung  sie  als  ihren  vollen  Lohn  dahinnehme. 
Die  Klagebitte  erfleht  vom  Königspaar  Abhülfe  für  Navarra.  ^) 
und  im  Handumdrehen  wirft  sich  der  junge  Wundarzt  zum 
Eechtsgelehrten  auf,  zum  Verhörsrichter  des  Bedrückers  Na- 
varrischer  Jungfrauen,  des  Don  Sancho  de  Guevara 2),  um 
hinter  Boccaccio's  Rücken  der  Giletta  und  der  Helena  in  „Ende 
gut"  und  um  gleichzeitig,  im  Rücken  der  Gesta  Roma- 
norum und  des  Giov.  Fiorentino,  der  „Diana  von  Belmonte''  und 
der  „Porcia"  im  „Kaufmann  von  Venedig",  ihren  beiden  Schwe- 
stern in  IJlpiano,  die  Hand  zu  reichen  und  beiden  coUegialische 
verstohlene  Blicke  zuzublinzen.  Inzwischen  hat  ■—  o  des  Nacht- 
alps von  Navarra  und  von  dessen  Frauen  und  Jungfrauen!  — 
hat  Vicekönig  Don  Sancho  sein  Druckgewicht  als  Nachtmänn- 
chen oder  Nachtmar  auch  die  Co  stanz a,  das  feurige  Töchter- 
chen des  Belardo,  Alcalden  von  Pamplona,  fühlen  lassen.  Nun 
weint  und  weint  die  Aermste  zweien  Liebesflüchtlingen  nach: 
mit  dem  einen  Auge  dem  Sancho,  der  ihr  als  Andenken  den 
Pansa^)  zurückgelassen,  und  weint  mit  dem  andern  Auge  ihrem 
lieben  Herzensbarbierchen ,  Rodrigo,  und  deshalb  vornehmlich, 
nach,  weil  er  ihr  des  Sancho  Pansa  —  als  Vicekönig  der  Insel 
Bahataria  auch  Standesvetter  von  Sancho,  Navarra's  Vicekö- 
nige  —  dass  Rodrigo  ihr  des  Sancho  Pansa  hochansehnlichen 
Familiennamen  nicht  wenigstens  als   gage  d'amour  zurückgelas- 


1)  „Das  em  Tyrann  erdrückt  .  .  . 

Ihr  wisst  schon,  wie  er  ist  ein  Jungfernräuber, 
Ihr  wisst,  wie  er  nicht  der  Vermählten  schont, 
Und  welchen  üebermuths  er  sich  erfrecht  .  .  . 
Drum  meine  Bitte  zielt  dahin,  ihr  möget 
Wen  senden  mit  geheimer  Vollmacht  wie 
Mit  öffentlicher,  dass  er  den  Don  Sancho 
Gefangen  stelF  euch  vor  seinen  Gerichtsstand/* 

Letzteren  Hinkefussfünfjambenvers  schlurrt  wieder  Eapp's  lahme  Jambe 

wie  einen  Holzschuh  hinterher. 

2)  Macht  mich  zum  Richter,  den  Process  zu  leiten 
Und  den  Gefangnen  vor  eu'r  Angesicht 

Zu  führen;  andern  Lohn  begehr'  ich  nicht 
Als  meinem  Vaterland  den  Dienst  zu  leisten. 

3)  „Dickbauch^S  ,, Pansen'*. 


176  üä-s  spanische  Drama. 

sen.  Kodrigo !  Das  unschuldige  Blut !  Keines  Trugs,  keiner  Täu- 
schung, vollends  solcher  Täuschung,  fähig.  Und  dieser  gar  mit 
dem  Bartscherersprichwort:  „lieber  den  Löffel  barbieren",  aus- 
gedrückt —  schlechterdings  unfähig,  einmal  weil  er  keinen,  kei- 
nen Löffel  nämlich,  hat,  und  zum  andern  weil  Costanza  kaum  ein 
Milchhärchen ,  geschweige  sonst  ein  Haar  auf  den  Zähnen  zum 
barbieren  hat,  und  selbst  diese  nur  braucht,  nicht  um  des  Löffels 
sich  zu  erwehren,  sondern  um  ihn  festzuhalten.  Dieses  wichti- 
gen ümstandes  vermuthen  sich  aber  beide  Mädchen  nicht,  weder 
Belardo's  des  gestrengen  Altschultheissen  verliebsames  Töchter- 
chen Costanza,  noch  ihre  Freundin,  Flora,  die  der  Gespielin 
als  einziges  Auskunftsmittel,  den  'Pansa'  unter  die  Haube  ^)  zu 
bringen,  rathet: 

„Lass  Deinen  Vater  in  der  Stadt  Eodrigo 
Verklagen,  er  hab  an  Dir  Gewalt  gethan."^) 

Ja  selbst  Belardo,  seines  Dorfes  hochweiser  Salomo-Schultheiss, 
dem  Flora  auch  schon  frischweg  die  vom  davongelaufenen  Bart- 
putzerchen  Kodrigo  an  seiner  Tochter  verübte  „Gewalt"  mitge- 
theilt,  ruft  freudig: 3)  „Unsinn  ist  es,  ein  Weib  vor  des  Bar- 
biers Händen  behüten  wollen"^)  .  .  .  „Ruf  mir  Costanza;  zu 
dreien  wollen  wir  den  Feind  verfolgen.  Hat  sie  vielleicht  Zeu- 
gen?" Flora.  „Zu  dem  Geschäft  braucht  man  keinen  Zeugen." 
Belardo.    „Da  hast  Du  Eecht"^)  .  .  . 

Im  Palastsaale  zu  Pamplona  treten  zwei  Reihen  Be- 
waffneter zu  beiden  Seiten  ein.  Hierauf  Dona  Juana  im 
Ritterkleide  von  Santiago,  mit  Gefolge.  Der  vierte  Costüm- 
weehsel:  Student,  Barbier,  Doctor,  Santiagoritter  —  genau  nach 
Lope's  Poetik,  gen.  Arte  nuevo,  welche  dem  dramatischen  Dich- 


1)  „Pansen"  und  „Haube"  so  heissen  bekanntlich  im  Wiederkäuungs- 
apparat  zwei  der  fünf  Mägen. 

2)  Haz:  que  tu  padre  se  queje 
De  Eodrigo  en  la  ciudad, 
Diciendo  que  te  forzo. 

3)  „Im  ganzen  freut  es  mich." 

4)  Que  es  necidad  pretender 
Que  se  guarde  una  mujer 
De  las  manos  de  un  biirbero. 

5)  Tienes  razon  te  confieso. 


Jnana  als  Verhörsrichter.  177 

ter  als  Grundregel  und  oberstes  Gesetz  einschärft:  alles  zur  Un- 
terhaltung des  Theaterpublicums  aufzubieten,  das  für  sein  Geld 
Purzelbäume  vom  Dichter  verlangen  kann.  ^)  Der  Santiagoritter 
Juana  kündigt  demVicekönig  Sancho  de  Guevara  an:  „Ich 
komme  nicht,  Dich  zu  fangen,  sondern  nur  den  ProcessDir  ein- 
zuleiten." Den  Vicekönig  zwickt  und  kneipt  die  Nemesis  aber 
für's  erste  noch  „beiseit" :  „Mir  ist  als  hört  ich  mein  verschmäh- 
tes Weib!"  .  ,  .  „Giebt's  etwas  Aehnlicheres,  als  der  und  mein 
Weib?"  2)  .  .  . 

Die  Nemesis  zwickt  ihn,  aber  nur  nicht  sein  Gewissen. 
Sein  nächstes  Aparte  äussert  den  Eiitschluss:  den  Santiagoritter, 
der  mit  Vollmacht  des  Königs  erscheint,  ihn  zu  richten,  wegen 
der  Aehnlichkeit  mit  dem  verhassten  Weibe,  zu  ermorden.^) 
Um  der  blossen  Aehnlichkeit  willen!  Welch  eingeteufelt  ab- 
stracter  Hass,  dessen  nur  ein  spanischkatholisches,  nicht  blos 
;, Räuberblut",  dessen  überhaupt  nur  ein  spanischkatholisch  ge- 
züchtetes Herz  und  Hirn  fähig  ist !  Sancho's  letztes  „für  sich"  in 
dieser  Scene  ist:  „Nichts  Gutes  kommt  von  meines  Weibs  Ge- 
sicht."^) Dieselbe  abstracto  Zähigkeit  wie  Sancho's  obligater 
Hass,  legt  Juana's  Gattenliebestreue  an  den  Tag.    Das  Abstracte 


1)  Gesch.  d.  Dram.  IX.  S.  629  f. 

2)  Juana.     Y  yo  no  vengo  a  prender 

que,  solo  vengo  ä  informar 
Sancho.  (Ap.  Pareceme  que  oigo  hablar 
Mi  ahorrecida  mujer) 
^Hay  cosa  mas  parecida 
A  la  mujer  que  perdi? 

Esc.  X. 

3)  No  solo  a  mi  dona  Juana 

Me  hace  mal,  mas  todo  aquello 

Que  la  parece,  pues  dello 

Recibo  pena  inhuman  a, 

Intentar  tengo  su  muerte. 
„Nicht  Doiia  Juana  blos  hiess  all  mein  Unglück, 
Auch  Alles,  was  ihr  ähnlich  sieht,  muss  mich 
Vernichten;  nein,  eher  ermord'  ich  ihn.**         , 

4)  D.  Sancho  (Ap.) 

No  puede  hacer  cosa  buena 
Quien  parece  a  mi  mujer. 
X.  J2 


178  1^3-s  spanische  Drama. 

besteht  in  der  gleichsam  dogmatisch-orthodoxen  Erschöpfung  des 
allgemeinen  Begriffes  von  Hass  und  Abscheu  gegen  sein  Weib 
einerseits,  und,  als  Contrastschilderung,  in  der  Verbeispielung  des 
allgemeinen  Begriffs  von  probehaltiger  Frauentreue  aus  Gatten- 
liebe in  des  Wortes  formalster  Bedeutung,  woran  selbst  der  brave 
Yetter  und  biderbe  Greis,  Arnaldo,  Anstoss  nimmt,  der  dem 
Santiagoritter  und  Untersuchungsrichter,  in  welchem  Arnaldo 
noch  immer  nicht  seine  Base,  Juana,  wittert,  über  dessen  scho- 
nung^volles  und  vertuschendes  Vorgehen  bei  der  Untersuchung 
verwundert  die  verfängliche  Frage  stellt:  „Sag  mir,  kommst  Du 
als  Richter  oder  als  Freund  ihm?"^)  —  „als  Freund  ihm"  (dem 
Sancho)  schleift  zwar  wiederum  Rapp's  Hinkefuss- Jambe  als 
Schlurrpantoffel  nach,  aber  die  Frage  ist  berechtigt  und  am 
Orte.  Don  Sancho  belauscht,  hinter  einem  Vorhang,  als  spa- 
nischer Wand,  versteckt,  das  Zeugenverhör.  Seines  Freundes  und 
Kupplers,  Tello,  erste  Zeugenaussage  bestätigt  nur  dem  vice- 
königlichen  Inquisitor  das  Sprichwort:  Wer  da  horchet  hinter  der 
Wand,  spanischen  oder  nicht  spanischen  Wand,  der  hört  seine 
eigene  Schand.  Tello' s  Aussage  silhouettirt  an  der  Wand  einen 
Schattenriss  seines  Herrn  mit  dem  Storchschnabel,  so  ähnlich  und 
getroffen,  als  ob  die  Wand  eine  Glasthür  wäre,  durch  welche 
Don  Sancho's  leibhaftes  Gesicht  sich  sehen  liesse.  2)  „Das  war 
nur  möglich"  -  wirft  Verhörsrichter  Juana  ein  —  „wo  Du 
Kuppler  warst."  Sancho  (für  sich,  hinter  dem  gläsernen  Vor- 
hang):   „0  würdiger  Cavalier!   Soldat  von  Ehre!"*^)    „Ein  zwei- 


1)  0  veniste  por  juez, 
0  veniste  por  amigo. 

2)  —  ^fBev  verrufenste  der  Römer 

Kommt  seinen  Lastern  nicht  von  ferne  gleich  , 
0  wenn  das  Cabinet  hier  sprechen  könnte, 
Wie  viele  Häuser  kämen  um  ihren  Glanz!'' 

El  romano  mas  culpado 

Eternamente  ha  llegado 

A  SU  lascivo  vivir  .  .  . 

Ay  si  hablara  este  retrete, 

0  mil  casas  que  ha  rompido! 

3)  Oh  Caballero  famoso! 
Soldado  enfin. 


Don  Sancho  und  Shj^lock.  179 

ter  Daniel."  —  Letzteres  ruft  zwar  Graziaiio  in  Shylock's  ent- 
sprechender Verhörsscene ,  konnte  aber  ebensogut  Don  Sancho 
rufen,  entzückt  über  des  jungen  Santiagoritters  und  Richters 
Führung  seiner  Sache,  wie  Graziauo  und  Bassanio  von  des  jun- 
gen Advocaten  „Balthasar"  Instruction  des  Rechtshandels  sich  er- 
baut zu  fühlen  alle  Ursache  haben,  i)  Kurz,  Don  Sancho, 
Shylock  und  Bassanio  in  Einer  Partie  —  letzterer  nämlich  in- 
sofern er  dem  jungen  Richter  so  in's  Herz  gewachsen,  wie  Don 
Sancho  dem  seinen  —  lacht  sich  denn  auch,  wie  jene  Beiden, 
in's  Fäustchen,  nur  dass  ersieh  für  beide  gleichzeitig  kitzelt, 
während  Shylock  über  das  Verhalten  des  jungen  Doctors  zuerst, 
und  Bassanio,  als  besserer  Lacher,  zuletzt  lacht.  Das  Pfund 
Fleisch  aber,  und  mit  dem  dazugehörigen  Tropfen  Blute  gut  ge- 
nossen, reichlich  abgewogen,  muss  Tello  hergeben,  dem  Richter 
Juana  hundert  Peitschenhiebe  aufmessen  lässt.  „Kann  man 
liebreicher  ein  Richteramt  verwalten?"  reibt  sich  Sancho  hinter 
dem  Vorhang  vergnügt  rufend:  „0  nachsichtiger  Richter!"  die 
Hände.-)  Den  zweiten  Belastungszeugen,  Ricardo,  welcher  bei 
Nachtmusiken,  die  Don  Sancho  seinen  Dirnen  brachte,  Tenor 
gesungen,  schickt  Juana,  als  strenger  Untersuchungsrichter,  der 
an  dem  Inculpaten  noch  kein  crimen  laesae,  keinen  Verrath  an 
König  und  Land,  hat  finden  können,  und  alles  üebrige  für  Ju- 
gendstreiche, für  nichts  achtet'^)  —  schickt  Juana  auf  die  Ga- 
leere, wo  Ricardo  seinen  Tenor  nach  dem  Rudertact  drei  Jahre 
lang  üben  könne,  und  ausserdem  mag  der  Profoss  zu  Ricardo's 
Mittel-  und  Mittlerstimme  den  Tact  mit  hundert  Strophen  hinten 


1)  Parolles'  Verhör  (IV.  3)  streift  gleichfalls  an  das  von  Tello,  und 
Graf  Bertram  erhält,  wie  Don  Sancho,  aiis  dem  Munde  seines  Dieners 
und  Gelegenheitsmachers,  Parolles,  seinen  Senf:  ,,icli  kenne  diesen  Grafen 
als  einen  gefährlichen,  liederlichen  Burschen*'  u.  s.  w.  An  eine  Benutzung 
vonseiten  Shakspeare's  ist  trotz  alledem  auf  hundert  Meilen  noch  immer 
nicht  zu  denken;  hinter's  Ohr  wollen  wir  es  uns  aber  doch  schreiben.  — 
2)  Shylock  ruft:  „0  weiser  und  gerechter  Richter!"  „0  höchster  gerech- 
ter Richter!" 

3)  Mirad;  que  cargos  tan  graves! 

Que  mi  homhre  mozo  lo  ha  sido. 
<jHa  hecho  traicion  al  ReyV 
^.Vendio  en  Navarra  la  entradaV 

i2* 


180  I^^s  spanische  Drama. 

schlagen.  ^)  Ein  dritter  Helfershelfer  bei  des  Vicekönigs  „Ju- 
gendstreichen", Mauricio,  kommt  mit  fünfzig  Stockstreichen  davon. 
Nun  springt  Sancho,  der  junge  Springiusfeld,  aus  seinem  Ver- 
steck hervor,  schliesst  seinen  Spruchrichter  voll  Entzücken  an's 
Herz  mit  der  Versicherung: 

„Dass  einem  Weib,  die  Euch  sehr  ähnlich  sieht, 
Die  ich  verabscheute  von  ganzer  Seele, 
Alles  aus  mir  zu  machen  heut  gelänge/' 2) 

Hiermit  spräche  das  Stück  sein  „Ende  gut  Alles  gut."  Nach 
spanischer  Bühnenetiquette  darf  dieses  aber  nur  der  stehende 
Gott  aus  der  Maschine,  der  König  sprechen,  der  denn  auch 
schon  aus  Barcelona  und  Zaragoza  zu  dem  Behuf  eingetroffen, 
als  doppelter  Maschinengott,  im  Verein  mit  seiner  Parallelherr- 
scherin, Königin  Isabel.  Juana,  knieend  vor  dem  Königspaar, 
brennt  nachträglich  mit  dem  abgehaltenen  Protokoll  den  Beklag- 
ten rein  von  aller  Schuld,  bis  auf  die  kleinen  unverfänglichen 
Peccadillen,  dass  er  „Nachts  buhlen  gegangen"  —  was  doch  in 
den  Augen  einer  Gattin  das  schwerste  Vergehen  scheinen  musste, 
und  was  doch  Juana  selbst,  bei  ihrer  ersten  Begegnung  mit  der 
Königin,  als  Hauptanklagepunkt  gegen  ihren  Eheflüchtling  geltend 
machte.  Ihre  liebeswüthige  Ehemannstollheit  hat  dennoch  im 
Verhältniss  der  Brutalitäten  und  bestialischen  Behandlung  ihres 
Ehegötzen  zugenommen,  und  erschwingt  zu  allerletzt  den  Gipfel- 
punkt, wo  der  Alcalde  Belardo  als  ihr  Ankläger,  des  vermein- 
ten Barbiers  Rodrigo,  des  Verführers  und  Entehrers  seiner 
Tochter,  Costanza,  als  Ankläger  des  „jungen  Herrn  mit  dem  Or- 
denskreuz auf  der  Brust"  vor  das  Majestätenpaar  tritt,  über- 
gehend auf  Don  Sancho's  Schandthaten ,  „der  sein  eigenes 
Eheweib  ermordet."    Die  Doppelanklage  macht  freilich  Juana, 


1)  Lleve  el  verdugo  el  compäs 
Con  cien  azotes  deträs 

Y  tres  ailos  de  Galeras. 

2)  Tanto  amor  os  he  cobrado 

Que  ä  una  mujer  que  os  parece, 

Y  que  ml  alma  aborrece, 
Hoy  la  hubiera  perdonado. 


Das  katholiische  Königspaar  als  Maschinengötterpaar.  \g{ 

aus  dem  Incognito  und  dem  Mannsanzuge  plötzlich  springend, 
zunichte.  Hat  sie  Don  Sancho  denn  nicht  wirklich  und  zu  wie- 
derholten Malen  ermorden  wollen?  Und  ist  das  Fehlschlagen 
des  letzten  Mordversuchs  sein  Verdienst?  Von  der  Schändung 
und  Schwängerung  der  in  diesem  Zustande  mit  ihrem  Vater  ge- 
genwärtigen Costanza  ist  weiter  keine  Rede.  Der  Vater,  Be- 
lardo,  ist  auf's  Maul  geschlagen;  Costänzchen  auf  das  „Pänz- 
chen",  dass  sie  Au!  sagt,  aber  ein  verhaltenes,  verschämtes  iVu!  ^) 
Und  dann  kein  Mum  mehr.  Königin  Isabel,  als  Maschinen- 
göttin, decretirt:  „Nun  ist  Zeit,  nicht  mehr  zum  Untersuchen, 
zum  Vergeben."  König  Fernando  bestätigt  dem  Sancho  das 
Vicekönigthum  und  legt  noch  die  Comthurei  hinzu,  „die  er  der 
schönen  Frau  versprochen."  Königin  Isabel  octroyirt  dem  Ehe- 
paar eine  Umarmung,  die  Don  Sancho,  der  Vicekönig-Comthur, 
an  seiner  Frau  vollzieht,  hochentzückt  und  gattenselig  aufjauch- 
zend: „Vergöttern,  ich  gelob'  es,  will  ich  Dich!''-)  Und  der 
Dichter,  der  an  seiner  Comedia  gehandelt  hat,  wie  Don  Sancho 
an  seiner  Gattin  Juana  und  seinem  Liebchen  Costanza,  der  Dich- 
ter verspricht  durch  seines  Mitschänders,  Don  Sancho's, 
Mund,  dem  'Senado'  (Publicum),  im  heimlichen  Bewusstseyn  sei- 
ner kleinen  poetischen  und  technischen Peccadillen,  einen  „zwei- 
ten Theil"  zu  der  Comedia:  'La  hermosura  aborrecida'  ^),  wo- 
mit er  es  aber,  beim  blossen  Versprechen  es  bewenden  lassend, 
zu  halten  gedenkt,  wie  sein  Held,  Don  Sancho,  mit  seinem  Ge- 
löbniss,  „vergöttern  will  ich  sie."  Ist  das  ein  Ende  gut,  oder 
die  Absolution  eines  Beichtpriesters  ohne  Sündenbekenntniss? 
In  der  von  Terentius  als  Compositionskunst  zuerst  angewandten 
'Contaminatio'4),  Verarbeitung  und  Verschmelzung  verschie- 
dener  Komödienmotive   und   Argumente   in  Ein  kunstgerechtes 


1)  De  verguenza  estoy  corrida. 

2)  Adorarla  te  prometo. 

3)  Prometiendole  al  Senado, 
Para  despues  de  algun  tiempo, 
Darle  la  segimda  parte 

De  tan  extrano  suceso. 

4)  Gesch.  d.  Dram.  II.  S.  570.  575. 


|§2  J^^s  spanisclie  Drama. 

Lustspiel  —  in  solcher  Gestaltungsteclinik  begegnen  sich  die  bei- 
den grossen  dramatischen  Dichter,  Lope  de  Vega  und  Shak- 
speare.  Mit  welchem  problematischen,  wo  nicht  anbrüchigen 
Verschmelzungserfolge  vonseiten  des  Spaniers  haben  wir  bereits 
zu  erproben  Gelegenheit  gehabt,  und  werden  diesen  Erfolg  an 
einer  Reihe  von  Analysen  noch  fernerhin  erproben  können.  In 
welcher  höchsten  Kunstvollkommenheit  der  grosse  englische  Büh- 
nendichter jene  Verschmelzung,  jene  Contaminatio  zustande 
brachte  —  Das  an  seinen  Dramen  zu  untersuchen  und  dem  Leser 
überzeugend  zur  Anschauung  zu  bringen,  wäre  für  uns  die  Er- 
füllung unseres  Lebenswunsches,  *a  consummation  devoutly  to  be 
whished',  der  reichste  überschwängliche  Lohn  für  den  Arbeits- 
schweiss,  den  uns  dieses  mühevolle  Werk  kostet,  und  die  süsseste 
Genugthuung  für  die  schnöden  Unbilden,  die  dasselbe  gerade  von 
Solchen  erfahren,  deren  einziges  Verdienst  im  Arbeitsschweisse 
besteht,  und  die  es  vielleicht  eben  deswegen  unserem  Geschichts- 
werke nicht  vergessen  und  vergeben  können,  dass  es  ihre  Kopf- 
ausdünstungen überflüssig  machte  oder  ihnen  ersparte;  wo  sie 
ihm  nicht  gar  um  deswillen  bitterböse  grollten,  weil  ihnen  der 
scharfe  Geisteshauch  den  Kopfschweiss  zurücktrieb,  aufs  Gehirn 
warf  und  das  Wasser  darin,  das  der  gelehrte  Stirnschweiss  ab- 
leiten sollte,  infolge  des  zurückgetretenen  Schweisses,  einen  hy- 
dropisch  lebensgefährlichen  Zufluss  erfuhr. 

Tausendfältig  lässt  Lope  de  Vega  dasselbe  Problem:  ein  von 
Liebesleidenschaft  bewegtes  Frauenherz,  wie  einen  facettirten 
Brillanten  im  Sonnenlicht,  im  Doppelstrahl  von  Liebe  und  Eifer- 
sucht, Liebe  und  Ehre,  oder  auch  mit  diesen  Conflict-Dualitäten 
wechselnd,  in  allen  möglichen  Farbennuancen  spielen.  Den  einen 
Gedanken:  die  Siegesgewalt  der  über  Alles  triumphirenden  Liebe, 
unterwirft  er,  wie  der  Physiker  sein  Phänomen,  den  mannig- 
fachsten Experimenten.  Nicht  die  Liebesidee,  nicht  dramatisch- 
dialektische Ergründung  und  Offenbarung  des  Wahnes  der  Lei- 
denschaft als  seelenbildender,  zu  weihevoller  Gemüthsläuterung 
und  zu  idealer  Glückseligkeitsstimmung  sich  aus  den  inneren 
Bestürmungen  hervorklärender,  kathartischer  Macht,  nicht  dieser 
höchste  Endzweck  der  dramatischen  Kunst  waltet  in  seinen  Büh- 
nenspielen, seinen  Liebeskomödien.  So  wenig  wie  der  Physiker 
nach  Wesen  und  Idee  des  Lichstrahls,  der  Farbe,  des  Schalles, 


Lope  de  Vega's  Komödie:    'Der  Hund  des  Gärtners'.  IS3 

oder  sonst  eines  Naturphänomens  forschen  will  und  mag,  einzig 
allein  auf  dessen  Erscheinungsspiele  und  durch  Eechnungen  und 
Messungen  ermittelten  Gesetze  bedacht:  eben  so  wenig  kümmert 
sich  unser  grosser  spanische  Dramatiker  um  jene  letztgültigen 
Wirkungen  und  Ergebnisse:  ihm  ist  es  lediglich  um  das 
psychologische  Experiment  und  dessen  überraschende  Eesultate 
zu  thun. 

Welche  neuen  Erscheinungen,  welche  merkwürdigen  Wandel- 
spiele des  weiblichen  Herzens  lässt  nun  der  erfindsamste,  ver- 
suchsmeisterliche, tausendkünstlerische,  dramatische  Experimen- 
tator in  einer  seiner  glänzendsten  Liebeskomödien: 

El  Ferro  del  Hortelano 
(Der  Hund  des  Gärtners) 

behufs  Bestätigung  des  urphänomenalen,  der  Liebe  Allmacht 
und  ünbesiegbarkeit  verkündenden  und  ihren  unaufhaltsamen 
Triumphzug  durch  das  von  heissen  Zwiespaltskämpfen  durchwogte 
Frauenherz  besiegelnenden  Gesetzes,  sich  entwickeln? 

In  Diana's,  einer  neapolitanischen  Gräfin  von  Belflor, 
jugendlich  feurigem  Herzen  glimmt,  ihr  selbst  noch  kaum  be- 
wusst,  ein  Liebesfunken,  den  ihr  Secretär,  Teodoro,  auch  ihm 
unwissentlich,  erregte.  Der  Gräfin  adelsstolze  fürstliche  Geburts- 
hoheit überwacht  den  schlummernden  Funken,  nicht,  wie  die 
Vestalin  das  heilige  Feuer,  um  ihn  zu  hüten,  sie  überwacht 
vielmehr  sein,  des  Funkens,  Erwachen,  dass  er  nicht  geweckt 
werde,  nicht  von  dem  leisesten  Bewusstseyn  der  Gräfin  selbst. 
Nun  gleicht  aber  das  Licht  eines  solchen  schlummernden  Lie- 
besfunkens mehr  dem  Hellsehen  eines  in  magnetischen  Schlaf  be- 
wusstlos  versunkenen  Auges,  als  dem  eines  Hasen,  der  mit  offenen 
x\ugen  schläft.  Vermöge  dieser  Eigenschaft  erhellt  so  ein  Lie- 
besfunken das  noch  so  unbewusst  ihn  bergende  Herz  dergestalt, 
dass  die  Helligkeit  durch  die  Herzgrube  hindurchscheint,  und 
diese  wie  im  Schlaftraum,  zum  Schrecken  der  gestrengen,  ahn- 
mütterlichen Hüterin,  der  vorgedachten  fürstlichen  Geburtsbe- 
wusstheit,  aus  der  Schule  schwatzt,  in  deutlich  vernehmbarer 
Herzgrubensprache:    Equidem  dormio,  sed  cor  meum  vigilat. 

In  solchem  Zustande  zeigt   sich  uns,   Eingangs  des  ersten 


184  ^^^  spanische  Drama. 

Actes,  das  Herz  der  Gräfin  Diana,  als  sie  bei  nächtlichem  Dun- 
kel einen  Mann  aus  einem  ihrer  Zimmer  entfliehen  sieht  und  sich 
staunend  fragt:  War  es  ein  Mann,  den  ich  erblickte?  War's 
ein  Traum,  der  mich  betrog?  He!  schläft  denn  Alles?  i)  „Traum'*, 
„Schlaf"  —  ja  wohl!  Traumschlaf;  deines  Herzens  Liebestraum- 
schlaf, geburtshoheitlichstolze  Gräfin!  Der  saalflüchtige  Mann 
war  kein  anderer,  als  ihr  Secretär,  Teodoro.  Der  Gräfin  ihm 
nacheilender  Diener,  Fabio,  bringt  blos  des  Entflohenen  Hut  zu- 
rück, den  er  ihn  auf  die  Flmiampe  habe  werfen  sehen,  um  sie 
auszulöschen,  und  unerkannt  zu  entwischen.  Gräfin  Diana  lässt 
ihre  Mädchen  rufen.  Mit  ihnen  schleicht  sich  zugleich  die  rüh- 
rigste, geschäftigste  der  Zofen  ein,  aber  eine  unsichtbare,  die  das 
Feuer  im  Hause  beschickt,  und  fleissig  schürt,  und  den  Blase- 
balg gar  nicht  aus  der  Hand  legt;  nicht  eben  um  das  Küchen- 
und  Kaminfeuer  —  um  das  Liebesfeuer  im  Herzen  zu  fachen,  ob 
das  Fünkchen  noch  so  unbemerkt  und  kleinwinzig  unter  der 
Asche  der  sechzehn,  der  sechzig,  der  hundert  Ahnen  schliefe; 
und  je  unbemerkter,  desto  heller,  lichterloher  es  zu  fachen.  Wer 
von  uns  hätte  die  unsichtbar  sich  einschleichende  Zofe  nicht 
schon  errathen,  nicht  die  Schürteufelin  als  Aschenbüttel  der  spa- 
nischen Komödie  erkannt?  Aber  als  heimtückisches,  bnuidstifte- 
risches  Aschenbrödel:    Die  Eifersucht! 

Gräfin  Diana  nimmt  ihre  beiden  Kammermädchen,  Anarda 
und  Marcela,  in  scharfes  Verhör.  Unbeschadet  der  Freund- 
schaft für  Marcela,  sagt  Anarda  aus:  die  Erscheinung  des  Se- 
cretärs  in  der  Gräfin  Zimmern  habe  der  Marcela  gegolten.  Was 
meint  Gräfin  Diana  hierzu?  Fühlt  sie  noch  immer  nicht,  oder 
darf  und  will  sie  nicht  fühlen,  dass  sie  innerlich  zusammen- 
zuckt? —  Genug,  das  heimliche  Zusammenzucken  wird  ganz 
und  gar  latent  in  ihrem  Aparte:  „Ich  bin  beruhigt,  da  es  um 
meinetwillen  nicht  geschah."  2) 


1)  ;Hola!    (^No  hay  une  hombre  aqui? 
Pues  no  es  sombra  lo  que  vi, 

Ni  sueno  que  me  ha  burlado. 
jHola!    ^Todos  duermen  ya? 

2)  Diana  (ap.)  Con  mas  templanza  me  siento 

Sabieiido  que  no  es  par  mi. 


Marcela's  Verliör.  185 

Nun  aber  in  Marcela's  Verhör!  Wie  ganz  anders 
faucht  da  schon  des  unsichtbaren  Schürkobolds  Blasebälglein  in 
die  Ahnenasche!  —  Wie  glühend  roth  äugelt  der  darunter  ver- 
steckte Funken  hervor,  als  wär's  der  Widerschein  von  der  Ko- 
boldin schadenfrohem  Gluthblick!  Marcela's  argloses,  naives 
Geständniss  ihrer,  von  Teodoro  er\viderten  Liebe,  hu!  wie  sprüht 
es  den  Eifersuchtsfunken  an,  gleichwie  mit  gereizten  Schlängleins 
leisem  Zischen.  Erbangend  fragt  Marcel a:  „Kann  ich  dafür, 
dass  Teodoro  so  albern  ist,  mir  überall,  wo  er  mich  treffen  kann, 
zwei  Dutzend  Liebesworte  nachzuwerfen?"  Diana,  mit  spott- 
höhnischem Funkenzischen:  „Zwei  Dutzend?  ei,  ein  wohlgeseg- 
net Jahr,  wo  sie  nach  Dutzenden  zu  kaufen  sind!"i)  Vernimmt 
Diana  das  Zischen?  Gewahrt  sie  den  blitzenden  Funken?  — 
Im  Nu  knistert  es,  wie  von  Käucherpulverduft  umwölkt,  womit 
ihn,  Diana  —  verhüllt.  Marcela's  zaghafter  Versicherung,  dass 
Teodoro  „seine  Liebe,  ja  Ehr'  und  Zucht  auf's  Ziel  der  Ehe  rich- 
tet'S begegnet  nun  Diana  mit  gnädiglicher  Frage:  „Soll  ich's 
vermitteln?"  Doch  müsse  sie  den  Schein  des  Grolles  noch  be- 
wahren. '^)  Knistern  vom  Räucherpulverduft  huldvoller  Herrinnen- 
Güte,  Zischen  vom  darunter  aufblitzenden  Eifersuchtsfunken  ver- 
mischen sich  so  gunstfreundlich,  die  Stäubchen  des  gestreuten 
Äromapulvers  und  die  der  darübergestreuten  Ahiienasche  •^)  kräu- 
seln so  traulich  durcheinander,  dass  Gräfin  Diana  die  liebevolle 
Ermahnung:    „Tiefes  Geheimniss  verhülle,   was  du  thust"  ^),  die 


1)  Marcela   Estä  Teodoro  tan  necio, 

Que  donde  quira  me  dice 
Dos  docenas  de  requiebras. 
Diana.      iDos  dncenas?    jBueno  a  fe! 
Bendigo  el  buen  ano  el  cielo 
Paes  se  venden  por  docenas. 

2)  Diana.      Sustentar  mi  enojo  quiero. 

3)  „Ob  ich,  Marcela,  die  Vermählung  auch 
Gestatte,  wenn  es  Zeit,  so  fordert  doch 

Mein  Ruf,  mein  edler  Name  grosse  Rücksicht .  .  . 

4)  Diana.       Marcela,  aunque  me  resuelvo 

A  que  OS  caseis,  cuando  sea 
Para  ejecatarlo  tiempo, 
No  puedo  dejar  de  ser 


|g()  Das  spanische  Drama. 

Bie  an  Marcela  zu  richten  glaubt,  doch  nur  ihrem  eigenen  Her- 
zen zuflüstert.  Worauf  wir  aber  zumeist  gespannt  sind,  ist  Dia- 
na's  erstes  Selbstgespräch.  Ihre  Geistes-  und  Herzensverfassung 
muss  nach  Monologen  lechzen,  wie  der  gejagte  Hirsch  nach  Was- 
ser. Unsere  Komödie  ist  zugleich  ein  Beleg  für  die  conditio  sine 
qua  non  dramatischer  Monologie  unter  gewissen  Umständen,  und 
auch  ein  Beleg  für  Lope's  Meisterschaft,  solche  Situationsstim- 
mungen in  Selbstbekenntnissen  zu  entladen,  „Des  Gärtners  Hund" 
ist  vor  allem  die  spanische  Komödie  der  Monologenkunst.  Die 
selbstgesprächlichen  Herzensergüsse,  in  der  Kegel  das  Schnap- 
pen und  Gähnen  eines  wasserlosen,  im  Sande  sich  abarbeitenden 
und  verendenden  Fisches  —  hier  sind  sie  das  Wasser  auf  die 
dramatische  Mühle,  auf  die  Räder  der  dramatischen  Handlung. 
Die  Mittheilung  der  Monologe  ist  daher  geboten;  des  ersten  der 
Gräfin  zunächst,  des  Brenn-,  Kern-  und  Krystallisationspunktes 
ihrer  Innern  Conflicte  im  ersten  Act.  Zugleich  erhält  der  Leser 
einen  Vorschmack  von  der  meisterhaften  mit  dem  Original  an 
Kunst  und  Feinheit  wetteifernden  „Nachbildung"  des  uns  schon 
durch;  die  Verdeutschung  von  Lope's  Comedia  'Das  Unmög- 
lichste von  Allem'  rühmlich  bekannten  Herrn  Ludwig 
Braunfels.  Diana  hat  die  im  Lobpreise  Teodoro's  sich  ge- 
fallende Anarda  barsch  sich  entfernen  heissen  und  bleibt 
allein.  ^) 


Quien  soy,  como  ves  que  debo 

A  mi  generoso  nombre. 
1)  Diana. 

,,Und  ist  das  Alles  wahr?  —  Es  ist  nicht  wahr. 
Zwar  geistvoll  ist  er.  —  Andre  sind  es  auch! 
Und  schön?  0  nein.  Nur  hat  sein  Antlitz  Etwas 
Das  wie  ein  Räthsel  zur  Betrachtung  lockt. 

—  Und  treu  und  gut?  —  Warum  soll  denn  der  Diener 
Nicht  treu  seyn,  wenn  die  Herrin  gütig  ist?  — 

Sie  liebt  ihn,  weil  sie  seines  Gleichen  ist. 

—  Marcela  seines  Gleichen?  Nimmermehr! 

--  Sie  fühlt  sich  glücklich;  und  ich  soll  ein  Glück 

Jetzt  kennen  lernen,  und  es  selbst  entbehren! 

0  brach'  in  dieses  glatte,  klare  Leben 

Ein  finstrer  Sturm  des  Unglücks  ein!   Mir  ist 

So  weh!  was  ist  das?  —  Neid?  —  Was  sagt'  ich  da?! 


Der  spaniöcbe  Gracioso  u.  der  Servus  der  röniisclien  Köinodie.     187 

Teodoro's,  dem  Factotum  der  spanischen  Komödie,  dem 
Diener,  abgelegte  Herzensbeichte,  dialogisirt  eben  blos  den 
gleichlautenden  Contrastaffect  und  Zwiespalt  zu  Diana's  Geistes- 
verfassung, den  die  Gräfin  für's  erste  noch  in  Aparte's  und  Mo- 
nologen verräth.  Genau  betrachtet,  sind  die  meisten  derartigen 
Zwiegespräche  zwischen  Herrn  und  Diener  im  spanischen  Drama 
zu  Dialogen  gespaltene  Selbstgespräche ,  derart  dass  dem  Diener 
das  Handeln,  dem  Herrn  das  Pathos  zufallt;  nicht  wie  in  der 
römischen  Komödie,  wo  der  Servus  das  odium  seiner  zugunsten 
des  jungen  Gebieters  ausgeführten  Streiche  als  dessen  Sünden- 
bock trägt,  und  daher  in  seinem  Charakter  immerdar  handelt; 
dramatischer  folglich,  als  der  spanische  Gracioso-criado,  der,  sei- 
nem Herrn  gegenüber,  mehr  den  lustigen  Eath  spielt,  die  Lie- 
besintrigue  als  dessen  Agent  und  Charge  d'affaire  leitet,  und  ne- 
benbei sich  des  eigenen  Antheils  und  Beitrags  zur  Handlung  als 


Neid  auf  die  Sclavin  um  des  Sclaven  willen  V 
Ich  hasse  diese  Magd!  —  Sey  still,  Diana; 
Du  neidest,  hassest  nun  zum  Erstenmal. 
0  welch  ein  Fluch  muss  Liebe  seyn,  wenn  schon 
Das  Schauspiel  fremder  Liebe  sündig  macht! 
Doch  ist  es  wirklich  Neid?  ist's  nur  ein  Sehnen 
Nach  etwas  Unbekanntem?  —  Gut;  ich  will 
Ihn  selbst  darüber  fragen.   -    Ihn?  o  nein!  (ab.)" 

Die  freie  Wiedergabe  duftet  vielleicht  nur  als  wohlriechendes  Wasser 
vom  Parfüm  der  Herzensstimmung,  den  die  Sonettblume  des  Originals 
zarter  und  voller  athmet. 

Mil  veces  he  advertido  en  la  belleza, 
Gracia  y  entendimiento  de  Teodoro, 
Que  ä  no  ser  desigual  ä  mi  decoro, 
Estimara  su  ingenio  y  gentileza. 
Es  el  amor  comun  naturaleza; 
Mas  yo  tengo  mi  lionor  por  mas  tesoro; 
Que  los  respetos  de  quien  soy  adoro, 
Y  aun  el  pensarlo  tengo  por  bajeza. 

La  envidia  bien  se  yo  que  ha  de  quedarme; 
Que  si  la  suelen  dar  bienes  ajenos, 
Bien  tengo  de  que  pueda  lamentarme. 

Porque  quisiera  yo  que,  por  lo  menos, 
Teodoro  fuera  mas,  para  igualarme, 
0  yo,  para  igualarle,  fuera  menos.    (vase.) 


IS8  Das  spanische  Drama. 

Leistung  für  seine  Person  und  seinen  dramatischen  Charak- 
ter durch  ein3  Liebschaft  mit  der  Zofe  entledigt,  wodurch  er 
aber  wieder  mir  seine  dramatische  Selbstständigkeit,  die  der  rö- 
mische KomoJien-Servus  bewahrt,  preisgiebt,  indem  er  sogar  sein 
individuelles  Liebespathos  zur  Parallelparodie  der  Leidenschaft 
seines  Herrn  schematisirt.  Doch  zählt  dieser  Tristan  zu  den- 
jenigen Dienerrollen  in  Lope's  Komödien,  die  den  knotenschürzen- 
den Servus  der  römischen  Komödie  mit  dem  Gracioso,  als  Dou- 
bletten-Parodie  zum  Gebieter,  in  Eine  Doppelfigur  verbinden. 
Tristan,  jedoch  mit  überwiegendem  Servus-Charakter;  ein  Vorzug, 
der  ihn  als  einen  der  dramatisch  betheiligtsten  und  die  Ko- 
mödie bewegendsten  Diener-Gracioso's  der  spanischen  Bühne  aus- 
zeichnet. 

„Liebt  Ihr  Marcela  denn  so  heiss"  —  fragt  Tristan  sei- 
nen Herrn,  den  Secretär  Teodoro  —  „dass  Ihr  im  Saal  der 
Gräfin  mit  ihr  kosen  müsst?"  Aus  der  Antwort  erfahren  wir, 
dass  Marcela  Teodoro's  räthselhafte  Schwermuth  sich  und  ihrer 
Liebe  zugute  deutet.  ^)  Gewissensrath,  oder  Intriguenrath,  Tristan 
merkt  schon  wie  der  Haase  hüpft,  und  rathet  seinem  von  pro- 
blematischster Liebe  für  Marcela  schwärmenden  und  hinter  dem 
sich  selbst  vorgemachten  blauen  Dunste  die  eigentliche  Herzens- 
flamme vor  sich  selber  verbergenden  jungen  Gebieter,  sich  mit 
dem  blauen  Dunst  nicht  selbst  hinters  Licht  zu  führen,  sondern 
vielmehr  mit  der  eigentlichen  Herzensflamme  der  Gräfin  ein 
Licht  aufstecken  zu  wollen.  Das  rathet  Herrn  Braunfels' 
„Tristan^'  '^) ;  folgerichtig  inanbetracht  der  Pendelschwingungen  zwi- 
schen Gräfin  und  Zofe,  die  auch  das  Herz  von  Herrn  Braunfels' 
„Theodor"  ausführt,  im  Unterschiede  von  Lope's  Teodoro,  der 
im  blauen  Dunst  der  Selbsttäuschung,   betreffs  seiner  Liebe 


1)  Die  Lösung  suchend,  hielt  Marcela  sich 
Am  Ende  selber  für  des  Eäthsels  Lösung; 
Und  meinem  Schmerze,  den  sie  so  gedeutet, 
Bot  sie  sich  an  als  Arzt  und  Arzenei  .  .  . 

2)  „Lasst  ab  von  dieser  Liebe  (zur  Marcela),  rath  ich  Euch"  . .  . 
Und  am  Schluss  der  Scene: 

„Doch  halt;  noch  ein  Recept  will  ich  Euch  schenken: 
Nehmt  Eurem  Blick  Diana  nur  zum  Ziel!*' 


Ein  Liebessonett  durch  die  Blume.  'Ig9 

für  Marcela,  noch  bis  über  die  Ohren  duselt.^)  Da  denn  nicht 
minder  folgerichtig  Lope's  Tristan  seinen  Herrn  vor  der  Zofen- 
liebe warnt,  vorerst  in  Rücksicht  auf  Teodoro's  Secretärstelle  bei 
der  Gräfin,  die  solche  Liebelei  in  ihrem  Hause  nicht  dulden  und 
ihn  fortschicken  würde.  ^)  Welches  Verhalten  das  psychologisch 
ichtigere  und  feinere,  wollen  wir  nicht  erst  heraustifteln.  Je- 
denfalls lässt  Teodoro's  ehrliche  Selbsttäuschung  und  unwis- 
sentliche Täuschung  der  armen,  ihn  vom  Herzen  liebenden  Mar- 
cela, seinen  ohnehin  in  ein  bedenkliches  Hin-  und  Herschwan- 
ken gestellten  Charakter  minder  leichtfertig  und  unedel  inbezug 
auf  Marcela  erscheinen,  als  „Theodor' s"  gleich  anfängliches  und 
halb  und  halb  geständliches  Versteck  spielen  mit  seiner  wahren 
und  vorgeblichen  Liebe;  als  „Theodor's"  Fickelfackel  mit  seiner 
wirklichen  Herzensflamme  unter  dem  löchrigen  Scheffel  seiner 
Scheinliebe  für  Marcela. 

Mittlerweile  hat  Diana's  innerer  Kampf  ihrem  geburts- 
und  hoheitsstolzen  Herzen  ein  verblümtes  Liebesgeständniss  in 
Form  eines  Sonettes  abgerungen,  das  sie  dem  Teodoro,  als  für 
eine  Freundin  gedichtetes,  mit  der  Bitte  überreicht,  ihr,  da  sie 
von  Liebessachen  nichts  verstehe,  ein  besseres  zu  schreiben.-^) 
Secretär  Teodoro  leistet  der  Gebieterin,  unter  den  schmeichel- 
süssesten  Verwahrungen  seiner  Unzulänglichkeit  neben  ihrem  poe- 
tischen Genie,  dienstbeflissenst  Folge,  und  bringt  ihr  das,  in  ei- 
nem Nebenzimmer,  während  Gräfin  und  Tristan  sich  gegen- 
seitig inbetreflf  Teodoro's,  auf  den  Zahn  fühlen,  von  ihm  entwor- 
fene Sonett-Selam.  Es  versteht  sich  von  selbst,  dass  die  zwei 
Parallelsonette  ein  gegenseitiges  Liebesgeständniss  so  einheitlich 
darstellen,   wie  Revers  und  Avers  die    numismatische  Identität 


J )  En  las  gracias  de  Marcela 

No  hay  defetos  que  pensar, 
Yo  no  la  pienso  olvidar. 

2)  Trist.     Dejar  de  amar  ä  Marcela, 

Pues  la  Condesa  es  mujer 
Que  si  lo  llega  ä  saber, 
No  te  ha  de  valer  cautela 
Para  no  perder  su  casa. 

3)  —  aunque  yo  ignoro 
Teodoro,  cosas  de  amor  .  . 


190  I)as  spanische  Drama. 

einer  Medaille  bildet,  die  als  Votivmünze  dem  wäclisernen  Her- 
zen irgend  einer  Heiligen  aufgeheftet  werden  soll.  Nachdem  ein 
Jeder  das  andere  Sonett  mit  dem  Blatt  vor  dem  Mund  als  Sor- 
dine gelesen,  und  die  Herzenssprache  in  diplomatischen  Chiffern 
ausgetauscht,  spielt  noch  eine  Weile  das  „Wort  des  Liebesräth- 
sels  von  Mund  zu  Mund" :  ein  Turteltauben-Schnäbeln,  wobei  das 
Taubenpaar  sich  ja  auch  gegenseitig  die  Schnäbelchen  zuhalten 
und  zudrücken  und  sich  dessunbeschadet  verständnissinnig  küs- 
sen. Gräfin  und  Secretär,  jedes  behält  sein  Tauschgedicht.  Diana  — 
um  dem  gräflichen  Hochmuthsteufelchen  in  ihr  das  letzte  Wort 
der  Scene  zu  lassen,  pour  sauver  Tapparence  -  Diana  will  ihr,  viel- 
mehr sein,  Sonett  behalten,  um  es  zu  prüfens  bevor  sie  es  zer- 
reisst.  „Zerreissen?"  —  fragt  Teodoro  zärtlich  betrübt.  „Was 
liegt"  —  deutet  die  Gräfin,  sich  entfernend,  sibyllinisch  an  — 
„was  liegt  daran,  dass  er  (der  Brief,  el  papel)  verloren  gehe? 
Kann  ja  doch  Grösseres  verloren  gehen!"  ^)  Darüber  glossirt 
Teodoro's  Monolog  und  zupft  und  rupft,  wie  Faust's  Gretchen,  an 
der  Sternblume:  „liebt  mich"  -  „liebt  mich  nicht"  —  eine 
Quart-Columne  lang  —  hütet  sich  aber  das  letzte,  entscheidende 
Blumenblättchen  auszurupfen,  worüber  noch  so  mancher  Monolog 
voll  Liebeszweifelkämpfe  und  so  manche  zerpflückte  und  verzet- 
telte Sternblume  in  die  Brüche  gehen  muss.  Und  in  solches 
Prellschaukeln  seines  Herzens  zwischen  Himmel  und  Hölle  plumpst 
die  treuherzige  Marcela  mit  ihrer  freudevollen  Neuigkeit  mit- 
ten hinein !  Die  Gräfin  —  strahlt  ihr  Gesicht  —  willige  in  ihre, 
Marcela's,  Vermählung  mit  ihm,  mit  Teodoro!.  Just  beimMonolog- 
schluss,  im  letzten  Schaukelsprung  begriffen,  da  gerade  stürzt, 
auf  Marcela's  jubelhelle  Botschaft  von  der  Einwilligung  der 
Gräfin,  Teodoro's  Herz  aus  allen  Himmeln.  „Mich  täuschte  meine 
Thorheit"  —  klagt  sein  Aparte  —  „Schmach,  dass  ich  gewähnt, 
was  sie  gesprochen,  gelte  mir!"-)  —  Und  wirft  sich  ohne  wei- 

1)  Diana.  —  auuque  bien  sarä 

Easgarle 
Teod.  <:,  Easgarle  V 

Di  an.  Si; 

Que  no  importa  qne  se  pierda, 

Si  se  puede  perder  mas. 

2)  Teod.  (ap.)  Mi  ignorancia  nie  engano. 


Lope\s  Geniestreiche.  |91 

teres  aus  der  Pfanne,  worin  er  eben  im  eigenen  Fett  seiner  bang- 
seligen Liebeszweifel  geschmort,  in  die  feurigen  Kohlen  von  Mar- 
cela's  Liebe,  an  deren  wonneglühendem  Busen  ihn  die  eintretende 
Gräfin  erblickt.  Die  Situations-  die  Scenenfolge  allesammt 
Meisterstriche  theatralischer  Kunst.  Nicht  leicht  möchte  selbst 
unter  Lope's  Komödien  sich  eine  zweite  finden  lassen,  wo  die  Vir- 
tuosität im  Durcheinanderknüpfen  dramatischer  Parallelconflicte 
und  Zwischenfälle  mit  dem  Scheine  dramatisch-psychologischer 
Dialektik  so  genialisch,  so  überraschend,  so  täuschend  spiele,  wie 
in  dieser.  Welche  Musterkarte  von  gegenseitig  sich  balanciren- 
den  Zwiespältigkeiten!  Der  Gräfin  ünschlüssigkeitszwiespalt 
zwischen  Familienerbstolz  und  Liebesleidenschaft;  ihres  Se- 
cretärs  Teodoro  zwischen  einer  Pseudoliebe  und  wirklichen 
Leidenschaft  pendulirender  Seelenzustand ;  wobei  noch  ausser  den 
erstem,  die  Irrliebe,  sich  in  eine  passive  Nothliebe  und  in  eine 
joden  Augenblick  sich  des  Widerspruchs  innewerdende  Täu- 
schungsliebe, als  ihre  ünterabtheilung,  spaltet,  im  schwebenden 
Gleichgewichte  mit  dem  Herzensschwanken  der  Gräfin.  Und  um 
nach  allen  Seiten  hin  das  dialektische  Parallelspiel  der  psychologi- 
schen Dualität  zu  wahren:  der  Zwiespalt  in  Marcela's  Lage,  die 
ein  Liebesverhältniss  mit  Fabio,  dem  Haushofmeister  der  Gräfin, 
um  Teodoro's  willen  aufgegeben,  während  Fabio  sie  noch  immer 
treusinnig  liebt,  so  dass  Marcela  und  Fabio  in  ihrer  Be- 
ziehung zu  einander  das  Gegenpaar  zu  dem  Verhältniss  zwischen 
Marcela  und  Teodoro  abgiebt,  indem  letzterer  zu  Marcela  die 
Stellung  einnimmt,  die  Marcela  dem  Fabio  gegenüber  be- 
hauptet, und  hinwiederum  dieser  der  Marcela  mit  der  Liebes- 
treue anhängt,  die  sie  dem  Teodoro  aufdrängt!  Das  von  Gräfin 
Diana  verschmähte  und  in  unverbrüchlicher  Schicksalsgleichheit 
mit  verzweifelt  paralleler  Langweiligkeit  sich  immer  wieder  an- 
bietende Freierpaar,  Conde  Federico  und  Marques  Ei- 
cardo,  vervollständigt  das  merkwürdige,  mit  unübertrefflichem 
dramatisch -theatralischen  Kunstgeschick  und  Genie,  als  ein 
Meisterwerk  psychologischer  Komödien  -  Mechanik  aufgebaute 
Schaukel  System  paralleler  Herzensbeziehungen  und  Kämpfe. 


;Que  necio  pensaba  yo! 

Que  hablaba  eii  mi  la  Coiidesa. 


192  J^^s  spanische  Drama. 

Aus  Teodoro's  zwiespältiger  Umarmung  lässt  die  angeb- 
lich in  ihrer  hausherrlichen  Ehre  beleidigte  Gräfin^)  die 
arme  Marcela  von  deren  Dienstgenossin,  Dorotea,  auf  ihr 
Zimmer  bringen  und  daselbst  einschliessen  sine  ira  et  studio, 
wie  die  Gräfin  versichert.  2)  Nun  weiht  in  der  letzten  Scene 
des  ersten  Acts  Teodoro  die  Gräfin  Diana,  auf  ihren  Wunsch, 
in  das  Geheimniss  seiner,  trotz  Umarmung  und  Eheversprechen, 
unverfänglichen  Scheinliebe  ein,  mit  einer  Klarstellung  dieses 
Verhältnisses ,  als  hätte  er  es  auf  geflissentliche  Täuschung  der 
armen  Zofe  angelegt.  „Doch  die  zärtlichen  Schmeichelworte"  — 
inquirirt  die  Gräfin  —  „reine  Lügen!  Tausend  Lügen  auf  ein 
Tröpfchen  Wahrheit  und  das  kaum!"^)  Gräfin  dringt  auf  den 
Wortlaut.  Jetzt  gilt's,  die  Aequilibristik  bewundern,  mit  welcher 
Teodoro,  der  einzige  Spanier  in  der  Komödie,  auf  das  Doppelseil 
einer  neuen  Parallelspannung  in  Situation  und  Affectstimmung 
hinanspringt,  und  mit  welcher  Kunstfertigkeit  er  seine,  Marcela 
gegenüber,  vorgebrachte  Liebesschmeiclxelei ,  der  Gräfin  insi- 
nuirt!^)  Erstaunlich,  erstaunlich!  In  Diana's  Rosenöhrchen 
spalten  sich  sofort  wieder  diese  auf  zwei  Adressen  lautenden 
Schmeichelworte :  in  flüchtige  Eifersuchtsanwandlung  und  heim- 
liche Beziehung  der  idolisirenden  Schmeichelphrasen  auf  sich  selbst ; 
und  spalten  sich  gleichzeitig   auch  auf  Teodoro's  Lippen  in   die 


1)  Teodoro,  justo  castigo 
La  deslealtad  mereciera 

De  haber  perdido  el  respeto 
A  mi  casa. 

2)  No  direis  que  esto  es  enojo. 

3)  Vistiendo  de  mil  mentiras 
Una  verdad,  y  esa  apena. 

4)  Ich  sagt'  ihr:  Dieser  Augen  Zwillingspaar, 
Sie  sind  die  Sonnen  meiner  dunklen  Welt; 
Und  dieser  Mund,  so  purpurroth  geschwellt, 
So  himmlisch  —  — 

Teod.   —  „Esos  ojos 

(Le  dije),  esas  ninas  bellas, 
Son  luz  con  que  ven  los  mios 
Y  los  corales  y  perlas 
Desa  boca  celestial  ..." 


Diana's  Liebeswinke.  193 

Doppelabsicht:  die  Gräfin  auf  die  Eifersucht  zu  sondiren,  und 
zugleich  mittelst  der  Sonde  in  ihr  Herz  ein  Tröpfchen  Liebesge- 
ständniss  zu  flössen.  Den  Eifersuchtsstich  lächelt  Diana  in 
Gleichgültigkeit  um^);  die  innere  Lust,  dass  ihr  die  Schmeichel- 
vergötterung gelte,  springt  flugs  in  die  Mythe  von  jener  Freundin 
über,  für  die  sie  das  Sonett  von  Teodoro  hatte  schreiben  lassen,  und 
die  noch  immer  rathlos  geblieben,  wie  sie,  die  Freundin,  bezüg- 
lich des  jungen  Mannes,  sich  verhalten  soll,  der  unter  ihrem 
Stande,  und  für  den  sie  Liebe 2)  fühle  .  . .  Kurzum  die  gegen- 
seitigen Haarspaltereien  ihres  doppelsinnigen  Sichausholens  gleiten 
in  ein  beabsichtigtes  Hinfallender  sich  entfernenden  Gräfin 
aus  3) ,  damit  ihr  Teodoro,  durch  Handreichung,  aufhelfe.  ^)  Aus 
dienstlicher  Ehrerbietung  bietet  ihr  der  Secretär  die  in  den  Mantel- 
zipfel gewickelte  Hand:  „Welche  zierliche  Unart!"  —  schmält 
die  Gräfin!  —  „Mit  dem  Mantel  reichst  Du  mir  die  Hand?"^) 
Teodoro  stammelt  Berufung  auf  seine  Dienstesstellung.  Sie  aber 
fasst  ihn  an  dieser  gerade  beim  Zipfel,  nicht  am  Mantelzipfel.  ^) 
Der  bedeutsame  Wink,  das  Zittern  ihrer  Hand  in  der  seinigen, 


1)  „Doch  magst  Du  immer  glühn  bei  ihren  Reizen!"  .  .  . 

Que  yo  quiero  que  la  quieras  .  .  . 

2)  Para  a  quella  amiga  mia 
Que  ha  dias  que  no  sosiega 

De  amores  de  un  hombre  humilde. 

3)  Ein  Situationseffect ,  dem  wir  in  einer  ital.  Komödie  des  Cicognini 
begegneten,  den  der  Italiener,  allem  Anschein  nach,  aus  dieser  Komödie  des 
Lope  in  die  seinige  verpflanzte  (Gesch.  d.  Dram.  V.  S.  707  E). 

4)  Diana.      —  \ky  Dios! 

Cai  ^Que  nie  miras?  Llega, 
Dame  la  mano. 

5)  Diana.    iQue  graciosa  groseria! 

iQue  con  la  capa  la  ofrescas! 

6)  —  Ein  Secretär, 

—  Sein  Name  zeigt  es  schon,  —  kennt  seines  Herrn 
Geheimnisse,  und  muss  geheim  sie  halten; 
Das  heisst:  Lass  es  geheim  sein,  dass  ich  hier 
Gefallen,  wenn  Du  Dich  erheben  willst.  (ab.) 

Que  agora  eres  secretario; 

Con  que  te  he  dicho  que  tengas 

Secreta  aquesta  caida, 

Si  leventarte  deseas  (vase.) 

X.  la 


j94  I^^s  spanische  Drama. 

der  Wangen  rosiges  Erglühen  und  mehr  solcher  Selbstverräthe- 
reien  des  Herzens  —  Teodoro  ventilirt  das  Alles  im  monologischen 
Schluss-Sonett  des  Actes  und  wirft  dabei  sein  Herz,  wie  eine 
heisse  Kastanie,  aus  einer  Hand  in  die  andere,  und  fasst  sich 
endlich  ein  Herz,  aber  bis  auf  Weiteres  nur  so  weit,  um  jede 
Rücksicht  auf  die  arme  Marcela  in  den  Wind  zu  schlagen  ^\ 
was  sich  mit  der  Ehre  eines  spanischen  Liebesritters  sehr  gut 
verträgt  und  sie  so  wenig,  wie  eine  Parallellinie  die  andere, 
berührt. 

Der  zweite  Act  spinnt  die  Antithesen  zwischen  Gräfin, 
Zofe  und  Secretär  munter  fort,  mehr  in  verstärkten  als  ge- 
steigerten Spannungen  und  in  wechselnden  Nebensprüngen,  wo- 
von wir,  nach  der  umständlichen  Zergliederung  des  ersten  Actes, 
nur  die  Hauptspitzen  andeuten  dürfen.  Im  Seligkeitsschwindel 
seiner  Liebeshoffnung  zerreisst  Teodoro  Marcela's  von  Tristan 
ihm  überbrachtes,  liebevoll  zärtliches  Briefchen  ohne  es  zu  lesen, 
schaudernd  ob  der  Aufschrift:  „An  Teodoro,  meinen  Gatten." 2) 
Marcela  findet  die  Stücke  am  Boden  liegen  und  vernimmt  von 
Teodoro:  Mit  ihrem  Brief  zerriss  er  auch  sein  Verhältniss  zu 
ihr,  und  —  Gott  befohlen! 3)  Diese  ünwürdigkeit  muss  noch 
Marcela's  schneilversuchtes  Wiederanknüpfen  mit  Fabio  bemän- 
teln, wodurch  Beide,  Marcela  und  Teodoro,  für  unsere  Sympathien 
abgethan  sind!  Schade  um  Marcela,  die  so  rührend  anmuthig 
angelegt  schien.  Jetzt  hat  sich  ihr  Blättlein  so  gewendet,  dass 
am  duftigen,  von  Teodoro's  rauhem  Hauch  zerknitterten  Röschen 
nur  der  Dorn  festsitzt,  der  Dorn,  der  die  Aermste  in  der  Gräfin 
Auge  bleibt  *)  ~  der  Gräfin,  die  ihrem  Kammermädchen,  Anarda, 
ihre  Leidenschaft  für  einen  Menschen  niedrigen  Standes  bekennt, 


1)  Mas  dejar  ä  Marcela  es  caso  injusto; 
Que  las  mujeres  no  es  razon  que  esperen 
De  nuestra  obligacion  tanto  disgusto. 

Pero  si  ellas  iios  dejan,  cuando  quieren 
Por  cualquiera  interes  6  nuevo  gusto, 
Mueran  tambien  como  los  hombres  mueren. 

2)  (jMarido?   iQue  iiecio  enfado! 

3)  Marcela,  queda  con  Dios. 

4)  Diana.  —  no  hay  disgusto  que  sea 

Para  mi  major  agora. 


Taillen -Frage.  195 

entschlossen,  ihre  Standesehre  gegen  diese  Leidenschaft  zu  wah- 
ren J)  Die  plötzliche  Enthüllung  ihres  Herzens  vor  der  Zofe;  der 
ebenso  plötzliche  Vorsatz,  ihre  Standesehre  als  Löschhütchen  auf 
ihre  Liebe  zu  stülpen,  oder  diese  unter  den  Löscheimer  ihrer  Stan- 
desehre  zu  stellen  —  reime  diese  Prauenherzenspsychologie  mit 
dem  Verhalten  der  Gräfin  im  ersten  Act  zusammen,  wer  reimen 
mag  —  unser  sichbescheidendes  ürtheil  vermag  aus  solcher  üm- 
schlagspsychologie  eines  in  Hoheitsstolz  sich  gleichsam  vor  sich 
selbst  verhüllenden  Frauenherzens  sich  nur  den  Vers  zu  machen, 
dass  der  zweite  Act  an  dem  ersten  eben  auch  nur  so  hinläuft, 
wie  eine  Parallellinie  an  der  andern,  ohne  an  eine  Kreuzung  oder 
Verschränkung  mit  ihm  entfernt  zu  denken.  Es  müsste  denn  der 
unmittelbar  darauf  folgende  Auftrag  der  Gräfin  an  Teodoro 
einen  solchen  Rückgriff  in  den  ersten  Act  bedeuten;  der  Auf- 
trag: dem  Marques  Ricardo,  dessen  Taille,  auf  Befragen  der 
Gräfin,  Teodoro  vor  der  des  Conde  Federico  den  Vorzug 
giebt  —  den  Marques  ihre  auf  ihn  gefallene  Wahl  zu  ihrem  Gat- 
ten anzukündigen.  ^^)  Verblüfft  weiss  sich  Teodoro's  Monolog  aus 
dieser  plötzlichen  Umwandlung,  diesem  psychologischen  Umschlag 
in  Gräfin  Diana  eben  so  wenig  einen  Vers  zu  machen,  wie  Un- 
sereins J)  Kommst  du  mir  so,  so  komm'  ich  dir  so;  stülpst  du 
dich  mir  nichts  dir  nichts,  wie  ein  Handschuh,  um,  so  kehr'  ich 
mich,  dir  nichts  mir  nichts,  wie  ein  Strumpf  oder  eine  Nacht- 
mütze um;  so  kehr'  ich  —  wie  der  Hund,  gleichviel  ob  des 
Gärtners  oder  eines  Andern  Hund,  zu  seinem  vomissement  — 
kehr'  ich  zu  meinem  lieben  Marcelchen  zurück.'*)  Die  Rück- 
kehrscene  zwischen  Teodoro  und  Marcela  erschien  dessun^'e- 


1)  —  —  es  hombre 

Que  puede  infamar  mi  hoiior  .  .  . 

—  Yq  quiero 

No  querer. 

2)  Diana.  <iTiene  el  Marques  major  talle 

Que  mi  primo? 
Teod.  Si  seiiora. 

Diana.  Pues  elijo  al  Marques:  parte, 

Y  pidele  las  albricias. 

3)  Hai  mudanza  tan  notable? 

4)  Queramos  nuestra  Marcela. 

13^ 


196  ^^^  spanische  Drama. 

achtet  dem  grössten  französischen  Komödiendichter  werth  und 
würdig,  dass  er  sie,  zugunsten  einer  ähnlichen  Situation,  nach- 
ahmte ^),  aber  ohne  an  den  Hund  zu  erinnern,  qui  retoure  ä  son 
vomissement.  Wie  schon  im  ersten  Act  die  trauliche  Umar- 
mung, beschleicht  Gräfin  Diana  auch  diese  Versöhnungsscene 
im  zweiten,  nur  dahin  modificirt,  dass  sie  diese  in  Begleitung 
ihrer  Steigreifs- Vertrauten ,  Anarda,  belauscht,  und  hinter  bei- 
den die  unsichtbare  Hauskoboldin  der  spanischen  Komödie,  ihr 
Aschenputtel,  die  Eifersucht,  mit  ihrem  ßlasebälglein  daher- 
huscht,  das  auch  schon,  der  Gräfin  im  Kücken,  arbeitet  und 
pustet.^)  Ueber  die  zwischen  Marcela  und  Teodoro  von 
Tristan  zuwege  gebrachte  Versöhnung  kommt  das  Gebläse  der 
Koboldin  so  in's  Schnaufen,  dass  Gräfin  Diana  in  Einem  Athem 
glüht  und  friert  und  dies  der  Anarda  im  Vertrauen  bekennt.^) 
Tristan  erblickt  die  Gräfin  zuerst  und  entflieht  vor  dem  herein- 
brechenden, vom  Blasebalg  angefachten  Donnerwetter  "*),  das  sich 
in  einem  Brief  entladet,  den  die  Gräfin  dem  im  tiefsten  Her- 
zen erbebenden  Secretär  ^)  dictirt.  Teodoro  schreibt  knieend  ^)  — 
eine  Vorübung  zum  Hinknieen  beim  Kopfabschlagen,  das  er  er- 
wartet.'^)    Der  Brief  ist  kurz,  und  scharf  wie  ein  Beil:    „Wenn 


1)  Tartuffe,  Acte  IL  Sc.  3. 

2)  Diana  (ap.) 

Amor  con  celos  despierta. 

3)  Anarda  (ap.) 

—  me  hielo,  me  quemo. 

4)  Tristan  (ap.) 

El  cielo  a  tronar  comienza: 

No  pienso  ä  gnardar  los  rayos.    (vase.) 

5)  Teodoro  (ap.) 

Todo  el  corazon  me  tiembla. 

6)  Auch  diese  Scene  und  Situation  hat  Cicognini  nachgeahmt.  (Gesch. 
d.  Dram.  a.  a.  0.  S.  713. ) 

7)  Teodoro  (ap.) 

No  me  agrada  este  favor  .  .  . 
Que  quien  honra  las  rodillas 
Costar  quiere  la  cabeza. 
„Die  Gunst  missfällt  mir  .  .  . 
Und  wer  die  Kniee  ehrt,  will  an  den  Kopf." 
Die  Gräfin  hatte  ihm   von  Anarda  einen  Polster  unter  das  Knie  legen 
lassen. 


Was  sich  die  Ptiastersteine  erzählen.  j^97 

eine  vornehme  Dame  sich  einem  Niedriggestellten  erklärt  hat, 
ist  es  unverzeihlich  von  ihm,  sich  mit  einer  Anderen  in  ein 
trauliches  Gespräch  einzulassen;  wer  aber  sein  Glück  nicht  zu 
schätzen  weiss,  bleibt  sein  lebelang  ein  Thor."  0-  Teodoro  hat 
den  Brief  gefaltet  und  fragt  nach  der  Adresse:  „Setze  die  Dei- 
nige;  der  Brief  ist  für  Dich"  2)  —  und  geht  mit  Anarda  ab, 
die  nicht  nur  die  Scene  voll  Erstaunen  verfolgte ,  die  auch  noch 
der  Gebieterin  in's  Gesicht  sagte :  „Du  liebst!"  —  „Und  das  merkst 
Du  jetzt  erst?"  höhnt  sie  die  Gräfin  an.  —  „Doch  Wen?"  „Die 
Steine  —  dummes  Geschöpf!  —  erzählen  sich  davon,  und  Du 
fragst  noch?"  Die  Aufschrift,  die  sie  nach  diesen  Worten  den 
Secretär  aufs  Brief chen  setzen  hiess,  schreit  der  Anarda  in's 
Ohr,  was  die  Steine  im  Hause  murmeln J)  Nur  Teodoro  rollt 
noch,  allein  gelassen,  den  Brief  zum  Ohrtrichter  und  schiebt  ihn 
in  die  Gehöröffnung,  um  zu  lauschen,  was  die  Steine  murmeln 
und  kann's  noch  immer  nicht  recht  verstehen,  ^)  So  viel  hat  er 
indessen  durch  den  Ohrtrichter  verstanden,  um  mit  gutem  Ge- 
wissen seinem  Marc  eichen,  das  ihn  aufgesucht,  sogleich  wieder 
den  Laufpass  zu  geben,  und  ihr  eine  glückliche  Ehe  mit  Fabio 
zu  wünschen,  wonach  er  sich  empfiehlt.   Mit  dem  Ball  treibt  der 


1)  ,,Qiiando  una  mujer  principal  se  ha  declarado  con  un  hombre 
humilde,  es  lo  mucho  el  termino  de  volver  ä  hablar  con  otra;  mas  quien 
no  estima  su  fortuna,  quedese  para  necio/' 

2)  Pon,  Teodoro,  para  ti. 

3)  Anarda.  Pues  ä  quien  tienes  amor? 
Diana.      ^Aun  no  le  conoces,  bestia? 

Pues  yo  de  que  le  murrauran 
De  mi  casa  hasta  las  piedras. 

4)  Teod.       iHay  confusion  tan  extrana! 

iQue  aquesta  mujer  me  quiera 

Con  pausas,  como  sangria, 

Y  que  tenga  intercadencias 

El  polso  de  amor  tan  grandes! 
„Höchst  seltsam,  unbegreiflich!    Dieses  Weib 
Liebt  mich;  doch  ihre  Liebe  kommt  und  geht 
Stossweise,  wie  beim  Aderlass  das  Blut 
Bald  springt,  bald  wieder  ausbleibt.  Warum  zeigt 
Der  Puls  der  Liebe  so  viel  Stockungen? 
Nie  werd'  ich  sie  verstehn.** 


198  ü^s  spanische  Drama. 

Schlägel  kein  muthwilligeres  Spiel,  als  dieser  Secretär  mit  dem 
bald  zu-  bald  abgeschlagenen  Herzen  des  unglücklichen,  von  des 
„Gärtners  Hunde''-Komödie  so  grausam  misshandelten  Mädchens. 
Sprachlos  nachstarrend  dem  spanischen  Rohrprellstock,  presst  sie  ihr 
seufzervolles  Herz  in  den  witzigen  Vergleich  des  Teodoro  mit 
einem  Schöpfeimer  aus,  den  die  Gunst  der  Gräfin  füllt,  wenn  er 
nieder-  und  ihn  leert,  wenn  er  emporsteigt,  i)  Dass  er  den 
Doppeleimer  an  der  Welle  spielt,  das  weiss  selbst  Lope's  Komödie 
nicht,  desto  mehr  wissen  die  Steine  in  unserem  Hause  davon  zu 
erzählen.  Wie  Teodoro  die  Marcela,  so  kurz  fertigt  Gräfin  Diana 
in  der  nächsten  Scene  den  von  ihr  durch  Teodoro  zu  ihrem  Gat- 
ten erkornen  Marques  ab,  der  wieder  bereichert  um  einen  Korb 
mehr  zu  den  vielen  von  der  ihn  heimschickenden  Gräfin  ihm  auf- 
geladenen leeren  Körben,  so  stillvergnügt  abtrollt,  wie  ein  vom 
Gemüsemarkt  heimkehrender  Esel.  Und  das  Ballspiel,  das  Teo- 
doro mit  Marcela's,  Marcela  mit  Fabio's  Herzen  angestellt,  das 
führen  in  der  nächstfolgenden  Scene  zum  so  und  so  vielten  Male 
Teodoro  und  Gräfin  Diana  zusammen  aus,  trotz  Brief,  Knie- 
polster und  murmelnden  Steinen.  Sie  werfen  sich  einander  die 
Herzen  zu  und  zurück.  Teodoro  zuerst,  der  sich  den  „Thoren", 
womit  der  Gräfin  Brief  an  ihn  schliesst,  hinter  das  schwerhörige 
Ohr  geschrieben,  und  ihr  nun  stramm  weg  erklärt,  dass  er  sie 
liebe.  ^)  „Lieben?"  —  schlägt  die  mit  Ahnenschild  und  Stamm- 
baum bewaffnete  Gräfin  den  Ball  zurück  —  „Lieben?''  —  ja  wie 
der  Diener  die  Herrin  allerunterthänigst  zu  lieben  verpflich- 
tet ist.  Der  schwerhörige  Secretär  versteht  wieder  nicht.  ^)  „Was 
ist  da  nicht  zu  verstehen?"  —  giebt  die  Gräfin  zurück.  „Von 
einer  Dame  meines  Ranges  muss  ein  Mann  gemeinen  Standes, 
wie  Du,  die  geringste  Gunst  als  Glück  und  Ehrenschmuck  für's 


1)  Que  el  estä  como  arcaduz, 
Que  cuando  baja,  le  Uena 
Del  agua  de  su  favor, 

Y  qiiando  sube,  le  mengua. 

2)  ~  ya  soy  colpado 
de  necio  .  .  . 

Y  osi,  ä  decir  me  rcsiielvo 
Que  te  quiero. 

3)  Ese  Icnguaje  iio  eiitiendo. 


„Der  Hiuid  des  Gärtners/'  |99 

ganze  Leben  schätzen  und  preisen."  ^)  Diesen  Wink  mit  dem 
Stammbaum  als  Zaunpfahl  versteht  er'^),  aber  krumm,  und  sieht 
sich  gemüssigt,  der  Gräfin  in  aller  Ehrfurcht  und  ünterthänig- 
keit,  aber  rundweg  zu  erklären:  sie  sey  verrückt,  wenn  auch  nur 
stellenweis  und  mit  lichten  Intervallen.^)  Sie  schleudere  ihn, 
ärger  als  das  stärkste  Wechselfieber,  zwischen  Eis  und  Gluth  hin 
und  her.  Sie  gleiche,  mit  Verlaub  vor  Ihre  Gnaden,  dem  „Hund 
des  Gärtners",  auf  den  die  Komödie  getauft  ist,  welcher  Hund 
selbst  nicht  frisst,  aber  auch  keinen  andern  fressen  lässt.  ^)  Sie 
möchte  ihm  doch  mindestens  sein  Marcelchen  gönnen  —  „Jede 
Andere,  nur  die  nicht"  —  fährt  die  Gräfin  auf,  prasselnd  und 
sprühend,  wie  die  Eifersuchtsflamme  in  Person.  Nach  der  Mar- 
cela  kräht  kein  Hahn !  ■^)  —  „Wie,  kein  Hahn  ?  wenn  ich  sie  liebe 


1)  Que  de  una  mnjer,  Teodoro, 
Tan  principal,  y  mas  siendo 
Tis  meritos  tan  humildes, 
Basta  un  favor  muy  pequeno 
Para  que  toda  la  vida 
Vivas  honrado  y  contento. 

2)  „0  nun  versteh'  ich  Euchl" 

3)  Teod.  Gierte  que  vuseiioria 

(Perdoneme  si  me  atrevo) 
Tiene  en  el  juicio  ä  veces 
Que  no  en  el  entendimiento, 
Mil  lucidos  intervalos. 

4)  Mas  vienele  bien  el  cuento 

Del  perro  del  hortelano  .  .  . 
Pues  coma  e  deje  comer. 
Wiederholt   in    seiner  Folgescene   mit   Tristan,   vom  kunstverständigen 
Bearbeiter  und  Nachbildner  der  Komödie  aber,  die  diesen  Hund  im  Titel- 
wappen führt,   dem  Tristan  in  den  Mund  gelegt,  und  colorirt  mit  den 
schönsten  Parabelfarben : 

Tristan.  „Just  wie  des  Gärtners  Hund,  der  eine  Ziege 
Vom  Kohlstrunk  wegjagt;  und  da  sie  ihn  bat: 
jjFriss,  oder  lass  mich  fressen!*^  rief  er  barsch; 
„Ich  kann  ihn  nicht,  Du  sollst  ihn  nicht  gemessen!" 
Teodoro.       —  naturalmente 

Es  del  hortelano  el  perro. 
M  come  ni  comer  deja. 

5)  Que  me  case  con  Marcela  ,  ,  . 
Diana.  Eso  no  — 


200  ^^s  spanische  Drama. 

und  sie  mich  liebt  --  sie  anbete?"  Klatsch!  hat  er  den  Blase- 
balg im  Gesicht,  den  der  Gräfin  ihr  unsichtbarer  Aschenputtel 
in  die  Hand  gespielt.  Piffpaff!  auf  beide  Backen,  wie  sie  Juno 
der  Venus  nicht  schallender  versetzte,  und  so  maulschellen-ma- 
jestätisch  wie  Juno  ~  in  der  einen  Hand  den  Stammbaum,  in 
der  andern  den  Blasebalg  und  Funken  speiend,  wie  die  von  ihren 
Windschläuchen  bearbeitete  Schmiedeesse.  „Schuft,  infamer!^) 
umbringen  lass'  ich  Dich  auf  der  Stelle!''  ~  „Was  beginnen 
Euer  Gnaden?"  —  „Was  ich  beginne?  Das  beginn  ich:  Piffpaff! 
Du  Schmutzfink!  Pitschpatsch!  Du  grober  Tölpel!""-)  Schallt  und 
klappt  es,  wie  auf  französisch  Backpfeife  und  Blasebalg  in  das 
nämliche  Wort,  „Soufflet",  zusammenklappen. 

Hierzu  kommt  —  bewundert  die  komischen  Kraft,  womit  die 
neue  Situationsincidenz  einschlägt!  —  kommt  des  Marques  Ri- 
cardo Parallelfreier  um  seines  „Mühmchens",  der  Gräfin  Hand, 
kommt  Conde  Pederico.  Seine  halbe  Grafschaft  gäbe  er  um 
ein  Tröpfchen  des  Blutes,  das  er  aus  des  Secretärs  gemaulschell- 
ter  Nase  sickern  sieht  und  betroffen-neidisch  anglotzt.  Eine  Ohr- 
feige —  sey's  auch  in  Gestalt  einer  Nasenfeige,  von  heisser,  er- 
strebter und  umworbener  Hand  versetzt,  o  süsseste  der  Feigen! 
0  um  den  beglückendsten  der  Backenstreiche !  0  um  die  alsbald 
zur  bräutlich  gereichten  Hand  sich  entfaltende  Handschlags- 
knospe! 0  um  der  Mitgift  und  des  Gatten-beseligenden  Mahl- 
schatzes holde  Vorboten-  und  Herold-Dachtel!  —  glotzt  der 
gräfliche  Freier  und  Vetter  noch  immer,  offenen  Mundes  vor 
leckerer  Begier  nach  solchem  Nasenschneller  von  glühend  er- 
sehnter Hand.  „Ein  kleiner  Aerger"  —  erklärt  Mühmchen  Diana 
dem  neidverblüfften  Vetter  —  „ein  kleiner  Aerger,  wie  das  zwi- 


Que  Marcela  no  ha  de  ser  . 
—  Que  an  Marcela 
No  hay  remedio. 

1)  Diana.  ;Picaro,  infame! 

Hare  yo  que  os  maten  Ingo 
Estos  bofetones. 

2)  Teod.  Que  hace  vusenoria? 
Dian.  Daros,  por  sucio  y  grosero 

Estos  bofetones. 


Eine  verliebte  Ohrfeige.  201 

sehen  Herrn  und  Dienern  öfters  vorkommt."  0  Basta!  —  Mit 
der  Auskunft  ist  des  Conde  Freierbesuch  abgefunden,  dessen  fei- 
ner Eiecher  aber  sogleich  herausgeschnüffelt  hat,  was  hinter  dem 
„kleinen"  nasenblütigen  „Aerger"  steckt.  „Mich  bedünkt"  —  giebt 
er  dem  Fabio,  nachdem  die  Gräfin  sich  entfernt  hat,  zu  ver- 
stehen —  „mich  bedünkt,  dass  hinter  diesem  Aerger  ein  Geheim- 
niss  verborgen  liegt"  ^),  lässt  der  sein  Original  noch  überfeinernde 
deutsche  Nachbildner  den  Conde  Federico  tifteln  und  nüsseln, 
höfisch  zart  und  des  Conde  Abgangsbemerkung  vertuschend: 
„Sein  (Teodoro's)  Schnupftuch  ist  voll  Blut."  ^)  Das  Capital  aber, 
das  Teodoro  aus  diesem  Schnupftuch  und  aus  diesem  Blute 
schlägt!  Erstens,  die  in  einem  monologischen  Sonett  ausge- 
sprochene, nunmehr  unbeirrbare,  mit  seinem  Blut  besiegelte  Ueber- 
zeugung:  dass  ihn  die  Gräfin  liebt.*)  Ein  Schlag  in's  Gesicht 
von  Frauenhand  ist  die  beste  Handfeste  und  das  sicherste  Lie- 
bespfand, und  gar  ein  Schlag  voll  Nasenblut:  Grafenkron  und 
Kittergut.  Diana's  hastige  Wiederkehr,  ihre  zärtlich  beherzte 
Anfrage  um  Teodoro's  und  seiner  Backe  Befinden,  ihr  drin- 
gendes Verlangen  nach  seinem  Taschentuch  ^) :  ihre  Grundangabe 
auf  Teodoro's  „Wozu?"  —  „Weil  das  Blut  ich  liebe"  ^)  —  es 
brauchte  gar  nicht  des  vom  deutschen  Nachformer  in  Parenthese 
angeschnörkelten  Verschönerungszuges  („küsst  heimlich  das  Tuch"), 
es  braucht  dessen  gar  nicht,  um  die  binnen  wenigen  Augen- 
blicken hochaufgelaufenen  Zinsen   zu  berechnen,   die  Teodoro 


1) 

—  enojos  que  pasan 

Entre  criados  y  duefios 

2) 

Yo  sospecho 

Que  en  estos  disgustos  liay 

Algunos  gustos  secretos. 

Ich  argwöhne: 

Hinter  dieses  Aergers  Unlust 

Liegt  geheime  Lust  verborgen. 

3) 

Banole  de  sangre  el  lienzo. 

4) 

Si  aquesto  no  es  amor  ^ique  nombre  quieres, 

Amor,  que  tengan  desatinos  täles?  .  .  . 

5) 

^Adonde  tienes  el  lienzo  V 

6) 

Teod.  (SPara  que? 

Diän.  Para  que  este  sangre  quiero. 

202  Das  spanische  Drama. 

sofort  zum  Capital  in  geschlagenem  und  geprägtem  Ohrfeigengolde 
schlägt;  —  die  zweitausend  escudos  ungerechnet,  die  ihm  die 
Gräfin,  auf  Abschlag  seines  Mahlschatzes  und  ihrer  Mitgift,  vom 
Haushofmeister  ^)  auszahlen  lässt,  und  ohne  ihr  „Dazu"  auf  Teo- 
doro's  „Wozu?"  in  Anschlag  zu  bringen:  nämlich  „zu  Taschen- 
tüchern." 2)  Zweitausend  spanische  Thaler  zu  Schnupftüchern  -- 
0  des  Blutgelds !  o  der  Goldgrube  von  rentabler  Nase !  „Um  den 
Preis"  —  meint  Tristan  im  Anhängselscenchen  zum  zweiten  Act — 
„kannst  Du  Dir  ja  stärkere  vier  Backpfeifen  alle  Nasenlang  von 
ihr  ausbitten."  ^)  Zuletzt  muss  noch  das  Scenenendchen  sein  spitzes, 
den  Komödientitel  bestichelndes  Epigrammenstachelchen  durch 
Teodoro's  Mund  hervorschieben.  Der  Stachelvers  besagt:  „Nun 
des  Gärtners  Hund  gebissen  hat,  fängt  er  zu  wedeln  an."^)  In 
Lope's  Act-ßestchen  kommt  Teodoro  auf  den  Hund  —  des 
Gärtners  zurück ;  in  seines  Verschönerers  und  den  Terro  del  Hor- 
telano'  hofbühnengerechtleckenden  Verfeinerers  Schlussanhängsel 
ist  Tristan  derjenige,  welcher  des  Gärtners  Hund  beissen  und 
wedeln  lässt;  nicht  ohne  sinnreiche  Hinzielung  auf  jenes  andere 
hundebetreffliche  Sprüchwort:  „Komm'  ich  über  den  Schweif,  so 
komm'  ich  auch  über  den  Hund"  —  eine  Zuversicht,  die  Lope's 
kunstgewandter  Abschleifer  mit  feinem  Verständniss  nur  den 
Tristan  eben,  die  eigentliche  dramatische  Triebfeder  der  Ko- 
mödie, aussprechen  lassen  durfte;  den  Tristan,  der  nicht  blos 
sich  und  seinem  Herrn  sammt  dem  übrigen  Personal,  der  auch  der 
Komödie  selber  über  ihren  Titel  hinweghilft,  über  den  Schweif 
und  über  den  Hund,  wie  der  letzte,  der  dritte  Act  zeigen 
wird;  ja  worauf  der  deutsche  „Theodor",  den  spanischen  Teo- 
doro überbietend,  in  seinem  Abschlussseufzer  zum  zweiten  Act 
hinausweist,  welcher  Seufzer  als  Klageecho  seines  noch  immer 


1)  —  ä  quien  agora 
Mande  que  te  dien  luego 
Dos  mil  escudos,  Teodoro. 

2)  Teod.  ^Para  que? 

Dian.  Para  hacer  lienzos. 

3)  Trist.  Bien  puedes  tomar  al  precio 

Otros  cuatro  bofetones. 

4)  No  auda  mal  agora  el  perro 
Pues  despues  que  muerde,  halaga. 


Fabel  ex  tempore.  203 

sich  hin-  und  herschaukehiden  Zweifels  und  Widerstreits,  that- 
unschlüssig,  verhallt: 

,,Dass  Du  (Tristan)  den  blöden  Spass  nicht  lassen  kannst, 
Wenn  ängstlich  in  mir  streiten  Lust  und  Qual! 
0  Himmel  gieb,  dass  diese  Zweifel  enden." 

Den  „blöden  Spass"  vorläufig  noch  in  petto  behaltend,  denkt 
Tristan  im  Stillen:  Ei  du  blöder  Zweifler!  Du  sammt  Komö- 
die, Titel  und  Zubehör,  ihr  alle  stündet  noch  auf  demselben  Fleck, 
trotz  eurem  ewigen  Widerstreit  zwischen  Lust  und  Qual,  trotz 
euren,  wie  parallel  an  parallelen  Stricken  hängende  Uhrgewichte, 
immer  wieder  aufgewundenen  und  abgelaufenen  Herzenszwiespälten, 
ja,  trotz  eurer  von  der  französischen  Poetik  —  die  das  Dogma 
der  spanischen  Komödie,  wie  so  Vieles  abgefugst  —  als  die  Seele 
dramatischer  Bewegung  gepriesenen  und  eingeschärften  Her- 
zenskämpfe, „combats  de  coeur"  genannt  —  Alle  stündet  ihr 
noch  auf  demselben  Fleck  ohne  meinen  „Spass",  den  ich  mir 
für  den  letzten  Act  aufspare,  und  der  allein  euren  Zweifeln, 
euren  combats  de  coeur  und  eurer  Komödie  ein  Ende  macht. 

Des  Spasses  Hauptspass  ist  nun  aber,  dass  Tristan,  um 
ein  Ausgangsferment  von  dramatischer  Handlung,  um  eine  komi- 
sche Katastrophe  in  die  Komödie  zu  bringen,  um  diesen  Gäh- 
rungs-  und  Klärungstropfen  von  Fabelentwickelung,  um  dieses 
Stückchen  Sauerteig  von  letztgültiger  Entscheidung  und  die  dra- 
matischen Ursachsmomente  zusammenfassender  Schlusswirkung  in 
die  Conflicte  zu  werfen  —  dass  Tristan  dieses  Handlungsfer- 
ment, dieses  Stückchen  Sauerteig  von  dramatischer  Fabel  der 
italienischen  Komödie  entraffen  muss!  So  unfruchtbar  sind 
blosse  Affectspiele,  Seelenzwiespälte,  innere  Widerstreite,  sind  noch 
so  bewegte  an  Contrastsituationen,  Wandlungen  und  Stimmungs- 
umsprüngen  noch  so  reiche  Herzenskämpfe,  und  sind  die  noch  so 
leidenschaftlichen,  mit  noch  so  phychologischer  Dialektik  und  fein- 
meisterlicher Kunst  gegeneinander  abgewogenen  combats  de  coeur 
—  so  unfruchtbar  sind  sie  an  wahrhaft  dramatischem  Leben,  an 
dramatischer  Triebkraft  und  Fortentwickelung  zu  einer  aus  den 
Conflicten  selbst,  als  Reflexen  der  Fabelmomente,  mit  poetischer 
Noth wendigkeit  entspringenden  Katastrophe  und  Genugthuung! 
Die  conditio  sine  qua  non  zu  solcher  das  ganze  Stück  durchwal- 


204  I^^s  spanische  Drama. 

tenden  Schlusswirkung  ist  eben:  die  von  der  philosophischen  Poe- 
tik postulirte  dramatische  Fabel;  ist  ein  äusserer,  aber,  wohlge- 
merkt! dramatisch  durchgeistigter,  d.  h.  mit  den  inneren  Herzens- 
conflicten  und  Leidenschaften  innig  verwebter  Vorgang,  ohne  wel- 
chen die  heftigste  Gemüthserregung,  die  stärkste  Leidenschaft,  das 
stürmischste  Herz  wie  der  im  heissen  Sande,  und  je  heisser  desto 
vergeblicher  sich  abkeuchende  und  desto  kläglicher  sich  todtzap- 
pelnde  Fisch.  Natur  und  Kunst,  äusseres  und  inneres  Le- 
ben —  wo  diese  Wechselwirkung  und  Ineinanderspiegelung  fehlt, 
kommt  nichts^  Gescheidtes  zustande,  am  allerwenigsten  im  Drama, 
dem  vorzugsweis  kunstidealen  Abbilde  jener  aus  anfüglicher  Ge- 
genwirkung that- dialektisch  sich  vollziehenden  Ineinsgestaltung. 
Das  Naturmoment  im  Drama  vertritt  aber  die  thatsächliche  Fabel 
eben,  die  in  Handlung  gesetzten  und  nur  als  solche  zur  Erschei- 
nung kommenden,  als  kunstwirkliche  Naturerscheinung  sich  oifen- 
barenden  Affecte,  Leidenschaften,  seelenaufrührerischen,  aus  tief- 
stem Lebensgrunde  hervorgebrochenen  Gemüthsstürme,  gleich- 
viel ob  von  geschichtlichen  oder  gesellschaftlichen,  komischen  oder 
tragischen  Motiven  aufgeregt;  ob  in  majorem  gloriam  welthisto- 
rischer Ideen  und  Cultur-Ideale,  oder  häuslicher  Gesittungsläu- 
terung des  Familienlebens  durchgekämpft. 

Darum  Lob  und  Preis  Dir,  wackerer  Tristan!  für  den  küh- 
nen Griff  in  die  italienische  Findlingskomödie,  behufs  eines 
Schlussmotives  wenigstens,  in  Ermangelung  einer  durchgängigen 
Fabel  und  einer  in  den  ersten  zwei  Acten  vorbereiteten  Ka- 
tastrophe. Preis  und  Ehre  Deinem  herzhaften  Griff,  zu  welchem 
Dich  ja  schon  der  Boden,  wo  Dein  improvisirter  Austrags-An- 
schlag  gedeiht,  der  italienische  Grund  und  Boden,  der  Schauplatz 
der  Komödie,  Neapel,  eignet  und  berechtigt.  So  stehst  Du 
denn  als  regelrechter  „Armenier"  vor  Diana's  ehrenfestem 
Oheim  Conde  Ludovico,  dem  ein  Söhnchen  im  Kindesalter 
von  türkischen  Piraten  geraubt  worden,  wie  Du  zu  dem  Behufe 
erkundet,  als  Dir  plötzlich  im  dritten  Act,  wo  Dir  und  der  rath- 
losen  Komödie  die  Katastrophe  bereits  auf  die  Nägel  brannte, 
der  anschlägige  Einfall  kam,  Deinen  jungen  Gebieter,  Teodoro, 
zur  Ebenbürtigkeit  mit  Gräfin  Diana,  durch  ein  aus  dem  Aer- 
mel  geschütteltes  Märchen  zu  lügen  und  zu  trügen,  da  das  Lie- 
bespaar, Diana  und  Teodoro,  unbekümmert  um  alles,  was 


Teodoro  ein  Findlings-Graf.  205 

zwischen  ihnen  in  den  ersten  zwei  Acten  vorgefallen,  und  selbst 
der  einzigen  zur  Noth  dramatischen  Fortschrittsbedingung  in  die- 
sen zwei  Acten:  der  gegenseitigen  Liebesgewissheit  nach  so  vie- 
len Ab-  und  Rückschwüngen,  ganz  und  gar  vergessend  —  da  das 
Liebespaar  doch  wieder,  und  gleich  in  der  ersten  Scene  des  drit- 
ten Acts,  auseinanderschlägt:  Teodoro,  indem  er  aus  heiler 
Haut  von  der  Gräfin  die  Erlaubniss,  nach  Spanien  zurückzu- 
kehren, erbittet^),  und  die  Gräfin,  mit  thränenvoUem  Rück- 
blick auf  die,  als  flammendsten  Liebesbeweis  seiner  Wange  auf- 
geglühte Ohrfeige,  ihm  Glück  auf  den  Weg  wünscht,  und  mit 
dem  Reisesegen  zugleich  ein  Reisegeld  voii  6000  spanischen  Tha- 
lern anweist:  Seine  Abreise  käme  ihr  gelegen,  da  ihr  Vetter 
und  Freier,  Federico,  seit  jener  Ohrfeige  sich  eifersüchtig  gegen 
sie  gebärde,  was  der  Hoheit  ihres  Standes  nicht  genehm  seyn 
könne.  Drum  zieh'  hin;  „giebst  Du  auch  Wasser  meinen  Au- 
gen, so  giebst  Du  durch  Deine  Entfernung  doch  Ehre  meinem 
Hause."  2)  und  wiederholt  dem  wieder  Eingetretenen  auf  seine 
Anfrage,  ob  er  noch  heute  abreisen  könne,  dringend:  Zieh'  ab! 
mach'  mir  das  Herz  nicht  schwer,  damit  es  im  Balanciren  mit 
meiner  Standesehre  nicht  durch  üeberwucht  deren  Wagschale 
emporschnelle.  Geh'  nach  Spanien,  Trauter!  mach',  dass  Du  fort- 
kommst!^) Sie  sagt  das  in  zierlichem  Spanisch,  feiner,  schmel- 
zender, und  lässt  das  Zünglein  an  der  Schaukelwaage  noch  eine 
Weile  hin-  und  herspielen  —  Sinn  und  Meinung  der  Situation 
aber  entsprechen  genau  unserer  Wiedergabe,  und  wenn  diese  pa- 


1)  —  te  pido 
Licencia  para  irme  ä  Espaiia. 

2)  Y  aunque  des  agua  ä  mis  ojos, 
Honra  a  mi  casa  daräs. 

Que  deste  aquel  bofetan 
Federico  me  ha  tratado 
Como  celoso,  y  me  ha  dado 
Para  dejarte  ocasion, 
Vete  ä  Espana;  que  yo  hare 
Que  te  den  seis  mil  escudos. 

3)  Pero  vete;  que  el  amor 
Lucha  con  un  noble  honor  .  .  . 
Vete,  Teodoro,  de  aqui  .  .  . 


201)  Das  spanische  Drama. 

rodistiscli  klingt,  so  ist  die  Paradie  doch  nur  der  Wiederhall  des 
Innern  Gehaltes  der  Scene  und  der  Gesinnung.  Die  unfreiwillige 
Parodie  wird  noch  auffälliger  und  anstössiger  durch  Teodoro's 
muthmaasslichen  Beweggrund  zur  Abreise:  Furcht  nämlich, 
Furcht  vor  dem  Freiergespann  am  Werbe-Karren  voll  erhaltener 
Körbe;  Furcht  vor  Marques  Kicardo  und  Conde  Fede- 
rico  —  blosse  Furcht  vor  deren  bis  zum  Meuchelmorde  gediehe- 
nen Nachstellungen,  wie  er  durch  Tristan  erfahren,  den  die 
zwei  Nebenbuhler,  getäuscht  von  seiner  Armenier-Maske,  zur  Er- 
mordung des  Teodoro  geworben.  ^)  Wie  üppig  die  Pilze  der 
Stegreifs-Motive  aus  dem  Boden  des  dritten  Actes  vor  unseren 
Augen  emporschiessen !  Einer  dieser  Schwämme  sitzt  an  Conde 
Ludovico's  Stammbaum,  im  schönsten  Purpur  der  brennenden 
Liebe  prangend,  die  Conde  Ludovico  eben  nur  rasch  im  dritten 
Act,  für  Diana's  Secretär,  Teodoro,  gefasst.  Der  ganze 
Schwamm  Stegreifspilze  schiesst  nun  in  den  ßiesenpilz  des  vom 
Armenier  Tristan  aus  der  Luft  gegrijffenen  Märchens  auf:  dass 
nämlich  Teodoro  des  Conde  Ludovico  von  Piraten  geraubter 
Sohn  ist,  welcher  Sohn  ebenfalls  ad  hoc  'Teodoro'  hiess;  dass 
sein,  des  Armeniers,  Vater,  den  Knaben  den  Seeräubern  abge- 
kauft, ihn  erzogen  —  dass  er,  der  Armenier,  den  Geraubten,  in 
den  Strassen  von  Neapel,  hoch  zu  Ross,  habe  paradiren  sehen  und 
ihn  sogleich  erkannte  —  kurz,  einer  von  den  Findlingspilzen,  an 
denen  wir  uns  in  der  lateinisch -italienischen  Komödie,  wo  sie 
perennirten,  Cholerasymptome  gegessen,  den  aber  Conde  Ludo- 
vico, wie  der  leckerste  Champignon-Schwelger,  als  schmackhaf- 
ten Blätterpilz,  Agaricus  deliciosus,  mit  Stumpf  und  Stiel  ver- 
schlingt und  gleich  auch  vor  Vaterwonne  den  Armenier  mitfres- 
sen möchte.^),    und  läufst  Du  nicht,  frisst  Du  nicht,  Hals  über 

1)  In  Marcela's  unmittelbar  nach  Teodoro's  Abschiedsscene  mit  der 
Gräfin  folgender  Parallelscene ,  worin  aiicli  sie  ihren  Abschied  von  der 
Gebieterin  wünscht,  giebt  Marcela  den  Grund  von  Teodoro's  Abreise  mit 
klaren  Worten  an:  ,, Furcht  vor  Gefahr": 

Dicen  que  se  parte  hoy, 
Por  peligros  que  recela, 
Teodoro,  ä  Espaila. 

2)  Dame  mil  veces  tus  brazos; 
Que  el  alma  con  sus  potencias 


Wettkam])f  zwischen  Liebe  und  Wahrheitsliebe.  2(i7 

Kopf  ZU  seiner  Nichte,  Diana,  die  inzwischen  dem  Teodoro  das 
Ränzel  hat  schnüren  und  mit  allerlei  köstlicher  ßeisezehrung, 
Geld,  Wäsche,  Kleidungsstücken,  vollpacken  helfen,  die  feinen  Perl- 
chen, ihre  dem  Ahnenstolz  heimlich  entrungenen  Abschiedsthrän- 
lein,  ungerechnet.  Freudetrunken  wirft  Conde  Ludovico  seine 
Findlingsbombe  dazwischen,  die,  gleicli  der  Pistole  des  Taschen- 
spielers, zwei  Trauringe  dem  Liebespaar  an  die  Goldfinger  knallt. 
Wer  sich  aber  trotztem  wieder  in  seinen  Zwiespaltskampf  zurück- 
stürzt, ist  Teodoro;  in  seinen  schönsten,  wie  beim  Preisringen, 
als  sehenswürdigstes  Kraftstück  zuletzt  producirten  Ringkampf 
zwischen  Liebe  im  Allgemeinen  und  Wahrheitsliebe  im 
Besondern,  bis  letztere,  angesichts  der  Gräfin  Braut,  die  Liebe 
niederringt  und  unterkriegt.  In  dem  entscheidenden  Augenblick 
stellt  Teodoro,  mit  der  nun  hochbeglückten,  ob  seiner  Eben- 
bürtigkeit jubelseligen  Braut,  unter  vier  Augen,  die  ganze 
Komödie  durch  Enthüllung  von  Tri  st  an' s  Lug  und  Trug  in 
Frage:  Sein  Ehrgefühl,  der  Adel  seiner  Denkungsart,  widerstrebe 
solcher  Täuschung.  Ihm  gelte  Wahrheit  über  Alles  —  wie  sein 
Verhalten  gegen  Marcela  bewiesen  —  er  müsse  daher  auf  seine 
Bitte  um  Erlaubniss,  nach  Spanien  abreisen  zu  dürfen,  zurück- 
kommen. 1)  Fürwahr,  schöne  herrliche,  ihn  solchen  Glückes  wür- 
digende, und  zur  Ebenbürtigkeit  mit  der  fürstlichen  Geliebten 
zweifellos  adelnde  Selbstentsagung!  die  aber  leider  nur  Teodoro's 
unmännlicher,  durch  das  ganze  Stück  von  Eigenliebe,  herzlosem 
Wankelmuth  hin-  und  hergezerrter  Charakter  in's  Gesicht  schlägt, 
ehrenrühriger  und  beschämender,  als  der  ihm  von  der  Gräfin  ver- 
setzte Gesichtsschlag,  den  er  sich  durch  ein  Geldgeschenk  ver- 
süssen liess.  Doch  auch  wieder  ein  Entsagungsentschluss,  dem 
an  innerer  Haltlosigkeit  und  trügerischem  Gesinnungsscheinadel 
nur  das  Festhalten  der  Gräfin  an  seiner  auch  erlogenen  Eben- 


Que  es  verdadera  tu  historia 
en  SU  regocijo  muestran. 
1)  Mi  nobleza  natural 

Que  te  engane  no  me  deja, 
Porque  soy  naturalmente 
Hombre  que  verdad  profesa, 
Con  esto,  pör  ir  a  Espaiia 
Vnelvo  a  pedirte  licencia. 


208  I^as  spanische  Drama. 

bürtigkeit  gleichkommt.  Kein  Festhalten  aus  frauenhaft  hoch- 
herziger Anerkenntniss  eines  solchen,  vom  edelsten  Männerstolz 
und  Ehrgefühl  der  Liebe  abgerungenen  Opfers,  wie  etwa  Minna 
von  Barnhelm  sich  einem  Tellheim  in  die  Arme  wirft  —  nicht 
von  ähnlichem,  sittlich  hohem,  heroisch  weiblichem  Seelenverwandt- 
schafts- und  inneren  Adels  Ebenbürtigkeitsgefühle  bewältigt  und 
hingerissen,  kann  Gräfin  Diana  nun  und  nimmer  von  Teodoro 
lassen:  ihre  Leidenschaft  für  den  Secretär  lässt  nur  darum  nicht 
locker,  weil  dieselbe  jetzt  in  der  Lage  ist,  sich  mit  Teodoro's 
dreist  erlogener,  aber  von  Oheim,  Familie,  von  aller  Welt  für  acht 
erkannter  Ebenbürtigkeit  abfinden  zu  können,  und  den  Schein 
ihrer  Geburts-  und  Adelsehre  doch  vor  der  Welt  jedenfalls  zu 
retten  und  gesühnt  zu  wissen.  Das  Auskunftsmittel,  die  Niedrig- 
keit seiner  Geburt  zu  verdecken,  komme  ihr  erwünscht  und  ge- 
legen. Er  müsse  ihr  Mann  werden,  und  damit  Tristan,  der 
Einzige,  der  um  das  Geheimniss  weiss,  nicht  plaudere,  wird  sie 
ihn  noch  diese  Nacht  im  Schlafe  festnehmen  und  in  den  Brunnen 
werfen  lassen.  0  „Dabei  müsst'  auch  ich  seyn!"  schiebt  Tristan 
den  Kopf  aus  seinem  Versteck  vor,  wo  er  Alles  ad  hoc  behorcht 
hat.  Zum  Glücke  steht  die  letzte  Scene  vor  der  Thür,  die  vor- 
geschriebene Aufbruchsstunde  ansagend.  Sie  fährt  mit  einer 
Prachtkalesche  vor,  deren  mit  der  Grafenkrone  geschmückten  Kut- 
schenschlag der  vaterfreudige  Conde  Ludovico,  neben  ihm  die 
beiden  den  Familienjubel  theilenden  Exfreier,  Marques  Ei- 
cardo  und  Conde  Federico,  und  umgeben  von  seiner  ganzen 
Dienerschaft,  dem  wiedergefundenen  Sohne  öffnet,  um  ihn  in's 
väterliche  Haus,  an  die  Stätte  seiner  Geburt  zu  führen,  doppelt 
beglückt  durch  die  Erklärung  der  Gräfin,  seiner  Nichte,  dass  sie 
Teodoro's  Gattin 2),    infolge    dessen    der   Conde   zwei  Kinder, 


1)  Yo  he  de  sasar  contigo; 

Y  porque  Tristan  no  pueda 
Decir  aqueste  secreto, 
Hoy  bare  que  cuando  duerme, 
En  ese  pozo  de  casa 
Le  sepulten. 

2)  Liidov.  Dos  hijos  saco  de  aqui, 

Si  vine  por  uno. 


Zwei  Teodoro's  in  Einem.  209 

Nichte  und  Sohn,  in  sein  Haus  bringe,  ohne  die  leiseste  Ahnung, 
dass  er  deren  zwei  in  dem  einen  Teodoro  heimführt.    Ja,  zwei 
regelrechte  Parallelsöhne  in  dem  Einen  Teodoro:  der  Eine,  für 
den  er  Teodoro  jetzt  hält;  der  zweite,  als  den  sich,  eintretenden 
Falles,  Teodoro  aus  dem  Pseudo-Findling  über  kurz  oder  lang 
zu  einem  wirklichen  Findlingssohne  herausschälen  könnte,  behufs 
welcher  Eventualität  Teodoro  denn  auch  in  einem  der  Gräfin  un- 
ter vier  Augen  so  mannhaftedel  und  wahrheitsbeflissen  abgelegten 
Entsagungsgeständnisse  die  seine  Geburt  betreffende  Frage  offen 
gelassen.    In  jenem  Bekenntniss  warf  er  bloss  hin:    „Ich  kannte 
nie  meinen  Vater"  ^),  kein  Wort  weiter  über  seine  Herkunft  hin- 
zufügend.   Heisst  das  nun  nicht,  die  Möglichkeit  einer  Findling- 
scliaft  unter  den  Fuss  geben?    Hiezu  sein  Name  'Teodoro',  be- 
rührtermaassen,  auch  der  Name  von  Conde  Ludovico's  geraubtem 
Söhnlein.    Ferner  des  Conde  sonst  völlig  unerklärliche,  vaterin- 
nige Liebe  zu  dem  ihm  noch  fremden  Jüngling,   dem  Secretär 
seiner  Nichte  und  dann,  beim  vermeinten  Wiederfinden,  das  her- 
vorbrechende nur   aus  der  Stärke  des   unbezwinglichen  Naturin- 
stinctes    zu    erklärende   Vaterjauchzen  —  wer   empfände    nicht, 
dass  Lope,  bei  aller  Flüchtigkeit  und  erfindsam  vielschreiberischen 
Eilfertigkeit,  der  intentionellste,  an  Busengedanken  und  versteck- 
ten Compositionsabsichtlichkeiten  reichhaltigste   aller  spanischen 
Bühnendichter,  auch  diesen,  Teodoro's  Herkunft  betreffenden  Um- 
stand in  behutsam  geflissentlicher  Schwebe  lassen  mochte,  um, 
aus  Rücksicht  auf  gewisse  Empfindlichkeiten,   die  Missheirath  zu 
verschleiern;  zugunsten  der  Annahme,  Teodoro  könnte  doch  des 
Conde  Ludovico's  Sohn  seyn,   ein   geheimes  Hinterthürchen  im 
Rücken  seiner  Komödie  anzubringen,  und  doch  dabei  auch  sein 
Komödienproblem  durchzuführen?  Uns  aber  zugleich  inTeodoro's 
Doppelfindlingsfigur,    eines    vorgespiegelten    in    der    Komödie, 
und  eines  eventuell  wirklichen  Grafensohn-Findlings  jenseits  der- 
selben, zu  den  unzähligen,    und  von  dieser  Komödie  reichlich 
vermehrten  Belegen  für  den  als  Gestaltungskategorie  und  Denk- 
form gleichsam  dem   spanischen  Gehirn   eingepflanzten  Parallel- 
typus  ein  neues,  gar  merkwürdiges  Exemplar  an  die  Hand  zu 
geben!   Theilt  doch  Lope's  Comedia:    „Der  Hund  des  Gärtners" 

1)  -^  no  he  conocido  padre. 

X.  14 


210  I^as  spanische  Drama. 

in  Pausch  und  Bogen  jenes  Doublettengeschick ,  indem  sie  in 
zweifacher  Gestalt  vorliegt,  nur  mit  verschiedenem  Titel:  einmal 
als  'Ferro  del  Hortelano',  dann,  als  Doppelgängerin  ihrer 
selbst,  betitelt:  La  Gondesa  de  Belflor,  benannt  nach  ihrer 
Heldin,  Diana,  Gräfin  von  Belflor,  und  dem  Moreto  zugeschrie- 
ben. Demgemäss  denn  auch  der  übliche,  hier  von  Teodoro  an 
den  'Senado  noble',  das  hochedle  Publicum,  gerichtete  Empfehl- 
und  AbSchiedsspruch  nur  die  Titelvariante  in  dem  sonst  identi- 
schen Doppelstück  zu  berücksichtigen  braucht: 

Dando,  con  licencia  vuestra 
Del  Ferro  del  hortelano 
(de  la  Condesa  de  Belflor) 
Fm  la  nuestra  Comedia. 

Darf  nun  Agostin  Moreto,  hinsichtlich  des  Duplicats  zu  Lope's 
*  Ferro  del  Hortelano',  die  Hände  in  Unschuld  waschen:  so  hat  er 
doch  zu  der  berühmtesten  und  kunstreichsten  aller,  nicht  blos 
spanischen  Mantel-  und  Degenspiele,  überhaupt  aller  Salonkomö- 
dien hohen  Styls,  so  hat  er  doch  zu  jenem  Wunder  des  feinen  Lust- 
spiels, zu  seiner  Comedia,  'Desden  con  el  Desden'  (Donna  Diana),  eine 
dem  „Phönix"  der  spanischen  Bühne,  unserem  Lope,  beim  Mau- 
sern entfallene  Feder  erhascht,  und  selbige,  —  wie  das  Jesuskind  in 
der  Legende  einen  aus  Thon  von  ihm  gebildeten  Vogel,  dem 
Teufel  vor  der  Nase,  als  schmuckes  Vöglein  mit  himmlischem 
Gefieder  emporfiattern  Hess  —  ähnlich  als  herrlichsten  Junovogel, 
als  prachtstolzen,  einen  halben  Sternenhimmel  zum  Juwelen- 
schweifrad  auflachernden  Pfau  sich  aufschwingen  lassen.  Die  dem 
Lope  bei  der  Mauser  von  Moreto  gemauste  Feder  ist  das  Grund- 
motiv in  Lope's  Comedia: 

Los  Milagros  del  Desprecio^) 
„Die  Wunder  der  Verschmähung" 

die  freilich  Moreto's  'Donna  Diana'  erst  zu  diesen  Wundern  ge- 
zaubert, und  die  sich  uns  hier,  wie  von  selbst,  als  tetralo- 
gisches Anschlussstück  zur  dritten  trilogischen  Gruppe  darbietet. 
War  ja  docli  Lope's  Genie  einverständlich  die  Diamanten- 
grube, woraus  seine  zeitgenössischen  und  Nachfolge-Bühnendichter 


1)  Dohrn,   Spanische  Dramen.   2.  Th.    „Die    Mirakel    der   Ver- 
achtung/' 


Lope's  Los  Milagros  del  Desprecio.  211 

SO  manchen  noch  in  der  Druse  oder  in  Schlamm-  und  Thonerde 
eingeschlossenen  Demant  gewannen,  kunstreich  in  Sternfacetten 
oder  Brillantspitzen  schliffen,  und  dann  in  Thalia's  Diadem  und 
Scepter  funkeln  Hessen.  Gewannen  —  nicht  selten  wie  die  Neger, 
die  aus  dem  Sande  gewaschenen  Diamanten  verschlucken,  und 
als  Kronjuwelen  wiedergeben:  schliffen  —  gar  oft  mit  den  zu 
Diamantpulver  zerriebenen  Splittern  des  entwandten  Edelsteins 
selber.  Dergleichen  Splitterchen  mochten  vielleicht  auch  von  Lo- 
pe's  'Milagros  del  Desprecio',  Lope's  „Verschmähungs- Wunderko- 
mödie", abgesprengt  seyn,  die,  zu  Staub  zermalmt,  Moreto's  „Ver- 
schmähung  für  Verschmähung"  zu  jenem  im  Schmelzfeuer  des 
Frauenstolzes  aufflammenden  Liebessterne  schliffen  und  putzten: 
dem  Wunder  des  Nichtverschmähens,  vonseiten  Moreto's  näm- 
lich, sich  das  Grundmotiv  von  Lope's  'Milagros'  anzueigüen. 

Beäugen  wir  ein  Weilchen  durch  die  Lupe  Lope's  'Milagros 
del  Desprecio',  auf  das  Grundmotiv  hin,  auf  den  Demant- 
zapfen hin,  um  welchen  sich  Moreto's  Kunstwunderwerk  dreht; 
und  auch  auf  die  Splitterchen  hin,  aus  deren  glänzendem  Ver- 
wesungsstaube  —  dem  Diamantenstaube  und  Schleifpulver  —  Mo- 
reto's Donna  Diana-Solitär,  wie  ein  verklärter  Geist,  Unsterblich- 
keit strahlend,  emporstieg. 

Nicht  aus  Ahnenstolz,  im  Zweikampfe  mit  Liebesleidenschaft, 
wie  Lope's  'Diana  de  ßelflor'  in  vorbesprocheuer  Komödie  —  aus 
reinem,  männerverachtendem  Hasseszorn  und  Libussa-Stolze  ver- 
schmäht Doiia  Juana  ihre  Freier,  und  unter  diesen  den  mit 
voller  Herzensgluth  um  sie  werbenden  Don  Pedro  Giron  — 
wohl  deshalb  eben  ~  am  entschiedensten,  und  je  mehr  er  sich 
in  Liebesbeweisen  überbietet. ')  So  kann  Don  Pedro  denn,  wie 
ein  angeschossener  Hirsch,  nur  an  seiner  Wunde  lecken,  aber 
mit  einer  Flammenzunge,  die  seine  Herzenswunde  stärker  und 
stärker  facht,  bis  sein  früherer  Diener  Hernando,  nach  drei- 
jähriger Abwesenheit,  aus  dem  Kriege  in  Flandern  wieder  nach 
Madrid  zurückgekehrt,  und  den  Gebieter  in  solchem  erlösungs- 


^Con  que  condicioii  de  ficra 
Hallarä  divertimientos 
Tan  rebelde  corazon 
Y  tan  extrana  inclemencia? 


212  I^as  spanische  Drama. 

losen  Zustande  in  der  Liebeshalle  brennen  ^)  findend,  den  „furchtlos 
und  entschlossen"  der  Cur  sich  unterziehenden  Don  Pedro  zur  Hei- 
lung übernimmt  ^)  Feuer  über  ihn  und  seine  Grillen:  Neun'  seinen 
Namen  nicht,  Hernando!^^)  Mit  solchem  Wort  begegnet  Dona 
Juana  dem  behutsamen  Versuche  des  sondirenden  Hernando, 
seinem  vormaligen  Herrn  der  geschwornen  Männerfeindin  in  Erin- 
nerung zu  bringen  —  der  unversöhnlichen  Verabscheuerin  der 
Männerbrut,  dieser  Weibertyrannen,  die  so  zärtlich,  sanft  und 
freundlich  vor  dem  Besitze,  und  nachher  so  grausam  und  so 
schnöd  hartherzig  sich  erweisen.^)  Auf  solchen  Schlüssel  hatte 
Doiia  Juana,  unmittelbar  vor  Hernando's  Eintritt,  ihre  Ton- 
art, in  einem  Duo  mit  ihrer  Zofe  Leonor,  gestimmt.  „Ein  weib- 
licher Attila  will  ich  gegen  diese  wilden  Tyrannen  seyn."  ^)  Und 
Zofe  Leonor  im  Losschlagen  mit  der  Zunge  auf  das  Männervolk, 
wie  ein  Paar  wettstreitende  Canarienvögel,  der  Gebieterin  „Ty- 
rannen" übertyrannend/)  Unter  vier  Augen  mit  Leonor,  wen- 
det Hernando  sein  Heilmittel  versuchsweise  zuerst  bei  ihr  an. 
Auf  ihre  Frage,  wie  es  mit  seiner  Liebe  stehe,  wirft  er  behend 
Verschmähung  gegen   Verschmähung  als   sein  erstes  Pflaster'), 


1)  De  nulla  redeinptio  estäs 
En  el  enfierno  de  amor  .  .  . 

2)  Hernando.      Si  yo,  Seiior,  te  curara 

De  tu  amor,  iqne  me  dijeras? 
Don  Pedro.    Ya  resuelto  y  sin  temor 

Ponerniö  en  tus  inanos  quiero. 

3)  Dona  Juana.  iPuego  en  el  y  en  sus  quimems! 

Hernando,  no  me  le  nombres 

4)  —  Estos  tiranos 
Tiernos  suaves  y  humanos 
Antes  de  la  posesion, 

y  despues  de  ella  crueles 
Desabridos  y  ofensores. 

5)  Mujer  Atila  he  de  ser 
Contra  estos  fieros  tiranos. 

6)  Leonor.       Muera  mü  veces,  Senorä, 

Esta  canaUa  traidora, 
Tiranos  de  nuestro  honor. 

7)  Hern,  (ap.)  El  priraer  emplastre  es  este 

De  la  cura  que  he  de  hacer  .  ,  . 


Abpaarungen.  213 

das  so  lieblich,  wie  Asa  foetida  duftet:  „Liebe?''  Für  hundert 
Weiber  geb'  ich  keine  zwei  Maravidis  auf  Stecknadeln.  Weiber! 
Herr  Jesus,  was  die  stinken!  i)  Leonor's  Rache  schreitet  schnell. 
Zweien  Pagen,  jeder  mit  einem  vergoldeten  Silberbecken  als  Ge- 
schenk von  ihren,  um  Dona  Juana's  Liebesgunst  werbenden  Herren, 
thut  Leonor,  im  Namen  ihrer  Gebieterin,  kund  und  zu  wissen, 
sie  möchten  sich  nur  gleich  mit  ihren  Geschenken  packen.  Hier 
in  diesem  Hause  werden  die  Männer  ein  für  allemal  verab- 
scheut. 2)  Der  aufs  Haupt  des  ganzen  Manngeschlechts  nieder- 
schmetternde Keulenschlag  der  rachefroh  abschwenkenden  Zofe 
trifft  selbstverständlich  den  vor  den  Pagen  in  dem  stehenden 
Horchwinkel  der  spanischen  Bühne  sich  versteckt  haltenden  Her- 
nando  gleich  mit,  so  nachdrücklich,  dass  er,  dieweil  die  zwei 
Pagen,  jeder  im  Interesse  seines  Gebieters,  sich  zanken  und  auf 
einander  losfahren,  ganz  betäubt  sich  sachte  drückt,  und  bei  die- 
ser Gelegenheit  in  der  Betäubung  beide  vergoldete  Silberbecken 
mitgehen  heisst,  aber  gleichfalls  im  Interesse  seines  Herrn  und 
der  Komödienverwickelung,  zu  deren  Gunsten  er  beiden  Neben- 
buhlern des  Don  Pedro  aufbindet:  die  von  ihnen  als  Liebeszei- 
chen erhaltenen  Silbergefässe  hätte  Dona  Juana  seinem  Herrn, 
Don  Pedro  Giron,  geschenkt.  Ein  geschickt  angezettelter  Ein- 
schlagsfaden in  die  Intrigue,  der  zu  lustigen  Dupirungen  der 
beiden  Gäuche  auf  je  zwei  Freierfüssen  führt,  deren  jeder,  ge- 
täuscht von  seinem  Pagen,  in  Dona  Diana's  Annahme  seines  Ge- 
schenkes eine  Bevorzugung  seiner  unwiderstehlichen  Person  er- 
blickt, bald  aber,  dank  Hernando's  mitgehengeheissenen  zwei 
Silberschüsseln,  in  Don  Pedro  den  allein  Bevorzugten  erkennen 
muss,  in  dessen  Hause  Einer  nach  dem  Andern  sein  Geschenk 


Por  aqui  se  ha  de  guiar 
La  cura;  que  en  despreciar 
Estä  la  primer  sangria. 

1)  Leon.  ^Tienes  tu  amor? 

Hern.  iQ,^Q  es  amor? 

No  dare  por  den  mnjeres 
Un  ochavo  de  alfileres. 
jMujeres!  ;  Jesus,  que  hedor! 

2)  Porque  en  esta  casa  estän 
Los  hombres  aborrecidos. 


214  I^as  spanische  Drama. 

findet,  das  jedem  von  ihnen  Her  nando  als  einen  von  Dona  Juana 
seinem  Gebieter  gespendeten  Huldbeweis  vorzeigt.  Man  bemerke 
im  Vorbeigehen  die  durchgängig  paarweise  Gruppirung:  Dona 
Juana  und  Leonor:  gepaart  in  der  Männerabsage.  Don  Pe- 
dro Giro  n  und  Hernando:  gepaart  im  Widerstrich  gegen  diese 
Absage.  Zu  Leonor's  scheinbar  feindlicher  Stellung  gegen  Alles 
was  Mann  ist,  aus  Anhänglichkeit  für  ihi'en  Herrn:  Her  nan- 
do's  fingirte  Kriegserklärung  an  Alles  was  Weib  heisst,  aus 
Treugesinnung  für  seinen  Herrn.  Don  Alonso  und  Don  Juan, 
das  obligate  Freier-Duplicat  in  jeder  Nebenbuhlerkomödie:  ge- 
paart mit  zwei  Schüsseln,  zwei  Pagen  und  einer  Doublette  von 
Düpirungs- Situationen  in  zwei  aufeinanderfolgenden  Scenen  — 
eine  stattliche  Sammlung,  nicht  wahr?  —  von  dramatisch  paral- 
lelen Combinationen  schon  im  ersten  Act  vorläufig! 

Unter  diese  Paarungen  schmuggelt  der  zweite  Act  ein  dra- 
matisch weniger  glückliches  Paar  in  Dona  Juana's  Oheim,  Don 
Luis,  und  dessen  Tochter,  Beatriz,  ein,  deren  verliebsames 
Naturell  das  kehrseitige  Contrastpathos  zu  Juana's  männerfeind- 
lichem abgeben  soll,  und  ihren  Vater,  Don  Luis,  in  eine  von 
der  Nichte  auf  die  Tochter  überspringende  Duplicitäts-Täuschung 
zu  klemmen  vorbestimmt  ist,  von  fraglich  komischer,  weil  zu 
sichtlich  und  absichtlich  daraufhin  berechneter  Wirkung.  Oheim 
Don  Luis  führt  der  Nichte  das  Töchterchen  zu,  die  leicht  er- 
regsame, nicht  sowohl  Mimosa  pudica,  nicht  sowohl  „scham- 
hafte Siunpflanze*^  die  bei  der  leisesten  Berührung  ihre  Blättlein 
schliesst,  als  vielmehr  eine  Dionaea  muscipola,  jene  „Flie- 
genfänger"-Blume,  so  benannt  vom  feinborstigen  Läppchen  an 
der  Blattspitze,  so  reizbarer  Beschaffenheit,  dass  es  über  jedes 
sich  darauf  setzende  Insekt  —  Klapp!  —  zusammenschlägt,  und 
den  eingefangenen  Courmacher  mit  den  ßandbörstchen  festhält. 
Don  Luis  führt  sein  reizend  reizbares  Fliegenhasche-Blümchen 
dessen  widerhaarigem  Fliegenklatsche-Mühmchen  zu,  damit  die 
Fliegenklatsche  die  Fliegenhascherin  mit  ihrem  gestachelten  Schilde 
vor  den  zärtlichen  Goldfliegen  und  verliebten  Käferchen  ^)  schütze, 


1)      Don  Luis.  Ya  destos  locos  mozuelos 
Cuyos  amantes  desvelos 


Schmetterlings-Autodafe.  215 

die  dreisten  und  zudringlichen  spiessend  an  des  Schildes  Stachel- 
spitzen, i)  Hui,  die  Menge  Goldkäferchen  und  honignäschigen, 
und  ihn  wieder  als  Süssbriefchen  ausschwitzenden  Blattinsecten, 
die  an  den  Schildstacheln  festsitzen,  wie  Scarabäen  in  den  Glas- 
kästchen eines  entomologischen  Cabinets,  aufgesteckt  an  Nadel- 
spitzen! Nichte  Juana  zeigt  sie  alle  vor,  den  Schild  dem 
Mühmchen,  Beatriz,  unter  die  Augen  haltend.  Und  mit  dem 
blossen  Anspiessen  sich  nicht  begnügend,  schüttelt  sie  die  Ker- 
fen: Zweiflügler,  Netz-,  Gitter-  und  Hymen-Flügler 2),  Horn- 
flügler  ^),  deren  obere  Flugschaalen  die  velinfeinen  untern  Schwung- 
blättchen,  wie  das  Couvert  das  zarte  Briefblatt,  bergen  —  schüt- 
telt Dona  Juana  allinsgesammt  in  das  Inquisitionsfeuer  einer 
Kerzenflamme  ^),  der  Motten  und  Falter  Autodafe,  das  der  Pha- 
läne,  Pedro  Giron,  ausgerupfte,  als Liebeflatterbriefchen schwär- 
mende Flügeldoppelpaar  voran.  ^)  Aus  der  figürlich  entomologi- 
schen in  Lope's  Komödienfigurensprache  übertragen :  DonaJuana 
verbrennt  das  von  Pedro  Giron  eben  erhaltene  Liebesbriefchen  an 
einer  Lichtflamme  vor  ihres,  die  Grausamkeit  berufenden  Mühm- 


Se  fundaii  en  enganar, 

Se  ha  dejado  persuadir  .  .  . 

1)  Para  quo  contigo  este 
La  traigo:  viva  contigo 
La  que  no  pudo  conmigo 
Asegurarme  en  mi  fe. 

2)  Hautflügler :  Hymen opt er a,  eine  Insecten-Familie  oder  Ordnung. 
Netzflügler:  Dictyoptera;  Gitterflügler :  Neuroptera.  In  der  spani- 
schen Komödie  Netzflügler,  für  spanische  Fliegen,  die  ihnen  in  die  Netze 
fliegen;  Gitterflügler,  als  Nachtfalter,  die  um  die  Balcon-Gitter  flattern, 
und  Hymenflügler,  der  eigentliche  Name  für  die  ganze  entomologische 
Classe  der  Galane  in  den  Comedias  famosas.  —  3)  Coleoptera  Vierflügler, 
mit  hornartigen  über  die  zwei  dünnen  Hinterflügel  sich  erstreckenden 
Deckfltigeln. 

4)  Doiia  Juana  (a  Leonor). 

Trae  una  luz 


Un  acte  de  Inquisicion 
Te  lo  ha  de  en  senar  ahora. 
5)  El  de  Don  Pedro  Giron 

Se  ha  de  quemar  el  primero, 


216  Das  spanische  Drama. 

chens  Augen;  die  Grausamkeit:  eine  so  unbegränzte  Liebe  wie 
ein  Verbrechen  zu  bestrafen,  i)  Geduld,  nur  Geduld,  Dona  Gross- 
inquisitorin  von  Männerherzen  und  Herzensblättchen!  Bald  wen- 
det sich  das  Blättchen,  und  Dein  Herz  brennt  lichterloh!  In 
Brand  gesteckt  von  Deinem  Grossinquisitor,  Hernando,  mit 
der  Zündfackel  der  Eifersucht!  Entflammt  die  Zündfackel  an 
Don  Pedro  Giron's  mit  solcher  Heftigkeit  für  eine  ungenannte 
Dame  lodernder  Liebesgluth,  dass  ein  einziger  seiner  Seufzer 
sechs  auf  einem  Büffet  brennende  Wachslichter  auslöschte.  2)  Und 
wie  hat  sich  Dona  Juana's  Blättchen  gewendet,  und  schlug  — 
in  welches  Blättchen  ein!  In  ein  Briefblättchen  —  ha,  des  ge- 
beugten Stolzes  -—  in  ein  Briefblättchen,  das  sie  nun  durch 
Leonor  —  wie  lacht  Hernando's  Herz!  —  an  Don  Pedro 
absendet!  In  ein  Briefblättchen,  von  Flüchen,  Verwünschungen, 
Schmähungen  umsprüht ^),  die  Hernando  —  wie  jubelt  seine 
Seele!  —  als  das  erste  Funkenfliegen  ihres  vom  giftigen  Eifer- 
suchtsfeuer ergriffenen,  männerverachtenden  Hochmuths  begrüsst! 
Mit  dem  von  Arsenikdämpfen  der  Eifersucht  durchräucherten 
Lästerbriefchen,  mit  dem  Basilisken  in  papierner  Eischaale,  er- 
scheint die  Zofe  vor  Don  Pedro,  unter  dessen  Händen  sich  ge- 
rade — -  verabredetermaassen  —  Hernando,  der  sie  kommen  sah. 
Hülfe  rufend,  krümmt  und  windet,  als  wolle  ihn  sein  Herr  um- 
bringen, blos  weil  er  Leonor's  Gebieterin,  Dona  Juana,  eben  nur 
genannt.    Wie  verblüfft  sie   dreinschaut,  die  betrübsame  Zofe! 


1)  Beatriz.  Y  tu  crueldad 

Inmensa  su  voluntad 
Castiga  como  delito? 

2)  Oon  un  surpiro  que  dio 
Seis  bugias  apago 

Que  estaban  en  un  bufete. 

3)  Dona  Juana.  Este  es  el  papel,  Hernando. 

Di  que  quisiera  cuviar 
En  sus  letras  rejalgar 
Porque  muriera  rabiando 
Que  es  un  tirano,  un  traidor 
Un  ingrato  fementido 
Cruel,  descortes,  fingido 
Sin  Dios,  sin  fe,  sin  honor  .  . 


„lieber  Sumpf  und  Moor''.  217 

Krallt  noch  die  Herrin,  wie  eine  erboste  Pardelkatze,  vor  Eifer- 
^chtsgrimm  die  Nägel,  so  schmiegt  sich  die  Zofe  wie  ein  be- 
gehrsames Maikätzchen,  wehleidig  miauend:  Wenn  Don  Pedro 
den  Hernando  bewege,  dass  er  ihr  wieder  seine  Liebe  schenke, 
so  sey  auch  sie  erbötig,  für  den  Fall,  dass  Don  Pedro  seiner 
jetzigen  ungenannten  und  unbekannten  Herzensdame  überdrüssig 
würde,  sich  bei  ihrer  Herrin  zu  seinem  Gunsten  als  Vermittlerin 
zu  verwenden,  und  schleicht  wehmüthig  davon.  Zuvörderst  heizt 
aber  Hernando  ihrer  Gebieterin  mit  der  bewussten  Ungenann- 
ten und  Unbekannten,  mit  seiner  dem  Don  Pedro  untergescho- 
benen Phantasiedame,  bald  nach  Beginn  des  dritten  Acts,  so 
fürchterlich  ein,  dass  Dona  Juana  aufschreit:  „Sehen  muss 
ich  dieses  Weib!"  i)  „Aus  Wuth,  nicht  aus  Liebe"  —  tobt  sie  — 
„nicht  weil  sie  geliebt  seyn  möchte,  nein,  weil  sie  verschmäht 
sich  sehe."  *^)  Hernando  druckst  Schwierigkeiten ,  entschliesst 
sich  endlich  doch,  in  einer  der  nächsten  Nächte,  wo  sein  Herr 
gerade  ein  Schäferstündchen  mit  der  Liebsten  hält,  Dona  Juana 
an  Ort  und  Stelle  zu  führen,  und  zwar  —  schwört  er  sich  im 
Stillen  zu  —  als  Irrwisch :  in  einer  Kegennacht,  wo  es  mit  Mül- 
len dreuscht  und  zarte  Prauenfüsschen  bis  an  die  Knöchel,  wo 
nicht  noch  höher  im  Moraste  waten.  Was  er  sich  im  Stillen  zu- 
geschworen, vertraut  Hernando,  sicher  der  Verschwiegenheit, 
Dona  Juana's  imvoraus  darüber  vergnügtem  Mühmchen,  Dona 
Beatriz,  und  der  nun  unter  Einer  Decke  mit  ihm  spielenden 
Leonor  an:  „Sie  soll  nur  nachhause  kehren  in  einem  ärgeren 
Zustande,  als  man  jemals  im  Februar  durch  Dick  und  Dünn  einen 
FuhrmannskaiTen  waten  sah."  ^)  Und  so  kommt  es  auch.  Irrwisch 
Hernando  erscheint  mit  einer  Laterne  in  stockfinsterer,  von 
Regenströmen  heimgesuchter  Nacht,  als  bestände  der  Thierkreis 

1)  Yo  he  de  ver  esa  mujer. 

2)  Que  esto  es  rabia,  no  es  amor  .  .  . 


No  por  no  verme  querida, 
Sino  despreciada. 
3)    Hernando.  Ha  de  Uover; 

Que  ä  SU  casa,  ha  de  volver 
Como  jamas  no  se  vio 
Carro  de  Kiche  en  febrero. 


218  I^a-s  spanische  Drama. 

aus  lauter  Wassermännern,  die  ihre  Krüge  als  Nachtgefässe  den 
Erdbewohnern  auf  die  Köpfe  gössen.  Nur  Dona  Juana,  hinter 
den)  Irrwisch  vermummt  daherschlurrend ,  trotzt,  eingewickelt 
in  den  Dejanira-Mantel  rabiater  Eifersucht,  den  Löscheimern  der 
Wassermänner.  Guck!  lug!  —  stutzt  und  lauscht  der  Irrwisch 
mit  der  zuckenden  Laterne  —  was  huscht  da,  wie  ein  Paracel- 
sisches  Feuermännchen,  durch  den  Regenschauer,  gleichfalls  ein- 
gewickelt und  vermummelt  in  ein  Flammenmäntelchen  —  der 
Eifersucht?  ja,  aber  der  Ehren- Eifersucht,  der  Eifersucht  auf 
seine  Haus-,  Familien-,  beziehentlich  Tochter-Ehre.  Jener  in  der 
dunkelglühenden  Feuerschaube  heranhuschende  Elementengeist  der 
spanischen  Komödienehre,  der  eigentliche  unverbrennbare  Spanier 
mitten  in  den  Wirbelgluthen  der  Mantel-  und  Degen-Ehre.  Der 
Ehre-Feuerkebold,  der,  wie  die  Nachtfeuergeister,  laut  Wendischer 
Sage,  um  die  Wipfel  der  Bäume  ruhelos  schweifen^),  immerdar 
um  die  Wipfelkrone  seines  Stammbaums  schwebt  —  dieses  finster- 
glwthig  daherschwirrende  Feuermännchen  ist  Don  Luis  de  la 
Gerda,  Vater  von  Beatriz,  deren  verliebsame  Tugend  er  mit 
dem  Flammenmantel  und  lohenden  Schwert  der  Hausehre  so 
wachsam  hütet,  wie  nur  einer  von  König  Aeetes,  des  Vaters 
der  Medea,  feuerschnaubenden  Ochsen  das  goldne  Vliess.  Auf  das 
„Wer^  da?"  des  Don  Luis  de  la  Gerda  giebt  Hernando 
aus  dem  ihm  von  Dona  Juana  heimlich  zugeblasenen  Passwort 
Bescheid:  „Dona  Beatriz  de  la  —  was  de  la?  fragt  Her- 
nando schnell  und  leise  die  vermummte  Begleiterin  —  „de  la 
Gerda"  murmelt  diese  durch  den  Mantelfilz:  Hernando,  er- 
gänzend: „De  la  Gerda." ''^) —  Don  Luis  beiseit:  „Wehe  mei- 
ner Ehre!"  in  ihrem  Komödien -Flammenmantel  sammt  Ehren- 
sch werte!   den  Verzweiflungsschrei  in  Kotzebue's  „Ausbruch  der 


1)  Carl  Haupt,  Sagenbuch  der  Lausitz.  S.  49. 

2)  Don  Luis.  Quien  es?  .  .  . 
Hernado.  Senor. 

Dona  Beatriz  de  la  .  .  . 

(Ap.  ä  Dona  Juana.  (iQue?) 
Doila  Juana  (Ap.  a  Hern.) 

De  la  Gerda. 
Hernando  (Ap.  ya  losä.) 

De  la  Gerda. 


Duell  im  Platzregen.  219 

Verzweiflung"  in  den  Bart  brümmelnd:  „Tobe,  rase,  wilder 
Sturm,  lodre  Flamme,  die  mich  brennt!"  „Umbringen,  morden 
will  ich  sie,  doch  vorläufig  leide  und  dulde,  Herz!"  ^)  und  schleicht 
nachläufig  hinter  ihnen  her,  fortbrümmelnd  in  den  Bart:  „Dein 
Tod  folgt  Dir  auf  dem  Fusse."  2)  Er  folgt  durch  Dick  und  Dünn, 
Strasse  um  Strasse  —  horch',  Degengeklirr,  Mantel-  und  Degen- 
spiel als  dritte  Position  oder  Attitüde  der  Conflict-Tanzfiguren  in 
der  spanischen  Komödie:  die  Position  des  Eifersuchts-Zwei- 
karapfs.  Don  Pedro  ficht  im  tollsten  Nachtregen  auf  der 
Strasse  mit  seinen  zwei  Nebenbuhlern,  Don  Juan  und  Don 
Alonso.  DonaJuana,  quatschnass  vermummt  zur  Stelle  ge- 
langend, ruft  Don  Pedro's  Schutz  an.  Wie  der  Blitz  lässt  er 
die  Degenstiche  im  Stich,  dem  Gebote  der  höhern  Ritterpflicht 
folgend:  einer  bedrängten  Dame  beizuspringen.  Jetzt  ist's  an 
ihm,  dem  als  Tochtermörder  in  petto  nachschleichenden  Don  Luis, 
auf  Don  Pedro's,  den  bereits  Hernando  über  die  Person  der 
pudelnassen  Mumme  oder  Wassermuhme  verständigt  hat  —  ist's 
nun  an  Don  Luis,  auf  Don  Pedro's  „Wer  da?"  das  Looswort 
zu  geben:  Vater  Gerda!  „der  unglückliche  Vater  dieser  Tochter  3), 
die  ich  unter  Obhut  meiner  Nichte,  Doiia  Juana  de  la  Gerda,  und 
deren  göttlicher  Tugend  und  heldenhaften  Männer-Abwehrmuthes 
stellte,  und  die  nun  so  dasteht"  als  Eegenspiessruthenläuferin 
durch  Nacht  und  Nebel  und  Strassenkoth !  ^)    Welcher  Heimzug 


1)  Don  Luis  (Ap.) 

...  la  he  de  matar, 
Sufrid  y  tened  paciencia, 
Corazon. 

2)  Bon  Luis  (Ap.) 

Tu  muerte  en  tus  pasos  va. 

;3)  El  padre  desdichado 

Desta  hija. 

4)  Con  Dona  Juana,  Senor, 

De  la  Gerda,  mi  sobrina 
La  puse,  cuya  divina 
Virtud  y  heroico  valor 
Pense  que  la  convertiera; 
Y  a  estas  horas,  divertida 
En  las  calles  y  perdida 
La  hallo  desta  manera. 


220  I)as  spanische  'Drama. 

für  die  in  triefnasse  Schmach  Verhüllte,  und  in  dieser  Begleitung 
als  Schutz  und  Schaarwache!  Nach  Hause  geführt  in  solchem 
Zustande  von  ihren  drei  Freiern  Don  Pedro,  Don  Juan  und 
Don  Alonso  und  von  einem  an  ihrer  „göttlichen  Tugend''  und 
ihrem  Prauenheldenthum  so  jammervoll  zu  Schanden  gewordenen 
Oheim.  Die  Situation  ist  glanzvoll-komisch  und  hochergötzlich; 
die  Auflösung  eine  der  glücklichsten  des  Lope;  der  Lichtpunkt 
in  seiner  Komödie  Los  milagros  del  desprecio,  ja  ihr  eigentliches, 
wo  nicht  einziges  milagro,  inanbetracht  zumal,  dass  die  so  oft 
nachgeahmte  Entwickelung  hier  in  der  VoUblüthe  ihrer  jungfräu- 
lichen Ursprünglichkeit  prangt.  Die  Schlussscene  ergiebt  sich 
von  selbst:  dem  vaterwüthig,  mit  dem  Tobefluch;  „bei  Gott,  ster- 
ben soll  sie!"  in's  Zimmer  hereinbrechenden  Don  Luis,  tritt 
Beatriz  ruhig  mit  der  Frage  entgegen:  „Wer  soll  sterben?"  ') 
Staunen  und  Starren,  wie  sich  von  selbst  versteht.  Unser  Stau- 
nen und  Starren  aber  gilt  zumeist  Dona  Juana's  von  spanisch- 
weiblicher Heldenstärke  und  Tugendglorie  strahlender  Stirn e, 
mit  welcher  sie  aus  dem  durchpichten  Doppeltuche  '^)  ihres  Be- 
schämungs-  und  wasserdichten  Maskenregenmantels  hervortritt, 
wie  die  Göttin  der  Keuschheit  selber  aus  der  Regenwolke,  ohne 
auch  nur  ein  Jota  von  ihrer  beanspruchten  Rolle  preiszugeben. 
Ja,  wie  jene  Taurische  Diana  aus  ihrer  Verlarvung,  dem  Ge- 
flechte von  Reisholz,  worin  Orestes  sie  nach  Aricia  heimge- 
bracht^), hervortrat,  das  in  seine  ursprünglichen  Gerten  aufge- 
wickelte Rohrgehäuse  zu  Geisseiruthen  für  Frevler  an  ihrem 
Dienste  weihend.  So  taurisch  dianenhaft  schreitet  Dona  Juana 
aus  ihrer  durchtränkten  Umhüllung  hervor,  männeropferisch-stolz 
verkündend:    „Ich  bin's!    Was  giebt  es  da  sich  zu  verwundern? 


1)  Don  Luis.  jVive  Dios,  que  ha  de  morir! 
Beatriz.      (presentandose  ä  su  padre) 

^Qiiien  ha  de  morir. 

2)  duplice  panno. 

3)  Diana  Facelis,  von  (f>dxsXog,  „Reisbündel"  genannt:  „a  fasce 
lignorum  dicta  in  quo  absconditum  ejus  siniulacrum  Orestes  et  Iphigenia 
ex  taurica  regione  Ariciam  (in  Latium)  adtulerunt"  Serv.  ad  Virg.  Aen. 
II.  116.  24.  Salmas.  in  exercit.  Plin.  p.  31.  Silv.  nennt  daher  den  Dianen- 
tempel Sedes  Fascelinas  (XIV.  V.  261.)  Sie  hiess  auch  die  „Nacht- 
schwärmerin'* (kQTSfzig  Xüiöfiaiva). 


Dona  Juana  als  Diana-Moreto-Taurica.  221 

Wenn  Ihr  meint,  ich  hätte  das  Haus  in  verliebter  Absicht  ver- 
lassen, so  täuscht  Ihr  Euch;  Frauen  Unsresgleichen,  Seiior  Don 
Pedro  Giron,  vollblutgeborene,  standeswürdige,  empfinden  tiefer 
unseres  Stolzes  Kränkung,  als  Andere.  Beim  Himmel !  Ich  muss 
wissen,  wer  jenes  Weib  ist,  um  derentwillen  mein  Kuf  und  An- 
sehen gefährdet  ward.  Dies  allein  zog  mich  aus  dem  Hause.''  0 
„Sie,  deren  Hand  ich  hier  fasse,  sie  allein  ist  meine  Dame!''  Mit 
dieser  Erklärung  hat  Don  Pedro  die  spanische  Libussa  —  in 
der  Hand,  nimmt  er  ihren  Männerhass  beim  Wickel,  ihren  Frauen- 
hochmuth  an  der  Hüfte  und  ihren  Ehehandschlag  in  die  Hand. 
Dona  Juana  gesteht  es  frei:  „Legt  er  einen  Werth  auf  meine 
Hand,  so  gebe  ich  sie  Ihm  mit  meiner  Seele"  ^),  unbeschadet  des 
im  Ausstattungskorbe  versteckten  Dona  Juana-Pantoffels,  als  des 
pudelnassen  Abenteuers  innersten  und  unverwüstlichen  Pudelkerns. 
Nun  darf  auch  Hernando  ein  Hosianna  über  den,  wie  die 
Schlange  als  Symbol  der  Unsterblichkeit,  sich  in  den  Schweif 
beissenden  Titel:  'Los  Milagros  del  Desprecio'  anstimmen,  der 
sich  auch  hier,  hergebrachtermassen,  mit  dem  Schlussvers  zu  ei- 
nem Duplicat  seiner  selbst  zusammenrollt. 

Genug  der  Vergleichungspunkte  für   den  Leser,  behufs  der 
Würdigung  von  Moreto's,  aus  Lope's  'Milagros  del  desprecio\  wie 


1)  Yo  soy.  iDe  que  os  admu-aisV 

Si  pensai  que  me  ha  sacado 
De  mi  casa  algim  cuidado 
Amoroso,  os  eiiganais. 
Las  mujeres  que  nacimos, 
Sefior  Don  Pedro  Giron, 
Cou  saiigre  y  estimacion, 
Mas  que  las  otras  sentimos. 
iVivc!  Dios,  que  he  de  saber 
Quien  es  esa  vuestra  dama 
Por  quien  nii  opinion  y  fama 
Se  ha  echado  tanto  a  perder! 
Que  esto  solo  me  ha  sacado 
De  mi  casa. 
Don  Pedro.  Pues  esta  que  tengo  asida 
Sola  es  mi  dama. 

2)  Si  ahora  estima  mi  mano, 

Con  el  alma  se  la  doy. 


222  ^^^  spanische  Bramä. 

aus  ihrer  Komödienverlarvung  hervorgegangenen,  unserer  kniebeu- 
genden Huldigung  entgegenharrenden  Donna  Diana. 


El  Villano  en  su  Rincon 
(Der  Bauer  in  seinem  Winkel), 

welcher  Bauer  doch  nur  der  zum  'labrador'  Juan  umgetaufte 
alte  Tello  ist  in  französischer  Bauerntracht.  Wie  dieser, 
hält  der  eben  so  reiche,  französische  Ackersmann,  Juan,  auf  seiner 
zwei  Meilen  von  Paris  belegenen  Hufe  einen  das  Landleben  prei- 
senden *Beatus  ille'-Monolog  (I.  esc.  VI.),  worin  er  dem  Himmel, 
weit  mehr,  als  für  den  segenreichen  Besitzstand,  für  diese  unab- 
sehbaren Kornfelder,  Weingärten,  ndit  Viehheerden  bedeckten 
Triften,  diese  Olivenpflanzungen  und  zahllosen  Honigstöcke,  kurz 
für  sein  mit  eigner  Hand  bebautes,  von  Milch  und  Honig  über- 
strömendes Canaan  —  weit  mehr,  als  für  die  aufgezählten  Seg- 
nungen, dafür  dem  Himmel  dankt,  dass  er,  der  Landbauer  Juan, 
solcher  Segnungen  und  Besitzesgüter  mit  frohem,  zufriedenem  6e- 
müth  geniesse  und  sich  in  seinem  Stande  glücklich  fühle.  ^)   Sei- 


1)  jGracias,  imraenso  cielo 

A  tu  bondad  divina! 

No  tanto  por  los  bienes  que  nie  has  dado, 
Pues  todo  aqueste  suelo 
Y  esta  Sierra  vecina 
Cubren  mis  trigos,  viiias  y  ganado. 
Ni  por  haber  cohnado 
De  casi  blanco  accite 
Destas  olivas  bajas  .  .  , 
Ni  porque  esten  cargadas 
De  Tiiontes  de  oro  en  trigo 
Las  eras  —  — 
Ni  porque  los  lagares 
Con  las  azules  uvas 

Eebosen 

Ni  porque  —    ™ 
Ni  porque  .  ,  . 

Las  gracias  mas  colmadas 

Te  doy  porque  me  has  dado 

Contento  en  el  estado  que  me  has  puesto  . 


Lope's  Villano  en  su  Rincon.  223 

nem  Sohne  Peliciano,  dem  in's  Französische  übersetzten  „jun- 
gen Tello'S  schlägt  der  alte  Juan  die  Bitte  rund  ab,  mit  ihm 
zusammen  dem  in  der  Nähe  jagenden  König  entgegenzugehen 
und  kniefällig  seine  Huldigung  für  die  Gnade  zu  bezeigen,  dass 
ihm  der  König,  inmitten  der  Kriegesstürme,  die  Wohlthaten  des 
Friedens  gönne.  ^)  „Wo  denkst  Du  hin,  Du  Thor"  —  verweist 
der  alte  Juan  dem  Sohn  die  Zumuthung  mit  Worten,  die  ihm 
der  alte  Teile  hätte  souffliren  können  ~  „wie  käme  der  Bauer 
dazu,  den  König  sehen  zu  wollen,  den  allerhöchsten  Herrn?  In 
meinem  kleinen  Winkel,  da  bin  ich  König.  Könige  sind  die, 
die  von  ihrer  Hände  Arbeit  leben."  ^j  Schöne,  prächtige  Worte, 
als  tönten  sie  von  des  alten  Teile  Lippen.  Entschiedener  noch 
als  Feliciano,  tritt  dessen  Schwester,  Lisarda,  in  Gegensatz  zu 
ihrem  Vater  Juan.  Ihr  Tichten  und  Trachten  ist  das  Stadt- 
und  Hofleben.  „Für  die  Residenz  bin  ich  geschaffen,  deren  Art 
und  Weise  ich  segne"  —  äussert  sie  gegen  ihre  Gesellschafterin, 
Beiisa. '^)  Hat  Lisardo  doch  in  der  ersten  Scene  schon  Lie- 
bespfänder mit  einem  ihr  unbekannten  Hofcavalier,  Oton,  ge- 
tauscht, dem  sie  für  Geschmeide,  das  er  ihr,  die  ihm  zufällig 
begegnete,  bei  einem  Juwelier  gekauft,  einen  werthvollen  Dia- 
mant schenkte.  Nun  facht  ihren  Hang  für  das  städtische  Hofle- 
ben der  Cavallero  noch  stärker  an.  „Ha,  dass  sie  ihn  dort  fände 
und  sprechen  könnte!"  *)  —  Der  alte  Juan  hat  zwar  keine  Kirche, 
wie  der  alte  Tello  bauen  lassen,  aber  doch  in  der  Ortskirche  ein 


1)  Hinca  la  rodilla  en  tiorra 

AI  Rey,  que  coii  tanta  guerra 
Te  mantiene  en  paz. 

2)  dQ^^^  GS  ver  al  Key?  ^, Estas  loco? 
^Dq  que  le  importa  al  villano 

Ver  al  seiior  saberano  .  .  .? 

Yo  he  sido  rey,  Feliciano 
En  Uli  peqneiio  rincon; 
Eeyes  los  que  viven  son 
Del  trabajo  de  su  mano, 

3)  Para  corte  me  crie; 

Su  estilo  y  Leyes  bendigo. 

4)  Ay,  si  hablane  aquel  senor. 


224  I^3,s  spanische  Drama. 

Grabmal  gekauft,  worauf  eine  Inschrift,  die  den  König,  der  sie 
auf  dem  Wege  zur  Messe,  in  Begleitung  seiner  Schwester,  der 
Infanta,  gelesen,  neugierig  macht,  den  Besteller,  den  er  noch 
unter  den  Lebenden  vermuthe,  da  der  Denkstein  kein  Sterbejahr 
zeige  —  kennen  zu  lernen,  den  Sonderling,  den  die  eingegrabe- 
nen Worte  als  einen  Ackerbauern  preisen,  der  nur  einem  Herrn 
gedient,  und  niemals  Residenz  noch  König  gesehen  hat.  ^)  Die 
beste  Auskunft  könnte  der  König  sogleich  von  Lisarda  erhal- 
ten, die  ihren  holden  Unbekannten  im  Gefolge  des  Königs  zu 
finden  hofft  und  eben  die  Kirche,  wo  der  König,  wie  sie  weiss, 
Messe  hören  will,  betritt  und  von  Caballero  Oton  dem  Könige 
als  des  wunderlichen  Landmanns  reizende  Tochter  bezeichnet 
wird,  von  deren  hoifreundlicher  Gesinnung  der  König  bereits  durch 
Pileto,  einen  von  Juan's  Peldarbeitern,  erfahren.  2) 

König  und  Infanta  ergötzen  sich  an  Lisarda's  zierli- 
chem Wesen,  die  Infanta  besonders  an  dem  Titel:  Euere  „In- 
fanterie" (Infantaria),  womit  die  vermeinte  Einfalt  vom  Lande  sie 
anspricht;  'Infanteria'  analog  nach  dem  Wort  „Infanta",  wie 
'Senoria'  nach  Senor,  gebildet.^)  Der  König  entfernt  sich  mit 
der  Infantin  Schwester,  entschlossen,  den  'Juan  Labrador'  persön- 
lich kennen  zu  lernen,  „der  einem  Hetrn  dienen  und  den  König 
in  ihm  zu  sehen  bekommen  soll."^)  Kleines  neckisch -spitzes 
Sichgehaben,  womit  die  feine  gewitzte  Lisarda  Oton's  trauliche 
Anknüpfungsgalanterie  „vor  den  Leuten  ihres  Vaters"  ablehnt, 
um  ihm  in  einem  Aparte  ein  Stelldichein  für  die  nächste  Nacht  bei 


1)  „Yace  aqui  Juan  Labrador 
Que  nunca  sirviö  ä  Senor, 

Ni  vio  la  corte  ni  al  Rey  .  .  . 

2)  Que  se  precia  de'ser  rauy  cortesana. 

3)  Infanta.  ;Infanteria!   |0h  que  gracia! 
Lisarda.  —    —    —    —    — 

Si  a  senor  es  senoria, 
Y  al  excellente  le  dan 
Excelencia,  bien  diran 
A  una  infanta  infanteria. 

4)  ßey.  —  que  Juan  Labrador 

IIa  de  servir  ä  seror 
y  ver  rey  y  todo  en  mi. 


Bauerntanz  and  Werbung.  225 

der  Ulme  zu  geben,  wo  die  Mädchen  von  Miraflor  (so  heisst  der 
Ort)  ihre  Reigen  tanzen  werden. 

Des  Königs,  Ende  des  ersten  Acts,  kundgegebene  Absicht, 
den  Beatus  ille  aus  seinem  „Winkel"  zu  locken,  steht  im  Beginn 
des  zweiten  noch  immer  auf  dem  Anschlag.  Fuchs,  Dachs,  Eber, 
sind  leichter  aus  ihrem  Versteck  und  Lager  aufzuscheuchen,  als 
der  Villano  aus  seinem  rincon.  Aber  seinen  Willen  muss  ein 
König,  voraus  ein  französischer,  haben.  Kommt  der  Berg  nicht 
zum  Propheten,  so  kommt  der  Prophet  zum  Berge.  „Lassihn!*'  — 
beschwichtigt  der  König  von  Frankreich  seineu  Kammerherrn,  Fi- 
nardo,  der  den  Hund  durchaus  vom  Ofen  locken  will  —  „lass  ihn! 
Wenn  er  den  König  und  dessen  Herrlichkeit  nicht  aufsuchen 
mag,  nun  so  will  ich  ihn  in  seinem  Winkel  aufsuchen  gehen."  ^} 
Das  geschieht  denn,  aber  erst  in  der  X.  Scene.  Die  Zwischenzeit 
füllt  der  Tanz  des  jungen  Landvolks  unter  der  bewussten  „Ulme" 
aus;  die  Zusammenkunft  Lisarda's  mit  ihrem  Bitter,  Oton, 
und  bei  dieser  Gelegenheit  auch  ihres  Bruders,  Feliciano,  Wer- 
bung um  ein  armes  Bauermädchen,  Costanza,  die  aber  reich 
an  Tugend,  was  in  Feliciano's  Augen  Goldes  Werth  überwiegt  2), 
Zinsfuss  und  Agio  mögen  sich  dagegen  stemmen,  wie  sie. wollen. 
Hauptgrund  zu  des  begüterten  Bauernsohnes  Werbung  um  die 
leere  Hand  der  armen  Bauerntochter,  Costanza,  dürfte  wohl 
die  vom  Dichter  beabsichtigte,  kunstrechte  Contrastirung  solchen 
Paares  mit  dem  gegenbildlichen  Liebespaare,  Oton  und  Li- 
sarda,  abgeben,  das  in  parallelen  Scenen  kost  und  liebelt:  scharf 
und  feurig  vonseiten  des   „Marschalls"  Oton*^),  der  den  Him- 


1)  Dejale  con  su  opinion; 

Que  si  al  Eey  con  su  poder 
No  quiere  ver,  yo  ire  ä  ver 
AI  villano  en  su  rincon. 

2)  Fileto.     —    —    —     -._ 

Pero  es  pobre,  y  disegual. 
De  tus  meritos  tambien. 
Felic.       Mal  dices;  que  la  virtud 

Es  de  mas  valor  que  el  oro. 

3)  Oton.        —  que  par  el  alto  cielo 

Que  habeis  de  ser  mujer  .  .  . 
Lisarda.  Senor,  dejadme. 

Oton.  Del  mariscal  Oton,  y  cumplirelo. 

X,  15 


226  J^^s  spanische  Drama. 

mel  zum  Zeugen  seiner  goldlautern  Leidenschaft  anruft;  ver- 
schmitzt -  sprödiglich  vonseiten  des  schönen  und  schmucken  Du- 
catenweibchens,  Lisarda.  Nebenbei  mag  wohl  auch  des  Kö- 
nigs Erpichtheit  auf  des  Ducaten-Landmanns  Bekanntschaft  ein 
kunstgeheim  ironisches  Streiflicht  auf  0 ton 's  Bewerbung  um 
das  Goldkind  des  reichen  Bauern  werfen.  Stark  illuminirte  Pa- 
rallelcontraste  werden  wir  durchhin  im  Lope-Calderon-Drama  ge- 
wahren, die  das  Moment  jener  dramatischen  Kunstironie  wieder- 
spiegeln, worin  Sophokles  als  erster  Meister  gepriesen  wird,  mit 
dem  freilich  namhaften  Unterschiede  —  wenn  solche  Ironie  wirk- 
lich in  seiner  Compositionsabsicht  lag  —  dass  Sophokles  aus  dem 
Fabelmotive,  aus  den  Charakteren  und  ihrem,  dem  absolut  uner- 
forschlichen  und  alleingültigen  Götter-  und  Schicksalbeschlusse 
gegenüber,  ringenden  Pathos  jene  tragisch  gottselige,  tieflfromme 
Ironie  entspringen  Hess;  während  im  Lope-Calderon'schen  Drama 
die  ironische  Contrastirung  mehr  eine  bühnentechnische,  der  Pa- 
rallelgestaltung günstige  Wirkung  bezweckt  und  erstrebt. 

König  pocht  an  Juan's  Thür  und  stellt  sich  ihm  als  Ober- 
schöppen  von  Paris  i)  und  Umgebung  vor.  Juan  weist  ihm  ei- 
nen Stuhl  an,  und  bedeutet  ihn  auf  sein  höfliches  Depreciren: 
als  Gast  habe  er  sich  seinem,  des  Hauswirthes,  Gutdünken  zu 
fügen.  2)  König  wünscht,  die  freundliche  Aufnahme  in  Paris 
erwidern  zu  können.  „Paris!"  ruft  Juan,  nicht  um  die  ganze 
Welt!^)  —  Ein  Ansichtsaustausch,  als  galt'  es  ein  Contrastge- 
spräch  zu  den  Unterhandlungen  der  weiland  Commune  von  Paris 
mit  der  weiland  Regierung  von  Versailles  zu  liefern.  König 
wirft  ein  Wörtchen  von  König  und  Königsschau  hin.  Ob  Juan 
den  König  nie  gesehen,  den  König  nicht  zu  sehen  wünsche?  — 
Mit  Respect  zu  melden,  nein!  —  In  seinem  Winkel,  versichert 
\ 

1)  Alcaide  de  la  ciudad 
Y  los  muros  de  Paris. 

2)  Y  advertid  qiie  habeis  de  liacer, 
Mientras  en  mi  casa  estäis, 

Lo  qua  os  niandare. 

3)  Juan.  {Yo  ä  Paris! 

De  nungun  modo,  por  Dios. 


König,  Bauer  und  Bäuerinnen.  227 

Juan,  führ  er  sich  selber  König,  nur  schläft  und  isst  er  bes- 
ser 1 0  Und  betet  nun  Korn  für  Korn  den  Rosenkranz  seines 
Beatus  ille  herunter;  so  dass  der  König  dem  Missvergnügen  ob 
seiner  vergeblichen  Anstrengungen,  dem  widerhaarigen,  Paris 
sammt  König,  bei  aller  Loyalität,  am  liebsten  mit  dem  Rücken 
zu  besehen  wünschenden  Winkel-Bauern  die  Würmer  aus  der 
Nase  zu  ziehen,  in  einem  Aparte  Luft  macht,  das  über  den  „Philo- 
sophen'' als  Bauern- Winkelmann  einen  Pfeifton  neidischer  Ver- 
wunderung ausstöst.2)  Juan  heisst  den  Tisch  zur  Abendmahl- 
zeit decken,  wobei  Lisarda  und  Beiisa  die  Honneurs  machen 
und  die  Musici  zum  Texte:  „Beatus  ille" ^),  aufspielen.  Li- 
sarda verfehlt  nicht  ihren  Bruder,  Feliciano,  in  einem  Aparte 
auf  die  Aehnlichkeit  des  fremden  jungen  Mannes  mit  dem  König 
aufmerksam  zu  machen.  Feliciano  erklärt  das  Naturspiel  für 
ein  Naturwunder,  vermöge  dessen  das  von  religiöser  Ehrfurcht 
beim  Anblick  eines  Königs  geblendete  Auge  sich  täusche,  was 
Costanza  beistimmend  bestätigt.  4)  So  ehrfurchtiglich  versteht 
der  spanische  Dichter  einen  König  zum  Sündenbock  seiner  ün- 
wahrscheinlichkeiten  zu  verklären!    Trotz  Aehnlichkeit  und  vor 


1)  Juan.         Yo  tengo  en  este  rincon 

No  se  que  de  Rey  tambien; 
Mas  duermo  y  como  mas  bien. 

2)  Rey  (Ap.)  ;0h  filosofo  villano! 

Mucho  mas  te  euvidio  agora. 

3)  Musicos.    jCuan  bienaventurado 

Aquel  puede  Ilamarse  justamente, 

Que  sin  teuer  cuidado 

De  la  malicia  y  lengua  de  la  gcnte 

A  la  virtud  contraria, 

La  suya  pasa  en  vida  solitaria!  ,  ,  , 

4)  Lisarda  (Ap.  a  Feliciano). 

Notablementc  parece, 
Feliciano,  este  mancebo, 
AI  Rey. 
Feliciano      Un  milagro  nuevo 

De  naturaleza  ofrece. 
Pero  enganase'  la  vista, 
Mirando  con  religion 
AI  Rey. 

15^ 


228  I^^s  spanische  Drama. 

heiliger  Königsanschau  geblendet-thränenden  Augen,  versteht  es 
aber  auch  die  schelmisch  kokette,  und,  wo  Bartel  Most  holt,  sehr 
gut  wissende  Lisarda  dem  nach  Tische  mit  gleichfalls  vom  An- 
blick des  reizenden  jungen  Bauernmädchens  geblendet-thränenden 
Augen,  vom  Gesang  der  Musicos  und  vom  Beatus  ille  angenehm 
aufgeregt  und  ein  klein  wenig  angerissen  zu  Bette  gehenden,  und 
zu  diesem  Gange  Lisarda's  Hand  ergreifenden  König  Alcaide  — 
versteht  es  Lisarda,  dem  königlichen  'mancebo*  das  —  Handwerk 
zu  legen.  Sie  findet  den  Handgriff  impertinent.  ^  Je  imperti- 
nenter aber,  desto  mehr  rey  neto.  ^Mancebo'  macht  Handstreiche, 
die  „nach  allen  sieben  Sachen  streichen",  um  mit  Mephistopheles 
zu  reden.  „Loslassen!  oder  mich  soll  der,  Mephistopheles,  wenn 
ich  nicht  dem  Handfasser  einen  Handschlag  biete,  der  einer  Maul- 
schelle so  ähnlich  sieht,  wie  der  *mancebo'  dem  König.  2)  „Zu- 
rück!" —  kreischt  die  Bauernlise  —  in  landschaftlicher  Mundart: 
„Zaruck!"  mit  dreissig  „Erren"  (r)^)  —  und  schlägt  dem  hand- 
greiflichen, zu  ihrem  Kammerherrn  sich  handtiren  wollenden 
Hofschranz  (cortesano)  mit  soviel  Erren,  als  der  Zauberer  Ma- 
legys  Fuchsschwänze  an  der  Mütze  trug  —  schlägt  ihm  die  Thür 
ihrer  Schlafkammer  vor  der  Nase  zu,  ohne  Rücksicht  auf  deren 
Aehnlichkeit  mit  des  Königs  seiner,  und  verriegelt  sie  —  die 
Thür  nämlich,  von  innen. ^)  Der  König,  sich  an  der  verblüff- 
ten Nase  fassend,  und  sie  mit  Fragen  über  Fragen  nach  dem 
Schlüsse]  dieser  räthselhaften  Kammerthür  bestürmend,  weiss 
nicht  wie  ihm  geschehen.  „Ist  das  Haus  verhext?  Wo  bin  ich 
und  was  soll  ich  hier?  Bin  ich  mir  bewusst  oder  nicht  be- 
wusst?    und  tapp'    ich   im  Labyrinth  des  Unbewussten  umher? 


V)  Rej.  Oid. 

Lis.         ?Que? 

Eey.  La  mano  os  pido. 

Lis.    ^,La  mano? 
Eey.  La  mano  quiero. 

Lis.    A  f e  qne  sois,  cabaUero, 
Para  huesped  atrevido  .  .  . 

2)  Lis.  Suelte;  que  el  diable  me  lleve 

Si  no  le  de  un  mojicon. 

3)  Lisarda.  Arre  aUa  con  treinta  erres 

4)  i^Cierra  Lisarda  la  puerta  por  dentro.) 


Der  König  vor  Schlafengehen.  229 

Was  ist  das  für  eine  Philosophie  des  Unbewussteii?"  i)  Auf  die 
vier  Fragen  eilt  Costanza  heran,  bei  der  nun  der  verdutzte 
König  sein  fünftes  Doppelfragezeichen  vorkehrt:  „Ist  das  etwa 
mein  Bett?^^-)  Auf  Costanza's  'si'  stellt  er  ihr  sofort  gross- 
müthig  und  als  „freigebiger  Mann",  die  Hälfte  zur  Verfügung 
und  verlangt  nichts  dafür,  als  dass  sie  ihn  ein  wenig  unterhalte.  ^) 

Unterhalt'   Ihn  eine  Wilds So  hör  doch!  —  Hör'  Ihn  der 

Teufel  und  hol'  Ihn  der  Beizebub,  Er,  Cortesanol*)  Der  nun 
wieder  nicht  ein-  noch  auswissende,  und  auf  Selbstfragen  ange- 
wiesene König  besorgt  das  in  so  hohem  Discant,  dass  die  dritte 
dralle  Bäuerin,  die  Beiisa,  mit  der  Dienstfertigkeit  eines  Hotel- 
mädchens herbeistürzt,  fragend,  was  ihm  fehle?  —  „Ein  Kam- 
merdiener, seinetwegen  auch  eine  Kammerdienerin,  die  ihn  zu 
Bette  bringe."  —  Beiisa,  auffahrend:  „Pack  Er  sich  mit  Sei- 
nen „Schw" — ,  hol  der  Teufel  den  Cortesano !"  •'^)  „Gut,  so  helfe 
Sie  mich  entkleiden.  Beiisa.  Wie  nett!  Sonst  haben  Sie  keine 
Schmerzen?  Könnt'  eine  Nacht  in  den  Hosen  schlafen!"^)  und 
huscht  davon.  Was  nun  fragen?  betet  der  im  Bauernwinkel  fest- 
geleimte König  sich  nun  selber  zum  Frageteufel  mit  gedämpfter 
Stimme,  mezza  voce.  Horch!  „hinter  den  Bettgardinen  —  oder 
ich  müsste  mich  sehr  irren  —  räuspert  sich  Jemand,  und  hustet 


1)  —  ^es  casa  iucantada 

(jQue  es  esto,  Dios?   ^Donde  estamos? 

^Que  filosofia  es  esa? 

(iEn  que  laberiiito  he  dadoV 

^;Como  me  he  metido  aqui? 

iHola  gente!  ^^Con  quien  hablo? 

2)  (5,  Es  esta  mi  cama? 

3)  Pues  entretenedme  un  poco; 
Que  soy  hombre  de  regale 

4)  Costanza.  Entreteiigale  una  fiera  — 
Eey.  Escucha. 

Co  st.  iQi^Q  he  de  escuchar? 

jValga  el  diablo  el  cortesano! 

5)  Bei.   Echese  su  porqueria. 

jValga  el  diablo  el  cortesano! 

6)  ßey.  Descalzadme  vos. 

Bei.  iQue  lindo! 

Duerma  una  noche  calzado. 


230  I^as  spanische  Drama. 

mir  Etwas.  Was  zaudre  ich  noch?  Ich  ziehe  den  Degen/' ^) 
Richtig!  der  Huster  hinter  dem  Alcoven  schlüpft  hervor.  Wer 
ist's?  Hofcavalier  Oton!  Mariscalco  Oton,  herbestellt  von  Lisarda, 
und  der  in  dem  von  ihr  zu  diesem  Zwecke  empfangenen 
Hausschlüssel  den  Schlüssel  zu  des  Königs  sämmtlichen  Frage- 
räthseln  in  der  Tasche  trägt,  mit  welchem  Schlüssel  denn  der 
König  nebenbei  den  zweiten  Act  zuschliesst,  den  Schlusskehrti- 
telvers  jedes  der  drei  Acte:  „Der  Bauer  in  seinem  Win- 
kel", als  Hängeschlösschen  einzuhaken  nicht  vergessend.^)  0 
der  lächerlichen  Mausefalle,  in  die  ein  König  von  Prankreich  sich 
zum  Winkelkönig  verläuft  und  verfängt!  So  lächerlich,  dass  die 
Situation  schier  eine  Parodie  des  Königs,  wo  nicht  des  König- 
thums,  neben  der  Verherrlichung  des  hochgemuthen  Geld-  wie 
Mist  besitzenden  und  auf  jenes  wie  auf  diesen  stolzen  Bauern  in 
seinem  Winkel  scheinen  kann.  So  satyrisch,  so  grundkomisch 
lächerlich,  als  ob  die  Komödie  ihre  nahe  Verwandtschaft  mit  je- 
nem Volksbüchlein  an  der  Schellenkappe  so  recht  auffällig  zur 
Schau  tragen  wollte,  jenem  alten  Volksbüchlein:  „Prag  und 
Antwort  König  Salomonis  und  Marcolphi",  wo  Mar- 
colph,  Eulenspiegels  Ahn  und  Vorgänger,  mit  König  Salomo  dem 
Weisen  ein  Gespräch  führt,  in  welchem  König  Salomo  „alle  seine 
weisen  Sprüche  der  Reihe  nach  auslegt,  die  Marcolph  dann  aus 
dem  Stegreif  parodirt",  so  dass  der  König  als  des  Narren  Narr 
figurirt;  nicht  aber  so,  wie  in  des  „visirlichen  Marcolphe's 
abenteuerlichem  Gespräch  mit  dem  König  Salomo",  nicht  so, 
„dass  der  weise  König  oben  majestätisch  mit  Krön'  und  Scepter 
in  der  Sonne  auf-  und  niedergeht,  während  sein  Schatten  seit- 
wärts in  die  Pfütze  fällt,  und  dort  alle  stolze  Haltung  ver- 
liert"^) —  nicht  so!     Sondern   vielmehr   so,    dass  Pfütze  und 


1)  Bey.  Parecenie,  6  me  engano, 

Que  detras  de  estas  cortinas 

Tose  un  liombre.  Pues  (ique  aguardo? 

Sacare  la  espada. 

2)  A  ver,  siendo  rey  tan  alto 
El  villano  en  su  rincon, 
Pues  no  ve  al  Eey  el  villano. 

3)  Görres.  Die  deutschen  Volksbüclier.  Heidelb.  1807.   Nr.  31.  8.  189 f. 


König  Salomo.  231 

Schatten  zur  Folie  des  in  der  Sonne  seiner  Majestät,  trotz 
Bauerwinkel,  hoclidaherwandelnden  Königs  werden,  zu  seiner  und 
zugleich  des  Bauern  und  Bauerwinkels  Parallelfolie,  und  beide 
letzteren  wiederum  in  der  Majestätssonne  sich  zu  deren  Sonnen- 
flecken, unbeschadet  des  in  der  Pfütze  sich  spiegelnden  Königs- 
schattens, erhöhen  und  transfiguriren.  Wenn  König  Salomo  den 
Marcolph  in  seinem  Winkel,  auf  einem  Esel  reitend,  besucht, 
und  in  der  Thüre,  wie  der  Holzschnitt  zeigt,  so  Stellung  nimmt, 
dass  der  PJsel  halb  innen  und  halb  aussen  steht,  und 
Marcolph  dem  Könige  philosophische  Fragen  in  Form  spitzfindiger 
ßäthsel  vorlegt:  ^)  Wer  erkennt  in  dieser  Situation  nicht  das 
Vorbild  zu  Scene  XL  Act  IL  in  unserer  Komödie,  wo  der  König 
von  Frankreich  ebenfalls  in  der  Thüre  stehen  bleibt  ^^)  auf  seinem 
Steckenpferde,  um  mit  dem  „philosophischen  Bauer"  ^0  ßhi  Salomo- 
nisches Gespräch  zu  führen.  Von  allen  spanischen  Bühnendichtern 
verstand  es  vielleicht  Keiner  so  trefflich,  wie  Lope  de  Vega,  mit 
dem  Pfunde  der  Parallelformel  zu  wuchern  und  Wirkungen  zu 
erzielen,  hinter  denen  man  wunder  welche  satyrisch  kühne, 
kunstfein  versteckte  Geheimabsichten  des  freien  Dichtergeistes 
und  Kunsthumors  vermuthen  möchte,  wo  im  Grunde  doch  nur 
die  Zauberlaterne  des  Schematismus  mit  dem  aus  ihren  Doppel- 
gläsern geworfenen,  und  durch  das  Hohlspiegelchen  darin  leucht- 
kräftig verstärkten  Doppelscheine  jene  magischen  Effecte  hervor- 
bringt. 

Solcher  Effecte  gaukelt  und  spiegelt  uns  der  dritte  Act  die 
Hülle  und  Fülle  vor.  Zuvörderst  im  ländlichen  Feste  der  Eichel- 
und  Olivenlese,  wozu  sich  hüben  eine  Gruppe  Bauernbursche  mit 
Brechstangen  für  die  Eichel-  und  Haselnussernte ;  drüben  eine 
Gruppe  Landmädchen,  worunter  Lisa r da,  Costa nza  und  Be- 
iisa, mit  ihren  Pflückstäben  für's  Oliven- Abschlagen  einfinden; 
beiderseits  mit  ihren  Musici,  die  jeder  Lese-Gruppe  aufspielen, 
gar  liebliche,  die  Fruchternte  feiernde  Volkslieder  dazu  singend. 
Seneschall  Oton  mischt  sich  in  die  Gruppen  mit  seinem  Diener 


1)  Görres  a.  a.  0.  S.  191. 

2)  Filet  0.  Estä  ya  en  el  portal, 

3)  jOh  filosüfo  vUano! 


232  Das  spanische  Drama. 

Marin;  wird  von  Lisarda,  vermummt  hinter  ihrer  Kaputze, 
geneckt  und  gehänselt,  wie  Marin,  der  Parallelgruppirung  zu- 
lieb, von  Be lisarda;  überreicht  einen  Brief  vom  König  an 
den  Bauer  Juan,  der  aus  seinem  Winkel  hervorgekrochen,  und  sich 
auch  inzwischen  eingestellt.  Das  königliche  Handschreiben  erin- 
nert Juan  an  seine  gegen  den  Alcaide  von  Paris,  als  ihn  die- 
ser in  seinem  Winkel  besuchte,  geäusserte  Bereitwilligkeit,  dem 
Könige  sein  Vermögen  zur  Verfügung  zu  stellen,  und  verlangt 
vorläuJBg  nur  hunderttausend  Thälerchen  auf  Abschlag,  die  der 
König  gerade  brauchen  könnte,  und  die  ihm  sein  Vetter  oder 
Gevatter  0,  sein  lieber  Winkelvetter,  Juan,  unverzüglich  durch 
den  mariscal  schicken  möchte.  „Vetter",  „Gevatter",  „pariente" 
Königs  Vetter?  —  Juan  befällt  ein  Wonneschwindel.  Im  Um- 
sehen hat  mariscal  Oton  die  hunderttausend  Thälerchen  vom 
Königsvetter  für  Gevatter  König  in  der  Tasche  und  trollt  ab. 
„Was  meint  Ihr  zu  der  Geschichte"')  ~  fragen  auch  wir  mit 
dem  Bauerburschen  Salvano,  und  theilen  zwar  die  Ansicht  von 
Juan's  Sohn,  Feliciano,  inbetreff  des  „Schmeichelgrusses"  'pa- 
riente'  in  des  Königs  Brief;  die  Ansicht:  „Wer  um  etwas  bittet 
pflege  in  der  Regel  solchen  Honig  denen  Winkelbauern  in's  Maul 
zu  streichen"  =^) ,  und  stimmen  auch  Juan's  rüstigem  Ackerbur- 
schen, Fileto,  auf  Salvano's  Frage  ertheilter  und  als  Denkspruch 
formulirter  Antwort  bei  ■*),  —  bekennen  uns  aber  trotzdem  zu  der 
maassgeblichen  Meinung,  dass  wir  Beide  Recht  haben:  Feliciano 
und  Fileto  einerseits  mit  ihren  das  königliche  Handbillet  an- 
scheinend satyrisirenden  Stachelversen;  und  wir  unsererseits  mit 
unserer  Auslegung:  dass  nämlich  um  jeden  Riemenstreifen  an 
der  spanisch-dramatischen  Momus-Geissel  ein  weicher  Flanell- 
streifen in  parallelen  Windungen  sich  schlängelt;  desgleichen  dass 
zwischen  je  zweien  Riemen  besagter  Geissei  ein  ähnlicher  Paral- 
lelflanelllappen kräuselt,  so  dass  der  Schlag  sich  zur  Wirkung  eines 


1)  pariente. 

2)  dQue  OS  parece  de  aquesto  que  ha  pasado? 

3)  Quien  pide  siempra  engana  con  lisanjas. 

4)  Que  el  villano  que  se  hace  caballero 
Merece  que  le  quiten  su  dinero. 


Zwei  Cabinetsschreiben.  233 

Pfauenwedels  abdämpft,  der  die  etwaigen  Runzeln  an  der  welt- 
lichen und  geistlichen  Macht  glatt  und  freundlich  fächelt,  dank 
der  parallelen  Watte-Ümwindung  je  eines  der  Geisselriemen  und 
der  parallelen  Gevatterschaft,  die  zwischen  je  zwei  Leder-  und 
Flanellstreifen  der  Momusfuchtel  obwaltet. 

Demgemäss  kommt  denn  auch  mariscal  üton  mit  einem 
zweiten  Brief  des  Königs  an  Juan,  worin  dieser  an  seine  vor 
dem  Maire  oder  Alcaide  von  Paris  geleistete  Zusage  erinnert  wird: 
eintretenden  Falles  auch  seine  Kinder  dem  Könige  zu  Dienste 
zu  stellen.  König  bitte  sich  daher  dieselben  aus,  und  wünsche, 
dass  sie  ihm  Gevatter  Juan  augenblicklich  durch  Oton  zusen- 
den möchte.  ^  Gelder  und  Kinder,  Gut  und  Blut,  sind  das  nicht 
die  zwei  stehenden  Leistungen,  die  Könige  seit  Menschengeden- 
ken von  den  Bauern  in  ihren  Winkeln  fordern  und  entrichten 
lassen?  Andere  Könige  freilich  besorgen  dies  in  einem  und  dem- 
selben Cabinetsbefehl  oder  Handschreiben,  wogegen  Lope's  angeb- 
licher König  von  Frankreich,  —  genau  besehen  aber  Doppel- 
gänger des  spanischen  Königs  Ordono  in  Lope's  oben  be- 
sprochener Komödie,  mithin  gleichfalls  König  von  Parallelsche- 
ma's  Gnaden,  —  als  solcher  behufs  jener  Gut-  und  Blutsteuer- 
Eintreibung  zwei  Cabinetsschreiben  hintereinander  erlässt,  die  sein 
Bestellbote  Marschall  Oton  in  zwei  aufeinanderfolgenden  Gängen 
dem  Bauer  in  seinem  Winkel  zuträgt.  AUdessunbeschadet  und 
ungeachtet  liesse  sich  doch  zwischen  den  Zeilen  die  Momus-Ab- 
sicht  herauslesen:  die  auf  seine  Gut-  und  Blutsteuer  hinauslau- 
fende Königs-Bauerngevatterschaft  mit  der  Spottgeissel  zu  treflen. 
Und  wenn  nicht  mit  dieser  —  die  Absicht  des  spanischen  Mo- 
mus:  zwei  Fliegen  mit  zwei  Klappen,  die  er  an  Stelle  der  Spott- 
geissel schwingt,  zu  treffen.  Es  liesse  sich  dieser  Momus-Dop- 
pelschlag  möglicherweise  zwischen  den  Zeilen  heraushören.  Ei  ja 
doch!  Wenn  nicht  die  zwei  Fliegenklappen  wieder,  gleich  dem 
Zauberkreisel  der  römischen  Hexe  Ganidia,  mit  doppelter  Pur- 
pur wolle  umwunden  wären,  so  bauschig  weich,  dass  die  Doppel- 


1)  „Si  fuese  necesario,  me  serviriades  con  vuestros  hijos;  ahora  son 
ä  mi  servicio  y  gusto:  ansi  os  niando  que  luego  al  punto  nie  les  envicis 
con  Oton/* 


234  ^^^  spanische  Drama. 

klappe  abermals  nur  als  Purpurwedel  fungirt,  der  von  den  beiden 
Gewalten,  der  weltlichen  und  geistlichen  Gewalt,  dem  Königthum 
und  der  Inquisition,  die  Fliegen  abwehrt  und  verscheucht,  anstatt 
sie  ihnen  mindestens  auf  der  Nase  todtzuschlagen.  Was  ist  denn 
des  Königs  Rechtfertigung  auf  seines  Vertrauten,  des  Hofca va- 
liers Pinardo,  Frage:  „Wodurch  erwarb  sich  doch  der  Bauer 
Deine  Gunst  und  Gnade?"  was  ist  sie  denn,  diese  Kechtfertigung, 
worin  der  König  seine  Stellung  zum  Bauer  und  dessen  Winkel 
mit  Alexanders  des  Grossen  zu  Diogenes  und  dessen  Tonne  ver- 
gleicht —  was  ist  sie  anders,  als  ein  mit  Purpurwolle  über- 
sponnener  Doppelwedel,  den  der  Dichter  seinem  Könige  in  die 
Hand  giebt,  um  die  zwei  Stechfliegen,  jene  mehrgedachten  Kö- 
nigs-Gut- und  ßlutsteuer- Ausschreiben,  sich  aus  dem  Sinne  zu 
schlagen  und  nebenbei  der  gekrönten  Stirne  selbstschmeichleri- 
sche Kühlung  zuzuwehen :  Er  dürfe  —  so  fächelt  ihm  des  Dich- 
ters Wedel  die  Stechfliegen  vom,  und  die  Hofschmeichellüft- 
chen  in's  königliche  Gesicht,  —  Er  dürfe,  wie  Alexander  der 
Grosse  dem  Diogenes,  so  auch  er  dem  Ackerbauer  Juan  ge- 
genüber, sprechen:  „Wäre  ich  nicht  der  König  von  Frankreich, 
würde  ich  es  für  grösseren  Gewinn  erachten,  Bauer  Juan  zu 
seyn."  ')    Damit   nicht  genug ,  jagt   der  Wedel  die   satyrischen 


1)        Pinardo.  ^^Por  doiide  vino  a  tu  gracia? 
ßey.  Porque  toque  con  la  maiio 

El  oro  de  su  valor, 
Caando  eii  su  rincon  le  vi; 
Que  ya  por  cl  y  por  mi 
Pudiera  decir  mejor 
Le  que  de  Alejandro  Griego 

Y  Diogenes:  el  dia 

Que  le  vio,  cuando  tenia 
Casa  estrecha,  sol  por  fuego, 
Dijo  que  holgar a  de  ser 
Diogenes,  si  no  fuera 
Alejandro;  y  yo  pudiera 
Esto  mismo  responder, 

Y  con  ocasion  mayor, 

Porque,  ä  no  ser  rey  de  Francia, 
Tuviera  por  inas  ganancia 
Que  fuera  Juan  Labrador. 


Parallelcontraste.  235 

Mücken  mit  gleichzeitiger  paralleler  Handschwenkung  dem  Hof- 
geschmeiss  auf  die  mit  Honig  bestrichenen  Nasen,  In  des  Bauer- 
burschen, Pileto,  Schilderung  eines  'Corte sano'  ist  jedes 
Wort  Wespe;  eine  Wespe  aber,  die  im  Honig  den  Stachel  sitzen 
lässt.  ^) 

Bis  auf  Nebendinge  und  episodische  Vorgänge  erstreckt  sich 
in  dieser  auch  darin,  wie  in  ihren  wirklichen  Meisterpartien, 
glänzenden  Komödie,  die  Kunst  der  schematischen  Parallelcontraste. 
Einen  solchen  bildet  Scene  XII,  A.  III,  wo  der  König  mit  dem 
völlig  episodischen  Almirante  (Admiral)  die  Vermählung  sei- 
ner Schwester,  der  Infanta,  bespricht,  die  der  Almirante  dem 
principe,  ihrem  Verlobten,  zuführen  soll,  —  zu  Scene  VIII,  in 
welcher  der  Bauer  Juan,  des  Königs  Parallel-Contrastgevatter, 
Familienrath  über  die  Verheirathung  seiner  Tochter,  Lisarda, 


1)  Bruno.  —  ^sabräs  tu  ser  cortesano? 

Fileto.  Pues  ,i,hay  cosa  mas  facil? 

Bruno.  De  que  suerte? 

Fileto.  No  se  si  acierto,  lo  que  pieuso  advierte 
Conipliiuientos  extraiios,  cerenionias, 
Reverencias,  loa  cuerpos  espetados, 
Muchä  parola,  mormoras,  donaires 
Risa  falsa,  no  liacer  por  nadie  nada, 
Notable  prometer,  verdad  ninguna 
—  Y,  y  otras  cosas  mas  sutiles 
Que  te  dire  despues  por  el  camiuo. 

Bruno.   „Verständest  Du  Dich  aufs  Höflingseyn ? 

Fileto.  Nichts  leichter, 

Bruno,   Wie  denn? 

Fileto.  Ich  weiss  nicht,  ob  ich's  treffe, 

Doch  höre!    Wunderlichste  Bücklinge, 
Kratzfüsse,  Ceremonien,  aufgeblasnes 
Gebahren,  eitel  Schwätzen,  Lästern  und 
Sich  zierert,  trugvoll  Lächeln,  gross  versprechen, 
Für  Niemand  Etwas  thun.    Von  Wahrheit  nicht 
Die  Spur  .  .  .  Und  andre  feinre  Künste  noch, 
Die  unterweges  ich  Dir  sagen  will.** 
Und  lässt  richtig   die   ,, feinern  Künste'*,    den  Komödienstachel  eben,  im 
Honig  stecken! 


236  ^^s  spanische  Drama. 

hält.  Wie  denn  der  Komödie  tendenziöses  Heldenzwillingspaar: 
der  König,  der  den  Bauer  um  seinen  Winkel  beneidet;  der 
Bauer,  der  den  Winkel  mit  dem  Hofleben  und  einer  Hofcharge 
vertauscht,  wie  denn  beide  „Gevattern"  schliesslich  als  Hoch- 
zeitsväter sich  die  Hände  reichen,  zur  Vermählung  der  ganzen 
Bauernfamilie:  Feliciano's  mit  Costanza,  den  der  König  zum 
Alcalden  von  Paris  ernennt'),  in  dessen  Maske  er  um  des  Bauern 
Juan  Freundschaft  zu  Winkel  gekrochen.  Peliciano,  der  das 
Hofwesen  so  oft  bestichelte,  ernennt,  hochdaherschreitend  in  sei- 
ner Alcaldenwürde  und  im  städtisch-schmucken  Kleide,  seine  zwei 
Ackerburschen,  Bruno  und  Fileto,  zu  seinen  Pagen 2);  diesel- 
ben, die  sich  über  das  Hofvolk  eben  nur  so  lustig  gemacht! 
Ironie  —  feine  Ironie!  Mag  seyn,  aber  Parallelironie,  und  wie 
von  selbst  parodistisch  im  Mittel  der  Hofluft  des  Contrastparalle- 
lismus,  gleich  Lichtstrahlen,  sich  vom  oder  zum  Perpendikel 
brechend.  Als  Juan 's  Hochzeitszwillingsvater  und  Gevatter,  ver- 
mählt der  König  zweitens  die  Lisarda  mit  seinem Hofca valier 
und  Seneschall  Oton,  den  seit  jenem  Begegniss  mit  dem  König 
hinter  dem  Alcoven  vor  Lisarda's  Schlafkammer  verhaltene  Ei- 
fersucht auf  den  König  wie  eine  verbissene  Kolik  plagt,  und  in 
den  siedendsten  Eifersuchts-Apartes,  im  eigenen  Fette,  bei  lang- 
samem Feuer,  während  des  Königs  Unterhaltung  mit  Lisarda, 
sich  selber  schmort,  und  dick  bestreut  mit  spanischem  Eifer- 
suchtspfefler.  Der  Sprung  aber,  den  mariscal  Oton  aus  der 
Schmorpfanne  des  Aparte  macht,  als  der  König  seine  Schwester, 
Infanta,  auflbrdert,  Brautpathin  bei  dem  Hochzeitspaar  Oton  und 
Lisarda,  zu  seyn !  Und  wie  kräftig  er  den  spanischen  Pfeffer,  die 
Eifersucht,  die  Lieblingswürze  der  spanischen  Komödie,  abschüt- 
telt, dass  derselbe  von  ihm  stiebt  und  sprüht,  wie  die  Funken, 
die  der  Hofcavalier  dem  Färgen  in  Goethe's  Märchen  als  Fähr- 
geld in  blanken  Ducaten  sich  vom  Leibe  schüttelt.  Ja,  als  solche 
Ducaten  spritzt  Hofmarschall  Oton  den  spanischen  Pfeffer  aus 
allen  Poren,  und  nicht  weniger  denn  200,000  geschlagene  Ducaten, 


1)  Hago  Alcaide  de  Paris 
A  Peliciano. 

2)  Que  pajes  he  de  tener 
Para  Alcaide  de  Paris 


Die  Bauernroahlzeit.  237 

gerade  so  viel  als  die  Mitgift  beträgt,  die  der  König  der  Braut 
bestimmt:  zu  jenen  100,000,  ihrem  Vater,  Juan,  vom  Könige 
in  seinem  Handbillet  abgeforderten  Ducaten,  die  gleiclie  Parallel- 
summe fügend,  in  zehn  der  Braut  geschenkten  Gütern.  ^)  Was 
für  Parallelfunkenbüschel  schütteln  aber  nicht  erst  die  Vor- 
kehrungsscenen  zu  diesen  Schlussüberraschungen  aus  allen  Glie- 
dern und  Haarspitzen!  Die  sechs  Schüsseln,  die  der  Kö- 
nig in  zwei  Trachten  auftragen  lässt^  als  Nachtisch  zu  dem  pa- 
rallelen Vergeltungsschmause ,  womit  er  des  Winkelbauern,  ihm, 
dem  vermeinten  Alcaiden  von  Paris,  zu  Ehren  gegebenes  Gast- 
mahl erwidert!  Und  welche  Leckerbissen  tischt  der  erste 
Schüsselgang  in  seinen  drei  Becken  auf?  Die  Insignien-Symbole 
der  Königsmacht:  Scepter,  Spiegel  und  Schwert,  deren  Be- 
deutung der  König  seinem  Gast  aus  dem  Bauernwinkel  erklärt, 
worunter  der  Spiegel  allein  einer  Deutung  bedürfen  möchte: 
dass  derselbe  nämlich  des  Königs  Aufgabe,  der  Spiegel  seines 
Reiches  zu  seyn,  verbildliche,  in  welchem  sich  jeder  Vasall  be- 
schauen müsse,  als  das  in  Pflichtentreue  Parallelebild  zu  seinem 
Könige,  das  ihn  aus  dem  Spiegel,  Ehrfurcht  gebietend,  anstrahlt, 
und  das  —  glossirt  die  Gesangsstrophe  der  Tafelmusik  —  der  königs- 
treue ünterthan  anzubeten  habe,  vom  Glänze  der  Majestät,  wie 
von  den  Strahlen  der  aufgehenden  Sonne,  geblendet  und  von  des 
Königs  Anblick  so  freudedurchgiüht,  wie  die  Erde  bei  des  Son- 
nenantlitzes erster  Schau. '^)  Juan,  eingedenk  seiner  zuversicht- 
lichen, bauernstolzen  Haltung  und  Sprache,  dem  Könige  gegen- 
über, erzittert,  und  möchte  in  seinen  Winkel  sich  verkriechen. 
Doch  bald  verscheucht  der  zweite  Schüsselgang  jede  Be- 
sorgniss.     Die   erste    dieser   Schüsseln    enthält   ein   königliches 


))  Sobre  los  cien  mil  ducädos 

Ell  diez  villas  otros  ciento. 

2)  Musicos  (cantan). 

Como  se  alegra  el  suelo 

Cuando  sale  de  rayos  matizado 

El  sol  en  rojo  velo, 

Asi  viendo  el  su  rey,  esto  obligado 

El  vasallo  obediente, 

Adorando  los  rayos  de  su  frente. 


238  A)as  spanische  Drama. 

Schriftblatt,  das  Juan's  schon  zum  Oberschöppen  von  Paris  er- 
nanntem Sohne,  Feliciano,  den  Titel  'Caballero'  verleiht. 
In  der  zweiten  Schüssel  liegt  das  Papier,  das  Juan's  Tochter, 
Lisarda,  mit  den  200,000  Ducaten  als  Mitgift  ansteuert.  Die 
dritte  Schüssel  endlich  bringt  ihm  selbst,  dem  Winkelbauer, 
Juan,  die  Ernennung  zu  des  Königs  Haushofmeister.  ^)  Winkel- 
bauer fällt  aufs  Angesicht  vor  Wonnebetäubung,  und  küsst,  der 
spanischen  Etiketten-Parallele  und  Parallelen-Etikette  gemäss,  dem 
Könige  zuerst  die  parallelen  Füsse  und  dann  die  parallelen 
Hände.  '^)  Wie  steht  es  nun  um  die  ironische  Tendenzmoral  ? 
Offenbar  ist  die  ganze  hoffähig  gemachte  Bauernwinkelfamilie,  mit 
ihrem  Oberhaupt  voran,  der  vom  Ofen  gelotkte  Hund.  Der 
Schluss  der  Komödie  schlägt  ihren  Titel  mit  einem  Hoftitel  in's 
Gesicht,  und  degradirt  den  Bauer  als  König  in  seinem  Winkel 
zum  königlich  „gemayerten"  Hausmaier,  während  der  König 
dem  Bauernwinkel  den  ßücken  als  ein  Alexander  zukehrt,  der 
dem  Diogenes  die  Tonne  zerschlägt  und  den  Cyniker,  den  königs- 
bissigen Hund-Philosophen,  als  Hofhund  an  goldner  Leine  davon- 
führt. Gelt,  eine  in  zwei  Spitzen  auslaufende  Schlussironie,  die 
sich  gegenseitig  abstumpfen!  Ein  pfeilförmiger  Scorpionstachel, 
den  die  in  zwei  feurige  Parallelkreise  gebannte  Komödie  gegen 
sich  selber  einkrümmt,  nicht  etwa  um  sich  todtzustechen,  da  ihr 
Pfeilstachel  nur  goldnen  Thau  tröpfelt,  sondern  blos  um  zu  glän- 
zen, wie  der  Stachel  ihres  siderischen  Abbildes,  des  in  den  Pa- 
rallelkreisen des  Zodiacus  schimmernden  Scoi^pions.  Auch  dies 
hat  das  Genie,  das  spanische  vor  Allem,  zueigen,  dass  seine  Fäul- 
niss  als  blendendes  Irrlicht  aufglänzt:  dass,  gleich  dem  Meeres- 
leuchten, auch  das  seine  von  verwesenden  Weichthieren  herrührt; 
dass  seine  Fehler,  Gebrechen  und  Flecken  im  Verhältniss  zu  seinem 
Genie  stehen,  wie  die  Grösse  der  Flecken  an  der  Austerschaale 
auf  die  entsprechende  Grösse  der  von  ihr  umschlossenen  Perle 
deutet;  dass  sein  poetischer  Auswurf,  wie  des  Luchses  Harn,  zu 
Edelsteinen  erstarrt,   oder  wie  der  aus   solcher  Bewässerung  er- 


1)  —  Para  ti  trae 

Una  cediüa  el  tercero 
De  inayordomo  del  Rey, 

2)  Juan.  Los  pies  y  manos  te  beso. 


Lope  de  Vega's  Comodia:  Amar  sin  saber  a  Quien.  239 

zeugte  und  nach  dem  Tode  in  eine  solche  wieder  aufgelöste 
Orion  ^)  unter  die  Sterne  versetzt  ward,  wo  er  neben  dem  gleich- 
falls asterisirten  Aase  des  Scorpions  gar  herrlich  strahlt,  dessen 
Stich  ihn  und  den  Scorpion  selber  zu  Sternbildern  flammte  und 
emporstach  in  den  Himmel.  Lauter  metamorphotische  Contrast- 
erscheinungen,  die  im  spanischen  Genie  schöpferisch  wirken,  un- 
beschadet der  unausgleichbaren  Widersprüche,  die  freundnachbar- 
lich nebeneinander  herlaufen,  weil  sie,  wie  Parallellinien  eben, 
in  alle  Ewigkeit  sich  nicht  berühren,  und  daher  auch  keine  die 
Gegensätze  tilgenden  Kreuzungs-  und  Durchgangsknoten,  keine  — 
wie  durch  Gegenspiegelung  interferenzirte  Lichtstrahlen  —  keine 
die  Widersprüche  auslöschende  Durchschneidungspunkte  bilden. 

Amar  sin  saber  ä  Quien. 
(Lieben  ohne  zu  wissen,  Wen  man  liebt.) 

Li  dieser  Lage  befindet  sich  Caballero  Don  Juan,  der,  bei 
einem  im  Duell  Getödteten,  das  er,  als  Fremder,  zu  verhindern 
herbeigeeilt  war,  von  den  Gerichtsdienern  betroffen,  im  Gefäng- 
niss  als  der  vermeinte  Mörder  schmachtet.  Der  wirkliche  Mör- 
der, Don  Fernando,  hatte  sich  auf  das  Pferd  des  von  Sevilla 
eben  vor  den  Thoren  von  Toledo,  wo  das  Duell  stattfand,  ange- 
langten Don  Juan  geschwungen  und  in  seine  Wohnung  zu  Toledo 
glücklich  geflüchtet.  Hier  erzählte  er  seiner  Schwester  Leonarda 
den  Vorfair-),  die  mit  Einwilligung  ihres  Bruders  dem  Unschul- 
digen werthvolle  Geschenke  in  Edelsteinen  und  Silber  durch  ihre 
Dienerin  Ines^)   in's  Gefängniss  schickt,   mit  einem  Briefchen, 


1)  -  Quia  sie  gcnitus  vocat  Urion a. 

Ovid.  Fast.  V,  530  ff. 

2)  Den  Anlass  zum  Duell  gab  ein  Wortwechsel  wegen  einer  Dame, 
deren  Gunat  sich  der  im  Duell  gebliebene  Don  Pedro  berühmt  hatte. 
Fernando  berichtet  seiner  Schwester  den  Hergang  in  einer  zwei  Colnmnen 
langen  Schilderung.  —  3)  Zofe  Ines  liest  den  Romancero,  bekennt  sich 
als  Schöngeistin  und  kann  dem  Cervantes  seinen  Don  Quijote  nicht  ver- 
zeihen : 

Ines.  Don  Quijote  de  la  Mancha 
(Perdone  Dios  a  Cervantes) 


240  I^^s  spanische  Drama. 

worin  die  mildherzige  Cnbekaunte  iiir  Mitgefühl  dem  fremden 
ßitter  ausspricht.  0  Don  Juan  ist  ausser  sich  vor  Entsetzen 
über  das  Briefchen,  sein  Diener  Limon  (Citrone)  über  die  Ge- 
schenke, dem  die  Natur  schon  in  den  Windeln  ein  ansehnliches 
Geschenk  in  einer  Nase  eingebunden,  die  ihn  bei  den  Mitgefan- 
genen als  Juden  verdächtigt.  Limon  rettet  die  christliche 
Ehre  seiner  langen  Judennase  mit  den  kurzen  Stutznasen,  womit 
ausnahmsweise  auch  Juden  geboren  werden.  2)  Don  Juan  d' Aqui- 
lar  sendet  der  unbekannten  barmherzigen  Schwester,  nebst  der 
Antwort  auf  ihr  th  eilnahm  volles  Billet,  einen  Diamanten  als  Ge- 
gengeschenk. Die  Doublone  aber,  die  Don  Juan  der  üeber- 
bringerin  anbietet,  weist  die  Eomancero-Leserin ,  das  gebildete 
Kammermädchen,  die  schöngeistige  Gegnerin  des  Don  Quijote, 
Ines,  entschieden  zurück.  Ein  Grossmuthswettstreit  zwischen 
Don  Fernando,  der  Don  Juan  im  Gefängniss  mit  dem  Vor- 
satz aufsucht,  sich  als  den  Schuldigen  beim  Gericht  anzugeben, 
und  Don  Juan,  der  den  Vorschlag  zurückweist,  wird  vorläufig 
durch  Don  Juan's  Vertröstung  auf  seinen  hohen  Freund  und  Gön- 
ner, Don  Luis  de  Ribera,  zu  Toledo,  Verwandten  des  Her- 
zogs von  Alcalä,  beigelegt,  dessen  Verwendung  ihn  der  Haft  ent- 
reissen  werde. 

Die    Romancero- Leserin    Ines    entwirft    der    Herrin    eine 


Fiie  de  las  extravagantes 

Que  la  Cronica  eiisancha. 
Der  erste  TlieJl  des  Don  Quijote  war  1605  zu  Madrid  erschienen.  Un- 
sere Comedia  konnte  in  demselben  Jahre  gespielt  worden  seyn.  —  1)  Leo- 
narda theilt  dem  Bruder  ihren  Anschlag  mit,  vorhehältlich ,  auf  Frauen- 
wort, des  heimlichen  Anschlags  in  petto:  die  vorläufige  'Quien'  zu  dem 
Titel  der  Comedia  zu  liefern: 

Yo  le  escribire  un  papcl 

Diciendo,  que  es  de  una  dama 

Que  le  vio  pasando,  al  tiempo 

Que  al  Carcel  le  Uevaban, 

Y  que  piadosa  le  envia 

Joyas,  regalos  y  plata. 
2)  Si  narices  longas  hacen 

Sospechar,  no  dicen  bien, 

Porque  sepan  que  hay  tambien 

Judios  que  romos  nacen. 


Leonarda  mit  dem  Sperling  in  der  Hand.  *241 

SO  romantische  Schilderung  von  Don  Jnan's  Person,  Wuchs, 
Taille,  männlicher  Zier  und  galantem  Wesen  ^),  dass  Dona  Leo- 
narda den  Sperling  in  der  Hand,  —  denselben  Don  Luis  de 
Ribera,  auf  dessen  Fürsprache  Don  Juan  gegen  ihren  Bruder 
sich  berufen  —  diesen  Sperling  in  der  Hand,  ihren  schwärmeri- 
schen Anbeter  fliegen  lässt,  dem  Vogel  im  Käfig  zuliebe,  zu  des- 
sen unbestimmtem  Frage-Fürwort  „Quien"  sie  titelgerecht  sich 
erkoren  fühlt,  insonders  nachdem  sie  sein  Antwortsbriefchen  ge- 
lesen, worin  er  Liebesbetheuerungen  ablegt,  ohne  zu  wissen  Wem  ? 
und  sich  zu  ihrem  Vogel  im  Käfig  erklärt,  ohne  zu  wissen, 
welche  schöne  Hand  ihm  Zucker  und  Futter  reicht,  und  ohne 
zu  wissen,  ob  er  jemals  aus  ihres  Käfigs  Haft  würde  befreit  wer- 
den können  und  wollen.  2)  Die  feurige  Toledanerin  ist  entschlos- 
sen, den  Vogel  nicht  freizugeben,  sondern  in  das  goldenste,  von 
der  Freiheit  selbst  beneidete  Gefängniss,  in  ihr  Herz,  einzu- 
schliessen.  ^)  Unwiderruflich  fasst  sie  den  verhängnissvollen  Ent- 
schluss  einer  Romeo- Julia:  Dieser  Mann  muss  mein  Herzliebster 
und  ich  sein  Weib  werden,  und  sollten  wir  Beide  darüber  zu- 
grunde gehen.'*)  Und  schickt  Ines  wieder  an  Don  Juan  ab,  um 
ihm  ihr  Portrait  zu  bringen,  das  unbekannte  „Quien''  in  Farben, 
Mittlerweile  versichert  der  vornehme  Santiago-Ritter,  Don  Luis 
de  Ribera,  seinem  Freunde  und  Schützling  im  Gefängniss,  Don 
Juan,  seiner  freundschaftlichsten  Gönnergefühle  und  nachdrück- 
lichen Verwendung.  Citrone  (Limon)  lässt  Ines  eintreten  in  die 
Gefängnissstube  mit  der  Begrüssung:  Herein,  „Blüthe  der  Welt."'') 
Die  in  romantischen  Situationen,  Erfindungen  und  Lügen  bewan- 


1)  En  mi  vida 

Vi  mancebo  tan  galan. 

iQue  taue!   Que  bizarria! 
iQue  limpieza! 

2)  —  qne  yos  sois  quien  me  habeis  preso,  pnes  no  hay  carcel  conio 
la  obligacion,  y  prneba  se  en  quo  desta  podre  salir,  y  de  la  otra  es  im- 
posible.  —  3)  yo  le  tengo  de  querer. 

4)  Porqne  este  hombre  ha  de  ser 
Mi  bien,  y  yo  su  mujer, 

0  de  los  dos  perdicion. 

5)  Llega,  fior  del  mundo. 

X.  16 


242  I^as  spanische  Drama. 

derte  Zofe  giebt  vor,  sie  müsse  das  Portrait  dem  Juwelier, 
zum  Ausbessern  des  Gehäuses,  bringen.  Welcher  Verliebte  lässt 
sich  aber  das  Portrait  der  Geliebten  wieder  entreissen,  zumal 
einer  Geliebten,  die  man  liebt,  ohne  zu  wissen  Wen?  die  man 
eben  nur  als  Bild,  als  Ideal  liebt,  ohne  Original?  Nach  diesem 
fragt  Don  Juan  den  hierauf  ihn  besuchenden  Don  Fernando, 
des  Originals  Bruder.  Dieser  erkennt  natürlich  auf  den  ersten 
Blick  die  bewusste  „Quien",  zieht  aber  beim  Erkennen  ein  so 
verdutztes  Gesicht,  dass  Citren e  darauf  wettet,  ein  solches  Ge- 
sicht könne  nur  der  Ehemann  des  Originals  veranstalten.  ^ 
Mit  dem  nichts  weniger  als  tröstlichen  Gesicht,  das  nun  Don 
Juan  zum  besten  giebt,  schliesst  der  erste  Act  dieser  vorzügli- 
chen Komödie,  einer  der  wenigen  unter  den  besten  der  spani- 
schen Duell-Komödien,  wo  das  Duell  dem  angenehmen  Eindruck, 
den  wir  von  den  edlen  Figuren  und  Motiven  empfangen,  keinen 
Abbruch  thut. 

Was  bleibt  dem  zweiten  Act  übrig,  als  Leonarda  und 
Ines  in  Don  Juan's  de  Aguilar  Gefängnissstube  verschleiert 
erscheinen  zu  lassen?  Als  Leonarda  ihr  Entzücken  über  den 
schönen  jungen  Cavalier  in  Aparte's  verrathen  zu  lassen?  Als 
Don  Juan  sie  fussfällig  um  Entschleierung  flehen  zu  lassen? 
Als  es  ihm,  nach  einigen  schalkhaften  Versagungs-Neckereien, 
zwar  nicht  augenblicklich  gewähren,  doch  in  Aussicht  stellen, 
wohl  aber  die  erbetene  Zusammenkunft,  nach  seiner  wieder  er- 
langten Freiheit,  an  ihrem  Fenstergitter  ihm  bewilligen  zu  las- 
sen? Was  der  zweite  Act  keines  andern,  als  Lope's,  so  reizend 
naiv,  und  in  ächter  ünschuldsliebe  eines  noch  nicht  fünfzehn- 
jährigen Fräuleins  so  kindlich  treuherzig  dem  Geliebten  möchte 
zusichern  lassen,  das  ist  Leonarda's  Liebesgeständniss,  das  wieder 
an  Julia's  offenherzige  ehrliche  Liebeserklärung  erinnert,  im  Wi- 
derspiel zu  der  Verschleierung:  Julia's  von  der  dunklen  mantilla 
der  Nacht;  Leonarda's  von  dem  Spitzengewebe  ihres  Gesichts- 
flors, der  dem  heiss  schwärmenden  Andalusier  sein  „Quien"  nei- 
disch verhüllt.  Don  Juan  äussert  seine  Befürchtung,  dass  sie 
vermählt  seyn  könne.  „Das  wird  nur  an  dem  Tage  der  Fall 
seyn"  —  entgegnet  sie  —  „wenn  Gott  meine  Wünsche  erhört. 


1)  iQuanto  va  que  es  su  mujer? 


Freundschaftsopfer.  243 

Bis  jetzt  habe  ich  noch  keinen  Gemahl . .  .  Doch  ich  sage  nicht 
die  Wahrheit.  Ihr  seyd  ja  der  Meine,  und  werdet  es,  so  hoffe 
ich,  mit  Zuversicht  seyn,  wenn  ihr  erfahren,  wer  ich  bin."  ^)  Ob- 
gleich die  Scene,  wo  Don  Fernando  von  Doiia  Lisena,  um 
derenthalb  er  Don  Pedro  im  Zweikampf  umgebracht,  einen  ent- 
schiedenen Korb  voll  stachlichter  Vorwürfe  wegen  des  ihr  ent- 
rissenen Geliebten  davon  trägt,  nur  ein  episodisch  schwaches  In- 
teresse darbietet,  so  gönnen  wir  doch  dem  sonst  wackern  Don 
Fernando  den  Korb  und  dem  zweiten  Act  diese  Scene  von  poe- 
tischer —  Gerechtigkeit. 

Der  edle  Don  Luis  de  Kibera  führt  Don  Juan  unter 
Bürgschaft  aus  der  Haft,  und  Eines  Weges  gerade  vor  den  Bal- 
kon des  von  Leonarda  dem  Don  Juan  bezeichneten  Hauses,  von 
dessen  Beziehung  zu  Don  Luis  der  Freund  keine  Ahnung  hat  — 
sin  saber  quien,  ohne  zu  wissen,  Wer  ihn  dahin  führt,  der  näm- 
lich, der  da  liebt  und  recht  gut  weiss  Wen,  die  Leonarda 
nämlich.  Erfährt  es  aber  augenblicklich  aus  der  Hinführung  eben 
auf  den  Standort  des  ungeahnt  gemeinschaftlichen  Stelldicheins, 
das  für  Don  Luis  freilich  nur  ein  einschichtiges  ist,  was  indes- 
sen Don  Juan,  als  vorbestimmter  Nichtwisser  von  Wie,  Wo 
und  Wen,  auch  nicht  weiss  und  wissen  darf.  Don  Luis  hat 
sich  auf  einen  Augenblick  entfernt.  Nun  folgen  Balkonqui- 
proquo's  sin  saber  Quien  von  genuin  spanischen  Collisionen,  in- 
folge des  durchgängigen  Edelmuths  der  Personen.  Don  Juan 
bittet  die  am  Fensier  erschienene  Leonarda,  die  nicht  weiss, 
ob  sie  Don  Luis  liebe  oder  langweile,  sie  möchte  sich  huldsam 
gegen  Don  Luis  erweisen,  der  seiner  Hoffnung  Hafen  ist.  2)  Und 


1)  Don  Juan.  —  mas  temia 

Que  erades  casada. 
Leonarda.  El  dia 

Que  comple  Dies  mi  deseo. 
Ahora  sin  dueno  estoy  .  .  . 
—  Miento;  que  vos  lo  aois  mio, 
Y  que  lo  sereis  confio 
Quando  vos  sepais  quien  soy. 

2)  Leonarda.  No  se 

Si  me  sirve  o  me  cansa. 

16* 


244  Das  spanische  Drama. 

als  der  wiedergekehrte  Don  Luis  mit  Don  Juan  zusammen 
vom  heimkehrenden  Don  Fernando  verscheucht  worden,  klagt 
Don  Juan  seinem  Diener  Limon  seine  Lage,  dass  ihn  Freund- 
schaft und  Dankbarkeit  zwinge,  der  Bewerbung  Don  Luis'  um 
Leonarda  zu  weichen.  Die  Gemeinörtlichkeit  von  Fernan- 
do's  Bruderscene  mit  seiner  Schwester  Leonarda  wollen  wir 
als  eines  der  Weinblätter  mit  in  den  Kauf  nehmen,  die  zwischen 
den  köstlichen  Pfirsichen  liegen. 

ßisjetzt  liebt  Don  Juan  noch  immer,  ohne  zu  wissen.  Wessen 
und  was  für  ein  Gesicht  hinter  dem  Schleierflächelt.  Bei  Leo- 
narda's  zweitem  Besuch  in  seinem  Gefängniss,  wohin  er  zurückge- 
kehrt, lüftet  Don  Juan  selbst  den  Schleier  mit  einer  Apostrophe 
an  den  als  ständige  Perlen  von  Aurora  geweinten  Morgenthau, 
an  die  den  Morgen  begrüssenden  Vögel  und  an  alle  Schafherden, 
die  vor,  Sonnenaufgang  auf  die  Weide  getrieben  werden,  um 
endlich  in  Leonarda's  enthülltem  Antlitz  die  leibhafte  Sonne 
selber  anzubeten.  Mehr  als  irgend  ein  spanischer  Dramatiker 
hat  Lope  idyllische  Lyrismen  in  seinen  Lustspielen,  und  meist  zum 
Schaden  des  Lustspieltons,  als  falschen  Schmuck  verschwendet. 
Don  Juan,  aus  liand  und  Band  vor  Entzücken,  sieht  in  Leo- 
narda's  Gesichtsoval  das  Weltall  in  Miniatur,  i)  Citrone  (Limon) 
quetscht  sich  selber  aus  in  obligater  Ekstase  als  Diener-Doublette 
seines  Herrn,  und  wählt  als  Citronenpresse  dazu  Sonett  65  von 
Lope,  seinem  und  der  Komödie  Schöpfer'-^),  wie  Leporello  in  Don 
Juan:  „das  ist  aus  dem  Figaro  von  Mozart!"  Wer  tritt  in's  Ge- 
fängniss? Don  Luis!  Leonardo  und  Ines  haben  natürlich 
ihre  Schleier  wieder  fallen  lassen.  Don  Luis  sieht  nichts  vom 
Gesicht  als  die  schönen  Augen.  ^)  Nicht  einmal  ein  Wort  kann 
Don  Luis  der  verschleierten  Ines  abgewinnen.  Für  seine  An- 
kündigung von  Don  Juan's   Freilassung  schenkt   sie  ihm  einen 


Don  Juan.  No  le  trates  mal,  mi  bien: 

Que  es  puerto  de  mi  esperanza. 

1)  Yo  he  visto 

Todo  el  mondo  en  ese  rostro. 

2)  Dice  allä  en  sus  rimas  Lope 
Soneto  sesenta  y  cinco. 

3)  ;  Buenos  ojos! 


Zwickmülile  von  Dankbarkeit  und  Freundschaft.  245 

Brillantring  funkelnd  wie  die  Buenos  ojos,  und  entfernt  sich  mit 
Ines  lautlos.  Dem  neugierigen  Don  Luis  l^ann  Don  Juan 
mit  gutem  Gewissen  bei  dem  Titel  der  Comedia  zuschwören,  dass 
er  den  Namen  der  Dame  nicht  weiss,  und  dass  er  liebt  ohne  zu 
wissen  Wen.  Zwischen  Thür  und  Angel,  zwischen  Rinde  und 
Borke  von  Dankbarkeit  gegen  Don  Luis  und  Liebe  für  seines 
Wohltliäters  Geliebte  geklemmt  —  in  dieser  Gemüthsdoppelker- 
kerpein  wird  unser  befreiter  Don  Juan  d'Aguilar  vom  zwei- 
ten Acte  dem  dritten  überliefert. 

Eine  neue  Folterschraube  setzt  Don  Fernando's  Dankbar- 
keit gegen  Don  Juan  dessen  Situationsklemme  durch  die  gast- 
freundschaftliche Aufforderung  an,  Don  Juan  möchte  in  seinem 
Hause  so  viele  Tage  verweilen,  als  er  für  ihn  im  Gefängniss  zu- 
gebracht. Don  Juan  werde  da  zugleich  seine,  Fernando's,  Schwe- 
ster kennen  lernen,  die  nicht  minder  begierig  als  er,  der  Bruder, 
ist,  dem  grossmüthigen  Hafterdulder  in  Stellvertretung  ihre  Dank- 
barkeit zu  bezeigen,  i)  Wie  sinnreich  versteht  so  ein  spanisches 
Dichtergehirn,  zumal  eines  Lope,  mit  dem  Doppelpfunde  seiner 
dualistischen  Situationsanschauungen  und  zwiespaltigen  Seelen- 
stimmungen und  Lagen  zu  wuchern!  Don  Luis,  entzückt  über 
seines  Freundes  und  Schützlings  Don  Juan's  Aufnahme  in  Don 
Fernando's  Haus,  erwartet  von  ihm  eine  warme  Fürsprache  bei 
Leonarda  zugunsten  seiner  Bewerbung  2),  und  getröstet  sich  der 
freudevollen  Hoffnung,  durch  Don  Juan's  Vermittelung  Leonarda 
täglich  sehen  zu  können.  DonJuan's  dankerfülltes  Gemüth  — 
dankerfüllt  für  die  Befreiung  aus  unverschuldet  gebüsster  Haft  — 
sagt  dem  Befreier  seine  eifrigste  Mitwirkung  zu  3),  und  dass  er, 
als  Befreiter,  der  Gefangene  seines  Befreiers  bliebe  nach  wie 
vor  0  —  und  hält  unverbrüchlich  Wort?  —  Mehr  als  das!    Er 


1)  Conecereis  una  hermana 
Que  tengo,  que  quiere  veros 
Y  la  parte  agredeceros 

De  esta  prision. 

2)  Donde  estä  Leonarda,  estäs: 
Häbla  la  de  parte  rnia. 

3)  En  mi  tendräs  una  guarda 
De  obligacion  y  de  fe. 

4)  Tu  preso  como  antes  soy. 


246  I^^s  spanische  Drama. 

räumt  dem  Wohlthäter,  dem  die  Wohlthat  nichts  als  ein  Ver- 
wendungswort gekostet,  das  Feld  —  entschlossen  mit  seinem  von 
Liebe  flammenden  Herzen  Toledo  den  Rücken  zu  kehren,  worüber 
Limon,  dem  er  seine  Seelenklemme  als  Grund  der  Abreise  an- 
giebt,  die  herbsten  von  dieser  Klemme  ihm  ausgepressten  Citro- 
nenthränen  tröpfelt,  im  Hinblick  auf  Ines,  seine  Leonarda. 
Zum  vollständigen  Parallel-Dualismus  fehlt  nur,  dass  Leonarda, 
zugunsten  einer  Freundin,  die  Vermittlungsrolle  bei  Don  Juan 
übernehme,  die  ihm  Don  Luis  bei  Leonarda,  als  seinen  Frei- 
werber aus  Dankbarkeit,  übertragen.  Richtig!  die  Freundin  hat 
sich  gefunden,  in  der  Wittwe  Lisena,  um  die  sich  Leonarda's 
Bruder,  Don  Fernando,  bewirbt,  die  sich  in  Don  Juan*s  Taille 
und  Tournure  verliebt,  die  ihre  Freundin  Leonarda  bestürmt,  sie 
mit  Don  Juan's  schönem  Wuchs  zu  verheirathen,  und  die  auch 
nur,  behufs  Vervollständigung  ^des  spanischen  Parallel-Schema's, 
von  Lope  erfunden  worden.  Da  steht  nun,  Scene  8.  Acto  HL» 
der  doppelgestaltige,  dualistische  Situations-Parallelismus  leibhaft 
vor  uns,  und  sich  selber  gegenüber,  in  dem  Liebespaar  Don 
Juan  und  Dona  Leonarda:  Er,  als  Fürsprecher  und  Frei- 
werber „für  einen  Mann";  sie,  als  Freiwerberin  „für  eine  Frau". 
Er:  Don  Luis  trug  mir  auf,  Dir  sein  Liebesleid  zu  melden.  Sie: 
Und  mir,  Lisena,  Dir  zu  sagen,  dass  sie  Dich  anbetet,  i)  Bei  der 
Gelegenheit  erzählt  Don  Juan  der  Leonarda  die  Veranlassung  zu 
seiner  Keise  von  Sevilla  nach  Toledo,  woraus  wir  erfahren,  dass 
der  von  Don  Luis  im  Zweikampf  getödtete  Don  Pedro,  Don 
Juan's  Schwester  verführt  hatte,  und  dass  Don  Luis  nur  ihm, 
Don  Juan,  in  der  Züchtigung  zuvorgekommen.  Er  wiederhole 
daher  die  flehentliche  Bitte,  Leonarda  möchte  ihre  Liebesgunst  sei- 
nem Freunde  und  Wohlthäter,  D o n  L u i s ,  zuwenden.  Leonarda 
aber  ist,  trotz  Parallelismus  und  spanischem  Schema,  und  trotz 
ihrer  anfänglichen  Verwendung  zu  dessen  GunstoD,  so  wenig  ge- 
sonnen, auf  Don  Juan's  aus  Dankbarkeitsverpflichtung  liebeketze- 
rischen, herzenswidrigen  und  psychologisch  unhaltbaren  Vorschlag 


1)    Don  Juan.  Vengo  a  hablarte  por  un  hombre. 
Leonarda.  Yo  a  ti  por  una  mujer. 
Don  Juan.  Don  Luis  me  ha  dicho,  senora, 
Que  yo  te  diga  su  pena. 


Falsche  Triebfeder  mit  bestem  Wissen,  247 

einzugehen,  dass  sie  Feuer  und  Flammen  speit,  die  schlagendsten 
Gründe  dem  liebesabtrünnigen  Entsager  aus  angeblicher  Freund- 
schaftsverpflichtung in's  Gesicht  schleudernd  —  so  schlagend, 
dass  die  Gründe  gleichzeitig  der  ganzen  Erfindung  der  Komödie 
und  ihrem  Hauptmotiv  in's  Gesicht  schlagen.  „Von  Verpflichtun- 
gen gegen  einen  Freund  sprichst  Du  und  vergissest  meine  Dir 
erwiesenen  Wohlthaten.  Don  Luis,  was  hat  er  gross  für  Dich 
gethan?  Es  kostete  ihm  blos  ein  Wort  bei  seinem  Vater,  dem 
Herzog,  um  Dich  aus  der  Haft  zu  befreien.  „Dergleichen  Freund- 
schaftsdienste kommen  alle  Tage  vor"  ^)  u.  s.  w.  Bei  so  richti- 
gem Urtheil  über  die  Haltlosigkeit  des  Verpflichtungsmotivs  im 
Conflict  mit  Liebesleidenschaft,  und  gleichwohl  auf  dieses  unhalt- 
bare untergeschobene  Motiv  die  Intrigue,  die  ganze  Comedia 
bauen  —  ist  das  nicht  auch  wieder  ein  im  Geiste  des  Dichters 
halb  bewusst  halb  unbewusst  sin  saber  Quien  arbeitender  Compo- 
sitions-Dualismus :  Don  Juan  beharrt  bei  der  Abreisse  und  reisst 
sich  von  der  Geliebten  los  mit  thränenvoUen  Augen.  2)  Dank 
dem  wackern  doppelgestaltigen  Minirer  in  des  Dichters  spanischer 
Brust,  dank  dem  parallelen,  sich  selbst  gegenseitig  in  die  Luft 
sprengenden,  Minen  bohrenden  Komödiengenie,  explodirt  Leonar- 
da's  Liebes-Flattermine  vor  Don  Luis  mit  gleicher  Heftigkeit, 
mit  welcher  Don  Juan  sein  Dankbarkeitspulver  verpufft  hat. 
Leonarda  erklärt  ihm  rundweg,  sie  liebe  einzig  Don  Juan  und 
könne  nur  Don  Juan  lieben,  und  werde  ihn  bis  in  den  Tod  treu 
und  unwandelbar  lieben.  Don  Luis  steht  verblüfft  da  und  be- 
greift mit  uns  nicht,  warum  Don  Juan  nach  Madrid  zurückge- 
reist ist,  ohne  ihm,  seinem  treuen  Freunde  und  Gönner,  auch  nur 
ein  Wort  von  diesem  Liebesverhältniss,  „ohne  zu  wissen  Wen", 
anzudeuten.    Er,  Don  Luis,  würde  sonst  der  Abreise  sich  wider- 


1)  Las  obligaciones 

De  pagar  te  precias; 
No  pagues  las  mias 
Paga  las  ajenas. 
Don  Luis  por  el  Duque 
Te  ha  sacado  della, 
Hablando  ä  su  padre 
Que  no  es  cosa  nueva  . 

2)  Limon.  Llorando  va. 


248  Das  spanische  Drama. 

setzt  haben  *)  —  und  spornstreichs  dem  unaufhaltsamen  Liebes- 
flüchtling, als  Dankbarkeitsflüchtling,  nachsetzen,  ihn  einholen, 
ihm  die  Hölle  heiss  machen,  wegen  des  Freundschafts\erraths 
ausDankbarkeits-  und  Verschwiegenheitsmarotte,  aus  unpsychologi- 
scher Entsagungsschrulle  und  unerschütterlicher  Anhänglichkeit 
an  den  eigentlichen  Busenfreund,  an  das  Parallelschema,  —  den 
trotzalldem  auf  seinen  Liebeflüchtlingsfüssen  bestehenden  Don 
Juan,  den  Antipoden  zu  Mozart's  Don  Juan,  wenn  nicht 
gutwillig  als  seinen  „Gefangenen"  2)  nach  Toledo  zurück,  und  ihn 
mit  Teufelsgewalt ^)  der  Leonarda  als  Gatten  zuführen,  dass 
kein  Mensch  weiss,  wie,  warum  und  wieso?  —  das  Alles  kostet 
dem  dritten  Act  nicht  mehr  als  die  letzten  drei  Scenen.  Wobei 
wir  noch  als  Zugabe  die  schliesslicbe  Katechisation  Don  Juan 's 
durch  Don  Luis  erhalten,  der  dem  aus  Dankbarkeit  Davonge- 
laufenen dreifacher  Undankbarkeit,  gegen  Don  Fernando,  ge- 
gen Leonarda  und  gegen  ihn,  Don  Luis,  seinen  Freund  und 
Wohlthäter,  beschuldigt;  die  zwei  ehelichen  Doppelbande  unge- 
rechnet, die  Don  Fernando,  nachdem  auch  er  seinen  pflicht- 
schuldigen, zwischen  gekränkter  Ehre,  mitbezug  auf  die  Schwester, 
und  zwischen  Liebesgefühlen  für  Lisena  antagonisirenden  Dualis- 
mus ^)  erledigt  hat ,  mit  der  auf  Don  Juan*s  Wuchs  und  Taille 
versessenen  Wittwe  Lisena,  und  das  parallele  Eheband  un- 
gerechnet, das  Citrone  mit  der  ßomancero- Leserin  Ines 
knüpft,  '0  — 


1) 

Si  me  hablara  Don  Juan  en  su  partida, 

Yo  le  excnsära  el  justo  atrevimiento. 

2) 

Venid  preso. 

3) 

lAqui  me  traes,  Seiior? 

4) 

Mal  me  va  de  honor  y  amor. 

5)  Los  Donaires*)  de  Matico 

(Die  Fahrten  des  Matico). 

Matico  ist  des  Hirten  Sancho  Geliebte,  die,  als  Hirt  verkleidet, 
Sancho  am  Hofe  anfsuciit.  Was  macht  Saul  unter  den  Propheten,  und 
Sancho  am  Hofe?  Nahezu,  was  Saul  unter  den  Propheten  macht:  er  holt 
sich  eine  Krone.  Hirt  Sancho  soll  nämlich  Schwiegersohn  des  regierenden 
Grafen  von  Barcelona  werden,  der  ihm  die  Hand  seiner  Prinzessin 


*)  Donaire  bedeutet  „witziger  Einfall",  launiger  Streich. 


Lope's  'Doiiaires  de  Matico'.  249 

Tochter,  Rosamunda,  zugesagt,  als  Lohn  für  die  von  Sancho  bewirkte 
Rettung  des  Grafen  von  einem  Schlangenthiere ,  das  den  Grafen  auf  der 
Jagd  angefallen  hatte,  und  dessen  beide  Begleiter,  die  Hofherren  Ra- 
ni iro  und  Riquelmo,  in  die  Flucht  gejagt.  Bei  Sancho 's  Vorstellung 
durch  den  Grafen,  als  Drachentödter,  will  sich  Prinzesschen  Rosamunda 
die  zarte  fürstliche  Haut  voll  lachen,  bittet  mit'  ihrem  Rosenmündchen 
den  Himmel,  er  möchte  sie  von  diesem  Drachentödter  befreien,  wie  er 
ihren  Vater  vom  Drachen,  und  läuft  kichernd  davon.*)  So  munter  be- 
gegnet Matico  (Juana)  ihrem  zu  einem  Hofcavalier  adonisirten  Sancho 
nicht.  Sie  ereifert  sich  vielmehr  selber  zu  einem  kleinen  Eifers achts- 
drachen,  und  geht  dem  Schlangenwürger  so  hart  zu  Leibe,  dass  dieser  sich 
vor  Angst  im  gräflichen  Thronsaal  zu  häuten  Anstalt  macht,  d.  h.  sich 
seine  Hofkleider  vom  Leibe  zu  reissen,  um  mit  seiner  Juana  (Matico)  im 
Costüm  des  ersten  Landmanns,  Adam,  —  nach  dem  Sündenfall,  versteht 
sich,  —  in  Hirtenfellen  mit  seiner  Eva,  Matico,  aus  dem  Hofparadiese, 
in  die  Wildniss  zurückzukehren.  Bei  diesem  Garderobenwechsel  betriift  den 
Sancho  der  präsumtive  Schwiegervater,  Graf  von  Barcelona,  lässt 
ihm  vom  Waffenmeister,  der  den  Hirt  zum  Hofmann  und  Caballero  drillen 
soll,  eine  Rüstung  als  Zwangsjacke  bringen,  die  ihn  am  Hofe  festhält. 

Der  zweite  Act  bringt  noch  ganz  andere  Häutungen  und  Garderoben- 
wechsel zuwege,  wobei  nämlich  Sancho  den  Bauer  Adam  ganz  und  gar 
auszieht  und  desgleichen  Matico-Juana  die  Bäuerin.  Ein  an  den  Hof 
von  Barcelona  zufällig  gelangter  limosinischer  Ritter,  Belardo,  erkennt 
nämlich  stehenden  Fusses  in  Sancho  Rüge ro,  Sohn  des  Königs  von 
Navarra,  wo  gerade  der  wieder  als  Ziegenhirt  kostümirte  Sancho  der 
Prinzessin  Rosamunda  Liebesneigung  gewonnen,  —  und  erkennt  in  Ei- 
nem Aufräumen  in  dem  oder  in  der,  ob  dieser  Neigung  vor  Eifersucht 
eben  aus  seiner  oder  ihrer  Hirtenhaut  fahrenden  Matico-Juana  die  Toch- 
ter des  Königs  von  Leon,  mit  welcher  Sancho,  Kronprinz  von  Navarra, 
davongelaufen,  und  nicht  weniger  als  sechs  Jahre  in  der  Wildniss  ver- 
lebt hat,  und  zwar  wie  Adam  und  Eva  vor  dem  Sündenfall.**)  Nun 
fährt  das  Davonlaufen  der  Infantin  von  Leon  (Juana)  erst  recht  in  die 
Beine,  mit  denen  die  Eifersucht  auf  die  Prinzessin  von  Barcelona  ohne 
Weiteres  durchgeht;    fährt   Hals   über  Kopf   in  eine   Dienerhaut,    in 


Aber 


Pues  te  libro  de  un  dragon 

A  mi  me  libre  (el  cielo)  de  aqueste. 

(Entrase  riendo.) 

Que  mi  Rugero  perdida 

Gasto  seys  anos  de  vida  — 


—  prendas  de  la  honra 
No  le  consenti  tocar  — 
schwört  Juana  Stein  und  Bein. 


250  I)as  spanische  Drama. 

Die  Belagerung  von  Santa  Fe. 

El  Cerco  de  Santa  Fe,  bedeutet  nicht,  wie  man  meinen 
könnte,  die  Einsehliessung  von  Santa  Fe,  sondern  die  Bin- 
schliessung  oder  Belagerung  von  Granada  durch  die  mauer- 
feste Lagerstadt  Santa  Fe,  welche  das  katholische  Königspaar, 
Fernando  und  Isabel,  auf  der  Brandstätte  des  früheren  in- 
folge einer  Feuersbrunst  i)  eingeäscherten  Wachtlagers  von  Lein- 
wand und  Holz,  aus  Werkstücken  hatte  erbauen  lassen,  der  mau- 
rischen  Bevölkerung   des  belagerten   Granada  als   schreckendes 


welcher  sie  bei  dem  limosinischen  Eitter,  Belardo  in  Dienst  tritt.  In 
diesem  abwechsehiden  Ausder-  und  Indiehautfahren  bestehen  eben  Matico's 
Donaires,  Matico's  „Fahrten'*. 

Inzwischen  geht  der  dritte  Act  in's  Land  und  zwar  mit  dem  Kron- 
prinzen von  Navarra,  Sancho-Euger,  bei  welcher  Gelegenheit  dieser  eine 
von  ihm  aus  Barcelona  verjagte  Truppe  Aufrührer  gleich  mitnimmt,  und 
eilen,  die  Beine  in  der  Luft,  der  Infantin  von  Leon,  dermalen  Matico, 
Eeisediener  des  limosinischen  Eitters  Belardo,  den  die  Infantin  in  Livree 
aus  Papieren,  die  sie  in  seinem  heimlich  durchsuchten  Eeisesack  gefun- 
den, als  ihren  vormaligen  Anbeter,  Grafen  Belardo,  erkennt,  die  Ent- 
deckung zu  machen;  dem  Grafen  Belardo,  der  vor  dem  Kronprinzen  und 
Ziegenhirt  Euger-Sancho  als  früherer  Courmacher  Vorhand  hat,  ihre 
Hand  anbieten,  dieser  die  Hand  mit  Entzücken  ergreifen,  der  ventre-ä-terre 
herbeieilende  Kronprinz-Ziegenhirt  das  Nachsehen  haben,  seine  sechsjahre- 
lange Nase  gemüthlich  einstecken*),  und  diese  der  Prinzessin  von  Bar- 
celona als  Brautschatz  überreichen,  und  schliesslich  Conde  Belardo  von 
Conde  de  Barcelona  als  dessen  von  Seeräubern  in  zarter  Kindheit  ge- 
raubter Sohn  erkannt  werden  —  nicht  weniger  bringt  der  dritte  Act  in  nicht 
mehr  Scenen  fertig,  als  zwischen  seinem  ersten  und  letzten  Falle  liegen, 
nämlich  21,  und  mittelst  nicht  mehr  als  eben  so  vieler  Garderobenwechsel 
und  EoUenverwandlungen.  Diese  in  die  überwucherndsten,  nicht  gehauen 
und  gestochenen  Novellen -Abenteuerlichkeiten  verwilderte  Comedia  des 
Lope  preisen  M.  Enke's  Studien  bis  über  die  Puppen.  Ein  dreimaliger  Tusch 
aus  der  Puppenbude-Trompete,  gebracht  dem  von  der  poetischen  Schönheit, 
dem  zaubervollen  Eeiz,  kurz  von  den  donaires  der  als  Hirt,  Lakai,  Mantel- 
sackdieb ihren  Liebhabern  ab-  und  zulaufenden,  und  diese  wie  ihre  EoUen 
wechselnden  Infantin  von  Leon  bis  in  den  vierten  spanischen  Himmel  ver- 
zückten Lope-Studirer! 

1)  Am  9.  Juli  1491  durch  Unvorsichtigkeit  ausgebrochen. 


*)  Pues  le  quiere,  no  me  pesa. 


Lope's  nationalhistorisches  Schauspiel  *E1  Cerco  de  Santa  Fe*.     251 

Wahrzeichen  unerschütterlichen  Vorsatzes,  den  Steinwällen  von 
Granada  steinerne  Belagerungsmauern,  eine  eben  so  felsige  Ein- 
schliessungsveste  entgegenzustellen,  von  welcher  aus  der  Fall  und 
die  Einnahme  Granada's,  der  letzten  Hochwart  und  Brustwehr  der 
Araberherrschaft  in  Spanien,  bewerkstelligt  werden  sollte.  Die  unbe- 
zvnnglichste  Angriffs-  und  Eroberungsstärke  beeiferte  sich  das 
katholische  Königspaar,  seiner  Belagerungsveste  durch  den  Namen 
'Santa  Fe'  („heiliger  Glaube")  zu  verleihen:  einen  niederwer- 
fenden, zu  Boden  streckenden  Erzengel-Michaelschild  gleichsam 
dem  ungläubigen  Granada  entgegenzuhalten,  für  das  katholische 
Belagerungsheer  das  unverletzlichste  Sturmdach,  die  gefeiteste 
Schutzwehr.  ^)  Dieser  gegenseitige  Herausforderungstrotz  von  be- 
lagerten und  belagernden  Festungswerken,  von  Abwehr  -  und  An- 
griflfsverschanzungen,  die  sich  immerdar  gleichsam  die  Zähne  wei- 
sen, geht  durch  Lope's  Kriegslagerstück,  'El  Cerco  de  Santa 
Fe',  als  dramatisches  Motiv  in  mannigfaltigen,  vereinzelten  Si- 
tuationsbildern durch  keine  Haupthandlung  und  keinerlei  aus 
einem  Grundplan  entspringende  Verwickelung  verknüpft.  Die 
drei  Acte  überbieten  sich  an  obsidionalen  Schimpf-  und  Hohn- 
neckespielen zwischen  den  blokirten  und  den  blokirenden,  den 
maurischen  Vertheidigungs  -  und  den  christlichen  Eroberungsrit- 
tern. Lope's  scheinbar  historisches  'Cerco'-Drama  besteht  aus 
einer  Reihenfolge  von  üeberrumplungswettspielen ;  ist  ein  kriegs- 
lustiges Paroli-Drama,  wobei  die  Scenen,  wie  die  Wurfstäbe  im 
Cannas-Spiele,  einem  von  spanischen  und  maurischen  Eittern  öfter 
im  Verein,  und  in  diesem  Stücke  von  den  Mauren,  den  Christen- 
rittern zum  Hohn,  unter  sich  abgehaltenen  Wettkampfe,  zer- 
splittern und  in  die  Brüche  gehen.  Bricht  doch  selbst  der 
zweite,  auf  das  eigentliche  Motiv  des  Stückes  zielende  Titel:  „Y 
hazanas  de  Garcilaso  de  la  Vega"  („und  Thaten  des  Gar- 
cilaso  de  la  Vega")  in  Stücke  kurz  und  klein. 

Gleich  Lope's  meisten  anderen,  auf  geschichtliche  Thatsachen 


1)  Die  Stadt  Santa  Fe  wurde  1807  durch  Erdstösse  zertrümmert,  die 
als  spätvergeltende  Rachegeister  den  treulos  grausamen  Bruch  des  mit 
der  maurischen  Bevölkerung,  nach  Eroberung  von  Granada,  vom  katholi- 
schen Königspaar  abgeschlossenen  Friedensvertrages  an  dem  Steinbau  der 
St.  Petri-Glaubensfelsenstadt  heimzahlten. 


252  I^^s  spanische  Drama. 

sich  stützenden  Dramen,  bildet  auch  dieses  nur  eine  Verkettung 
von  scenirten,  jene  Ereignisse  volkssagenhaft  überliefernden  Ro- 
manzen. Im  Eomanzenton  leiten  auch  sofort  drei  jugendliche 
Ritter  des  Belagerungsheers,  die  vor  Granada  ihre  Heldensporen 
zu  verdienen  wetteifern,  Conde  de  Cabra,  der  Gran  Capi- 
tan^)  und  Martin  Boorques,  unsere  'Comedia  famosa',  Jeder 
mit  einer  die  „heilige  Stadt"  (Santa  Fe)  feiernden  Octave,  ein, 
deren  Schlussvers  als  Kehrreim  wiederklingt.  '^)  Die  der  heiligen 
Lagerstadt  geltende  Hymne  geht  in  die  Verherrlichung  der  Grün- 
derin derselben,  der  Königin  Isabel,  über,  die  mit  ihren  Damen 
und  zwei  anderen  jungen  Eroberungsrittern,  Hernando  del 
Pulgar  und  dem  eigentlichen  Helden  des  Stückes,  dem  jüngsten 
der  Mohrenkämpfer,  Garcilaso  de  la  Vega,  die  Bühne  betritt. 
Vorläufig  erschöpft  sich  Garcilaso's  Jungritterthum  in  galanten 
Floskeln,  womit  er  um  die  Huld  der  Damen  wirbt.  Königin 
Isabel  macht  die  Runde  im  Lager,  als  gekrönte  Marketenderin, 
den  ihr  begegnenden  Soldaten  holde  Worte  kredenzend  und 
noch  holdere  Geschenke.  Einer  dieser  Krieger,  der  bei  Luja, 
Cordova  und  Baeza  tapfer  gefochten  und,  gering  gerechnet,  tau- 
send Wunden  davontrugt),  ist  der  Erste,  der  sein  Belagmngs- 
abenteuer  gegen  die  Granadischen  Mohren  zu  bestehen  vor  der 
Königin  sich  erbietet,  der  er,  als  Entgelt  für  den  empfangenen 
Ring,  zehn  Mohrenköpfe  zu  Füssen  zu  legen  sich  vermisst.  *) 
Unmittelbar  darauf  liefert  der  tapferste  Granada- Vertheidiger,  der 
Mohrenheld  Tarife,  das  Seitenstück  zu  der  Verwegenheit  von 
Königin  IsabeFs  Soldaten,  mit  den  tausend  Wunden,  sich  ange- 
sichts seiner  Geliebten,   der  schönen  Mohrin  Alifa,  des  Wag- 


1)  Ein  verfrühter,  von  Gonzalo  de  Cordova,  erst  später,  wie  uns  schon 
bekannt,  in  dem  italienischen  Feldzug  erworbener  Ruhmestitel. 

2)  aunque  le  pese  al  tiempo,  immortal  vivas. 

Der  Zeit  zum  Trotz  wirst  du  unsterblich  leben. 
Wofern  nämlich   die   obberegten  Erdstösse    von   1807   keinen    Querstrich 
durch  die  Unsterblichkeit  machen,  was  freilich  das  Octaven-Terzet  der  drei 
jugendlichen  Belagrungsritter  nicht  wittern  konnte. 

3)  y  mil  heridas  me  han  dado. 

4)  -—  espero 
pagartelo  en  diez  cabezas 
de  Moros, 


Ein  Goliat-Portugiese.  253 

nisses  erkühnend,  ihr  die  drei  Köpfe  des  Conde  de  Cabrai 
Gonzalo  de  Cordoba  und  des  Grossmeisters,  Martin  Fer- 
nandez  Boorques,  zu  bringen,  die  ihre  herausforderungs- 
trotzigen Lanzen  über  die  Stadtmauer  von  Granada  mit  solcher 
Wucht  geschleudert,  dass  sie  über  die  Häuser  hinweg  in  Bibar- 
rambla  niederfielen.  \)  Statt  der  drei  Köpfe  bringt  aber  Held 
Tarife  nur  den  seinigen  zurück.  Und  wenn  er  blos  mit  blutigem 
statt  ruhmgekröntem,  und  nicht  sonst  gekröntem  Kopfe  wieder- 
kehrt, so  hat  sich  der  Mohrenheld  dafür  bei  seinem  Freunde, 
Celimo,  zu  bedanken,  der  als  Tarife's  treuer  Waffenbruder  die 
Liebesanträge  der  schönen  Alifa  verschmäht  und  zurückweist.  2) 

Während  Tarife  auf  die  Jagd  der  drei  Christenköpfe  aus- 
zieht, hat  ein  Portugiese  aus  Fernando-Isabers Lager  mit  sei- 
nem Dolche  ein  Zweikampfsaufgebot  an  die  Thore  von  Granada 
befestigt,  abziehend,  mit  doppeltem  Trotzgefühl:  gegen  die  Mau- 
renfeste Granada  und  gegen  Castiliens  kriegerischen  Stolz,  dem 
er,  der  Portugiese,  Rasco  Zigueyra,  eben  zeigte,  was  Hel- 
denthat  heisse.    „Hoch,  hoch  lebe,  Portugal  1*' ^) 

und  gleich  hinter  ihm  her  ein  dritter  Mohrennecker,  Martin 
Fern.  Boorques,  mit  seinem  Ausfordrungszettel,  den  er  mit  sei- 
nem Dolche  an's  Thor  von  Granada  heftet,  und  gleichfalls  mit  Dop- 


1)  AI  fin,  tanto  arremetieron 
Que  tres  lanzas  que  tiraron, 
Casas,  y  muros  passaron 

Y  en  Bibarrambla  cayeron. 

2)  Cel.      porque  no  es  jiisto  querer 

que  quiera  tan  animoso, 
el  Moro  mas  valeroso, 
la  mas  in  grata  muger. 


Alifa.  Que  no  me  has  de  querer ?^ 

Cel.      No 

Alifa.        Y  que  me  aborreces? 

Cel.  Si. 

3)  Agora  verä  0  Real, 

Si  esta  es  fazana,  0  novela; 
Inda  que  pese  a  Castela 
Vietor,  vietor  Portugal. 


254  I^as  spanische  Drama. 

peltrotz :  den  Mauren  und  den  Portugiesen  zum  Trotz :  und  beide 
Anschlagszettel,  diesen  doppeltrotzigen  Schimpf  i)  muss  nun  Tarife 
auf  sein  bluttriefendes  Haupt  nehmen,  anstatt  die  drei  Castili- 
schen  Ritterköpfe,  verheissnermaassen,  seinem  Liebchen  zu  Füssen 
zu  legen,  das  ihm  nun  das  höhnende  Füsschen,  voll  Verach- 
tung ob  seines  vereitelten  Bramarbas-Auszugs  nach  drei  Köpfen, 
auf  den  blutigen,  und,  zu  ihrem  Verdrusse,  schmucklosen  Döz 
setzt. 

Jetzt  hat  die  zweite  Jornada  mit  ihren  Trotz-  und 
Protzbravaden  die  Hände  voll  zu  thun.  Jetzt  macht  sich  Conde 
de  Cabra,  gegen  Königin  Isabel,  dafür,  dass  Mohr  Tarife 
seinem  Treuliebchen,  der  schönen  Mohrin  Alifa,  unter  den  drei 
Köpfen  auch  den  seinigen  zugesagt,  anheischig,  die  Alifa  auf- 
zufangen und  sie  der  Königin  als  Sklavin  zuzuführen.  2)  Heida! 
unser  Zehnmohrenköpfeabschneider,  da  ist  er  schon!  jener  von  der 
Königin  mit  einem  Ring  beschenkte  Soldat,  und  bringt  zehn?  — 
das  nun  nicht,  aber  Einen  Kopf,  den  er  von  9  abgeschnittenen, 
als  den  schönsten,  ausgesucht  zu  haben  versichert,  für  den  noch 
fehlenden  zehnten  Kopf  den  seinigen  der  Königin  anbietend.  ^) 
Diesem  aber  bestimmt  Isabel  den  Lorbeer,  und  dessen  Träger, 
den  'Hurtado'  sich  nennenden  Soldaten,  erhebt  sie  zum  Ahnherrn 
der  Hurtado's,  einer  berühmten  castilischen  Familie.  Während 
dessen  hat  Conde  de  Cabra  sein  Ritterwort  gelöst  und  führt 
die  beim  Wasserschöpfen  aus  der  Schaar  ihrer  Gespielinnen  her- 
ausgerissene Mohrin  Alifa  der  Königin  zu.  Inzwischen  hat  auch 
der  junge  Garcilaso  de  Vega  der  Königin  Isabel  den  Mund 
nach  den  Feigen  wässrig  gemacht,   die  auf  einem  dicht  an  der 


1)  Rotulos  de  desafis 

Y  de  arrogancias  christianas. 

2)  Pues  por  SU  arrogancia  brava 
Yo  OS  prometo  ä  vos,  Senora, 
la  misma  Mora  que  adora 
para  que  os  sirva  de  esclava. 

3)  aqui  traygo  la  una  dellas:' 
nueve  corte,  mas  entre  ellas 
esta  que  ves  escogi; 

por  aquella  que  faltö 
aqui  te  ofrezco  la  mia. 


Fernando  der  Katholische.  255 

Stadtmauer  stehenden  Baume  wachsen  und  einer  vornehmen 
Mohrin  aus  Granada  gehören.  „Wer  doch  von  diesen  Feigen 
hätte!"  1)  lüstelt  die  Königin.  Martin  de  Boorques,  das 
hören,  und  spornstreichs  nach  dem  Feigenbaum,  und  mitten  aus 
dem  Haufen  von  maurischen  Feigenlesern  und  Leserinnen  den 
Korb  voll  frischgepflückter  Feigen  erhaschen  und  der  Königin  zu- 
tragen —  das  Alles  bricht  Martin  de  Boorques  im  Umsehn 
vom  Zaun.  Und  gleich  hinterdrein  Hernando  de  Pulgar  mit 
einem  Pergamentblatte,  worauf  das  Ave  Maria  geschrieben  steht, 
gespiesst  an  seines  Dolches  Spitze,  die  er  in  Granadas  Stadtthor 
sticht  und  stecken  lässt,  der  Mohrin-Canaille  zum  Aerger  und 
Possen 2),  und  als  Eevanche  für  die  Vermessenheit,  womit  der 
Mohr  Tarife  ein  von  Alifa  erhaltenes  und  an  seine  Lanze  ge- 
knüpftes Band  gegen  das  Zelt  der  Königin  geschleudert  hatte, 
so  dass  Lanze  und  Band  in  der  Zeltwand  haften  geblieben.  Nun 
schaut  Tarife  das  am  Stadtthor  steckende  Blatt  mit  dem  Ave 
Maria.  Was  thut  die  Canaille?  Er  befestigt  das  Ave-Maria- 
Blatt  an  seines  Bosses  Schweif  und  schleift  es,  mit  einem  Sprung 
in  die  dritte  Jornada  und  in's  christliche  Lager  hineinspren- 
gend, wie  Achilles  den  Hektor  um  die  Mauern  von  Troja,  über 
Stock  und  Stein! 

Die  spanische  Dens  ex  machina- Attrappe ,  sie  klappt  auch 
hier  im  entscheidenden  Momente  auseinander,  und  heraus  tritt 
das  spanische  Komödienschicksal  in  Person,  der  Katastrophengott, 
der  König!  König  Fernando  der  Katholische  kommt  von 
Baza,  eigens  behufs  Knotenlösung,  dahergeschritten,  begrüsst 
seine  Zwillingsherrscherin  aufs  ritterlichste  mit  schwunghafter 
Troubadourhuldigung,  den  Tag  glücklich  preisend,  wo  eine  himm- 
lische Seele  aus  dem  Empyreum  niederstieg,  um  sich  in  einen 
so  schönen  Leib  zu  kleiden  ^) ;  nimmt  das  Erwidrungscompliment 


1)  Ha,  quien  tuviera  dellos! 

2)  ya  la  canalla  canina 
para  ver  la  novedad. 

3)  Dichoso  el  dia,  que  en  humane  cielo, 
Donde  aquel  gran  principio,  y  fin  gloriose 
un  alma  tan  igual  baxo  del  cielo 

para  vestirse  en  cuerpo  tan  hermoso. 


256  ^^s  spanische  Drama. 

der  Königin,  die,  als  Mond  der  Sonne  Spaniens,  sich  mit  deren 
Abglanz  begnügt^),  huldvollzärtlichst  entgegen,  und  empfängt 
aus  Garcilaso  de  la  Vega's  Munde  den  Bericht  über  alle 
die  erstaunlichen,  während  des  Königs  Abwesenheit  vorgefallenen 
Trotz-  und  Protzabenteuer  von  dem  Mohren  Tarife,  dem  Ver- 
fechter der  belagerten  Felsenfeste,  Granada,  einerseits,  und  von 
den  jungen  Recken  der  steinernen  Lagerstadt,  Santa  Fe,  gegen- 
seits  bestanden.  Noch  weiss  Garcilaso,  der  Benjamin  unter 
den  Belagerungsrittern,  noch  weiss  er  nichts  von  dem  an  Tarife's 
Kossschweif  befestigten,  und  im  Staub  und  Strassenkoth  daher- 
geschleiften  Ave-Maria-Zettel,  und  freut  sich  blos  mit  König  und 
Königin  an  der  schönen,  von  Conde  de  Cabra  geraubten  und 
zugeführten  Mohrin  Alifa,  und  an  dem  Korbe  voll  frischer,  von 
Martin  Fernandez  Boorques  den  maurischen  Feigenle- 
serinnen abgejagter,  und  der  danach  schmachtenden,  mit  Evabe- 
gier  danach  lechzenden  Königin  überbrachter  Feigen.  Von  der 
Höhe  dieses  Gipfelpunktes  glorreichster,  im  ilbfangen  einer  schö- 
nen Mohrin  und  Erwischen  eines  Korbes  frischer  Feigen  be- 
stehender Lagerheldenthaten,  muss  nun  das  Königspaar,  müssen 
die  kühnen  verwegenen  Vollbringer  solcher  Wagestücke  die  fre- 
velvollsten Gräuel  erschauen:  den  Ave-Maria-Zettel  von  des  schnö- 
den Mohren  Tarife  Rossschweif  dahingefegt  über  das  Blachfeld, 
die  zwischen  Santa  Fe  und  Granada  sich  hinstreckende  Ebene, 
die  Vega,  den  Schauplatz  all  dieser  Grossthaten!  Ha,  der  ruhm- 
vollen, unsterblichen  Belagerungskämpfe!  Ha,  der  heldenritter- 
lichen Trotz-  und  Protzkriegsspiele!  Ha,  des  würdigen  Problems 
eines  Nationalkriegsdrama's !  Ha,  der  unbewussten  Parodie  von 
Troja's  Belagerung,  der  vor  Troja  gelieferten  Schlachten  und  ausge- 
fochtenen  Zweikämpfe,  und  insonders  jenes  furchtbaren  Zwei- 
kampfes zwischen  Achilles  und  Hektor,  der  mit  der  Schleifung 
des  trojanischen  Helden,  als  Katastrophe,  endete,  wie  die  in  Lo- 
pe's  patriotischem  Lagernationalstück  mit  einem  Rossschweif  und 
dem  daran  befestigten  Zettel,  als  Strassenbesen,  abschliesst.  Ha, 
des  Kehrbildes  zur  Achilles-Hektor-Ümfahrt!  Doch  der  letzte, 
das  Kehrbild  zum  ebenbürtigen  Pendant  der  Hektor-Katastrophe 


1)    Eeyna.  Sol  de  Espana,  quien  desse  sol  es  luna, 
razon  fuera  que  diera  luz  alguna  .  .  . 


La  Vega.  257 

verherrlichende  Pinselstrich!  Der  spanisch-katholische  Jüngling- 
Achill,  der  David-Achill,  Gaifcilaso,  der,  nach  einem  an  die 
heilige  Jungfrau  gerichteten  frommerglühten  Monologgebete,  den 
Zweikampf  mit  dem  schnöden  Mohren  und  seinem  ßossschweif 
sammt  daran  hängendem  als  Schrubber  handtirendem  Strassen- 
fegerzettel,  rühm-  und  siegreich  besteht!  Und,  noch  einen 
schliesslichen  Trotz -Trumpf  ausspielend,  besteht!  Des  Königs 
entschiedenem,  durch  Garcilaso's  knabenhafte  Jugendlichkeit  i)  mo-- 
tivirtem  Verbote  zum  Trotz,  besteht!  Wie?  und  eine  solche  Ka- 
tastrophe wäre  nicht  bewältigender,  nicht  glorreicher  für  Spanien, 
als  jene  Troja-Katastrophe  für  Griechenland?  0  des  lästerlichen 
Vergleichs,  den  die  personificirte ,  in  den  Auskehrschluss  unseres 
Santa  Fe-Drama's  so  erhaben  hereinschreitende  Espaiia  mit 
Verachtung  zurückweist,  die  That  des  jugendlichen  Garcilaso 
den  Thaten  des  Bernardo  del  Carpio,  des  Cid,  des  Pelayo, 
ja  den  Thaten  des  grossen  Felipe  IL  an  die  Seite  setzend,  den 
der  allegorischen  Göttin,  Espana,  ihre  mit  dieser  zugleich  auf- 
tretende Freundin,  Fama,  prophezeit.^)  Nun  empfängt  König 
Fernando,  der  Katholische,  als  dessen  Schwester  sich  eben  die 
personificirte  Espana  angekündigt  hat^),  den  knabenhaften  Käm- 
pen, Garcilaso,  der  mit  dem  abgeschlagenen  Haupte  des 
Goliath-Mohren,  Tarfe,  heranzieht,  als  neuen,  tapfern  David  ^), 
und  fügt  ihm  in's  Familienwappen  den  Namen  der  Jungfrau 
Maria,  auf  dass  solche  That  die  ganze  Welt   erschrecke  ^) ;  und 


1)  Eey.       Garcilaso  sois  muy  mozo 

para  empresa  semejante  . 


Garcil. 


Que  tambien  David  fue  nino 
y  matar  pudo  al  Gigante. 

2)  Espero  un  Carlos  quinto,  un  gran  Felipe 
para  quien  guardo  ä  Apeles,  y  a  Lisipo. 

'Y  a  Lope  de  Vega'  müsste  sie  hinzufügen,  den  Stanimnamensvetter  von 
Garcilaso  de  Vega,  und  der  Apelles'  Pinsel,  und  des  Lysippus  Meissel  in 
diesem  aere  perennius-Drama  vereinigt. 

3)  Yo  soy  hermana  de  Fernando  Quinto. 

4)  David  valeroso  nuevo 

5)  Doyle  por  armas  el  nombre 
de  Maria,  porque  assombre 

a  todo  el  mundo  esta  bazaiia. 
X.  17 


258  I^as  spanische  Drama. 

ertheilt  ihm,  weil  er  auf  der  Vega  dem  verruchten  Mohren  den 
Hals  abgeschnitten,  den  die  rühm  würdigste  Waffenthat  verewi- 
genden Namen  Garcilaso  de  la  Vega,  und  vermählt  ihm  auch 
gJeich  eine  Fortpflanzerin  und  Stammmatter  des  neuerworbenen 
Komödiennamens  in  der  Person  der  Hofdame  Dona  Ana,  die 
des  jurjgen  Mohrensiegers  Erstlingshuldigungen  schon  in  der 
ersten  Scene  des  Stückes  entgegennahm,  und  auch  für  den  Hel- 
denjüngling in  Liebe  glüht,  und  der  er,  der  König,  vier  Land- 
güter als  Aussteuer  mitgiebt.  0  Zu  allerguterletzt  werden  noch 
die  schöne  Mohrin  Alifa  und  ihr  miteingefangener  Geliebter, 
Celimo,  Beide  nun  zum  Christenthum  bekehrt,  ein  freies,  spa- 
nisch-katholisches Ehepaar.  ^) 

Los  Melindres  de  Beiisa 
(Die  Launen   der  Beiisa.) 

Das  Wort  „melindre"  schillert  so  vieldeutig,  dass  nicht 
leicht  eine  andere  europäische  Sprache  ein  Aequivalent  dafür  be- 
sitzen möchte.  „Laune",  „Caprice",  „Schrulle",  erschöpft  den  Sinn 
lange  nicht.  „Zierlaunisch"  würde  am  nächsten  daran  streifen; 
doch  spielt  auch  die  Schattirung  einer  eklen,  wählerischen  Zier- 
liese, den  Männern  gegenüber,  noch  in  das  Wort  „melindrosa" 
hinein.  Die  Launen  von  Lope's  Beiisa  kränkeln  vorzugsweise 
an  dieser  männerwählerischen  Ziererei.  Die  ersten  Scenen  be- 
wegen sich  fast  ausschliesslich  um  Belisa's  fastidiöse  Blasirtheit 
bezüglich  der  Wahl  eines  Ehegatten.  Ihre  Mutter,  Lisarda, 
eine  reiche,   einjährige  Wittwe,   wirft  ihrem  Bruder,  Tiberio, 


1)  Rey.  Y  pues  al  Morillo  infame 

en  la  Vega  el  cuello  siega, 

y  el  rotulo  (den  Ave-Maria-Zettel)  nos  eiitrega, 

de  oy  mas  quiero  que  se  Uame 

Garcilaso  de  la  Vega, 

Sea  tu    esposa  Dona  Ana, 

pues  ya  su  afficion  es  Uana, 

y  quatro  villas  le  doy. 

2)  Oy  de  Alifa  y  Celimo, 
quo  Christianos  han  de  ser 
El  bautismo  se  ha  de  haccr. 


Lope's  Com.  Los  Melindres  de  Beiisa.  259 

Belisa's  Oheim,  auf  dessen  Vorschlag,  Beiisa  zu  verheiratheil, 
gleich  in  der  ersten  Scene,  ein:  Wo  einen  Mann  finden,  der 
ihren  EinbiMungen  und  Ansprüchen  genügte?^)  „Hat  de^  Him- 
mel ein  so  ekelthuerisches  rümpMsiges  Ding  geschaffen?  Einen 
Mann  geschaffen,  der  ihr  recht  wäre?"  2)  Diesen  Zügen  von 
Ekelleidigkeit  fügt  Beiisa  selbst  freih'ch  noch  anderweitige  in 
der  nächsten  Scene  mit  ihrem  Kammermädchen  Flora  hinzu, 
die  sich  auf  die  verschiedenartigsten  Gegenstände  erstrecken.  Durch 
eine  Spalte  ihrer  geschlossenen  Fensterschalter  s^eht  s^'e  CTcn 
Oelverkäufer  vorübergehen,  dessen  Anblick  ihr  einen  Oelfleck 
in's  Kleid  geschmutzt.  3)  Ein  grüner  Sitzpolster  erregt  ihr 
Magenschmerzen. 4)  Flora  rollt  ihr  eine  Musterrolle  von  Freiern 
auf,  an  denen  Belisa's  Zierekelei  noch  ganz  anders  mäkelt 
und  nörgelt,  als  Shakspeare's  Torcia'  an  ihren  von  der  Kam- 
merzofe als  Männer-Musterreiterin  zur  Auswahl  angebotenen  Ehe- 
candidaten.  Die  zwei  Scenen  der  beiden  grossen  Bühnepdichter 
ähneln  übrigens  einander  in  demselben  Verhältniss,  als  Porcia's 
Charakter  von  Belisa's  grundwesentlich  verschieden  ist.  Porcia: 
wählerisch  aus  munterer,  herzensgesunder,  lebens-  und  ]iebefroher 
Seelenstimmung;  Beiisa:  maasleidig,  vor  lauter  blasirter,  üppig- 
spanischer, müssiggängerischer,  grillenhafter  Mädchenlaune.  Die 
fürstlich  begüterte  'Porcia'  schöpft  aus  ihrem  üeberfluss  lebens- 
freudige Liebesfülle;  Beiisa  von  ihren  lumpigen  50,000  Dvcaten 
zu  hoffenden  Vermögens  die  Verdrossenheit  eines  miselsüchtigen 
Zier-Affen. 


1)  —  ^donde  hallar 

ün  hombre  tan  gentil  hombre 
Y  con  partes  tan  notables 
Oomo  imaginadas  tiene? 

2)  Pues  ^ha  hecho  el  cie^  cosa 
Mas  causada  y  melindrosa 

Ni  hombre  quo  apetezca  y  quiera? 

3)  Que  le  (al  aceitero)  roire,  y  me  mancho 
El  vestido. 

4)  No  la  (almobada)  traigas  de  verduras; 
Que  ayer  de  scntarine  en  ella 

Mal  de  estomago  me  dio. 

17* 


260  Das  spanische  Drama. 

Die  aus  Liebstöckel  geflochtene  Strafruthe  steckt  aber  sclion 
hinter  dem  Spiegel,  vor  welchem  Beiisa  ihr  Ziermäulchen 
einstudirt.  Sie  verliebt  sich  Sterbens  in  einen  Haussklaven, 
für  den  sie  den  als  solchen  bei  ihrer  Mutter  von  deren  zahlungs- 
unfähigem Schuldner,  Elise,  verpfändeten  Felisardo  hält. 
Felisardo,  verfolgt  wegen  der  stereotypen  Erbschuld  des  spani- 
schen Drama's,  wegen  Duellmordes,  hatte  sich  mit  seiner  Ge- 
liebten, Celia,  in  Eliso's,  seines  Freundes,  Haus  geflüchtet, 
welcher  das  schnell  in  Haussklaventracht  verkleidete  Elüchtlings- 
paar  dem  Alguazil,  als  Pfandobject  für  Lisarda,  ausgelie- 
fert, die  mit  Freuden  das  schmucke  Sklavenpärchen  nicht  blos 
als  Schuldpfand  annimmt,  die  es  noch  begieriger  als  ihr  Eigen- 
thum  von  Elise  käuflich  erwirbt.  Mit  der  Zeitsitte  in  Lope's  Ta- 
gen ist  dieses  Komödienmotiv  abgewelkt  und  so  verwest,  dass 
der  Modergeruch  durch  die  noch  lustspielfrischen  Blüthen  und 
Blumen  einiger  Situationen  und  Figuren  hervordringt  und  eine 
von  Lope's  glänzendsten  Komödienschöpfungen  auch  solchen  ver- 
leidet, die  nicht  mit  Belisa's  melindrosem  Zippnäschen  behaftet 
sind,  sondern  im  Gegentheil  eines  gesunden  Eiechorgans  sich 
erfreuen.  Die  Verwickelung  schürzt  sich  aus  der  sich  kreuzen- 
den Doppelliebesintrigue ;  einerseits  DonJuan's,  des  Bruders 
von  Beiisa,  eines  auf  Eechnung  seiner  noch  zu  erbenden 
50,000  Ducaten  entschiedenen  jungen  Wüstlings,  Liebesgelüst  nach 
der  vermeinten  Sklavin  Celia;  ihm  parallel  seiner  Schwester, 
Beiisa,  bis  zu  epileptischen  Zufällen  sich  steigernde  Leidenschaft 
für  den  vorgeblichen  Haussklaven  Pedro  (Felisardo).  Daneben 
sich  herschlingend  die  Doppelparallel-Eif ersucht  Don  Juan 's 
auf  Felisardo,  den  er  einmal  mit  der  Sklavin  Zara  (Celia) 
scharmutzirend  findet;  Feiisa rdo's  wegen  Celia's,  die  er  da- 
bei betrifft,  wie  sie  dem  Don  Juan  die  Halsbinde  in  eine  zier- 
liche Schleife  knotet.  Mit  dieser  im  trefflichsten  Lustspielton 
gehaltenen  Scene  voll  Eeiz  und  Lebenswahrheit,  aber  zwischen- 
durch wohl  auch  von  orchideenartiger  Würzhaftigkeit  durch- 
haucht i),  begnügt  sich  die  Parallelverwickelung  des  ersten 
Acts. 


1)  Beiisa.         Hombre  qui  ä  mi, 

Sefiore,  me  ha  de  querer, 


Belisa's  Gelüst  nacli  einem  Barbier.  261 

Der  zweite  kommt  über  Belisa's  Zierereien  als  ßachegeist. 
Sie  selbst  wimmert:  Es  ist  nicht  mehr  Zierenszeit i),  sondern 
die  Spukezeit  des  Selbstmords'')  aus  Verzweiflung,  dass  sie,  die 
hjchadelige  Caballeros  mit  Nasenrümpfen  verscheuchte,  sich  in 
einen  Haussklaven  rasend  verliebt.  Und,  wie  sonst  rücksichtlich 
der  Männer,  ist  sie  jetzt  hinsichts  der  Todesarten  wählerisch: 
ob  Dolch,  Gift,  Aderlass  ä  la  Seneca^)  —  Flora  möchte  ihr 
rasch  einen  Barbier^)  besorgen,  einen  Nero  mit  drei  Barbier- 
becken und  einer  rothen  Aderlassbinde,  die  sie  nach  angestelltem 
Aderlass  abreissen  werde.  ^)  In  ihrer  Verzweiflung  fühlt  sich  Be- 
iisa gemüssigt,  vor  Ankunft  des  Barbiers,  ihre  melindrose  Ge- 
müthsart  moralisch  aus  den  von  ihrem  Vater  in  Amerika  gesam- 
melten Reichthümern  und  der  aus  dem  üeberfluss  entspringenden 
Ueppigkeit  eines  Langen  und  Breiten  zu  motiviren.  Lope  lässt  sich 
häutig  und  gerne  auf  dem  fahlen  Steckenpferde  moralisirender 
Substanzirungen  seiner  Komödienmotive  betreffen.  Wie  dann  aber 
seine  Grazie,  und  sein  Genie,  was  bei  Anderen  ein  Strohwisch  als 
Bierkneipengänger  ist,  in  einen  Goldkranz  umzaubert,  sehen  wir 
ihn  auch  dieses  fahle  Steckenpferd  moralisirender  Auseinander- 
setzungen nicht  blos  mit  Anmuth  tummeln,  sondern  den  fahlen 
grauen  Stecken  zum  schönsten  Paradepferd,  wo  nicht  gar  zum 
Pegasus  selber  reiten.  Die  Pest  des  faulen  arbeitslosen  Geld- 
und  Capitallungerns    hat  Belisa's  Seele   angesteckt.'^)    Bin    sol- 

^Postizo  le  ha  de  traer? 

„Ein  Mann  sollte  mich  liehen  dürfen 

Der  einen  falschen  hat?" 
Von  einem  'puiio  postizo'   (falschen  Handglied)  war   die  Rede.    Was  aber 
für  postizo    zwischen  Belisa's  Doppelfingerzeichen   im  spanischen  Doppel- 
sinne noch  nebenherspielt,  ist  eine  andere  Doppelfrage. 

1)  Ya  mis  melindres  cesaron. 

2)  A  darme  la  muerte  vengo. 

3)  Sangrada 

Es  muerte  a  Seneca  hurtada. 

4)  Llamame  un  barbero. 

5)  Y  despues  podre  quitarme 
La  venda. 

6)  Yo,  con  la  locura 

De  hacienda  tan  grande  .  .  . 
He  dado  en  melindres. 


262  I^as  spanische  Drama. 

ches  Streiflicht,  als  socialistisch-psychologisches  Motiv,  aus  dem 
17.  Jahrhundert  herüber,  vermag  nur  die  Vorschau  des  Geiiie's 
zu  werfen,  der  Incongruenz  solcher  Erörterung  zur  Situation  und 
Stimmung  unbeschadet.  Die  zutreffende  Motivirung  seiner  See- 
lenkrankheit greift  aber  nichts  desto  weniger  zu  einem  Heilmittel, 
das  nur  eine  neue  Ansteckung  mit  dem  Pestgift  launenhafter 
Schrullen  ist:  Beiisa  lässt  ihren  Haussklaven  Pedro  (Felisardo) 
mit  dem  Brandmark  P  ^)  zeichnen,  um  ihre  Leidenschaft  für  ihn 
mit  dem  Brandmaal  auszulöschen.  Ein  F  bekommt  dann  auch 
die  Sklavin  Zara  (Celia)  aufgedrückt.  SchruUenparallelismus  aus 
dem  PF.  Amors  Fackel  glüht  das  P  der  Schwester  Beiisa,  wie 
dem  Bruder  Doi  Juan  trotzdem  in  die  Herzen  als  Initial  von 
'Puego'  (Feuer),  und  brandmarkt  Beider  Herzen  zu  Sklaven,  Be- 
lisa's  zur  Sklavin  am  gezeichneten  Felisardo,  Don  Juan's 
zum  Sklaven  von  Celia's  F  auf  der  Wange,  das  ihn  ein  reizen- 
des Schönpflästerchen,  ein  bezauberndes  LiebesmaaP)  dünkt,  im 
Eiesenmaassstab  kometenhaftes^)  Schönpflästerchen,  und  das 
F  zum  Anfangsbuchstaben  von  Folia,  von  Liebeswahnsinn  stem- 
pelt. Des  Hippokrates:  „Sanat  ignis"  wird  bei  Amors  Glüh  eisen 
zu  Schanden.  Zum  Beweis:  Belisa's  wilder  Schrei  nach  einem 
Barbier  zum  Blutlassen ,  dem  P  auf  Pedro's  (Pelisardo's)  Backe 
in's  Gesicht.  4)  Sogar  Lisarda's  Mutterherz  wird  von  Pelisar- 
do's  Initiale  so  gründlich  gestempelt,  dass  sie  ihn  heirathen  will. 
Celia,  wenn  sie  nicht  schon  in  Felisardo  verliebt  wäre, 
würde  sich  in  sein  P  auf  der  Backe  verlieben,  weil  es  der  An- 
fangsbuchstabe seines  Namens.  ^)  Das  üeberraschtwerden  des  ver- 
meinten Sklavenpaars  bei  Umarmungen  und  das  Beschönigen  sol- 
cher Traulichkeiten  ist  uns  aus  Cervantes'  Algier-Sklavenkomö- 
dien bekannt,  und  von  Lope  wahrscheinlich  dem  Cervantes 
entlehnt  worden. 


1)  'Fugitivo',  „Flüchtling",  entlaufener  Sclave. 

2)  ^Qiie  cometas  negras  son 
Las  que  con  tal  sin  razon 
Eclipsan  tus  rajos  de  oro? 

3)  In  Belisa's  Augen  sind  diese  Flecke  Brandmaalflecke ,  in  Felisar- 
do's  Gesicht,  *lunares'  „Schönheitsmaale":    Son  lunares  que  hermosean. 

4)  Ve  presto  Uama  ek  barbero." 

5)  Son  (los  hierros)  en  tu  nombre,  mi  bleu. 


Belisa's  Ohnmachtsgelüst.  263 

ßelisa's  Liebes-  und  Eifersuchtswuth  muss  folgerichtig  sich 
bis  zu  hysterischen,  epileptischen,  wo  nicht  nymphomanen  Zufäl- 
len steigern.  Im  Paroxysmus  solcher  Anwandlungen  überkommt 
sie  ein  unwiderstehliches  Gelüste  nach  einer  körperlichen  Be- 
rührung mit  dem  gezeichneten  Sklaven  Pedro,  und  war'  es  blos 
mit  seiner  Hand.  ^)  Auf  Flora' s  Kath,  flngirt  sie  eine  Ohn- 
macht, stürzt  hin,  Felisardo  nimmt  sie  auf,  und  wird  in  die- 
ser Situation,  mit  Beiisa  auf  beiden  Armen,  von  Celia  betroffen. 
Beide  halten  die  verstellt  Ohnmächtige  für  todt,  und  Celia 
wünscht,  dass  er  die  Leiche  auf  den  Flur  trage  und  dort  in  Stücke 
schneide.  '^)  Spanische  Komödienzüge  von  spanischen  jungen  Fräu- 
leins! Jedem  andern  civilisirten  Theaterpublicum  würde  das  Lachen 
ob  der  an  sich  komischen  Situation,  wegen  des  Ohnmacht-Moti- 
vesund Celia' s  Aufforderung,  die  Leiche  zu  zerstückeln,  in  Zischen 
und  Pfeifen  im  Munde  umschlagen.  Felisardo  begnügt  sich, 
Beiisa  auf  die  Erde  wieder  hinzulegen,  und  Celia's  von  Liebes- 
zärtlichkeiten begleitetem  Vorschlage  ihr  auf  ihr  Zimmer  zu  folgen, 
nachzukommen.  Nun  Belisa's  Schilderung  von  den  Entzückun- 
gen ,  die  sie  auf  Felisardo's  Armen  genossen !  Seines  Mundes 
Hauch,  den  sie,  auf  Rechnung  der  Ohnmacht,  mit  Wollust  einsog. 
Wie  sehr  sie  auch  —  sagt  sie  der  Flora  -—  bei  Celia's  Zärt- 
lichkeit mit  Felisardo  gelitten,  so  flehte  sie  doch  im  Stillen 
zu  Gott  aus  der  Ohnmacht,  ihren  Verdruss  so  lange  wie  möglich 
hinzuhalten.  ^)  Zum  Besten  der  Entwickelung  der  Komödie  haben 
diese  Anstössigkeiten  doch  das  Gute,  dass  Beiisa,  während  ihres, 
nach  der  „Philosophie  des  ünbewussten"  bewusstlosen  Ohnmachts- 
zustandes, von  dem  über  ihre  Leiche  hinwegliebelnden  Sklaven- 
paare  dessen  wahre  Namen    erfuhr;    nämlich  Felisardo   und 


1)  ^Como  tocare  una  mano 
Dese  esclavo? 

2)  Llevala,  y  harla  pedazos 
Dese  corredor. 

3)  —  y  aunque  me  pesaba 
De  ver  de  los  dos  los  celos, 
Agradecia  mi  agravio; 

Y  por  estar  en  su  pecho, 
Rogaba  ä  Dios  que  durasen 
Los  enojos  que  me  dieron. 


264  Das  spanische  Drama. 

Celia,  woraus  sie  folgert,  Pelisardo  könne  von  adeliger  Her- 
kunft, und  durch  Unglück  in  diese  Lage  gerathen  seyn.  Jetzt 
erklärt  Don  Juan  vor  seiner  Mutter  und  Schwester  ohne  Umstände 
die  Sklavin  Zara  für  seine  Frau J)  Mutter  Lisa r da  flucht  dem 
sein  Adelswappen  beschimpfenden  Sohne,  und  will  in  Einem  Äthem, 
ihrem  Sohn  und  Fluch  zum  Possen,  den  Sklaven  Pedro  hei- 
rathen.  -)  Einen  gebrandmarkten  und  nun  auch,  auf  Belisa's  Be- 
fehl, in  ein  Halseisen  sammt  Eiegelstange  ^)  gesteckten  Sklaven 
heirathen?  —  Nicht  davor  schrickt  Mutter  Lisa r da  zurück; 
sondern  schaudert  vor  Felisardo's  Fluchtversuch  zurück,  wes- 
halb ihn  Beiisa  angeblich  an's  Halseisen,  und  nun  auch  mit 
Zustimmung  der  Mutter,  von  vier  Dienern  schmieden  lässt,  die 
aber  den  Sichwehrenden  mit  Mühe  und  nicht  ohne  blaue  Flecke 
erst  bewältigen  und  auf  den  Boden  hinwerfen  müssen,  ehe  sie 
ihm  die  eiserne  Halsbinde  umlegen  können,  und  nicht  so  zier- 
lich, wie  Celia,  im  ersten  Act,  dem  Junker  Don  Juan  die 
seinige  knüpfte.  Der  Fluditversuch  ist  eine  capriciöse  Einbildung 
oder  ein  hysterischer  Vorwand  von  der  Melindrosa,  um  ihr  Lie- 
bes- und  Eifersuchtsopfer  zu  peinigen.  Felisardo,  im  steifen 
Kragen,  allein  auf  der  Bühne  zurückbleibend,  und  sein  Missge- 
schick in  einem  wehleidigen  Sonett  klagend  —  ein  Sonett  ist 
selber  so  ein  Keimsklave  mit  einer  vierzehnzeiligen  argoUa  y  virote 
um  den  Hals  —  trefflicher  Schluss  eines  zweiten  Komödienacts 
und  lustig  genug! 

In  solchem  Zustande  muss  Eli  so,  Lisarda's  Schuldner,  sein 
Haftpfand  im  dritten  Act  wiederfinden.  Da  geht  mit  ihm  die 
Zunge  durch,  unbekümmert  um  den  Schlag,  den  ihm  die,  wegen 
einer  kunstgerechten  Auflösung  ihrer  Verwickelungen,  bange  Ko- 
mödie auf  den  Mund  giebt  —  Elise  kann  nicht  an  sich  halten 
und  spielt  doppelzüngig  mit  parallelen  Andeutungen  auf  die  edle 


1)  Que  es  mi  rnnjer. 

2)  Lisarda.    jOh  infame!  ^de  tu  boca 

Sälen  tales  afrentas  de  tu  sangre?  .  .  . 
Pues  alto;  si  Don  Juan  se  determina 
A  quererse  casar  con  una  esclava, 
Yo  me  quiero  casar  con  un  esclavo. 

3)  ArgoUa  y  virote. 


Belisa\s  Gelüst  nach  Tollwürmern.  265 

Geburt  der  vermeinten  beiden  Sklaven  an,  erst  gegen  die 
Mutter,  Lisarda,  dann  gegen  ihren  Solin  Don  Juan,  und  kitzelt 
Mutter  und  Sohn  mit  der  doppelsinnigen  Andeutungszunge  zu 
dem  gleichzeitig  und  parallel  gefassten  Entschlusse ,  ihn:  die 
adelbürtige  Celia;  sie,  die  Mutter:  den  adeligen  Felis ardo  zu 
heirathen.  Und  Melindröschen?  In  ihrem  grillen  vollen  Köpf- 
chen kribbeln  schon  ebenso  viele  Tollwürmer.  ^)  Die  Mutter 
möchte  nur  geschwind  —  delirirt  sie  —  geschwind  ihr  Herz  in 
eine  Wiege  legen,  es  in  Schlummer  schaukeln  und  lullen,  ihm 
ein  Kuhhirtlein  und  vergoldete  PantölFelchen  und  buntes  Confect 
kaufen'^),  und  ein  Zwangsjäckchen  und  ein  Tollhauskettlein  zum 
Angebinde  dazu.  Mit  ihr  allein  geblieben,  ist  Felis  ardo  vor 
ihrer  in  Käserei  ausgebrochenen  mutterwüthigen  Nymphomanie 
seines  Lebens  nicht  sicher.  „Jesus!  drück  mich,  drück  mich 
feste!''  ^)  „Mich  kitzelt,  mich  kitzelt  das  Herze!*'  0  —  und  schlägt 
—  nun  aber  alles  Ernstes  —  auf  den  Boden  hin  ohnmächtig. 
Die  Muse  der  Komödie  läuft  schnell  nach  der  Todtenbeschauerin, 
nach  der  Muse  der  Tragödie.  Diese  setzt  die  Brille  auf,  kitzelt 
die  Scheintodte  mit  einem  Strohhalm  ~  nicht  das  Herz  und  nicht 
unter  dem  Herzen  —  sondern  unter  der  Nase —  zieht  die  ihrige 
in  die  Höh,  und  befindet:  Bios  Komödientod!  nimmt  eine  Prise 
und  trippelt  davon.  Beiischen  beweist  es  infolge  des  Kitzeins 
mit  dem  Strohhalm,  und  spricht:  „Was  hör'  ich?  Nun  sterb' 
ich  erst  recht,  ich  tolle  Lise!"'0    Sie  hörte  nämlich  in  der  Ohn- 

1)  „Beiisa  fiiriosa"  besagt  die  UeBerschrit't  der  Seene. 

2)  Hagame,  madre,  iina  cuna 
Donde  mezca  el  corazon, 
Porque  duerma  en  la  pasion 
Que  me  afiige  y  importuna. 
Comprenle  un  vaquerito 

Y  unos  zapatos  dorados, 
Dele  coniites  pintados. 

3)  jJesu!  aprictame  presto! 

4)  Ponense  unas  cositas  .  .  . 

Y  con  dulce  alteracion 
Pellizcan  el  corazon. 

5)  Beiisa.  (Ap.  (lEsto  oi? 

^Que  aguarda  mi  loco  engano? 
Fuera  digo)  Muerta  soy. 


266  I^as  spanisclie  Drama. 

macht  —  also  doch,  laut  Befund  der  Todtenbeschauerin,  doch 
nur  eine  Komödienohnmacht!  —  B  elisa  hörte,  wie  die  hinzugetre- 
tene Celia  dem  Felisardo  droht,  wenn  er  ihrer  Eifersucht 
kein  Ende  mache,  sich  noch  heute  in  Don  Juan's  Arme  zu 
werfen  0,  und  hört,  wie  Felisardo  ihren  ihm  geschenkten  Dia- 
mantring der  Celia  anbietet!  „Mutter!  Mutter!  Flora,  das  ganze 
Hausgesinde,  holla!  herbei!" 2)  wettert  die  aus  der  Ohnmacht 
noch  eben  so  toll  Erwachte,  wie  sie  hineingefallen  war,  und  klagt 
vor  dem  mit  Mutter  Lisarda  hereingestürzten  Hausgesinde  die 
Zara  an:  diese  hätte  ihren  Diamant  gestohlen,  und  verlangt  au- 
genblickliche Verbrennung  der  Diebin  ^) ,  sonst  sieht  die  Mutter, 
sie,  die  Tochter,  als  Leiche  vor  sich.  4)  Wie  in  der  Mehrzahl 
von  Lope's  Stücken,  stolpert  auch  hier  der  Entwickelungsact  über 
die  eigenen  Stegreifbeine.  Denn  nur  aus  diesen  kann  Onkel 
Tiberio's  seiner  Schwester  Lisarda  unter  den  Fuss  gegebe- 
ner ßath  entspringen,  der  auf  Folgendes  hinausläuft:  In  Madrid 
existire  ein  gewisser  Caballero  Namens  Felisardo,  der  ihrem 
Sklaven  Pedro  zum  Verwechseln  ähnlich  sehe.  Lisarda  möchte 
daher  den  Sklaven  cavaliermässig  kleiden  lassen,  mit  ihm  einen 
Scheinehevertrag  schliessen.  Darüber  würden  ihre  beiden  Kin- 
der in  einen  unausbleiblichen  Schrecken  gerathen,  und  vor  Angst, 
die  Mutter  könnte  sich  mit  diesem  Zwillingsebenbild  des  gewis- 
sen Felisardo,  Caballero  zu  Madrid,  verheirathen,  würde  Don  Juan 
einen  Zügel  seinen  Gelüsten,  und  Beiisa  ihren  hysterischen  Ca- 
pricen  anlegen.  ^)  Bei  solchem  verzweifelten  Knotenzerbeissen  mit 
den  Zähnen  könnte  man  an  Lope's  Erfindungsgenie  verzweifeln, 


1)  Don  Juan  me  qniere.  Yo  bare 
Que  hoy  en  sus  brazos  me  veas. 

2)  iMadre!  imadre!  j Flora!   j Genta 
Desta  Casa!  Hola,  criados! 

3)  Paola  en  un  fuego! 

4)  Si  no  la  mandas  pringar 
Cuenta  me  por  muerta  luego. 

5)  Y  fingiendo  la  escritura 
Del  tratado  casamiento 
Pondräs  temor  ä  tns  hijos, 
Y  rienda  al  uno  en  deseos, 

y  al  otro  en  tantos  raelindres. 


Belisa's  Gelüst  nach  einer  Liebeserklärung  im  Pinstern.         267 

dieses  Genie  müsste  denn  in  solchen  Fällen  darin  sich  kundge- 
ben, dass  der  verzweifelten  Verfindung  die  nächstfolgende  über 
die  Stegreifbeine  stolpert,  wie  Lisandra's  ihr  über  den  Kopf 
kommende  Vermuthung:  besagter  Caballero  Felisardo  in  Madrid 
und  ihr  Haussklave  Pedro  sey  ein  und  derselbe  Caballero.  ^)  Und 
ein  Stolpern  über  die  Beine  des  andern!  über  die  eigenen  und 
zugleich  über  die  des  vorausstolpernden  Auskunftsmittels  behufs 
Knotenlösung!  Gleich  Flora's  der  Beiisa  ertheilter  Kath: 
dem  Pedro  im  Finstern  ihre  Liebe  zu  erklären.^)  Im  Finstern! 
Beiisa!  die  bei  hellem  Tageslicht,  sich  in  |so  stössiger,  unmäd- 
chonhafter,  verrückter,  über  alle  Melindres  hinausschweifender 
Aufdringlichkeit  dem  Pedro  an  den  Hals  geworfen!  Und  nun 
dieses  letzte  Zufluchtsmittel:  eine  Liebeserklärung  im  Finstern 
aus  jungfräulicher  und  jungfräuleinhafter  Schaam !  Im  Finstern, 
die  Leibfarbe  des  „Werkes  der  Finsterniss" ,  der  *impermissa 
raptim  gaudia,  luminibus  remotis!'  —  Beiisa  greift  blind  nach 
der  Liebeserklärung  luminibus  remotis,  mit  dem  Vorsatz,  bei 
dieser  Gelegenheit  auch  das  Licht  ihres  Verstandes  auszulöschen, 
um  ihrem  Haussklaven  bei  solcher  doppelten  Verfinsterung,  innerer 
und  äusserer,  ihrer  Schlaf-  und  Hirnkammer,  das  Werk  der 
Finsterniss  so  einleuchtend  zu  machen  wie  möglich.^) 

Was  in  aller  Welt  hindert  nun  das  Sklavenliebespaar  sich 
der  vollen  Freiheit  in  die  Arme  zu  werfen,  nachdem  Felisardo 
von  der  Herstellung  seines  im  Duell  tödtlich  von  ihm  verwunde- 
ten Insgehegegehers  unterrichtet  ist?  Ahnungen,  die  Celia 
seinem  heftigen  Verlangen,  das  verwünschte  Sklavenwesen  end- 
lich abzuschütteln,  entgegensetzt.  ^)  Das  bringt  uns  in  eine  Scene 
von  drei  Gruppen:  Erste  Gruppe  Felisardo  und  Celia;  zweite, 
Beiisa  und  Flora;  dritte,  Lisandra  und  Tiberio.    Mutter 


1)  ^Q^iß^  ^^^^  ^^6  es  Felisardo 
Este  que  parece  Pedro? 

2)  Häblale  sin  luz,  y  di: 
„Pedro,  yo  soy,  yo  te  quiero? 

3)  Tengo  de  cegar  tambien 
Para  que  pueda  mas  bien 
Decille  mi  pensamiento. 

4)  Felis.  Pues  ^serä  sufrir  mejor? 
Cel.       Diceme  el  alma  que  sl. 


268  I^^s  spanische  Drama. 

und  Tochter,  beide  mit  Absichten  auf  den  Sklaven  Pedro,  den 
sie  von  rechtswegen ,  vermöge  Eliso's  Winke  und  Andeutungen, 
so  eigentlich  nicht  mehr  als  Sklaven  Pedro  behandeln  dürften. 
Die  Gruppe  Beiisa-Flora  löscht,  verabredetermaasseu ,  die 
Kerzen  aus,  jede,  nach  der  Doublettenregel,  eine.  Feiisandr o 
will  die  Dunkelheit  benutzen,  um  sich  seiner  Celia  zu  nähern; 
Celia,  ihrerseits,  um  nach  Felisandro  zu  tappen,  desgleichen 
Beiisa,  und  Mutter  Lisarda,  unter  üblichen  Apartes.  Die  Ab- 
paarung  geschieht  aber  so:  Beiisa  tappt  sich  zu  ihrer  Mutter 
hin,  Celia  zur  Flora,  Felisardo  zu  Tiberio,  und  das  Ko- 
sen und  zärtliche  Geflüster  der  drei  Gruppen  solcher  Appaarung 
gemäss.  Felisardo's  Liebkosungen  gegen  Tiberio  werden  im 
Finstern  so  ungestüm,  dass  dieser  nach  Lichtern  ruft.  Don  Juan 
und  sein  Diener  Carrillo  eilen  mit  einer  Fackel  herbei,  die  nun 
den  Gruppen  ihre  bezüglichen  Standpunkte  klar  macht.  Don  Juan 
fordert  stürmisch  sein  Weib  Celia  i),  Beiisa  lässt  sie  von  Flora 
davonführen,  Felisardo,  von  Don  Juan  „Hund"  geschmäht, 
beisst  frischweg  als  solcher  um  sich'^),  und  folgt  der  Celia  als 
treuer  Pudel,  lässt  aber  des  Hundes  feine  Witterungsnase, 
die  hinter  Sklavin  Zara  die  Edeldame  schnoppert,  den  Don 
Juan  zurück.  Was  frommt  die  Spürnase  einem  von  blinder  Lei- 
denschaft bei  hellem  Fackelscheine  genasführten  Don  Juan?  wie 
Carrillo  treffend  bemerkt.  3)  Die  Spürnase  wächst  sichtlich  bis 
zur  schuhlangen  Nase,  die  ihm  die  Komödienkatastrophe  andreht. 
Das  hindert  aber  Mutter  Lisarda  nicht,  ihr  Plänchen  auszu- 
führen; den  Sklaven  Pedro  nämlich  als  jenen  gewissen  Felisardo, 
dem  er  Zwillings-  oder  duplicatmässig  ähnlich  seyn  soll,  heraus- 
geputzt, daherzubringen,  um  Sohn  und  Tochter  durch  den  Schrecken 
über  ihre  Verlobung  mit  dem  gewissen  Felisardo  zur  Raison  zu 
bringen.  All  diese  Auskunftserfindungen  kranken  an  doppelsei- 
tiger Lähmung  der  Extremitäten  und  schleppen  die  paralytischen 
Beine  aufs  kläglichste  dem  Komödien-Ende  entgegen.  Vor  die- 
sem Ende  bekommt  Beiisa  noch  von  ihrer  Mutter  zu  hören, 
dass  ihre  Melindrosität ,    ihre  Grillenhaftigkeit   nichts    als  eine 


1)  Dame  mi  mujer,  seiiora. 

2)  Vos  vereis  que  perro  os  muerde. 

3)  dQ^e  luz  podrä  alumbrar  un  ciego  amante? 


Belisa's  Gelüst  nach  Brandmarkung.  269 

lustspielwidrige  Krankheit,  Hysterie,  ist,  da  sie  Gyps  und  Lehm 
verschlingt.  1)  Beiisa  giebt  es  der  Mutter  zurück,  von  der  sie 
die  Krankheit  geerbt,  die  sie  mit  auf  die  Welt  gebracht.  2)  Der 
Mutter  Gelüste  nach  einem  jungen  Ehegatten  sey  auch  nur  eine 
hysterische  Begierde  nach  frischem  Thon  oder  Lehm,  der  mit 
der  Zeit  doch  zum  alten  Adam,  einem  gebornen  Lehmmann, 
austrockne  oder  gar  erstarre  mit  ihrer  alten,  der  Mutter,  zusam- 
men, zu  einem  Paar  gefrorner  Lehmklösse.  ^) 

Felisardo  wird  nun  schliesslich  doch  von  Onkel  Tiberio 
als  Felisardo,  für  Mutter  und  Tochter  aber  als  Doubletten-Feli- 
sardo,  als  Sklave  Pedro  zum  Felisardo  aufgeschniegelt,  herange- 
geführt,  und  ohne  Brandmaal,  das  Tiberio  ihm  und  der  Celia 
blos  aufgemalt,  nicht  eingebrannt,  nicht  eingebrandmaalt  hatte. 
Beiisa  erkennt  in  Felisardo  den  Sklaven  Pedro,  Onkel  Ti- 
berio fragt,  ob  sie  verrückt  sey?0  Beiisa  befiehlt  der  Flora, 
den  Pedro  zurstelle  herbeizuholen.  Die  fertige  Doppelgängerei  und 
Doppelschau.  Zu  allerletzt  erscheint  Celia  verschleiert  in  rei- 
chem Galaanzug,  begleitet  von  einem  Livreebedienten,  und  bald 
darauf  ihr  Vater,  Prudencio,  begleitet  von  Don  Juan,  Elise 
und  Alguazils.  Beiisa  und  Lisarda  legen  Beschlag  auf 
Felisardo,  bis  sich  Celia  entschleiert  und  als  die  einzige  recht- 
mässige Besitzergreiferin  des  Felisardo  sich  ausweist.  Der 
von  der  Strasse  aufgegriffene  Vater  Prudencio  giebt  dem  Paar 
seinen  Segen.    So  bleibt  denn  der  hysterischen  Beiisa   nichts 


1) 

Tu  con  hacer  melindritos, 
Comiendo  yeso  y  barritos. 

2) 

Melindres  tenia 
Con  ellos  naci. 

3) 

Las  flaquezas  vuestras 
Me  cargais  ä  mi  .  .  . 
Aquellos  barritos 
Que  decis  de  mi 
Os  han  opilado  ,  .  . 
Si  es  viejo  y  sois  vieja 
Juntareis  alli 
Dos  sierras  heladas. 

4) 

Bei. 

Pedro  el  esclavo  de  casa. 

Tib, 

^,Estas  loca? 

270  Das  spanische  Drama. 

Übrig,  als  nach  dem  Lehmkloss,  Eli  so,  zu  schnappen,  mit  dem 
sie  die  von  Felisardo  zurückgelassene  Lücke  verstreicht,  will  sagen 
zu  einem  Adam  und  Evapaar  zusammenklebt.  Eliso,  Adam,  der 
Lehmmann;  Beiisa,  das  hysterische  Eippenstück  Eva,  die  En- 
kelin der  ersten  von  Gelüsten  beherrschten  ürmutter,  der  ur- 
hysterischen Eva;  Eva  melindrosa. 

Fügen  wir,  in  Lope's  stegreiflicher  Manier,  nur  ohne  weiteres 
sein  zweites  Beiisa-Stück: 

Las  Bizarrias  de  Beiisa, 

den  'Melindres  de  Beiisa'  an,  in  auszüglicher  Kürze.  Das  komi- 
sche Charakter-Motiv  der  beiden  Belisa's  ist  so  verwandt,  wie  der 
Name  der  Komödienheldinnen  übereinstimmt.  Unter  'bizarrias' 
hat  man  nicht  'Bizarrerien'  zu  verstehen,  sondern  mehr  Prunk- 
sucht, Hoffahrt;  immerhin  eine  Bizarrerie,  aber  eine  specielle  ei- 
genartige Bizarrerie,  die  in  der  Bedeutung  'bizarre',  „prachtlie- 
bend", „freigebig",  bis  zur  „Grossmüthigkeit"  und  „magnifik" 
sich  emporschwingend,  in  eine  glänzende  Eigenschaft,  eine  impo- 
sante Tugend,  wie  polarische  Spiegelungen,  umschlägt.  Zu  dem 
Charaktermotiv  der  Komödienheldin  Beiisa  gesellt  sich  ein  zwei- 
tes von  der  Donna  Lucinda  verbeispielt,  welches  in  das  Ver- 
schmähungsmotiv  hinüberschillert,  das  Moreto  in  dem  grössten 
Meisterstücke  des  spanischen  Lustspiels  'Desden  con  Desden'  zu 
höchsten  Kunstehren  erhob  und  poetisch  psychologisch  verklärte; 
ein  dem  Lope  förmlich  entlehntes  Motiv,  das  dieser  wiederholt 
in  den  Komödien  'Los  Milagros  del  desprecio',  'La  hermosa  fea' 
durchgeführt,  und  in  den  'Bizarrias  de  Beiisa'  nur  parallel  zum 
Hauptthema  nebenher  schlenkern  Hess.  An  Motiven-Erfindung 
unerschöpflich  und  ohne  Gleichen,  versteht  sich  Lope  weniger 
darauf,  oder  war  nicht  genugsam  bedacht  darauf,  sein  themati- 
sches Motiv  kunstgerecht  durchzuspielen.  Seine  schöpferische  Er- 
findung bekundet  sich  nicht  sowohl  in  dem  Ersinnen  von  kunst- 
reichen Verwickelungs-  und  Entwickelungsweisen,  als  eben  im 
Erdenken  von  Lustspiel -Themas.  Sein  Zauberstab  wirkt  nicht 
als  Wünschelruthe,  die  auf  vorhandene  und  verborgene  Quellen 
einschlägt,  die  ein  ganzes  unterirdisches  Quellensystem,  Gebiete 
befruchtend  und  immerdar  sprudelnd,  erschliesst.  Lope's  magi- 
scher Stab   gleicht   mehr   dem  Stecken  Mosis,   der   aus  Felsen 


Lope's  Com.  Las  Bizarrias  de  Beiisa.  271 

wunderartig  Quellen  springen  lässt,  zur  Erquickung  allen  Volkes, 
unbekümmert,  ob  sie  stetig  fliessen,  oder,  nach  erfüllter  Aufgabe, 
nach  Stillung  des  durstenden  Voll^es,  wieder  verschwinden.  Er- 
finder erster  er  Art,  solche  nämlich,  die  aus  vorliegendem  Motiv- 
stofif  ewige  Kunstwerke  schaffen,  wie  Gott  sein  ewiges  Schmuck- 
werk und  Kunstmeisterstück,  die  Welt,  nicht  etwa  aus  Nichts, 
sondern  aus  der  ürmaterie,  dem  Chaos,  seinem  vorhandenen  Grund- 
stoff und  Grundmotiv  ausführte  —  dergleichen  Finder  sind  in 
Kunst  und  Poesie  die  seltenern  und,  unserer  Meinung  nach,  auch 
musterwürdigern  Meister,  als  die  Finder  von  neuen  Motiven,  The- 
ma's  und  Fabeln,  als  die  schöpferischen  Genie's,  denen  die  Korn- 
felder auf  der  flachen  Hand  wachsen,  oder  deren  Schöpferhand 
der  Pfote  des  Hündchens  in  Lafontaine's  Erzählung  gleicht,  das 
auf  jeden  Druck  eine  Perle  fallen  lässt.  Finder  mit  derlei  Pfo- 
ten waren  die  provenfalischen  Troubadoure,  und  die  nordfranzösi- 
chen  oder  normannischen  Trouveres.  Dichter  und  Finder  in  der 
Manier  unseres  Herrgotts,  des  Weltenschöpfers,  die  ein  rohstoffi- 
ges Motiv  nämlich  zu  einem  Weltwunderbau  entwickeln  und  für 
alle  Zeiten  gründen,  z.  B.  Homer,  die  griechischen  Kunstmeister 
überhaupt,  ferner  Dante,  Ariosto,  Shakspeare  vor  Allen,  Moreto, 
Goethe,  Schiller.  Der  Phönix  der  spanischen  Comedia  scheint 
uns  den  der  ersten  Kategorie  angehörenden  Findern,  den  Trou- 
badouren und  Trouveres,  verwandter,  als  den  Schöpfern  und  Er- 
findern aus  der  zweiten  Classe,  die  von  rechts-  und  amtswegen 
eigentlich  „Finder"  heissen  müssten,  als  solche,  die  das  Gefun- 
dene zu  einem  vollendeten  Meisterwerk  gestalten;  Erstere  dage- 
gen wären  „Erfinder",  die  auch  den  Stoff  erfinden,  ihn  aber  nicht 
immer  bis  zur  höchsten  Kunstvollendung  zu  entwickeln  vermögen. 
Nicht  Ziege  oder  Gazelle,  die  Bezoarsteine  in  den  Eingeweiden 
ablagert;  nicht  der  Luchs,  der  Edelsteine  harnt;  nicht  die  Auster, 
die  aus  freien  Stücken  Perlen  als  Krankheitsproducte  schwitzt; 
nicht  die  Kröte,  in  deren  Gehirn  Juwelen  wachsen  sollen  — 
sie  weiss  nicht  wie  —  nicht  dieses  sind  die  Kunstmeister,  son- 
dern die  Goldschmiede  und  Juweliere  sind's,  die  all  die  Edel- 
steine zu  Kunstgebilden  und  Schmuckwerken  fassen;  die  Heil- 
künstler sind's,  die,  vermöge  der  rechten  und  zweckmässigen 
Mischung,  den  Bezoarsteiuen  die  heilkräftige  Wirkung  verleihen. 
Aehnlich   verhält   es  sich  mit  dem  homöopathischen  Komödien- 


272  I^3,s  spanische  Drama. 

motiv:  „Verschmähung  gegen  Verschmähung",  das  in  Lope's  In- 
nerem sich  bildete,  und  in  seinen  Eingeweiden  in  freien  Stücken 
vorkommt,  das  aber  erst  durch  Moreto's  kunstgemässe  Verwen- 
dung der  Heilkraft  jene  Wunderwirkung  inderthat  und  untrüg- 
lich und  zu  allen  Zeiten  hervorbringt,  welche  man  früher  den  Be- 
zoarsteinen  zuschrieb. 

Die  Bizarr ia,  die  pfauenschweifartig  aus  der  Farbe  der 
Prunkliebe  und  ^oilettensucht  in  die  des  Liebesbannes  und  der 
Liebesverschmähung  0  hinüberschillerende  Bizarria  der  Beiisa, 
schlägt  nun,  kurzgemeldet,  ihre  Radfächer  vorn  und  hinten  durch 
die  drei  Actos  derart,  dass  sie  im  ersten  den  Conde  Enrique 
hochnäsig  mit  dem  Prunkwedel  von  sich  ab-  und  den  duellflüch- 
tigen Don  Juan  de  Cordona  aus  Aragon  in  ihre  Kutsche 
hereinfächelt. 

Belisa's  parallele  Gegenfigur,  D.  Lucin  da,'  verliebt  in 
D.  Juan,  quält  ihn  durch  verschmähungslaunische  Abwehr  und 
sich  selbst  mit  dem  Scorpionstachel  der  Eifersucht  auf  Beiisa. 
Belisa's  Eingangstoilette  prunkt  in  Trauergala,  um  ihre  angeb- 
lich an  Don  Juan  verlorene  Herzensfreiheit.  ^) 

Belisa's  zweite  Bizarria  als  Toilettenpfauenmauser  glänzt 
in  den  hellsten  Farben  mit  neckendem  Pfauenschweif  am  Hute, 
auf  dem  Spazierplatze  el  Soto  in  Madrid,  wo  sie  in  aller  Frühe 
ihre  Kutschenbekanntschaft,  den  Duellflüchtling  Don  Juan  auf- 
sucht, aber  ihren  mit  beiden  Fächern,  dem  Damen-  und  Pfauen- 
fächer davongescheuchten,  treuen  Anbeter  Conde  Enrique, 
findet  und,  in  den  Schleier  ihrer  Verschmähung  sich  hüllend, 
beide  Fächer  gegen  ihn  eifrig  spielen  lässt,  und  vom  Conde  als 
Don  Juan's  Verlobte'"^)    angesehen   seyn  will,   den   sie  erwarte. 


1) 

Y  mis  locas  bizarrias 
Desprecios  y  desfavores. 

2) 

Bei. 

jCelia  mia! 
Murio. 

Gel. 

ö  Quien  ? 

Bei. 

Mi  libertad. 

3) 

Pues  el  nombre  marido 
Siempre  merecio  respeto 
De  Aragon  vienc  ä  casarse 
Conmigo. 

Fächerschläge.  273 

Kehrt  dem  Conde  den  liintern  Fächer  zu  und  wendet  sich  mit 
dem  vordem  gegen  den  im  Soto  erscheinenden  Don  Juan,  hält 
vor  ihm  Toilettenparade,  sich  drehend  und  wendend  und  rad- 
schlagend mit  beiden  Fächern  zu  seiner  staunenden  Bewunderung 
solcher  bizarrias  i),  und  Beiisa  ihn  neckend  mit  seinen  poetischen 
Vergleichen  2),  und  bestellt  bei  ihm  ein  Sonett  auf  Lucin  da, 
das  aber  ein  Epigramm  seyn  soll  mit  vierzehn  Stacheln.  Selbst- 
verständlich parodirt  Don  Juan's  Diener  Tello  mit  Belisa's 
Kammerjüngferchen  Tinea  die  Scene  in  einem  Parallelgespräch. 
Jetzt  fegt  auch  Lucin  da  mit  ihrer  Zofe  Fabia  heran,  und  mit 
dem  der  Zofe  abgelegten  Geständniss:  sie  quäle  den  Don  Juan 
mit  Verschmähung,  um  seine  Liebe  zur  Vermählung  mit  ihr  zu 
kitzeln.  ^)  Darauf  eine  Hechelscene  zwischen  den  beiden  Putz- 
und  Verschmähungspuppen,  Beiisa  und  Lucinda,  zu  Don 
Juan's  stillem  Vergnügen  über  Belisa's  der  Lucinda  mit 
Zunge  und  beiden  Fächern,  dem  vordem  und  hintern,  versetzte 
Gesichtsschläge,  wozu  er  in  Apartes  die  Beiisa  noch  auf- 
putscht 4),  bis  Lucinda  davonrennt,  toll  vor  Wuth  ^),  wie  die  Kuh 
vor  der  Horniss  mit  peitschenartig  geschwungenem  Schwänze,  Zofe 
Fabia  und  Acto  primero  hinterdrein. 

Der  zweite  Act  spielt  uns  nahezu  dieselben  Karten  in  die 
Hand  und  dieselben  Trümpfe.  Don  Juan  schwört  der  Beiisa 
Abschwörung  seiner  Liebe  für  Lucinda^)  und  wünscht  von  Be- 
lisa's  Hand  eine  andere  Herzensdame  zu  erhalten. "')    Beiisa  ver- 


1) 

iQue  bizarra!  iQue  gallardal 

2) 

<?,Sois  poeta? 

3) 

Porque  espero 

A  puros  celos  rendirle 

De  manera  que  troquemos 

—  el  amor  en  casamiQnto. 

4)  Don 

Juan  (ap.  ä  Beiisa). 

Decidle  mas. 

5) 

Luc.   <:Esto  Uaman  amor?  jFuego! 

6) 

No  mas  Lucinda:  ya  es  heclio, 

A  vuestros  ojos  lo  juro. 

7) 

Pues  dadme  vos 

Por  vuestro  gusto  mujer. 

274  l^^s  spanische  Drama. 

langt  vor  Allem  die  Auslieferung  von  Lucinda's  Liebespfändern, 
insbesondere  das  Portrait  derselben,  i)  Beiisa  verspricht  ihm 
als  Gegenaustausch  das  Herz  einer  andern  Dame.  Auf  seine 
Frage,  Wer  diese  sey,  wirft  sie  ein  bezauberndes  Yo,  „Ich",  hin, 
und  husch  auf  und  davon.  lieber  das  Yo  ist  Don  Juan  in  den 
siebenten  Himmel  verzückt.  ^) 

Lucinda  fordert  Conde  Enrique  auf,  die  ihr  widerfahrene 
Unbill  an  Don  Juan  zu  rächen.  Erzählt  ihm  das  Weitläufigere, 
wie  sie  Don  Juan  kennen  gelernt.  Conde  und  sie,  Lucinda, 
hätten  ja  gleiche  Veranlassung  Eache  zu  nehmen:  Conde  an 
der  ihn  verschmähenden  Beiisa;  sie,  Lucinda,  an  dem  von 
ihr  aus  unbegnügsamer  Liebe  verschmähten  DonJuan.  Conde 
verheisst  die  Rache.  ^)  Bire  Frauenrache  lässt  Lucinda  in  Don 
Juan's  Stichwunde  durch  den  Absage-Stachel  fliessen :  Er  möchte 
sich  ja  nicht  bei  ihr  oder  vor  ihrem  Balcon,  dem  spanischen 
Schwungbrett  in's  Ehebett,  blicken  lassen,  sonst  werde  ihn  Conde 
Enrique  dafür  züchtigen,  der  sie  anbete.'*)  So  läuftvDon  Juan 
Spiessruthen  zwischen  Beiisa  und  Lucinda.  Lucinda,  die 
sich  selbst  mit  zwei  Ruthen  dabei  geisselt:  mit  der  Verschmähungs- 
und mit  der  Eifersuchtsruthe  —  und  springt  zwischen  Belisa's 
zwei  Fächern,  wie  ein  Federball  zwischen  zwei  Raketen,  hin  und 
her  —  Bei isa,  die  ihn  mit  dem  vordem,  den  Conde  abwehren- 
den Gesichts-Fächer  empfängt,  und  mit  dem  Bürzelfächer,  dem 
Pfauenprunkwedel  wieder  zurückschnellt.  ^)  Letzteres  passirt  ihm 
eben  jetzt,  wo  Beiisa  darüber  bizarrenhaft  eifersüchtig,  dass 
Don  Juan,  nachdem  er  Lucinda  abgeschworen,  dennoch  neuer- 
dings ihrem  Netzschlägel  zuflog,  wie  sie  von  Conde  und  Lu- 
cinda erfahren.   Beiisa  lässt  dem  Spielball,  in  Form  eines  Kaut- 


1) 

Mayormente  su  retrato 

Habeisme  de  dar. 

2) 

iCon  qiie  gusto  dijo  „Yo!'* 

3) 

Por  vos  y  por  mi  hacer  quiero 

4) 

Castigarä  su  locura 

El  Conde,  porque  me  adora. 

5) 

Bei  (Cap.)  Lo  mejor 

Es  volverle  las  espaldas. 

Zielscheibe  und  Alcoven.  275 

schuk-Januskopfes,  von  Finea,  das  Fenster  vor  der  doppelten 
Nase  zuschlagen.  ^) 

Der  dritte  Act,  der  bei  nachtschlafender  Zeit  spielt,  ist  so 
bizarr  wie  nur  Beiisa  selber,  die  er  mit  Finea  in  Mannsklei- 
dern, Federhute  und  jede  mit  zwei  Pistolen  bewaffnet  vor  Lu- 
cinda's  Hausthür  stellt.  Finea  erklärt  selbst  die  Verkleidung 
für  närrisch. 2)  Bald  haben  sich  auch  Don  Juan  und  Tello 
eingestellt,  und  fechten  ein  Stegreif duell  mit  demselben  Otavio 
aus,  der  Don  Juan  im  ersten  Act  einen  Denkzettel  gegeben, 
und  der  lediglich  zu  diesem  Zwecke,  als  Zielscheibenmann,  in 
unserer  Komödie  aufgepflanzt  dasteht.  Beiisa  und  Finea 
kämpfen  mit  ihren  Pistolen  aufseiten  Don  Juan's  und  Tello's. 
Der  Zielscheibenmann  nimmt  mit  seinem  Diener  Fabio  vor  den 
Pistolen  reissaus,  und  Beiisa,  die  Bizarra,  sieht  mit  ihrer  Zofe 
Finea  Don  Juan,  nachdem  derSchiessscheibenmann  oder  die  Duell- 
puppe Fersengeld  gegeben,  mit  dem  Bücken  an,  unerkannt,  dank 
Männertracht  und  Mitternacht,  und  ohne  ihn  eines  Wortes  zu 
würdigen.  ^)  Nach  Hause  zurückgekehrt,  findet  B  elisa  den  Conde 
hinter  ihrem  Alcoven.  Dieser  entschuldigt  seine  Verwegenheit 
mit  so  zierlichen,  schmeichelhaften  und  abgegriffenen  Complimen- 
ten^);  der  Schluss  brennt  dem  acto  tercero  so  auf  die  Nägel, 
und  dem  fruchtbarsten  aller  dramatischen  Dichter  fängt  das  Er- 
findungsfässchen  an  so  trübe  zu  laufen,  dass  Beiisa  nichts 
Zweckentsprechenderes  in  ihrer  bizarria  zu  thun  weiss,  als  den 
Eindringling  hinter  dem  Alcoven  gleich  hier  zu  behalten,  an- 
gesichts des  Don  Juan,  der  mit  Tello  an  der  Thür  erscheint 
und  den  Alcoven-Stegreif  mit  so  grossen  Augen  sich  betrachtet  •^), 


1)  Fin.       Que  sc  vayan  noramala. 

(Cierra  la  ventana.) 

2)  Flu.       jTu  a  la  porta  de  Lueinda 

Con  estes  necios  disfraces! 

3)  Tello.   Volvieron  las  espaldas  sin  liablarte, 

Ni  quitar  los  embozos. 

4)  De  noche  entre,  sin  pensar 
Que  tanto  el  sol  se  tardara 
De  amanecer  ä  mis  ojos. 

5)  iCielos! 

El  conde  la  goza. 

18* 


276  I^as  spanische  Drama. 

wie  wir.  Conde  schwört  zum  üeberfluss  sich  rein  von  jedem 
Liebesverdacht  bezüglich  Lucinda's;  macht  seinerseits  grosse  Au- 
gen über  DonJuan's  Gegenwart,  und  schreitet  stolz,  wie  König 
Philipp  den  Spanier  liebt,  und  überschäumend  wie  dieser,  von 
dannen,  als  sollte  die  Komödie  von  neuem  beginnen,  in  welchem 
Vorhaben  sie  ein  langathmiger,  von  vorn  aufgewundener  Eifer- 
suchts-,  ßeinwaschungs-  und  Auseinandersetzungsplan  zwischen 
Don  Juan  und  Beiisa  zu  bestärken,  die  grössten  Anstrengun- 
gen macht,  die  daneben  herlaufende  Parallelscene  zwischen  Tello 
und  Finea  ungerechnet.  Fürwahr,  zuweilen  ist  es,  als  bediene 
sich  Lope,  zur  unerschöpflichen  Urne  seines  Erfindungsstromes, 
des  Danaidenfasses,  in  das  er  den  Lethefluss  übergiesst  und  aus 
dem  er  so  manchen  seiner  dritten  Acte  auf  Scenen  wie  auf  Fla- 
schen füllt.  Nicht  weniger  als  fünf  solcher  Flaschen  füllt  er  aus 
dem  durch's  Danaidenfass  laufenden  Lethewasser,  um  von  Conde 
Enrique  die  Beiisa  sammt  bizarrias  als  Aussteuer,  von 
Don  Juan  die  Lucinda  mit  ihrem  der  Beiisa  entliehenen  Hoch- 
zeitskleide, und  vom  Sapperments- Tello,  aus  blosser  Parallelpa- 
rodien-Marotte, die  Finea  als  Gattin  in  die  Arme  schliessen  zu 
lassen.  Kein  Wunder,  wenn  die  Materien  der  drei  Acte  sich 
gegenseitig  so  rein  vergessen,  wie  die  Seelen,  die  zusammen  aus 
dem  Lethe  den  Trank  der  Selbstvergessenheit  schlürfen: 

—  Animae,  quibus  altera  fato 

Corpora  debentur,  Lethaei  ad  fluminis  undam 

Securos  latices  et  longa  oblivia  potant.  i) 


Las  Paces  de  los  reyes  y  la  Judia  de  Toledo. 
(Der  Frieden  der  Könige  und  die  Jüdin  von  Toledo.) 

Das  dramatische  Grundmotiv  des  Stückes  ist  die  vielbesun- 
gene Liebe  Alfonso's  VIIL  Königs  von  Castilien  und  der  schö- 
nen Jüdin  Rachel,  und  deren  tragisches  Ende.  Die  Jlaupt- 
züge  der  Eegierungsschicksale  dieses  1167  eilfjährig  zur  Regierung 
gelangten  castilischen  Königs  sind  von  unserer  Geschichte  be- 
reits verzeichnet.  2)  Lope's  historisches  Schauspiel  beginnt  mit 
der  Einnahme  der  Veste  Zurita  durch  den  jugendlichen  König, 


1)  Aen.  VI.  V.  800  f.  —  2)  VIIL  S.  460  if.  Mariana  Lib.  XL  C.  5. 


Lope  de  Vegas  Com.  Las  Paces  de  los  Reyes.  277 

das  ihm  der  Verrath  des  Dominguillo  in  die  Hände  gespielt, 
eines  Dieners  von  Lope  de  Arenas,  dem  Parteigänger  des 
Conde  Fernando  de  Castro,  Erziehers  des  Königs,  welcher 
mit  der  Gegenpartei  der  Lara's  das  Reich  in  Zwist  und  Hader 
zerriss.  Lope  de  Arenas'  Diener,  Dominguillo,  lieferte  nicht 
nur  Zurita  verrätherischerweise  aus,  er  mordete  auch  seinen  Herrn 
mit  einem  Jagdspiess  unter  den  Händen  des  Bartscherers.  König 
Alfonso  zahlte  dem  Verräther  das  Blutgeld,  liess  ihm  aber  die 
Augen  ausstechen  und  später  den  Kopf  abschlagen. 

Den  ersten  Act  eröffnet  Don  Estevan  Ulan,  der  vom 
Thurme  der  Kirche  San  Eoman  zu  Toledo  den  eiljährigen  Al- 
fonso zum  Könige  von  Castilien  ausruft,  gegen  de»  wehrhaften 
Einspruch  des  Fern  an  Ruiz  (de  Castro),  und  dessen  Berufung 
auf  San  c  ho 's  HL,  des  Vaters  von  Alfonso,  Testament,  wonach 
die  Städte  und  Schlösser  Castiliens  dem  jungen  Könige  nicht  vor 
seinem  fünfzehnten  Jahr  sollten  übergeben  werden,  i)  Vom  Thurm 
hernieder  wirft  der  eilfjährige  Königsrecke  den  Widersetzlichen 
den  Fehdehandschuh  in's Gesicht:  Heran!  zieht  vom  Leder,  wenn 
Ihr  meint,  dass  ich  nicht  mit  Fug  und  Recht  mich  in  den  Besitz 
des  Meinigen  setze.  ^) 

Die  Scenen  wechseln  zwischen  dem  Schloss  Zurita,  wo  der 
heuchlerische  Dominguillo  seinen  Verrath  in  Monologien  spinnt, 
und  der  Kirche  San  Roman  zu  Toledo,  worin  das  Reiterbild 
des  heiligen  Jago  (Santiago)  den  jungen  König  mit  dem  Ritter- 
schwert zum  Kampfe  gegen  die  Mohren  umgürtet,  den  auch  so- 
fort der  eilfjährige  Kriegsheld,  das  „Eroberer-Kind"  (nino  con- 
quistador)  aufnimmt.  ^)  Hierauf  begiebt  sich  vor  den  Mauern  in 
Zurita  ein  gar  wundersames  Schauspiel.  Um  seinen  Herrn,  den 
Lope  de  Arenas,  der  von  der  Schlosszinne  in's  feindliche  La- 


1)  —  y  que  los  muros 

No  se  daran  al  de  Castilla  eii  tanto 
Que  tenga  los  quince  afios  que  su  padre 
Mando  en  su  testameiito. 

2)  Si  no  estoy  en  lo  que  es  mio, 
Combatidme  — 

Ea,  volved  las  espadas 
Contra  vuestro  rey,  subid. 

3)  Busquemos  a  los  moros. 


278  ^^^  spanische  Drama. 

ger  hinablugt,  zu  täuschen,  bittet  sich  der  Verräther  Domin- 
guillo  vom  Könige  Alfonso  einen  Soldaten  aus,  den  er  mit 
seinem  Schwert  tüchtig  kerbe.  Zu  der  Operation  erbietet  sich 
Soldat  Pero  Diez,  neigt  sein  Haupt  dem  Dominguillo  hin, 
der  ihm  einige  Skalpierhiebe  versetzt,  dann  flugs,  vor  den  erfreu- 
ten Luchsaugen  seines  Herrn  auf  der  Thurm warte,  kehrt  macht 
und  entflieht.  Dem  Soldaten  Pero  Diez,  Diaz,  oder  Euiz  i), 
trägt  die  verabredete  Kopfwunde  ein  Adelswappen  ein  mit  zehn 
Blutstreifen,  die  König  Alfonso  selbst  auf  den  Schild  des  Soldado 
malt,  nachdem  er  seine  zehn  Finger  in  die  Wunde  getaucht,  wie 
es  Scene  XIX  vor  Augen  stellt.  Das  Blut  des  Lope  de  Are- 
nas,  den  eben  im  Seitencabinet  sein  Barbier  bei  der  Nasen- 
spitze fasst;  um  ihm,  behuf  gründlichen  Abhauens,  den  Kopf 
hintüber  zu  stülpen  —  Lope  de  Arenas  von  Dominguillo's 
Speer  abgezapftes  Blut  lässt  zwar  unser  Lope  nicht  vor  unseren 
Augen  fliessen,  den  Speerwurf  aber  zeigt  er  uns  doch.  Domin- 
guillo's meuchelmörderischen  Jagdspiess  sehen  wir  in  die  Cou- 
lissen  fliegen,  gradesweges  dem  Lope  de  Arenas  in  die  Schul- 
tor. '^)  Vorn  das  Barbiermesser  an  der  Kehle,  hinten  in  der  Schul- 
ter den  Spiess  seines  Knechtes  —  originelle  Situation  eines 
mächtigen  Hidalgo  und  Granden  von  Castilien  im  12.  Jahrhundert, 
vorgestellt  im  ersten  Act  eines  dramatischen  Granden  und  seines 
Namensvetters  im  17.  Jahrhundert!  Der  Barbier  schreit  Zeter 
in  der  Nebenstube  ^),  über  den  unbefugten  Eingriff  eines  aus  hei- 
ler Haut  dahergeflogenen  Lanzenschaftes  in  das  zunftmässige 
Hautabschälungs-Geschäft  seines  Rasiermessers.  Der  spanische 
Dichter-Grande  und  Namensvetter  lässt  jetzt  auch  den  vom  Lan- 
zenschaft durchbohrten  halbrasierten  Lope  de  Arenas  auf  die 
Scene  führen,  und  zwar  mit  dem  Lanzenschaft  im  Kücken*),  ob 
auch  mit  dem  Barbiermesser  an  der  Kehle?  —  das  verschweigt 


1)  Mariana  nennt  ihn  Petrus  Ruizins. 

2)  Quiera  el  cielo  que  le  acierte 

Por  la  espalda  al  corazon.    (Tirale,) 


Las  espaldas  le  pase. 

3)  Gente,  Soldados,  Uegad. 

4)  (Soldados,  que  sacan  ä  DonLope,  atravesado  con  un  venablo.) 


Lope  de  Vega  und  sein  Lope  de  Arenas.  279 

die  Theateranweisung.  Lope  de  Vega  lässt  den  Lope  de  Are- 
nas  nach  der  Schaustellung  wieder  in  die  Barbierstube  zurück- 
führen, wo  der  Bartschaber  mit  dem  Einseifungsbecken  zurückge- 
blieben, um  nun  den  Aufgespiessten  zu  Ende  zu  barbiren,  wenn 
nicht  über'n  Löffel,  so  doch  über'n  Spiess.  Währenddessen  lässt 
unser  Lope  weiter  dem  zum  Lanzenwurf  gedungenen  Domin  guillo 
auf  Befehl  des  eilfjährigen  Mohreneinseifers,  König  Alfon- 
so's  VIIL,  die  Augen  ausstechen  i),  desselbigen  Königs  Alfonso, 
der,  wie  uns  schon  bekannt,  die  Mohren  in  der  berühmten  Schlacht, 
gen.  Batalla  de  las  Navas^),  mit  seiner  navaja  (Schermesser), 
seinem  heldenhaften  Königsschwert,  durch  die  Bank  —  wie  der 
„Dorfbarbier  Adam  die  Bauern  über  Ein  Handtuch"  —  so  König 
Alfonso  die  Mohren  über  ein  Schlachtfeldleichen-Laken  barbierte, 
und  auch  die  Mohren,  wie  der  Dorf  barbier  die  Bauern,  mit  blu- 
tigen Köpfen  heimschickte,  und  zugleich,  wie  der  Jägerbursche 
seinen  Herrn,  jeden  der  Mohren  mit  einem  Speer  im  Rücken, 
den  ihnen,  den  Mohren,  König  Alfonso  der  Katholische  erst  drei- 
hundert Jahr  später  auszog,  damit  sie  sich  gemächlich  verbluteten, 
üeber  Dominguillo's  ausgestochene  Augen  lässt  unser  Lope 
schliesslich  den  Vorhang  des  ersten  Acts  als  A^tgendecke  fallen, 
wie  nach  einer  Staaroperation,  die  seinen  Operirten,  den  Domin- 
guillo,  nicht  blos  vom  Staar,  die  ihn  selbst  von  der  Aussicht, 
jemals  am  Staar  zu  leiden,  durch  einen  Stich  in  die  Krystall- 
linse  befreit,  der  zugleich  die  Augen  aussticht. 

Im  Zwischenact  vom  ersten  zum  zweiten  Acte  hat  sich 
König  Alfonso  mit  Dona  Leone r,  Tochter  König  Heinrichs  H. 
von  England,  vermählt,  die  ihm  die  Gascogne  als  Brautschatz 
zubrachte.  Dafür  bringt  er  ihr  die  schöne  Jüdin  Raquel,  sei- 
nen Schatz,  als  Morgengabe  zu,  die  er  am  lendemain  seiner  Ver- 
mählung mit  Königin  Leonor,  in  seinem  Garten  an  den  Ufern 
des  Tajo  erblickt.  Und  wie  erblickt?  Wie  König  David  die 
Bathseba,  wie  König  Rodrigo  die  Cava  —  im  Bade.  ^)  Garcerän 


1)  Saquenle  los  ojos  luego. 

2)  1212.  Vgl.  Gesch.  d.  Dram.  a.  a.  0.  —  3)  Zu  seinem  Vertrauten 
und  Begleiter  Garcerän;  im  Garten: 

^No  ves  en  los  cristales,  vuelta  en  hielo 

Una  ninfa  del  Tajo,  que  porfia 

Hacer  del  agua  ä  todo  el  cuerpo  un  velo? 


280  ^^^  spanische  Drama. 

erinnert  ihn  an  David  und  Bathseba,  deren  Badeteich  dem  Kö- 
nige der  Juden  so  viele  Thränenströme  kostete.  ^)  Ob  er  —  fragt 
der  wohlgemuthe  König  —  ob  Garcerän  denn  nicht  an  dem 
abgelegten  Gewände  die  Jüdin  erkenne?  Was  hätte  er  von 
einer  Jüdin  zu  befahren?  2)  Und  be weist i  dem  besorgten  War- 
ner sogleich  dadurch,  wie  wenig  er  sich  fürchte  vor  dieser  Jüdin, 
dass  er  ihn  fortschickt  und  mit  ihr  allein  bleibt.  Fürserste. 
noch  par  distance,  und  nachdem  er  vom  Gärtner  Belardo  Er- 
kundigungen über  die  jüdische  Tajo-Nymphe  eingezogen^),  und 
hierauf  auch  den  Gärtner  dieser  im  Tajo-Thau  sich  badenden 
Kose  von  Saron  mit  dessen  gleichfalls  wohlmeinendem  Warnungs- 
rathe  fortgeschickt  —  und  nun  auch  dann  erst  mit  der  Nymphe 
furchtlos  allein  bleibt,  als  sein  treuer  Eathgeber  Garcerän  die 
schöne  Wasserblume,  die  Nymphaea  judaica,  aus  dem  Tajo  in  den 
Palast  versetzt  hat,  vom  besorgnissvollen  Warner  plötzlich  in  ei- 
nen Gärtner-Kuppler  umgewandelt,  der  aber  trotzdem,  im  Ein- 
klänge mit  dem  spanisch-dualistischen  Parallelschema,  die  War- 
nungs-EoUe  fortspielt,  den  König  zur  Selbstüberwindung  und  Ver- 
schmähung  einer,  trotz  Bad  und  Waschung,  durch  ihren  infamen 
Glauben  ^)  .schmdteigen  Jüdin,  ermahnend. 

Mit  dieser  Jüdin  trotzalledem  im  Herzen,  betrifft  König  Al- 
fonso  seine  gleichfalls  zärtlich  geliebte  und,  wegen  seiner  Ab- 
wesenheit, besorgnissvolle  Königin-Gemahlin,  DonaLeonor,  beim 
Schreiben  eines  dieser  sehnsüchtigen  Besorgniss  Ausdruck  leihen- 
den Liebes-Briefchens  an  ihn.  Da  knüpft  sich  ein  Situations- 
Echospiel  zwischen  de;ii  unbemerkt  hinter  dem  Schreibstuhl  der 
Königin  monologisirenden  Könige  und  der  Schreiberin  an,  die, 
als  unwissentliches  Echo  der  je  letzten  Worte  des  königlichen 
Fürsichsprechers  mit  seiner  Bathseba,  der  Gold-Nymphe  des  Gold- 


1)  Que  le  costo  despues  fuentes  de  Uanto 

2)  ^No  ves  en  los  vestidos  que  es  hebrea, 
De  que  ilie  pueden  resultar  enojosV 

3)  Sabes  su  estado  y  su  hacienda. 

4)  Key.      Que  hare,  Garcerän? 
Gare.  PeDsar 

Que  es  de  tan  infame  ley 
Y  ganar  tan  grän  vitoria 
Como  el  vencerse  ä  si  mismo. 


Echo-Dialog.  281 

führenden  Tajo  in  geheimster  Herzensfalte  —  ihrer  Feder  laut 
dietirt,  als  kämen  die  Echo- Worte  aus  ihrem  Herzen.  „Sage, 
Liebe,  welches  Ende  erwarten  wir  von  einem  so  thörichten  An- 
fang?'' Sprich,  Seele!  „Thöricht  bin  ich."  So  lispelt  der  König 
für  sich  —  richtiger  im  geheimnissvollen  Zwiegeflüster  mit  sei- 
ner „Seele";  —  näher:  mit  seiner  Seele  Seele,  der  Nymphaea 
judaica,  —  noch  näher:  mit  deren  würzigen  Busendüften  seine 
Seufzerbedenken  mischend  —  und  den  Echohauch  dieses  heim- 
lich-eheflüchtigen Aether-Monodialogs  soufflirt  die  Königin  sich 
selbst  in  die  Feder.  ^)  Im  nächsten  Augenblick  springt  aber  schon 
das  dualistisch -parallele  Situations-Echospiel  um:  Der  belau- 
schende König  schlägt  in  das  Echo  seines  von  der  Königin  ihrer 
Feder  soufflirten  Echos  über,  und  hallt  nun  der  Königin  eigene, 
sich  vordictirte  Worte  wieder,  mit  gleichzeitigem  üebersprüng 
ihrer  Besorgniss  in  die  Besorgniss  um  sich  selbst,  beziehentlich 
auf  die  während  des  Schreibens  verlautbarten,  wegen  seiner  Lie- 
bestreue gehegten  Befürchtungen  der  Königin.  Königin  (schrei- 
bend): „Ich  habe  Dich  seit  gestern  nicht  gesehen."  König  (für 
sich):  „Mit  mir  scheint  sie  zu  sprechen.  'Gewiss  sind  es  Einge- 
bungen, die  meine  Abwesenheit  betreffen."  —  Königin  (schrei- 
bend): „Ich  ängstige  mich  zu  Tode"  ...  König  (für  sich): 
„Wollte  sie  doch  das  Leid,  das  sie  quält,  näher  angeben!"  — 
Königin  (schreibend):  „Mein  Leid  ist  Eifersucht!"  —  König 
(für  sich):  „Ach  weh!  Sollte  sie  wohl  gar  Spione  angestellt  ha- 
ben, und  wissen,  was  vorgefallen?    Was  wird  sie  beginnen?"^) 


1)  ßey  (para  se). 

Di,  amor,  ^Q,\xe  fin  esperamos 
Con  un  principio  tan  loco? 
Decid,  alma,  „Loca  estoy^'. 
Eeina  (escribiendo). 

Loca  estoy  .  .  . 

2)  Reina  (escribiendo). 

No  te  he  visto  desde  ayer.  * 
Key  (Ap.). 

Conmigo  debe  de  hablar. 

Sin  duda  que  son  consuelos 

De  mi  ausencia. 
Reina  (escribiendo). 

Estoy  mortal  .  .  . 


282  l^as  spanische  Drama. 

Endlich  bricht  der  König  das  doppelt  monologisch-dialogische 
Echospiel  ab  und  führt  es  in  ein  regelrecht  zwiegesprächliches 
mit  der  Königin  über,  aufs  zärtlichste  versichernd,  dass  er  selbst 
abwesend  stets  bei  ihr  sey,  so  wie  er  im  Augenblick  war,  und 
so  auch  stets  mit  ihr  verkehre  in  treuester  Herzensgemeinschaft, 
abwesend  und  gegenwärtig  zugleich.  Diese  Scene  ist  eines  der 
sprechendsten  Beispiele  von  feiner,  sinnreicher  Situationserfindung 
im  spanischen  Drama,  und  ein  noch  schlagenderes  Beispiel  von 
dualistisch-paralleler  Doppelspiegelung  ihres  krystallartig  in  Fa- 
cetten geschliffenen  Geistes.  Der  König  liest  nun  das  an  ihn 
gerichtete,  von  der  innigsten  öattenliebe  eingegebene  Billet  der 
Königin,  und  erwidert  ihre  zärtlichen  Busenergüsse  mit  der  Ver- 
sicherung: Sie  sey  „der  Hauch,  den  er  athme  und  durch  den 
er  lebe"  ^)  —  von  dem  Hauche  nämlich  der  Busen-Nymphaea,  dem 
Hauche  sub  rosa  der  Eose  von  Saron,  —  abgesehen!  Immer 
Quitte  et  double!  Ein  Spiel,  das  uns  auch  der  schönen  Eaquel 
nächste  in  ihrem  Bruder  Levi  und  ihrem  Vater  David  vertre- 
tene 'Mischpoche',  zu  deutsch  Familie,  vorspielt:  Bruder  Levi, 
indem  er  sich  und  der  Familie  zu  Schwester  EaqueTs  Esther- 
Nachfolge  Glück  wünscht;  Vater  David,  der  des  Schlimmsten 
siph  von  dieser  Konigs-Kebsung  seiner  Tochter  besorgt:  Eaquel- 
chen- Esther  könnte  von  Königin  Leonor-Waschti  mit  einem 
Schwert  entkebset  werden 2),  Gott  der  Gerechte!  —  Quitte  et 
double  spielt  ferner,  nach  Schluss  des  Actes,  nochmals  König 
Alfonso  zuförderst  in  einem    monologischen  Dialog   mit  den 


Key  (Ap.). 

Oh,  si  declarase  el  mal 

Que  tiene? 
Reina  (escribiendo). 

Mi  mal  es  celos. 
Key  (Ap.). 

Ay*de  mi!   Si  ha  puesto  espias 

Y  sabe  lo  que  ha  pasado? 

^Que  harä? 

1)  Que  sois  este  mismo  aliento 
Con  que  respiro. 

2)  Para  matar  ä  Raquel 
Buscarä  espada  Leonor. 


Schlag-  und  Doppelschatten.  283 

Über  ihm  grollenden  Ungewitter- Wolken  i),  deren  Donner- Wetters- 
Jupiter  tonans  er  doch  selber  auf  dem  Gange  zu  seiner  im  Gar- 
tenpalast von  Garcerän  untergebrachten  jüdischen  Semele  ist, 
und  nebenbei  auch  der  Jupiter  ist,  der  als  Tajo-Goldregen  2)  sich 
in  den  Danae-Schooss  der  schönen  Jüdin  zu  ergiessen,  auf  dem 
Sprunge  steht.  Und  spielt  gleich  Quitte  et  double  in  einer  dia- 
logisch-monologischen Scene  mit  einer  blossen  Stimme,  die, 
als  „una  Voz"  bezeichnet,  von  „drinnen"  (dentro)  schallt,  ihn 
mit  dem  Beispiel  der  Cava  schreckend  in  einer  gesungenen  Ro- 
manze. ^)  Und  zum  dritten  Quitte  et  double  mit  dem  ihm  dicht 
vor  dem  Eingang  in  den  Gartenpalast  erscheinenden  Schatten 
der  Stimme  spielt,  welcher  Schatten  ihm  zweimal  hintereinander 
erscheint  und  zweimal  verschwindet,  als  stummer  Warner,  Stimme 
und  Schattenkörper  also  dualistisch-parallel  von  einander  getrennt 
und  doch,  vermöge  des  unmittelbar  hintereinander,  auch  neben- 
einander, und  infolge  dessen,  den  König  in  einen  durchgängi- 
gen, den  scheinbaren  Dialog  als  seinen  Schatten  werfenden  Mo- 
nolog hineinängstigend.  Zum  viertenmal  endlich  in  der  Schluss- 
scene  des  Actes  Quitte  et  double!  mit  dem  herbeieilenden  Gar- 
cerän, der  Doppel-Person  aus  Jonathan  und  Ahitophel,  die  der 
erschrockene  König  im  ersten  Anprall  für  einen  zweiten  Schat- 
ten hält  4),  den  zweiten  zu  dem  verschwundenen' Schatten,  den 
er  aber  doch  wieder  vor  der  Palastthür  erblickt,  ihm  den  Ein- 
gang wehrend,  wie  der  König  gegen  den  eben  nur  als  Schatten 
von  ihm  angesprochenen  Garcerän  bemerkt.  ^)  Ein  zwielichtiger 
Doppelschatten  also,  der  sich   am  äussersten  Act-Bnde  wirklich 


1)  Hablan  los  nubes  tronando 

Y  rasgandos  los  cielos. 

2)  Brama  el  Tajo  por  salir 
A  templar  aqueste  ardor. 

3)  Rey  Alfonso,  rey  Alfonso, 

No  digas  qua  no  te  aviso  .  .  . 
und  schliesst: 

Advierte  que  por  la  Cava 
A  Espana  perdiö  Rodrigo. 

4)  iOtra  sombra  tenemos! 

5)  Rey.   No  piiedo  entrar;  que  porfio, 

Y  veo  una  sombra  delante. 


284  ^^^  spanische  Drama. 

und  leibhaft  zum  Garcerän  Manrique  verkörpert,  als  welcher 
mit  gezogenem  Schwerte  unter  den  eindringlichsten  Warnungen 
und  Abmahnungen  dem  Könige  voranschreitet  in  den  Palast, 
durch  Schatten  und  Gespenster  mitten  hindurch  den  Weg  zur 
schönen  Kaquel  bahnend^),  als  Abschrecker  und  Führer  zu- 
gleich; ein  Lockvogel  mit  Unheil  verkündendem  Rabengekrächze;  — 
jener  Teufelsbanner,  der  den  Bösen  austrieb  mit  dessen  Schweif 
als  Weihwedel  in  der  Hand. 

Das  Quitte  et  double  auf  der  äussersten  Kante  höchstem 
Schwindelpunkt  hat  sich  der  dritte  Act  vorbehalten.  Zu  aller- 
nächst für  denselbigen  Garcerän,  welcher  seine  Schuld  an  des 
Königs  alttestamentlicher  Liebschaft  vor  den  von  Königin  Leo- 
nor  zusammenberufenen  Keichsgrossen  abschwört,  denen  sie,  mit 
ihrem  Söhnlein,  Enrique,  an  der  Hand,  ihr  Geschick  klagt  und 
ihren  Entschluss  verkündet,  nach  England  zu  ihrem  Bruder  Ri- 
cardo (Richard  Löwenherz),  der  ihre  Sache  verfechten  werde;,  zu- 
rückkehren zu  wollen,  wenn  sie  die  Verrätherin  (die  Raquel) 
nicht  tödten  '^),  die  den  König,  ihren  Abgott,  wie  ihre  Altermut- 
ter, die  biblische  Patriarchin  Rachel  ihre  Hausgötzen,  buch- 
stäblich in  Besitz  genommen,  um  ihn  den  Blicken  zu  entziehen. 
In  Einem  Athem  bekennt  der  Schuldabschwörer  Garcerän,  dass 
ihn  der  König  zum  treuen  Hüter  der  schönen  Jüdin  bestellt,  und 
sagt  ihr  seine  dienstfreundliche  Mithülfe  beim  Ermorden  der- 
selben zu.  ^) 

Bleibt  Garcerän  etwa  jetzt  bei  der  Stange?  Ei  ja  doch!  Er 
spielt,  während  die  übrigen  Verschworenen  die  Raquel  und  deren 
Schwester  S  i  b  i  1 1  a  metzeln,  sein  Quitte  et  double  bei  König  A 1  f  o  n  s  o, 
als  treuer  Rathgeber  und  gewissenhafter  Warner  fort,  und  begleitet 


1)  Gare.  Pues  meto  mano  ä  la  espada 

Y  entro  adelante,  atrevido. 
Eey.     Yo  te  sigo,  Garcerän. 

2)  0  matadme  esa  traidora 
0  el  (Enrique)  y  yo  — 
A  Ingalaterra  nos  vamos. 
Donde  la  casa  piadosa 
De  Kicardo  nos  snstente. 

3)  Justisima  es  la  hazana  que  se  inteiita 
Digo  que  por  mi  parte  me  apercibo. 


König  Alfonso  und  die  Jüdin  Eaquel.  285 

den  erzürnten,  ob  des  Strafsermons  der  Königin  Leonor  und 
seines  siebenjährigen  Prinzen  Enrique  entrüsteten  König  mit 
dem  Ausruf  nach  lUescas:  „Kann  eine  Verirrung  Dich  so  ver- 
blenden." ^)  Und  fortstürmt  der  von  Gram  und  Liebe  verblen- 
dete König  in  seinen  Achilles-Schmollwinkel  nach  Illescas,  un- 
gerührt von  Königin  Leonor's  friedseligen,  den  Titel  der  Ko- 
mödie las  paces  de  los  ßeyes'  ihm  flehentlich  an's  Herz  legen- 
den Besänftigungsworten  2),  und  nur  erfüllt  von  düstergrimmen 
Zorngedanken  ob  der  verrätherischen  Ermordung  seiner  herzge- 
liebten Jüdin,  mit  welcher  er  eben  nur  am  Badeteiche  des  Gar- 
tenpalastes Galiana  so  paradisisch  traulich  geangelt  hatte,  so  lei- 
denschaftlich verliebt  noch  immer  nach  vielen  Jahren,  dass  die 
schöne  Anglerin  sich  selber  darüber  wunderte.  ^)  „Meine  Liebe"  — 
so  hatte  der  königliche  Angler  eben  nur  geglüht!  —  „Meine  Liebe 
grünt  frischer  denn  je.  Mein  Verlangen  nach  Dir  ist  stärker, 
als  damals,  wo  zum  erstenmal  es  mich  ergriff.  Du  bist  meine 
Herrin,  meine  Königin,  meine  Göttin,  für  die  ich  lebe.  Du  mein 
einzig  Gut.  Du  beherrschest  meine  Seele,  unumschränkter,  als 
ich  mein  Reich,  denn  regiere  ich  in  Castilien,  so  übst  Du  immer 
die  höchste  Macht  aus  und  hast  meine  Seele  gewaltig  inne.""^) 
Fort  nach  Illescas  auf  den  vom  Blut  der  Geliebten  triefenden 
Sturmesflügeln  racheentbrannter  Liebeswuth,  in  Gemeinschaft  mit 
seinem  Jonathan- Ahitophel,  seinem  Mardachai-Haman ,  Manri- 
que  Garcerän.  ^)    Welche  Liebesinbrunst  athmet  der  ruhelose 


1)  iQue  tanto  un  error  te  ciegue! 

2)  Que  bien  puedes  hacer  paces. 

3)  Eaquel.     Tras  tantos  anos  de  ärnor, 

<jDecis  Lisonjas  agorä? 

4)  Key.  Mas  nuevo  es  hoy  mi  desco 

Que  cuando  le  puse  en  vos. 
Sois  mi  sefiora  y  mi  reina, 
Sois  mi  diosa,  sois  por  quien 
Vivo,  sois  todo  mi  bien; 
Sois  quien  en  mi  alma  reina. 
Mayor,  Sefiora,  sois  vos, 
Que  si  yo  reino  en  Castilla, 
Vos  en  mi. 

5)  Vamos  ä  Illescas  los  dos. 


286  -l-^as  spanische  Drama. 

König  im  Gasthof  von  Illescas!  ^  Wie  schmachtet  und  ringt 
sein  Herz  nach  der^  grausam  Ermordeten!  Wie  beschwört  er 
ihren  blutigen  Schatten,  zu  verziehen,  dass  er  bald  folgen  könne, 
und  sich  ihr  zugesellen!  Wie  ächzt  und  weint  er  vor  dem  herz- 
zerreissenden  Bilde  der  jammervoll,  wie  Cäsar  von  so  vielen  Ver- 
schwörerdolchen, durchbohrten  Königin  seines  Herzens!  und  welche 
schaudervolle  Rache  schwört  er  an  den  meuchelmörderischen 
Kronvasallen  zu  nehmen! 2)  Wie  lechzt  seine  Seele  nach  dem 
Glück  eines  trostvollen  Wahnsinns!^)  Und  wie  bewundernswür- 
dig ist  das  dramatische  Dichtergenie,  das  dem  tauben  Gestein 
einer  widerspruchsvollen  Motivirung  solche  Funken  hinreissender 
Affecte,  solche  Blitze  einschlagender  Wirkungen  entlockt!  Und 
welchen  Zauberschleier  wirft  es  über  des  Königs  Verirrungen, 
und  wie  adelt  ihm  die  himmlische  Macht  der  Liebe  selbst  den 
Gegenstand  dieser  Verirrungen,  die  zum  verhassten,  für  den 
Spanier  greuelvollen  Judenthum  sich  bekennende  Raquel,  die  nur 
ein  einziges  Mal  als  Anhängerin  des  „infamen  Gesetzes"  gebrand- 
malt wird  —  von  wem?  Von  dem  Doppelmantelträger  auf  bei- 
den Schultern:  Garcerän  Manrique!  Man  möchte  schier  unsern 
Lope  für  den  einzigen  spanisch-dramatischen  Poeten  der  H.  Offiz 
halteuj^  in  dessen  Sympathien  das  Liebesfeuer  das  der  Inquisition 
und  ihres  Ketzerfanatismus  doch  vielleicht  überglühte,  und  es  wohl 
gar,  als  das  stärkere,  hätte  auslöschen  können  —  sey's  auch  mit 
einem  übernatürlichen  Löschhorn,  wie  in  dem  Versöhnungsschluss 
seiner  Judia- Komödie,  wo  dieses  theologische  Löschhorn  von 
König  Alfonso's  Eachegluth  ein  Engel  ist,  der  ihm  unter  himm- 
lischen Musikklängen  die  heftigen  Frevelworte   verweist'*),    zur 


1)  Posada  del  Rey  en  lUescas. 

2)  Raquel  hermosa,  mäs  que  el  cielo  clara, 
Yo  morire  muy  presto:  agtiarda,  espera. 
Parece  que  me  escucha  y  que  se  pära. 
Ya  pensaräs  que  de  tu  muerte  fiera 

No  he  de  tomar  vengauza.  Espera  un  poco. 
Que  no  ha  de  quedar  hombre  que  no  muera  .  . 

3)  Dichoso  yo,  si  me  volviese  loco! 

4)  Alfonso.  muy  ofendido 

Estä  Dios  de  tu  palabras  ,  .  . 
Vuelve  en  ti.  — 


Versöhnungs-Frieden  des  Königspaars.  287 

Sühne,  zur  Aussöhnung  mit  der  Königin  umstimmt  und  den 
„Hausfrieden  des  Königspaars"  (Las  paces  de  los  Keyes)  mit  En- 
gelzungen predigt.  Dem  herbeieilenden,  ihn  gleichfalls  mit  einer 
Engelzunge,  als  mit  der  doppelten  des  bösen  Engels  als  Paradie- 
sesschlange, in  Einem  Athera  zur  Sühne  und  zur  Sünde  schmei- 
chelnden Garcerän  bekennt  sich  der  König  als  einen  vom 
Pferde  Gestürzten,  aus  einem  Saulus  zum  Paulus  Bekehrten.^) 
In  der  Barmherzigkeits-Kirche  zu  Illescas^),  bei  Toledo,  vollzieht 
sich  nun  vor  dem  Heiligenbilde  der  barmherzigen  Gottesmutter 
der  feierliche  Aussöhnungsact  zwischen  dem  Königspaar  (Las  paces 
de  los  ßeyes).  Hier  finden  wir  schon  Königin  Leonor  vor  dem 
wunderthätigen  Bilde  knieen  ehefriedensbrünstig.  Hier  sehen  wir 
nun  auch  den  König  Alfonso  in  Begleitung  seines  doppelgän- 
gigen An-  und  Abmahners,  Garcerän,  vor  das  Muttergottes- 
bild hinknieen,  und  hier  vor  demselben  die  Parallelscene  zum 
obigen  Echo-Monodialog  mit  der  im  Lampenhalbdunkel  von  ihm 
nicht  erkannten  Königin  Leonor  spielen,  indem  letztere  des 
Königs  an  das  Heiligenbild  gerichtetes  Gebet  mit  ihrem  Gebet  an 
dasselbe  kreuzt.  Garcerän  hat  schon  die  Doppelzunge  zum  Bie- 
nensaugstachel  ineins  gewickelt  und  schlürft  heiligen  Jungfern- 
honig aus  des  Königs  fromm-  und  friedselig  gestimmtem  Her- 
zen und  träufelt  ihn  dann  wieder  vom  entgegengesetzten  Stachel 
als  puren  Himmelsblumen-Nektar  abwechselnd  in  des  Königs  und 
der  Königin  Inbrunst:  König:  „Es  ist  dunkel,  ich  will  laut 
zum  Himmel  schreien!"  Garcerän:  „Schweigsam  vernimm 
Gottes  Stimme."  —  König:  „Ich  weiss  es,  Freund!"  Garce- 
rän: „Bitte  um  Schuldvergebung!"  König  (knieend):  „Diese 
erwarte  ich."  (Betend):  „Heilige  Jungfrau"  ...  Königin  (be- 
tend): „Du  weisst"  ...  König  (betend):  „Meine  Schuld"  . .  . 
Königin:  „Dass  Du  mein  Schutz  bist"  ...  König:  „Ver- 
gieb  sie"  .  .  .  Königin:  „Und  da  es  so  ist"  .  .  .  König: 
„Leite  mich"  ...  Königin:  „Vergieb  meinem  geliebten  Al- 
fonso" ...  König:  „Deine  Liebeshuld"  ...  Königin:  „Seine 
Schuld"  ...    König:    „Himmlischer  Stern  du"  ...    Königin: 


1)  Haz  cuenta  que  ä  Pablo  ves 
Derribado  del  caballo. 

2)  Iglesia  de  la  Oaridad  en  Illescas. 


288  Das  spanische  Drama. 

„Erwäge  in  Gnaden"  ...  König:  „Leite  mich"  ...  Köni- 
gin: „Dass  seine  Liebe"  .  .  ♦  König:  „Zu  meiner  Leonore." 
Königin:  „Ihn  irre  geführt."  König:  „Garcerän!"  Garce- 
rän:  „Was  befiehlt  mein  Herr?"  König:  „Gehe  hin  zu  Je- 
ner, die  dort  voran  kniet,  und  sag'  ihr,  sie  möchte  etwas  leiser 
beten,  denn  ihre  Klagelaute  stören  mich."  Garcerän,  die 
Schlange  Amphisbäna  mit  zwei  Köpfen,  als  Busenschlange 
in  zwei  Busen,  ringelt  nun  zu  der  betenden,  im  Zwielicht  auch 
von  ihm  nicht  erkannten  Königin,  und  zischelt  ihr  die  Bestellung 
in's  Ohr.  Die  Königin  lässt  den  kommenden  Caballero,  den  sie 
gleichfalls  nicht  erkennt,  zurückbestellen,  sie  bete  um  einen  ver- 
lornen Gatten,  den  selbst  Alfonso  der  Achte  an  Macht  und 
Würde  nicht  übertreffe.  Amphisbäna-Garcerän  krümmt  sich  nun 
als  Ohrwurm  wieder  zu  seines  Königs  Ohr  zurück.  Die  Königin 
flüstert  ihrem  neben  ihr  knieenden  Prinzchen  Enrique  zu:  Ob 
das  nicht  Garcerän  gewesen,  dessen  zweiten  Kopf  am  Schweif- 
ende sie  bemerkt  haben  mochte.  Auf  der  Königin  Wink 
tuschelt  ihre  Palastdame  Clara  dem  Garcerän  in's  Ohr  des 
hintern  Kopfes:  Die  Betende  sey  die  Königin.  Garcerän,  mit 
der  vordem  Gabelzunge  die  Meldung  dem  Könige  in's  Ohr.  und 
so  eine  Weile  hin  und  her  sich  ringelnd  die  Parallelgliederkette 
eines  vierfachen  Ohrenzwiegesprächs,  bis  König  und  Königin, 
einander  entgegenrutschend  auf  den  Knieen,  sich  in  den  Armen 
liegen  und  vor  der  heiligen  Jungfrau  ihr  ehelich  ewiges  Frie- 
densbündniss  geloben  und  schliessen.  ^) 


1)        Key.      Oscuro  estä  — 

Quiero  dar  gritos. 
Gare.  Callando 

Oye  Dios. 
Key.  Ya  lo  se  amigo. 

Gare.     Pide  perdon. 
Rey  (de  rodillos). 

Ese  aguardo. 

Virgen  .  .  . 
Reiiia.  Muy  bien  sabeis  vos  .  . 

Rey.       Mi  culpa  .  .  . 
Reina.  Que  sois  mi  amparo 

Rey.       Perdonalda. 
Reina.  Y  siendo  ansi. 


Lopc's  Com.  *La  Moza  de  Oantaro'.  289 

Mögen  sich  Andere  an  diesen  sinnreichen,  neuen,  überra- 
schenden Situations-  und  Dialogs -Stickmustern  in  Kreuzstichen 
ergötzen  —  unser  Herz  ergötzt  daran  zumeist  das  neue,  alle 
bisherigen  Belege  verdunkelnde  Prachtmuster  von  spanischem 
Parallelschema.  Wen  aber  auch  dieses  Pröbchen  noch  immer 
nicht  von  dem  Anschauungsgrundbilde  der  spanischen  Gehirne 
überzeugt,  dessen  pia  mater  ist  noch  schiefer  gewickelt  und  ver- 
dient als  Naturspiel  in  Spiritus  aufgehängt  zu  werden  an  Mal- 
volio's  über's  Kreuz  gebundenen  Kniegürteln. 

La  moza  de  Cantaro. 

Wörtlich  übersetzt:  „Das  Mädchen  vom  Krug",  womit  der 
Spanier  ein  Haus-  und  Dienstmädchen  bezeichnet,  das  der  Ber- 


Rey. 

Vnestro  amor  .  .  . 

Reiiia. 

Mi  Alfonso  amado. 

Key. 

Me  g'uie. 

Reina. 

Tenga  perdon. 

Key. 

Pucs  sois  estreUa  .  .  . 

Reina. 

Miraldo  .  -  . 

Rey. 

A  mi  Leonor  .  .  . 

Reina. 

Que  sn  amor  .  .  . 

Rey. 

Me  Uevad. 

Reina. 

Le  trae  turbado. 

Rey. 

jGarcerän! 

Gare. 

Seiior,  ^Que  tienes? 

Rey. 

Llega  a  quien  estä  rezando 

Aqui  delante,  y  diräs 

Que  rece  un  poco  mas  bajo; 

Que  me  divierten  sus  quejas. 

Gare. 

(ä  la  Reina). 

Cierto  hidalgo  apasionado 

Suplica  ä  vuestra  merced, 

No  que  suspenda  su  Uanto  .  .  . 

ixias  que  un  poco 

Baje  la  voz  .  .  . 

Reina. 

,  Decid,  Senor,  a  ese  hidalgo 

Que  yo  he  perdido  un  mando 

Tal,  que  aunque  entre  Alfonso  Octavo 

No  es  mejor  .  .  . 

X.  19 


290  ^^^  spanische  Drama. 

liner  „Mädchen  für  Alles"  nennt.  Lope's  „Mädchen  für  Alles" 
ist  Alles,  nur  kein  solches  Mädchen.  In  seiner  Moza  de  Cantaro 
steckt  nämlich  eine  Verwandte  des  herzoglichen  Hauses  der  Me- 
dina-Sidonia  1) ,  und  ausserdem  ein  Cid  im  Unterrock.  Dona 
Maria  rächt  die  ihrem  Vater,  DonBernardo,  gegebene 
Ohrfeige  an  deren  Austheiler,  Don  Diego,  mit  einem  Dolch- 
stosse,  der  ihn  als  todt  niederstreckt.  Sie  rettet  sich  vor  ge- 
richtlicher Verfolgung  durch  die  Flucht,  tritt  bei  einem  namen- 
losen Amerikaner  als  moza  de  Cantaro  in  Dienst,  und  geht 
so  lange  mit  dem  Kruge  zum  Brunnen,  bis  ihr  in  der  ersten 
Scene  gefasster  Vorsatz:  keinen  Mann  zu  lieben  und  zu  hei- 
rathen'-),  in  Scherben  bricht,  und  der  junge  Caballero,  Don 
Juan,  die  herzogliche  moza  als  seine  Gattin,  vom  Brunnen  weg, 
heimführt.  Das  Alles  ereignet  sich  an  verschiedenen  Orten: 
zu  Konda  in  Andalusien;  in  einer  Schenke  des  Städtchens  Ada- 
muz  und  schliesslich  zu  Madrid.  Die  Stadt  Konda  ist  durch 
ihre  Schmuggler  und  deren  Geschäftsfreunde,  die  Gebirgsräuber, 
berühmt.  Dort  werden  die  Don  Diego-Ohrfeigen  in  des  Cid  Con- 
trebande-Kisten  eingeschmuggelt  und  finden  reissenden  Absatz; 
nicht  minder  die  Dolchstiche,  besonders  auf  der  am  20.  Mai  ab- 
gehaltenen Jahresmesse.  Lope's  andalusische  Cid-moza  aus  Ronda 
schlägt  beide  Klingen  handfertig  und  geläufig,  wie  andere  Mozas 
ihre  Castagnetten;  beide:  Ohrfeigen  und  Dolchstösse.  Das  Mäd- 
chen für  Alles  theilt  am  Brunnen  den  kecken  Burschen  mit  der 
linken  Hand  Maulschellen  aus  und  mit  der  rechten  Messerstiche. 
Offenbar  hat  Lope  in  dieser  Comedia  ein  landschaftliches  Sitten- 
und  Costümbild  beabsichtigt,  durch  welches  sich  die  stereotypen 
Motive  der  spanischen  Liebeskomödie  anmuthig  winden  und  flech- 
ten sollten.    Das  Hauptlicht  fällt  auf  das  Pittoreske.    Unter  den 


1)  Doiia  Maria. 

Tengo  deudo,  como  sahes, 
Con  el  duque  de  Medina.  1,1. 

2)  Yo  no  tengo  de  querer 
Hombre  humano  .  .  . 
No  me  puedo  sugetar, 
Si  es  sugetarse  el  casar 


No  he  de  casarme. 


Freier-Liste.  291 

musikalischen  Instrumenten,  die  den  landschaftlichen,  am  blumigen 
Ufer  des  Manzanares  getanzten  Reigen  aufspielen,  vermischen  sich 
mit  den  Klängen  der  Trommelschellen  auch  die  der  Maulschel- 
len, und  mit  denen  der  Bockspfeifen  auch  die  der  Backpfeifen. 

Wie   in   Shakspeare's  „Kaufmann  von  Venedig"  Tl.  2.)  das 
Kammermädchen   Nerissa   eine   Liste  von  Werbern  ihrer  Herrin 
Porcia  in  Parademarsch  vorführt,  die  sämmtlich  von  der  schönen 
und  geistreichen  Dame  von  Belmont  mit  den  witzigsten  Pointen 
über  jedes  Einzelnen  Charakter  und  Lächerlichkeiten  in  den  Korb 
geworfen  werden:  in  ganz  ähnlicher  Weise  zerreisst  Dona  Maria, 
wenn  gerade  nicht,  wie  Porcia,  die  Persönlichkeiten,  so  doch  die 
abgeschmackten,  von  ihrer  Dienerin  Luisa,  vorgelesenen  Liebes- 
briefchen ihrer  Freier  (1.  1).    Einen  von  Dofia  Maria's  eifrigsten 
Bewerbern,  Don  Diego,  trifft  dasselbe  Geschick,   trotz  seiner 
kostbaren  Geschenke,  bleibt  er  in  ihren  Augen  als  Ehebettgenosse 
ein  Nachtspuk ,  ein  Nachtalp.  ^)    Während  dieses  Gesprächs  hat 
sich  Don  Diego's  auch  von  Dona  Maria's  grausamem  Vater,  Don 
Bernardo,  ausgeschlagene  Hand  in  eine  ausschlagende  umgekehrt, 
deren  noch  frische  Spuren  Don  Bernardo  mit  seinem  thränen- 
durchnässten  Schnupftuch  bäht  und  brühwarm  seiner  Tochter  wei- 
nend zuträgt.^)    In  der  zweitnächsten  Scene  steht  schon  Dona 
Maria  vor  dem,   wegen  der  Ohrfeige  verhafteten  Don  Diego, 
entschleiert  sich,   und  ermuthigt  ihn  durch  verstellte  Zärtlichkei- 
ten und  Versöhnungsvorschläge  so  täuschend,  dass  er  den  Liebes- 
bund mit  einer  Umarmung  besiegeln  zu  dürfen  bittet.    Darauf 
wartet   nur  die  eiserne  Jungfrau   mit  dem   Schwerter-Arme  — 
Klapp!  hat  er  ihren  Dolch  im  Leibe  sitzen.    Don  Diego  stürzt 
nieder.    Dona  Maria  ruft  dem  Hingestreckten  zu:    „Solche  Tha- 
ten  verüben  mannhafte   Frauen!"^)   und  enteilt.     Don  Diego 
stirbt  vorläufig  in  den  Armen  seines  Freundes  Fulgencio,  reu- 
müthig  ob  des  Handschlags,  womit  er  sich  dem  Vater  der  Dona 
Maria  als  Schwiegersohn  zu  verpflichten  und  zu  geloben  dachte. 
So  rasch  wie  dieser,  versetzt  uns  die  Scene  auf  eine  Strasse 




1) 

jde  noche  Visiones! 

2) 

salid,  lagrimas,  salid. 

3) 

Pues  estas  hazaiias  hacen 

Las  inujeres  varoniles. 

19=* 


292  I^^s  spanische  Drama. 

in  Madrid,  wo  El  Conde,  schlechtweg  „der  Graf",  seinen  Freund, 
Don  Juan,  von  seiner  Liebeswerbung  bei  einer  reichen,  jungen, 
schönen  Wittwe,  Dona  Ana,  unterhält,  behufs  deren  Gewinnung 
für  seinen  Herrn  sich  des  Conde  Lakai,  Martin,  hinter  die  Zofe 
der  reichen,  schönen,  aber  schwer  zugänglichen  Wittwe  steckt. 
Dank  der  Zofe,  befindet  sich  Conde  mit  Don  Juan  schon  in  der 
folgenden  Scene  im  Empfangzimmer  der  unnahbaren  jungen 
Wittwe,  die  endlich  zum  Vorschein  kommt,  und  in  tiefer  Trauer. 
Conde  insinuirt  sich  mit  einem  Schreckschuss.  Er  fabelt  der 
schönen  Wittwe  eine  Spielschuld  von  6000  Ducaten  vor,  die  er 
bei  ihrem  Seligen  noch  gut  habe,  was  ihm  die  beiden  Begleiter, 
Martin  und  Don  Juan,  auch  sofort  bezeugen.  Die  Erklärung 
auf  den  Schreckschuss,  dass  er  der  Wittwe  seines  Schuldners  nicht 
blos  seine  Forderung,  sondern  sich  selbst  mit  all  seinem  Hab  und 
Gut  zu  Füssen  lege,  gewinnt  ihm  zunächst  die  Erlaubniss,  sie 
wieder  besuchen  zu  dürfen.  Conde  entfernt  sich.  Don  Juan 
will  ihm  folgen.  Doiia  Ana,  die  schöne  Wittwe,  hält  ihn  zu- 
rück, um  ihm  unter  vier  Augen  eine  aus  der  Pistole  geschossene 
Liebeserklärung  zu  machen,  i)  Für  Don  Juan:  ein  Rückprall  von 
des  Conde  Schreckschuss  auf  ihn.  Er  schützt  seine  Freundschaft 
fü  den  Conde  vor.  Alles  vergebens.  Eine  junge,  reiche  Madri- 
der Wittwe,  die  aus  dem  Stegreif  Feuer  gefangen,  ist  ein  an- 
ticipirter,  sechsläufiger  Revolver,  eine  sechzehnröhrige  Mitrailleuse. 
Don  Juan  entfernt  sich,  mit  so  viel  Schusslöchern  im  Leibe,  als 
deren  die  Zielpuppe  im  Schiesshaus  aufweist.  Die  Freischützin 
knallt  ihm  noch  in  den  Rücken  nach:  Nur  mit  ihm,  mit  Don 
Juan  zusammen,  dürfe  Conde  sich  vor  ihr  sehen  lassen.  2) 

Im  Wirthshause  des  Städtchens  Adamuz^)  tritt  Dona 
Maria  auf,  in  Reisehut,  Mantel  und  die  Büchse  —  nicht  etwa 
Schmuck  oder  sonstige  Toilettenbüchse,  sondern  Musketenbüchse 
—  in  der  Hand;   eine  Judith,   mit  welcher   sie   sich  in  ihrem 


1)  Quando  el  Conde  mi  mirö 
Me  dio  ocasion  de  quer  er  os. 

2)  No  sin  vos,  y  con  vos  si. 

3)  Grenzort  zwischen  Andalusien  und  der  Sierra  Morena,  von  dem 
das  Sprichwort  geht:  „Adamuz  pueblo  sin  luz*':  „Adamuz,  Dorf  ohne 
Licht." 


Verwaiste  Wittwen-Liebe.  293 

Selbstgespräch  vergleicht,  für  jedweden  Holofernes.  ^)  Dem  Ame- 
rikaner (Indiano)  gegenüber,  der  mit  ihr  zugleich  eingetroffen, 
giebt  sie  sich  für  ein  dienstsuchendes  Mädchen  aus.  Der  India- 
ner bietet  ihr  einen  Dienst  in  seinem  Hause  an,  den  die  ent- 
schlossene Andalusierin  annimmt.  Der  transatlantisch-spanische 
Indianer,  Puter,  Truthahn,  schmeichelt  sich  im  Stillen,  seine 
Truthenne  gefunden  zu  haben,  worüber  der  Maulthiertreiberbur- 
sche  (mozo  de  mulas)  seine  geheime  Glosse  anbringt.  ^)  Sie  aber 
denkt  sich:  Probir'  er's  doch,  der  indianische  Holofernes,  wenn 
er  mit  meiner  andalusischen  Büchse,  Stutzer  oder  Muskete  nähere 
Bekanntschaft  zu  machen  Lust  hat! 

Den  zweiten  Act  eröffnet  eine  Soiree-Toilettenscene  bei  Dona 
Ana,  vcfn  welcher  des  Conde  Diener,  Martin,  seinem  im  Vor- 
saal harrenden  Gebieter  einen  Vorschmack  im  Style  des  estilo 
culto,  des  Gongorismus,  giebt,  den  Lope  schon  einmal,  gleich  in 
der  ersten  Scene  dieser  Komödie,  durch  die  Hechel  zog  ^),  in  der 
vorbehältlichen  Weise,  wie  jener  seinen  Löffel  in  die  Schüssel 
legte,  die  er  für  sich  in  Anspruch  nahm.  Dona  Ana  erscheint 
bald  in  schmuckem  Putz  (en  häbito  galan)  vor  dem  Conde  und 
dessen  Besuchs- Anhängsel  als  conditio  sine  qua  non  bei  der  schö- 
nen Wittwe ,  Don  Juan.    Conde  recitirt  ein  Sonett,   das  er 


1)  Del  cielo  quiere  que  espante 
A  un  Holofernes  Gigante 
Ulla  Judit  valerosa. 

2)  Mozo  (Ap.).  Convertirse  quiere  en  ama. 

„Sie  will  die  Maitresse  werden." 

3)  Pues  ^no  entiendes  culto?  fragte  Luisa  ihre  Herrin,  Dona  Maria. 
Und  hier,  in  der  ersten  Scene  des  zweiten  Acts,  lässt  er  Martin  die  Mu- 
sen der  Cultisten,  behufs  würdiger  Schilderung  von  Dona  Ana's  Toi- 
lette, bei  der  er  gegenwärtig  war,  anrufen: 

Cultas  musas  dadme  aqui 
Un  ramo  blanco  de  Azabar 
De  las  huertas  de  Valencia 
0  jardines  de  Sevilla  .  .  . 
Culto-Musen  spendet  mir 
Einen  Ponieranzenzweig 
Aus  den  Garten  von  Valencia 
Oder  aus  Sevilla's  Parken  .  .  . 


294  I)as  spanische  Drama. 

gelegentlich  der  Besetzung  von  Cadix  durch  ein  englisches  Ge- 
schwader^) verfasst  zu  haben  versichert.  Hierauf  liest  die  Ver- 
anstalterin der  kleinen  häuslichen  Abend-Academie,  die  reizende, 
junge,  Zweimonatswittwe,  Dona  Ana,  ihr  Sonett,  worin  sie  unter 
dem  Namen  'Pilis'  auf  ihre  zärtliche,  aber  unerwiderte  Leiden- 
schaft für  Don  Juan  und  auch  die  ihr  lästige  Liebe  des  Conde 
zartverblümt  und  cultistisch  anspielt.  Was  muss  'Filis'  als 
Erwiderungssonett,  das  Don  Juan  aus  dem  Stegreif  vorträgt, 
vernehmen?  Eine  liebesleidenschaftliche  Vergötterung  der  Moza 
del  Cantaro,  die  sich  hier  Isabel  nennt,  und  in  die  Don 
Juan,  am  Brunnen  beim  Wasserschöpfen  mit  ihrem  Kruge,  sich 
schon  Sterbens  verliebt  hat.  2)  Die  brillante  Wittwe  findet  Don 
Juan's  Stegreif-Sonett,  und  noch  mehr  seine  Stegreif-Liebe  für 
seine  Wassernymphe,  seine  Hebe  mit  dem  Wasserkruge  in  Ge- 
stalt eines  Mädchens  für  Alles,  abscheulich.  3)  Sie  erklärt  die 
alberne  Verherrlichung  eines  solchen  Gegenstandes,  in  ihrer  Ge- 
genwart, für  eine  ihr  angethane  Beleidigung  *),  und  entfernt  sich 
voll  Zorn  und  Entrüstung. 

Zu  dieser  Scene  liefert  die  zwischen  dem  I  n  d  i  a  n  o  und  der 
als  moza  gekleideten  Dona  Maria  einen  pikanten  Abstich.  Schon 
wandelten  den  Indianer  Holofernes-Gelüste  an.  „Einen  Schritt 
weiter"  —  erklärt  Moza-Isabel  dem  bis  auf  die  Strasse  sie  ver- 
folgenden indischen  Brünstling  —  „und  keine  Stunde  länger  bleib' 


1)  1.  Juli  1595,  unter  Admiral  Charles  Howard.  Ein  Handstreich  des 
Grafen  Essex,  als  Revanche  für  die  Armada-Expedition.  Nach  Plünderung 
und  Verbrennung  der  Stadt  zogen  die  Engländer  wieder  ab,  ohne  den  min- 
desten Widerstand  vonseiten  der  spanischen  Regierung  zu  erfahren.  Auf 
diesen  für  Philipp's  II,  letzte  Regierungsjahre  nicht  sonderlich  rühmlichen 
Vorfall  dichtete  auch  Cervantes  ein  Sonett,  aber  ein  geharnischtes.  Lo- 
pe's  fliesst  von  Verherrlichung  des  Königs  über. 

2)  Lo  que  me  ha  muerto  y  rendido 
Moza  de  Cantaro  ha  sido  .  .  . 

3)  Males  versos 

ün  Caballero  discreto 
^Escribe  a  tan  vil  sugeto? 

4)  Y  toca  en  descortesia 
Tan  necio  encarecimiento. 


Liebeserklärung  am  Brunnen.  295 

ich  in  Ihrem  Hause,  i)  Der  Amerikaner  stürzt  wie  ein  begosse- 
ner, von  der  moza  de  Cantaro  mit  ihrem  Krug  begossener  Pudel 
davon,  und  zurück  in's  Haus.  Dem  ihn  ablösenden  mit  Liebes- 
schwüren  sie  bestürmenden  Don  Juan  giesst  sie,  trotz  ihrer 
geheimen  Neigung  für  ihn,  einen  dämpfenden  Wasserstrahl  aus 
ihrem  Kruge  in  sein  Liebesfeuer,  sobald  dieses  Miene  macht,  in 
bedrohlicher  Weise  um  sich  zu  greifen.  2)  Nur  seiner  innigen 
Erklärung,  dass  er  ihre  Seele  anbete,  dass  Liebe  keine  blos  kör- 
perliche Begierde  sey,  entwaffnet  sie  und  gewinnt  auch  ihr  das 
Geständniss  ab:  er  sey  der  erste  Mann,  dessen  Liebesbewerbung 
sie  gestatte.^)  Mit  schüchterner  Zartheit  bittet  nun  Don  Juan, 
ihre  Hand  fassen  zu  dürfen,  vor  der  er  eine  heilige  Scheu  fühle, 
seitdem  er  dies  feine  Händchen  so  geschickt  die  blanke  Waffe 
habe  schwingen  sehen.  „0,  Ihr  kennt  mich  noch  nicht"  —  ver- 
setzt das  Mädchen  aus  Eonda,  dem  berufenen  Schmuggler-  und 
Räuberneste  —  „ich  habe,  bei  Gott,  einen  Mann  getödtet,  wie 
Ihr  mich  da  sehtl^'^^  — 

Gegen  die  Kruggenossin,  Leonor,  die  unserer  Moza  die 
Ungleichheit  des  Standes,  ihres  und  Don  Juan's,  zu  bedenken 
giebt,  schüttet  Dona  Maria,  oder  Moza  Isabel,  noch  ganz  an- 
ders ihr  Herz  aus;  in  so  vollen  Güssen  eingestandener  Liebe  für 
Don  Juan,  in  so  vollen  und  überströmenden,  wie  in  ihren  Krug 


1)  Que  si  esto  adelante  pasa, 

No  estay  una  hora  en  su  casa. 

2)  Estense  quedas  las  manos 

Y  aun  los  pensamientos  quedos. 

3)  Don  Juan.  Que  tambien  quiero  yo  el  alma: 

No  todo  el  amor  es  cuerpo  .  .  . 
Da  Maria.  Y  asi,  pues  alma  quereis 

Digo 

Que  el  primer  hombre  sois  vos 
A  quien  amor  agradeseo. 

4)  Don  Juan.  ^iPodre  tomarte  una  mano? 

Aunque  por  Dios  que  la  tema 
Despues  que  la  vi  tan  diestra 
Esgrimir  el  blanco  acero. 
Da  Maria.  Pues  vos  no  me  conoceis: 

Por  Dios  que  algun  hombre  he  muerto' 
Aqui  donde  me  mirais. 


296  Das  spanische  Drama. 

aus  dem  Brunnenquell  stürzen.  Diese  und  die  folgenden  Brun- 
nenscenen,  an  welchen  sich  Don  Juan,  die  eifersüchtige  Doiia 
Ana,  und  die  Lakaien  betheiligen,  worunter  Pedro,  ein  ächter 
Majo,  Geck,  Putznar,  ßaufbold,  und  der  die  Moza  de  Cantaro 
mit  Teufelsgewalt  zum  Liebchen  pressen  und  auspressen  zu  wollen 
schwört  —  sind  Meisterzüge  nationaler  Volksbilder,  dergleichen 
wir  wohl  bedauern  könnten,  beim  grossen  britischen  Dichter  allzu- 
spärlich und  nicht  in  so  glänzend-pittoreskem  Colorit  zu  begeg- 
nen, wenn  er  uns  dafür  nicht  durch  seine  unendlich  tiefe,  histo- 
risch-psychologische Ideengestaltung  schadlos  hielte,  die  es  ver- 
schmäht, ihre  von  innen  herausleuchtenden  Seelenfarben  an  pitto- 
resken, äusserlich  schmucken,  landschaftlichen  Sitten-,  Costüm-  und 
Volksfiguren-Bilderchen  zu  vergeuden.  In  einer  dieser  Scenen  am 
Brunnen  bespricht  Dona  Maria  mit  der  Magd  Leonor,  wäh- 
rend sie  ihre  Krüge  füllen,  das  verbreitete  Gerücht  von  einem 
Fräulein,  das  einen  Caballero  wegen  eines  ihrem  Vater  zugefüg- 
ten Schimpfes  ermordet  und  deren  Verfolgung  der  König  verbo- 
ten habe,  womit  die  Lösung  des  Komödienknotens  kunstgewandt 
aus  wohlberechneter  Ferne  vorbereitet  wird,  ohne  Schädigung  der 
brillanten  Feuerwerke  von  Eifersuchts-Conflicten  zwischen  Dona 
Ana  und  Dona  Maria,  der  vermeinten  Moza  de  Cantaro,  we- 
gen Don  Juan's,  und  des  Lakaien  Pedro  wegen  der  Moza,  als 
Gegenbild  —  ein  Feuerwerk,  das  mit  einer  von  der  Moza  de 
Cantaro  auf  Pedro's  unverschämte  Backe  abgebrannte  Ohrfeigen- 
Petarde  verpufft  und  verknallt.  Das  Mädchen  vom  Wasserkrug 
hantirt  zugleich  mit  einem  Feuertopf  (pot-ä-feu)  voll  Ohrfeigen- 
Petarden,  deren  Knalleffect  den  trefflichsten  Actschluss  bildet, 
wie  hier  der  auf  Pedro's  Backe  platzende  Pulverfrosch  wirksam 
und  vergnüglich  den  zweiten  Act  schliesst. 

Des  dritten  Acts  erste  Lakaienscene  liefert  noch  die  Nach- 
wirkung zur  Schlusspetarde  des  zweiten.  Nicht  gewitzigt  und 
nicht  abgeschreckt  von  des  Krugmädchens  gegen  Pedro's  Backe 
ausgeführtem  Handstreich,  wagte  Lakai  Lorenzo  sich  trotzdem 
verwegentlich  in  den  Schwungkreis  von  Isabel's  Wasserkrug  — 
flatsch!  hat  er  Eins  weg,  noch  hinter  der  Scene,  und  betritt 
diese  mit  einem  gewaschenen  Kopf,  dessen  Scherben  er  mit 
beiden  Händen  zusammenhält,  jammernd,  dass  der  Krug 
nicht  an   seinem  Schädel,   sondern  dieser  am  Krug  zerbrochen 


Die  Moza  als  Kammermädchen.  297 

ward.  0  „Komm  an,  begossenes  Huhn!''  schwingt  Dona  Moza 
noch  einmal  den  schädelspaltenden  'Cantaro'.^)  Pedro  warnt 
ihn  vor  IsabeFs  Gürteldolche  —  der  seine  Proben  bestanden,  „und 
eingelernt  ist  auf  die  Stiche!"  höhnt  die  Wettersnixe.  ^^)  Aus 
ihrem  Zwiegespräch  mit  Leonor  erfaln-en  wir,  dass  unsere  ver- 
meinte Moza  den  Dienst  des  Amerikaners  oder  Indianers  verlas- 
sen, vernehmen  bei  dieser  Gelegenheit  aus  ihrem  Munde  eine 
pittoreske  Schilderung  ihres  mit  andern  Brunnenmädchen  am  Ufer 
des  Manzanares  ausgeführten  Tanzes:  Eine  vom  Dichter  in  den 
dritten  Act  eingelegte  Spielwalze,  zur  Glorification  des  Königs- 
paars, Felipe  flV)  und  Isabel,  die  auf  ihrem  Spaziergang  am 
Flusse  als  „himmlische  Erscheinungen"  den  Volkstanz  überrasch- 
ten. Als  geschickter  Komödien-Eoutinier  lässt  der  Dichter  aber, 
passenden  Ortes,  seine  Spielwalze  wieder  in  den  Ton  des  Stückes 
einstimmen.  Die  Moza  hat  unter  den  Zuschauern  des  Tanzes  — 
erzählt  sie  der  Genossin  —  den  Don  Juan  erblickt,  und  den 
sich  ihr  schmeichlerisch  nähernden  Galan  mit  allen  Stacheln  der 
Eifersucht  als  „Verräther"  abgewiesen.  Gleich  darauf  finden  wir 
sie  im  Salon  ihrer  Nebenbuhlerin,  Dona  Ana,  welcher  sie,  als 
Ursache  des  verlassenen  Dienstes  beim  Amerikaner,  dessen  unge- 
bührliche Zumuthungen  angiebt,  nachdem  sie  drei  Diebe  aus 
seinem  Zimmer  mit  blanker  Klinge  verjagt  hatte.  ^)  Nicht  eine 
Dona  Maria,  einen  verkleideten  Schmuggler  oder  Sierra-Morena- 
ßäuber  aus  ßonda  sollte  man  hinter  dieser  andalusischen  Undine 
vermuthen,  die  aus  ihrem  Bauernkruge  Schwerter,  Dolche  und 
Gürtelmesser,  statt  Wasserstrahlen,  den  Leuten  über  die  Köpfe 
schüttet.  Dass  Dona  Maria  sich  als  Kammermädchen  bei  ihrer 
Kivalin  verdingt,   dass  diese  sie  in  Dienst  nimmt,   als  Köder  für 


1)  jAy,  que  me  ha  descalabrado! 

2)  Liege  el  lacayo  gallina. 

3)  Pedro.  Daga  trae  en  la  pretina. 
Da.  Maria.  Y  aun  ensenada  a  matar. 

4)  —  tome  SU  espada  (des  Iiidiano) 

Y  äunque  ya  se  defendieron, 
Por  la  ventana  salieron, 

Y  esto  ä  para  cuchillada. 


298  I)as  spanische  Drama. 

Don  Juan,  um  ihn  an  ihr  Haus  zu  fesseln i);  dass  Don  Juan 
sich  drein  findet  und  mit  der  vom  Wasserkmg  zur  Kammerzofe 
seiner  aufdringlichen  Wittwe  avancirten  Moza  das  Hochzeits- 
pathenamt  bei  seinem  mit  Dona  Ana's  Dienerin,  Leonor,  ver- 
lobten Diener,  Martin,  übernimmt;  dass  der  verschmähte  und 
nur  Don  Juan's  wegen  geduldete  Conde  trotzdem  fortfährt, 
schöngeistige  im  damaligen  Salonstyl  witzelnde  Süssholzgalanterie 
der  reichen  und  schönen  Wittwe  vorzuraspeln,  das  mögen  alles 
treffliche  Züge,  lauter  zeitgetreue  Sitten-  und  Gesellschaftsbilder 
nach  dem  Leben  seyn:  als  Pinselstriche  eines  guten  Lustspiels, 
kunstreich  in  die  Handlung  einer  in  die  höheren  Sphären  spie- 
lenden Komödie  verwoben,  können  wir  solche  Meisterstriche  so 
wenig  gelten  lassen  und  preisen,  dass  uns  diese  von  einem  Fran- 
zosen 2)  als  mustergültig  und  studirenswerth  empfohlene  „geist- 
reiche" Scene  vielmehr  als  trübender  Firnissüberzug,  als  eine  das 
Gemälde  verdunkelnde  Deckpaste  erscheinen  muss.  Auch  das 
will  uns  nicht  von  absonderlicher  Kunstfeinheit  im  Lösen  dieser 
Lustspielverwickelung  bedünken,  dass  Conde  plötzlich  auf  die 
Mittheilung  jenes  den  Vorfall  zu  ßonda  betreflenden  Gerüchtes 
überspringt,  wonach  eine  junge  Dame,  geborne  Guzman  el  Porto- 
Carrero,  deren  Vater  mit  dem  Herzog  von  Medina-Celi  verwandt, 
einen  Edelmann,  ihren  Liebhaber,  getödtet  habe^),  um  den 
Schimpf,  den  dieser  ihrem  greisen  Vater  durch  eine  Ohrfeige  an- 
gethan,  zu  rächen.  Indessen  sey  —  berichtet  Conde  weiter  — 
die  Sache  durch  den  König  zwischen  den  beiderseitigen  Familien 
beigelegt,  und  er,  Conde,  vom  Herzoge  Medina-Celi  mit  dem 
Auftrage  beehrt  worden,  die  entflohene  Dame  ausfindig  zu  ma- 
chen. Doch  mag  auch  diese,  in  dramatischer  Beziehung,  unserem 
ürtheile  nach,  nicht  eben  preisenswerthe,  und  was  Salon-  und 


1)  Mirad  si  estais  obligado, 
Y  como  he  sabido  hacer 
Que  vos  me  vengais  ä  ver, 
No  como  hasta  aqui,  forzado. 

2)  ,,La  por^e  de  cette  scene  charmante  merite  d'etre  etudiee/*    Eug. 
Baret.,  Oeuvres  dram.  de  Lope  de  Vega  etc.   Paris  1870.  11.  p.  402.  n.  1. 

3)  Mato  en  Eonda  cierta  dama 

üu  Caballero  su  amante. 


Der  Krug  im  Wappen.  299 

Gesellschaftston  betriift,  auch  gerade  nicht  delicate  und  ge- 
schmackfeine Scene,  trotz  alledem  zum  Belege  dienen,  dass  ein 
achtes  Dichtergenie  selbst  im  Verfehlten  seine  Hand  im  Spiele 
hat,  und  mit  einer  leisen  Wendung  seines  Gottesfingers  die  Wür- 
fel zu  seinem  Vortheil  könne  fallen  machen.  Gedachte  Scene 
veranlasst,  unbeschadet  ihrer  innern  Halt-  und  Gehaltlosigkeit, 
ein  tete-ä-tete  zwischen  Don  Juan  und  der  verkappten  Moza, 
eine  Situation  von  schönster  Theaterwirkung,  und  die  auch  schon 
ein  Ausruf  des  Don  Juan,  bezüglich  der  gerächten  Ohrfeige,  und 
ein  Aparte  der  Dona  Maria  in  der  beregten  Scene  vorange- 
deutet. 1)  Die  Situation  ist  spannend,  theatralisch  anmuthend  — 
die  Situation  an  und  für  sich.  Ob  ihr  der  Dichter  in  der  Aus- 
führung genug  gethan,  dürfte  dessenunerachtet  dahingestellt  bleiben. 
Doiia  Maria  erklärt  dem  Geliebten  ihren  Entschluss,  zu  ihrer 
Familie  zurückzukehren,  lässt  ihn  aber,  inbezug  auf  diese  Familie, 
im  Dunklen,  wie  zärtlich  und  herzlich  er  sie  um  näheren  Auf- 
schluss  bitten  mag,  und  entfernt  sich,  ihn  einem  Monologe  über- 
antwortend, der  mit  ihm  zugleich  in  der  Schwebe  bleibt,  und  in 
einer  für  das  dürftige  Resultat  des  tete-ä-tete  zu  wortreichen 
Scene,  inbetracht  des  Monologes  eigener  Länge,  viel  zu  langen 
Schwebe,  die  der  epigrammatische  Stachel  gerade  um  die 
Schlusspointe  nur  noch  verlängert:  „Wenn  Du  von  so  adeliger 
Herkunft  wärest,  wie  Du  schon  bist:  dann  glaubte  ich  zu 
meiner    Ehre    Deinen    Krug    in    mein   Wappen   aufnehmen   zu 


1)  Don  Juan. 

—  jValiente  esfuerzo! 
Diera  por  ver  esa  daraa 
Todo  quanta  hacienda  tengo. 

Dona  Maria  (Ap.). 

Turbada  estoy,  encubrir 
Puedo  apenas  lo  que  siento. 

Don  Juan. 

—  „Tapferes  Erkühnen! 
Um  zu  sehen  diese  Dame, 
Gab'  ich  mein  Vermögen  hin. 

Doila  Maria  (beiseit). 

Ganz  verwirrty  vermag  ich  kaum, 
Zu  verbergen,  was  ich  fühle. 


300  1^3,8  spanische  Drama. 

dürfen,  denn  alsdann  würde,  angesehen  seines  ihm  jetzt  schon 
zukommenden  Werthes,  Amor  seinen  Töpferthon  in  Silber  ver- 
wandeln. *'  ^) 

Des  Conde,  dem  stereotypen  Winkellauschen  gemässes  Be- 
horchen von  Don  Juan's  eifriger  Fürsprache  zu  seinen  Gunsten 
bei  der  schönen,  für  den  Fürsprecher  glühenden  Wittwe,  möchte 
die  Knotenlösung  wohl  auch  kaum  kunstreicher  gestalten  und 
noch  weniger  die  bis  zuletzt  sich  treu  bleibende  Aufdringlichkeit 
der  Wittwe  gefälliger  und  einer  Salonscene  zukömmlicher  erschei- 
nen lassen.  Wirkt  sie  doch  auf  den  Winkelhorcher,  den  Conde, 
nicht  anders,  als  ob  er  ein  blosser  Zuschauer  wäre.  Plötzlich  aus 
dem  Verstecke  vortretend,  erklärt  sich  Conde  bereit,  dem  Don 
Juan  das  angebliche  Freundschaftsopfer  zu  bringen,  und  ihm  die 
reiche,  die  junge  und  schöne  Zweimonatswittwe  als  Ehegenossin 
zu  überlassen,  mit  der  Versicherung:  dass,  wenn  er,  Conde, 
hätte  vermuthen  können,  wie  feurig  die  Wittwe  um  Don  Juan 
sich  bewerbe,  er,  Conde,  ihr  nicht  Hand  und  Herz  würde  angetra- 
gen haben,  textgetreuer:  sie  nicht  geliebt  haben  würde.  2)  Tief- 
gerührt bedankt  sich  Don  Juan  schönstens  bei  dem  opferfreu- 
digen Conde  für  diesen  Freundschaftsbeweis  mit  der  Gegenver- 
sicherung, dass  er,  Don  Juan,  niemals  eine  Frau  werde  lieben 
können,  die  um  seinetwillen  einen  solchen  Freund  hätte  verlassen 
können.^)  Halt!  —  tritt  Dona  Ana  vermittelnd  zwischen  die 
beiden  opferwetteifrigen  Freundschaftsritter  —  „noch  steht  es  bei 
mir,  mich  und  meine  100,000  Ducados  ohne  Anhang,  ohne  Schwie- 
gereltern und  Schwager,  was  mindestens  ebenso  viel  werth  ist 
unter  Brüdern,  einem  ehrenwerthen  Caballero  hinzugeben,  wie  ich 


1)  Que  si  tienes  nobleza  y  hermosura 

Del  cantaro  por  armas  pienso  honrarme; 
Que  con  el  preraio  con  que  ya  se  trata 
Amor  le  volverä  de  barro  en  plata. 

2)  Que  a  saber,  cuando  la  vi, 
Que  OS  tenia,  tänto  amor, 
No  la  amara  .  .  . 

3)  No  quisiera  yo  querer 

A  quien  os  deja  por  mi. 


Die  spanische  Comedia  und  das  Zartgefühl.  301 

denn  alsbald  auch  zu  thun  willens  bin.  i)  Der  spanischen  Co- 
media, weltberufen  und  in  allen  Zungen  hochgepriesen  und  be- 
wundert ob  ihrer  Feinheit  —  das  Feinste,  Zarteste,  der  Rosen- 
duft, das  geistigste  Aroma,  die  Poesie  jeglichen  Verkehrs,  der 
Liebesbeziehungen  insonderheit,  der  Aether  des  feinen  Conver- 
sationslustspiels,  sein  höchster  Reiz,  fehlt  ihr  doch:  die  Delica- 
tesse;  nicht  blos  die  der  französischen  Hofkomödie:  das  Fein- 
gefühl für  die  Etiquette  der  Umgangsformen  —  es  fehlt  ihr  die 
unendlich  höhere,  die  poetische  Delicatesse,  die  Herzens-,  die 
Seele ndelicatesse.  Wunderliche  Erscheinung !  Die  spanische 
Mantel-  und  Degen-Comedia,  aus  der  transscendentalen  Ritterpoe- 
sie der  Troubadoure,  aus  der  limosinisch- aragonischen,  aus  der 
galizisch-castilischen  Hoflyrik,  aus  den  höfischen  Liederbüchern 
hervorgeblüht  —  sie  ermangelt  des  köstlichsten  Parfüms  fein- 
empfindender Geister  und  Herzen,  des  als  Seelen  hauch  min- 
nenden  Zartgefühls! 

Nach  einem  Aparte-Kampfe ,  angesichts  der  im  glänzendsten 
Toilettenschmuck  als  ßrautpathin  von  Martin  und  Leonor  in 
die  Schlussscene  eintretenden  Dofia  Maria;  nach  einem  im  In- 
nern, zwischen  den  Bedenken  wegen  der  unadeligen  Geburt  der 
vermeinten  Moza  de  Cantaro  und  seiner  Liebe,  als  Aparte-Mono- 
log,  ausgefochtenen  Kampfe,  und  erst  nachdem  er,  als  Ergebniss 
dieser  Innern  Ausfechtung,  die  üeberzeugung  gewonnen,  dass  die 
Natur  unmöglich  eine  so  erlauchte  Seele,  ein  so  hoheitsvolles 
Wesen,  das  nur  eine  gold-  und  edelsteingeschmückte  Vase  von 
Krystall  zu  umschliessen  würdig  sey,  in  ein  irdenes  Gefäss,  in 
eine  plebeische  Schale  habe  senken  können'^)  —  erst  nach  dieser 


1)  Libre,  ä  mi  misma  me  doy, 
Y  dare  luego,  si  quiero 

A  un  honrado  caballero 
Mujer  y  cien  mil  ducados 
Sin  suegros  y  sin  cunados, 
Que  es  otro  tanto  dinero. 

2)  D.  Juan.   (Para  si.)  Amor,  si  en  esta  mujer 

No  estä  oculta  la  nobleza, 

La  calidad  y  la  sangre 

Que  por  lo  exterior  se  muestra, 


302  I^3,s  spanische  Drama. 

dem  Busenkampfe  abgerungenen  und  ausgesprochenen  Ueber^eugung 
erklärt  Don  Juan  vor  der  ganzen  Komödiengesellschaft,  dass 
die  Liebe,  inkraft  ihrer  Unbesiegbarkeit,  ihn  bestimme,  sich  mit 
Isabellen  zu  vermählen.  Berufung  und  Beschreiung  vonseiten 
des  Conde,  der  ihm  das  Leben  zu  nehmen  droht,  eh'  er  eine 
solche  Niedertracht,  einen  solchen  der  hochadeligen  Familie  des 
Don  Juan  von  dem  unwürdigen  Sprössling  zugefügten  Schimpf 
dulde.  „Hola,  Lakaien,  hinaus  mit  der  Malefizhexe!  werft  sie 
hinaus  auf  den  Flur  und  schlagt  sie  todt!"^)  Da  Isabel  noch 
immer  schweigt,  fängt  dem  hochadeligen  Don  Juan  selber  an, 
das  Herz  mitsammt  der  unbesiegbaren  Liebe  in  die  Schuhe  zu 
fallen.  2)  Da  muss  denn  freilich  die  Moza  aus  ihrem  Wasser- 
jungfer-Incognito  heraustreten  und  sich  als  die  Verwandte  des 
Herzogs  von  Medina,  als  die  bewusste,  von  ganz  Spanien  gefeierte 
Ohrfeigenheldin  und  Eächerin,  zu  erkennen  geben.  Nun  darf 
gedeckt  von  Dona  Maria 's  herzoglichem  Wappenschilde,  Don 
Juan 's  Herz  wieder  von  unbesiegbarer  Liebesmacht  schwellen. 
Nun  darf  er  der  Ebenbürtigen  die  Hand  reichen  und  sie  in  seine 
Arme  schliessen.  ^'^)  Und  nun  darf,  ja  muss,  da  Don  Juan  ilir 
unwiderruflich  entrissen  ist,  auch  Wittwe  Dona  Ana,  die  nur 
auf  diese  ünwiderruflichkeit  gewartet,  sie  darf  und  muss  nun  sich 
und  ihre  100,000  Ducados  dem  Conde  als  Nothnagelmann  an  den 


(i^Que  es  lo  que  quiso  sin  causa 
Hacer  la  naturaleza, 
Pues  pudiendo  en  un  cristal 
Guarnecido  de  oro  y  piedras 
Puso  en  un  vaso  de  barro 
Alma  tan  ilustre  y  bella  .  .  . 
j)  Conde.   Vive  Dios,  quesi  es  de  veras, 

Que  antes  os  quite  la  vida 
Que  permiter  tal  bajeza! 
|Hola!  Criados,  ecliad 
Esta  mujer  hechicera 
Por  un  corredor,  matadla. 

2)  D.  Juan.   jAy  Dios!   Sn  bajeza  es  cierta, 

Pues  calla  en  esta  ocasion 
Ya  no  es  posible  que  pueda 
Ser  mas  de  lo  que  parece. 

3)  Dame  tu  mano  y  tus  brazos. 


Lope's  Com.  'El  castigo  sin  venganza'.  303 

Hals  werfen,  und  Conde,  der  arme  Lückenbüsser  als  Komo- 
dienfigur  wie  als  Gatte ,  kann,  mit  seiner  Schlussansprache  an's 
Publicum,  zuguterletzt  noch  einen  Stein  im  Brett  unserer  Ge- 
schichte gewinnen;  mit  seinem  Schlusswort  zur  'Mozade  Cantaro', 
dessen  literarhistorischer  Werth  den  poetischen  der  Comedia 
überwiegt;  mit  seiner  im  Namen  des  Dichters  an  die  Zuhörer 
gerichteten  Schlussbefürwortung,  die,  im  Falle  der  Dichter,  be- 
züglich der  Moza-Komödie,  den  Process  verlöre,  an  die  1500, 
schreibe,  tausend  fünfhundert  Comedias  appellirt,  ein  Sümm- 
chen ,  das  ihm  wohl  Verzeihung  und  Losspruch  erwerben  0  und 
den  100,000  Ducados  der  schönen  Wittwe  sich  so  ebenbürtig  er- 
weisen dürfte,  wie  das  Familienwappen  der  als  Verwandte  des 
Herzogs  von  Medina-Celi  entmummten  Moza  sich  dem  Ritter- 
Schilde  des  Don  Juan  als  gleichbürtig  kundgab. 


ETCastigo  sin  Venganza 

(Strafe  ohne  Rache). 

Hat  eine  Stiefmutterliebe  zum  Thema:  das  alte  Eheübel  von 
Phädra  bis  zu  Byron's  Parisina,  und  so  vieler  anderer  reizender 
Stiefmütter,  deren  Schattenbild  ein  leichtsinniger  Vater  als  Teu- 
fel an  die  Wand  seines  Alcovenbettes  aus  zweiter  Ehe  malte. 
Casandra,  Herzogin  von  Mantua,  Byron's  Parisina,  ist 
Lope's  verhängnissvolle  Stiefmutter,  um  die  des  Duque  de 
Ferrara  natürlicher  und  zärtlich  geliebter  Sohn,  CondeFede- 
rico,  für  den  Vater  wirbt,  während  dieser  den  ganzen  ersten 
Act  bis  tief  in  den  zweiten  hinein  mit  verschiedenen  andern  Lieb- 
chen kost  und  buhlt,  üngleicli  poetischer  als  Byron,  lässt  Lope 
den  unseligen  Jüngling  an  der  verheimlichten  Liebesflamme  sich 
verzehren  und  hinsiechen.    Der  herzogliche  Vater  und  sein  Hof 


1)  Conde.  Aqui 

Pues  fin  ä  la  Comedia 
Quien,  si  perdiere  este  pleito, 
Apela  ä  Mil  y  quinientas. 
Mil  y  quinientas  ha  escrito: 
Bien  es  que  perdon  merezca. 


304  ^^s  spanische  Drama. 

stellen  des  Sohnes  tiefe  Schwermutli  der  durch  des  Vaters  Ehe 
getäuschten  Hoffnung  auf  die  Thronfolge  in  Rechnung.  Der  Her- 
zog schlägt  dem  Sohne,  auf  übereinstimmenden  Rath  der  Ferra- 
rischen  Aerzte,  als  wirksamstes  Heilmittel  die  Ehe  vor.  Die  im 
liohen  Maasse  wirksame  Scene  fällt  im  Beiseyn  der  jungen,' Stief- 
mutter vor,  die  sich  von  des  Stiefsohnes  scheinbarer  Kälte  und 
Gleichgültigkeit  gegen  sie  verletzt  fühlt,  und  es  ihrer  Vertrauten, 
Lucrecia,  klagt.  ^)  Mit  schmerzenvoller  Entsagung  fügt  sich  der 
Prinz  dem  Gehorsam,  nur  schüchtern  den  Einwand  wagend,  dass 
um  die  vom  Vater  für  ihn  erwählte  Braut  Marques  Gon- 
zaga  werbe.  Der  Herzog,  dem  es  nicht  gelingen  will,  die  Be- 
denken des  Sohnes  sogleich  zu  beschwichtigen,  geht  ungehalten 
von  dannen.  In  einer  Scene  mit  Herzogin  Casandra  verschwört 
Aurora  die  ihr  vom  Conde  Pederico  schuldgegebene  Liebe 
für  den  Marques  Goiizaga.  Meisterhafte  Scenen  von  Seelen- 
kämpfen zwischen  Liebesleidenschaft,  Pflicht,  Naturgesetz  und 
Ehre  folgen  aufeinander.  Conde  Federico  vergleicht  sein  Herz 
dem  Neste  des  indischen  Pelikans  und  die  Liebesgedanken  den 
Küchlein  des  Wundervogels ,  die  der  Pelikan  gegen  die  verzeh- 
rende Gluth  des  vom  Jäger  rings  um's  Nest  gezogenen  Feuer- 
kreises zu  retten  und  zu  kühlen  strebt  mit  seiner  Schwingen 
Fächerschlägen,  die.  aber  das  Feuer  nur  heftiger  anfachen.  2)  Die 
poetische  Verständnissinnigkeit  trübt  uns  —  ach  wie  Schade !  — 
die  Täuschung,  in  welcher  die  Herzogin  Casandra  ihre  Neben- 
buhlerin erhält,  dass  sie,  zu  Aurora' s  Gunsten,  sich  bei  Fede- 


J)  Ami  apenas  el  Duque  me  ha  mirado. 

jDesprecio  extrano  y  vil  descortesia ! 

2)  El  cazador  coii  industria 

Pone  al  Pelicano  indiano 
Fuego  al  rededor  del  iiido; 
Y  el  descendiendo  de  un  arbol, 
Para  librar  ä  sus  hijos 
Bäte  las  alas  turbado, 
Con  que  mas  endende  el  fuego 
Que  piensa  que  estä  matando  .  . 
Mis  pensamientos,  que  son 
Hijos  de  ml  amor,  que  guardo 
En  el  nido  del  silencio, 
Se  estän,  Senor,  abrasando  .  .  . 


Federico  und  Aurora.  $05 

rico  verwende.  Diesen  Widerhall  von  paariger  Bewerbung  müs- 
sen wir  schon  der  spanischen  Parallel-Schablone,  ähnlich  wie  das 
erste  Begegniss  des  Conde  Federico  auf  seiner  Werbefahrt  für 
den  Vater  im  ersten  Act:  das  Hereintragen  der  ohnmächtigen 
zufällig  aus  ihrer  Kutsche  in  einen  Fluss  gestürzten  Prinzes- 
sin von  Mantua,  dem  ewigen  Einerlei  ^solcher  Novellen-Inci- 
deuzen  zugute  rechnen.  Mit  einem  zweiten  kaum  günstigeren 
Incidenzmotive  grundirt  der  zweite  Act  vor  seinem  Schlüsse 
die  Katastrophe :  mit  der  Abwesenheit  des  zum  Führer  der  päpst- 
lichen Truppen  berufenen  Herzogs  von  Ferrara,  um  dem  Liebes- 
verhängniss  ungehemmt  die  Zügel  schiessen  zu  lassen.  Wenige 
Ueberladungen  abgerechnet,  sind  diese  Scenen  vollendete  Gemälde 
dramatischer,  schicksalvoller  Liebeskatastrophe.  Der  Act  schliesst 
mit  der  in  Eins  zusammenlodernden  Gluth  unselig  seliger  Dop- 
pelleidenschaft, um  so  mächtiger  sich  erfassend,  und  als  Ein  Ver- 
hängniss  ineinander  schlagend,  als  die  Leidenschaft  verholen 
brannte  und  nach  schrecklichen  Kämpfen  unhaltsam  hervorbrach.  ^) 
So  gebot  es  die  tragische  Psychologie,  um  die  sich  leider 
das  spanische  Drama  des  grössten  Genie's  herumdrückt.  Die 
Schläge  in's  Auge  rächt  die  tragische  Muse  mit  Blindheit,  womit 
sie  die  Dichter  schlägt.  Einen  solchen  Schlag  in's  Auge  versetzt 
hier  wieder  der  dritte  Act  dem  zweiten,  die  Katastrophe  der  Pe- 
ripetie, und  gleich  aus  freier  Faust  unversehens.  Die  erste  Be- 
gegnung Federico's  mit  der  von  ihm  bisher  verschmähten, 
schlimmer!  —  in  seiner  Leidenschaft  für  Casandra  unbeachte- 
ten Aurora  wirft  ihr,  dieser  Aurora,  mit  der  ersten  Scene  eine 
Scene  der  Eifersucht  an  den  Kopf,  Eifersucht  Federico's 
auf  den  Marques,  mit  dem  er  sie  im  Gespräche  betrifft!  Au- 
rora selbst  ist  darüber  so  verdutzt,  dass  sie  ihn  fragt:  Bist  Du 
verrückt  oder  ich?  Wie  oft  sahst  Du  mich  mit  dem  Marques 
zusammen  und  fiel  Dir  nicht  ein?  —  und  mit  einmal  aus  dem 


1)  Cas,       Yo  he  de  perderme; 

Ten,  honor;  fama,  resiste. 

Feder.  Apenas  a  andar  acierto. 

Gas.       Alma  y  sentidos  perdi, 

Feder.  ;0h,  que  extrano  desconcierto ! 

Gas.       Yo  voy  muriendo  por  ti. 

Feder.  Yo  no,  porque  ya  voy  muerto. 
X.  20 


306  ßas  spanische  Drama. 

Häuschen  vor  Eifersucht^  i)  Sein  Diener  Batin  steht  auch  da 
und  hat  MaulafFen  vor  Staunen  feil  und  fragt  ihn  nach  dem  Vers, 
den  er  sich  aus  diesem  vom  Himmel  gefallenen  Umschlag  ma- 
chen soll.  Der  Vers,  den  ihm  Federico  an  die  Hand  giel)t, 
weiss  auch  nichts  Anderes  zu  stammeln  als:  „Ich  weiss  es  nicht, 
bei  Gott!"-)  So  dass  Batin  seinen  Gebieter  in  der  Verwirrung 
mit  Kaiser  Tiberius,  statt  Kaiser  Claudius  vergleicht,  der  die 
Kaiserin  zu  Tische  bittet,  der  er  eben  den  Kopf  hatte  abschlagen 
lassen.  Kaiser  Tiberius,  Kaiser  Claudius  —  Gog  oder  Magog, 
Gog  bleibt  Gog,  die  Verwechslung  ist  gleichgültig,  Batin's  Ver- 
gleich aber  treffend  inbezug  auf  das  tertium  comparationis  der 
sich  auf's  Haar  gleichenden  Abwesenheit  des  Geistes  bei  Kaiser 
—  ob  Tiberius  oder  Claudius  —  und  bei  Federico.  Die  Ab- 
wesenheit des  Geistes  klärt  sich  zwar  in  der  nächsten  8cene 
mit  Casandra  als  Folge  der  Furcht  vor  der  Anwesenheit  des 
aus  dem  Kriege  wieder  heimgekehrten  päpstlichen  Feldherrn,  des 
Herzogs  von  Ferrara,  auf,  um  nämlich  vor  dem  Vater  das 
sträfliche  Verhältniss  mit  der  Stiefmutter,  während  des  Vaters 
Abseyn,  hinter  der  Verheirathung  mit  Aurora  zu  verstecken. 
Das  Auskunftsmittel  ist  pfiffig  —  aber  tragisch?  Die  Sicher- 
stellung ziemlich  gesichert  —  aber  die  Blutschande  poetisch  ge- 
sühnt? Wird  sie  denn  nicht  auch  gesühnt?  Schon  der  Titel 
verkündet  es:  „Strafe  ohne  Eache".  Tilgt  diese  vom  Vater  voll- 
zogene Sühne  den  Flecken  schimpflichster  Feigheit,  im  poetischen 
Sinne,  den  Schandfleck  der  Liebesfeigheit,  der  fahnenflüch- 


1)  <iQue  es  esto  que  has  iiitentado? 
0  (Jque  frenesi  te  ha  dado 

Sin  pensamiento  de  amor? 
^Quantas  veces  al  Marques 
Hablaiido  conmigo  viste, 
Desde  que  diste  en  ser  triste 

Y  mucho  tiempo  despues? 

Y  aun  110  volviste  ä  mirarme, 
Cuanto  mas  ä  divertirme, 
^Agora  celoso  y  firme 
Cuando  pretendo  casarme? 

2)  Batin.    ^Que  has  hecho? 

Feder.  No  se,  por  Dios. 


Federico  und  Casandra.  3Q7 

tigen  Preisgebung  der  lieroischen  Leidenscliaft  und  Schuld?  Und 
muss  man  nicht  Feder ico's  Versicherungsmittel  als  Eingebung 
dieser  Feigheit  betrachten,  wenn  er  selbst  der  darüber  stutzenden 
Casandra  erklärt:  Kr  beabsichtige,  durch  seine  eheliche  Ver- 
bindung mit  Aurora  den  Vater  und  den  Hof  zu  täuschen?  „Dich 
verheirathen  ?"  -—  schlägt  die  Stiefmutter  die  Hände  über  dem 
Kopf  zusammen  —  „Graf,  bist  Du  bei  Sinnen?"  „unser  beider 
Gefahr  zwingt  mich  dazu."  ^)  Zum  Glück  nimmt's  der  geschulte 
tiefe  Keinier  des  weiblichen  Herzens  und  der  weiblichen  Liebes- 
leidenschaft dem  grossen  Poeten  über  den  Kopf  weg  und  rettet 
diese  in  der  Frau  mindestens,  die  nun  aufgährt  und  für  die  poe- 
tische Ehre  ihrer  Sünde  kämpft,  wie  die  Tigerin  für  ihr  Junges. 

Und  galt'  es  tausend  Leben  —  nehme  sie 
Der  Herzog,  aber  heirathen  soHst  Du  nicbt!^) 

Das  ist  doch  für  seine  tragische  Schuld  mit  Nägeln  und  Zähnen 
kämpfen.  Der  trotzesmuthige  Untergang  ist  die  Ehrenrettung 
der  heroischen  Leidenschaft.  Federico  drückt  seiner  Schuld  das 
Brandmal  eines  gemeinen  Verbrechens  auf;  Casandra  adelt  ihre 
leidenschaftliche  Verirrung,  indem  sie  die  äussersten  Consequen- 
zen  auf  ihr  Haupt  herabschwört. 

Wie  bringt  nun  der  Herzog  Vater  die  rachelose  Strafe 


1)  Fed.  Quiero  fingir  desde  agora 

Que  sirvo  y  que  quiero  ä  Aurora, 
Y  aun  pedirla  por  mujer 
AI  duque,  para  desvelos 
Del  y  de  palacio,  en  quien 
Yo  se  que  no  se  habla  bien. 
Gas.  —    —    —    — 

Casarte?   Estäs,  Conde,  enti? 

2)  Cas.  ^,Que?   iVive  Dios 

Que  si  te  burlas  de  mi, 
Despues  que  has  sido  occasion 
Desta  desdicha,  que  ä  voces 
Diga  (;oh  que  mal  nie  conoces!) 
Tu  maldad  y  nii  traicion! 

Quiteme  el  Duque  mil  vi  das; 
Pero  no  te  bas  de  casar. 

20* 


308  I)as  spanische  Drama. 

zuwege?  Zunächst  lässt  der  Dichter  ihn  selber  durch  den  päpst- 
lichen Feldherrnstab  entsühnt  von  seinem  früheren  lastervollen 
Lebenswandel  heimkehren,  wie  es  sich  der  Gracioso  Batin  zu- 
rechtlegt, dem  der  Herzog  sein  durch  Siegeserfolge  und  friede- 
volles Heimwesen,  das  er  zu  finden  glaubt,  doppelt  beglücktes 
Herz  ausschüttet,  i)  Diese  Vorweihe  zur  rachelosen  Strafe  inkraft 
einer  reuevoll  an  sich  selbst  erfahrenen  Läuterung  ist  ein  tiefer 
Zug,  erhöht  die  Persönlichkeit  des  Strafvollziehers,  nur  wäre  der 
Pinselstrich  ein  noch  grösserer  Meisterzug,  wenn  des  Herzogs 
reuevolle  Umkehr,  wie  der  Gracioso  nicht  ohne  ironisch  graciösen 
Anflug  bemerkt,  kein  blosses  Werk  eines  „päpstlichen  Wunders" 
wäre  2),  und  wenn  der  Zug  nicht  verriethe,  dass  der  Herzog  ur- 
sprünglich nur  zugunsten  des  verbrecherischen  Liebespaars  als 
Wüstling  angelegt  war,  wie  er  bei  der  Rückkehr  zugunsten  sei- 
nes rachelosen  Strafvollstreckeramtes  und  im  Nutzen  einer  thea- 
tralisch imponirenden  Katastrophe  als  ein  Selbstentsühnter  und 
zur  Genugthuung  seines  göttlichen  Ehrenrechtes  geweih- 
ter Fürst  improvisirt  erschiene.  Dergleichen  sieht  mehr  nach 
Kunststücken  und  tours  de  mains  eines  genialischen  Wunder- 
manns und  Theaterzauberers  aus,  als  nach  den  ächten  wirklichen 
Kunstgriffen  eines  aus  der  Tiefe  seines  Problems  arbeitenden  und 
gestaltenden  Kunstmeisters.  Schon  hat  aber  —  ein  anderer  fein 
berechneter  Bühneneffect!  —  hat  der  Herzog  unter  den  bei  sei- 


1)  Duque.         —  y  asi,  en  mi  casa 

Hoy  dos  Victorias  se  cuentan: 
La  que  de  la  guerra  traego 
Casado 

Y  la  de  Casandra  bella  .  . . 

Y  causado  juntamente 
De  mis  mocedades  necias. 

Batin.  Milagro  ha  sido  del  Papa 
Llevar,  Senor,  ä  la  guerra 
AI  duque  Luis  de  Ferrara, 

Y  que  un  ermitailo  vuelva, 
Per  Dios,  que  puedes  fundar 
Otra  Camändula. 

Duque.  Sepan 

Mis  vasallos  que  otro  soy. 

2)  Milagro  sa  sido  del  Papa. 


Liebesfeigheit.  309 

nem  Eintreffen  ihm  überreichten  Papieren,  Bittschriften,  Memo- 
rialen  ein  gesiegeltes  Blatt,  das  seiner  Gattin  und  seines  zärtlich 
geliebten  Sohnes  sträflichen  Umgang  mittheilt,  das  Kichterschwert 
gleichsam  der  rachelosen  Strafe,  in  Händen.  Jeder  Buchstabe 
trifft  sein  Auge  mit  dem  Blitze  solchen  rachelosen  Eacheschwer- 
tes  ^),  und  sein  Selbstgespräch  ist  wie  das  Schwanken  dieses  als 
Zunge  der  Vergeltungswaage  spielenden  Gerechtigkeitsschwer- 
tes. Ein  Streiflicht  auf  sein  früheres  sündhaftes  Leben,  das  nun 
in  dem  Sohn  gebüsst  werde  2),  erhöht  die  schreckende  Wirkung 
jenes  verhängnissvollen  Schwankens  des  rachelosen  Scharfrichter- 
schwertes, dieses  vorzugsweise  rachelosen  Strafers,  dessen  Stahl 
des  Herzogs  Aeusserung:  „Ihn  strafen  ist  nicht  mich  rächen"  ^)  von 
Amtswegen  als  damascirten  Sinnspruch  eingebrannt  trägt.  Zur 
Bestätigung  der  Anzeige  sub  sigillo  bedarf  es  noch,  um  dem 
Titel  des  Stückes  vollkommen  zu  genügen,  eines  thatsächlichen 
Beweises,  den  sich  der  Herzog  auf  dem  nicht  mehr  ungewöhn- 
lichen Wege  des  spanischen  ürama's:  durch  Behorchen  einer  hef- 
tigen Scene  zwischen  Sohn  und  Gemahlin,  verschafft,  in  welcher 
sie  der  Belauscher  gleichsam  in  flagranti  betrifiPt,'*)  In  fla- 
granti, und  nicht  blos  „gleichsam":  des  Sohnes  schmachvolle  Lie- 
besehrlosigkeit,  der  nochmals  der  Herzogin,  seiner  Stiefmutter- 
Maitresse,  dringend  anliegt,  sich  in  seine  Vermählung  mit  Dona 
Aurora  ruhig  und  zum  Scheine  zu  fügen,  weil  sie  sonst  ihr 
und  sein  Leben  gefährden  würde.  ^)    In  flagranti  aber  auch:  die 


1)  jOli  fieras  letras  villanas! 

^Como  sabre  con  prudencia? 
Verdad  que  no  me  disfame 
Con  los  testigos.  que  Uame  .  . 

2)  El  vicioso  proceder 

De  las  mocedades  rnias 
Trujo  el  castigo  .  .  . 

3)  Castigarle  no  es  vengarme. 

4)  Duq.  Buscando  testigos  voy 

Desde  aqui  quiero  escuchar. 

5)  Asegurar  pretendi 

AI  Buque,  y  asegurar 
Nuestra  vida  .  .  . 


310  Das  spanische  Drama. 

Herzogin  Gemahlin  und  seines  Sohnes  Concubine,  in  flagranti 
ihrer  verbrecherischen,  aber  poetisch  herrlichen,  in  einem  Verab- 
scheuungsfluche  ob  des  Sohnes  Feigheit  ausgesprühten  Eifer- 
suchtswuth.  ^)  Welche,  trotz  schablonenhaftem  Zuschnitt,  welche 
Theaterscene!  Welches  Trio  mit  dem  belauschenden,  und  in 
Apartes  sein  racheloses  Strafschwert  an  dem  schartenvollen  Dia- 
mantsteine seiner  befleckten  Ehre  schleifenden  Herzog.  -)  Das 
Wetzen  des  Schwertes  soll  aus  dem  Schleifstein-Diamanten  sei- 
ner Ehre  die  Scharten  und  Flecken  herausschleifen,  Dass  es  zu- 
gleich Blutflecken  der  Blutschande  sind,  darüber  sieht  er  weg; 
diese  Schandflecken  verschwinden  ihm  im  Schatten  der  verdunkel- 
ten Ehre  seines  Namens.  „Die  Strafe"  —  wetzt  und  schleift  er 
im  Horchwiukel  rüstig  fort  —  „die  Strafe  erfolge  derart,  dass 
sie  nicht  meinen  Namen  schände."  ^) 

Zu  Lope's  Kraftstücken  gehören  die  Monologe.  Des  Duque 
letzter  Vorbereitungsmonolog  zu  seiner  Kächerthat  ohne  Rache 
ist  des  Situationsmomentes  vollkommen  würdig.  Der  Vollstrecker 
kündigt  sich  als  ein  Werkzeug  des  Himmels  an.  Eine  heilige 
Gerechtigkeit  soll  an  einem  schamlosen  Frevel  eine  rachelose 
Strafe  vollziehen.  *)  Man  erfährt,  dass  er  die  Herzogin  Casandra 


1)  Gas.  ^,Mal  hombre  en  el  mundu  hubiera? 

Que  Co  bar  de  nie  dejara, 
Despues  de  haber  obKgado 
Con  tantas  ansias  de  amor 
A  SU  gusto  ini  valor  .  .  . 

iOh,  Co  bar  de,  mal  nacido! 
Las  lagrimas  y  los  ruegos 
Hasta  hacernos  voker  locas, 
Kobando  las  honras  nuestras  .  .  . 
Agora  son  Cobardias! 
Pues,  perro,  ^sin  alma  soyV 

2)  Prevenid,  pues  sois  juez, 
Honra,  sentencia  y  Castigo. 

3)  Pero  de  tal  suerte  sea 

Que  no  se  infame  mi  nonibre. 

4)  Dando  la  justicia  santa 

A  un  pecado  shi  verguenza 
Un  castigo  sin  verganza. 


Rachelose  Strafe.  311 

in  einem  Cabinet  zurückgelassen,  an  Händen  und  Füssen  ge- 
bunden, das  Gesicht  mit  einem  schwarzen  Seidentuch  bedeckt 
und  einen  Knebel  im  Munde.  Doch  schaudert  er  mit  Entsetzen 
vor  der  Ermordung  des  Sohnes  zurück.  Die  Apostrophen  an  die 
kindliche  und  väterliche  Liebe  erhalten  einen  erhöhten  Schwung 
durch  Anrufe  geschichtlicher  Beispiele  des  Darius,  Torquatus,  des 
älteren  Brutus,  bei  denen  gleichfalls  das  Schwert  einer  rachelosen 
Gesetzesvollstreckung  waltete.  ^)  Den  ihm  entgegentretenden  Sohn 
weist  Duque  in  ein  Zimmer,  wo  er,  der  Vater,  einen  gegen  ihn 
Verschwornen  festgebunden,  ihm  das  Gesicht  bedeckt  und  ihn  ge- 
knebelt. Diesen  soll  er,  der  Sohn,  augenblicklich  tödten.  „Ich  will 
Zeuge  des  Muthes  seyn,  womit  Du  meinen  Feind  mordest."  2)  Von 
einem  unheimlichen  Vorgefühl  ergriffen,  fasst  Federico  mit  zau- 
dernden Händen  das  Schwert,  und  stürzt  endlich,  von  des  Va- 
ters höhnenden  Aufstachelungen,  wie  von  einer  Hetzpeitsche  dazu 
gestäupt,  in's  Gemach.  Der  Vater,  der  rachelose  Strafrichter,  der 
zu  seinem  Scharfrichter  den  Verbrecher  selbst  beordert,  sieht 
durch  die  offene  Tliür  dem  Morde  zu  mit  einer  Schlächterlust 
aus  zweiter  Hand,  die  den  Titel  und  der  Tendenzidee  des  Stückes 
in's  Gesicht    schlägt.  ^)    Und   öffnet   dann   die  Ventilklappe   der 


1)  —  —  y  la  espada 

De  Dario,  Torcuato  y  Bruto 
Ejecuto  sin  venganza 
Las  leyes  de  la  jiisticia. 

2)  Qtiiero  mirar  el  valor 

Con  que  ä  iiii  enemigo  matas. 

3)  Die  Baclielosigkeit  des  'sin  venganza'  soll  nämlicli  in  der  Nicht- 
enthüllung  seiner  Schande,  in  dem  ewigen  Gehehnniss  bestehen,  da  die 
Entehrung  des  herzoglichen  Gatten  und  Vaters  in  dem  Doppelmord  der 
Verbrecher  erstickt  wird  und  der  wahre  Grund  vor  der  Welt  unentdeckt 
bleibt.  Wird  aber  der  Eachemoment  dadurch  aus  der  Strafe  herausge- 
tilgt und  diese  rachefrei  geläutert,  weil  das  Rachemotiv  vor  der  Welt 
geheim  bleibt?  Oder  niuss  es  nicht  um  so  mehr  zum  Himmel  stinken? 
In  der  Sühne  der  Motive  besteht  das  Tragische  und  nach  der  Offenbarung 
der  verborgensten  Schuldmotive  fragt  die  tragische  Muse  so  strafentbrannt, 
wie  Gott  der  Herr  nach  Kains  Bruder  Abel.  In  der  Offenbarung  gerade, 
in  der  Enthüllung  liegt  die  tragische  Sühne  und  Gerechtigkeit.  Des  Du- 
que  Castigo  ist  ein  Doppelmeuchelniord  und  seine  Venganza  eine  Meuchel- 
rache. 


312  ^^^  spanische  Drama. 

Schlächterlust,  indem  er  sein  ganzes  Hofgefolge,  Wachen,  Edel- 
leute  und  Diener,  herbeizetert:  Holla!  Mein  Sohn  ermordet  die 
Herzogin,  seine  Stiefmutter,  weil  sie  meinen  Nachfolger  unterm 
Herzen  zu  tragen  sich  gegen  ihn  gerühmt  habe,  der  mich  beer- 
ben werde.  Schlagt  ihn  todt,  schlagt  ihn  todt!  Der  Herzog  be- 
fiehlt es!^)  Federico  stürzt  mit  blutigem  Schwert  aus  dem 
Gemach.  Das  ganze  Hofgesinde,  mit  dem  Marques,  wirft  sich 
auf  Casandra's  Mörder,  der  unter  ihren  Streichen  den  Herzog 
jammernd  fragt:  Vater,  warum  morden  sie  mich?  Der  rachelose 
Jäger  seines  Sohnes,  der  auf  sein  Wild  blos  die  Meute  hetzt,  aber 
immer  rachelos,  ruft  in  einem  fort:  Hussa!  Matadle,  matadle ! 
bis  der  Sohn  unter  den  ihn  zerfetzenden  Hieben  zusammensinkt. 
Das  ist  nun  die  über  jedes  ßachegefühl  erhabene  tragische  Justiz 
des  grossen  spanischen  Dichters,  dessen  italienischer  Herzog  von 
Perrara  aber  merkwürdiger  Weise  in  einer  so  woUustvoUeu 
ßachebefriedigung  schwelgt,  wie  ihn  kein  italienischer  Tragiker 
brünstiger  hätte  können  schwelgen  lassen,  mit  dem  blossen  Un- 
terschiede, dass  die  spanische  Tragödie  von  Anfang  bis  Ende 
ihrem  Titel  nachläuft,  um  zuletzt  über  ihn  zu  stolpern  und  den 
Hals  zu  brechen.  So  steht  Lope's  Castigo  sin  Venganza-Tragö- 
die,  die  in  Batin's  Abschiedsspruch  an  das  Publicum  sich  noch 
einen  letzten  bezeichnungsvollen  Ausdruck  giebt^),  ihrer  durch- 
weg betonten  Schlussmoral,  ihrem  Tendenzgedanken,  ihrer  kathar- 


1)  Duq.  jHay  tal  maldad!   A  Casandra 

Ha  muerte  el  Conde,  uo  inas 
De  porque  fue  su  madrastra, 
Y  le  dijo  que  tenia 
Mejor  hijo  en  sus  entranas 
Para  heredarme.  Matadle, 
Matadle;  el  duqiie  lo  manda. 

2)  Batin.  Aqui  acaba, 

Senado,  aquella  tragedia 
Del  Castigo  sin  vengaiiza 
Que  siendo  en  Italia  asombro 
Hoy  es  ejemplo  en  Espana. 
Die  ein  Schrecken  in  Italien, 
Heut  ein  Lehrbeispiel  in  Spanien  ist, 
Wer  denkt  dabei  nicht  an  das  Schicksal  des  Don  Carlos  und  seiner  Stief- 
mutter ? 


Lope's  Tragi-Com   El  honrado  Hermano.  313 

tischen  Idee  gegenüber,  wie  in  der  Vignette  „Müller  und  Schulze" 
sich  ewig  gegenüber  stehen,  so  parallel-parenthesenklammerartig 
wie  diese  über  dem  Gesprächsinhalt,  den  sie  einklammern,  und 
zugleich  als  dessen  blosser  Titel. 

Gleichwohl  zählt  dieses  Stück,  das  eher  „Eache  ohne  Strafe", 
als  „Strafe  ohne  Rache",  heissen  könnte,  zu  Lope's  Meisterwerken 
ersten  Ranges,  das  er  noch  obenein  in  seinem  70.  Lebensjahre 
schrieb  (1631),  wie  er  selbst  in  der  Zueignung  an  den  Duca  de 
Sessa  angiebt.  In  der  Nachlassenschaft  des  verstorbenen  Mr.  Tick- 
nor  befindet  sich  die  Originalhandschrift  dieses  auch  durch 
ihre  strenge,  kunstsittliche  Durchführung  bewundernswürdigen 
Schauspiels,  dessen  Titel  aber  der  grosse  angelsächsische  Tragiker 
allein  zu  vollen  tragischen  Ehren  in  seinem  Othello  brachte. 

El  honrado  Hermano 
tragi-comedia  famosa. 

Der  ehrenhafte  Bruder. 

Die  Folie  dieses  Stückes  ist  Peter  Corneille's  Tragödie  ^Les 
Horaces',  und  die  Eolie  dieser  Folie,  dass  er  die  Benutzung  des- 
selben verschwiegen,  denn,  beim  Lichte  besehen,  dürfte  Lope's 
'Hermano  honrado'  als  die  Eolie  von  des  grossen  Corneille  noch 
jetzt  als  einer  der  kostbarsten  Edelsteine  in  seiner  ünsterblich- 
keitskrone  von  den  Franzosen  bewunderten  Horazier-Trauerspiele 
sich  erweisen.  Macht  nun  Verdunkelung  eine  Folie  zum  Glanz- 
blättchen,  und  ist  verschweigen  und  verdunkeln  synonym:  so  er- 
theilt  dem  Edelstein  des  grossen  Corneille  den  spiegelnden  Schim- 
mer das  Dunkel,  das  Corneille's  Verschweigung  von  Lope's  sei- 
ner Tragödie  als  Folie  zu  Grunde  liegendem  Stücke,  über  diese 
Folie  verbreitet;  so  strahlt  mithin  Corneille's  'Horace'  durch  die 
doppelte  Folie:  durch  Lope's  Stück,  und  durch  die  Folie  dieser 
Folie:  das  Verschweigen  der  Benutzung  dieses  Stückes.    Q.  e.  d. 

Jedenfalls  hat  Corneille  Lope's  „ehrenwerthen  Bruder",  wenn 
gerade  nicht  in  ehrenwerth  brüderlicher  Weise,  mit  mehr 
kritisch-dramaturgischem  Verstand,  als  Lope  die  römische  Le- 
gende, verwerthet,  dank  der  gewissenhaften  Befolgung  des  Bibel- 
spruches: „Prüfet  Alles  und  das  Beste  behaltet."  ünbezweifelt 
war  der  grosse  Corneille,  wie  seine  'Examens'  der  eigenen  Stücke 


314  Das  spanische  Drama. 

beweisen,  an  besagtem  kritisch-dramaturgischen  Verstände,  inso- 
weit nämlich  dieser  durch  regehechte  logisch-schematische  Schluss- 
folgerung aus  falschen  Prämissen  sich  zu  erproben  vermag,  dem 
Lope  de  Vega  überleben,  obgleich  nicht  um  so  viel  überlegen, 
als  Lope  den  grössten  französischen  Tragiker  als  Poet  an  drama- 
tischem Genie,  Ei*findung,  Kunstzauber,  insbesondere  an  Situa- 
tionswirkung überragt.  Da  selbst  dies  noch  fraglich,  ob  patheti- 
sche Erörterungen  über  eine  äusserst  magere,  hinter  den  Cou- 
lissen  sich  abwickelnde  dramatische  Handlung,  zumal  Erörterun- 
gen, deren  Pathos  sich  fast  durchgängig  in  lauter  spitzfindigen 
Antithesen  und  Keflexionen  über  jene  Vorgänge  und  die  daraus 
erfolgenden  Conflicte,  sich  in  antithetischen  Grübeleien  über  die 
Affecte  und  deren  Schaukelspiele,  sich  in  dialogischen  Controver- 
sen  gleichsam  über  die  möglicherweise  aus  solchen  gegensätz- 
lichen Lagen  entspringenden  Situationen  ergehen ,  anstatt  dass 
die  Personen  aus  der  Situation  heraus  sprächen  und  handelten  — 
da  selbst  dies  noch  in  Frage  steht:  ob  sogestalte  pathetische 
Erörterungen  überhaupt  noch  einen  dialektischen  Process  leiden- 
schaftlich bewegter  Charaktere  vorstellen  dürfen;  oder  ob  sie  nur 
den  Werth  eines  thematischen,  mit  pathetischem  Geberdenspiel  in 
Alexandriner-Cadenzeii  geführten  Colloquiums,  eines  Raisonnements 
in  tragischer  Maske  über  die  gegenseitigen  von  der  Sachlage  ge- 
botenen Gemüthsverfassungen  haben,  so  dass  von  der  tragischen 
Schicksalswage  nur  das  hin  -  und  herspielende  Zünglein  zu  sehen 
ist,  und  die  tragischen  Personen  selber  über  ihr  Schicksal  ein  'Exa- 
men' in  Form  einer  scenirten  Disputa  anzustellen  scheinen.  —  Dies 
unserer  Begründung  für  die  Analyse  der  französisch-classischen, 
insbesondere  der  Corneille-Tragödie,  vorbehaltend,  haben  wir  uns 
hier  auf  eine  summarische  Vergleichungsskizze  der  beiden  Hora- 
zier-Stücke,  des  Spaniers  Tragicomedia,  ^el  hourado  Hermano',  und 
der  stoffverwandten  Tragödie  des  grossen,  selbst  von  Lope's 
Landsleuten  als  musterwürdiger  Dichter  der  „Horaces",  ihm  vor- 
gezogenen französischen  Tragikers  zu  beschränken. 

Vorweg  zeigt  sich  Corneille  durch  Ausscheidung  von  Lope's 
zwei  ersten  Acten  als  der  bessere  Dramaturg.  Was  kann  auch 
viel  das  Holterpolter  unter  den  gegenseitig  sich  ihr  Vieh  und  ihre 
Weiber  raubenden  Kömern  und  Albanern  zur  Verstärkung  des 
Hauptmotivs:  Schwestermord  als  Sühne  der,  zugunsten  bräutlicher 


Novellenhafte  Exposition.  315 

Liebe,  preisgegebenen  Vaterlandsliebe,  beitragen?  Was  zu  dieser 
Katastrophe  der  alte  das  ephemere  Interregnum  zwischen  Numa 
Pompilius  und  Tullus  Hostilius  ausfüllende  Einact-Zwischenkönig, 
Quirino.  beitragen,  unter  dessen  Lückenbüsserherr schalt  jene 
freundnachbarlichen  Eäubereien,  Krautacker-Räubereien,  zwischen 
Römern  und  Albanern  vorfallen?  ^  Kann  die  junge  Bäuerin, 
Eufrosina,  die  in  den  Räuberarmen  eines  römischen  Bauerbur- 
schen zappelt,  unsere  Theilnahme  für  die  Haupthandlung  höher 
spannen?  Die  müssige  Auseinandersetzung  darüber  mit  des  Ho- 
racio  Schwester,  der  Heldin  der  Katastrophe,  mit  Julia  Ho- 
racia,  kann  nur  auf  diese  selbst  den  bleiernen  Schatten  einer 
interesselosen  Scene  werfen.  Julia  Horacia  bricht  ihrerseits 
in  eine  Schaar  Albaneser-Jünglinge  ein  mit  Schild  und  Speer, 
raubt  aber  nur  aus  den  drei  Curiaciern  das  Herz  des  Curiacio 
No.  I,  der  sie  bittet,  dem  Horacio  No.  I  einen  Gruss  von  ihm 
zu  bestellen  und  denselben  zu  versichern,  dass  er  ihm,  als  Zu- 
busse  zu  seinem  von  Julia  Horacia  geraubten  Herzen,  seine  ganze 
übrige  Person  zur  Verfügung  stelle/-^)  Julia  überbietet  die  Ar- 
tigkeit und  schenkt  dem  Albaner  Curiacio  I  ihr  Herz  sammt  Zu- 
behör, ihn  noch  ausserdem  einladend  in  ihr  Haus.  ^) 

Der  hinkende  Bote  der  spanischen  Komödie,   oder  hinkende 
Botin,  die  Eifersucht  —  im  Spanischen  ein  geborner  Plural,  4os 


1)  Viene  el  goberuo  ä  euterreyes 
Y  vieneii  los  labradores 

A  volverse  robadores 

De  imestros  campos  y  bueyes. 

2)  Decid  al  mayur  Horacio, 
Qtte  se  le  rinde  Curiacio 
Porque  no  le  vio,  y  os  vi 
Sagt  dem  altern  Horacio 

Dass  sich  ihm  ergiebt  Curiacio, 

Weil  er  ilin  nicht,  und  ich  Euch,  sah. 

Verliebte   redeten    schon   zu  Tullus  Hostilius   Zeiten  im  Conceptostyl  der 

Cancioneros. 

3)  Pero  en  flu,  cortes  Curiacio, 
Entra,  y  pon  en  tu  blason 
Que  has  vencido  el  corazon 
De  Julia,  Hcrmano  de  Horacia. 


316  Das  spanische  Drama. 

Zelos',  Zwillingsname  für  Amor  und  Zelo,  wie  „Menächmen", 
oder  „Die  Japanesen"  —  der  stehende  hinkende  Bote  humpelt 
auch  in  der  Horacio-Komödie  hinterher.  Horacio  hat  ein  Lie- 
besverhältniss  mit  der  römischen  Dame,  Fla  via.  Sie  schreibt 
ihm  in  Gegenwart  ihres  stillen  Anbeters,  Rosardo,  ein  Eifer- 
suchtsbrief chen,  zerreisst  es,  Horacio  findet  die  Papierschnitzel, 
fügt  sie  zusammen,  liest  der  Fla  via  Liebe  zu  Kosardo  heraus,  i) 
Der  Flavia  zerrissene  Eifersuchtswolke  löst  sich  in  einen  sanften 
Versöhnungsregen  durch  Horacio's  Erklärung  auf,  dass  die  Dame, 
die  Flavia  ihn  nach  Hause  habe  geleiten  sehen,  seine  Schwester, 
Julia  Horacia,  gewesen,  und  Horacio's  aus  Papierschnitzeln 
zusammengestoppelte  Eifersucht  legt  ihm  Eos ardo,  wie  ein  abge- 
richteter Zeisig  durcheinandergeworfene  Buchstaben,  so  zurecht, 
dass  Horacio  seinen  Namen  herausliest,  und  in  dem  Zwilling  Ei- 
fersucht den  Zwilling  Liebe  erkennt.  Nicht  so  leicht  liest  Leser 
und  Zuschauer  aus  den  Papierschnitzelchen  der  15.  Scene  des 
ersten  Acts  unserer  Tragi-Comedia  einen  Zusammenhang  mit  der 
Haupthandlung  heraus;  aus  den  zu  lauter  kleinen  Allotrias  zer- 
rissenen Stückelchen  des  Acts  irgend  etwas  heraus,  was  wesent- 
lichen Bezug  auf  das  Stück  selbst  hätte,  wozu  wir  auch  des  alten 
Quirino  Niederlegung  seiner  Zwischenkönigwürde,  zugunsten 
des  mittlerweile  zum  wirklichen  König  erwählten  Tulio  Hosti- 
lio,  zählen.  Auf  das  'in  medias  res  rapere'  wie  auf  das  'rapere' 
überhaupt,  verstand  sich  der  Franzose,  der  grosse  Corneille,  in 
seiner  Horaziertragödie  besser,  indem  er,  von  den  drei  Acten  des 
Lope  nur  den  dritten  Act  als  seinen  'Horace'  bestehen  liess,  als 
unvergängliches  Wahrzeichen  des  allein  von  den  Horaziern  übrig- 
und  zum  Helden  der  Horaziertragödie  erhalten  gebliebenen 
*Horace\ 

Der  zweite  Act  spinnt  das  Pensum  stereotyper  Liebeswirren 
der  spanischen  Novellen-Ritterkomödie  ruhig  weiter,  nestelt  aber 


1)  Viendolos*)  caer,  dude, 

Cogiendolos,  presumi 
Juntandolos,  lo  crei 
Legendolos  me  abrase  . 

*)  Die  Papier  Schnitzel,  los  rotos  papeles. 


Horacio's  Mantelsitz.  317 

doch  ein  Horaziermotiv  hinein,  mit  der,  des  Albaner  Königs, 
Mecio^),  inzwischen  erfolgten  Kriegserklärung  an  die  Römer 
betreffenden  Bemerkung,  die  des  Curacio  No.  I  zweiter  Bruder 
dessen  in  selbstquälerischem  Wiederkäuen  begriffener  Liebe  zu  Julia 
Horacia  hinwirft  2);  worauf  Curacio  I  seines  Geschickes  unglück- 
seligen Stern  anklagt.  3)  Horacio  tritt  vor  König  Mecio  und 
den  albanischen  Senat,  wirft  seinen  Mantel  zur  Erde,  setzt  sich 
darauf,  und  hält  im  Namen  Roms  an  die  Albaner  eine  längere 
Anklagerede,  voll  Hohn  und  Verachtung  gegen  die,  in  Vergleich 
zu  den  Römern,  barbarische  Nachbarstadt,  so  dass  König  Mecio 
und  Curacio  I  ihn  an  der  langen  Rede  kurzen  Sinn  erinnern 
müssen,  und  dass  er  sich  kürzer  und  weniger  grob  fasse,  sonst 
möchte  er  sich  nach  seiner  Rückkehr  nach  Rom  vergebens  um- 
sehen. ^)  Horacio  schleudert  der  Vetterstadt  noch  längere  und 
noch  gröbere  Injurien  wegen  Friedensbruches  in's  Gesicht,  erhebt 
sich  von  seinem  Sitzmantel,  lässt  ihn  im  Stich,  fertigt  die  un- 
maassgebliche  Aufforderung  des  Curiacio,  den  Mantel  mitzuneh- 
men, mit  der  barschen  Erwiderung  ab:  „Ich  bin  nicht  gewohnt, 
meinen  Stuhl  fortzutragen"  und  schreitet  hochbrüstig  und  stolz, 
wie  Schiller's  König  Philipp  den  Spanier  liebt,  ohne  Mantel  von 
dannen,  ihn  als  Muster  für  die  tragischen  Mäntel,  und  das  Man- 
telspiel zurücklassend,  womit  der  grosse  Corneille  seine  spanisch- 
französischen Römer  drapirt. 

Die  Wahl  des  Tulio  Hostilio  zum  König  könnte,  inbe- 
tracht  der  scenischen  Bewegung  und  Schauwirkung,  einem  Auto 
Sacramental  zur  Zierde  gereichen.  Die  darauf  folgende  Scene, 
wo  der  alte  Exzwischenkönig,  Quirino,  seine  Tochter  Fla  via, 
des  Horacio  Geliebte,  mit  dem  Kloster  bedroht  %  wenn  sie  nicht 
den  alten  von  ihm  zum  Schwiegersohn  gewählten  Senator  hei- 
rathet,  fällt  durchaus  nicht  aus  dem  Autocharakter  der  Wahl- 
scene.    Julia   Horacia  erhält  von  Fla  via   ein  Geheimbrief- 


i)  Mettus  Fuifetius.  Liv.  I.  c.  23. 

2)  Herrn.  2.  —  solo  te  lo  estorba 

La  nueva  guerra,  quo  publica  Mecio 

3)  Cur.  Ah  Jupiter,  ah  estrella  adversa  mia! 

4)  Habla  poco,  y  menos  fiero 
0  110  se  si  volveras. 

5)  Monja  seräs. 


318  l)a8  spanische  Drama.' 

eben,  worin  diese  die  Schwester  ihres  Geliebten,  Horacio,  bittet 
ihr  die  Zimmerthür  aufbrechen  zu  helfen,  die  ihr  Vater,  Quirino, 
hinter  ihr  abgeschlossen,  und  sie  aus  dem  Stubenarrest  zu  be- 
freien. Bald  erscheint  denn  auch  Julia  in  Begleitung  ihrer 
Dienerin  Eufrosina,  beide  mit  Schild  und  Speer  bewaffnet. 
Julia  hält  Fechtübungen  angesichts  der  Zofe.  ^)  Fla  via  er- 
scheint auf  dem  Balcon.  Julia  spielt  den  Galan,  und  giebt  den 
Wunsch  zu  erkenuen,  Flavia  zu  entführen,  um  bei  ihr  zu  schla- 
fen ,  oder  Flavia  bei  ihm.  -)  Julia's  Brüder ,  Horacio  II  und  III, 
kommen  zufällig  des  Wegs  daher,  die  verkappte  Schwester  bin- 
det ihnen  auf:  sie  (Julia  und  Eufrosina)  wären  die  zwei  Horacio's. 
Die  wirklichen  Brüder  berufen  sich  auf  ihre  Identität  mit  sich 
selber,  Julia  wünscht,  sie  möchten  sich  empfehlen;  wir,  dass  sie 
gleich  im  Beginn  des  Stückes  sich  ein  für  allemal  empfohlen 
hätten.  Hierauf  stösst  Julia  Flavia's  Gefängnissthür  mit  einem 
Fusstritt  ein  und  befreit  Flavia,  und  führt  sie  dem  alten  Vater 
und  abgedankten  Zwischenkönig,  Quirino,  vor  der  Nase  davon. 
Der  von  Quirino  verbannt  gewesene  Horacio  I  ist  heimgekehrt, 
um  über  die  entführte  Geliebte  eine  Jammerscene  zu  veranstal- 
ten, und  sie  vor  König  und  Senat  des  weiteren  auszuspinnen. 
Tulio  Hostilio  schlägt  ihn  auf s  Maul,  und  legt  ihm  ein  zehn- 
tägiges Stillschweigen  auf,  als  Pön,  weil  er  ihm  und  dem  Senado 
die  vom  Kriegshandel  mit  Albano  brummenden  Köpfe  mit  seinem 
Liebesgejammer  noch  voliplärrt.  3)  Curiacio  I  ladet,  im  Namen 
seiner  Vaterstadt ,  den  König  Hostilio  zu  einer  Besprechung  mit 
Alba's  König,  Mecio  ein.  Bei  dieser  Gelegenheit  reibt  sich  der 
Krakeler  Horacio  I  an  Curacio  I,  und  reibt  diesen  zugleich 
den  Landbauern  unter  die  Nase,  da  es  ja  weltbekannt,  dass  die 
Arroganz  und  Barbarei  auf  dem  Lande  zu  Hause  sey,  während 


1)  Jul.     Oje  Uli  poco,  si  sabre 

Jugar  de  la  blaiica  espada  .  .  , 

(Jugue  la  espada  aiisi.) 

2)  Querria  os,  Dama,  levar 

No  mas  de  a  dorinir  conmigo. 

3)  Tulio.   No  es  tiempo  de  hablar  de  esto, 

Silencio  es  pongo  diez  dias. 


Kampf  der  Dreibrüderpaare.  319 

die  Lebensart  im  Palast  domicilire  i) ,  und  heisst  ihn,  dess  zum 
Beweise,  ihm  in  seinen  Palast  folgen.  Curia cio  I  nimmt  die 
Einladung  mit  Freuden  an,  himmelfroh  seine  Julia  zai  sehen, 
bei  der  Horacio  nun  auch  seine  verloren,  wo  nicht  gar  von  ihrem 
Vater  ermordet  geglaubte  und  bejammerte  Plavia  findet.  Den 
Act  schliesst  ein  Liebesgeschnäbel  zwischen  Curia  cio  I  und 
Julia  Horacia,  im  Schablonenstil  eines  in  zärtlichen  Frage- 
und  Ausrufungszeichen  zerbröckelten  Frage-  und  Antwortspiels 
von  Halb-  und  Viertelsversen,  kurzathmig,  wie  ein  abgematteter 
Sperling. 

Mit  dem  dritten  Act,  den  die  beiden  unter  ihren  Feldzeichen 
aufgestellten  Heere,  Koms  undAlba's,  eröffnen,  ihre  Könige,  Tulio 
Ho  Stil  io  und  Mecio,  voran,  beginnt  die  eigentliche  Horazier- 
tragödie.  Die  Begegnung  gilt  a))er  einem,  womöglich  friedlichen 
Ausgleichsvorschlage,  der  vom  Albanerkönige  Mecio  ausgeht, 
auf  Einzelkämpfe  zielend,  von  beiderseits  erwählten  Kriegern  aus- 
gefochten,  um  dann  gemeinschaftlich,  Rom  und  Alba,  unter  Herr- 
schaft derjenigen  der  beiden  Nachbarstädte,  zugunsten  welcher 
die  Zweikämpfe  sich  entschieden  hätten,  die  gemeinsamen  Feinde, 
die  Volsker  und  Hetrurier,  zu  bekriegen.  '^)  König  Tulio  ist  im 
Namen  Roma's  damit  einverstanden.  Mecio  bietet  die  drei  Cu- 
riaci  er -Brüder,  Tulio  die  drei  Horacier  zum  Sechskampfe 
zwischen  dem  Dreibrüderpaare  an. 

Corneille,  der  dem  Lope  gleich  den  Vortheil  absieht,  dass 
er  seinem  Horace  eine  Albanerin,  die  Sabine,  zur  Frau 
giebt,  da  Lope's  Horacio  die  Römerin  Fla  via  liebt,  mithin  den 
Curiaciern,  so  zu  reden,  blank  gegenüber  steht;  ganz  der  spani- 
schen Parallelfigur  berührungsloser  Gegenüberstellung  gemäss; 
während  Corneille's  Horace  diese  Parallelhaltung  zu  einer  über's 
Kreuz  durch schlungenen  Collision  flicht,  einen  doppelten  Vortheil 
erringend:  einmal  infolge  des  dadurch  in  Gang  gebrachten  An- 


1)  La  arrogancia  en  la  campafia, 
La  Cortesia  en  palacio  .  .  . 
Si  son  barbaros  allä 

Aca  diferentes  son. 

2)  Y  jnntos  los  senores  y  sugetos, 
Vencer  podremos  nuestros  enemigos. 


320  1^2-s  spanische  Drama. 

tithesenspiels,  worin  sich  die  Betrachtungen  der  „Sabine"  über 
diese  ihre  Doppelbeziehungen  zu  Eom  und  Alba  schaukeln  und 
wiegen,  und  zweitens  durch  die  Verstärkung  des  .Motivs  der  Va- 
terlandsliebe des  Horace,  der  die  Antithese,  zu  welcher  seine 
doppelbezüglichen  Familienbande  sich  kreuzen,  mit  dem  von  sei- 
ner Schwester  Blut  gefärbten  Schwert  durchschneidet,  und  so  die 
Katastrophe  heroisch-pathetischer  färbt.  Corneille  hat  denn  auch 
seine  Freude  an  der  Sabine ,  die  er  im  „Examen  d'Horace"  mit 
bescheidener  Selbstzufriedenheit  eine  ziemlich  glückliche  Erfin- 
dung nennt.  *)  Rücksichtlich  der  Verwickelung  und  Kreuzung  des 
Antithesenmotivs  unstreitig  eine  glückliche  Erfindung.  Inwiefern 
aber  diese  glückliche  Erfindung  den  Hauptzweck  fördert:  eine 
Verstärkung  des  tragischen  Eingreifens  vonseiten  der  'Sabine'  in 
die  Katastrophe,  wird  uns  vielleicht  die  Durchführung  ihres  Cha- 
rakters zeigen:  zugunsten  der  glücklichen  Erfindung,  wenn  das 
Pathos  der  Antithesenstimmung  und  Lage  der  'Sabine'  sich  in 
kunstvoller  Steigerung  entwickelt;  zum  Schaden  der  Erfindung, 
wenn  das  ßeflexionspathos  der  'Sabine'  in  der  Monotonie  der 
Betrachtungen  über  ihre  antithetische  Gemüthslage  infolge  der 
FamiliencoUisionen  sich  erschöpfen  und  stationär  bleiben  sollte. 

Corneille  verlegt  die  thatsächliche  Prämisse  der  Tragödie: 
den  Widerstreit  zwischen  den  beiden  stammverwandten  Städten, 
Rom  und  Alba,  in  die  Coulissen,  und  wirft  gleichsam  nur  das 
pathetische  Spiegelbild  dieses  Widerstreites  als  Zwiespalt  in  Sa- 
b ine's  Seele  auf  die  Bühne,  womit  sie,  ihrer  Vertrauten  Julia 
gegenüber,  das  Stück  einleitet.  Das  wäre  vom  dramatischen  Ge- 
sichtspunkt aus  zu  loben,  wenn  dieser  Gemüthszwiespalt  sich 
nicht  seinestheils  in  blossen  pathetischen  Betrachtungen  über  sich 
selbst  abspiegelte,  mithin  kein  Spiegelbild  aus  zweiter  Hand  wäre, 
und  wenn  überhaupt  zu  einer  wahrhaft  dramatischen  Situation 
nicht  beide  Factoren  mitwirken  müssten:  das  über  sich  selbst 
schwebende  Pathos  und  das  sichtbare  Actionsmoment.  'Sabine's' 
Pathos  wiegt  sich,  wie  der  Eisvogel  Halcyone  über  dem  Nest,  was 
beim  Vogel,  dem  nautischen  Kalender  zufolge,  „schöne  Tage"  in 
Aussicht  stellt,  inbetreff  van  Sabine's  Sich  wiegen  über  einem 
eierlosen  Neste,  oder  gar  nur  Schaukelwiegen  über  sich  selbst, 


1)  ^,Le  persoimage  est  assez  heureusement  invehte!'* 


Julia  und  ilir  Bruder  Horacio.  321 

nach  dramaturgischem  Kalender,  nicht  eben  das  Vorzeichen  einer 
„glücklichen  Erfindung"  bedeuten  möchte.  Als  liebevolle  Gattin 
des  Römers  Horace  wiegt  sich  Sabine,  die  geborne  Albanerin, 
mit  einem  üebergewicht  an  Sympathie  für  Rom  i) ,  bis  auf  Wei- 
teres; mit  dem  Vorbehalte  nämlich,  dass  ihreThränen,  zugunsten 
der  besiegten  Stadt,  auf  der  Wasserwage  des  Familien-Mitleids 
schliesslich  den  Ausschlag  geben.  2)  Ihr  tragisches  Pathos  ver- 
tröstet uns  auf  die  Katastrophe,  wo  es  zeigen  werde,  wess  Geistes 
Kind  es  ist.  Bis  dahin  schwankt  es  unentschieden  zwischen  Rom 
und  Alba,  „Egale  ä  tous  les  deux."  Ist  das  aber  die  Natur  des 
tragischen  Affectes,  sich  unentschieden  hinzuhalten  bis  auf  einen 
eventuellen  Fall,  bis  auf  welchen  ihm  Alles  „egal"  ist?  Sabi- 
ne's  Schautelaifect  balancirt  in  der  Eingangsscene  noch  zwischen 
den  zwei  Punkten,  wo  die  Schlacht  selber  noch  in  der  Schwebe 
ist,  und  an  zwei  Kampfbrüderpaare  noch  nicht  gedacht  wird.  ^) 
In  Lope's  1.  Sc.  A.  3,  erfolgt  bereits  der  Vorschlag  zu  der  Ent- 
scheidung durch  dreipaarigön  Zweikampf.  Der  Franzose  hatte 
allen  Grund  mit  dem  Stoffe  von  Lope's  letztem  Act  für  seine 
fünf  Acte  Haus  zu  halten. 

Lope's  Julia  erfährt  von  ihrem  Bruder  Horacio  zuerst' 
den  beschlossenen  Austragszweikampf  durch  die  drei  Curiacier- 
und  die  drei  Horazierbrüder.  Julia  fällt  in  Ohnmacht,  Der 
Scheintod  ist  der  vom  Bruder  gleichsam  über  sie  geworfene  Vor- 
schatten ihres  spätem  Todes  von  Horacio's  Hand.  Mit  rauhem 
Römerhumor  überlässt  er  die  ohnmächtige  Schwester  der  Fürsorge 
ihrer  Dienerin,  ungestüm  nach  Essen  verlangend,  und  geht  hinein, 
um  seinen  von  der  Wölfin  geerbten  Wolfshunger  zu  stillen.  ^)  Was 
beginnt  Julia  nach  der  Ohnmacht?  Sie  weint  ihren  Schmerz 
aus,  aber  erschöpft  nicht  darin  ihre  Situation,  wie  Corneille's  Ca- 


1)  „Olli,  j'ai  fait  vanite  d^etre  toute  Bomaine 
Egale  ä  tous  les  deux  jusqu'ä  la  victoire." 

2)  —  je  garde,  au  milieu  de  taut  d'äpres  rigueurs, 
Mes  larmes  aux  vaincus,  et  ma  haine  aux  vainqueurs. 

3)  Jul.  „Mais  hier  quand  eile  sut  qu*on  avait  pris  journee, 

.  Et  qu'enfin  la  bataüle  allait  etre  donnee/* 

4)  Hör.  Di  que  de  comer  me  den 

Que  ni  se  si  es  hambre,  6  rabia 
X.  21 


322  Ö^s  spanische  Drama. 

mille  ihr  Antithesenpathos  nun  auch  ihrerseits  abschaukelt  0,  nach- 
dem sie  Schwägerin  Sabine  der  Unterhaltung  ihrer  gemeinschaft- 
lichen Vertrautin  —  einer  von  den  stabilen  Beichtmüttem  der 
classisch-französischen  Tragödie  —  angelegentlichst  empfohlen.  ^) 
Lope's  Horacierin,  Julia,  fügt  vermöge  ihres,  vom  Dichter  ihr 
eingehauchten  dramatischen  Instinctes,  dass  innere  und  äussere, 
geistige  und  schaubare  Motive  zu  einer  dramatischen  Situation 
zusammenwirken  müssen  —  Lope's  Julia  fügt  ihrem  Gefühls- 
pathos noch  ein  actionelles  Moment  hinzu:  sie  ergreift  Horacio's, 
der  Magd  übergebenes  Schwert,  um  es  mit  einem  Stein  schartig 
zu  schlagen,  und  es  dadurch  zum  Fechten  untauglich  zu  ma- 
chen.^) Wir  mögen  dieses,  behufs  voUkommner  von  einer  dra- 
matisch-theatralischen Situation  geforderter  Wirkung,  in's  Spiel 
gebrachte  Auskunftsmittel  nicht  unbedingt  loben;  noch  weniger 
die  Mithülfe  preisen,  die  der  Julia  die  hinzutretende  Flavia, 
Horacio's  Liebste,  beim  Stumpfschlagen  seines  Schwertes  leistet, 
während  er  drinnen  in  einem  gebratenen  Ochsenviertel  herumsä- 
belt —  und  auch  sie,  Flavia,  mit  einem  Steine  —  unzweifel- 
haft der  parallelen  Concordanz  zuliebe  —  leistet.  '*)  Loben  und 
preisen  müssen  wir  aber  doch  den  poetisch-dramaturgischen  Instinct 
der  beiden  Schwägerinnen:  dass  sie  die  Scene  durch  eine  ihr 
Pathos  verstärkende  und  illustrirende  Schauhandlung  beleben; 
dahingegen  die  *Camille'  des  Corneille  kein  besseres  Auskunfts- 
mittel aufgreift,  um  ihr  antithetisches  Schaukelpathos  gegen  das 
ihrer  Schwägerin  'Sabine'  zu  schattiren,  als  den  ihr  von  Julie 
unter  den  Fuss  gegebenen  'Valere',  des  Curiaciers,  ihres  Bräu- 


1)  Cam.   „Et  quels  pleurs  j'ai  verses  ä  chaque  evenement, 

Tantöt  pour  mon  pays,  tantöt  poiir  mon  amant." 

2)  „Ma  soeur,  entretenez  Julie." 
Worauf  Camille,  uns  aus  der  Seele,  bemerkt: 

„Mit  Unrecht  will  sie,  traun,  dass  ich  Euch  unterhalte**: 
,,Qu'elle  a  tort,  de  vouloir  que  je  vous  entretienne*'  . 

3)  Jul.      Quiero  ambotallo  los  filos 

Porque  no  pueda  cortar 
dame  una  piedra. 

4)  Flav.  Lo  raismo  quiero  hacer  yo 

Que  tambien  me  toca  ä  nii, 
Dadme  otra  piedra. 


Horacio's  Wolfshunger.  323 

tigams,  Nebenbuhler,  einen  der  massigsten  Nebenherläufer 
der  classisch-französischen  Tragödie,  und  einen  ihrer  zur  Dispo- 
sition gestelltesten  und  gleichwohl  diensteifrig  neben  ihrem  tragi- 
schen Stiefel  einherschlurrenden  Hemmschuhe  a.  D.  Die  Schatti- 
rung  ihres  Affectschwankens  mit  der  Balancirstange  der  Anti- 
these bewirkt  ein  fre^udiges  Gefühl,  im  Abstich  zu  Sabine's  in 
Schwermuth  ganz  und  gar,  wie  der  Biber  im  Teich waöser,  ver- 
sunkenes, und  wie  dieser  darin,  kopfunten,  radschlagendes  Pathos. 
Die  Nuance  des  „freudigen"  Contrastes  hebt  Julie  nachdrücklich 
und  verwundert,  ob  dem  heitern  und  anmuthigen  Lächeln,  womit 
sie  nur  gestern  erst  die  Camille  den  Valere  habe  „unterhalten"  sehen, 
hervor,  i)  Camille  erklärt  die  freudige  Stimmung  mit  der  Pro- 
phezeihung,  die  sie  von  einem  untrüglichen  griechischen  Zeichen- 
deuter erhalten:  dass  sie  nämlich  „mit  ihrem  Curiace  würde 
vereinigt  werden."-)  Der  durchschimmernde  Doppelsinn,  Ver- 
einigung im  Tod,  ist  eine  tragische  Folie  für  Camille's  ent- 
zückungsvolle Stimmung  3),  das  Orakelmotiv  daher  gut  erfan- 
den, und  die  Contrastschattirung  von  schöner  Wirkung  —  wenn 
nur  der  überzählige,  der  classisch-französischen  Melpomene  in  die 
Schürze  eingeschmuggelte  Contrastfindling ,  4er  *Valere\  jenem 
glücklichen  Orakelfund  nicht  die  Spitze  abstumpfte  mit  einem 
schlimmem  Stein  des  Anstosses,  als  die  beiden  Steine,  womit 
Lope's  Schwägerinnenpaar  Horacio's  Schwert  schartig  hämmert. 

Pumpsatt  kommt  nun  Lope's  Horacio  vom  Essen  und  be- 
trifft die  Schwester  und  seine  Flavia  beim  Zerhacken  seiner 
Schwertscheide.  Flavia  schiebt  es  der  Julia  zu,  die  das 
Schwert  für  das  desCuriacio  ausgegeben.  Julia  schmäht  den 
Bruder,  als  voraussichtlichen  Mörder  ihres  Geliebten,  einen  „wil- 
den Tiger,  indischen  Löwen,  Schlange  und  Harpyie."  Bruder  Ho- 
racio will  sie  todtschlagen  vor  der  Zeit  und  schon  jetzt  der  Tra- 
gicomedia  ein  Ende  machen.  4)  Zum  Glück  entwischt  ihm  Julia 
und  rettet  die  Katastrophe.   Drauf^ommfc  Curiacio  seine  Waffen 


1)  „Je  Yous  vis  encore  hier  entretenir  Valere.'* 

2)  „Et  tu  seras  unie  avec  ton  Curiace.** 

3)  „J'abandonnai  mon  äme  ä  des  ravissements/' 

4)  Fuera,  que  la  he  de  matar. 

(Hüyase  Julia.) 
21* 


3314  ß^-s  spanische  Drama- 

holen,  die  er  bei  Julia  gelassen.  Polterzank  zwischen  Horacio 
und  Curiacio,  wobei  ersterer  einen  solchen  Bramarbas  heraus- 
beisst,  als  hätte  er  drüben,  statt  eines  römischen  Ochsenviertels, 
Eisen  gefressen.  „Ich  habe  Meinesgleichen  nicht",  ruft  er,  „es 
müsste  denn  Mars  im  Himmel  seyn,  Pluto  in  der  Hölle."  ^)  Nach 
Abgang  des  Horacio  fällt  Fla  via  über  den  Curiacio  her  und 
will  ihn,  als  muthmaasslichen  Mörder  ihres  Horacio,  mit  ihren 
Händen  erwürgen  auf  gut  „römisch."  2)  Curiacio  zetert:  „Mor- 
dio,  losgelassen !"  3)  F 1  a  v  i  a  wüthet :  „Zweitausend  Albaner  bring' 
ich  um!"'*)  Wer  tritt  dazwischen?  Julia.  Nägelkampf  zwi- 
schen den  zwei  Schwägerinnen,  währenddessen  die  Flavia  den 
Curiacio  mit  den  Zähnen  festhält,  er  mag  schreien  'suelta!'  (los- 
lassen!), so  viel  er  will.  Endlich  hat  ihn  Julia  von  der  Flavia 
losgekrallt  und  diese  hinausgebissen,  und  wirft  sich  nun  mit  aller 
Liebesgluth  und  Leidenschaft  an  die  Brust  des  in  den  Kampf 
ziehenden  Geliebten,  mit  einem  Abschiedsergusse,  der  trotz  alle 
und  alledem  die  Komödie  in  ihre  tragikomischen  Ehren  wieder 
einsetzt,  und  schier  über  Julia's  familien-  und  vaterlandsverräthe- 
rische  Liebesleidenschaft  einen  entschuldigenden  Schimmer  werfen 
konnte:  ,Zieh'  hin,  göttlicher  Albaner!  dieses  Busens  schöne  Lebens- 
hälfte. Nicht  so  rauh  und  eng  ist  der  Pfad,  den  Du  zum  Tode 
wandelst,  dass  nicht  auf  ihm  Deine  Horacia,  Deine  Braut,  Dein 
Weib,  Deine  Geliebte  Dir  folge!"  ^)  den  Yers-  und  Reimzauber 
ungerechnet,  der  sich  neben  Corneille's  Alexandriner  ausnimmt, 
wie  der  um  Blumen  gaukelnde  goldene  Schmetterling,  neben  der 


1)  Yo  HO  he  tenido  segundo, 
Sino  es  a  Marte  en  el  cielö, 
Y  a  Pluton  «n  el  profundo. 

2)  Que  hecho  hare  da  romana 
Eu  ahogarte  con  mis  maiios. 

3)  Sueltame,  Flaiia  inhumana. 

4)  Matare  dos  mU  albanos. 

5)  Parte,  albaiies  divino, 
Hermosa  media  vida  deste  pecho, 
Que  ne  es  este  Camino  — 

Si  murieres  tan  aspero  y  estrecho, 

Que  por  el  no  te  siga, 

Tu  Horacia,  esposa,  tu  muger  y  amiga. 


Corneille  und  Lope.  325 

haarigen,  in  Wurmbewegungen  über  Blumen  hinkriechenden 
Eaupe»  Mag  der  Schmetterling  noch  so  regellos,  capriciös  und 
närrisch  sich  gebärden,  und  der  haarige  Eingelwurm  noch  so 
regelrecht -monoton  nach  dem  Schnürchen  sich  ein-  und  aus- 
schieben, und,  über  die  Blätter,  in  ringelgliederigen  Antithesen 
sich  fortwälzend ,  mit  pathetisch  gewundenen  Schleimspuren 
wimraelfüssig  entlang  schleichen,  schleifen  und  schliefen.  Ist 
es  etwa  kein  wurmförmiges  Hinschleichen,  wenn  am  Schlüsse 
des  ersten  Actes  von  Corneille's  'Horaces'  die  Handlung  hin- 
ter den  Coulissen  erst  bis  zu  dem  Stadium  gediehen  ist,  dass 
Curiace  seiner  ohnehin  erfreuten  Camille  die  frohe  Nach- 
richt von  dem  Friedensabkommen  zwischen  Rom  und  Alba,  auf- 
grund eines  dreipaarigen  Zweikampfes,  bringen  kann,  für  welchen 
aber  die  Kämpfer  wohlweislich  noch  nicht  erwählt  worden,  aus 
Hinhaltungs-,  Aufsparungs-  und  Spannungsgründen  dichterischer- 
seits?  Ein  immerhin  löblicher  und  wohl  auch  unter  umständen 
gebotener  Compositionskunstgrifif,  nur  muss  er  die  Acte  nicht 
an  Fortschreitungsmomenten  aushungern  wollen  und  den  Faden 
der  Handlung  so  dünn  ausspinnen,  dass  er  zuletzt  ausgeht.  Bei 
Lope  verhandeln  über  diese  Abkunft  die  beiden  Könige  selber 
(HL  1).  Corneille  lässt  sie  als  Botenbericht  den  Curiacio  der 
Camille  erzählen,  zum  Vortheil  des  Affectwechsels  und  Um- 
schlags, inbetracht  der  beiderseitigen  Freuden  des  Brautpaars 
über  einen  schönen  peripetienschwangern  Frieden.  Reicht  aber 
dieses  friedselige  Sichausschaukeln  eines  frohbräutlichen  Pathos 
zu  einem  Expositionsacte  hin,  der  noch  zwei  von  dieser  Hin- 
fristung  zehrende  Acte  vor  sich  hat?  Berechneter,  auch  drama- 
tisch kunstgerechter  mag  Corneille's  Disposition  des  Stoffes,  rich- 
tiger :  Aushungerungssystem  der  dramatischen  Entwickelungs- 
momente,  seyn  —  ein  blosses  Schemagerippe  von  dramatischer 
Handlung  bleibt  die  Tragödie  doch,  üebrigens  treffen  wir  hier 
auch  die  ersten  deutlichen  Spuien,  dass  Corneille  Lope's  Hora- 
zierstück  vor  Augen  hatte  und  benutzte.  Manche  Stelle  in  Tu- 
lio's  und  Mecio's  üebereinkunft  findet  sich  fast  wörtlich  in  Cor- 
neille's von  seinem  Curiace  darüber  an  Julia  erstatteten  Berichte.  ^) 


1)  Curiace. 
„Nous  sommes  vos  voisins,  nus  filles  sont  vos  i'emmes  . 


326  ^^^  spanische  Drama. 

In  einer  Scene,  der  die  Katastrophe  schon  hart  auf  den 
Hacken  sitzt,  nehmen  sich  Lope's  zwei  Könige  noch  die  Zeit,  die 
Eechtsfrage  zu  erörtern,  welcher  von  beiden  Städten,  Alba  oder 
Rom,  in  Nachfolge  von  Eomulus'  Grossvater,  dem  Albanerkönig, 
die  Oberherrschaft  gebühre,  bei  welcher  Gelegenheit  Tulio  die 
üeberzeugung  äussert,  dass,  wenn  die  Frage  in  einer  Akademie 
ventilirt  würde,  jede  Akademie  sich  zugunsten  Roms  entscheiden 
würde.  1)  Corneille  begnügte  sich,  das  Examen  seines 'Horace', 
wie  überhaupt  die  Examens  seiner  Tragödien,  der  Pariser  Akade- 
mie zu  unterbreiten,  die  gerade  aus  Richelieu's  Ei  ausgeschlüpft 
war,  und  deren  Scharfblick  die  Berührungspunkte,  die  Corneille's 
Horazier  mit  denen  des  Lope  darweist,  nur  deshalb  nicht  be- 
merkte, weil  ihr  eben  der  Eidotter  noch  über  Kopf  und  Augen 
träufelte.  Lope's  kleine  Scene  (9.  A.  III.),  wo  der  alte  Cayo 
Horacio^)  den  drei  zum  Kampfe  schreitenden  Söhnen  seinen 
römisch-väterlichen  Ermahnungssegen  in  Octaven  mitgiebt,  ist  so 
gewiss  die  Embryo-Scene  zu  Corneille's  würdigem  'vieil  Horace' 
und  dessen  Ansprache,  Verhalten  und  Charakter,  wie  die  üeber- 
zeugung des  Lope'schen  König  Tulio  von  der  eventuellen  Zuerken- 
nung  der  Oberherrschaft,  zugunsten  Roms,  vonseiten  jedweder 
Akademie  nur  seyn  konnte.    Hat  der  französische  Tragiker  in  sei- 


Nous  ne  sommes  qu'uü  sang  et  qu'un  peuple  dans  deux  villcs: 

Pourquoi  nous  decliirer  par  des  guerres  civiles  .  .  . 

Nos  ennemis  communs  attendent  avec  joie 

Qu'un  des  partis  defait  leur  donne  Tautre  en  proie  .  ,  . 

Ils  ont  assez  long  temps  joui  de  nos  divorces, 

Contre  eux  dorenavant  joignons  nos  forces  .  .  . 

(1.  4.) 
Mecio.   .  .  .  jontos  los  sonores  y  sugetos 

Vencer  podremos  nuestros  enemigos  .  .  • 

Tulio.    Dendos  somos,  vecinos  y  parientes 

Deterrainemos  cual  de  los  dos  pueblos 

Vendrä  sin  tanta  sangre  derramada 

Desta  suerte  ä  quedar  senor  del  otro  .  .  . 

(III.  1.) 

1)  Tulio.    Si  en  las  academias  fuera 

Ventilada  esta  question, 
Bien  Eoma  se  defendiera  .  .  . 

2)  Publius  Horatius. 


Lope  und  Corneille.  327 

nem  zweiten  Act  manches  dem  Lope  entlehnte  Motiv  gefälliger 
und  mit  feinem  Geschmack  verwoben,  so  ist  es  die  Pa9on  eben 
auch  nur,  die  ihm  eignet,  wie  die  eines  Pariser  Filzhutes  seinem 
Verfertiger  immerhin  anzurechnen  wäre,  obschon  dieser  den  da- 
für zubereiteten  Biberpelz  aus  Hanau  bezogen.  So  hat  z.  B.  Cor- 
neille in  seiner  Scene  zwischen  Horace  und  Curiace  (IL  1.) 
den  rauhhaarigen  Pilz  der  schon  erwähnten  Wetteiferscene 
(IIL  6.)  im  Bramarbasiren  zwischen  Lope's  gleichnamigen  Figuren 
nur  geschmeidiger  fajonnirt  und  appretirt,  und  ihr  mit  Bügeleisen 
und  Bürste  den  Glanz  und  Lustre  gegeben,  dank  welchem  die 
sich  überbietenden  Prahlereien  von  Lope's  Horacio  und  Curiacio 
in  Corneille's  Horace  und  Curiace  im  Schimmer  wetteifernder 
Bescheidenheit,  mit  einem  Reflex  von  römischer  ßuhmliebe  und 
stolzem  Selbstgefühl  aufseiten  der  Horace,  sich  spiegeln.  Nach- 
dem Horace  und  Curiace  durch  einen  Boten  die  getroffene 
Wahl  der  sechs  Kämpfer  erfahren  (H.  2.)  entbrennt  unter  ihnen 
ein  Vorwettkampf  in  Phrasen,  behufs  der  Contrast-Schattirung  der 
Charaktere,  wo  denn  Horace  als  der  römische  Held  erscheint, 
Curiace  der  sanftere  „Mensch''  ^),  dergestalt,  dass  Horace,  um  bei 
unserem  Gleichniss  zu  bleiben,  sich  zu  Curiace  verhält,  wie  der 
rauhe  gegen  den  Strich  aufgebürstete  Filzhut  zu  dem  glatt  und 
glänzig  weich  mit  der  Sammetbürste  geliebkosten  Seidenhut. 
Tragen  nun  aber  diese  kunstfertigen  Contrastirungs-Striche  zur 
Tragödie  selber,  zur  Erhöhung  der  tragischen  Wirkung  etwas 
bei?  Nicht  das  Mindeste.  Desgleichen  scheinen  uns  in  des  Ho- 
race brüderlichen  Ermahnungen  an  seine  Schwester  Camille  (H.  4.) 
die  heftigen,  ungestümen  und  selbst  ungeschlachten,  von  Lope's 
Horacio  gegen  die  Schwester  gerichteten  Zurechtweisungen  nur 
in's  Feinere,  Manierlichere,  urageleckt.  Aehnliches  ist  bei  Cor- 
neille's  Scene  H.  5.  der  Fall,  wo  des  Curiace  Abschied  von  Cor- 
neille (H.  5.)  an  *den  des  Curiacio  von  Julia  Horacia  anklingt 
(HL  7.  und  H.  19.),  wie  etwa  eine  sentimentale,  verblasene  Phan- 
tasie an  den  thematischen  Kern. 

Sabine's  Rath  an  ihren  Bruder  Curiace  und  ihren  Gatten 


1)     Cur.   J'ai  le  coeur  aussi  bon;  mais  enfin  je  suis  homme  . .  . 
Hör.  La  noble  vertu  dont  je  fais  vanite 

N'admet  point  foiblesse  avec  sa  fermete. 


328  I^^s  spanische  Drama. 

Horace,  sie  zu  tödten,  um  sich  mit  gutem  Gewissen  dann  gegen- 
seitig abzuschlachten  i) ,  diese  hyperpathetische  Zumuthung,  fünf- 
zig Alexandriner  schwer,  wirft  ein  solches  Lastgewicht  in  die 
Schaale  der  antithetischen  Schaukelwaage,  dass  die  Schnüre  reissen 
und  der  Waagebalken  sich,  einseitig,  Recht  beugend,  krümmt.  Sa- 
bine's  Thränen  verrathen  nur  zu  sehr  den  von  hydrostatischen 
Calkülen  ausgepressten  Seh  weiss,  der  dem  Dichter  von  der  Stirne 
über  die  Wangen  läuft.  2) 

Corneille's  dritter  Horazier-Act  ist  einer  der  stolzesten  Tro- 
phäen seiner  tragischen  Kunst.  3)  Schon  Sabin e's  erste  zwei 
Verse,  womit  sie  den  Act  eröffnet,  wirken  überraschend  durch 
ihren  Aufruf  an  ihre  „Seele",  die  pathetische  Schaukelwaage  an 
den  Nagel  zu  hängen,  Farbe  zu  bekennen  und,  wie  es  sich  für 
einen  Tragödienhelden  ziemt,  eine  entschiedene  Partei  zu  er- 
greifen. 4)  Leider  versetzt  das  Sichselbstaufrütteln  zu  einer  festen 
Parteiergreifung,  zu  einem  entschlossenen  tragischen  Pathos,  die 
balancirenden  Wagschaalen,  deren  Natur  gemäss,  in  noch  stär- 
keres Schwanken  zwischen  der  „Ursache"  des  schwägermörderischen 
Tripelzweikampfs,  —  zwischen  der  „gloire",  den  die  Drillings- 
brüderpaare durch  ihre  Aufopferung  für's  Vaterland  erworben,  — 
und  zwischen  den  „Händen",  den  verschwägerten  „Händen"  und 
„Armen",   welche  solchen  Sieg  erfochten.^)    Die  Kunst  hinhal- 


1)  Qu'un  de  vous  deux  me  tue,  et  qiie  Fautre  me  venge, 
Alors  votre  combat  ^'aura  plus  rien  d'etrauge  .  .  . 

(H.  6.) 

2)  „Es  gilt  für  ausgemacht*'  —  sagt  P.  Corneille  im  'Examen  d'Ho- 
race'  —  „dass  der  zweite  Act  (des  ^Horace*)  einer  der  pathetischsten  ist, 
den  das  Theater  aufzuweisen  hat'':  „II  passe *pour  constant  que  le  second 
act  est  un  des  phis  pathetiques  qui  seien t  sur  la  scene."  Vor  unserer 
Prüfungscommission  hat  der  „zweite  Act"  sein  Examen  nicht  so  gut 
bestanden.  —  3)  Corneille  lässt  ihn  als  einen  der  kunstreichsten  der  tra- 
gischen Bühne  von  aller  Welt  rühmen:  „le  troisieme  un  des  plus  arti- 
ficieux." 

4)  Prenons  parti,  mon  äme,  en  de  telles  disgraces, 
Soyons  femme  d'Horace,  ou  soeur  des  Curiaces: 
Cessons  de  partager  nos  inutiles  soins; 
Souhaitons  quelque  chose,  et  craignons  un  peu  moins. 

5)  Songeons  pour  quelle  cause  et  non  par  quelles  mains  . .  . 


Pathos  der  Sabine  des  Corneille.  329 

tender  Incidenzen,  die  den  Faden  der  Handlung,  sie  bis  in's 
Kautschukfädenartige  verdünnend,  ausziehen  und  spinnen,  ohne 
dass  er  reisst,  treibt  die  als  Weberschiffchen  hin-  und  hersau- 
sende Botenläuferin,  die  AUerwelts- Vertraute,  die  Julie,  auf 
die  äusserste  Spitze  mit  der  Meldung  an  Sabine:  dass  beide 
Heere,  von  mitleidvoller  Bewunderung  der  Drillingskämpfer  hin- 
gerissen, sich  dem  Sextett-Duell  widersetzt,  und  die  Kämpfer- 
paare auseinander  gebracht  hätten,  i)  Schon  klammert  sich  Sa- 
bine's  fluctuirende  Seele  an  den  Strohhalm  eines  einzigen  ent- 
schiedenen Freudegefühls  —  da  wirft  Julie's  fernere  Meldung  von 
der  Unerschütterlichkeit  der  drei  Kampf brüderpaare:  das  Sechs- 
schwägerduell coute  qui  coute  zu  Ende  zu  fechten  —  da  wirft 
diese  Kunde  die  Eettungsplanke,  worauf  Sabine's  Pathos  nun  doch 
wenigstens  festgebunden  in  den  Hafen  geschwemmt  werden  zu 
können  vermeinte,  wieder  um,  und  Pathos  und  Planke  fluthet 
nach  wie  vor,  auf-  und  niedertauchend  wie  eine  Boje,  Bake  oder 
Schwimmtonne,  in  einem  Thränenmeer,  das  der  tragische  Stiefel 
trockenen  Fusses  durchschreitet,  und  das  so  reich  an  tragischer 
Salzfluth  ist,  wie  der  „Thränensee"  im  Monde,  der  bekanntlich 
keinen  Tropfen  Wasser  enthält. 

Nun  carambolirt  Sabine's  Freudeeffect  mit  Camille's  ilirem 
so  zusammen,  dass  Beider  Gemüthserschütterungen,  wie  zwei  gegen- 
einander stossende  Billardkugeln,  rückwärts  rollen,  infolge  ei- 
nes solchen,  das  Spiel  verzögernden  Hinhaltungsanpralles,  was 
Camille  selbst  der  Schwägerin  zu  bedenken  zu  geben,  nicht  um- 
hin kann.  2)  Das  Traurigste  bei  diesem  Ballspiel  eines  hin-  und 
hergeworfenen  Pathos   ist,    dass    die   Situationswirkung   in   die 


Und  nach  einer  Mandel  weiterer  Antithesen-Alexandriner-Paare,  umschla- 
gend in  das  Widerhaltspathos: 

Je  songe  par  quels  bras,  et  non  pour  quelle  cause. 

1)  Et  ne  pouvant  souffrir  un  combat  si  barbare, 
On  s'ecrie,  on  s'avance;  enfin  on  les  separe. 

2)  Ce  delai  de  nos  maux  rendra  leurs  coups  plus  rüdes; 
Ce  n'est  qu'un  plus  long  terme  ä  nos  inquietudes. 
Et  tout  rallegement  qu'il  en  faut  esperer, 

C^est  de  pleurer  plus  tard  ceux  qu'il  faudra  pleurer. 
Respect-Thränen  also  auf  einen  trockenen  Wechsel,  den  Melpomene  mi^, 
Protest  zurückweist. 


330  I^äs  spanische  Drama. 

Krümpe  geht.  Denn  wie  sollen,  bei  dieser  Zertheilung  eines  ohne- 
hin schwankend-schwächlichen  Pathos,  und  bei  dessen  Vertheilung 
auf  so  viele  Scenen,  Situationsschläge  erfolgen  von  der  Kraft  und 
hinreissenden  Gewalt,  die  Lope's  Situationsgenie  ausströmt?  Die 
vom  glänzenden  Regenbogen  umwobenen  Schaumstrudelüuthen,  die 
ein  Walfisch  mit  den  riesigen  Schwanzflossen  um  sich  herschlägt, 
und  das  spinnwebartige  Gekräusel,  das  um  ein  in's  Wasser  ge- 
wipptes Sandkörnchen  (scrupulus),  das  analog  dem  Scrupel- 
pathos  der  Antithesentragik  des  Corneille,  in  kaum  sichtbaren  ßin- 
gelchen  verzittert:  solcher  Abstich  waltet  zwischen  Lope's  und 
Corneille's  Situationswirkung  in  der  durch  Incidenzen  fortbeweg- 
ten Handlung.  Eine  besondere  Scene  ist  sogar  der  haarspalten- 
den Disputation  derCamille  und  Sabine  über  das  Netto-,  Brutto- 
und  Taragewicht  ihres  gegenseitigen  Argumentationspathos  ge- 
widmet. ^) 

Nur  ein  einziges  dem  Livius  mit  bestem  Erfolg  entlehntes  2) 
und  dem  Lope  mit  glücklichstem  dramatischen  Effect  über  den 
Kopf  weggenommenes  Incidenzmoment  erhebt  sich  aus  Corneille's 
drittem  Act  — -  aus  seiner  Horace-Tragödie  überhaupt  —  als  Hoch- 
punkt seines  tragischen  Genies:  das  Incidenzmoment,  infolge  der 
verfrühten,  dem  alten  Horace  zugegangenen  Kunde  von  seinen  im 
Zweikampf  gegen  die  Curiacier  erlogenen  zwei  Söhnen,  von  der 
Flucht  des  Einen  der  Drillinge,  des  Horace:  eine  durch  römi- 
sches Pathos  und  theatralische  Spannung  mit  Recht  gepriesene 
Scene  (HL  5.)^  die  in  jenes  noch  heutigentags  als  das  non  plus 
ultra  der  französisch-classischen  Tragödie  von  den  Franzosen  an- 
gestaunte „Qu'il  mourüt!"  sich  zuspitzt,  und  so  oft  Vater  Horace 
den  Interjectionsblitz  schleudert,  noch  jetzt  mit  einer  minuten- 
lang anhaltenden  Donnersalve  bejauchzt  wird,  als  etwas  in  der 
Bühnenwelt  Unerhörtes,  Einziges.  Ein  Wunderlorbeerzweig,  den 
französischen  Brettern,  gleich  jenem  Lorbeerbusche,  entsprossen, 


1)  Camille. 

Mais  ä  bien  regarder  ceux  (les  maux)  oü  le  ciel  me  plonge 
Les  votres  aupres  d'eux  vous  sembleront  un  songe  .  .  . 
Sabine. 

Nos  sentimens  entre  eux  demenrent  suspendus, 
Notre  choix  impossible,  et  nos  voeux  confondus. 

2)  Liv.  a.  a.  0.  c.  25. 


Corneille's  unsterbliches  'Qu'il  raourüt'.  331 

welcher,  als  Siegeswahrzeichen,  bei  Actium  aus  dem  Hinter- 
theile  des  Gäsar'schen  Admiralschiffes  hervorwuchs.  Vielleicht 
aber  trotzdem  ein  ewiggrünes  Lorbeerreis  ingestalt  eines,  gegen 
sonstige  Lorbeerart  i),  Blitze  —  Beifallsblitze  nämlich,  zum  Ein- 
schlagen hervorrufenden  Epiphonema's  —  vielleicht  trotz  dieser  Ein- 
zigkeit, gleichwohl  ein  ünsterblichkeitszweiglein,  aus  dem  Hesperi- 
den-Garten  der  spanischen  Comedia  gepflückt  und  vom  grössten 
französischen  Tragiker  durch  seine,  nach  dem  Muster  römischer 
Cypressen,  im  Style  französischer  Ziergärten  geschorenen  tragischen 
Zwergcypressen  geschlungen.  Denkbarererweise  vielleicht  doch 
nur  ein  Zweigelchen  in  demselben  Lorbeerhaine  gebrochen,  woraus 
der  grösste  französische  Tragiker  ganze  Lorbeersträuche  und  Ge- 
büsche in  seinen  „Cid"  verpflanzte,  aus  Guillen  de  Castro's 
Lorbeerwäldchen  nämlich,  wenn  nicht  just  aus  dessen  Cid- 
Tragicomedia ,  so  doch  möglicherweise  aus  Guillen  de  Castro's 
Lusspiel:  „Die  schlimmen  Ehepaare  aus  Valencia."'^) 
In  dieser  Comedia  des  Guillen  de  Castro,  und  gleich  im 
Beginn  derselben,  fragt  der  eine  Ehemann  die  treue,  ihren  ab- 
wesenden Mann  liebende  Gattin,  nachdem  er  ihr  die  unwider- 
stehliche Gewalt  des  von  ihr  in  seinem  Herzen  aufgeregten  Lie- 
besfeuers geschildert,  —  er  fragt :  „was  er  unter  solchen  Umstän- 
den thun  solle?"  Worauf  die  brave  Gattin  —  wie  Corneille's 
alter  Horace  auf  Julia's  Frage:  „Was  wollt  Ihr,  dass  er  gegen 
Drei  thun  sollte?"  —  antwortet:  „Qu'il  mourüt!"  „Sterben!"  — 
ähnlich  auf  jene  Frage  erwidert:  „Sterben  und  schweigen!"  ^)   Das 


1)  worauf  auch  der  alte  Horace  anspielt; 

„Lauriers,  sacres  rameaux  qu'on  veut  reduire  en  poudre, 
Vous  qui  mettez  sa  tete  ä  couvert  de  la  foudre."      (V.  3.) 

2)  Los  mal  casados  de  Valencia. 

3)  Julie.  Que  vouliez-vous  qu'il  fit  contre  trois? 
Le  vieil  Horace. 

Qu'il  mourüt. 

4)  Valerian.  (»Que  importa,  si  de  tus  ojos 

Vi  salir  rayos  de  fuego?  .  .  . 
Pues  si  me  siento  abrasar 
Con  ellos  el  pecho  mio, 
Esclavo  de  mi  albedrio, 
(^Que  hare? 
Ipolita.  Morir  y  callar. 


332  ^^s  spanische  Drama. 

„Schweigen"  schwieg  er  todt,  der  grösste  französische  Tragiker, 
und  soufflirte  seinem  alten  Horace  nur  das  ihn  unsterblich  ma- 
chende „Sterben!"  „Qu'il  mourüt!"  —  Eine  blosse  Conjectur  von 
unserer  in  alle  Töpfe  guckenden  analytisch-comparativen  Kritik, 
eine  blosse  Conjectur,  die  der  Lorbeerkrone  auf  des  grossen  Cor- 
neille unsterblichem  Haupte  ja  doch  nichts  anhaben  könnte,  und 
wenn  sie  der  Blitz  selber  wäre,  gegen  den  bekanntlich  der  Lor- 
beer so  unversehrbar  schützt,  dass  Kaiser  Tiberius,  da  er  noch 
keinen  Adolph  Stahr  zur  Hand  hatte,  seinen  Cäsar'schen  Schei- 
tel, so  oft  es  blitzte,  durch  eine  aus  Lorbeerblättern  geflochtene 
Schlafmütze  sicher  stellte  und  blitzfest  machte.  0  Des  Tiberius 
Gewitterhaube  erwies  sich  als  ein  so  trefflicher  Blitzableiter,  dass 
besagter,  als  posthumer  Ehrenretter  bei  den  Manen  der  römisch- 
imperatorischen  Scheusale  und  Scheusalinnen  angestellter  Kam- 
merdiener noch  jetzt  nachträglich  deren  infernalische  Schatten- 
häupter mit  des  Tiberius  Lorbeernachtmütze  gegen  die  Blitze  des 
Tacitus  schützt.  Ein  St  aar,  der  des  Tiberius  Manenschädel  mit 
dessen  Lorbeerschlafhaube  als  Gewitterabieiter  gegen  die  Don- 
nerkeile in  den  Fängen  des  Adlers  der  römischen  Geschicht- 
schreiber sichert  •—  und  dabei  wie  ein  Rohrspatz  auf  Adler  und 
Donnerstrahlen  loskeift  und  schimpft  —  das  gäbe  ein  gar  vor- 
zügliches emblematisches  Bildchen  als  Vignette  oder  cul  de  lampe 
auf  den  kleinen,  grossen  und  vermischten  Blättern,  woraus  der 
seltene  Vogel  sein  Nest  baut,  und  worin  er  so  warm  auf  fremden 
Lorbeerblättern,  fremden  Federn  und  fremden  Eiern  sitzt,  und 
so  rüstig  heckt  und  brütet:  das  Widerspiel  zum  Kukuk,  ein  Anti- 
kukuk,  der  in  alle  fremden  Nester  schlüpft,  in  welche  die  Ku- 
kuke  ihre  Eier  legen,  um  selbe  als  die  seinigen  auszubrüten. 
Nur  mit  den  Adlernestern,  wie  des  Tacitus  Annalen  und  Ge- 
schichten z.B.,  macht  der  seltene  Vogel  eine  Ausnahme:  Ausser- 
stande ein  Adlerei  zu  befruchten,  begnügt  er  sich,  das  Adlernest 
zu  beschmutzen ;  da  er  nicht  darin  nisten  kann,  so  muss  er  we- 
nigstens darin  m— 

Doch  wenden  wir  uns  von  der  rarissima  avis  —  Staar,  Rohr- 


1)  Tonitrua  tarnen  praeter  modum  expavescebat,  et  turbatiore  coelo 
nunquam  non  coronam  lauream  capite  gestavit,  qnod  fulmine  adflari  nege- 
tur  id  genus  frondis.  Suet.  Tib.  c.  59. 


Peter  Aretin's,  Lope's  und  Oorneille's  *Horazier\  333 

spatz,  Antikukuk,  diebische  Elster  und  Krähe  in  Einem  Feder- 
pelz -—  wenden  wir  uns  wieder  zu  der  grossen  französischen 
Krähe  (Corneille)  in  den  Pfauenfedern  der  spanischen  Comedia 
zurück! 

Bis  zum  vierten  Act  des  'Horace'  gelang  es  dem  grössten 
Tragiker  der  Franzosen,  die  Spuren  seines  Vorgängers  in  der  Ho- 
razier-Tragicomedia:  'El  honrado  Hermana',  geschickt  genug  mit 
dem  Eeisig  seiner  Lorbeerabfälle  zu  verdecken ,  sie  aber  freilich 
auch  gerade  dadurch  für  den  Kenner  solcher  Fährten  um  so  deut- 
licher zu  bezeichnen,  wie  Jäger  die  Wildspur  mit  abgebrochenen 
Zweigen  (brisee)  als  Merkzeichen  bestreuen.  Diese  Geschicklich- 
keit des  grossen  Franctireur-Freischützen  auf  spanischem  Jagd- 
revier hatten  wir  bereits  Gelegenheit,  einlässlich  der  Zergliederung 
von  Peter  Aretin's  gleichfalls  von  Peter  Corneille  gekannter,  be- 
nutzter, aber  in  seinem  selbst-kritischen  'Examen'  des  'Horace' 
unter  dessen  eigenen  Lorbeerzweigen  spurlos  begrabener  Horazier- 
Tragödie  COrazia')  zu  bewundern  und  zu  preisen,  i)  Unser  Lob- 
preis darf  sich  sogar  auf  die  ähnliche  Bravour  erstrecken,  womit 
Corneille,  wie  hinsichtlich  Aretin's  'Orazia',  so  auch  inbetreff 
des  Horazierstückes  von  Lope,  seine  Vorlage  veredelt,  verfeinert, 
in  vieler  Beziehung  verbessert,  mithin  ein  rühmliches  Werk  voll- 
bracht hat,  woran  nur  die  Rüge  haften  bleibt,  dass  er  jene  Vor- 
lagen im  Examen  verschwieg.  Anders  verhält  es  sich  mit  dem 
vierten,  dem  Katastrophenact  des  'Horace',  mit  dem  Schwester- 
mord, bezüglich  dessen  eine  so  offenbare  Nachbildung  des  ana- 
logen Vorgangs  in  Lope's  'Honr.  Herm.'  (IIL  11),  bei  so  fraglicher 
Verschönerung  und  Wirkungsverstärkung,  vorliegt,  dass  die  Ver- 
schweigung der  Quelle  einer  hart  an's  Plagiat  streifenden  Unter- 
schlagung gleichkommt. 

Corneille's  Vertheilungskunst  und  hinhaltendes  Fortspinnungs- 
geschick,  bezüglich  eines  dem  Situations-  und  Stimmungswechsel 
günstigen  Motivs,  bewährt  sich  auch  zu  Anfang  des  vierten  Acts, 
wo  der  alte  Horace,  noch  unter  dem  Eindrucke  von  Julie's  ver- 
frühtem Bericht  über  des  Horace  Flucht,  just  durch  Valere  diese 
Flucht  als  eine  ruhmvolle  Kriegslist  mit  triumphirendem  Vater- 


1^  Gesch.  d.  Dram.  V.  S.  356  ff. 


334  ^as  spanische  Drama. 

und  Eömerstolze  erkennt.  0  Unstreitig  dienen  solche  Wendun- 
gen, Umschläge  und  Umspränge  in  Situationen  und  Gemüths- 
lagen  zur  Erhöhung  der  dramatischen  Effecte,  wenn  sie  nämlich, 
wie  bei  Sophokles'  König  Oedipus,  nicht  blos  aus  äusserlichen 
Wandlungen  der  Ereignisse,  sondern  zugleich  aus  dem  Charakter 
und  der  Gemüthsverfassung  der  tragischen  Person,  aus  der  un- 
heilvollen Verblendung  des  Oedipus  z.  B.,  entspringen.  Dem 
entgegen  erfolgen  in  Corneille's  'Horace'  die  durch  das  ganze 
Stück  zerstreuten  Incidenz-Peripetieen  und  dadurch  hervorgeru- 
fenen Stimmungswechsel  und  Umschwünge  lediglich  aus  äusser- 
lichen Zwischenereignissen,  ja  nach  den  Vorfällen  auf  dem  Kampf- 
platz, und  deshalb  auch  ohne  bestimmende  Einwirkung  auf  die 
Katastrophe,  die  doch  nur  gleichsam  das  Facit  aller  vorherge- 
gangenen Gemüthswandlungen  und  Peripetieen  zieht.  Bewirkt  dies 
nun  die  Katastrophe  im  IV.  Act,  der  Schwestermord?  Welchen 
Einfluss  üben  die  Affectwechselungen  bei  dem  alten  Horace,  in- 
folge jenes  Eingangsberichtes  über  des  Sohnes  Flucht,  auf  diese 
Katastrophe?  Welchen  die  so  feinberechneten,  auf  so  viele  Sce- 
nen  vertheilten  und  die  Handlungsmomente  nahezu  ausschliess- 
lich bestreitenden  Hinhaltungen  jener  in  blosse  Meldungen  über 
die  Kampfesstadien  aufgehenden  Incidenzen  —  welcherlei  Ein- 
wirkung üben  sie  überhaupt  auf  die  tragische  Entwickelung?  Es 
ist  merkwürdig,  dass  der  dramaturgisch  so  wohlgeschulte  franzö- 
sische Tragiker  das  kritische 'Bewusstseyn  davon  hatte,  aber  nicht 
die  technisch-dramatische  Einsicht  und  Kunst,  nicht  die  tragi- 
sche Anschauung  besass,  um  den  Mangel  des  tragischen  Zusam- 
menhangs seiner  Peripetieen  mit  der  Katastrophe  aus  der  eigent- 
lichen Ursache  abzuleiten  und  demselben  abzuhelfen.  Er  tadelt  mit 
der  Offenheit  eines  grossen  Geistes,   dass  „diese  Action",  der 


1)  Le.  V.  Hör. 

0  mon  fils!  6  ma  joie!  6  Thonnetir  de  nos  jours! 
Im  'Examen'  weiss  sich  auch  der  grosse  französische  Tragiker  nicht  wenig 
mit  dieser  glücklichen  Benutzung  des  von  Livius  ihm  an  die  Hand  gege- 
benen, und  von  Lope  unbeachtet  gebliebenen  Motivs.  Vom  dritten  Act 
heisst  es  daselbst:  „H  est  soutenu  de  la  seule  narration  de  la  moitie 
du  combat  des  trois  freres,  qui  est  coupe  tres-heureusement  pour  laisser 
Horace  le  pere  dans  la  colere  et  le  deplaisir,  et  lui  donner  ensuite  un  beau 
retour  a  la  joie  dans  le  quatrieme. 


Peter  Aretin's,  Lope*s  und  Corneille's  'Horazier\  335 

Schwestermord  nämlich,  eine  Eingebung  des  Augenblicks  sey; 
dass  sie  nicht  die  von  Aristoteles  vorgeschriebene  „Grösse",  d.  h., 
keinen  Anfang,  keine  Mitte  und  kein  Ende  habe,  mit  andern 
Worten,  keine  kunstgemäss  durch  das  ganze  Stück  vorbereitete 
Thathandlung  sey,  sondern  plötzlich  überrasche.  ^)  Nach  solchem 
Aufwand  und  Aufgebot  von  Spannungswirkungen  durch  äusser- 
liche  Incidenzbehelfe  eine  Stegreifskatastrophe!  Die  schlimmste 
aller  dramatischen  Peripetieen,  indem  sie  das  Drama  selbst  über 
den  Haufen  wirft;  die  Katastrophe  der  Katastrophen,  da  sie  die 
Tragödie,  die  eben  in  einer  tragisch  nothwendigen  Entwickelung 
und  Schlussfolgerung  aus  gegebenen  Prämissen  besteht,  ad  ab- 
surdum führt!  Sollte  Lope,  der  sich  im  Ganzen  genauer,  als 
Corneille,  an  Livius  hält,  sollte  er  das  vom  römischen  Geschicht- 
schreiber dargebotene  Fluchtmotiv  wohl  gar  mit  gutem  Bedacht, 
aus  Compositionsgründen,  unbenutzt  gelassen  haben,  weil  er  den 
Schwestermord  mehr  durch  Concentration  der  Handlung  im 
Schlussact',  als  durch  Hinhalten  der  Incidenzwandlungen  zu  mo- 
tiviren  dachte?  Wir  möchten  es  glauben,  wenn  Lope's  Stücke 
nicht  selber  unerschöpfliche  Vorrathskammern  von  improvisirten 
Katastrophen  wären,  und  wenn  er  nicht,  seiner  geschichtlichen 
Vorlage  sich  anschliessend,  in  augenfälligen,  theatralisch  that- 
sächlichen,  nicht  blos  erzählten  Vorgängen,  die  Horazier-Kata- 
strophe  in  einer  Aufeinanderfolge  von  rasch  und  kräftig  wirken- 
den Scenen  zum  Abschluss  hätte  bringen  wollen.  Bemerkens- 
werth  bleibt  es  immerhin,  dass  trotzdem  der  Schwestermord  bei 
Lope  durch  den  spanisch  brutalem  Heroismus  desHoracio,  der 
ihn,  wie  wir  sahen,  schon  im  zweiten  Act  zu  einem  Mordanfall 
auf  die  Schwester  hinreisst,  besser  begründet  und  vorbereitet 
wird,  als  dies  dem  grossen  Corneille  zu  'seinem  Leidwesen  ge- 
lingen wollte.  Seltsam  genug,  dass  beim  rohen  Genieinstinct 
selbst  die  Kunst  bisweilen  besser  zu  Theile  kommt,  als  bei  dem 
schärfsten  Calkül  nach  Maassregeln  und  Gesetzen.  Alle  Schluss- 
wirkungen, wie  in  einen  Brennpunkt  zusammendrängend,  führt 


1)  .  .  .  ,,cette  action  qiü  devient  la  principale  de  la  piece,  est  momen- 
tanee,  et  n'a  point  cette  juste  grandeur  que  lui  demande  Aristote,  et  qui 
consiste  en  un  commencement,  un  milieu,  et  une  fin.  Elle  surprend  tout 
d'un  coup''      .  , 


336  Öas  spanische  Drama. 

Lope  seiner  Julia  Horacia  dem  noch  vom  wannen  Blute  der 
drei  Curiaeierbrüder  triefenden  Schwerte  ihres  Bruders  entgegen, 
unmittelbar  nachdem  Horacio,  den  Tod  seiner  zwei  Brüder, 
angesichts  der  beiden  Heere  und  Könige,  gerächt  hat,  ohne 
riuchtpause  und  mit  heldenhaftem  Ermuthigungsanruf  an  Rom, 
dessen  ganzes  Gewicht  er  nun  allein  in  die  Hand  nehme,  und 
mit  [der  bedrohungsvollen  Mahnung  an  die  Curiacier,  dass  er, 
nun  von  drei  Seelen,  der  eigenen  und  den  Seelen  der  hingestreck- 
ten Brüder,  entflammt,  mit  dreifacher  Tapferkeit  fechte.  „Die  ver- 
einte Kampfesstärke  bin  ich,  hochmüthiger  Curiacio,  denn  die 
vertheilte  wirkt  mit  schwächerer  Kraft."  ^)  ...  Ein  Merks, 
das  auch  die  Vertheilungskunst  des  französischen  Tragikers  sich 
hinter  das  Ohr  schreiben  mag!  In  dieser  Situation  erblickt  Ho- 
racio seine  Schwester  auf  ihn  zuschreiten,  die  ohne  Umschweife, 
ohne  Brimborien,  ohne  Ermahnungen  vonseiten  des  Bruders, 
dergleichen  Corneille's  Horace  erst  ein  Langes  und  Breites  aus- 
kramt, um  jetzt,  in  der  zwölften  Stunde,  die  versäumte  „Vorbe- 
reitung" der  Katastrophe  anzubahnen  2)  —  sogleich  in's  Geschirr 


1)  (Taquen,  y  hagase  la  batalla,  caigan  muertos  los  dos  Horacios, 
quede  el  uno  con  los  tres  albanos,  y  parando  las  cajas,  diga.) 

Her.  No  desmayeis,  romanos,  yo  soy  vivo 

Horacio  soy,  y  agora  mas  valiente, 

Porque  las  almas  destas  tres  recibo, 

Y  SU  valor  rae  anima  juntamente, 

Virtud  unida  soy,  Curiacio  altivo, 

Que  la  esparcida  menos  valor  siente, 

Animo  Roma,  no  desmayes  Roma, 

Todo  tu  peso,  Horacio,  en  brazos  toma. 
(Torneu  a  tocar,  y  mate  los  tres  Curiacios  el  solo  y  quite  a  Curiacio  el 
manto  que  le  dio  Julia.*) 

Venci  albanes,  venci  Roma  triunfante, 

Alba  es  esclava  vuestra. 

2)  —  „et  toute  la  preparation  que  j'y  ai  donnee  par  la  peinture  de 
la  vertu  farouche  d'Horace,  et  par  la  defense  qu'il  fait  ä  sa  soeur  de 
regretter  qui  que  ce  soit  de  lui  ou  de  son  amant  qui  meure  au  combat, 
n'est  point  süffisante  pour  faire  attendre  un  emportement  si  extraordinaire, 
et  servir  de  commencement  ä  cette  action  (dem  Schwestermorde  nämlich)." 
Jlxamen. 

♦)  Liv.  c.  26. 


Oorncille's  „Camille"  und  Lope's  Julia.  337 

geht  und  dem  Bruder  mit  dem  Zweck  ihres^  Kommens  wie  mit 
dem  Donnerwetter  über  den  Kopf  kommt:  „Ich  komme  nicht, 
feindseliger  Bruder,  um  Deines  Kahmes  für  Eom  gepflückte 
Frucht  zu  schauen,  ich  komme,  um  gehüllt  in  Trauer,  mei- 
nen Albaner-Gatten  zu  beweinen.  Nicht  komme  ich  in  Freude, 
diesen  Tag  zu  feiern,  sondern  in  thränenvoller  Betrübniss,  weil 
Du  der  Mörder  des  Lebens,  das  mein  Leben  war.  Nicht  komme 
ich,  Deine  ruhmesstolze  Kriegsbeute  zu  betrachten,  sondern  mein 
eigenes  Leid  zur  Schau  zu  tragen,  und  Dich,  verruchter  Blut- 
mensch, mir  gegenüber  zu  sehen.  Ich  komme  nicht.  Dich  in 
meine  Arme  schliessen,  wie  meinen  Gatten  ich  umarmt  hätte, 
den  Du  zerstückt.  Nur  wenn  meine  Arme  Seile  und  Stricke 
wären,  würde  ich  sie  mit  Wonne  um  Deinen  Hals  schlingen  .  .  . 
Ich  komme,  damit  Du  meine  Brust  mit  diesem  Verrätherschwert 
durchstossest,  dem  Werkzeuge  Deiner  Blutthat,  und  damit  des 
Geliebten  Blut  sich  mit  meinem  mische,  und  Du  das  mit 
seinem  entrissenen  Blut  durch  Dein  Schwert  in's  Herz  mir 
flössest  .  .  .  Kom  und  König,  thöricht  handelt  Ihr,  dass  Triumph 
und  Siegesruhm  Dem  Ihr  spendet,  der  in  meinem  Geliebten  sein 
Weib  erschlagen.  Ich  bin  Curiacio,  ja  ich  bin's.  Drum  gieb 
den  Tod  mir,  ßom  . . .  Leg  ab  den  Mantel  und  die  Siegesbeute, 
verruchter  Horacio,  denn  ich  fertigte  sie  mit  diesen  Augen." 
Nach  wenigen  Worten  überwältigenden  Grimmes  stösst  sie  der 
Bruder  nieder. 

üeberbietet  auch  Corneille's  'Camille'  Lope's  Julia  durch 
ihr  rabbiateres  Verfluchungspathos,  das  uns,  Berliner  Publicum, 
noch  von  der  Rachel  her  durch  Mark  und  Bein  rieselt^),  deren 
über  den  Bruder  und  Eom  ausgegossene  Flüche  klingen,  als 
sprängen  ihr  ein  Dutzend  blutige  Melpomenen-Dolche  aus  dem 
kleinen  Vipermunde,  und. als  trüge  sie  die  Rassel  der  Klapper- 
schlange im  Munde,  Gift  aus  derselben  spritzend  —  überflucht 
Camille  die  Julia  auch  um's  Doppelte  und  Dreifache,  so  bleibt 
die  Situation  und  das  Pathos  doch  dasselbe,  und  es  lässt  sich, 
wohl  mit  Fug  annehmen,  dass  der  französische  Tragiker  sich  den 
rhetorisch-tragischen  Haarbeutel  oder  Affen  zu  seiner  parenthyr- 
sischen  Scene   aus   dem  Becher   des  Spaniers  getrunken.    Eine 


1)  Vgl.  Gesch.  d.  Drara.  V.  S.  362  f. 
X.  22 


338  I^as  spanische  Drama. 

Auklangsspur  finden  wir  schliesslich  in  Corneille's,  noch  zu 
guterletzt  an  Lope's  Fabia,  durch  ihre  moutarde  apres  diner, 
erinnernder  'Sabine',  mit  dem  Unterschiede  jedoch,  dass  Lo- 
pe's Fabia  eine  Austragsversöhnung,  infolge  ihrer  komödienhaft  end- 
gültigen Verheirathung  mit  Horacio,  zuwege  bringt,  dagegen 
Corneille's  'Sabine'  ihr  trübseliges  Ahnfrauenwesen,  das  nicht  le- 
ben und  nicht  sterben  kann,  noch  am  Schlüsse  des  V.  Acts  fort- 
spielt, ihr  gespenstisches  Jammerflehen  nach  einem  Grabe  zu 
allerletzt  an  König  TuUius  Knieen  ausröchelnd.  Diese  'Sabine', 
auf  die  sich  Corneille  so  viel  zugutthut,  scheint  uns  eine  der  an- 
tipathischten  Figuren  der  tragischen  Bühne,  und  ihr  Pathos  schier 
an  die  Wirijung  der  Ipecacuanha  in  refracta  dosi  zu  gemahnen, 
bei  welcher  Gabe  es  blos  bei  Vomituritionen  bleibt,  ohne  ent- 
scheidendes Endergebniss  oder  üebergebniss. 

Den  5.  Act  des  'Horace'  giebt  Corneille  selber  preis.  Er 
verurtheilt  ihn  auf  Grund  des  durchgängigen  'Plaidoyers'-Charak- 
ters,  der  ihm  anhafte  ^),  vonwegen  der  Advocaten-Reden  nämlich 
pro  und  contra Horace,  gehalten  vom  alten  Hör ace  für,  und  von 
des  seligen  Curiace  überflüssigem  Nebenbuhler,  dem  Valere,  ge- 
gen den  Schwestermörder,  der  ihn  um  Camille's  durch  den  Tod 
des  Curiace  ihm,  dem  Valere,  zugestorbene  Hand  gemeuchelt  und 
an  dem  nun  der  vom  Bruder  entschwägerte  Wittwer  zur  todten 
Hand  —  was  diese  inderthat  auch  im  juridischen  Sinne  für  die 
französisch-classische  Tragödie  insofern  ist,  als  in  ihr  die  Besitzer 
solcher  Hand,  die  Valere,  nicht  aussterben  —  Blutrache  dafür 
durch  eine  Anklage  des  Schwestermörders  beim  römischen  Volk 
nimmt.  Beim  römischen  Volk?  das  Corneille's  fünfter  Act  ge- 
radezu in's  Gesicht  schlägt?  Behufs  welchen  Gesichtsschlags  der 
fünfte  Act  eigens  von  Richelieu's  Hof-Tragiker  gedichtet  scheint, 
als  Katzenbuckel  vor  dessen  monarchisch-despotischem  Staats- 
system, das  die  Berufung  an's  Volk,  der  römischen  Geschichte 
in's  geohrfeigte  Angesicht,  aus  einer  Horaziertragödie  herausge- 
räuchert wissen  will;  bei  welchem  System  ihr  Dichter  ja  noch, 
seiner  Vorliebe  für  spanische  Duells  und  spanisches  Ritterthum 
halber,  auf  dem  schwarzen  Brett  stand,  weswegen  er  ihm,  dem 
grossen  Cardinal-Despoten  und  dessen  System  um  so  obsequiöser 


1)  ,,11  est  toiit  en  plaidoyers/'    Exarn. 


Corneille's  Hoftragik.  339 

und  katzenbuckelartiger  mit  einem  der  plebejischsten,  auf  der 
tragischen  Bühne  unerhörten  Schimpfausfalle  gegen  Alles,  was 
Volk  ist  und  Berufung  an's  Volk,  um  den  Bart  7a\  gehen  sich 
gemüssiget  fand.  Denselben  alten  Horatius,  der  in  Livius  dem 
Sohne  bei  dessen  Berufung  an's  Volk  als  [eifrigster  Fürsprecher 
so  volksfreundlich  zur  Hand  geht,  lässt  Eichelieu's  Horace-Tragi- 
ker  so  unter  aller  dramatischen  Kritik  schmähsüchtig  gegen  das 
Volk  loskeifen,  dass  wir  die  betreffenden  Alexandriner  in  die 
Gemoniae  unter  dem  Strich  werfen  müssen.  ^)  Und  mit  welcher 
wohlberechneten  Schweifwedelfinte  der  grosse  Corneille  noch  zu 
allerletzt  in  einem  Schlussplaidoyer  seines  'Examen'  zugunsten 
des  ausrangirtesten  aller  zweiten  Nebenbuhler  der  französisch- 
classischen  Tragödie,  zugunsten,  seines  'Valere',  dem  grossen 
Kater-Cardinal  bezüglich  des  Duellpunktes  selber  um  den  Bart 
geht,  indem  er  den  Valere  und  zugleich  die  Horaciertragödie 
wegen  des  darin  vermiedenen  Duells  in  Schutz  nimmt,  das  doch 
Valere,  als  Eömer,  ohne  ein  Staatsverbrechen  zu  begehen, 
nicht  anbieten  konnte! 2)  Dabei  ist  die  Horaziertragödie  eine 
Duelltragödie  von  Hause  aus,  gar  eine  Tripeldrillings-Duell- 
tragödie!  Für  die  Schlussworte  des  Examen  zum  Horace  könnte 
das  'risum  teneatis'  eigens  erfunden  scheinen:  Auf  das  „Staats- 
verbrechen", das  Valere  durch  ein  Duell  begangen  haben  würde, 
setzt  Corneille  mit  Beziehung  auf  sich  selbst  das  bonmot  als  letzte 
Spitze  auf:  „Und  ich  würde  ein  Theaterverbrechen  begangen 
haben,  wenn  ich  einen  Eömer  als  FranzoSen  herausgeputzt  hätte."  ^) 

1)  „Horace,  ne  crois  pas  que  le  peuple  stupide 
Soit  le  maitre  absolu  d'un  renom  bien  solide, 
Sa  voix  tumultueuse  assez  souvent  fait  bruit: 
Mais  un  moment  Televe,  un  inoment  le  detruit; 
Et  ce  qu'il  contribue  ä  notre  renommee 
Toujours  eil  moins  de  rien  se  dessipe  en  famee. 

C'est  aux  rois,  c'est  anx  grands,  c'est  anx  esprits  bien  faits 
A  voir  la  vertu  pleine  en  ses  moindres  efFets; 
C'est  d'eux  seuls  qii'on  re9oit  la  veritable  gloire, 
Eux  seuls  des  vrais  heros  assurent  la  memoire  .  .  . 

2)  S'il  ne  prend  pas  le  procede  de  France,  il  faut  considerer  qu'il  est 
Romain,  et  dans  Rome,  oü  il  n'aurait  pu  entreprendre  un  duel  contre  un 
autre  Romain  sans  faire  un  crime  d'etat.  —  3)  ,,et  que  j'aurais  fait  un 
crime  de  theätre,  si  j'avais  habille  un  Romain  ä  la  fran9aise." 

22* 


340  ^^^  spanische  Drama. 

Die  ganze  classisch-französische  Tragödie  ist  eine  einzige  Theater- 
garderobe voll  solcher  Verbrechen  ~  nur  noch  obendrein  umge- 
kehrt: nicht  'Komains  ä  la  franfaise,  sondern  Franzosen  ä  la 
romaine,  ä  la  grecque,  ä  la  turque,  ä  la  chinoise,  ä  la  tar- 
tare  —  wo  nicht  gar  Franzosen  tout  bonnement,  Franzosen  ä  la 
fran9aise! 

Ein  gerade  nicht  bedeutendes,   für  uns  nur  durch  die  Julia- 
Komeo-Fabel  beachtenswerthes  Drama,  Lope's 

Castelvines  y  Monteses, 
hat  von  Herrn  von  Schack  eine  ausführlichere  mit  den  Jornadas 
Schritt  haltende  Würdigung  erfahren  i).  Wir  können  uns  daher  auf 
wenige  kurze  Bemerkungen  einschränken.  Lope  schöpfte  aus  sei- 
ner novellistischen  Quelle  mit  der  hohlen  Hand  gleichsam  nur 
so  viel,  um  den  Lehm  zu  befeuchten,  den  er  im  gewöhnlichen 
Model  seines  spanischen  Scenariums  zu  ^nem  Theaterstück  ab- 
presste.  Er  beginnt  mit  dem  Ball  im  Hause  des  Antonio 
Castelvino  (Capulet),  woher  ßoselo  Montese  (Eomeo  Mon- 
tague)  und  sein  Freund  Anselmo  (Mercutio)  die  Tanzmusik  auf 
der  Strasse  erschallen  hören.  Roselo  fordert  seinen  Diener 
Marin  auf,  hineinzugehen  und  auszukundschaften,  was  es  gebe. 2) 
Den  Marin  juckt  aber  keinesweges  die  Haut  nach  dem  Vergnü- 
gen, sich  selbst  von  den  Fidelbogen  der  Castelvines,  „einer  grau- 
samen, wilden  Bande"  Ballmusikanten,  streichen  zu  lassen.^) 
Anselmo  rathet  dem  Freunde  eine  Maske  vorzunehmen;  die 
Castelvines  würden  ihn  dann  für  einen  Verwandten  halten.  ^) 
Marin  hat  aber  trotzdem  seine  Haut  viel  zu  lieb,  um  sie,  sey's 
auch  in  einer  Maske,  zu  Markte  oder  zu  Balle  zu  tragen.  Fa- 
milienparteiung,  wo  Hunde  und  Katzen  Castelvines  und  Monteses 

1)  II.  S.  331  f. 

2)  Ve,  por  tu  vida,  Marin, 
Y  entra  al  descuido. 

3)  jHarto  bien! 

^,Porque  en  colacion  me  den 
Las  exeqnias  de  mi  fin?  .  ,  . 
Son  gente  cruel  y  fiera 
Los  del  bando  Castelvin. 

4)  Ans.   Ponte  una  mascara  y  entra: 

Persarän  qne  eres  pariente. 


Lope'ö  Capuletti-  und  Montecchi-Comedia.  341 

spielen  1),  sind  ganz  und  gar  nicht  nach  seinem  Geschmack, 
ßoselo  und  Anselmo  erscheinen  dann,  um  des  Anblicks  der 
schönen  Frauenwelt  zu  geniessen,  maskirt  im  Garten  des  Antonio 
Castelvine,  wo  die  Mitglieder  der  feindlichen  Sippe,  Julia  und 
ihre  Freundin  Dorotea  darunter*,  abkühlungshalber  sich  einge- 
funden. 2)  E  0  s  e  1 0  lüftet  seine  Larve.  Der  alte  AntonioCastel- 
vine  erkennt  ihn,  über  die  Verwegenheit  ergrimmt.  ^"^J  Teobaldo 
(Tybalt),  den  Lope  zu  Julia's  Onkel  macht,  und  zum  Beschwich- 
tiger von  Antonio's  Entrüstung,  bedeutet  den  hitzigen  Alten,  der 
Jüngling  sey  von  adeligen  Sitten  und  ohne  Arg  eingetreten.  *) 
Weder  Luigi  da  Porta  noch  ßandello  berichten  von  diesem  Erei- 
ferungs  -  und  Besänftigungsgespräch  der  beiden  Brüder  ^) ,  das 
Shakspeare  zwischen  dem  alten  Capulet  und  seinem  Vetter  Tybalt, 
aber  die  KoUen  umkehrend,  wechseln  lässt.    Die  Verwandtschaft 


1)  Mar.       —  que  hasta  los  perros 

Se  muerden  unos  con  otros 


Pues  !los  gatos!  .  .  .  tan  airados 
Andan  en  sus  bandas  juntas  — 
Si  manllan,  es  por  fin 
De  declarar  sus  enteres; 
Porqiie  unos  dicen  Montes, 
Y  otros  dicen  Gastelvin. 

2)  Ant.   Aqui  estaremos  inejor 

Por  el  calor  de  alla  dentro. 

3)  Ant.    ^'Hay  mayor  atreviemento ? 

jRoselo  en  mi  casa! 

4)  Teob.     De  noble  el  mancebo  ha  entrado, 

Sin  reparar  si  era  error. 
Capul.   „Seyd  ruhig,  Herzensvetter!  Lasst  ihn  gehn! 

Er  hält  sich  wie  ein  wackrer  Edelmann.'' 
Shaksp.  1,  5. 

5)  Auch  Brooke,  der,  nächst  Bajidello,  wie  schon  gezeigt*),  und  bei 
Erörterung  von  Shakspeare's  Romeo  und  Julia  näher  von  uns  soll  nach- 
gewiesen werden,  dem  ital.  Poeme  der  Clizia  (1530)  folgte  —  hat  nichts 
von  jenem  Wortwechsel  zwischen  Ant.  Capulet  und  seinem  Bruder  oder 
Vetter  Tybald.  Brooke  sagt  seiner  Quellen  gemäss :  'The  Capilets  disdain 
the  presence  of  their  foe',  „die  Capulets  achten  nicht  auf  ihres  Parteifein- 
des Gegenwart." 

*)  Gesch.  d.  Dram.  V.  S.  433  f.  • 


342  I^as  spanische  Drama. 

des  Motivs  scheint  uns,  ohne  dass  wir  irgendwelche  Folgerungen  — 
selbst  aus  dem  wörtlichen  Gleichlaut  der  gesperrten  Zeile 
nicht  —  ziehen  wollen,  bemerkenswerth.  Bei  Julians  Anblick 
ruft  Roselo  in  einem  verzückten  Aparte:  „0  Himmel!  dass 
ich  ein  [Montes  bin  und  kein  Castelvin!"  i)  Der  Spanier  fälscht 
vorneweg  den  reinen  Ton  der  schicksalvoUenj  Liebestragik  — 
indem  er  seiner  Julia  in  ihrer  Freundin  Dorotea  eine  Neben- 
buhlerin zugesellt,  der  Chablone  zulieb,  die  heilige  Himmelsgluth 
in  Eifersüchtelei  spaltend,  dass  sie ,  wie  die  gemeinsame  Flamme 
jenes  feindlichen  thebanischen  Brüderpaars  sich  noch  auf  dem 
Scheiterhaufen  theilte,  innerlich  gebrochen  auseinanderschlägt. 
Von  dieser  Heilighaltung  der  einzig  göttlichen  aller  Leidenschaf- 
ten, der  Liebesseligkeit,  hat  der  Spanier,  hat  die  spanische  Poe- 
sie, vielleicht  die  Poesie  der  Romanen  überhaupt,  keine  Ahnung, 
und  von  der  poetischen  Kunst,  gerade  aus  dieser  von  keinem  i  n- 
nern  feindseligen  Hauch  zu  trübenden,  über  Alles  in  sich  Zwie- 
spältige erhabenen  Liebesseligkeit  die  tiefste  Tragik,  die  wehmuth- 
süsseste  Schmerzenstrauer  zu  entwickeln,  hat  die  romanische  Poe- 
sie noch  weniger  einen  Begriff,  ein  Verständniss.  Das  Höchste, 
Sublimste  der  Poesie  ist  ihr  denn  auch  versagt:  die  Gott- 
innigkeit an  sich  beseligter  Liebesharmonie  sich  und  Andern  zur 
Empfindung,  zum  Bewusstseyn  zu  bringen,  darzustellen.  Hier 
fällt  die  glänzende  Kunst  der  grossen  spanischen  dramatischen 
Virtuosen  zu  kurz.  Sie  wissen  von  jener  Liebe  nichts,  die  der 
Apostel  verherrlicht.  Sie  kennen  nur  das  tönende  Erz,  das  schel- 
lenlaute, geräuschvolle,  in  Dissonanzen  zerrissene  Liebespathos,  und 
müssen  an  der  Bühnenmöglichkeit  einer  Shakspeare'schen  Eomeo- 
Julia-Tragödie,  weil  ihnen  das  Genie,  ja  das  Organ,  solchö 
auch  nur  zu  fassen,  geschweige  poetisch-dramatisch  zu  gestalten, 


1)  Eoselo  (ap.), 

jAy,  Ciclos!  !qiie  fui  Montes! 
iNü  fiiera  yo  Castelvin! 
Einen  ähnlichen  Herzenswunsch  seufzt  Shakspeare's   Julia  in   der  stillen 
Mondnacht  auf  dem  Balcon : 

„0  Komeo!  Warum  denn  Eomeo? 
Verleugne  Deinen  Vater,  Deinen  Namen.*' 
Lope    lässt    dies    seinen  Eoselo    selber   thun   und   sich   zum   Castelvine 
Tvünschöti. 


Lope's  Julia  eine  verschmitzte  Kokette.  343 

gebricht,  verzweifeln.  An  das  göttliche  Wunder  des  Liebesmahls 
in  der  Seeleninnigkeit  und  Verschmelzung  eines  Jünglings-  und 
Mädchenherzens  vermögen  sie  nicht  zu  glauben.  Dass  gerade  die 
mächtigste  Liebesleidenschaft  ihren  tiefen,  stillen,  heiligen  Sabbath 
feiert,  und  in  dieser  Feier  am  verzehrendsten  glüht,  wie  das 
Weissglühen  das  Kothglühen  überloht,  diese  Erkenntniss  liegt 
jenseits  der  poetischen  Anschauung  und  Gefühlscapacität  der  spa- 
nischen, der  romanischen  Dichtkunst;  ihr  Liebessabbath  ist  ein 
lärmender,  tobender  Hexensabbath ,  und  ihre  Liebestragik  der 
Agave  mänadisches  Zerreissen  und  Zerstücken  ihres  einzigen 
Kindes.  — 

Julia  (beiseit).  „Ach,  Jüngling,  wenn  ich  doch  nur  so  glück- 
lich wäre!"  Dorotea  (beiseit).^  »»Ach,  wenn  er  doch  nur  an  meiner 
Seite  Platz  nähme!"  Julia  (beiseit).  „Ach,  Gott,  dass  er  doch 
käme!"  Dorotea  (beiseit).  „Ach,  Gott,  dass  er  doch  Liebe  für 
mich  fühlen  möchte !"  ^)  Der  Charakter  der  Eomeo- Julia-Liebe, 
selbst  nur  wie  er  in  den  italienischen  Novellen  sich  darstellt,  er- 
scheint hier  schon  im  Innersten  versehrt,  getrübt.  An  poetischer 
Weihe  steht  das  spanische  Liebespathos  hinter  dem  der  italieni- 
schen Novellen  weit  zurück.  Einer  Liebesverhimmlischung  wie 
des  Petrarca  oder  Dante  ist  die  spanische  Poesie  nicht  fähig. 
Dante  ist,  unseres  Bedünkens,  der  einzige  aller  romanischen  Dich- 
ter, der  im  Liebesideal  mit  Shakspeare  sich  begegnet.  Das  na- 
turkräftige,  menschlichinnige,  sinnlichseelische  Element,  das  der 
grösste  Dichter  des  geschichtsidealen,  ethisch-psychologischen  Dra- 
ma's  der  germanischen  Romantik,  das  der  Brite  Shakspeare,  an- 
stelle des  ascetischen,  übernatürlich  übergeistigen,  theologisch- 
spiritualistischen  Heiligungshauches,  den  der  grösste  Lyriker  und 
Epiker  der  mystisch-romantischen  Poesie  des  romanischen  Volks- 
geistes, den  der  Toscane  Dante  in  die  erhabene  tiefsinnige  Pla- 

1)  Julia  (ap.). 

|Ay,  mancebo,  si  yo  fuese 
Tan  dichosa! 
Dorotea  (ap.). 

;Ay,  si  tomase  • 

Mi  lado! 
Julia  (ap.). 

jAy  Dios,  si  Uegase! 
Dortea  (ap.). 

{Ay  Dios,  si  amar  me  tuviese', 


344  ^^s  spanische  Drama. 

stik  seines,  bei  höchster  Ideenfülle  phantastischen,  und  bei  der 
gewaltigsten  Naturbildlichkeit  phantomenhaften  Weltläuterungs- 
Gedichtes  athmet —  Shakspeare's  natur  heiliges  Liebesideal  ver- 
göttlicht  und  verklärt  sich  gerade  aus  dieser  Eigenschaft  heraus 
zu  der  wahrhaft  und  eigentlich  poetischen,  welterfüllten  und  welt- 
durchdringenden Liebesidee,  woran  Dante's  dogmatisch-ekstatische 
Liebesgottschau  doch  nur  als  ein  von  der  Vernunftbefangenheit 
und  Erkenntnissbeschränktheit  jener  Culturepoche  geworfenes, 
wenn  gleich  von  der  poetisch  seelenbrünstigsten  Läuterungssehn- 
sucht durchglühtes  und  durchlichtetes  Schattenbild  erscheinen 
muss.  Die  Poesie  der  Spanier  hat  keinen  der  beiden  Hochgipfel 
der  poetischen  Liebesidee  erschwungen,  weder  den  mystisch- 
ekstatischen der  Dante-Poesie,  noch  den  prometheisch- sonnen- 
haften des  xieschylisch-Shakspeare'schen  Drama's,  des  Aeschyli- 
schen  Menschheits-Liebesdrama's  und  des  Shakspeare'schen 
Liebesdrama's  im  eigentlichen  Sinne,  das  gleichwohl  jene  all- 
umfassende Idee  der  prometheischen  Menschenliebe  und  Be- 
freiung abspiegelt,  und  an  einem  poetisch-persönlichen  Liebes- 
paare darstellt.  Die  mit  Dante's  poetischer  Geistesstimmung  ver- 
wandte Weltanschauung  Calderon's  vermag  den  entsprechend 
kühnen,  geistesfreien  Hochflug  des  grossen  Toscaners  nicht  ein- 
zuhalten, wegen  der  Engbrüstigkeit  ihrer  theils  kirchlichen,  theils 
höfischen  Dressur;  vermag  es  nicht  wegen  der,  im  Vergleich  zu 
Dante,  schwächlichen,  weil  conventionell  typischen  und  alle- 
gorisch schattenhaften  Naturanschauung.  Calderon's  schematisch 
schemenhaft  phantastische,  dramatische  Gestaltung  muss  aber 
vornehmlich  deshalb  so  tief  unter  Dante's  ideenschöpferischer 
Bildkraft  bleiben,  weil  des  Spaniers  Welt-  und  Kunstbegriff  ein 
mittelalterlich  verspäteter  ist;  weil  derselbe  keineswegs  natur- 
gemäss  aus  dem  Zeitcharakter  erwachsen,  diesem  vielmehr  nur 
künstlich  eingeimpft  und  wie  durch  trügerische  Kunstberückung 
angezaubert  scheinen  muss;  mit  einem  Worte,  weil  es,  wie  die 
nähere  Betrachtung  darthun  wird,  der  Calderon'schen  Kunstmanier 
und  Kunstabsicht  an  Zeitgemässheit,  an  innerer  Wahrheit,  an  allge- 
meingültiger Erbauungs-  und  Belehrungswürdigkeit,  an  culturför- 
derlicher  Berechtigung  gebricht.  Lope  anlangend,  der  C^lderon, 
unserer  An-  und  Einsicht  nach,  an  poetischem  Genie,  von  Schöpfer- 
kraft abgesehen,  an  Welt-  und  Menschenkenntniss ,  Geistresfrei- 


Eifersuchtsmotiv  in  Lope's  Castelvines  y  Monteses.  345 

heit,  Naturinnigkeit,  Naivetät,  Anmutli  und  Wahrheit  weit  über- 
trifft —  Lope,  dem  vielleicht  zu  Shakspeare-Flügen,  nicht  das 
Genie,  nicht  die  Schwungkraft,  nicht  die  Spannweite  der  Fittige 
versagt  hätte,  Lope  bleibt,  trotz  der  wunderbarsten  glänzendsten 
Begabung,  auf  der  mittlem  Region  der  dramatischen  Poesie,  über 
die  hinaus  er  sich  nur  sprungweise  gleichsam,  und  wenn  sein 
Genius  mit  ihm  durchgeht,  erhebt,  beschränkt  und  darin  gebannt, 
aus  Mangel  an  strenger  Selbstdurchbildung,  an  philosophischer 
Gedankenzucht  und  daraus  entspringendem  absoluten  Mangel  an 
Kunstgewissen.  Wenn  es  überhaupt  denkbar  ist,  dass  einem 
spanischen  Inquisitions-Familiaren  und  Zeitgenossen  der  drei  Phi- 
lippe, die  höchsten,  ewig  wahren  Kunstgesetze  der  dramatischen 
Poesie  zu  erkennen,  und  denselben  in  seinen  Compositionen  un- 
verbrüchlich nachzuleben,  beschieden  sey. 

Als  eigentlicher  Schöpfer  des  Kunstschema's  des  spanischen 
Drama's,  das  Calderon  nur  auf  die  äusserste  Spitze  trieb,  sehen 
wir  Lope  von  den  Fäden  seines  eigenen  Zaubergewebes,  wie  Mer- 
lin, gebunden  und  bestrickt.  In  der  novellistischen  Bezugsquelle 
seiner  Castelvines  und  Monteses  fand  Lope,  dass  Giulietta,  zwi- 
schen Romeo  und  Marcuccio  (Mercutio)  stehend,  scherzhaft  Ro- 
meo's  Hand  ergreift,  um  sich  von  der  Eiseskälte,  woran  Marcuc- 
cio's  Hände  dauernd  litten,  an  Romeo's  Hand  zu  erwärmen. 
Flugs  greift  Lope  nach  seiner  parallelen  Eifersuchtsschablone, 
setzt  paarweis  den  Roselo  neben  Julia,  den  Anselmo  (Mer- 
cutio) neben  Dorotea,  deren  Bruder,  Otavio,  von  Julia's 
Vater  ihr  zum  Gatten  bestimmt,  mit  Augen,  vor  Eifersucht 
rollend,  das  Zwiegespräch  zwischen  Roselo  und  Julia  verfolgt. 
Zu  welchem,  den  Charakter  der  Julia  in's  verschmitzt  Kokette 
verfälschenden  Kunstgriffe  bietet  nun  jene,  mit  Bezug  auf  Ro- 
meo's  und  Marcuccio's  Händetemperatur  von  Julia  geäusserte 
scherzhafte  Bemerkung  in  der  Novelle  dem  spanischen  Eifer- 
suchts-Zeloten die  Hand?  Er  lässt  seiner  Julia,  während  sie 
mit  Otavio,  um  ihn  zu  täuschen,  friedliche  Worte  wechselt,  ihre 
Hand  dem  Roselo  reichen,  der  in  Aparte's  sein  Liebesentzücken 
darüber  aushaucht.  1)    Otavio  soll  ihre   zärtlichen  Erklärungen 


1)  (Habla  Jiüia  coii  Otavio,  y  da  la  mano  a  Eoselo.) 
Ros.  (ap.).    jOh  mano  mia! 


346  I^as  spanische  Drama. 

an  ihn  gerichtet  glauben,  die  dem  ßoselo  gelten,  dem  sie  ihre 
Hand,  im  Einverständniss  mit  ihm,  überlasssen.  i)  Eoselo  freut 
sich  des  Truges  inniglich,  wohl  wissend,  wie  die  Karte  liegt.  2) 

Man  lausche  doch  dem  allerliebsten  Täuschungs-Echospiel! 
Julia,  wiemitQtavio  flüsternd,  aber  an  Eoselo's  Adresse:  „Wer 
liebt  mich  von  Herzen?  Otavio  (leise).  Ich.  Eoselo  (leise). 
Ich.  Julia.  Wem  gehör'  ich?  Otavio.  Mir.  Eoselo.  Mir... 
Julia.  Seh' ich  Dich?  Otavio.  Ich^sehe  Dich.  Eoselo  (leise). 
Ich  sehe  Dich  ...  Julia.  Soll  ich  Dich  erwarten?  Otavio. 
Erwarte  mich.  Eoselo  (leise).  Erwarte  mich  .  .  .  Julia.  Wo? 
Otavio.  Im  Garten.  Eoselo  (leise).  Im  Garten"  3),  .  .  igt  das 
nicht  das  artigste,  frauenschelmischste  Liebesfoppspiel  zwischen  zwei 
Liebhabern,  wenn  der  unrechte,  der  in  April  geschickte,  Liebes- 
bestellbote für  den  wirklichen  Herzliebsten  ist?  Aber  Julia! 
Eomeo's  Julia!  Eine  ihrer  Anlage,  ihrem  innersten  Wesen  und 
Ursprünge  nach  zu  tragischem  Ausgang  einzig  vorbestimmte 
Liebe,  so  spielerisch  leichtsinnig  einer  Situationständelei  zulieb 
über  die  banale  Komödien- Abklatschform  gestrichen!  ^Verträgt 
sich  eine  solche  Frivolität  mit  dem  heiligen  Kunstgefühle,  einen 
Stoff,  seinem  Stimmungsgehalte,  seinem  poetisch  unverletzlichen 
Charakter  zuwider,  zu  parodiren?  Parodiren  —  immerhin!  Nim- 
mermehr aber  in  ein  gewöhnliches,  nach  dem  Situations-Schlen- 


1)  (Hablando  con  Otavio,  pero  entiendose  con  Eoselo.) 

2)  Eos.  (ap.).      iBien!  por  mi  lo  dice  todo. 


Habla  conmigo,  y  el  necio 
Piensa  que  le  da  favor. 
3)  Julia.  öQ^uen  me  qniere  bien? 

Ot.  (Bajo).  Yo. 

Kos.  (Bajo).  Yo. 

Jul.  De  quien  soy? 

Ot.  De  mi. 

Eos.  (Bajo).         ^  De  mi. 

Jul.  Veräsme? 

Ot.  Vere. 

Kos.  (Bajo),  ^    Vere. 

Jul.  ^Esperaro.  ? 

Ot.  Espera. 

Kos.  (Bajo).  Espera  .  .  . 

Jul.  ^A  que  parte? 

Ot.  AI  huerto. 

Eos.  (Bajo).  AI  huerto. 


Lope-Reminiscenzeii  bei  Shakspeare.  347 

drian  componirtes  Lustspiel,  in  eine  salonfähige  Dutzendkomödie 
zu  travestiren!  Und  eine  Komödie,  wo  wir  bei  jedem  Schritte 
doch  immer  wieder  an  die  Geschickestragik  der  sacrosancten,  für 
unser  Gemüth,  wie  die  Hero-  und  Leander-Sage,  wie  Tristan 
und  Isolde,  und  ähnliche  unantastbare  Heiligthümer  tragischer 
Liebespoesie,  —  an  die  Geschickestragik  des  Veronesischen  Liebes- 
und Todesopferpaares,  thränenvoll  bestattet  in  den  italienischen 
Novellen  —  ja  wo  wir  an  Shakspeare's  Julia-  und  Eomeo-Tra- 
gödie  immer  wieder  erinnert  werden,  bis  zum  Erschrecken.  Wenn 
z.  B.  der  alte  Capulet,  Lope's  Antonio  Castelvine,  wie  bei 
Skakspeare,  das  Ballfest  mit  dem  Rufe  schliesst:  „Packeln  her!''  ^) 
Worin  in  den  Novellen  keine  Spur.  An  Shakspeare  erinnert 
Lope's  Gartenscene,  die  der  sogenannten  Balconscene  entspricht. 
Und  wie  erinnert?  Gott  Amor  sey's  geklagt!  Zuerst  stellt  sich 
der  von  Julia  in  April  geschickte  Otavio  im  Garten  ein,  und 
wird  von  ihr  zu  ihrem  Vater  hinauf  ^j,  unter  einen  vom  Garten- 
zaune gebrochenen  Verwände,  abermals  in  April  geschickt.  Dann 
erscheint  Roselo,  dessen  Namen  und  Familie  sie  von  ihrer  Ver- 
trauten, Celia  —  „Vecchia"  der  Novelle,  Schakspeare's  „Amme'' 
—  erfahren.  Was  ist  nun  das  nächste  dringendste  Anliegen  von 
Lope's  Julia?  Dass  er,  da  sie  einen  Montese  (Montecchi)  nicht 
lieben  dürfe,  dass  er  sie  verlassen  möchte.^)  Von  Roselo' s 
Betheurungen  wieder  umgestimmt,  lenkt  Julia  zurück  in's  No- 
vellenpalais, und  überrascht  uns  gar  mit  einer  Shakspeare-Remi- 
niscenz,  mit  Juliet's  „0  schwöre  nicht!"  4)  was  Ihr  in  den  No- 
vellen wiederum  vergebens  suchen  würdet.  Wie  erklärt  Ihr  Euch 
dieses  die  schon  erwähnten  Shakspeare-Reminiscenzen  vermeh- 
rende Stichwort?  Die  einfachste  Erklärung,  dass,  der  Zeit 
nach,  da  'Castelvines  y  Monteses'  in  der  Liste  der  bis  1603 
von  Lope  verfassten  Stücke  sich  findet,  der  Dichter  von  Romeo 


1)  Ant.   jHachas!  {Hola! 
Shaksp.  I.  Schluss. 

2)  Haz  que  se  acueste, 

3)  Pero  en  sabiendo  tu  nombre 
Atras  el  amor  se  vtielve 


4)  No  jures. 


Y  pues  HO  pierdes,  me  dejes. 


348  ^^s  spanische  Drama, 

und  Julia  von  Lope's  Castelvines  gar  wohl  Notiz  nehmen  konnte 
—  mit  dieser  Erklärung  halten  wir  noch  hinter  dem  Berge,  um 
nicht  die  Holzköpfe  von  der  Shakspeare-Gelehrsamkeit  vor  den 
Kopf  zu  stossen,  die,  ungläubiger  als  der  ungläubige  Thomas,  die 
Schreibfinger  in  die  offene  Evidenz  von  Shakspeare's  Sprachkennt- 
nissen, und  sogar  in  gleichlautende  Parallelsätze  stecken,  und 
doch  noch  zweifelsam  die  —  sit  venia  epitheto!  —  die  thomäse- 
ligen  Köpfe  schütteln.  Mit  einem  noch  anderen  Reminiscenzen- 
Merks  schliesst  Lope's  erster  Act :  mit  einem  die  Liebesscene  ab- 
brechenden „Ruf  hinter  der  Scene"  (dentro),  den  ebenfalls  keine  der 
Novellen  verzeichnet  hat;  den  Lope  zwar  von  Roselo's  Diener, 
Marin,  erheben  lässt,  Shakspeare  der  Amme  in  die  Kehle 
schiebt,  aber  der  „Ruf  hinter  der  Scene"  bleibt  immerhin  ein 
eigenthümlich  scenisches  Incidenz,  dessen  Zusammentreffen  bei 
zwei  gleichzeitigen  Dichtern  desselben  Fabelstoffes  in  derselben 
Scene,  ja  an  gleicher  Stelle,  und  mit  gleichartigem  Absichtsmo- 
tiv zu  denken  giebt;  das  aber  gerade  deshalb  auf  ein  aberma- 
liges Zweifelschütteln  der  Shakspeare-gelehrten,  ungläubigen  — 
sit  venia  nomini  —  Thomäselsköpfe  ^)  sich  um  so  sicherer  gefasst 
halten  kann,  weil  die  üebereinstimmung  zu  denken  giebt. 

Die  zweite  Jornada  tischt  uns  wieder  eine  OUa  potrida 
von  obligaten  spanischen  Komedienmotiven,  dem  Schablonen- 
Dualismus  gemäss,  auf,  vermischt  mit  den  Ereignissen  der  Ro- 
meo- und  Julia-Novellen,  und  gewürzt  mit  einer  pikanten  Shak- 
speare-Reminiscenz,  selbstverständlich  mit  einer  Reminiscenz  von- 
seiten Shakspeare's,  als  da  ist  Lope's  Kampfscene  zwischen  den 
Mitgliedern  der  beiden  feindlichen  Familienparteien  (esc.  IX.) 
Castelvines  und  Monteses,  mit  welcher  Fechtscene  zwischen  dem 
beiderseitigen  Hausgesinde  Shakspeare  seine  Tragödie  eröffnet, 
vorweg   mit   weisem  Kunstgefühl   den  Grundton   derselben   an- 


1)    Bog.        My  dame  calls  me  Tom. 

Ciiddy.  'Tis  weU,  and  she  may  call  me  Ass;  so  there's  ^ 
An  whole  one  betwixt  us,  Tom -ass." 
„Der  Wortwitz  besteht  darin,  dass  Tom-ass,  dem  Klange  nach  zu- 
gleich Thomas  und  ,, Maulesel"  bedeutet."  Shakspeare's  Zeitgenossen  etc. 
V.  Friedr.  Bodenstedt  11.  Bd.  141.  Anm.  8.  „Ass'*  —  nebenbei  bemerkt  — 
durch  „Maulesel"  übersetzen,  heisst  ihn  überschätzen.  „Mauleser*  ist  eng- 
lisch „mule";  „ass"  der  einfache  „Esel".    Jedem  das  Seine! 


Lope-Keminiscenzen  bei  Shakspeare.  349 

schlagend.    Drei  Novellen  berichten  von  diesen  blutigen  Strassen- 
scharmützeln,  doch  trägt  der  entsprechende  und  die  Katastrophe 
entscheidende  Zusammenstoss  Tybalt's  mit  Shakspeare's  Komeo 
(III,  1)  gewisse  in  Wortgleichheit  sich  ausprägende  von  den  No- 
vellen nicht  überlieferte  Züge,  die  wiederum  zu  denken  geben. 
Wie  z.  B,  ßomeo's  Apostrophe  an  Julians  ihn   vom  Kampfe  ab- 
haltendes Gedankenbild :    „0  süsse  Julia!    Deine  Schönheit  hat 
So  weibisch  mich  gemacht;  sie  hat  den  Stahl  Der  Tapferkeit  in 
meiner   Brust    erweicht."     Warum    sollte    Romeo's   Apostrophe 
schlechterdings  nicht  durch  Roselo's  ähnliche,    wenngleich  als 
spanisch-duelllustiges  Aufstachelungsmotiv  zur  Annähme  des  Zwei- 
kampfs im  entgegengesetzten  Sinne  gebrauchte  Apostrophe  ^)  — 
schlechterdings  nicht  durch  Eoselo's  angeregt   erscheinen  dürfen, 
massen  die  Novelle  keinerlei  Anhalt  dafür  bietet?    Zu   welcher 
unendlich   überlegenen,    durch  Steigerung  der   von  Furcht  und 
Mitleid  durchschauerten  peripetischen  Stimmung,  staunenswerthen 
Situationskunst,  ßomet's  anfängliche  Selbstüberwindung,  aus  Rück- 
sicht auf  Julia  und  seine  unmittelbar  darauf  folgende,  mit  allen 
Rücksichten,  beim  Anblick  von  des  Freundes  Todeswunde,   bre- 
chende Ermannung  zum  Zweikampfe  —  zu  welcher  unvergleich- 
lich poetisch-dramatischeren  Situation  die  von  Lope's  Roselo  em- 
pfangene Anregung    den    englischen  Romeo  -  Dichter   befähigte, 
muss  jeder  empfinden,  der  die  beiden  Scenen-  vergleicht.    Ebenso 
aber  auch  bei  einem  Vergleich  die  dramatisch-pathetischere 
Situationswirkung  empfinden,  welche  die  novellistische  Com- 
position  in  dieser  Schicksalswendung  ihres  Helden  vor  dem  Castel- 
vines  y  Monteses-Drama  des  grossen  spanischen  Meisters  voraus- 
hat, dessen  gewaltiges,  von  der  Verschrobenheit  und  dem  krank- 
haften Kunstgeschmack  des  Nationalgeistes  mitergriffenes  Genie 
nicht  anders  als  dieses  Erbübel  auf  seine  dramatischen  Probleme 
und  Compositionen  übertragen  konnte.    In  der  Darstellung  der 
novellistischen  Quellen,  Brooke   nicht  ausgenommen,  wird  kein 
Zwischen wesen,  kein  Marcuccio  (Mercutio)  in  das  Strassengefecht 
verwickelt.    Romeo  und  Tebaldo  (Tybalt)  gerathen   unmittelbar 
aneinander.    Lope  schiebt  den  Otavio,   Romeo's  von  Julia  ge- 


1)  ßos.  (Ap.  Julia  mia, 

Perdona.) 


350  I^3.s  spanisclie  Drama. 

narrten  Nebenbuhler  an  Tybalt's  Stelle.  Otavio  führt  den  An- 
griflf  —  aus  welchem  Anlass?  —  herbei:  Weil  Roselo's  Die- 
ner die  von  Otavio's  Schwester  Dorotea  benutzte  Kirchenfuss- 
bant  entfernt  hatte.  ^)  Erfolglos  erbietet  sich  Roselo,  den  Sche- 
nkel selbst  an  den  Ort  zu  schaffen,  und  schlägt  dann  eine  Fami- 
lienversöhnung vor;  dass  nämlich  Otavio  mit  einer  Montese,  und 
er,  Eoselo,  sich  mit  Julia  vermähle,  womit  er  nur  Oel  in's 
Feuer  schüttet,  das  Oel  der  obligatorischen  spanischen  Ehren- 
kränkung, hier,  infolge  des  entzogenen  Schemels,  in  das  Feuer  der 
obligatorischen  spanischen  Eifersucht,  unbekümmert,  ob  durch  diese 
—  aus  Ehrerbietung  vor  dem  grossen  Dichter  wollen  wir  nicht  sa- 
gen, stumpfgeistige  —  unbekümmert  ob  durch  diese  abgerittene 
Motivirung,  Komödie,  Problem,  Stoff  und  Composition  in  die  Rap- 
puse  geht.  Otavio  fällt  im  Duell.  Was  glaubt  Ihr  wohl,  was 
nun  geschieht?  Was  Art  von  Erfindung  der  Fortunatus  der  spa- 
nischen Komödie  nun  aus  seinem  unerschöpflichen  Wundertäsch- 
chen ziehen  mag?  Ihr  rathet's  auf  tausend  Meilen  nicht!  Oder 
rathet  es  auf  den  ersten  Wurf.  Aus  dem  Fortunatussack  des 
spanischen  Doppelschaugesetzes  bringt  er  folgenden  prächtigen 
Fund  hervor:  Julia's  Vater  Antonio  verschreibt  sich  jetzt 
aus  der  Novelle  den  rechten  Paris  zum  Schwiegersohn  2),  dessen 
Vorläufer  nur  Otavio  war.  Antonio  beschickt  den  Conde  Paris 
durch  einen  Boten  zu  diesem  Behufe.  Conde  Paris  muss  sich 
aber  erst  mit  einer  zwiespältig  spanischen  Ritterehrenpfiicht  abfin- 
den, bevor  er  sich  als  Otavio's  Nachfolger  bei  Julia  einstellt:  er 
muss  zuvor  den  Roselo,  den  er  aus  einem  Räuberüberfall  geret- 
tet, nach  Ferrara,  wohin  derselbe,  wegen  Tödtung  des  Otavio, 
vom  Herzog  von  Verona  verbannt  worden,  sicheres  Geleit  geben.  ^) 


1)  Otavio.  ^, Es  bien  que  ponga  su  estrado 

De  mi  heriuana  un  criado, 
Y  que  el  tuj^o  se  le  quite? 

2)  Ant,         Casarla  quiero,  y  darla  presto  espero 

Marido  noble,  rico  y  de  su  gusto, 
El  conde  Paris  me  pidio  — 
Mi  hija  por  mujer. 

3)  Conde.    Si  quieres  que  hasta  Ferrara 

Acompane  tu  persona, 
Dejare  de  ir  a  Verona. 


Boselo's  Verzwciflungsliebe  aus  Liebes-Verzweiflung.  351 

Lässt  jedoch  den  Eoselo  den  von  Antonio's  Boten  überbrach- 
ten Verschwägerungsbrief  lesen.  Dankbarkeit  wegen  Lebensret- 
tung im  Hader  mit  Eifersuchtsabsicht  —  0  der  funkelnagelneuen 
Conflicte  in  einem  Komeo- Julia -Drama!  Eoselo  verfällt  in 
vorschriftsmässige  Eifersuchtsdelirien,  worin  er  Julia's  treulosen 
Wankelmuth  verflucht,  und  schwingt  sich,  auf  Marin' s,  seines 
Dieners  Rath,  zum  höchsten  Schwindelpunkt  der  Eifersuchtsver- 
zweiflung, der  zugleich  der  Schlusspunkt  des  zweiten  Acts  ist  — 
auf  die  Schwindelrachespitze  empor,  der  treulosen  heimlichen 
Gattin  den  Possen  zu  spielen,  gleich  nach  seiner  Ankunft  in  Fer- 
rara  sich  nach  einem  anderen  Weibe  umzusehen,  i)  Stramm  vor- 
wärts gen  Eerrara.  Ein  köstlicher  Eomeo!  Jeder  Zoll  ein  spa- 
nischer Komödienschablonenheld. 

Mit  immer  wildern  Sprüngen  setzt  der  dritte  Act  aus  der 
Komödie  in  die  Novelle,  von  da  in  die  Komödie.  Celia  bringt 
ihrer,  durch  des  Vaters  angedrohte  Zwangsheirath  mit  Conde 
Paris  zur  Verzweiflung  gebrachten  Herrin  den  vermeinten  Gift-, 
in  Wahrheit  Schlummertrank  vom  Pater  Aurelio  (dem  Pra 
Lorenzo  der  Novelle),  der  Julia  und  Eoselo  getraut,  „einen  ehr- 
würdigen und  in  Kräutern  und  Wässerchen  bewunderten  Philo- 
sophen." 2)  Julia  schlürft  in  Celia 's  Gegenwart  das  Pläschchen 
aus,  spürt  sogleich  die  heftigsten  Wirkungen  in  den  „Eingewei- 
den" 3),  und  gebärdet  sich,  als  wollte  sie,  nicht  Shakspeare's,  nein, 
als  wollte  Lope's  eTulia  ihre  Quelle,  die  ergreifende  Schlaftrunks- 
situation in  Bandello's  Novelle^),  durch  Parodirung  derselben, 
vergiften,  und  geht  dann  mit  Celia  davon,  den  Trank  im  Leibe. 


1)  Eos.    fiPodre  vengarme  coli  obras? 
Mar.    ^Pues  no?  En  llegaiido  ä  Ferrara. 
Ros,     ^Como? 

Mar.  Casandote  en  ella. 

Ros.      jBien  dices! 

2)  Jul.     Se  que  es  filosofo  graye 

Y  en  agnas  y  gerbas  grave. 

3)  jA)^!  de  las  entranas  mias. 

4)  Woraus  Shaksp.  auch  den  Zug  entlehnt:  se  le  comincio  a  rappre- 
sentar  nella  imaginazione  Tebaldo,  del  modo  che  veduto  raveva  ferito  nella 
gola,  talto  sanguinolento  —  sich  wie  immer,  auch  hier,  selbst  im  Entleh- 
nen, als  den  grössten  Kunstmeister  und  Dichter  bekundend. 


352  l^as  spanische  Drama. 

Unterdessen  hat  Eoselo  seinen  Kacheplan  aus  Eifersucht  über 
JuUa's  vermeinten  Treubruch  auch  schon  in  Ferrara  ausgefülirt, 
und  daselbst,  unbeschadet  der  in  ihm  fortglühenden  Lei- 
denschaft für  seine  Julia,  eine  Liebesbekanntschaft  und  Balcon- 
scene  mit  einer  schönen  Ferraresin,  Donna  Silvia,  angeknüpft, 
die  ihm  verschiedene  Duellhändel  zuzieht.  Nach  einer  Balcon- 
scene  mit  der  schönen  ferraresischen  Ersatzpuppe,  auf  welche  Eo- 
selo seine  Eifersuchtsrache  einhetzt,  bringt  ihm  sein  Freund 
Anselmo  (Mercutio)  die  Nachricht  von  Julia' s  Scheintod  und 
ßegräbniss,  welche  Nachricht  Anselmo  dem  von  Liebe  und,  aus 
Eifersuchtsrache,  von  verstellter  Liebe  gefolterten  Eoselo  so 
tropfenweis  beibringt,  als  sollte  der  Freund  einen  Nachschmack 
von  Julia's  in  Einem  Zug  geleerten  Schlummergifttrank  durch 
allmähliches  Auskosten  seiner  Botschaft  erhalten.  ^)  Doch  ist  uns 
das  peinliche  Neckspiel  lieb  und  werth  durch  einen  Zug,  der, 
nicht  undenkbarerweise,  dem  Juliet-Dichter  als  Wink,  behufs  An- 
bringung einiger  Pinselstriche  in  Juliet's  wunderwürdigem  Schlum- 
mertranks-Monolog  gedient  haben  konnte.^) 

Was  lässt  sich  von  der  folgenden  Scene  sagen,  wo  der  alte 
Antonio  Castelvine,  nach  einer  mit  Conde  Paris'  abgehaltenen 


1)  ßos.    Que  se  me  acaba  la  vida 

Mira,  Anselmo,  que  soy  muerto. 


^Que  aguardo,  que  no  me  doy 
La  muerte,  que  ya  deseo! 
Ans.    Espera  .  .  . 
Kos.  dQ^G  he  de  esperar? 

Oestas  loco,  6  no  te  entiendo. 
2)         Jul.    „Wie  aber?  wenn  ich  in  die  Gruft  gelegt, 
Erwache  vor  der  Zeit,  da  Komeo 
Mich  zu  erlösen  kommt?  .  .  . 
Wo  die  Gebeine  aller  meiner  Ahnen  .  .  > 
0  wach  ich  auf, 

Umringt  von  air  den  gräuelVollen  Schrecken*' 
u.  s.  w.  IV.  3. 

Ros.  Y  se  hallase  ä  esburas  Julia 
Entre  tantos  cuerpos  muertos 
<jNo  se  morirä  de  espanto? 


Die  Gruft  der  Capiilets.  353 

Wehklage  über  Julia's  Tod,  den  Entschluss  fasst,  damit  sein  Ver- 
mögen nicht  an  Fremde  falle,  seine  Nichte  Dorotea  zu  hei- 
rathen^),  wozu  er  die  Einwilligung  vom  Senor  de  Verona 
erbittet,  der  den  .Eoselo  verbannte.  Julia  erwacht  in  der 
Familiengruft,  ergiesst  sich  in  Schauerempfindungen,  die  Shak- 
speare's  Julia  in  ihrem  Schlaftrunk-Monolog  'erledigt.  Eoselo 
tritt  mit  einer  Laterne  ein,  begleitet  von  seinem  Diener  Marin. 
Dieser  stolpert  und  fällt  hin,  wobei  er  sich  des  herkömmlich 
letztgültigen  Lichtauslöschens  zu  befleissigen  nicht  ermangelt,  und 
treibt  infolge  dessen  seine  Graciosospässe,  bis  er  die  Scene  nicht 
in  eine  Komödien -Schlusssituation,  bis  er  sie  in  eine  Possen- 
Katastrophe  gespasst  und  gerüpelt  hat.  In  seiner  Angst  zweifelt 
er,  ob  Rhabarber  stärkere  Wirkungen  erziele.  2)  Julia's  Er- 
wachungsschrecken  findet  seinen  Mann  an  Marin's  hasenherzi- 
ger —  genauer,  hosenherziger  Rhabarberangst,  ob  der  Todten- 
knochen  und  Mauleselschädel  ^),  über  die  er  alle  nasenlang  stol- 
pert. Marin  schreckpurzelt  so  lange,  bis  sie  allesammt,  Ro- 
selo,  Julia  und  Marin  daliegen^),  Eoselo  und  Marin,  wie 
Schiller  singt,  „mit  Julien  in  Einem  Liebesknäuel  verflochten." 
Roselo  ruft  Julia  an.  „Wenn's  Otavio's  Stimme  wäre?"  — 
schrickt  sie  zusammen,  und  lässt  erst  vom  Anrufer  verschiedene 
Erkennungszeichen  zu  seiner  Legitimation  angeben,  eh'  sie  ihn 
als  Ex)selo  recognoscirt.  Nun  auf  und  davon  selbdritt  über  Stock 
und  Stein,  Todtenschädel  und  Todtengebein,  in's  nächste  Dorf, 
um  sich  für's  erste  dort  in  Bauernkleider  zu  vermummen,  und 
dann,  wenn  dem  komischen  Verkleidungsgebot  der  spanischen 
Komödie  Genüge  geschehen,  dem  Landhause  bei  Verona  zuzu- 
eilen, wo  der  alte  Antonio  Castelvine  mit  seiner  Nichte  Do- 
rotea Hochzeit  und  Beilager  hält. 

Als  Schnitter  verlarvt,  betreten  nun  Roselo,  Julia  und 
Marin   das  vom  Hochzeitsfeste  des  alten  Capulet  durchjubelte 


1)  Ant.   Con  Dorotea  trato  casamiento. 

2)  Pues  (jqiie  purgo  de  ruibarbo 
Fuera  mas  corriente  purgo?  ' 

3)  Aqui  estä  luia  calavera  .  .  . 
Pero  parece  de  mula. 

4)  (Caen  juiitos.) 

X.  *  23 


354  J^äs  spanische  Drama. 

Landhaus^)  Tamar,  eine  dralle  Hausdiyne,  empfängt  das  mit 
Sicheln  und  Strohhut  ausstaffirte  Feldarbeiter-Kleeblatt  und  er- 
regt durch  ihre  Zuthulichkeit  gegen  Eoselo  Julia's  spanische 
Eifersucht.  ^)  Julia  eilt,  sich  im  Oberstübchen  zu  verstecken,  um 
von  oben  herab  ihrem  Vater,  dem  alten  unter  ihr  in  der  Tanz- 
stube weilenden  Hochzeiter,  als  Grabgespenst  Angst  zu  ma- 
chen, und  ihn  von  der  Heirath  und  Entäusserung  ihres  Erbes 
abzuschrecken.  „Hierdurch"  —  bemerkt  der  kundige  und  ge- 
schmackvolle Epitomator  des  Inhalts  unserer  Komödie,  Herr 
V.  Schack  —  „hierdurch  wird  eine  wunderliche  Scene  veranlasst. 
Julia  spricht  durch  eine  Oeffnung  des  Bodens,  und  Antonio  glaubt 
eine  Geisterstimme  zu  hören.  Julia.  Mein  Vater!  Antonio. 
Wo  bin  ich?  Ewiger  Gott,  was  für  eine  Stimme  vernahm'  ich 
da?  Wenn  mein  Schrecken  mich  nicht  täuscht,  so  ist  es  Julia. 
Julia.  Grausamer  Vater,  höre  mich,  wenn  Dir  noch  irgend  ein 
Gefühl  von  Menschlichkeit  übrig  bleibt.  Antonio.  Bist  Du's, 
meine  Tochter?  0  Himmel!  Das  Blut  erstarrt  in  meinen  Adern | 
Julia.  Ich  komme  aus  dem  finstern  Aufenthalt  der  Todten,  um 
Dir  Deine  Härte  und  Unvernünftigkeit  vorzuwerfen.  Du,  Du  hast 
mir  den  Tod  gegeben.  Antonio.  Ich?  Ewiger  Gott!"  ...  Sie 
fordert,  als  Grabgespenst,  den  Vater  auf,  ihren  Gatten  zu  achten 
und  zu  lieben.  „Solltest  Du  ihn  irgend  feindselig  behandeln,  so 
werde  ich  Dir  keine  ßuhe  lassen."  ^)  Antonio  fragt  sein  in  des 
Dichters  Oberstübchen  spukendes  Tochtergespenst  nach  dem  Na- 
men ihres  verwittweten  Gatten,  der,  gleich  nachdem  sie  ihn  als 
Eoselo  Montese  ihrem  Vater  bezeichnet,  von  der  Castelvine-Sipp- 
schaft  aus  seinem  VerstecK  vorgeführt,  dem  Familiengericht 
und  der  Castelvin'schen  Lynch-Justiz   überantwortet  wird.    An- 


1)  —  todo  el  mundo 
Anda  al  reves. 

2)  Jul.  (ap.)  Aunque  esto  hurla  es,  de  celos  muero. 

3)  Jul.   Y  que  en  paz  y  amistad  quedes 

Con  el  que  fue  mi  marido, 
Y  que  SU  muerte  uo  inteutes; 
Qu«  si  lo  haces,  te  juro 
Que  los  diäs  que  vivieres 
-  Con  el  fuego  que  me  abrasa 
Caüa  noche  te  atormente. 


Julia  als  Grabgespenst.  355 

tonio,  als  Familienoberhaupt,  berichtet  nun,  was  er  eben,  vom  Un- 
terstübchen  hinauf  und  vom  Oberstübchen  durch  die  Dielenspalte 
herab,  erlebt.  Sein  Bruder  Teobaldo  hält  das  Märchen  für 
eine  faule  Ausrede,  um  die  Hochzeit  mit  seiner  Tochter  Dorotea 
rückgängig  zu  machen  ^),  und  legt  sich  nur  zum  Ziele,  erschreckt 
von  !  Antonio 's  Warnung,  dass  ihm  noch  in  dieser  Nacht  der 
Geist  seiner  Nichte,  Julia,  erscheinen  werde. ^j  Als  Unterpfand 
der  Versöhnung  beider  Familien  schlägt  Antonio  und  Conde 
Paris  dem  Teobaldo  die  eheliche  Verbindung  zwischen  Ko- 
selo  und  Dorotea  vor.  Das  ginge  dem  an  der  Dielenschwelle 
des  Oberstübchens  lauschenden  Julia-Gespenst  denn  doch  über 
den  Spass  und  über  den  Spuk.  Nun  sagt  sie  erst  recht:  „Ob- 
gleich das  nur  ein  Spass  ist,  so  sterb'  ich  doch  vor  Eifersucht"  2), 
und  erscheint  den  beiden  auf  ihre  Kosten  versöhnungslustigen 
Familien,  aber  als  Roselo's  leibhaftiges  Weib  und  sein  Mann 
und  Weib  Ein  Leib.  Antonio's  Segen  dazu  genügt  der  Grabes- 
braut nicht,  sie  fordert  auch  noch  die  Hand  von  des  Vaters  auf  den 
Pot  gesetzter  Braut,  die  Hand  ihres  Mühmchens  Dorotea,  für 
Eoselo's  Freund,  Anselmo,  alias  Marcuccio  oder  Mercutio.  Nun 
meldet  sich  auch  Marin  für  sein  wiederholt  stolperndes  Mitwir- 
ken bei  Julia's  Auferweckung  zu  seinem  Handgeld,  das  er  aus 
Celia's  Hand,  und  mit  dieser,  im  Betrage  von  tausend  Duca- 
ten,  die  ihm  Julia  zusichert^),  empfängt. 

Als  Geschmack  verbesserndes  Gläschen  feinen  Liqueurs  wol- 
len wir  rasch  auf  Lope's  Castelvines-Comedia,  unseres  berühmten 
Vorgängers  Wahrspruch  über  dieselbe  setzen,  mit  dem  wir  aber, 
zu  unserer  Betrübniss,  nur  im  ersten  Satze  übereinstimmen 
können.  ^) 


1)  Teob.    Sospecho  que  te  arrepientes 

Y  que  esas  quimeras  finges., 

2)  Teob.   No,  no,  Antonio,  estese  allä 

Yo  lo  creo. 

3)  Aunque  esto  burla  es,  de  celos  muero. 

4)  Jul.    Celia  es  suya  y  mil  ducados. 

5)  „Die  schwäcLste  Seite  dieses  Stücks  ist  offenbar  ihr  Schluss  .  .  . 
Die  früheren  Theile  des  Lope'schen  Drama's  enthalten  dagegen  Scenen, 
welche  in  Liebesgluth,  in  Zartheit  und  Tiefe  des  Gefühls  mit  den  entspre- 
chenden der  englischen  Tragödie  wetteifern''  .  .  .    Schliessen  wir  gleich 

23* 


356  ^^^  spanisclie  Drama. 

Nacht  muss  es  seyn,  wo  Lope  de  Vega's 

Stern  von  Sevilla 

(La  Estrella  de  Sevilla) 

strahlt!  tragisch  finstere  Nacht,  eine  Ausnahmsnacht  bekanntlich 
im  Bereiche  der  spanischen  Bühne,  wo  die  Sonne  der  goldenen 
Comedia  nie  untergeht,  und,  wenn  sie  untergeht,  eine  Nacht 
heraufführt  voll  ste^nenflammender  Komödiensituationen,  und  wo 
die  Komödien  den  Tragikomödien   und  diese   den  Tragödien  so 


die  gelehrten  Folgebemerkungen  des  gewiegten  Ktinstrichters  und  Literar- 
historikers an :  ,,—  jedenfalls  steht  das  Schauspiel  des  Lope  beträchtlich 
höher,  als  die  spätere  Dramatisirung  derselben  Novelle  durch  Francisco 
de  Rojas.*)  Ungleich  vorzüglicher  als  die  beiden  zuletzt  genannten  Ko- 
raödien  ist  La  Quinta  de  Florencia,  gleichfalls  aus  einer  Novelle  des 
Bandello  gezogen  (s.  auch  die  Histoires  tragiques  von  Belleforest.  Tom.  1. 
Hist.  1.  Hist.  12.  und  Goulart,  Histoires  admirables  T.  1.  p.  212),  und  hier 
muss  man  Lope  unbedingt  den  Vorrang  vor  Beaumont  und  Fletcher  ein- 
räumen, die  in  ihrem  'Maid  of  the  mill'  dasselbe  Ereigniss  dramati- 
sirt  Jiaben**)  ...  In  El  Halcon  de  Federigo  stösst  man  auf  die 
Novelle  vom  Falken  aus  dem  Decameron  (Giorn.  5.  Nov.  9),  im  El  re- 
medio  en  la  desdicha  auf  die  mit  Eecht  bewunderte  Erzählung  von 
Abindaoraez  und  Harifa  aus  der  'Diana'  des  Montemayor.  *E1  Guante 
de  üofia  Bianca  ist  auf  die  nämliche  Begebenheit  gegründet,  wie  Schil- 
ler's  Handschuh,  die  aber  hier  an  den  portugiesischen  Hof  verlegt  ist.  In 
La  prueba  de  los  ingeniös  überrascht  uns  dieselbe,  aus  dem  Orient 
in  die  abendländische  Novellistik  eingewanderte  Fabel,  deren  Quelle  das 
Heft  peiger  des  Nisam  zu  seyn  scheint,  und  die  durch  Gozzi's  Turandot 
so  berühmt  geworden  ist.  ElMarmol  deFelisardo  zeigt  in  der  Hand- 
lung auffallende  Verwandtschaft  mit  Shakspeare's  Wintermärchen***);  da 
letzteres  bekanntlich  zunächst  aus  Robert  Green's  Tleasant  History  of 
Dorastes  and  Fawnia'  geflossen  ist,  so  muss  vermuthet  werden,  dass  in 
diesem  Roman  eine  uns  unbekannte  ältere  Novelle,  aus  der  auch  Lope  ge- 
schöpft, benutzt  sey.'^   Gesch.  d.  Dram.  Lit.  u.  K.  in  Span,  IL  S.  337  f. 


*)  'Los  Bandos  de  Verona'.  —  **)  Bleiben  uns  Apollo  und  die 
Neun  Musen  hold  und  gewogen,  nehmen  wir  eine  vergleichende  Analyse 
der  beiden  Dramen  für  die  Erörterung  des  Drama's  von  Fletcher  in  Aus- 
sicht. —  ***)  Betreffs  dieser  vergleichenden  Analyse  müssen  wir  ebenfalls 
und  schon  deshalb  auf  unsere  Besprechung  des  Shakspeare-Drama's  ver- 
weisen, da  uns  bis  jetzt  Lope's  'El  Marniol  de  Felisardo'  unerlangbar 
geblieben. 


Lope's  'Stern  von  Sevilla'.  357 

ähnlich  sehen,  wie  ein  Stern  dem  andern.  Lope's  'Estrella  de 
Sevilla'  jedoch  leuchtet  wirklich  an  einem  tragisch  schwarzen, 
wenn  auch  künstlich  verfinsterten  Nachthimmel,  wie  Rembrandt 
in  seinem  Atelier  eine  künstliche  Nacht  schuf,  und  nur  durch 
eine  kleine  OefFnung  im  Schalter  die  zu  einem  blitzenden  Stern 
verkleinerte  Sonne  ihre  Strahlen  behufs  wundersamer  Contrastbe- 
leuchtung  werfen  Hess. 

E  s  t  r  e  1 1  a '  s ,  der  Trauerspielheldin ,  zärtlicher  Bräutigam, 
Don  Sancho  Ortiz,  wird  von  dem  uns-  schon  als  komödienläu- 
figer Katastrophenkönig  bekannten  Sancho  el  Bravo  0  durch 
Ehrenwort  zur  Ermordung  von  Estrella's  rechtschaffenem  Bruder, 
seinem  besten  Freunde,  Busto  Tabera,  wie  ein  italienischer 
Bravo,  gedungen.  Die  tragische  Sühne  dieses  nur  auf  der  spa- 
nischen Bühne  möglichen  Fatalitätsmordes,  auf  Grund  eines  dem 
Könige  geleisteten  Sicarier-,  zu  deutsch:  Meuchelmord-Homagiums, 
besiegelt  eine  endgültige  Entsagung  des  Bräutigams:  vonseiten 
Estrella's,  indem  sie  auf  den  Bräutigam,  mit  den  Worten  an 
König  Sancho  el  Bravo,  verzichtleistet.  „Senor,  meines  Bruders 
Mörder  kann  mein  Gatte  nicht  seyn,  obgleich  ich  ihn  liebe  und 
anbete"  ^)  (geht  ab).  Vonseiten  des  Bräutigams  mit  der  Erklärung : 
„Und  ich,  Herr,  fand'  es  ungerecht,  ihr  Gatte  seyn  zu  wollen, 
trotzdem  ich  sie  liebe"  ^),  und  schreitet  ebenfalls  entsagungsstolz 
davon.  Der  König  staunt  dem  auseinander  gegangenen  Liebes- 
paare nach,  rufend:  „Welche  grosse  Gewissenhaftigkeit!  und 
sein  Ahitophel,  Don  Arias,  der  durch  schnödes  Gutheissen,  Lieb- 
kosen und  Aufstachelung  des  königlichen  Begehrungsgelüstes  die 
Tragödie  eingebrockt,  nachrufend:  „0  der  grossen  Standhaftig- 
keit!"4)  Letztgültig  spricht  König  Sancho  el  Bravo  den  Vor- 
satz aus:  dass  er  sie  und  ihn,  Bräutigam  und  Braut,  anderweitig 


J)  Gesch.  d.  Dram.  VIII.  S.  474  f.  485  f. 

2)  Estr.  Senor,  no  ha  de  ser  mi  esposo 

Hombre  que  a  mi  hermano  luata, 
Aunque  le  quiero  y  le  adoro. 

(vase.) 

3)  Y  yo  Sefior,  por  aniarla, 
No  es  justicia  que  lo  sea. 

4)  Rey.  ;  Grande  fe!    (vase.) 

D.  Arias,  i Grande  constancia! 


358  ^^^  spanische  Drama. 

ZU  verheirathen  gedenke,  nach  Verdienst.^)  Wir  aber  müssen, 
den  berufungslos  schlussgültigen  tragischen  Gesetzen  zufolge 
nachseufzen:  Wie  bist  du  so  klagwürdig  vom  tragischen  Him- 
mel gefallen,  du  schöner  Morgenstern  von  Sevilla!  —  Wie  sehr 
nun  aber  auch  dieses  tragische  Spiel  des  Lope  an  den  Grundge- 
brechen des  spanischen  Begriffswesens  krankt;  wie  grundfalsch, 
grundverderbt,  verkehrt  auch  in  diesem  durch  Kunst,  Pathos  und 
Situationswirkung  einiger  Scenen  merkwürdigen  Drama  die  An- 
schauungen des  spanischen  Dichtergeistes  von  Schuld,  Vergeltung 
und  Rechtfertigung  erscheinen  mögen ,  so  muss  man  um  so  mehr 
die  Bravour  der  Scenenentwickelung,  die  hinreissende  Gewalt  der 
Affectsprache  in  den  Entscheidungssituationen,  um  so  mehr  das 
zauberkräftige  Genie  bewundern,  das  nicht  nur  aus  so  anstössigen 
nationalen  Begriffs-  und  Anschauungsverschrobenheiten  bewälti- 
gende Wirkungen  hervorzulocken  versteht;  das  auch  noch,  kraft 
seiner  individuellen  Trefflichkeit,  aus  dieser  heraus,  die  Läu- 
terung jener  nationalen  das  Poetischsittliche  in  der  Wurzel  ge- 
fährdenden Anschauungssünden,  wenn  nicht  vollzieht,  doch  in- 
stinctiv  durch  die  schärfsten  Streif lichtei;  auf  die  königliche  Hybris, 
andeutet.  Durch  dieses  bald  im  Spiegel  der  Ironie,  bald  mittelst 
strenger  Folgeentwickelung  veranschaulichte,  gegen  den  Königs- 
kitzel und  Machtunfug  gerichtete  Rügebedürfniss  vonseiten 
des  Dichtergewissens  unterscheiden  sich,  zu  des  grossen  Poeten 
unsterblichem  Ruhme,  Lope's  Königsspiele,  freilich  auch  nur  aus- 
nahmsweise und  instinctiv,  von  denen  der  meisten  seiner  Zeit-  und 
Nationalitätsgenossen,  insbesondere  von  denen  des  Calderon,  der 
den  Königscultus  quand  memo  selbst  in  den  Königssünden  dog- 
matisch festhält. 

Bei  den,  aus  Anlass  von  König  Sancho's  Besuch,  zu  Sevilla 
veranstalteten  Empfangsfeierlichkeiten  erblickt  der  König  einen 
Frauenkreis  von  andalusischen  Schönheiten,  deren  Namen  und 
Vorzüge  ihm  sein  Maitre  de  plaisir  und  Launenkitzler,  Don 
Arias,  herzählt,  die  aber  sammt  und  sonders  Von  der  Einen 
wundervollen  Schönheit  verdunkelt  werden,  die,  vom  Balcon  her- 
unter, des  Königs  Blick  allsogleich  gefesselt  hält,  und  vor  wel- 


Rey.    Casarle  pienso  y  casarla 
Como  merece. 


Der  Stern  avancirt  zur  Sonne  v.  Sevilla  u.  Estrella's  Bruder  zum  General.   359 

eher,  in  bewundernder  Anbetung  sich  tief  verneigend,  er  den  Hut 
zog;  die  im  Finstern  wie  eine  Sonne  strahlte,  wie  eine  Morgen- 
röthe  in  finsterer  Nacht  glänzte  ^)  —  und  was  der  maurisch-an- 
dalusischen  Parenthyrsen  solcher  Prauenvergötterungsgleichnisse 
mehr  sind.  „Dieses  Mirakel  von  Schönheit",  bescheidet  Don  Arias 
den  König,  „nennt  man  den  Stern  von  Sevilla."  Nun  ermangelt 
König  Sancho  natürlich  nicht,  mit  den  markt-  und  bühnenläu- 
figen Vergleichungen  von  Sonne,  Mond  und  Sterne  zu  spielen, 
ein  Gegenstrich  zum  Sprichwort:  Dass  Bettler  mit  den  Kupfer- 
dreiern im  Sacke  klappern.  Lope  zeigt,  hier  und  anderer  Orten, 
dass  auch  ein  Krösus  sich  an  solchem  Geklimper  ergötzen  kann. 
Das  Klimpern  tönt  in  den  Missklang  aus:  Don  Arias  möchte  es 
so  einrichten,  dass  ihm,  dem  König,  für  nächste  Nacht  der  'Stern 
von  Sevilla'  aufgehe,  der  „Epicikel",  der  mit  Feuer  seine  Seele 
entflammt  2) ;  und  dass  ihm  sein  Leibastrolog,  Don  Arias,  der  ihm 
das  Fernrohr  stellt  und  richtet,  Estrella's  Bruder  zuschicke,  den 
Hüter  des  schönen  Sterns,  um  auf  des  Astrologen  Rath,  dessen 
mühseliges  Sternhüteramt  gegen  ein  Hof-  und  Staatsamt  umzu- 
tauschen, das  einen  Ordenstern  'einbringt.  In  einer  nächsten  Scene 
avancirt  schon  Estrella's  Bruder,  Busto  Tabera,  von  dem  schlich- 
ten Tabera  zum  General  von  Orchidona,  und  von  einem  blossen 
Schwesterkammerwächter  zu  des  Königs  Leib-  und  Kammerdie- 
ner^), mit  dem  feierlichen  Versprechen,  —  um  das  Haar,  das 
der  Bruder  in  diesem  Meer  von  königlicher  Gnade  aus  dem  Steg- 


1)  ^Quien  es  la  que  en  un  balcon 
Yo  con  atencion  mire, 

Y  la  gorra  le  quite 

(Jon  alguna  Suspension?  .  .  . 
Una  que,  de  negro,  hacia 
Fuerte  conpetencia  al  sol 

Y  al  horizonte  espanol 
Entre  ebano  amanecia  .  .  . 

2)  Epicicle  que  me  abrasa 

Con  fuego  que  el  alma  siente. 

3)  Y  en  mi  camara  y  palacio 
Quiero  que  asistais  despacio. 


Desde  hoy  asistidme  vos 
En  nii  camara  y  palacio. 


360  ^^^  spanische  Drama. 

reife  findet,  wegzufischen  —  mit  dem  feierlichen  Versprechen, 
der  Schwester  einen  Mann  verschaffen  zu  wollen,  der  eines  sol- 
chen Sternes  würdig.  ^)  Der  Bruder  entfernt  sich  mit  Kopfschüt- 
teln* über  dieses  Sturzbad  von  Gunstbezeigungen  und  Ehrenäm- 
tern, die  ihm  TJnehrenämtern  aufs  Haar  zu  gleichen  scheinen.^) 
Busto  Tabera,  nach  Hause  zurückgekehrt^  schüttelt  noch  das 
Sturzbad  vom  Leibe,  so  heftiglich,  dass  die  von  des  Königs  un- 
erklärlicher Gnaden-Douche  über  den  Bruder  ausgesprüKten  Was- 
sertropfen dem  bei  seiner  Schwester  Estrella  eben  anwesenden 
Bräutigam,  Don  Sancho  Ortiz,  in's  Gesicht  fliegen,  wo  sie, 
vor  Schreck  über  Busto's  Meldung  vom  Sturzbad,  zu  Eiskörnern 
erstarrt,  hängen  bleiben.  Sollte  der  Leser  über  diese  Hyperbel 
den  Kopf  schütteln,  so  mag  sie  des  Ortiz  Liebessprache  in  der 
voraufgegangenen  Scene  mit  Estrella  entschuldigen,  die  ein  an- 
dalusischer  Parenthyrsus  eröffnet  vom  haarsträubendsten  Gongo- 
rismus:  „Du,  mein  göttlicher  Engel!  Wann  werde  ich  Dein 
Gatte  seyn,  vermöge  dieses  Amtes  (des  Ehestandes)  die  Beängsti- 
gungen von  Dir  nehmend,  die  ich  Dir  bereite?  Wann  wirst  Du 
den  weissen  Thau,  den  meine  beiden  Augen  vergiessen,  Sonne, 
die  Du  blendend  aufgehst  in  korallenen  Muscheln,  woraus  Amor 
die  rothen  Lippen  geformt,  mit  friedseligen  Beruhigungen  in  Per- 
len umwandeln,  die  unsere  Seelen  einfassen?'' 2)  Erstarrt  der 
Ehestand  des  Bräutigams  Thränen   in   seeleneinfassende  Perlen, 


1)  Yo  la  casare,  en  mi  nombre, 
Con  hombre  que  la  merezca. 

2)  Mas  parece  sobornarme, 
Honor,  que  favorecerme. 

3)  Don  Sauclio. 

Divin  0  angel  mio 

^Cuando  sere  tu  düeno, 

Saeando  desto  eini)eno 

Las  ansias  que  te  envio? 

^Cuando  el  blanco  rocio 

Que  vierten  rais  dos  ojos, 

Sol  que  alumbrando  sales 

En  conehas  de  corales, 

De  quo  ha  formado  amor  los  labios  rojos, 

Con  apacibles  calmas 

Perlas  haräs  que  engasteu*  nuestras  almas? 


Schreckwirkung.  3ßj^ 

SO  folgt  aus  dieser  poetisch-gongorischen  Hyperbel  die  kritische 
als  Corollariiim  von  selbst,  welche  die  Thränen  desselbigen  Bräu- 
tigams vor  Schreck  zu  Eiskörnern  gefrieren  lässt. 

Nun  wirft  sich  von  selbst  die  Frage  auf:  Warum  verschwieg 
Estrella's  Bruder  dem  Könige  ihr  Verhältniss  zu  Sancho  Ortiz 
de  las  Koelas?  Dass  ihr  Herz  vergeben,  dass  sie  bereits  verlobt 
ist?  Der  Grund  konnte  eben  nur  der  Schrecken  seyn,  der 
von  der  Majestät  eines  absoluten  Königs  ausgeht,  zumal  eines 
Königs,  der  zugleich  «in  'Bravo'  ist,  dessen  blosser  Anblick  schon 
wie  der  Katze  Blick  auf  den  Vogel,  der  Schlange  Blick  auf  den 
Schmetterling,  oder  gar  des  Basilisken  Blick  auf  alles  Lebendige, 
beängstigend,  lähmend,  tödtlich  wirkt!  Gesteht  es  nicht  Busto 
selbst  auf  Ortiz'  Pr^ge,*  warum  er  dem  Könige  verheimlicht,  dass 
Estrella  schon  versprochen  ist?  Busto  entschuldigt  dies  mit  der . 
Verwirrung,  üeberraschungi)  —  Euphonismen  für  Schreckwir- 
kungen, ausströmend  von  einem  König-Bravo.  Dem  unglückseli- 
gen Ortiz  bleibt  selbst  nun  nichts  übrig,  nachdem  Busto  mit 
der  Bemerkung  davon  geeilt,  „Sancho  Ortiz,  der  König  ist  der 
König,  da  gilt  es,  sich  in  Geduld  fassen"  —  nichts  weiter  übrig, 
als  seine  Verzweiflung  in  die  monologische  Majestätsbeleidigung 
zu  verbeissen:  „Tyrann!  der  da  herkommt,  die  Wonne  meiner 
süssen  Vermählung  zu  zerstören!  .  .  .  Mit  vollem  Kecht  ver- 
dienst Du  den  Zunamen  „Sancho  el  Bravo" ! "  ^) 


1)  Don  Sancho. 

Mas  no  cumples  con  la  ley 
De  ainistad,  porque  debias 
Decirle  al  Key  que  ya  estaba 
Casada  tu  liermana. 
Busto.  Andaba 

Entre  tantas  demasias 
Turbado  mi  entendimiento, 
Que  lugär  no  me  dio  alli 
A  decirlo. 

2)  Busto.  Sancho  Ortiz,  el  Rey  es  rey: 

Callar,  y  tener  paciencia. 

(Vase.) 
D.  Sancho.   —    —    —---    —    —     . 
Tirano,  que  veniste 
A  perturbar  mi  triste  casamieuto  . 


362  1^8-s  spanische  Drama. 

Der  Key  Bravo  —  die  Kehrseite  der  Ehrenmedaille  zum  *Bey 
Justiciero',  wo  beide  Königsmachtbefugnisse  in  Sancho's  el  Bravo 
Enkel,  König  Don  Pedro  I.  von  Castilien,  vermengt  und  ver- 
quickt —  unser  König  Sancho  el  Bravo  schleicht  scheu,  wie 
der  Dieb  in  der  Nacht,  als  regelrechter  Frauenehrenräuber ,  in 
Begleitung  seines  die  Beute  ihm  in  den  Rachen  jagenden  Scha- 
kals, DonArias,  um  Busto  Tabera's  Haus,  verhüllt  in  seinen 
Mantel,  das  gewandliche  Familienstück  zu  Lucian's,  des  Helden 
in  Hamlet's  Königskomödie,  und  zu  des  Sextus  Tarquinius  Mantel. 
Dem  ihn  empfangenden  und  vor  Freude  ob  der  Ehre  des  nächt- 
lichen Königsbesuches  ganz  betäubten  Busto  i)  macht  König 
Bravo  weiss,  dass  er  auf  seinem  nächtlichen  Spaziergang  durch 
Sevilla  zufällig  an  Busto's  Haus  vorbeigekommen  und  dasselbe, 
das  ihm  als  so  vorzüglich  sey  gerühmt  worden,  in  Augenschein 
habe  nehmen  wollen.  ^)  Busto  geräth  vor  Entzücken  aus  dem 
Häuschen  und  bei  der  Gelegenheit,  auch  aus  dem  Hause,  zugleich 
mit  dem  Glanz  in  seiner  Hütte,  den  er  aus  selbiger  herauscompli- 
mentirt  mit  dem  Bedeuten,  der  Glanz  möchte  den  des  Ehren- 
spiegels seiner  Schwester  trüben  ^) ;  und  complimentirt  den  König 
bis  in  dessen  Palast  hinein  mit  den  denkbar  unterthänigsten 
Bücklingen  durch  die  stockfinstere  Nacht,  unterdessen  hat  der 
Schakal   Estrella's  Kammerzofe,    die  Mohrin  Matilde,    durch 


Bien  de  don  Sancho  el  Bravo 
Mereces  el  renombre  ... 

1)  Busto.   [Tal  merced,  tanto  favor! 

^Es  mi  casa  vuestra  alteza? 

2)  Por  Sevilla  asi  embozado 
Sali,  con  gusto  de  verla, 

Y  me  dijeron,  pasando, 

Que  eran  vuestras  casas  estas 

Y  quise  verlas;  que  dicen 
Que  son  en  extremo  buenas. 

3)  Dirän  ,  .  . 
Que  venistes  ä  mi  casa 

Por  ver  a  mi  hermana;  y  puesta 
En  buena  opinion  su  fama 
Estä  ä  pique  de  perderla; 
Que  el  honor  es  cristal  puro, 
Que  con  un  soplo  se  quiebra. 


Der  Kammerherrnschlüssel  zu  Estrella's  Kammer.  363 

Gold  und  ein  vom  König  schriftlich  ihr  auszustellendes  Freilas- 
sungsversprechen, für  dessen  Absichten  gewonnen.  Die  Mohrin  er- 
klärt sich  selber  frei  und  frank  als  einen  um  Gold  und  Freiheit 
zum  Begehen  der  grössten  Missethat  äusserst  leicht  entbrennba- 
ren und  feuerfänglichen  Zunder,  i)  Mit  diesem  Erfolge  bei  der 
Zofe  tröstet  sich  der  königliche  Kammerherr  vom  goldenen  After- 
schlüssel oder  Dieterich  zu  heimlich  aufzuschliessenden  Frauen- 
kammern —  tröstet  er  sich  für  den  von  Estrella  so  eben  er- 
haltenen Bescheid  auf  den  Antrag,  wenn  sie  dem  Willen  des 
Königs  sich  füge,  würde  sie  Seine  Majestät  aus  einem  blossen 
Stern  von  Sevilla  zu  einer  „Sonne  von  Sevilla"  machen  voll  gol- 
dener Berge,  die  Städte,  Villen  ui;id  den  Mann  im  Monde  un- 
gerechnet, den  König  Bravo  der  Sonne  von  Sevilla  zum  Gemahl 
vorbehalte.'^)  Wie  lautet  nun  Estrella's  Bescheid?  Sie  dreht 
dem  kammerherrlichen  Rückenschlüssel  den  Rücken  und  entfernt 
sich  mit  dem  Bescheide :  „Solchen  unverschämten  (leichtfertigen) 
Anträgen  giebt  mein  Rücken  (meine  Schulter)  die  Antwort."^) 

Nun  hat  er's!  Bruder  Busto  nämlich.  Und  was  hat  er? 
Den  goldenen  KammerherrnschlüsseP),  den  ihm,  dem  fun- 
kelnagelneuen Kammerherrn,  ein  Hofherr  im  Namen  des  Königs 
überreicht.  Busto  ist  im  siebenten  Himmel,  den  der  Kammer- 
herrnschlüssel oder  goldene  Afterdieterich  ihm  eben  nur  erschlos- 
sen; besorgt  aber  um  so  mehr  einen  Sturz  von  der  Himmelshöhe 


1)  Mat.   Por  la  libertad  y  el  oro 

No  habra,  maldad,  que  no  emprenda  . 
Paes  yo  le  pondre  en  la  mesma 
Cama  de  Estrella  esta  noche. 

2)  Que  si  la  admitas  y  premias 
Seräs  de  Sevilla  el  sol, 

Si  has  sido  hasta  aqui  la  estrella, 
Daräte  villas,  ciudades 
De  quien  seras  ricuhembra, 
Y  daräte  ä  un  rico  hombre 
Por  esposo  .  .  . 

3)  A  tan  livianos  recados 

Da  mi  espalda  la  respuesta. 

(Vase.) 

4)  la  Uave  y  camara. 


364  I^as  spanische  Drama. 

auf  die  platte  Erde  sammt  Dieterich  und  Zubehör.  ^)  Der  goldene 
Zopf  aber  hängt  ihm  hinten,  und  Bu^to  lässt  ihn  dort  auch 
ruhig  hängen.  Don  Arias,  der  Oberkäramerer  mit  dem  passe- 
partout-Schlüssel  am  Kreuz,  heisst  nun  die  Andern  sich  entfer- 
nen, da  der  König  Wichtiges  zu  schreiben  habe.  Betreffs  wel- 
chen Staatsgeschäftes?  Sein  „Yo  el  Key"  nämlich  unter  den  von 
Don  Arias  geschriebenen  Schein,  welcher  der  Mohrin  Matilde 
Haufen  Goldes  und  Freigeben  für  des  Königs  Einlassung  in 
Estrella's  Schlaf kammer  verheisst  mittelst  ihres  Bruders  Kam- 
merherrennachschlüssel. König  Bravo,  schon  ganz  auf  diesen 
Schlüssel  gestimmt,  freut  sich  königlich  über  das  gute  Geschäft, 
das  er  mit  der  Mohrin  gemacht,  die  ihm  „die  Sonne  des  Him- 
mels in  dem  Stern  von  Sevilla  verkauft"  2)^  und  schliesst  gleich 
mit  besagtem  Schlüssel  den  ersten  Act  hinter  sich  zu. 

„Ein  göttlich  Ding  doch,  König  seyn !"  ^)  ruft  schonEingangs 
des  zweiten  Acts  König  Bravo,  entzückt  ob  der  Wirkung  sei- 
nes Schenkungsbriefes  auf  die  Mohrin  Matilda,  die  ihm  dafür 
sogleich  Thiir  und  Thor  zu  ihrer  Gebieterin,  dem  Stern  von  Se- 
villa öffnet  —  Teufels -Busto,  der  wiederum  der  Majestät  von 
Castilien  den  Nachtspass  verderben  muss!  Die  Mohrin  läuft  da- 
von, König  Bravo  zieht  den  Mantel  bis  über  die  Augen.  „Hand 
an's  Schwert!"  —  brüllt  Busto  die  Vermummten  an  —  „oder,  so 
wahr  Gott,  ich  bring'  Euch  um!"^)  Zwischen  Borke  und  Rinde, 
muss  der  Vermummte  Bravo  gut  oder  übel  den  Degen  ziehen, 
nicht  ohne  sich  dess  zu  brüsten,  und  prahlend,  dass  er  ein  Kö- 
nigswerk "vollziehe.  „Stirb,  Wicht,  mir  giebt  der  Name  König 
Kampfesmuth  und  er  wird  Dich  tödten."^^)    Busto:   „Mein  Kö- 


1)  Puerta  me  bace  de  su  cielo; 
Aunque  me  amenaza  el  suelo 
Viendome  tan  levantado. 

2)  Que  me  vende  el  sol  del  cielo 
En  la  Estrella  de  Sevilla. 

3)  Divina  cosa  es  reinar. 

4)  Meted  mano,  6,  jvive  Bios, 
Que  OS  mate! 

5)  Porque  te  admire  y  te  asombre 
En  las  obras  lo  sere  (rey) 
Muere,  villano;  qne  aqui 


Busto  hängt  die  Mohrin  Matilda  vor  dem  Fenster  des  Königs  auf.    3Gr 


nigstitel  ist  allein  die  Ehre"  ^)  und  thut  Bescheid  mit  seiner  lOinge, 
und  dem  Kammerherrnschlüssel  auf  der  Hinterbacke.  Marktläu- 
figer Zweikampf,  unausbleibliche  Diener  mit  Fackeln.  König 
Bravo  zieht  den  Mantel  zum  Degenspiel  über  die  Ohren,  und 
mit  diesen  vor  den  Fackeln  auf  und  davon.  Beim  Licht  dieser 
Fackeln  besehen  —  was  ist  Königs-  und  Majestätswidriger:  sol- 
cher Zweikampf,  oder  der  Anlass  dazu:  das  Werk  der  Finsterniss 
als  unterbrochenes  Frauenschändungsopf erfest?  Die  Königsschmach 
fühlt  der  grosse  Dichter  und  deutet  mit  Fingern  darauf  —  eine 
nackte  Duellklinge  deckt  aber  gleich,  auch  in  seinen  Augen,  alle 
Blossen  zu  und  die  anstössigsten ,  schimpflichsten  Majestätsskan- 
dale. Hand  an's  Herz,  statt  an  den  Degenknopf!  Haftet  an  die- 
sem orthodoxen  Begriff  von  der  unbedingten  Sühnkraft  des  Duell- 
muthes  nicht  ein  Rostfleck  von  unüberwindlicher  Furcht  vor  Feig- 
lieitsvorwurf,  folglich  ein  Feigheitsrostfleck?  —  Busto  glaubt  der 
hyperbolischen  Versicherung  '  der  Mohrin  Matilda,  dass  sie 
Estrella,  als  Stern  von  Sevilla,  mit  ihren  Strahlen  versengt  haben 
würde,  wenn  sie  die  leiseste  Ahnung  von  dem  Handel  gehabt 
hätte.  „Klar  wie  der  Tag"  —  versetzt  Busto  —  „denn  könnte 
sie  ihr  Licht  verdunkeln,  wäre  sie  nicht  der  Stern,  der  sie  ist"  ^) 
Heisst  das  nicht  den  armen  Stern  von  Sevilla  zu  Tode  hetzen, 
oder  doch  zur  verstiebenden  Sternschnuppe  schneuzen?  Busto 
macht  die  Mohrin  Matilda  ganz  und  gar  zur  Hyperbel,  indem 
er  sie  auf  der  äussersten  Dachzinne  baumeln  lässt,  dem  Cabi- 
netsfenster  des  Königs  schrägüber  und  diesem  vor  den  Augen. 
Welche  auf  die  Dachgiebel-Spitze  getriebene  Hyperbel!  Vorerst 
geht  aber  noch  ein  gewichtiger  Auftritt  über  die  Bühne.    Der 


Alien to  el  nombre  me  da 
De  rey,  y  el  te  matarä. 

1)  Solo  mi  honor  cina  en  mi. 

(riilca.) 

2)  Mat.  Pienso  que  ella 

En  sus  rayos  ä  abrasar 
Me  vhiiera  si  entendiera 
Mi  concierto  (con  el  rey). 
Busto.  Cosa  es  clara; 

Porque  si  acaso  enturbiara 
La  luz,  estrella  no  fuera. 


366  I^as  spanische  Drama. 

Auftritt  nämlich,  bei  des  Königs  nächtlicher  Rückkehr  in  sein 
Schloss,  auf  der  Strasse,  mit  Don  Arias,  der  keine  Sühne  für 
Busto's  tapfere  Abwehr  der  schimpflichen  seinem  Hause  vom 
Könige  zugedachten  Entehrung  kennt,  als  Busto's  Kopf.  Die  ge- 
rechteste Strafe,  die  von  der  aufgehenden  Sonne  beschienen  wer- 
den könne,  massen  im  ganzen  Umkreis  des  spanischen  Gebietes 
es  keine  anderen  Gesetze  gebe,  als  des  Königs  bon  plaisir.  ^)  Als 
Lope  diese  Tragödie  schrieb,  war  der  „orbe  espanol"  der  „orbis 
terrae",  ging  die  Sonne  im  Umkreis  des  spanischen  Gebietes  gar 
nicht  unter  und  beschien  sie  die  glorreichen  Tage  König  Peli- 
pe's  IL  el  Bravo,  der  mit  seinem  Don  Arias,  dem  Antonio 
Perez  ein  ähnliches  Geheimgespräch  gehalten  haben  mochte,  als 
Escovedo's  Meuchelmord  zwischen  Felipe  el  Bravo  und  seinem 
Geheimsecretär  Antonio  Perez  verhandelt  wurde,  wie  Mr.  Eugene 
Barret's  scharfe  Uebersetzer-Spürnase  wittert.^)  Die  Witterung 
dürfte  sogar  auf  der  richtigen  Fährte  Schneppern,  dass  Lope  bei 
diesem  Auftritt  an  jenen  Felipe-Pefez-Handel,  betreffend  Escove- 
do's  Kopf,  gedacht  haben  konnte.  In  Augenblicken,  wo  bei  Lope 
der  Dichter  mit  dem  Spanier  durchging,  hatte  der  grosse  asturi- 
sche  Poet  solchte  lichte  Intervalle,  wie  kein  anderer  Spanier,  Und 
dass  diese  Auftritte,  dass  der  'Stern  von  Sevilla'  in  solchen  Au- 
genblicken gedichtet  worden,  —  unsere  Witterung  auf  eigene 
Spürnase  —  giebt  dieser  Tragödie  ihren  Hauptreiz  und  Werth  in 
unsern  Augen  und  den  lieblichsten  Wohlgeruch  unserer  Nase. 
König  Bravo  scheut  zurück  vor  einer  öffentlichen  Hinrichtung 
des  Busto.  „Ei,  Sire,  so  lasst  ihn  heimlich  bei  Seite  schaffen."  ^) 
Wörtlich,  wie  Antonio  Perez,  seinem  Geheimsecretäramte  ge- 
mäss, dem  Eey-Bravo  IL,  bezüglich  des  Escovedo,  gerathen,  „Doch 
welcher  Geheimmörder  besorgt  uns  das  Geschäft?"  fragt  König 
Sancho.     „Der  tapferste   aller  Ritter"  —  ist  Arias  flink  zur 


1)  Pague  con  muerte  el  disgustoj 
Degüellale,  vea  el  sol 
Naciendo  el  castigo  justo, 
Pues  en  el  orbe  espaiiol 

No  ha}^  mas  leyes  que  tu  gusto. 

2)  Oeuvres  dram.  de  Lope  de  Vega  Trad.  de  Eug.  Barret  1.  p.  29.  n.  1. 

3)  Pues,  hazle  Senor,  matar 
En  secreto. 


Estrella's  Bräutigam  vom  König  zum  Mörder  ihres  Bruders  gedungen.   367 

Hand  —  „ein  Soldat  sondergleichen,  der  den  Mohren  auf  dem 
stolzen  Obelisken  von  Gibraltar  mehr  als  einmal  hat  zittern  ma- 
chen, kurz:  8ancho  Ortiz  de  las  Boelas,  genannt  der  'Cid 
von  Andalusien'.  1)  Was?  ein  Graf  Appiani  und  ein  Angelo 
in  Einer  Person?  Ein  solches  zweischlächtige  Monstrum  von  Na- 
turspiel ist  eben  nur  im  Lande  der  durchgängigen  Zwieschläch- 
tigkeit  zuhause,  und  darauf  rechnet  eben  mit  Zuversicht  der  spa- 
nische Marinelli.  Seht,  sehtl  Was  schwebt  und  baumelt  dort 
auf  der  Zinne  des  Alcazar  im  Wind?  Ha,  neuer  Schimpf,  der 
Majestät  angethan!  Die  Mohrin  ist's,  die  dort  am  Seile  hampelt, 
mit  des  Königs  Schenkungs-  und  Freibrief  in  der  Hand.  Na- 
menloses Majestätsverbrechen!    Tabera  hat  gelebt P) 

Der  andalusische  Zwitter,  ein  Cid  und  Meuchelmörder,  ne- 
benbei Estrella's  Bräutigam,  dreiköpfig  wie  der  spanische  ürbravo- 
König,  Geryon,  Sancho  Ortiz  wartet  schon  draussen  im  Vor- 
saal, während  mittlerweile  sein  Namensvetter,  König  Sancho 
el  Bravo  sich  nach  zwei  Seiten  hin  den  Rücken  gedeckt,  mit 
zwei  versiegelten  Handschreiben,  deren  eines  den  an  Busto  zu 
vollziehenden  Meuchelmordbefehl  enthält;  das  andere  die  vom 
König  abgegebene  Erklärung,  dass  er,  der  König,  den  Auftrag 
zur  Ermordung  ertheilt,  wodurch  der  Vollstrecher  vor  jeder  Ver- 
antwortlichkeit gesichert  und  schuldfrei  bleibt.  3)  Nur  ein  Nach- 
folger des  spanischen  Urkönig-Bravo  mit  drei  Köpfen  konnte  auf 
dieses  doppelköpfige  Auskunftsmittel  in  Form  von  zwei  versiegel- 
ten parallelspanischen  Briefen  verfallen.  Die  nun  folgende  Scene 
zwischen  König  Sancho  el  Bravo  und  dem  von  ihm  zur  Er- 
mordung des  Busto  Tabera,  zu  dessen  'Bravo'  gedungenen  Don 
Sancho  Ortiz  ist  so  spanisch-geryonisch  wie  möglich. 


1) 

D.  Arias. 

Pues  yo  darte  un  hombre  quiero 
Valeroso  y  gran  soldado 
Oomo  insigne  caballero  .  .  . 

Hey. 

Su  nombre  ^como  es? 

D.  Arias. 

Sanclio  Ortiz  de  la  Roelas 
Y  el  Cid  andaluz  despues. 

2) 

D.  Arias. 

Asi  se  pierde  el  respeto! 
Tabera  no  ha  de  quedar. 

3) 

—  de  aquesta  suerte 
El  quedarä  desculpado. 

368  I^as  spanische  Drama. 

Man  denke  sich  eine  Meduse  mit  zwei  Köpfen:  so  doppelt 
versteinernd  wirkt  die  nach  kurzem  Pourparler  mit  Sancho 
Ortiz  vom  Könige  hingeworfene  Erklärung :  dass  der  heimlich 
von  Ortiz  zu  Tödtende  eines  Majestätsverbrechens  sich  schul- 
dig gemacht.  „Verdient  derjenige"  —  fragt  König  Sancho  den 
ob  heimlicher  Ermordung  einiges  Bedenken  hegenden  Sancho 
Ortiz  —  „verdient,  der  ein  crimen  laesae  begangen,  den  Tod?" 
„Den  Feuertod",  bekräftigt  Ortiz.  „Nun  denn",  fährt  König 
Sancho  fort:  „unser  Mann  hat  an  mir  ein  crimen  laesae  be- 
gangen!" „Dann"  —  übereifert  Sancho  Ortiz  den  König  — 
„dann  fordere  ich  seinen  Tod,  und  wär's  mein  Bruder,  er  stirbt 
von  meiner  Hand !"  ^)  Meuchelmordsteif  gorgonisirt  von  dem  Me- 
dusenhaupt 'crimen  laesae',  bestände  dieses  crimen  laesae  ma- 
jestatis  auch  nur  in  einer  von  Ehre  und  Pflicht  gebotenen  Ab- 
wehr eines  von  der  Majestät  selbst  intentionirten  Majestätsver- 
brechens gegen  Gott  und  Menschheit  und  Königspflicht.  „Hand 
und  Wort!  Auf  Caballero -Parole.  Topp!  und  eingeschlagen!" 
„Mit  dem  Handschlag  See?  und  Seligkeit  und  Treue  verpfän- 
det!" 2)  Doch  behält'  sich  die  Caballero-Parole  den  Zweikampf 
vor,  den  doppelseitigen  Meuchelmord  von  vorn  statt  hinterrücks. 
Der  König  lässt  es  sich  gefallen,  obgleich  dem  Eey  neto  der 
Meuchelmord  neto,  der  Meuchelmord  tout  pur,  weil  sicherer,  ent- 
schieden lieber  wäre.  ^)  Das  vom  König  ihm  zugestellte,  den 
Mörder  schuldfrei  und  verantwortungslos  erklärende  Papier  zer- 
reisst  Ortiz,   als  das  unbedingte  Vertrauen  in  des  Königs  Wort 






1) 

Key. 

?Merece  el  qne  ha  cometido 
Crimen  laesae  muerte? 

D.  Sancho. 

En  fuego. 

Rey. 

^Y  si  crimen  laesae  ha  sido 
El  deste?  .  .  . 

D.  Sancho. 

Qiie  muere  luego, 
Avoces,i  Senor,  es  pido; 
Y  si  es  asi,  la  dare, 
Senor  a  mi  mismo  hermano. 

2) 

Rey. 

Dadme  esa  palabra  y  mano. 

D.  Sancho. 

Y  in  ella  el  alma  y  la  fe. 

3) 

Rey. 

Hallandole  descuidado 
Puedes  matarle. 

Die  beiden  Bravo^s.  3ß9 

beeinträchtigend,  was  schier  an  ein  crimen  laesae  streifen  möchte.  ^) 
Als  einzige  Belohnung  erbittet  sich  Ortiz  die  Hand  des  Weibes, 
das   er  liebt,    und  wär's   die  Hand  der  vornehmsten  Dame  in 
Sevilla,  König  Sancho  sagt  sie  seinem  Bravo  zu. 2)    Ein  sceni- 
scher  Lichteinfall  von  schlagendster  Wirkung!   Welchen  Abgrund 
von  raffinirt  barbarischen  Vorurtheilen,  verkehrten  Pflicht-  und 
Ehrbegriffen,    und   tiefer   Sittenverwilderung    erhellt   aber   auch 
dieser  scenische  Lichteffect,  dieses,  vom  dramatischen  Genie  über 
eine  solche   Situation   geworfene  Schlaglicht!    Zuletzt   übergiebt 
ihm  der  König  das  zweite  versiegelte  Papier,  das  den  Namen  des 
zu  Ermordenden  enthält,    und    empfiehlt   „schnelle  Arbeit  und 
Schweigen  "3),  wie  das  Geschäft  es  mit  sich  bringt,  zumal  unter 
medusenhafter  Wirkung   des  crimen  laesae.     Wenn  nur,  Gott 
besseres!  der  Dichter  nicht  auch  uns  den  verzaubernden  Schild  sei- 
nes Genie's,    wie  Aristo's  Magier,    Atlante,   im  Hochfluge  zu- 
schwenkte, versteinernd  in  Bewunderung  unser  ürtheil!    In  Be- 
wunderung über  die  erfinderischen  Würfe,  die  Schlag  auf  Schlag 
die  Situation  des  unseligen  Ortiz  auf  die  Spitze  ihrer  Katastrophe 
treiben ;  ihn  in  ein  tragisches  Schicksal  verstricken,  hineinstürmen 
vielmehr,  dessen  dramatischer  Knoten  sich  aus  den  Vipernhaar- 
flechten der  Meduse  schlingt  und  zu  diesen  sich  entknäult.  Nicht  das 
versiegelte  Blatt  lässt  nun  Lope,  nach  der  Scene  mit  dem  König, 
seinen   Ortiz  öffnen,    um  den  Namen  zu  lesen:    Das  Briefchen 
liest  der  unglückliche,  das  ihm  sein  Diener  Clarindo  so  eben 
von  Estrella  überbrachte,  worin  die  wonnevolle  Braut  dem  be- 
seligt unglückseligen  Bräutigam  ihres  Bruders  Wunsch  mittheilt, 
dass  die  Vermählung  unverzüglich  stattfinde.     Und  hierauf  erst 
lässt  ihn  Lope  das  Papier  aufbrechen,  woraus  ihn  desselben  Bru- 
ders Namen  medusisch  anstarrt,  als  desjenigen,  den  zu  tödten  er 
sich  dem  Könige  durch  narkotisirenden  Handschlag  und  petrifi- 
cirendes  Ehrenwort  verpflichtet  und  verschworen.   Der  Erstarrungs- 


1)  D.  Sancho.  Que  en  parte  desacredita 

Vuestra  palabra  el  papel. 

2)  Aunque  sea 
Ricatembra  de  Castilla 
Os  la  concedo. 

3)  —  obrad  y  callemos. 

X.  ^4 


370  I^as  spanische  Drama. 

oder  Versteinerungskampf  zwischen  Thnn  und  Lassen,  Pflicht-  und 
Ehrgebot,  ist  gorgonisch  krampfhaft;  gorgonisch  in  der  zweiten 
Potenz;  denn  die  Medusenwirkung  ist  plötzlich,  während  Don 
Sancho's  Seele  sich  in  Agonien  von  Antagonismen  herumkrümmt 
und  windet  und  bäumt,  und  peinvoll  ringelt,  als  schüttele  sich 
seine  Seele,  sein  Gewissen  zu  den  Schlangen  des  Medusenhauptes 
auseinander,  die  gegenseitig  die  Schreckversteineruug  durch  das 
Schmiegen,  üebereinanderschlingen  und  Kingeln  und  Durcheinan- 
derwickeln, Wälzen,  Verschränken  und  Zusammenknoten,  gerade 
an  sich  selbst  vollzögen,  bis  der  kämpf-  und  krampfvolle  Wider- 
streit letztgültig  in  das  Ehrenpflichtgebot  erstarrt,  des  Königs 
Auftrag  zu  erfüllen.  „Busto  sterbe,  Busto  sterbe!"  —  zu  Stein 
erstarrt,  und  der  Ehrenpflichtenkampf  alle  Viere  von  sich  streckt.  ^) 


t)  Don  Sancho. 

Buscar  ä  Busto  quiero, 
Qiie  entre  descos  y  esperanzas  muero. 
Wirft  ab  und  zu  einen  Blick  in  das  gorgonische  Blatt,  das  ihm  das  Leben 
selbst  als  ein  durcheinandergeworfenes  Spiel  Karten  vor  die  Sinne  wirrt, 
und  als  ein  Glückswechsel-Kartenspiel: 

Todo  esta  vida  es  jugar 

Una  carteta  imperfeta, 

Mal  barajada,  y  sujeta 

A  desdichas  y  pesares  ... 

Pintada  la  suerte  vi; 

Mas  luego  se  despinto, 

Y  el  naipe  so  barajo, 

Para  darme  muerte  ä  mi. 
So  pointirt  er   denn   auf  Busto's  Tod   und  Leben  rouge  et  noir: 

Viva  Busto,  Viva  Busto! 
Pointirt  bald  auf  seine  Ehre,  bald  auf  seine  Liebe: 
—  Mas  no  puedo  con  mi  honor 
Cumplir,  si  a  mi  amor  acudo. 
Wieder    ein   Blick    aufs  Blatt.     Gesetz    und    Königsbefehl:     Sancho 
Ortiz  klemmt  nun  zwischen  diese  beiden,   wie  jene  pontischen  parallelen 
Felsen-Scheeren ,   zueinander  und    auseinander  prallenden  Schicksals-Con- 
trastniächte ,    sein    von  beiden   Widerstössen    zerquetschtes,    und  in   zwei 
Stücke  zerrissenes  Gewissen:    „Doch  giebt  es  kein  Gesetz,  das  zu  solcher 
That  verpflichte"  »  .'  .    Doch  ja,   es  giebt  ein.  solches  Gesetz,   des  Königs 
Wille,  selbst  der  ungerechte.    Drum  geschehe  Gottes  in  des  Königs  Willen! 
Mag's  dieser   vor  Gott  verantworten.     Dem   Könige  zu  Willen   seyn,   ist 
unter   allen  Umständen   recht.    Busto  sterbe,   Busto  sterbe,   da   es    doch 


Bruder  und  Schwager.  37 1 

Busto  kommt  —  welche  Situation!  Wie  Domierschlag  auf 
Blitzes-Leuchten,  ehe  man  sagen  kann  es  hat  geblitzt!  Und  doch, 
nach  den  Kunstwirkungen  ächter  Tragik  gewürdigt,  Blendwerk, 
Spiegelfechterei  der  Hölle.  Die  Quellen,  die  Wurzeln  dieser  Si- 
tuationsmotivirung  sind  vergiftet^  die  sittlichen  Grundbegriffe  ver- 
wirrt, paralysirt;  die  Stimmen  des  tragischen  Gewissens  mit 
Thronpolstern  und  Huldigungskissen  erstickt.  Es  sind  pure  Si- 
tuationskatastrophen aus  falschen,  vom  poetischen  wie  ethischen 
Gesichtspunkt  gleich  verwerflichen  Grundmotiven  entsprungen, 
situationstaschenspielerisch ,  wie  der  Harlekin  aus  der  Pastete, 
hervorgesprungen;  weil  aus  hohlen  inhaltleeren,  conventioneilen, 
im  Principe  nichtigen  Motiven  gauklerisch  vorgespiegelt,  nur  im- 
provisatorisch entsprungen,  nicht  aus  der  Tiefe  wahrhaft  dramati- 
scher Psychologie,  nicht  aus  der  ewigen,  allzeit  gültigen,  allein 
poetisch  wirksamen,  und  kathartischen  Pflicht-  und  Gewissensge- 
setze entwickelt. 

Busto  Tabera  kommt  als  "Bochzeitbitter,  den  Bräutigam 
und  Schwager  nämlich,  Don  Sancho  Ortiz,  zur  Vermählung 
mit  seiner  Schwester,  Estrella,  einzuladen,  mit  der  er  bereits 
durch  schriftliches  Ehegelöbniss  verbunden  sey.  ^)  Don  Ortiz,  in 
seiner  Betäubungsstarre,  wirft  ihm  die  Zurücknahme  seines  Ehe- 
gelübdes als  Fehdehandschuh  vor  dieFüsse,  Zweikampf.  Busto 
fällt,  den  Todesstoss  giebt  ihm  Don  Sancho  mit  dem  Aparte: 
Verzeih  mir,  Liebe,   des  Königs  Unbill  hat  mir   die  Besinnung 


keinen  giebt,  der  da  spräche:  Busto  lebe,  Busto  lebe!   Damit  ist  die  Ver- 
steinerung von  Sancho  Ortiz'  Gewissen    vollbracht,   wie  die  des  Ruthen- 
bündels, worauf  Perseus  zufällig  das  Gorgohaupt  gelegt  hatte: 
Pues  ^que  debo  obedecer? 
La  ley  que  fuere  primero. 
Mas  no  hay  ley  que  ä  questo  obligue, 
Mas  si  hay;  que  anunque  injusto  el  Rey 
A  el  despues  Dios  le  castigue  ,  .  . 
Que  anunque  nie  cueste  desgusto 
Acüdir  al  Rey  es  justo: 
Busto  muera,  Busto  muera. 
1)  Ya  por  escritura  estais 

Casado  con  dona  Estrella. 

24* 


372  I?as  spanische  Drama. 

geraubt ,  und  Widerstand  war  unmöglicli.  0  Don  Sancho's 
Verhalten  bei  Busto's  Leiche  ist  wieder  ein  tragisch-dramatischer 
Lichtblick  des  Genies.  Seine  Besinnung,  sagt  er,  ist  zurück- 
gekehrt, „tödte  mich!"  fleht  er  aus  jammernder  Seele  dem  ster- 
benden Freund.  „Stoss'  mir  Deinen  Degen  in  die  Brust !"  '^)  Die 
Besinnung  zurückgekehrt  —  darf  ein  blinder  Glaube  an  ein 
conventionelles  Ehrendogma  in  der  Tragödie  die  Wirkung  der 
tragischen  Leidenschaft  usurpiren?  Zumal  wo  dieses  Dogma  so 
formell  eingreift  wie  hier;  wo  keine  Ehrenkränkung  ihres  Bachers 
obwültet,  nein,  eine  Ehrenrache  aus  zweiter  Hand  auf  Königs- 
wort und  noch  obenein  mit  dem  Verdacht  vonseiten  Don  Sancho's, 
der  König  könne  die  Ermordung  des  Bruders  befehlen,  weil  er 
unlautere  Absichten  auf  die  Schwester  hege.  ^)  Konnte  ein  aus 
tragisch-psychologischen  Widersprüchen  so  verfitztes,  und  doch 
zugleich  durch  seine  scenisch-improvisirten,  aber  bewältigenden 
Situationswirkungen  so  ergiebiges  Motiv  einem  andern  dramati- 
schen Genie,  als  dem  eines  Spaniers,  entspringen?  Und  noch 
mehr  des  Wunders!  Dieses  spanische  Gehirn  streift  an  die  Ah- 
nung dieses  Widerspruchs,  aber  so,  dass  es  die  Ahnung  gleich- 
sam nur  wie  im  Traume  stammelt.  „Eine  grausame  Strenge"  — 
ruft  der  von  zwei  Grossalcalden  am  Selbstmord  verhinderte 


1)  Don  Sancho  (Ap.). 

Perdone  amor;  que  el  exceso*) 
Del  Eey  me  ha  quitado  el  seso 
Y  es  el  resistirme  en  vano. 

2)  Don  Sancho. 

Mas  aqui,  hermano  te  pido 
Que  ja  que  cobre  el  sentido 
Que  tu  mi  mates  ä  mi. 

3)  <iSi  le  mata  por  Estrella 

El  Eey,  que  servilla  trata?  .  .  . 
ventilirt  Sancho  u.  a.  in  dem  beregten  Monolog  vor  dem  Zweikampf. 


*)  Selbst  wenn  'Exceso'  die  dem  Könige  zugefügte  Unbilltbedeuten 
soll,  ist  Don  Sancho's  Besinnungs-  und  Willenslosigkeit  für  eine  tragische 
Entscheidung  so  unzurechnungsfähig,  dass  diese  den  Charakter  einer  blin- 
den Fatalität  annimmt,  um  so  gewisser,  da  Ortiz  bhndhin,  auf  das  blosse 
Wort  des  Königs,  an  das  crimen  laesae  glaubt. 


Spanisches  Dichtergewissen.  373 

Don  Sancho  —  „dass  ein  verpflichtetes  Wort  und  ein  geläu- 
tertes Ehrgefühl  über  die  Menschen  so  Unseliges  verhängt!"  ^) 
Zu  retten  wäre  dieses,  vom  poetischen,  sittlichen  und  mensch- 
lichen Gesichtspunkt  aus,  sectirische  Dogma  des  spanischen  Kö- 
nigs- und  Ehrenpflichtbegriffes,  zu  retten  für  die  dramatische 
Kunst  wäre  dasselbe  nur,  wenn  es  aus  der  Intention  und  dem 
philosophisch  poetischen  Kunstbewusstseyn  des  Dichters  heraus, 
wenn  das  unmenschlich-unpoetische  Pflicht-  und  Ehrenprincip  sel- 
ber zu  tragischer  Läuterung  käme;  wenn  der  „fiero  rigor"  sich 
wahrhaft  und  wirklich  zum  'crisolado  honor',  vermöge  der  dra- 
matisch-tragischen Processe,  klären  und  reinigen  würde.  Vollzieht 
nun  dieses  für  die  tragische  Kunst  so  unheilvolle  Dogma  in  irgend 
einem  spanischen  Drama  eine  derartige  Sühne  an  ihm  selber?  In 
keiner  einzigen,  und  auch  in  dieser  Stern-Tragödie  des  Lope  nicht, 
wo  die  Vollziehung  dem  Dichtergewissen  doch  so  nahe  lag!  Im 
Gegentheil,  es  duselt  so  unerweckbar  darüber  wieder  ein,  das  Dichter- 
gewissen, dass  es  aus  seiner  Seele  heraus  den  Sancho  Ortiz  das  „grau- 
same" Dogma,  „fiero  rigor"  als  das  reinste,  heiligste,  unverletzbare, 
als  den  an  sich  schon  „geläuterten  Ehrbegriff"  preisen  und  bekennen 
lässt.  Sancho  Ortiz  wird  auf  Geheiss  des  hinzugetretenen  D o n 
Arias  —  auch  dies  wieder  trotz  alledem  ein  ecce  Signum  des  dra- 
matischen, auf  sittliche  Einwirkungen  abzielenden  Dichtergeistes 
—  von  den  Alcalden  verhaftet.  Vor  der  Fortführung  theilt  Don 
Sancho  mit  dem  Alcalden  Don  Pedro  de  Guzman  noch  eine 
Vielliebchen-Mandel,  die  zwei  parallele  Motivkerne  einschliesst: 
„Wenn  ich  meinem  Herzen  Gewalt  anthue,  so  geschieht  es,  weil 
ich  das  Gesetz  achte.  Dies,  Seiior,  heisst  König  seyn 
und  das,  Senor,  es  nicht  seyn.  Das  will  verstanden  und 
nicht  verstanden  seyn,  da  ich  es  verschweige"  . .  .  '^)    Und  duselt 


1)  Un  fiero  rigor, 

Que  tanto  en  hombres  labra 
Una  cumplida  palabra 

Y  un  acrisolado  honor. 

2)  Yo  si  atrupeUo 
Mi  gusto,  guardo  la  ley, 
Esto  Seiior  es  ser  rey 

Y  esto,  Senor,  es  no  serlo. 


374  ^^s  spanische  Drama. 

doch  wiederum  über  der  Knackmandel  ein,  betreffs  welcher  Sancho 
Ortiz  den  Alcalden  an  einen  „Anderen  verweist,  der  sie  auf- 
knacken soll."  Das  Warum  er  Busto  umgebracht,  mag  dem 
Alcalden  ein  Anderer  (der  König  nämlich)  erklären,  i)  Auf  das 
Warum,  das  porque,  das  Thatmotiv,  kommt  eben  im  Drama 
gar  vieles  an.  Im  spanischen  Drama  wird  aber  gerade  dieses 
porque  offenbar,  wenn  die  Todten,  die  es  auf  dem  Gewissen  hat, 
auferstehen. 

Die  Braut,  Estrella,  finden  wir  bei  der  Hochzeitstoilette, 
die  ihre  Kammerjungfer  Teodora  beschicken  hilft.  Congeniale 
Situation  mit  ähnlichen  bei  Shakspeare.  In  dieser  stillen,  putz- 
bräutlichen  Herzensfreude  bricht  unversehens  der  volle  tragische 
Schrecken  ein:  Die  zwei  Alcalden  führen  der  Braut  die  Leiche 
des  Bruders  zu.  Diese  Bühnenwunder  kommen  Lope's  dramati- 
schem Genie ,  die  haarsträubenden  Begriffe  von  den  tragisch-dra- 
matischen Ideen  und  sittlich  göttlichen  Entscheidungsmächten 
dem  Spanier  Lope  in  Rechnung.  Zeugniss  von  seinem  trefflichen 
Verständniss  der  tragischen  Ironie  legt  in  dieser  Schlussscene 
des  zweiten  Acts  des  Alcalden,  Don  Pedro,  der  Braut  zur  Be- 
ruhigung gespendeter  Trostzuspruch  ab,  dass  der  Mörder  ihres 
Bruders,  Sancho  Ortiz  de  las  Roelas,  dingfest  gemacht  worden 
und  sich  in  sicherem  Verhaft  befinde.  Der  unglückselige  Stern 
von  Sevilla  jammert  über  sich  selbst  als  ihren  eignen  ünglücks- 
stern'-^),  Brautputz  und  Haare  sich  vom  Kopfe  reissend.  Und 
nochmals  als  Schlusspunkt  des  Actes:  „Das,  Teodora,  war  mein 
Stern.^'  ^)  Ob  denn  auch  unter  den  Goldfischen  im  Himmels- 
teiche, den  Sternen,  ein  Key  el  Bravo  als  Hecht  hausen  mag,  wie 
unter  den  Sternen  von  Sevilla?  und  ob  es  wohl  auch  dort  San- 
cho's  Ortiz  de  ßoelas  giebt,  die  mit  ihrem  Herzensstern  den 
Hecht  noch  obendrein  füttern,  blos  weil  er  ein  Hecht  ist?  Erste- 
res  mag  vielleicht  ein  Weltgesetz  seyn,  aber  Letzteres?    Yo  lo 


Entendello  y  no  entendeUo 

Importa,  pues  yo  lo  callo. 

1) 

Otro  confiese  el  porque. 

2) 

iDesdichada 

Ha  sido  la  estrella  mia! 

3) 

Esta  lia  sido,  Teodora,  estrella  mia. 

Estrella's  Ximene-Audienz,  375 

mate.    „Ich  hab'  ihm  den  Garaus  gespielt"  —  warum  sollte  dies 
nicht  auch,  inbezug  auf  den  Hecht,  Weltgesetz  seyn  können? 

König-Bravo  nimmt  ein  seltsames  Gebahren  an  der  Schwelle 
des  dritten  Actes  an.  Er  lässt  durch,  den  Alcalden  den  ver- 
hafteten Sancho  auffordern,  den  Anlass  und  den  wahren  Grund 
von  Busto's  Ermordung  frei  und  offen  anzugeben,  wenn  er  noch 
morgen  früh  seinen  Kopf  will  auf  den  Schultern  tragen.  Sagen 
soll  Sancho,  wer  ihn  zu  dem  Morde  beredet  habe;  bekernnen,  jjjid 
wenn  er  es  selbst  wäre,  der  König.  ^}  Estrella  wird  gemeldet. 
Sie  fordert,  wie  Cid's  Ximene,  Gerechtigkeit  vom  König  und  Aus- 
lieferung des  Mörders. -)  Der  König  hilft  sich  mit  erklecklichen 
Gongorismen  aus  der  Verlegenheit:  Der  Stern  von  Sevilla  möchte 
doch  ihren  Thränen  Einhalt  thun,  damit  sie  ihm  nicht  den  Palast 
verbrenne,  denn  die  Thränen  der  Sonne  sind  die  Sterne  und  jeder 
ihrer  Strahlen  ein  „Topas".  ^)  Der  „Topas"  erinnert  ihn  an  sei- 
nen King;  er  giebt  ihn  der  Estrella,  als  Wahrzeichen,  das  ihr 
die  Kerkerthüre  der  Justiz  Tri a na'*)  aufschliessen  werde,  wo 
der  Mörder  ihres  Bruders  gefangen  sitzt.  Die  Scenen  des  dritten 
Actes  drohen,  eine  nach  der  anderen,  aus  der  Kolle  des  durch 
Situationspathos  und  scenische  Wirkung  immerhin  bewältigenden 
zweiten  Actes  zu  fallen.  Don  Sancho  im  Kerker  lässt  sich 
ein  Musikständchen  bringen,  um  wie  ein  Schwan  zu  sterben.^; 


1)  —  y  le  prevenid 

Que  declare,  aunqiie  sea  yo. 

2)  Dame  el  homicidä. 

3)  Rey.   SoBegüos,  y  enjugad  las  luces  bellas, 

Sino  quieres  que  se  arda  mi  palacio; 
Que  lagrimas  del  sol  son  las  estrellas 
Si  cada  layo  suo  es  un  topaiso. 

4)  Eines  der  festesten  spanischen  Zwinguris,  späterhin  Sitz  der  In- 
quisition ,  die  als  Landplagen-Drache  sich  stets  die  schauerlichsten  Fels- 
höhlen, wie  u.  a.  auch  die  Zwingburg  Aljaferia  in  (^MSigo^H;  zum  Wohn- 
sitz aussuchte.  Das  Schloss  Triana  wurde  1()2G  infolge  einer  Ueber- 
schwemmung  des  Guadalquivir  zerstört  —  ob  der  Drache  mit  ersäuft  ist, 
das  hängt  von  der  Anerkennung  der  Infallibilität  des  Papstes  ab,  die 
nichts  anderes  als  der  verkappte  Ilydrarchus  oder  Pyrarchus  inquisi- 
torius  ist. 

5).  Soy  cisne,  y  la  muerte  espero 

Cantando. 


376  Das  spanische  Drama. 

Den  Anmahnungen  des  vom  König  dazu  beauftragten  Don  Arias, 
den  Anstifter  des  Mordes  zu  nennen,   oder,  falls  er  im  Besitz 
irgend  einer  schriftlichen  Vollmacht,  dieselbe  vorzuzeigen,   setzt 
Don  Sancho  beharrliche  Verweisung  auf  seine  Verschwiegenheits- 
pflicht entgegen,  trotzdem,  dass  ihn  der  Konig  selbst  ihrer  ent- 
bindet.   Statt  eines,  behufs  kunstreicher  Entwickelung,  kunstreich 
geschlungenen  Knotens,  wirrt  der  dritte  Act,  die  schon  vom  zwei- 
ten einer  gewaltsamen  Pflicht-  und  Ehrenpsychologie  abgefolterte 
Sclmrzung  nun  vollends  zum  verfitzten  Knäuel  durch  ein  ganz 
haltloses  Verschweigungsmotiv,  das  eben  so  hartnäckig  widersinnig 
aufseiten  des  DonSancho,  als  aufseiten  des  Königs  Sancho, 
an  dessen  Namens-  und  Charaktervetterschaft  Don  Sancho  so- 
gar appellirt:    „Wenn  er,  der  König,  Don  Sancho  der  Bravo  ist 
so  führe  ich  denselben  Namen."  ^)    Und  der  König  wisse  doch, 
dass  er  das  besagte  Papier  zerrissen.    Auf  Grund  des  verrückten 
Verschweigungspflichtmotivs ,   das  Don  Sancho's  Gefängniss  zur 
Kerkerzelle  nach  dem  pensylvanischen  Schweigsystem  macht,  wird 
er  in  der  nächsten  Scene  wirklich  verrückt  und  die  Schweigzelle 
zur  Narrenzelle,  die  unser  Sancho  Ortiz   plötzlich   in  Gegen- 
wart seines  Dieners  Clarindo  mit  gründlich  tollen  Apostrophen 
an  die  „Ehre"  vollfaselt,   erinnernd  an  die,  womit  König  Lear 
seinen  vor  den  Eichterstuhl  seines  Wahnsinus  geladenen  Töchtern 
die  Hölle  heiss  macht.    Clarindo  glossirt  Don  Sancho's  An- 
klage-Apostrophe an  die  „Ehre",  ähnlich  wie  Lear's  Narr  ex  pro- 
fesso  und  Edgar,  der  Narr  auf  eigene  Hand,  die  Extravaganzen 
des  verrückten  Königs.   „Das  ist  der  Tyrann-Ehrenpunkt  (Honor)", 
bemerkt   Clarindo ,  eingehend   auf  seines  Herrn   Vision  —  „der 
viele  Narren  Huckpack  trägt,   die  für  die  Ehre  leiden."  ^^    Des 
Dichters  Lichtblick  in  der  Narrenhölle,  worin  sein  Don  Sancho 
das  Phantom  „Ehre"  erschaut  und  haranguirt,  nur  fehlt  dem  Poe- 
ten-Lichtblick zur  vollen  Hellsicht  das  Bewusstseyn,  dass  sotha- 
nes  Phantom  die   genuine  spanische  Ehre  ist.     Daher  denn 


1)  —  Se  el  es  Don  Sancho  el  Bravo, 
Yo  ese  mismo  nombre  tengo. 

2)  AUi  esta  el  tirano  honor, 
Cargado  de  muchos  necios 
Quo  por  la  honra  padecen. 


Gespräch  des  Gracioso  mit  Mutter  *Ehre\  377 

auch  Don  Sancho's  vorübergehender  Wahnwitz  als  sein  lucidum 
intervallum  inmitten  seines  durch  das  ganze  Stück  andauernden 
von  den  verrücktesten  Pflicht-  und  Ehrenmotiven  inspirirten 
Wahnsinns  erscheint.  C 1  a  r  i  n  d  0 '  s  Bemerkung  illustrirt  Sancho's 
raptus  mit  dem  vernünftigsten  Gutachten  in  den  drei  Acten,  das 
zugleich  die  Kritik  dieser  Stern-Tragödie  enthält :  „Ich  will  mich 
zu  ihnen  (den  Narren  der  Ehre)  gesellen.  Ehre !  ein  Thor  in  Ehren 
ritt  in  Deine  Dienste,  um  Deinen  Gesetzen  nachzuleben*'  0  •  •  • 
„Verkehrt,  Freund!"  —  erwidert  „Ehre"  —  „hastDu's  an- 
gefangen. Die  wahre  Ehre  besteht  darin,  dass  man  ihr  nicht 
gemäss  handelt.  Mich  suchst  Du  dort,  mich,  der  ich  seit  tau- 
send Jahren  todt  bin.  Nach  Geld,  Freund,  mus  Du  trachten. 
Deine  Ehre  ist  Geld.  Was  hast  Du  gethan?"  —  „Ich  wollte 
mein  Wort  halten"  —  „Zum  Lachen!  Wort  halten?!  Arger 
Tropf!  Nicht  Wort  halten,  das  ist  heutzutage  guter  Ton!"'-^) 
Eine  Zeit-Satyre  also,  und  einen  Sittenzuchtspiegel  sollte  Lope's 
Tragödie  „Der  Stern  von  Sevilla"  nebenbei  vorstellen.  0  Du 
grosser,  herrlicher  Dichter!  Wie  schade  nur,  wie  jammerschade! 
dass  der  Ehrbegriff,  den  Du  in  Deinem  Ehrenhelden  und  Eitter 
feierst,  noch  verrückter  und  wahnsinniger,  und  deshalb  auch  ver- 
derblicher ist,  als  das  Zeitlaster,  dem  er  seinen  Spiegel  vorhält; 
dass  Deine  Arzenei  das  gefährlichere  Gift  ist,  ein  Gift,  das  den 


1)    D.  S audio.  Quiero  me  juntar  con  ellos.  — 
Honor,  un  necio  y  honrado 
Viene  a  ser  criado  vuestro 
Por  no  exceder  vuestras  leyes. 

l)  Mal  amigo,  la  habeis  hecho, 

Porque  el  verdadero  honor 
Consiste  ya  en  no  tene^lo 
[A  mi  me  buscais  aUä, 
Y  ha  mil  siglos  que  estoy  muerto! 
Dinero,  amigo,  bnscad, 
Que  el  honor  es  dinero. 
Que  hicisteis?  —  Quise  cumplir 
Una  palabra  —  Eiendo 
Me  estoy:  ^palabras  cumplir? 
Pareceis  majadero : 
Que  es  ya  el  no  cumplir  palabras 
Bizarria  en  esto  tiempo. 


378  ^^^  spanische  Drama. 

gesunden  Menschenverstand  verdreht  macht,  irrsinnig,  aberwitzig, 
phantastisch  und  fanatisch !  Den  Umstand  ungerechnet,  dass  Du 
ein  Wahnbild  von  Ehrenpflicht  vorzauberst,  das  selbst  Dein 
Zeitalter,  Dein  Publicum  folglich,  als  eine  Fratze  erkennt  und 
auslacht. 

Estrella  meldet  sich  nun  mit  der  alle  Kerkerschlösser 
öffnenden  Springwurzel,  mit  des  Königs  Bing.  Sie  steht  ver- 
schleiert und  unerkannt  vor  Don  Sancho  und  führt  den  Bräu- 
tigam-Brudermörder aus  dem  Gefängniss,  schenkt  ihm  die  Frei- 
heit und  heisst  ihn  auf  dem  Pferde,  das  seiner  an  der  Hand  eines 
Dieners  harre,  entfliehen.  Er  aber  nicht  von  der  Stelle,  bevor 
sie  sich  entschleiert,  und  er  weiss,  wem  er  seine  Freiheit  ver- 
danke. Nachdem  die  Entschleierung  erfolgt  ist,  weicht  Sancho 
erst  recht  nicht,  entschlossen,  seinen  an  Estrella  und  ihrem  Bru- 
der verübten  Frevel  durch  seinen  Tod  zu  sühnen.  Die  Scene 
läuft  in  eine  Wettstreit-Coda  aus,  bestehend  aus  kleinen  kurzen 
Halbvers-Schnippeln  von  gegenseitigen  Liebesbeschwörungen  und 
Liebesbetheuerungen ;  Estrella's:  die  ihn,  bei  ihrer  Liebe  be- 
schwörend, zu  eiliger  Flucht  drängt;  Sancho 's:  der  es  für  seine 
Liebespflicht  hält,  seine  Liebes-,  Blut-  und  Ehrenschuld  mit  dem 
Tode  zu  büssen:  „Geh  denn,  Thor,  und  stirb,  so  will  auch  ich 
dann  sterben  gehen."  Eine  Schablonenscene ,  wie  man  sie  nicht 
musterwürdiger  zuschneiden  kann! 

Noch  über  die  Schablone  geht  die  drauf  folgende  Discussion 
zwischen  Don  Ärias,  der  dem  König  Sancho  mit  Auffor- 
derung zum  Halten  seines  dem  Don  Sancho  gegebenen  Wortes, 
ihn  schuldfrei  zu  erklären,  zusetzt,  und  König-Bravo's  Wiu- 
kelzüge  vonwegen  der  misslichen  Situation,  dass  er,  König-Bravo, 
vor  der  Municipalität  von  Sevilla  sich  als  den  moralischen 
Urhe])er  von  Busto  Tabera's  Ermordung  selber  zu  erkennen  geben 
soll.  Don  Arias  Marinelli,  dem  Ehre  und  Gewissen  eine  wäch- 
serne Nase  ist,  hat  schon  ein  Auskunftsmittelchen  zurechtgeknetet: 
Der  Köni^  möge  dem  Gemeinderath  von  Sevilla  mit  Schmeiche- 
leien eine  gelinde  Strafe  für  Sancho  Ortiz,  einfaches  Exil  z.  B., 
abkitzeln,  und  den  Stern  von  Sevilla  mit  einem  rico  hombre 
oder  Granden  vom  Hofe  verheirathen.  König-Bravo  schluckt  den 
Eath  wie  ein  Bonbon  hinunter.  Vonseiten  des  Königs  wie  von- 
seiten des  Hofgalgenmännleins  eine  bühnenunwürdige,  dramatisch 


Estrella  und  Sancho  Ortiz.  379 

unanständige  Scene ;  für  eine  Tragödie  gar  —  ein  frecher  Angriff 
auf  Melpomene's  Frauenehre. 

Die  wackeren  Alcalden  von  Sevilla  bestehen  auf  Hin- 
richtung von  Busto  Tabera's  Mörder.  Mit  welchen  Busengedan- 
ken trägt  sich  König  Bravo  nun  den  Alcalden  gegenüber?  Er 
hofft  Ortiz  zu  retten,  ohne  sein  Geheimniss  preiszugeben,  dass  er 
selbst  nämlich  der  Anstifter  des  Mörders  war.  Braver  Bravo! 
und  noch  braverer  König-Bravo!  Wie  brav,  wie  Sancho -könig- 
lich brav,  König  Sancho  den  beiden  Alcalden  mit  den  ihm 
von  seinem  Hofgalgenmännlein  in  die  Hand  gelegten  Schmeiche- 
leien um  den  widerborstigen  Bart  geht!  Widerborstig;  denn  die 
beiden  tapfern  sevillanischen  Gesetzesmänner,  denen  Lope  auch 
ein  wenig,  aber  mit  den  Glacehandschuhen  der  poetischen  Ge- 
rechtigkeit um  den  Bart  gehen  möchte,  die  stachelbärtigen  Schop- 
pen von  Sevilla  beharren,  trotz  aller  königlichen  Liebkosungen, 
auf  ihrem  Spruch:  der  auf  Enthauptung  des  Sancho  Ortiz  lautet. 
Der  König  entlässt  sie  mit  einem  Fall  aus  der  Sancho-el-Bravo- 
KoUe,  versichernd,  dass  er  ganz  beschämt  bleibe.  ^)  Es  folgt  nun 
die  von  uns  schon  anticipirte  Schlussscene:  Ein  vom  König 
vorgeschlagener  und  von  Estrella  und  Sancho  Ortiz  ange- 
nommener Compromiss;  aber  ein  zwiefältig,  parallel  zwiespältiger 
Doppel-Compromiss:  zuerst  acceptirt  Estrella  den  Heirathsvor- 
schlag  des  Königs;  sie  ist  bereit,  sich  mit  einem  Granden  des 
Hofes  zu  vermählen,  wenn  Sancho  Ortiz  Leben  und  Freiheit 
behält.  Sancho  Ortiz  geht  darauf  ein,  Estrella  zu  gefallen, 
ob  er  gleich  den  Tod  vorzöge.  Gegen  diesen  Compromiss  erhebt 
Alcalde  Don  Parfan  Einspruch,  als  gegen  eine  der  Stadt  Se- 
villa zugefügte  Beleidigung.-)  Dem  Key  Bravo  sitzt  das 
Messer  an  der  Kehle:  Was  thuii?  fragt  er  seinen  adlatus,  den 
Arias,  mit  dem  Schwernothblick,  den  ein  schlecht  memorirender 
Schauspieler  auf  den  Souffleurkasten  wirft.  „Si)recht  drauf  los !"  3) 
soufflirt  der  Ketter  in  der  Noth.  Key-Bravo  fasst  sich  ein 
Herz  und  würgt  heraus.   „So  reisse  denn  mir  Sevilla  den  Kopf  ab! 


1)  Que  todos  me  avergonzais. 

2)  Que  asi  Sevüla  se  agravia. 

3)  Hablad. 


380  Das  spanische  Drama. 

Fort  mit  Schaden!  Denn  ich  war's,  der  den  Mord  befahl."  ^) 
„Bravo!"  ruft  Alcalde  Farfan.  „Was  ein  ßey-Bravo  thut,  ist 
wohlgethan!  Sevilla  erklärt  sich  zufriedengestellt.  Gab  der  König 
Befehl  zum  Mord,  so  hatte  er  gewiss  seinen  guten  Grund  dazu!" 2) 
Da  diesen  letztgültigen  Ausspruch  der  Dichter  seinem  Ehrenideale 
von  unbestechlichem  Justizmanne  in  den  Mund  legt,  so  dürfen 
wir  den  Ausspruch  als  des  Dichters  eigenes  Endurtheii  und  als 
die  Moral  seiner  Tragödie  ansprechen,  die  nun  in  Wahrheit  sagen 
kann:  operam  et  oleum  perdidi:  auch  an  des  grössten  und,  nächst 
Cervantes,  freiesten  spanischen  Dichtergeistes  Königsehrenpflicht- 
begriff  ist  Hopfen  und  Malz  verloren!  Nun  hängt  sich  der 
zweite  Compromiss  zwischen  Don  Sancho  und  Dona  Estrella 
an  das  dicke  Ende  der  Tragödie  an.  „A  propos,  Herr  König!" 
fällt  plötzlich  dem  Don  Sancho  ein.  „Wie  steht's  um  Euer 
Versprechen,  mich  mit  derjenigen  zu  verheirathen,  die  ich  wählen 
würde?"  „Das  Versprechen  gab  ich",  versetzt  König  Sancho. 
„Nun  denn,  so  gebt  mir  Dona  Estrella  zur  Frau!"  Estrella. 
„Bin  schon  vermählt." 3)  —  „So?"  giebt  Sancho  Ortiz  zurück. 
„Dann  bin  ich —  todt."^)  König  betont  sein  königliches  dem 
Ortiz  gegebenes  Wort.  Estrella.  „Ja  dann  —  bin  ich  die  Sei- 
nige." ^)  Don  Sancho.  „Und  ich  der  Ihrige."  König.  „Was 
fehlt  nun  noch?"  .Don  Sancho.  „Seeleneinklang,  Uebereinstim- 
mung."^)  Estrella.  „Ja,  die  kann  keine  Ehe  geben."  Don  San- 
cho. „So  gebe  ich  Dir  Dein  Wort  zurück."  Estrella.  „Und  ich  Dir 


1)  ßey.  Sevilla, 

Matadme  a  mi,  que  fui  causa 
Desta  muerte. 

2)  Farfan.  Asi 

Sevilla  se  desagravia, 

Que  pues  mandasteis  matalle, 

Sin  duda  os  daria  causa. 

3)  Estrella.       —  yo  estoy  casada. 

4)  D.  Sancho.   Yo  estoy  muerto! 

5)  Estrella.       —  Suya  soy. 
D.  Sancho.   Yo  soy  suyo. 

6)  D.  Sancho.  La  conformidad. 


Lope's  Komödie  von  König  Pedro.  3g  1 

das  Deinige."    Quitt  und  Adjesli)  wie  uns  bereits  bekannt.  2)  Zu 
Solcher  Sternschnuppe  schneuzt  sich  der  Stern  von  Sevilla! 


Lo  Cierto  por  lo  Dudoso 
(Das  Gewisse  für  das  Zweifelhafte). 

Enrique  de  Trastamara  und  König  Pedro  der  Grau- 
same —  eine  Grausamkeits-Comedia!  Wer  aber  in  dieser  Ko- 
mödie Grausamkeiten  erwartet,  eines  Pedro  würdig,  oder  auch 
nur  Charakterzüge  erwartet,  wir  sagen  nicht,  wie  solche  die  Ge- 
schichte und  unsere  danach  entworfene  Skizze  ^)  gezeichnet  hat, 
ja,  wer  auch  nur  Züge  von  Lope's  König  Pedro  erwartet,  wie  sie 
der  ßomancero  dem  Volksmunde  nachsang:  der  möchte  sich  bit- 
ter von  dieser  König  Pedro-Comedia  des  Lope  getäuscht  finden, 
deren  Titel,  hinsichts  der  historischen,  oder  volksthümlich  balla- 
denhaften  Charakterwahrheit,  sich  umkehrt,  inmaassen  unsere  Ko- 
mödie das  höchst  Zweifelhafte  für  das  historische  Gewisse  ein- 
schwärzt, ja  das  zuverlässig  Falsche  dem  blos  zweifelhaft  Un- 
wahrscheinlichen unterschiebt.  Als  Königs-Ideal  der  spanischen 
Komödie,  macht  dieses  von  dem  phantastischen  Majestätsrecht,  das 
Widerspiel  zu  seinem  historischen  ürbilde  darzustellen,  den  über- 
triebensten Gebrauch. 

König  Pedro's  Bastard-Bruder  Enrique  soufflirt  ihm  eine 
vom  König  geliebte  Dona  Juana,  und  der  König  macht  gute 
Miene  zum  bösen  Spiel,  und  giebt  seine  der  Geliebten  zu  Füssen 
gelegte  Königskrone:  der  von  seinem  Todfeind,  dem  Bastardbru- 
der, ihm  abgelisteten  Schönen  als  Brautgeschenk  in  ihr  Fami- 
lienwappen! Was  ist  hier  gewiss  und  was  zweifelhaft?  Gewiss 
ist,  dass  der  wirkliche  Don  Pedro  die  Komödien-Intrigue  nicht 
so  abgeschlossen  hätte;  und  was  in  der  Schwebe  als  überaus 
zweifelhaft  zuletzt  bestehen  bleibt,  ist  das  Bedenken:  ob  selbst 
eine  spanische  Komödie  der  Charakterwahrheit  einer  historischen 
Königsfigur  so  flagrant  in's  Gesicht  schlagen  darf,  dass  der  Schlag 


1)  Estrella.  Pues  ^.libres  quedamos? 
D.  Sancho.  Si. 
Estrella.      Pues  adios. 

2)  s.  oben  S.  357.  —  3)  YIII.  S.  603  ft'. 


382  ^^^  spanische  Drama. 

eine  Teufelsfratze  zu  einem  milden  Lammsgesicht  ohrfeigen  darf, 
ohne  die  dramatische  Kunst  zur  kunstberechtigten  Falschmünzerei 
der  Geschichte  zu  stempeln,  da  wir  doch  die  dramatische  Poesie 
als  die  eigenste  Seele,  als  die  göttliche  Wahrheit  des  Geschichts- 
wesens erkannt  und  begriiBfen  haben,  und  in  ihrer  Malerleinwand 
das  Veronika-Schweisstuch  erblicken  dürfen,  mit  dem  wahren 
Gesichtsabdruck  der  Menschheit,  wodurch  ja  eben  der  Ausspruch 
der  grossen  Kunstweisen,  dass  die  Poesie  philosophischer  ist  als 
die  Geschichte,  zur  Wahrheit  wird,  und  sich  zu  dieser  verhält 
wie  das  Cierto  zum  Dudoso;  wie  die  geschichtliche  Wahrheit  im 
strengsten  Sinne  des  Wortes  zur  Geschichte  als  fable  convenue. 

Die  Komödie  spielt  zu  Sevilla,  dem  Schauplatz  von  König 
Pedro' s  L  schönsten  Gräuelthaten,  am  Vorabend  des  h.  Johan- 
nesfestes ^) ,  der  Spielzeit  des  „Sommernachtstraums".  Tanz  und 
Gesang  wie  in  diesem,  wenn  schon  nicht  von  Feeen  und  Elfen, 
so  doch  von  Negerinnen  oder  Mulattinnen  ^),  die  ihren  Tanz-  und 
Gesangsreigen,  gebührendermaassen ,  um  die  Liebesintrigue  eines 
beim  Schloss  Montiel  dereinst  in  wundersamer  ümarmungsgruppe 
sich  umflochten  zu  halten  vorbestimmten  Brüderpaars  ^)  schlingen. 
Vorläufig  streifen  die  königlichen  Halbbrüder  in  den  Strassen  von 
Sevilla,  die  Johannis-Nachtfeier  als  ihr  perviglium  Veneris  haltend. 
König  Pedro  zusammen  mit  seinem  andern  Halbbruder,  Don 
Fadrique,  den  unsre  Leser  gleichfalls  schon  aus  der  unten  be- 
zielten Stelle  in  unserer  Geschichte  als  Grossmeister  von  Santiago 
(Maestro  de  Santiago),  wie  auch  sein  vom  königlichen  Halbbru- 
der über  ihn  verhängtes  Geschick,  kennen.  Hier  wandelt  er  als 
der  stehende  Komödien- Achates ^)  des  zweiten  Galan,  den  hier 
König  Pedro  spielt,  an  dessen  noch  grüner  Seite,  die  späterhin 


1)  Es  la  noche  de  San  Juan 
Y  la  fiesta  de  Sevilla. 

2)  Molatas  son. 

3)  Gesell,  d.  Dram.  a.  a.  0.  —  4)  Priva  con  el,  sagt  Don  Enrique 
vom  Bruder  Fadrique.  „Er  ist  der  Königs  Günstling.'*  Quierele  bien, 
,,er  liebt  ihn  sehr'',  bemerkt  dazu  Enrique's  Komödien-Parallel-Achates, 
Eamiro.  König  Pedro  liebte  in  der  That  den  Bastardbruder  D.  Fadrique 
mit  der  Affenliebe  des  Tigers,  der  den  Affen  bekanntlich  zum  Fressen 
liebt,  und  noch  in  jedem  Affen,  der  neben  ihm  her  im  Bereiche  seiner 
Tatze  gewandelt,  einen  Affen  gefressen  hat. 


König  Pedro  und  seines  Bruders  Taschenuhr.  383 

in  die  blutfarbige  übergeht,  König  Pedro's  Leibfarbe,  wie  die  des 
grünen  Krebses,  der  die  Feuerprobe  bestanden.  Nach  einer  halb- 
brüderlich innigen  Begegnissbegrüssung  in  der  Strasse,  fordert 
König  Pedro  den  Bastard  Enrique  auf,  ihn  in  ein  ünterhaltungs- 
local  zu  führen  1),  wo  so  eine  discrete  'Fea%  nicht  etwas  „Fee", 
nur  eine  bescheidentlich  „Garstige"  zu  finden'^),  so  eine  Katze, 
die  bei  Nacht,  wie  alle  Katzen,  grau  ist,  und  in  der  Johannisnacht 
als  solche  mitzunehmen.  Dieser  Zug  ist  ein  historischer  König 
Pedro-Zug,  wie  uns  gleichfalls  bekannt,  und  vielleicht  der  einzige 
in  Lope's  bis  zur  Unkenntlichkeit  unverschämt^  geschmeicheltem 
Pedro -Portrait.  Don  Enrique  bekennt  sich  offen  zu  zweierlei 
Parallel-Liebsten  und  Schönen.^)  Die  Eine,  die  mit  sich  reden 
und  handeln  lässt,  die  Andere  aber,  grausam,  wie  Don  Pedro  in 
spätem  Jahren.  Pedro  verspürt  sofort  einen  heftigen  Appetit 
nach  der  grausamen  Gesinnungsgenossin,  nach  Don  Enrique's 
„Unmöglicher".'*)  Halbbruder  Enrique  kann  aber  nur  mit  der 
zur  „Unmöglichen"  parallelen  Möglichen  dienen.  Diese  wohne 
hier  gleich  in  der  Nähe  und  heisse  Teodora.  Was  thun,  wenn 
man  keine  Unmöglichen  bekommen  kann,  muss  man  mit  Mög- 
lichen tanzen.  König  Pedro,  kein  Kostverächter,  lässt  sich  denn 
zur  Menschenmöglichen,  zu  der  Teodora,  führen.  Während  diese 
den  König  mit  allen  möglichen  Liebesreizungen  zu  fesseln  sucht; 
stiehlt  sich  Don  Enrique  zu  seiner  Unmöglichen.  König  Pe- 
dro lässt  den  Sperling,  den  er  schon  in  der  Hand  hat,  fliegen 
und  eilt  dem  Halbbruder  nach,  um  ihm  die  unmögliche  Taube 
auf  dem  Dach  wegzuhaschen.  Die  mit  Nägeln  zum  Auskratzen 
derjenigen  Augen,  welche  in  ihr  eine  Mögliche  zu  erblicken  die 
Verwegenheit  hatten,  von  Natur  ausgerüstete  Taube,  ist  Dona 
Juana,  Tochter  des  Gouverneurs  (adelantado),  die  sich  mit  der 
stereotypen  spanischen  Komödien-Maske,  der  Cousine  (prima), 

1)  —  Llevame,  Enrique, 
Donde  nos  entretengamos, 

2)  ^No  liay  una  discreta  fea 
Aclonde  pudamos  ir? 

3)  Teugo,  Senor,  dos  amores: 
Ulla  posible  al  deseo 

Y  otro  imposible. 

4)  (iNo  diräs  del  imposible? 


384  ^^^  spanische  Drama. 

Ines,  von  ihrer  Liebe  zu  Conde  Enrique,  und  ihrer  mög- 
lichst baldigen  Vermählung  mit  ihm  unterhält,  behufs  deren  Be- 
schleunigung sie  dem  Festheiligen  San  Juan,  einen  prachtvollen 
Blumenaltar  aufgebaut,  als  Vorbild  ihres  Traualtars,  über  dessen 
Eventualität  sie  leider  noch  in  Zweifel  schwebt.  Noch  habe  der 
Heilige  nichts  verlauten  lassen,  ob  Conde  Enrique  ihr  Gatte 
werde.  „Er  wird  es  werden**,  lässt  der  Heilige  allsogleich  ver- 
lauten, der  curiose  Heilige  nämlich,  Conde  Enrique  selber, 
der  hinter  dem  Blumenaltar  sie  belauschte.  Wir  erfahren  nun, 
dass  Dona  Juana  dem  Könige  bei  seiner  Ankunft  schon  die 
Hände  geküsst,  ihn  überaus  charmant  findet,  dass  sie  aber  ein 
für  allemal  ihr  Herz  dem  Conde  Enrique  geweiht  und  für  jeden 
Andern,  selbst  für  König  Pedro,  ein  Ding  der  Unmöglichkeit  sey. 
Für  die  spanische  Komödien-Eifersucht  ist  aber  Alles  möglich, 
weshalb  Enrique  sich  denn  auch  bangen  Herzens  vor  dem  er- 
scheinenden König  mit  seinem  stehenden  Anhängsel,  seinem  Diener 
Kamiro  nämlich,  hinter  den  Blumenaltar  versteckt.  König  Pe- 
dro's  Aparte's  würden  vollkommen  des  versteckten  Halbbruders 
Eifersuchtsbeklemmungen  rechtfertigen,  wenn  er  die  Apartes  hören 
könnte.  Was  aber  der  König  hört  bei  DonaJuana's  Ver- 
sicherung, sie  hätte  in  Ewigkeit  den  Conde  Enrique  nicht 
gesehen,  und  vermuthe  ihn  in  diesem  Augenblick  auf  der 
Jagd  —  was  König  Pedro  hört,  ist  eine  vom  Blumenaltar  her- 
vorschlagende Taschenuhr  —  und  weiss  gleich,  wie  viel  es  ge- 
schlagen hat.  1)  Jetzt  kommt  auch  der  Glockenhans  hinter  dem 
Blumenaltar  zum  Vorschein.  Liebesnothlügen  vonseiten  Enri- 
que's  und  DonaJuana's  werden  nun  dem  Könige  zumbesten 
gegeben,  über  die  aschgraue  Möglichkeit,  dass  dem  König  Pedro 
die  Ohren  klingen,  er  weiss  selbst  nicht,  ob  von  den  Lügen  oder 
von  Enrique's  Taschenuhr.  Mit  einem  sanften  Verweis,  sanft  wie 
das  Lamm  Johannis  des  Täufers,  verbannt  Peter  der  Grausame 
die  verrätherische  Uhr  und  gelegentlich  auch  den  Träger  aus 
Sevilla,  dafür,  das  er  ihm  die  Johannis-Nacht  so  verleidet  hat.  2) 


1)  Eey.  Paso.    ^Q^^  ^^  eso  que  suena? 

Eelox  de  pocho  es,  por  Dios. 

2)  Pues  me  das  tan  mal  San  Juan. 


Eiirique's  Verbannung,  385 

Der  Bastard  entfernt  sich  mit  einer  Nothlüge,  gross  wie  die 
grosse  Glocke  selber,  dass  die  Thurmulir  der  Kathedrale  von  Se- 
villa darüber  in's  Schlagen  kommt,  und  selbst  die  Thm^mglocken 
ob  dem  Bären,  den  er  seinem  königlichen  Bruder  aufbindet,  die 
Köpfe  schütteln.  Er  wundert  sich,  wie  der  König  seine,  des 
Halbbruders,  Liebe  für  Dona  Ines  übel  vermerken  möge,  die  er 
allein  geliebt,  allein  liebe  und  allein  lieben  werde !  ^)  Peter  der 
Grausame  sieht  mit  dem  aufgebundenen  Honigbären  dem  Auf- 
binder mit  so  verblüffter  Nachsicht  nach,  dass  er  nur  kleinlaut 
im  pianissimo  dem  Diener  ßamiro  die  Wiederholung  des  Bannes 
aus  Sevilla  für  dessen  Herrn  mitgiebt  und  zur  Milderung  des 
Bannspruchs  dem  Diener  einen  Diamanten  schenkt,  worauf  er 
von  Dona  Juana  in  den  gnädigsten  Ausdrücken  und  Kundgebun- 
gen Abschied  nimmt  und,  da  sie  kein  Wort  erwidert,  ihr  den 
Kücken  kehrt  mit  dem  aufgebundenen  Bären,  nachdem  er  ihr 
seine  Krone  zu  Füssen  und  seine  Seele  in  ihre  Augen  gelegt.  -) 
DonaJuana  bleibt  zurück,  zwischen  Liebeshoffnung  und  Lie- 
besfurcht hin-  und  herschwingend,  wie  ein  ührpendel.  ^)  Der  Act 
schliesst  mit  einer  schönen  Abschiedsscene  zwischen  Conde  En- 
rique und  Dona  Juana,  die  ihn,  besorgt,  der  König  möchte 
von  seiner  Gegenwart  Kunde  erhalten,  fortdrängt,  während  er  in 
dieser  Bekümmerniss  eine  heimliche  Hinneigung  zu  des  Königs 
Liebesbewerbungen  und  zu  der  ihr  angebotenen  Königskrone,  nicht 
ohne  einen  Anschein  von  Möglichkeit,  selbst  bei  einer  Unmög- 
lichen, fürchtet.  Cousine  Ines  hält  sogar  in  ihrem  Actschluss- 
monolog-Sonett  für  möglich,  dass  die  dem  Könige  innewohnende 
unwiderstehliche  Liebesmacht  ihre  Base  DonaJuana  dem  Conde 
Enrique  abwendig  machen,  und  dass  diesen  ihr,  Ines,  Gott  Amor 
in  die  Arme  führen  werde.  ^)   Bei  Gott  Amor  ist  Alles  möglich. 


1)  Que  Dofia  Ines  es  y  ha  sido 

Y  ha  de  ser  mi  amada  prenda. 

2)  Eeinad  vos,  y  yo  pondre 
La  Corona  en  vnestro  pie, 
Como  el  alma  en  vuestros  ojos. 

3)  ;0h  amor,  sin  parte  segura! 
Ya  eres  temor,  ya  esperanza! 

4)  No  gozarä  de  Enrique  dofia  Juana, 

Qne  ya  nie  dice  amor  que  Enrique  es  mio. 
X.  25 


386  t^'ts  spanische  Drama. 

Den  Sieg,  den  Juana's  Vater,  der  Feldherr-Grenzstatthalter 
(adelantado)  über  die  Mauren  erfochten,  und  für  den  ihn  König- 
Pedro  auf  offenem  Felde,  Eingangs  des  zweiten  Acts,  um- 
armt, glaubt  der  König  nicht  würdiger  als  dadurch  zu  vergelten, 
dass  er  Juana's  Vater  zu  seinem  Schwiegervater  macht,  wie  er 
seinem  Halbbruder,  Don  Fadrique,  mittheilt,  den  er,  wie  uns 
bewusst,  zu  einem  wirklichen  Halbbruder  machte,  mittelst  Zer- 
schneidung desselben  in  zwei  Bruderhälften,  Kopf  und  Rumpf. 
Eine  ähnliche  Theilung  in  zwei  Ehehälften  erlebte  auch  Don  Pe- 
dro's  geschichtliche  Dona  Juana,  unmittelbar  nach  der  Braut- 
nacht, wie  uns  gleichfalls  bewusst.  Von  dem  Allen  weiss  aber 
unsere  Comedia  nichts,  oder  thut  nur  so,  als  wüsste  sie  von 
nichts,  und  lässt  auch  demgemäss  ihren  König  Pedro,  als  obliga- 
ten Key  Justiciero,  als  gerechten  Richter  oder  Scharfrichter-König 
des  spanischen  Drama's,  wie  uns  nicht  minder  bewusst  —  lässt 
auch  ihren  grausamen  verliebten  König  Don  Pedro  die  blutigen 
Hände  in  dem  ünschuldswasser  waschen,  ohne  es  zu  trüben. 

Von  Amor,  der  mächtiger  und  in  der  Regel  auch  grausamer 
als  König  Pedro,  aus  dem  Exil  über  Nacht  in  eine  Strasse  von 
Sevilla  zurückgejagt,  setzt  Don  Enrique  seinen  Diener  Ra- 
miro  ^)  von  diesem  umstand  in  Kenntniss  und  klopft  bei  der 
„möglichen"  Teodora  an,  welcher  er  desgleichen  den  merkwür- 
digen Fall  mittheilt  und  zu  dem  Zweck  gelegentlich  Herberge 
für  die  Nacht  von  ihr  erbittet.^)  Teodora  wäre  nicht  die  Mög- 
liche, wenn  sie  ihn  nicht  einliesse. ^)  Seiner  Tochter  Dona 
Juana  [gegenüber  stellt  sich  Adelantado,  als  kenne  er  die 
eigentlichen  Absichten  des  Königs  bezüglich  Juana's  nicht,  be- 
hält das  'Cierto'  in  petto  und  spiegelt  der  Tochter  das  'Dudoso' 
vor,  der  Komödie  den  Titel  im  Munde  umkehrend:  'Lo  Dudoso 
por  lo  Cierto'.  Wogegen  Juana  titelgerecht  ihrer  Cousine  Ines 
mit  dem  Geständniss  entgegenkommt:  Der  gewisse  Sperling  in 
der  Hand  sey  immerhin  gewisser,  als  der  zweifelhafte  Tauber  auf 
dem  Dache.    Wenn  nun  gar  der  Sperling  ein  Goldfink,   wie  der 


1)  Quiebro  el  destierro. 

2)  Me  quicro  fiar  de  ti 

Y  ser  tu  huesped  aqiü. 
li)  Entra,  y  honra  mi  liiiiüilidad. 


K()]i]i^'  uikI  Krone.  387 

König  mit  einem  goldenen  Halinenkamm  ist  noch  obendrein,  und 
das  Dach  des  Taubers  unabsehbares  Exil  ist  über  die  Grenze: 
so  müsste  sie  kein  Spanisch  verstehen,  wenn  sie  nicht  das  Sprüch- 
wort vom  Sperling,  Dach  und  Tauber  mit  dem  Titel  ihrer  Co- 
media  in  Uebereinstimmung  zu  bringen  verstände:  4o  Cierto',  der 
Goldfink  mit  dem  goldenen  Kronenkamm  in  der  Hand,  ist  jeden- 
falls gewisser,  als  'lo  Dudoso',  als  der  Ungewisse,  der  verflogene 
Tauberich  ohne  Gold  und  Kamm  im  Exil.  ^)  Der  Schelm,  der 
Lope!  der  eine  eigene  Comedia  schreibt  behufs  Klarlegung  auch 
dieser  Palte  im  Frauenherzen,  wohinter  sich  der  Sperling  in  der 
Hand  und  Numero  Sicher  versteckt.  Die  Falte  glättet  sich  bis 
zur  durchsichtigsten  Erklärung:  „Wir  Frauen  bleiben  unter  dem 
Zauber  des  Verlangens  so  lange,  als  dieses  auf  eine  mögliche  Be- 
friedigung horten  kann.  Sobald  aber  die  Unmöglichkeit  oiBfenbar 
wird,  schwindet  die  Sehnsucht  nach  dem  fernen  Gegenstande. 
Hätte  der  König  keine  andere  Eigenschaft,  als  die,  dass  er  König 
ist,  so  würde  diese  hinreichen,  um  die  Standhaftigkeit  selbst  zu 
erschüttern  und  Felsen  zu  erweichen.  Um  wie  viel  mehr,  wenn 
dieser  König  ausserdem  auch  noch  galant,  geistreich,  stark  und 
schön  ist  zu  Fuss  wie  zu  Boss?  Als  ich  ihn  am  Vorabend  des 
Johannisfestes  sah,  fand  ich  gleich,  dass  es  undankbar  wäre,  ihn 
nicht  zu  lieben/^-)     Nun    streicht    auch  Cousine   Ines    ihre 

1)  Dona  Juana. 

amor  que  no  espera 
Muclio  templa  del  deseo, 
No  porque  yo  le  ol  viele, 
Mas  porque  no  le  vere 
En  nii  vida. 

2)  Dona  Juana. 

Los  deseos  dan  contento 
En  tanto  quo  dan  ])osibles. 
Pcro  en  Uegando  li  iniposibles 
So  van  del  cntendimicnto. 
El  ßey,  cuando  no  tuviera 
Mas  de  ser  rey  ^,  ä  que  amor 
No  deshicieia  el  rigor? 
(i,  Que  pena  \U)  enteriieciera 
(kianto  y  nias  siendo  g-alan, 
Entendido,  t'uevte,  hermoso, 


388  ^^^  spanische  Dratnä. 

Herzensfalte  glatt,  wohinter  ihre  geheime  Liebe  für  Don  Enri- 
que glüht  J)  Cousine  Juana  möchte  doch  den  Halbbruder  Enri- 
que vom  Könige,  den  sie,  Cousine  Juana,  liebe,  für  sie,  Cousine 
Ines,  erbitten,  den  sie  so  viel  wie  gewiss  als  den  Ihrigen  be- 
trachtet 2),  als  einen  aus  der  Larve  des  Dudoso  zum  Cierto  ent- 
puppten liebebeflügelten  Falter.  So?  schlägt  plötzlich  in  Dona 
Juana's  Herzen  die  eigentliche  spanische  Herzensfalte,  die  Eifer- 
sucht, eine  Volte.  So?  rümpft  nun  Cousine  Juana  gegen  Cou- 
sine Ines  das  Naschen.  Du  liebst  meinen  Enrique?  Nun  lieb' 
ich  ihn  erst  recht,  und  schlage  Dir  nur  diese  Liebe  aus  dem 
Kopf  ^),  sonst  thu'  ich's!  und  geht  unwirsch  davon.  Der  Schelm 
Lope!  gleich  bei  der  Hand  mit  dem  spanischen  Blasebälgchen  in 
Amors  dramatischem  Schür-  und  Schmiedezeug,  mit  der  Eifer- 
sucht, sobald  der  Liebesfunken  zu  verglimmen  droht  unter  der 
Asche  der  Erfindungs-Schablone!  Cousine  Ines  beisst  sich  auf 
die  Lippen  mit  einem  Solo-Sonett,  wie  eine  Opernheldin  des 
Metastasio  sich  in  das  unvermeidliche  Schlusscouplet  verbeisst. 

Verkleidet  als  Lastträger  bringt  der  von  Doiia  Ines  bald 
erkannte  ßamiro,  Diener  des  verbannten  Don  Enrique,  ein 
Billet  für  Dona  Juana  von  seinem  Herrn.  Natürlich  liegt  der 
Ines  am  Herzen,  den  von  ihr  geliebten  Don  Enrique  ihrer 
Cousine  Dona  Juana  abzuködern  und  schildert  daher  Dona  Jua- 
na's  Verhältniss  zum  König  so  ehereif  wie  möglich.   Ramiro  ent- 

A  pie  y  ä  caballo  airoso; 
Que  la  noche  de  San  Juan, 
Que  le  ve,  nie  parecio 
Que  era  ingratitud  no  amaUe. 

1)  Bona  Ines. 

Un  deseo  que  he  tenido 

Secreto,  viendo  tu  amor. 
Dona  Juana. 

^Tienes  le  ä  Enrique? 
Dona  Ines. 

El  mayor 

Que  cupo  en  mortal  sentido  .  .  . 

2)  Pues  querer  äl  Eey  te  veo, 
Que  le  pidas  que  me  case 
Con  Enrique,  pues  ya  es  niio. 

3j  Pierde  de  amarle  el  ciuclado. 


Lope  als  Kunstreiter  auf  raehrern  fahlen  Pferden.  3S9 

fernt  sich  nicht  als  blosse  Lastträger-Maske,  sondern  als  wirkli- 
cher Lastträger  mit  einem  Päckchen  Verdruss  beladen,  worin  er 
einen  dem  Herzen  seines  Gebieters  aufzuwälzenden  Stein  von 
Grösse  und  Schwere  eines  Mühlsteins  trägt.  König  Pedro  über- 
rascht Ines  beim  Lesen  von  Enrique's  für  Doiia  Juana  bestimm- 
tem Briefchen.  Die  Schelmin  reicht  es  dem  König,  als  an  sie 
gerichtet,  zum  Lesen  und  versetzt  ihn  in  den  siebenten  Himmel 
vor  Wonne,  dass  er  mit  seinem  Halbbruder,  der  nicht  Juana 
sondern  Ines  liebt,  erstere  nicht  zu  theilen  braucht.  Mit  beiden 
Händen  willigt  er  in  Ines'  Bitte,  sie  mit  Enrique  zu  verhei- 
rathen  und  trägt  ihr  auf,  den  Verbannten  zur  Stelle  zu  beordern. 
Noch  diese  Nacht  soll  ihr  Wunsch  in  Erfüllung  gehen  i) ,  und 
nicht,  wie  er,  König  Pedro,  es  bei  solcher  Angelegenheit  mit 
seinen  Brautnächten  zu  halten  pflegte,  und  wie  er  es  mit  seiner 
geschichtlichen  Dona  Juana  betreffenden  Ortes  unserer  Geschichte 
wirklich  hielt:  blos  für  die  eine  Brautnacht  nämlich  als  Nacht- 
braut, einmal  und  nicht  wieder,  —  sondern  perennirend. 

Hier  betreffen  wir  nun  wieder  Lope's  dramatische  Psycho- 
ogie  auf  dem  fahlen  Pferdchen.  Dona  Juana,  die,  ohne  Ines' 
Liebe  für  Enrique,  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  dem  Bastard- 
Halbblut  ohne  Krone  für  König  Pedro's  Vollblut  mit  der  Krone 
den  Laufpass  gegeben  hätte,  erklärt  nun  rundweg  dem  König, 
sie  wünsche  keinen  andern  als  Enrique  zum  Gatten,  und  zwar 
aus  missgönnischer  Eifersucht  gegen  Ines.  Das  scheint  uns 
mehr  zu  Lope's  Ars  amandi  in  Abstracto  zu  passen,  welcher  zu- 
folge eine  solche  missgönnische  Eifersucht  selbst  eine  so  ent- 
schieden kundgethane  Gier  nach  der  Königskrone  im  Handum- 
drehen aus  dem  Herzen  wie  einen  bösen  Geist  exorcisire,  auf  die 
Gefahr,  den  König,  —  diesen  zumal!  —  so  heftig  vor  den  Kopf 
zu  stossen,  dass  Enrique's  Kopf  vom  Stoss  in's  Wackeln  kommen 
könnte!  Lope's  König  Pedro  ist  freilich  dazu  angethan,  um  eine 
solche  Psychologie  und  die  Parrhesie  Dona  Juana's  mit  dem 
plötzlichen  Umschlagen  ihrer  Wahl  und  mit  der  unverholenen 
Erklärung  dieses  Umschlages,  und  den  König  selber  in's  Ge- 
sicht zu  schlagen.    Rechtfertigt  aber  ein  König  Pedro  -  Gesicht, 


1)  Deja  venir  ä  Enrique;  que  esta  noche 

La  mano  te  darä. 


390  ^^s  spanische  Drama. 

das  solchen  ScMag  resigiiirerid  hinnimmt  und  mit  einem  Sonett- 
Seufzer  erwidert,  rechtfertigt  die  gutwillige  Hinnahme  des  Ge- 
sichtsschlags die  Psychologie  dieser  Ohrfeige?  Don  Enrique 's 
Ergebung  in  sein  Geschick:  vom  Könige  —  wie  er  noch  immer 
meint  —  bei  Dona  Juana  ausgestochen  zu  werden,  schmeckt 
in  einer  Liebes-Intriguen-Komödie  so  matt,  wie  Luisens  Limo- 
nade dem  Ferdinand  von  Walter  mundet.  0  Der  von  Dona 
Juana  flöten  geschickte  König  Pedro  besorgt  dies  als  treuer 
Schäfer  und  flötet  auf  seinem  Piötengang  so  herzbrechend,  dass 
man  mit  den  Keulen  dreinschlagen  möchte,  mit  welchen  der 
wirkliche  König  Pedro  die  Köpfe  seiner  Halbbrüder  bearbeiten 
liess.  Beide  Halbbrüder  treffen  unter  Don  Juan's  Balkon  zusam- 
men und  führen  Voltigeur-Künste,  jeder  auf  seinem  fahlen  Pferd- 
chen, aus,  trotz  den  schönsten,  mit  denselben  grauen  Kösslein  in 
der  Reiterbude  producirten  Schwungkünsten.  Enrique  wechselt 
mit  seinem  königlichen  Halbbruder  die  verwegensten  Rücken- 
sprünge auf  ihren  fahlen  Pferdchen.  Don  Enrique  erklärt  um- 
springend und  im  Rücken  seiner  obigen  Erklärung,  dem  Könige, 
er  denke  nicht  daran,  Dona  Ines  zu  lieben,  und  nicht  an  diese, 
sondern  an  Doiia  Juana  sey  das  Billet  gerichtet.  Der  Act  schliesst 
mit  einer  rührenden  Verschränkung  der  halbbrüderlichen  Beine 
auf  dem  Rücken  ihrer  fahlen  Pferdchen;  mit  einer  Verschränkung, 
die,  man  weiss  nicht,  ob  ein  Beinstellen,  oder  ein  Miteinander- 
stehen  auf  traulichem  Fusse  vorstellen  soll.  König  Pedro  ver- 
langt gerührt  2)  vom  Halbbruder  den  Degen  als  seinem  Gefange- 
nen; und  Enrique  überreicht  ihm  denselben  in  der  Scheide  mit 
Thränen  in  den  Augen.  ^)  Man  denke  dabei  an  das  letzte  halb- 
brüderliche Umarmungs-Symplegma  Don  Enrique's  mit  König 
Pedro  bei  Schloss  Montiel,  am  Boden  hingestreckt  sich  herzend, 
und  festumflochten  4),  wie  zwei  Bojazzos  oder  Clowns  in  der  Kunst- 
springerbude, Brust  an  Brust  gepresst  und  umschlungen,  sich  aus 
der  Reitbahn  hinauskugeln  und  wälzen! 


1)  Que  si  por  el  Eey  me  deja 
Acierta,  y  es  bien  que  acierte 

2)  Enrique,  no  me  enternezcas. 

3)  En  los  ojos  con  flaqueza. 

4)  Gesch.  d.  üram.  VIII   a.  a.  0. 


Eifersuchtswirreii.  39  j 

Wie  in  einem  beschädigten  Uhrwerk  liäcler  und  Gewichte 
abschnurren,  so  in  Lope's  Komödien  gar  oft  die  dritten  Acte. 
Der  nicht  gehörig,  häufig  gar  nicht  überdachte  Plan  überstürzt  und 
verhaspelt  sich  zuletzt  in  die  regellosen  Erfindungen  ex  tempore 
und  die  mulier  formosa  superne  geht  nicht  blos  in  einen  ge- 
wöhnlichen Fischschwanz  aus,  sondern  in  den  eines  faulen  Fisches. 
Als  solcher  kommt  schon  Eingangs  des  dritten  Actes  unsrer  König 
Pedro-Komödie  des  Bastards  Enrique  und  anderer  Bastarde  und 
Nichtbastarde  Interimsliebchen,  die  Teodora,  als  Blumenver- 
käuferin verkleidet,  zu  Doiia  Juana,  mit  dem  Vorschlage  von- 
seiten des  Enrique:  Dona  Juana  möchte  ihn,  da  sie  doch  schon 
so  viel  wie  Königin  sey,  mit  dem  Könige  auf  einen  guten  halb- 
brüderlichen  Fuss  setzen.  0  Doiia  Juana  wirft  die  unver- 
schämte' Blumistin  zur  Thür  hinaus.  ^)  Könnten  wir  es  doch  mit 
der  Scene  selbst  eben  so  machen  und  sie  zur  Eingangsthür  des 
dritten  Actes  hinauswerfen!  Und  die  von  den  drei  Mägen  jeder 
Komödie  wiedergekäute  Eilersuchts-  und  Versöhnungsscene  gleich 
hinterher  noch  hinauswerfen ,'^  die  hier  von  Don  Enrique  und 
Dona  Juana  wiedergekäut  wird.  Wurde  der  Bolus  doch  sogar 
vom  grossen  Meliere  noch  in  einen  Klos  für  den  französischen 
Gaumen  mit  kochkünstlerischer  Würzhaftigkeit  zubereitet  ^), 
schmackhaft  wie  gebackene  chinesische  Schwalbennester,  die  auch 
nichts  weiter  sind,  als  das  wiedergekäute  Gewölle  und  Auswürg- 
sei der  Schwalben,  vermischt  mit  den  strassenläufigen  Bestand- 
theilen,  woraus  die  Schwalben  ihre  Nester  kleben.  Die  Versöh- 
nung zwischen  Don  Enrique  und  Doiia  Juana  erfolgt  auf  Kosten 
der  sie  belauschenden  Ines,  der  Don  Enrique  nach  dem  Belau- 
schen die  Leviten  liest,  wegen  all  der  Eifersuchtswirren,  die  sie 
angerichtet.  König  Pedro  kommt  der  Doiia  Juana  die  bevor- 
stehende Nacht  als  seine  Brautnacht  mit  ihr  ankündigen.  4)  Sie 
verweist  ihn  deshalb  an  ihren  Herrn  Papa,   den  Adelantado,  was 


1)  Y  que  pois  que  ya  sois  reina, 
Le  pongais  bien  con  el  Rey.v 

2)  Salios  de  aqiü. 

3)  Tartiilfe  11,  4. 

4)  Estä  para  esta  noclie  prevenida: 
Sera  mi  desposorio  celebrado» 


392  O^s  spanische  Drama. 

Don  Enrique,  der  die  Horchrolle  mit  Ines  getauscht,  im  ste- 
henden Komödienwinkel,  'rincon',  mit  seinem  Diener  Bamiro  na- 
türlich zusammen,  belauscht,  zu  keinem  andern  Zwecke,  als  um 
die  Eifersuchtsscene  nochmals  und  in  verstärktem  Grade  wieder- 
zukäuen. DonaJuana  weint  und  schluchzt  die  schönsten  „Sterne", 
die  das  Schnupftuch  „ihrer  Sonne"  zurückzugebe,  wenn  sie  das- 
selbe ,  als  Schneuzsonne ,  einsaugt  und  trocknet.  ^)  Mit  derlei 
Blumenrankengeflunker  garnirt  Lope  in  der  Eegel  seine  fau- 
len Eischschwänze ,  in  welche  die  mulier  formosa  jedes  der 
beiden  ersten  Acte  im  dritten  ausläuft.  Die  mit  dem  Ge- 
flunker voUgeperlte  Schnupftuch -Sonne  bittet  sich  Don  Enri- 
que von  Juana  als  einigen  Seelentrost  aus,  um  sich  die  mit 
einer  Eifersuchts-Thränenfistel  gesegnete  Nase  seiner  Liebesnarr- 
heit darein  zu  schnauben.  2)  Das  kann  nur  die  Ansicht,  dass  die 
Perle  eine  Gehirnkrankheit  der  Auster,  und  dass  die  Sonne  ein 
alter,  mit  ßrandsilber  verbrämter  Lappen  ist,- bestätigen.  Abschied 
von  Sevilla  nehmend,  küsst  Don  Enrique  noch  einmal  die 
Thränen-Sterne  aus  Dona  Juana's  Schnuptuch ;  da  aber  die  Thrä- 
nen  bereits  getrocknet  sind 3),  die  blossen  Sterne,  mit  ßamiro's 
Trotzmuth  rufend:  „Ich  biet'  Euch  Trotz,  ihr  Schnupftuch-Sterne!" 
König  Pedro  bereitet  den  Marques  Adelantado,  Juana's  Va- 
ter, auf  die  Visite  des  bald  um  sie  anhalten  kommenden  Bräu- 


1)  tQ^^  aguero  como  llovar 
Las  estreUas?  Restituja 
Rayos  ä  tu  sol  el  Uenzo, 
Si  las  coge  6  las  enjuga. 

2)  jAy  dona  Juana!   Ay  Senora! 
Por  premio  de  mis  locuras, 
De  mis  auslas,  de  mis  celos, 
De  mis  agravios  y  injurias 
Dame  esas  lagrimas  solas 
Perlas  desas  luces  puras. 

3)  Don  Enrique. 

Adios,  senora  perjura  .  .  . 

Beso  tu  lienzo. 
Ramiro.  ^Estan  ya; 

Di,  las  lagsimas  enjutas? 
Don  Enrique. 

Si. 


Dona  Juana  und  die  Krone.  393 

tigams  vor,  der  ihm,  dem  König  Pedro,  vollkommen  gleich  und 
ebenbürtig.  ^)  Das  könne  nur  einer  von  des  Königs  Brüdern  seyn, 
unbeschadet  ihrer  Bastardsehaft,  —  monologisirt  sich  Adelantado 
vor.  Am  liebsten  v\räre  ihm  der  Conde  Enrique.  Der  zweite  kö- 
nigliche Bastardbruder,  der  Gressmeister  von  Santiago  bringt  die 
Krone  von  Castilien  auf  einer  Schüssel,  wie  einen  flammenden 
Plumpudding.  Dona  Juana,  allein  mit  der  Krone,  hält  eine  An- 
rede an  dieselbe,  wie  Shakspeare's  Prinz  Heinrich  in  einer  ähn- 
lichen Situation,  aber  mit  unähnlicher  Disposition:  Prinz  Hein- 
rich, um  sich  selbe  königsmuthig  aufzusetzen;  Dona  Juana, 
um  sie,  aus  Liebe  zu  ihrem  Prinzen  Heinrich,  Don  Enrique,  zu 
verschmähen.  ^)  Gleich  darauf  sagt  sie  dasselbe  dem  Kronenträger, 
dem  Könige  selbst,  in's  Gesicht,  die  Entsagung  auf  die  Krone  be- 
siegelnd mit  dem  auf  ihren  Mund  im  Finstern  von  Enrique  ge- 
hauchten Kuss,  dem  einzigen  zwischen  ihr  und  Don  Enri- 
que —  gewechselten?  —  nein,  ihr  von  ihm  im  Dunkeln  auf 
der  Palasttreppe  geraubten  Liebespfande,  das  Shakspeare's  Schä- 
fer, „Treppenarbeit"  taufen  würde,  wofür  aber  Lope's  König 
Pedro  eine  naoh  dem  Muster  von  jener  Treppe  gearbeitete  Gal- 
genleiter seinem  Halbbruder  zur  nächsten  Nacht  in  Aussicht 
stellt,  um  dann  auf  besagter  Strick-Leiter  in  des  Wortes  Pedro- 
haftester Bedeutung  in  Juaua's  Brautgemach  zu  steigen.  ^)  Um 
sich  und  den  Geliebten  vor  der  Strickleiter  zu  bewahren,  will 
ihm  Juana  ein  Empfehlungsschreiben  an  den  Mohrenkönig  nach 
Granada  mitgeben,  als  sie  von  Zofe  Elvira  mit  freudiger 
Bangniss  Enrique's  Anwesenheit,  den  sie  auf  der  Flucht  nach 
Castilien  wähnte,  in  Sevilla  erfährt.  Inzwischen  hat  sich  aber 
schon  König  Pedro  für  beide  Fälle  gesichert,  für  den  Fall,  dass 
Enrique  nach  Castilien  entflohn  wäre,  oder  sich  noch  in  Sevilla 
befinde,  und  für  jeden  dieser  Fälle  seine  Strickleiter  besorgt. 
Inzwischen  hat  aber  auch  Vater  Adelantado  für  einen  braut- 


J) 

Tan  buero  como  yo. 

2) 

Corona  illustre,  perdona; 

Que  te  quiero  aventurar. 

3) 

Esta  noche  hare  matar 

A  Enrique,  y  muerto,  podre 

Casarrae. 

394  ^^s  spanische  Drama 

väterlichen  Querstrich  gesorgt,  indem  er,  seiner  Voraussetzung 
nach,  des  Königs  als  ihm  vollkommen  ebenbürtig  in  Aussicht 
gestellter  Bräutigam  könne  nur  dessen  Halbbruder  Don  Enrique 
seyn,  diesen  in  aller  Eile  mit  seiner  Tochter  Dona  Juana  ehelich 
verband  1),  so  dass  Strick  und  Leiter  das  Nachsehen  haben,  und 
mit  ihnen  König  Pedro  und  Cousine  Ines  desgleichen.  Der 
König  beisst  mit  einem  sauersüssen  WortspieP)  in  den  sauren 
Apfel,  und  fällt  mit  einer  allgemeinen  Amnestie  '^)  aus  seiner  Ge- 
schichtsrolle, König  Pedi'o  den  Grausamen  gegen  Kaiser  Titus 
den  Gütigen  unter  der  Hand  austauschend. 

Einen  noch  schaudervoliern  mit  einem  König  geschlossenen 
Teufelspact  blinder  Mord  Vollziehung  auf  Ehrenwort  behandelt 
Lope's 

Puerza  lastimosa 
(Beklagensvoller  Zwang) 

nach  der  vielberufenen  Romanze  vom  Grafen  Alarcos  und  der 
Infantin  Solisa ^),  der  Alarcos  die  Ehe  versprochen,  sich  aber 
dann,  seinem  Gelöbniss  ungetreu,  mit  einer  Andern  vermählte, 
und  vom  König,  dem  Vater  der  Infantin,  gezwungen  ward,  sich 
durch  sein  Ritterwort  zur  Ermordung  seines  Weibes,  das  er  innig 
liebte,  und  zum  Heirathen  der  Infantin  zu  verpflichten.  Lope's 
Tragödie  verlegt  die  naturwüchsig  spanische  Handlung  nach  Ir- 
land. Was  in  der  Ballade  allenfalls  noch  erschüttern  und  vor 
das  geistige  Auge  der  Phantasie  ohne  Skandal  an  der  Kunst  ge- 
stellt werden  konnte,  das  durfte  selbst  ein  spanischer  Bühnen- 
dichter nicht  in  einem  Schauspiele  wagen,  da  ja  von  Hause  aus 
das   spanische   Drama   die   vollen   ungeschwächten  Schauer   den 

1)  halle  el  hombre  y  le  case. 

2)  Adelantado,  vos  fuistes 
Dos  veces  Adelantado, 

,,AdelantadOj  Ihr  habt  Euch  zweifach  vorgewagt'',  die  Grenzen  überschrit- 
ten, Ansijielung  auf  den  Grenzstatthalterposten  des  Adelantado  von  Ade- 
lantar  „vorschieben",  „vorwärts  bringen'^ 

3)  Todos  quedais  perdonados. 

4)  Dur  an.  Ein  catalonisches  Volkslied  besingt  das  Ereigniss  unter 
dem  Titel  El  Conde  Ploris;  eine  portugiesische  Ballade  desselben  In- 
halts nennt  sich  0  Conde  Yanno. 


Lope's  Comedia:   La  fuerza  lastimosa.  395 

Schreckenswirkungen  der  Auto  da  Fes  überlassen,  und  sich  mit 
der  mildern  Ausgangsform  einer  Comedia  oder  Tragicomedia  be- 
gnügen musste.  Die  von  Lope  zugunsten  dieser  Dämpfungen  be- 
liebten Modificationen  der  Komanze  sind  beachtenswerth,  und 
werfen  ein  lastimoses  Licht  auf  Friedrich  SchlegeFs  die  Romanze 
mit  Haut  und  Haaren  tragirendes  Familienschlächterstück:  seine 
Tragödie  *Alarcos\ 

Von  vornherein  kartet  der  erste  Act  das  Spiel  derart,  dass 
nicht  der  Conde  Enrique,  Lope's  Alarcos,  dem  die  Infanta 
Dionisia  auf  der  Jagd  ein  nächtliches  Rendez- Vous  in  ihrem 
Zimmer  gegeben,  den  Nachtbesuch  abstattet,  sondern  dessen  von 
der  Prinzessin  verscheuchter  Nebenbuhler  und  verstellter  Freund, 
Duque  Otavio,  der  die  Gewährung  des  Stelldicheins  be- 
lauscht, den  glücklichem  Conde  überfallen  und  ihn  vom  Könige,  auf 
einen  augeblich  bis  zur  nächsten  Morgenröthe  geheim  zu  halten- 
den Grund  hin,  unter  Schloss  und  Riegel  hatte  bringen  lassen 
und  das  Stelldichein  mit  der  Prinzessin  nun  selber,  als  Conde 
Enrique  erledigt,  für  den  sie  ihn,  nicht  nur  bis  Tagesanbruch  i), 
sondern  bis  zur  Katastrophe  hält,  die  der  Duque,  als  Pseudo-Conde, 
dem  wirklichen  Conde  durch  das  Stelldichein  eingebrockt. 

Nun  kann  Duque  auch  dem  Könige  von  Irland,  beim 
Schein  der  angebrochenen  Morgenröthe,  den  Beweggrund  zu  sei-  , 
nem  ihm  gestern  gegebenen  Wink,  den  Conde  verhaften  zu  las- 
sen, schriftlich  mittheilen.  Der  Grund  war  ein  Freundschafts- 
dienst, den  er  dem  Conde  durch  dessen  Einsperrung  über  Nacht 
habe  leisten  wollen,  um  ihn  nämlich  vor  einem  von  fremden 
Soldaten  beabsichtigten  Mordanfall  auf  ihn  sicher  zu  stellen. 
Jetzt,  bei  hellflammender  Morgenröthe,  könne,  der  König  den  Häft- 
ling wieder  freilassen,  da  die  Soldaten,  aus  Furcht  vor  Aurora's 
Tages-Fackel,  das  Weite  gesucht.  Conde  Enrique,  vom  König 
huldvoll  aus  der  nächtlichen  Haft  entlassen,  erfährt  nun  zu 
seinem  Schrecken  aus  dem  Munde  seines  Dieners  Hortensie, 


1)  Cuasi  has  aguardado  el  alba,  mit  diesem  Morgengruss  empfängt 
Hortensio,  des  Conde  Diener,  den  Duque  Otavio,  der  sich  au  ei- 
nem Seil  vom  Fenster  des  Sehlafgemachs  der  Infantin  herablässt,  wo  er, 
als  vermeniter  Conde,  die  unvermeintesten  und  reellsten  Stelldichein-Freuden 

äienossen. 


396  J^^s  spanische  Drama. 

dass  dieser  ihn,  beim  Niederschweben  von  der  Infantin  Fensler, 
in  seinen  Armen  aufgefangen,  bei  welcher.Gelegenheit  er,  Hor- 
tensie, von  ihm,  dem  Conde,  verschiedene  Hiebe  mit  der 
Klinge  will  empfangen  haben,  und  wenn  er,  Conde,  es  nicht  war, 
so  war  es  ein  Anderer,  der  vom  Fenster  der  Infantin  hernie- 
dergeschwebt, um  ihn  mit  der  flachen  Klinge  zu  bearbeiten,  nach- 
dem dieser  Andere  mit  des  Conde  Kalbe  den  Acker  des  Stell- 
dicheins bearbeitet.  1)  Conde  wittert  mit  offenem  Munde  und 
weitaufgesperrten  Nasenflügeln  Morgenluft,  die  ihm  die  Morgen- 
röthe  in  Person,  die  Infantin  Dionisia  selber,  mit  offenen  Ar- 
men ihm  entgegeneilend,  zufächelt,  glühend  vor  Entzücken  über 
die  mit  ihm  in  voriger  Nacht  genossene  Liebeswonne. '^)  Conde 
klappt  die  immer  mehr  Morgenluft  witternden  Nasenflügel  auf 
und  zu,  wie  der  Fisch  im  Sande  mit  den  Kiemen  schnappt. 
Hinter  Schloss  und  Riegel  die  ganze  Nacht,  wie  hätte,  sollte, 
mochte,  konnte  ich  — ?  fragt  Conde's  skeptisch  zuckender  Nasen- 
knopf, die  gewitterte  Morgenluft  der  Infantin  Dionisia,  der  Zofe 
Celindes  und  seinen  zwei  Dienern  Hortensie  und  Belardo 
in's  Gesicht  niesend.  „Ich  schreie  auf,  wie  besessen  und  wilFs 
dem  König  sagen,  elender  Wicht!"  —  kreischt  die  Infanta^)  .  .  . 
Ja  ich  will,  dass  der,  dem  ich  mich  hingegeben,  es  auch  ehrlich 
gestehe,  wenn  ich  danach  frage  "*)  —  und  stürzt  mit  der  Kam- 
merfrau davon.  „Hinweg  aus  dieser  Stadt!'' ^0  ruft  Conde  En- 
rique in  Verzweiflung  über  das  ihm  gespielte  Quidproquo.    Wo- 


1)  Hort.  ;Vive  Dios,  qua  decendio! 

Y  que  fue  burla  de  fama, 

Pues  que  te  ha  quitado  la  dama, 

y  muchos  palos  nos  dio! 

2)  Di 011.  Dame  esos  brazos  .  .  . 

Que  yo  estoy  tal 

Con  la  noche  que  he  tenido 
Contigo,  que  no  hay  sentido 
Que  no  tenga  gloria  igual. 

3)  Dare  voces  como  loca, 
AI  Rey  lo  dire,  villano. 

4)  Pero  que  quien  me  gozo 
Si  lo  pregunto,  lo  diga 

5)  Sulgamos  de  la  ciudad  .  .  . 


Verlorener  Verstand  aus  verlorner  Prauenehre.  397 

hiü,  fragt  das  Dienerpaar.  Nach  Spanien!  Vielleicht  heilt 
mich  —  so  Gott  will  —  Spaniens  hesperische  Abendluft  von 
Hibernias  irländischer  Morgenluft!  ^)  Für  einen  Konaödienact  nicht 
komisch  genug,  und  das  bischen  Komische  von  der  anstössigsten 
Art;  der  König  eine  Dupe,  die  Infantin  eine  unverschämte 
Trulle,  die  vor  Dienern  und  Dienerinnen  noch  in  der  Erinnerung 
ihrer  nächtlichen  und  obendrein  in  den  Armen  eines  betrügerischen 
ünzüchters  gepflogenen  Buhlereien  schwelgt ;  das  Nachtmännchen, 
der  Duque,  ein  ehrloser  Wicht  und  Pfuscher  in's  Handwerk  des 
Werks  der  Finsterniss;  der  Conde,  das  kläglich  lächerlichste 
Prellopfer  eines  ihm  abgestrickten  Stelldicheins  —  und  ihr  wun- 
dert Euch,  wenn  die  Kritik  eines  solchen  Actes  zu  dessen  Paro- 
die umschlägt? 

Der  zweite  Act  ist  wieder  tragisch  schwarz,  von  einer 
Schwärze,  die  eine  Mixtur  der  doppelten  Finsterniss  des  paralle- 
len Nachtstücks  im  ersten  Act  scheint:  des  Nachtstücks,  dessen 
sich  der  Nachtalp  auf  der  Brust  der  Infantin  erfreute,  vermischt 
mit  der  Finsterniss,  die  der  Conde  in  seiner  Nachthaft  genoss. 
Kurz,  unser  zweiter  Act  ist  ein  Wahn  sinn sact  von  der  schwarz- 
galligsten Farbe,  die  noch  während  der  acht  Jahre,  die  zwischen 
ihm  und  dem  ersten  liegen,  beträchtlich  nachgedunkelt.  Die 
irländische  Prinzessin  Dionisia  ist  vor  Schmerz,  Schande  und 
Verdruss  über  ihre  an  einen  wildfremden,  verschollenen  Ehren- 
nachtdieb  verlorene  Frauenehre  seit  acht  Jahren  wahnsinnig, 
irländisch  wahnsinnig.  Ihr  unglücklicher  Vater,  der  König,  dem 
die  Ursache  dieses  Wahnsinns  ein  unlösliches  ßäthsel  geblieben  '^), 
bietet  Alles  auf,  was  sein  Hof  an  Musik  auf  dem  Lager  hat,  um 
die  Schwermuth  der  tiefsinnigen  Tochter  aufzuheitern.    Die  Mu- 


1)  Plegue  a  Dies,  aires  de  Espana, 
Que  inudeis  mi  pensamiento ! 

2)  Die  Infantin  reibt  ibm  ihre  verlorene  Ehre,  wie  man  zu  sagen  pflegt, 
unter  die  Nase,  der  königliche  Vater  riecht  aber  doch  nichts,  hat  keine 
Riechwarzen  für  die  Möglichkeit,  wie  eines  Königs  Tochter,  der  doch  die 
Ehre  selber  ist  und  Quell  aller  Ehre,  die  ihrige  verloren  haben  könne. 

iTvL  deshonra?   Loca  estas 
Quien  su  honra,  que  es  el  rey, 
^Estä  sin  honra? 
:^)  Orl.  F.  0.  X.  St   XXV. 


398  J^^s  spanische  Drauia, 

sikanten  singen  ein  auf  die  mit  Dionisia's  Liebesschicksal  ana- 
loge Geschichte  von  Ariosto's  Olympia  und  Bireno  anspielendes 
Liedchen,  dessen  verwandten  Sinn  die  Infantin,  der  Secretär  des 
Königs  Clenardo  und  Celinda,  die  Kammerfrau,  recht  gut 
verstehen ;  nur  der  König  nicht,  der  sich  aus  dem  Liedchen  kei- 
nen Vers  machen  kann.  Secretär  und  Kammerfrau  verstehen  die 
Beziehung  so  aufs  Haar,  dass  sie  dieselbe  durch  ein  Aparte-Gespräch 
erläutern,  das  die  während  der  acht  Jahre  mit  Conde  Enrique 
vorgegangene  Veränderung  dem  Publicum,  wie  ein  Komödien- 
prolog, mittheilt.  Wer  lässt  sich  nun  melden?  Der  passive 
Grund  zu  der  Prinzessin  Wahnsinn  in  Person:  Conde  Enri- 
que, den  auch  schon  das  Aparte  des  Secretärs  und  der  Celinda 
dem  Publicum,  ganz  aus  der  Scene  fallend,  angemeldet.  Conde 
Enrique  besucht  die  Heimath  mit  seiner  Gemahlin,  einer  Spa- 
nierin, Dona  Isabela,  Tochter  des  Grafen  von  Barcelona,  und 
mit  seinem  siebenjährigen  Söhnchen,  Don  Juan,  und  wünscht, 
dem  Hof,  König  und  der  Prinzessin  seine  erste  Aufwartung  zu 
machen.  Natürlich  fehlen  auch  seine  beiden  Diener  aus  dem 
ersten  Acte  nicht,  Hortensie  und  Belardo.  Dona  Isabella 
ist  eine  von  Lope's  Frauenidealen  durch  Gestalt  und  Seelen- 
schönheit. Erstere  beruft  beim  ersten  Anblick  die  Kammerfrau 
Celinda  im  Verein  mit  ihrem  Aparte-Genossen ,  Secretär  Cle- 
nardo. ^  Ganz  anders  lautet  das  Aparte  der  Infantin:  „Ihr 
Anblick  tödtet  mich!''-)  Und  als  der  kleine  Don  Juan  ~  ein 
Ausbund  von  Caballero  in  der  Knospe  und  von  altklugem  Bettp  — 
mit  Weisheitsmilchzähnen  der  Prinzessin  die  Hand  küssen  will, 
lautet  ihr  Aparte:  „Können  höllische  Qualen  mehr  Pein  in  sich 
schliessen  ?" '0  üas  fehlte  noch,  dass  Isabela  den  Schatz  preist, 
den  sie  an  ihrem  Gatten  besitzt!    Wüthend  erhebt  sich  die  Prin- 


1)  Clen.  iBellü  rostro! 

Gel.  iGran  beüeza 

Oompostura  y  gravedad! 

2)  Di 011.  Mas  tiene  veneno. 

Mit  Beziehung  auf  des  Conde  Beantwortung  der  Frage  des  Königs   nacli 
dem  Belinden  des  Grafen:  'tiene  salud\ 

3)  Dion.  (Ap.)  <^En  que  penas  infernales 

Hay  tormento  agora? 


Dem  Kouig'  von  Irland  stellt  der  Verstand  still.  399 

zessiii  uüd  stürzt  auf  die  Grätiii  wie  eiü  Drache  los:  Hinaus, 
verhasstes  Weib!  aus  vier  Vipern  geflochtenes  Netzwerk,  das 
meine  Seele  umschnürt!  Hinaus,  du  meine  Schande!  0  Der 
König  erklärt  dieses  Gebahren  als  einen  der  stärksten  Paroxys- 
men,  die  er  seit  acht  Jahren  an  seiner  Tochter  erlebt  hat.  ^)  Dio- 
nisia  jagt  sie  alle  hinaus,  den  Conde  mit  der  ganzen  Familie 
samnit  Dienerschaft,  ^)  Dem  König  von  Irland  kommt  der  Vor- 
gang so  spanisch  vor,  als  hätte  er  den  Verstand  verloren.  Wie 
kann  man,  fragt  er  —  mit  seiner  Tochter  allein  geblieben  — 
kleinlaut,  so  wenig  Rücksicht  mit  ehrenwerthen  Gästen  nehmen? 
Das  macht  „die  verlorene  Ehre",  bedeutet  ihn  die  tiefsinnige 
Tochter,  und  zwar  -—  um  seinen  schweren  Begriffen  die  Sache 
so  nahe  zu  legen  wie  möglich,  ihn,  wie  man  sich  auszudrücken 
pflegt,  mit  der  Nase  darauf  zu  stossen  —  und  zwar  ihre  „Frauen- 
ehre." ^)  Nun  glaubt  er  auf  dem  Wege  zu  seyn,  Lunte  zu  rie- 
chen. „Frauenehre'*  —  legt  er  den  Finger  auf  den  Nasenknopf  — 
verlorene  Frauenehre,  das  brenzelt  nach  betrogener  Liebe/0  Ei" 
bittet  sich  nähere  Angabe  aus,  behufs  Eacheübung  an  dem  Ehren- 
räuber, Aus  Scheu  und  Scham  giebt  sie  dem  Vater  das  nähere 
Signalement  der  verlornen  Ehre  schriftlich  auf  einem  Zettel  und 
entfernt  sich  schnell.  Der  Zettel  besagt:  Sie  habe  sich  heimlich 
mit  Conde  Enrique  vermählt,  heimlich  mit  ihm  die  Ehe  vollzo- 


1)  Dion.      (levaudose  miiy  fariosa) 

Afuera,  mnjer,  afuera, 
Lazo  de  mi  alma  estrecho 
De  cuatro*)  viporas  hecho 
Que  mi  h^lada  sangre  altera, 
Afuera,  deshonra  mia. 

2)  Roy.        El  mal  le  ha  dado  mas  fuerte. 

3)  Vägansc  todos. 

4)  Di 011.      Oh  padrc!  houor  de  mujer. 

5)  Tras  eso,  el  honor  perdido 
Muestra  que  alguien  te  ha  eiigailado. 
Que  cobardo  te  ha  dejado, 

Y  te  ha  gozado  atrevido. 


*)  Vier  Vipern V  Warum  gerade  Vier?  Das  bleibt  uns  so  unerfindlich, 
wie  dem  Könige  von  Irland  die  ganze  Geschichte. 


400  l^^s  spanische  Drama. 

gen,  er  heimlich  sie  verlassen,  und  heimlich  in  Spanien  eine  an- 
dere Frau  genommen,  die  er  nun  öffentlich  sammt  Kindern  vor- 
zuführen die  Frechheit  hat.  ^)  „Holla  Diener,  Wache,  Soldaten  und 
Capitän,  herbei  !'^  schreit  der  König  aus  Leibeskräften  ^)  und  lässt 
den  Conde  Enrique  von  seinen  Trabanten  zur  Stelle  schaffen 
und  föngt  ihn  in  der  eigenen  Schlinge:  mit  einer  Dionisia's 
Handel  in  einen  erdichteten  Fall  einkleidenden  Eathbefragung, 
welcher  Fall  dem  König  von  Albanien  begegnet  sey,  wie  er,  der 
König  von  Irland,  so  eben  aus  dessen  Briefe  erfahren.  Conde 
Enrique's  ßath  und  Ansicht  geht  dahin:  dass  jener  Verführer  der 
albanischen  Königstochter  seine  Gattin  ermorden  müsse,  um  dem 
früheren  Anrecht  der  albanischen  Prinzessin  auf  die  Ehe  des 
Treulosen  zu  genügen  3),  und  schlägt  alle  Einwendungen  des  Kö- 
nigs aus  dem  Felde.  Der  Unglückliche  ahnt  natürlich  nicht, 
dass  er  die  Ermordung  seiner  Frau  sich  selber  auf  den  Hals 
plaidirt.  Darin  läge  was  von  Oedipscher  Tragik,  wenn  der  Rath 
aus  dem  Munde  eines  so  braven  Caballero,  wie  Conde  Enrique, 
wegen  der  Unwahrscheinlichkeit,  nicht  noch  abscheulicher  erschei- 
nen müsste,  als  er  schon  an  sich  ist,  abgesehen  von  der  Anzwei- 
felbarkeit,  ob  Conde  sein  Abenteuer  mit  der  Infantin  und  sein 
ihm  von  einem  Andern,  wie  er  doch  weiss,  soufflirtes  Stelldichein 
mit  ihr  so  rein  vergessen  haben  konnte,  dass  er,  den  ihm  und 
seiner  Gemahlin  eben  von  der  Infantin  zutheil  gewordenen  Em- 
pfang mit  jenem  aus  seinem  Gedächtnisse  unmöglich  spurlos  ver- 
wischten Begegnisse  vor  acht  Jahren  in  eine  ßeminiscenz- Ver- 
bindung bringend,  nicht  hätte  ein  wenig  stutzig  werden  sollen 
und  einiges  Bedenken  tragen,  die  abscheuliche  Alarcos-ßo.manze 
auf  sein  unschuldiges  Haupt  mit  einer  dramatischen  Sünde  mehr, 
mit  der  Sünde  psychologischer  Unwahrscheinlichkeit,  zu  nehmen  1 


1)  ,,Yo  me  case 
Con  Enrique  de  secreto, 

Y  en  secreto  me  gozö*'  .  .  . 

2)  jAh  de  mis  criados!  Guardas! 
Geilte,  Capitan. 

3)  Enr.  Dando  muerte 

El  propio  ä  su  mujer  en  justa  pena 
De  SU  delito, 


Königs  Befehl.  401 

Statt  dessen  lässt  er  sich  in  eine  spitzfindige  Debatte  mit  dem 
Könige  von  Irland  ein,  um  die  in  beregtem  Falle,  trotz  aller 
göttlichen  Gesetze,  gebotene  Ermordung  der  Gattin  mit  eigner 
Hand  durchzuführen,  zu  erstreiten  und  zu  behaupten,  i)  Im  Nu 
hat  Conde  Enrique  den  Kopf  in  der  eigenen  Schlinge  sitzen.  „Du 
hast  mir  den  Rath  gegeben"  —  zieht  der  König  die  Schluss- 
folgerung, nachdem  er  den  Conde  die  Erklärung  der  Infantin 
hatte  lesen  lassen  —  „so  mach  Dich  auf  sofort  und  tödte  Dein 
Weib!    Heut  Abend  bist  Du  der  Gatte  meiner  Tochter!" 2) 

Nach  aller  dramatischen  Logik  musste  nun  Conde  Enri- 
que Alles  aufbieten,  um  seine  Unschuld  vor  dem  Könige  darzu- 


1)  „Ehre**  -  -  wendet  der  König  ein  —  „gebührt  Gott  allein.  Eine 
Beleidigung  Gottes  schliesst  die  Ehre  aus.**  Enrique.  Gott  befiehlt  auch, 
wenn  man  eine  Ohrfeige  bekommen,  den  andern  Backen  hinzuhalten,  vor 
der  Welt  aber  ist  das  eine  Entehrung,  und  gebietet  die  Ehre  sich  zu  rächen, 
obgleich  die  Rache  Gott  eben  so  missfcähig  sey,  wie  dem  Menschen  angenehm. 
Er  müsse  daher  bei  seinem  Ausspruche  bleiben:  dass  der  beregte  Gatte  in 
diesem  Fall  seine  Frau  zu  ermorden  verpflichtet  sey,  um  sein  früheres 
Eheversprechen  zu  erfüUen,  und  die  Ehre  der  ersten  Geliebten  wieder 
herzustellen.  Der  Mord  Hesse  sich  ja  durch  eine  Busse  sühnen.**  Die  Wi- 
dersprüche zwischen  Ehre  nach  Gottes  Gebot  und  nach  der  Ansicht  der 
Welt  laufen  friedlich  nebeneinander  her  auf  gut  parallel  Spanisch.  Der 
spanische  Parallelismus  ist  ein  Casuist  trotz  dem  ersten  Casuisten,  dem 
Spanier  Escobar. 
Key. 

La  honra  solamente  ä  Dios  se  debea; 

Con  ofensa  de  Dios  no  hay  honra,  Conde. 
Enrique. 

Tambien  le  manda  Dios  al  que  recibe 

ün  bofeton  que  ponga  el  altro  lado, 

Y  en  el  mundo  es  deshonra,  y  es  la  honra 

Vengarse,  siendo  siempre  la  venganza 

Odiosa  ä  Dios,  cuanto  apacible  al  hombre. 


2)    ßey. 


Yo,  si  fuera  este  rey,  hiciera  ä  este  hombre, 
Que  esa  mujer  matära. 


Tu  me  diste  el  consejo;  parte  luego, 
Y  ä  la  condesa  quitaras  la  vida 
Para  que  aquesta  nove  seis  esposo 
De  la  Infanta,  mi  hija. 
X.  26 


402  I^as  spanische  Drama. 

tliuD.  Und  hat  er  nicht  das  eclatanteste  Beweismittel  in  Händen : 
sein  Alibi?  Dass  er  in  jener  Nacht,  um  dieselbige  Zeit,  auf 
Stunde  und  Minute,  wo  die  Infantin  mit  ihrem  eingeschmuggel- 
ten Incubus  ihr  anticipirtes  Brautlager  hielt,  dass  er,  Conde, 
während  dessen  im  finstern  Gefängniss  auf  der  Pritsche  lag,  was 
ihm  der  ganze  irländische  Hof,  vor  Allen  der  König  selber,  be- 
zeugen muss,  der  die  Verhaftung  befohlen.  Dass  aber  zugleich 
mit  seiner  Entlassung  aus  dem  Gefängniss  ein  Mann  sich  aus 
dem  Fenster  der  Infantin  an  einem  Seil  heruntergelassen,  darauf 
können  des  Conde  zwei  Diener  einen  körperlichen  Eid  schwören. 
Statt  dessen,  was  thut  Conde?  Er  jammert  seine  Verzweiflung 
unter  ünschuldsbetheuerungen  von  acht  pathetischem  Korn  am 
Halse  seines  Freundes,  des  edlen  Hofherrn,  Fabio,  aus.  Er  hat 
eine  Scene  mit  seiner  Gemahlin  Isabela,  eine  Scene,  die  wie- 
der nur  ein  grosses  dramatisches  Dichtergenie  schreiben  konnte, 
dessen  glänzendste  Züge  ebenso  viele  Schläge  in's  Auge  poetischer 
Wahrscheinlichkeit,  psychologischer  Motivirung  und  des  gesun- 
den Kunstverstandes  sind,  ob  diese  Schläge  in's  Auge  noch  so 
viele  blendende  Geniefunken  aus  dem  Auge  schlagen.  Isabela, 
als  Idealgattin  und  bei  Leibesleben  schon  verklärte  Märtyrin  ehe- 
licher Selbstaufopferung,  bietet  ihren  Hals  dem  Gatten  zum  Er- 
drosseln dar,  mit  der  Todesfreudigkeit  einer  aulischen  Iphigenia 
und  einer  Alceste  zusammengenommen,  und  mit  der  Glorienpalme 
eheweiblicher  Sterbebmnst  aus  Gattenliebe,  um  so  würdiger,  als 
ihr  die  patriotischen,  im  letzten  Grunde  götterverhängten  Antriebe 
der  Iphigenia  und  Alceste  zu  solcher  Todessühne  fehlen;  als 
Condesa  Isabela  aus  blosser  überschwängiicher  Gattenliebe  sich 
opfert,  den  Gatten  ihrer  von  einem  Andern  entehrten  Neben- 
buhlerin überlässt,  ihn  und  ihre  drei  Kinder  preisgiebt,  nach  einem 
Abschied  von  den  Kindern,  in  dessen  herzrührendes  Pathos  sich 
der  Medea  und  Alceste  Abschied  von  ihren  Kindern  theilen 
könnte.  Mr.  Barret  weist  bewundernd  in  einer  Note  auf  diese 
Aehnlichkeit  hin,  ohne  den  wesentlichen  Unterschied  in  Anschlag 
zu  bringen,  dass  Medea's  und  Alceste's  Abschiedspathos  aus  der 
gesunden  Wurzel  eines  hinreichenden  tragisch  dramatischen 
Grundes  hervorblüht,  welcher  dem  Pathos  unserer  selbstauf- 
opferungsfreudigen Eheheroine,  ja  welcher  hinreichendeGrund 
dem   spanisch-romantischen  Drama  überhaupt  fehlt.    Aber  eine 


Stegreif-Pathos.  403 

Wirkung  ohne  entsprechende  Ursache,  eine  Wirkung  nicht  psycho- 
logisch, nicht  Charakter-  und  situationsgerecht  beursacht  und  be- 
gründet, nicht  aus  den  Voraussetzungen  mit  folgestrenger  Noth- 
wendigkeit  entwickelt,  eine  solche  Wirkung,  ein  solches  Pathos 
gleicht  nicht  dem  erhabenen  Gewittersturme  auf  dem  in  seinen 
tiefsten  Gründen  aufgeregten  Meere  dramatisch-tragischer*  Lei- 
denschaft. Dergleichen  Wirkungen  sind  plötzlich  und  bei  Mee- 
resstille entstandene,  aus  den  Wolken  gefallene  Wasserhosen, 
die  über  unser  geängstigtes  Mitgefühl  unversehens  herstürzen,  es 
überschütten  und  unter  seinem  glänzenden,  von  kleinen  donner- 
losen Blitzen  durchzuckten,  mit  gewaltigem  Geräusch  berstenden 
Schaumschwalle  begraben.  Und  siehe  da!  Am  Schluss  unseres 
zweiten  Acts  schwemmt  die  Wasserhose  wirklich  das  Frauenideal 
von  freiwilliger  Selbstaufopferung  und  nebenbei  auch  von  freiwil- 
liger Zeugung  —  schwemmt  die  Wasserhose  wirklich  das  Ideal  von 
spanischem  Eheweib  in  den  Ocean  hinaus,  sie  von  Irlands  Küste 
fortfegend  in  einer  lecken  Barke  ^) ,  nach  des  wackern  Pabio 
freundschaftlichem  Kath,  auf  dass  man  dem  Könige  mit  gutem 
Gewissen  melden  könne,  Condesa  Isabela  sey  im  Meere  zu  Grunde 
gegangen  und  liege  im  Sande  begraben^),  dank  der  Wasserhose. 
Das  Auskunftsmittel  lassen  sich  Conde  und  Condesa  gefallen,  ^) 
Verwünschte  Wasserhose,  die  uns  nun  mit  Heldin  und  Comedia 
hinaustreibt  in's  Meer  der  novellesken  Zufallsereignisse  und 
Abenteuer!  Unselige  spanische  Comedia,  deren  hinreissendste 
Wirkungen  auf  solchen  vom  Himmel  gefallenen  Wassersäulen 
ruhen! 

Wie  Aeolus  in  seinem  Schlauch  Seewinde  und  Stürme,  so 
trägt  Prinzessin  Dionisia  Wasserhosen  von  obiger  Beschaffenheit 
in  ihrem  Arbeitsbeutel.  Gleich  in  der  nächsten  Scene  schüttet 
sie  ihrem  königlichen  Vater  eine  über  den  Kopf  mit  scheltender 
Berufung  seiner  Grausamkeit'*),  und  ihre  Hände  vom  Morde  dm* 


1)  En  un  barco,  en  que  un  barreiio 
Se  puede  dar  al  entrar. 

2)  Fabio,       Y  di,  si  el  Rey  te  pregmita 

Que  entre  su  arena  reposa. 

3)  Enrique.  Bien  bas  decho,  amigo  Pabio. 
Isabela.    Piadoso  remedio  y  sabio. 

4)  Dion.  Crueldäd  notable  fuera. 

20^ 


404  I^as  spanische  Drama. 

Isabela  rein  waschend  in  den  Güssen  der  vom  gewaschenen  Kopfe 
des  Vaters .  niederströmenden  pathetischen  Wasserhose.  „Ging's 
nach  meinem  Wunsche,  wäre  Isabela  gewiss  nicht  Todes  verstor- 
ben," ^)  „Wenn  ich  mich  verging,  warum  diese  unglückliche 
Spanierin  mit  dem  Tode  bestrafen?"  2)  Wie  aber  stimmt  diese 
Frage,  fragen  wir  unsrerseits  Eure  königlich  irländische  Hoheit, 
zu  höchstdero  verrücktem  Gebahren  bei  der  ersten  Begegnung  mit 
Condesa  Isabela?  Das  lässt  sich  nur  aus  der  Psychologie,  Poetik 
und  Dramaturgie  der  Meerhosen  in  höchstihro  Strickbeutel  er- 
klären, gnädigste  Infanta!  Vermöge  deren  jede  Scene  preis- 
würdig ist,  wenn  sie  nur  immer  wieder  von  neuem  aufreizt, 
ob  das  Pathos  darin  natur-  und  situationsgemäss  ist  oder  nicht, 
wenn  nur  der  Scene  das  Herz  mit  dem  Pathos  in  die  Was- 
serhosen fällt.  Die  Hose  erst,  die  sie  dem  eingetretenen 
Conde  in's  Gesicht  wirft!  Nicht  etwa  eine  von  der  Qualität, 
die  jeder  nichtspanische  Zuschauer  dem  Elenden  in's  Gesicht 
—  spucken  würde,  dem  Verworfenen,  der  unmittelbar,  nach- 
dem er  ein  Weib  wie  Isabela  hinausgestossen  in  die .  wilde  See, 
sich  noch  bei  der  abscheulichen  Infanta  meldet,  wie  Einer,  der 
seinen  Lohn  holen  kommt  für  die  besorgte  Arbeit.  Mcht  solcher- 
massen  empfängt  ihn  Dionisia,  wie  man  von  ihrem  gegen  den 
Vater  losgelassenen  Entrüstungspathos,  wegen  Isabela's  Ermor- 
dung, erwarten  durfte.  Prinzessin  Dionisia  ohrfeigt  den  Conde 
mit  ein  Paar  frischen,  aus  ihrem  Pompadour  gezogenen  pathetischen 
Seepantalons:  „Was  fandest  Du  denn,  infamer  Conde!  an  mir, 
dass  Du,  nachdem  Du  mich  in  jener  Nacht  wie  eine  Citrone 
ausgequetscht,  davonläufst,  um  eine  Andere  zu  heirathen?  Auf 
der  Stelle  die  Isabela  aus  dem  Kopf  geschlagen,  oder  ich  schlage 
Dir  meinen  Wasserhosenbeutel,  wie  Du  ihn  da  siehst,  um  den 
Kopf!"  3)    „Ich   will  mein  Möglichstes  thun,    um   sie  zu  ver- 


1) 

Por  mi  voto,  esta  muy  cierto 

Que  Isabela  no  muriera. 

2) 

Si  fui  yo*),  por  que  merece 

Muerte  esa  triste  espanola? 

3) 

Dioü.    Di,  infame  Conde,  ,ique  hallaste 

En  mi,  que  de  verme  hülste 

*)  nämlich  die  Ursache  von  des  Königs  Schande  „De  mi   infamia  la 
ocasion*',  nennt  der  König  die  Isabela. 


Condesa  und  Duque  Otavio.  405 

gessen"^)  —  schmiegt  sich  Conde  unter  den  Beutel,  und  stürzt, 
mit  ihm  allein  geblieben,  diesen  nun  selbst  aus,  dass,  wie  aus 
besagtem,  von  Ulysses'  Gefährten  unvorsichtigerweise  geöffnetem 
Aeolusschlauch  die  Winde  und  Stürme,  also  aus  der  Prinzessin 
zurückgelassener  Gürteltasche  die  Wasserbüxen  hervorstürmen  in 
Gestalt  von  pathetisch  strudelnden  Interjectionen  und  Apostro- 
phen an  Himmel,  Sonne,  Sterne,  Mond,  Elemente,  Menschen, 
Vögel  und  wilde  Bestien  ohne  alle  Vernunft  —  ob  der,  statt  allen 
Proviants,  blos  mit  einem  Leck  versehenen  Barke,  in  welcher  er  sein 
geliebtes  Weib  Isabela  mit  seiner  Zustimmung  in's  hohe  Meer 
hinausgeschleudert.  ^) 

In  der  letzten  Scene  des  zweiten  Actes  hat  das  hohe  Meer 
die  Condesa  —  an  welches  Gestade  geführt?  An  einen  See- 
strand, wo  der  verschollene  Duque  Otavio  sein  Schloss  am 
Meere  hat,  der  eigentliche  Infanta-Ehrenräuber,  der  bewusste  Ca- 
ballero vom  Fensterstrick,  mittelst  dessen  er  sich  aus  den  Armen 
der  Prinzessin  in  die  des  Dieners  des  Conde  Enrique  hinabge- 
wunden, anstatt  an  diesem  Pensterstrick  ein  für  allemal  hängen 
zu  bleiben.  Nun  wirft  der  gestrandeten  Isabela  —  Gott  erbarme 
sich  ihrer!  —  wirft  ihr  —  so  fügt  es  die  Abenteuer -Komödie, 
die  spanische  Comedia  Novellesca  —  Gott  verzeih's  ihr!  —  wirft 
der  herzogliche  Galgenstrick  der  an  seinen  Strand  geschwemmten 
Isabela  den  Fensterstrick,  sein  Eettungsseil  auch,  als  ihr  Ret- 
tungstau zu  —  der  Himmel  sey  ihr  gnädig!  —  und  lässt  die 
Ohnmächtige  von  zweien  seiner  Fischerknechte  auf  den  Armen 
herbeitragen  —  wenn  nur  nicht  —  dass  der  Herr  seine  Anschläge 
zu  Schanden  mache!  —  mit  dem  Busengedanken,  um  sie  in 
seine  Arme  zu  legen!   Sie  erholt  sich  an  seiner  gastlichen  Auf- 


La  noche  que  me  gozaste? 
Porque  la  fe  me  rompiste 
Y  con  otra  te  casaste?  .  .  < 
Procura,  Conde,  poner 
A  tu  Isabela  en  olvido. 
1)  Yo  Ig  hare,  Senora,  si. 


2)  Cielo,  sol,  estrellas,  luna, 

Elementos,  hombres,  aves, 
Fieras  sin  razon  alguna  .  , 


406  ^^s  spanische  Drama. 

nähme.  Zartritterliche  Hülfleistungen  von  einem  solchen  Wichte! 
Helf  ihr  der  Himmel  und  steh  ihr  bei!  Sein  letzter  Seufzer, 
womit  Duque  Otavio  den  zweiten  Act  ausbläst,  möge  alle 
guten  Geister  zum  Schutze  der  verstossenen,  aus  dem  Hafen  der 
glücklichsten  Ehe  an  dieses  Laichwasser  eines  Frauenhaifisches 
geflössten  schönen  Espanola  beflügeln!  „Ich  fühle  mich  durch  und 
durch  brennen"  —  seufzt  der  Haifisch  —  „und  begreife  nicht, 
wie  aus  dem  Meer  so  viel  Feuer  strömen  kann."  ^) 

Im  dritten  Act  weiss  der  Dichter,  dem  die  dramatische 
Logik,  der  gesunde  Kunstverstand  psychologischer  Motivirung 
ausgegegangen,  und  weiss  auch  sein  Held  kein  gescheiteres  Aus- 
kunftsmittel sich  aus  der  Klemme  zu  helfen,  als  sich  dem  Wahn- 
sinn in  die  Arme  zu  werfen.  Am  Hochzeitstage,  wo  die  Infan- 
tin-Braut  ihn. sehnsüchtig,  wie  in  jener  verhängnissvollen  Nacht, 
erwartet,  stürzt  der  Bräutigam  herein  mit  verstörtem  Hochzeits- 
anzug, so  verstört,  dass  er  vor  Braut  und  Schwiegervater,  nicht 
blos  wie  Hamlet,  mit  losen  Kniebändern  und  herabgefallenen 
Strümpfen,  als  untern  Beinkleidern,  sondern  auch  mit  den  obern 
Strümpfen,  wie  ursprünglich  die  Hosen  hiessen,  mit  den  gemein- 
hin sogenannten  Beinkleidern  in  solchem  Zustande  erscheint,  in 
der  Lage  nämlich  von  Hamlet's  Strümpfen  im  engeren  Sinn. 
Wenigstens  muss  man  diese  Wahnsinnstoilette  unseres  spanischen 
Hamlet  aus  des  Secretärs  Clenardo's  Schilderung  folgern:  Bei 
dem  an  seine  als  Wahnbild  ihm  erschienene  Isabela  gerichteten 
Anruf:  „Warte,  warte!"  „begann  er,  sich  zu  entkleiden."^)  Wie 
denn  auch  die  Theateranweisung  angiebt:  „En  calzas  y  jubon 
como  loco",  wo  „calzas",  das  beide  Kleidungsstücke:  die  obern 
und  untern  Beinkleider  bedeutet,  nur  letztere  meinen  kann:  „In 
Strümpfen  und  Wamms  als  Wahnsinniger."  Dem  Costüm  nach, 
allerdings!  Den  Reden  aber  nach,  keinesweges  als  Verrückter! 
Wahrheitsgetreu  erzählt  er  den  Sachverhalt,  was  sich  in  jener 


1)  Todo  me  siento  abrasar, 
No  se  cömo  de  la  mar 
Pudo  salir  tanto  fuego. 

2)  Dijo  qne  via  en  vision 
De  SU  Isabela  un  retrato; 

Y  diciendo:  „Espera,  espera" 
Se  comenzo  ä  desnudar. 


Methode  im  Walinsinn.  407 

ünglücksnacht  begeben,  mit  schlichten,  ganz  verständigen  Wor- 
ten. „Wie  er  von  der  Infantin  ein  Stelldichein  zwischen  2  und 
B  Uhr  Morgens  erhalten;  wie  er  um  dieselbe  Stunde  verhaftet 
worden,  und  wie  sich  eine  Drohne  in  der  Infantin  Honig- 
stock eingeschlichen  und  den  Honig  rein  aufgefressen,  so  dass  er 
nichts  als  den  leeren  Korb  von  Korkholz  fand  i),  woraus  in  Spa- 
nien und  Irland  Honigstöcke,  in  anderen  Ländern  Pantoffel,  An- 
gelkorke und  Flaschenstöpsel  gemacht  werden.  Die  einzige  Phrase 
in  Conde  Enrique's  Erzählung,  die  allenfalls  einen  Anflug  von 
Seltsamkeit,  aber  auch  nur  für  das  Ohr  des  Königs  spüren  Hesse, 
wäre  die  Eedefigur:  „Wer,  meint  Ihr  wohl,  hat  den  Befehl  zu 
meiner  Verhaftung  gegeben?"  „Dieser  Alte  da"  (auf  den  König 
zeigend)  „mit  dem  Kaninchenbart."  2)  Ritterlich  mannhaft  for- 
dert er  den  König  zur  Rechenschaft,  mit  einem  herzhaften 
Selbstgefühl,  einem  in  ünschuldsbewusstseyn  tief  gekränkten, 
empörten  Stolze,  mit  einer  Sprache,  einem  Ton,  wie  es  sich  ein- 
zig für  den  Sachführer  seiner  Entwürdigung  dem  gekrönten  Ge- 
walthaber gegenüber,  für  den  Leidenshelden  eines  Drama's  ge- 
ziemt ,  der  das  Herz  und  den  Kopf  auf  dem  rechten  Flecke  hat. 
unser  windschiefes  und  schiefgewickeltes  Fuerza  lastimosa-Drama 
übt  an  sich  selbst  diese  traurige  Gewalt,  indem  es  den  eigenen 
Kopf  verdreht,  von  vorn  nach  hinten;  so  nämlich,  dass  Conde 
Enrique  in  den  ersten  zwei  Acten,  dem  König  und  der  Infantin 
gegenüber,  als  Verrückter  spricht  und  sich  gebärdet  und  an  sei- 
nem Weibe  handelt  wie  ein  Kettentoller;  dahingegen  er  im  drit- 
ten Act,  im  angeblichen  Wahnsinnszustande,  bis  jetzt  wenigstens, 
als  ein  Mann  gebahrt,  ein  dramatischer  Held  der  Prüfungen,  der 
vollkommen  seiner  fünf  Sinne  Herr  und  Meister.  Dazu  bringt 
ihn  die  Comedia,  und  das  eben  ist  die  Fuerza  lastimosa,  die  sie 
ihm  anthut,  dem  verteufelten  Dogma  der  spanischen  Poetik  zu- 
folge: dass  nur  ein  Wahsinniger  einem  Könige  gegenüber  sein 


1)  Y  entre  tanto  un  abejon 
Se  como  el  panal  de  miel  . 
Que  cuando  cogeiie  fui 
Solo  el  corcho  estaba  en  el 

2)  aqueste  viejo 

Con  sus  barbas  de  conejo. 


408  ^^s  spanische  Drama. 

gutes  Eecht  verfechten  und  behaupten  könne.  Und  darin  liegt 
denn  auch  der  Wahnsinn  der  spanischen  Comedia  des  16.  und 
17.  Jahrhunderts,  und  der  vom  Dogma  des  Königgötzenthums 
selbst  in  ihren  grössten  Genie's  genährte,  unheilbare  Dichter- 
wahnsinn. „Komm  an,  Du  erlogner  König!"  —  schreit  Conde 
Enrique  im  Wahnsinnsparoxysmus  ~  „Komm  an,  Herodes,  Hen- 
ker unschuldiger  Kindlein!  .  .  .  Warum  hast  Du  mich  ein- 
sperren lassen?  Trödel-König!  Wer  hat  Dich  hintergangen,  alter 
Schuhu?  Warum  den  weissen  Hals  meiner  Isabela  durchschnei- 
den lassen?  Welcher  Zimmt  und  Zucker  kann  nun  die  Wunde 
heilen?  1)  Die  ganze  Welt  verflucht  Dich?''  „Ich  soll  die  Liebes- 
gunst der  Infantin  erhalten  haben?  Gott  straf  mich  und  mache 
mich  zu  Schanden,  wenn  das  wahr  ist!"  Musste  der  Mörder  sei- 
nes innig  geliebten  Weibes  erst  verrückt  werden,  um  vor  König 
Pantalon  und  Prinzessin  Pumfia  vom  Puppentheater  diese  Er- 
klärung von  sich  zu  geben?  Oder  war  nicht  vielmehr  die  ab- 
scheuwürdige Preisgebung  seiner  Frau  und  Kinder  auf  Königs- 
befehl ein  Act  des  grauenvollsten  Wahnsinns?  eine  That  hunds- 
föttischer, hundswüthiger  Tollheit  aus  hündischem  Gehorsam? 
In  der  fulminanten  Scene  mit  der  Mutter,  da  gerade  lässt  Ham- 
let die  Wahnsinnsmaske  fallen,  um  mit  den  Straf  blitzen  der 
hellsten  Vernunft  ihr  Gewissen  zu  geissein.  Die  Leidenschaft 
der  empörten  Vernunft,  die  ist  das  einzig  berechtigte  Pathos 
eines  in  seinen  Vernunft-  und  Herzensrechten  von  frevelvoller 
Königsgewalt  zertretenen  ritterlichen  Mannes.  Welche  tiefe  Zer- 
rüttung des   sittlichen  ürtheils,  welche   verkehrte,   wahnsinnige 


1)  Ven  aca,  rey  embustido, 

Herodes  entre  inocentes  .  .  . 
Rey  de  paramento  viejo*)  .  .  . 
(iPorque  me  echaste  en  prision? 
^Quien  te  engailo,  rey  mochuelo? 
(iPorque  mandaste  cortar 
El  blanco  cueUo  ä  Isabela? 
iCon  que  azücar  y  canela 
Se  puede  agora  curar? 


*)  ,, König  von  altem  Plunder":  Hamlet's  „znsaramengeflickter  Lum- 
penkönig.*' 


Feldmarschall-Däumling.  409 

Vorstellung  von  tragischer  Sühne  und  Leidenschaftsreinigung: 
den  Opferhelden  unseliger  Verwickelungen  und  Fügungen  sich 
mit  vollem  Bewusstseyn  zum  Kain  seines  Gewissens  par  ordre  de 
Muphti  machen,  und  nachträglich  die  Gewissensstimme  in  unbe- 
wusstem  Wahnsinnzustande  sich  ausgeifern  und  belfern,  und  mit 
Tollwuthsgewissensbissen  um  sich  schnappen  zu  lassen!  Ist  es 
einem  der  grossen  spanischen  Dramatiker  jemals  eingefallen,  ei- 
nen wahnsinnigen  König,  einen  spanischen  Lear  zu  dichten? 
Wahnsinnsacte  begehen  ihre  Könige  in  schwerer  Menge,  aber 
aus  königlicher  Machtvollkommenheit,  Majestätsrecht,  Wahnsinns- 
acte von  Gottes  Gnaden.  Den  Wahnsinnsact  aber  als  specifi- 
schen  Königswahnsinn  zu  tragischer  Sühne  bringen  —  vor  dem 
blossen  Gedanken  musste  schon  ein  spanischer  Dichter  als  vor 
dem  grössten  crimen  laesae  majestatis  zurückschaudern.  Zum 
specifischen  Königswahnsinn  aber  bildet  und  entwickelt  sich  all- 
mälich  aus  die  überschnappte  Macht-  und  Herrschsucht.  Der 
dynastische  Königswahnsinn  ist  eine  historische  Pharaoplage  als 
Strafe  der  specifischen  Königshybris  —  Selbstüberhebung  und  Selbst- 
vergötzung.  In  allerneuester  Zeit  hat  das  europäische  Dalaila- 
mathum  dieser  specifische  Wahnsinn  ergriffen  in  Form  der  ün- 
fehlbarkeitsmanie.  Irrsinn  aus  ünirrbarkeitshochmuth  —  o  der 
funkelnagelneuen  Form  von  specifisch  historischer  erblicher  Geistes- 
krankheit als  verlarvter,  selbstvergötterischer  Herrsch wuth! 

Der  König  von  Irland  befiehlt,  den  gefährlichen  Narren  zu 
greifen.  Dieser  aber  fuchtelt  mit  gezogener  Klinge  die  sämmt- 
liche  irländische  Hofdienerschaft  zur  Thür  hinaus  und  jagt  ihnen 
gestreckten  Laufes  nach,  um  sie  wie  die  Lerchen  aufzuspiessen. 
Sa,  sa,  sa,  sa! 

Gleichzeitig  segelt  die  aragonische  Flotte  des  Grafen  von 
Barcelona,  des  Vaters  von  Isabela,  heran  mit  ihrem  Könige 
am  Bord  und  befehligt  —  rathet  einmal!  —  von  Conde  Enri- 
que's  sechs  oder  achtjährigem  Jüngelchen,  des  Königs  von  Barce- 
lona Enkelchen,  dem  „Kinde"  Don  Juan^),  wie  Fabio  dem 
Könige  von  Irland  zu  dessen  nicht  geringem  Schrecken  meldet.  '^ 


1)  El  nino  Don ♦  Juan,  su  nieto, 
Dicen  que  es  el  general. 

2)  JBsta  es  justicia  divina. 


410  I^sis  spanische  Drama. 

König  und  Infanta  erkennen  darin  Gottes  heimsuchende  Ver- 
geltung. Der  König  ist  wegen  eines  Anführers  seiner  Truppen 
in  grösster  Verlegenheit.  Fabio  rathet,  inanbetracht  von  Conde's 
unzurechnungsfähigem  Zustande  —  wen  zu  wählen?  den  seit  sechs 
oder  acht  Jahren  —  die  Zeitangabe  im  Stücke  schwankt  zwi- 
schen 2 — 8  Jahren !  —  in  Irland  verschollenen  Duque  Otavio.  ^) 
Den  hat  ja  seit  sechs  Jahren'^)  der  Kukuk  geholt!  kratzt  sich 
der  König  hinter  den  Ohren.  Nach  dieser  Zeitrechnung  kann 
der  Admiral  der  aragonischen  Flotte,  das  „Kind"  Don  Juan, 
höchstens  vier  Jahr  alt  seyn. 

Mittlerweile  erfährt  Condesa  Isabela  von  ihrem  freund- 
lichen Wirth  im  Schloss  am  Meer,  dem  Duque  Otavio,  dass 
er  in  jener  Nacht  die  Infanta,  als  selbsterwählter  Vertreter,  an 
Stelle  des  von  ihm  verhafteten  Conde  Enrique  beschlichen.  Zeigt 
der  Gräfin  den  Eing  am  Finger,  den  er  in  jener  Nacht  des  esca- 
motirten  Stelldicheins  zwischen  2  und  3  Uhr  Morgens  von  der 
Infantin  als  pignus  amoris  seu  concubii  subreptitii  erhalten,  ver- 
ehrt den  Eing,  der  nur  für  Conde  Enrique  „Ketten"  machte, 
der  Gräfin  als  Gastgeschenk,  und  trägt  seinem  Diener  Polibio 
auf,  die  Gräfin  nach  dem  Hafen  zu  begleiten  und  sie  nach  Bar- 
celona übersetzen  zu  lassen.  Bei  dieser  Gelegenheit  kann  Diener 
Polibio  nicht  umhin,  seinen  Gebieter,  mit  Hinzielung  auf  den 
Grafen,  heimlich  zu  fragen:  „Hast  Du  sie  genossen?"  Worauf 
der  Gebieter  ihn  bedeutsam  bedeutet:  „Ehrenwerthe  Diener  ha- 
ben zu  gehorchen  und  zu  schweigen."  ^)  Ein  Fingerzeig  von  unab- 
sehbarer Tragweite,  so  unabsehbar  wie  der  grosse  Ocean,  der 
Condesa  Isabela  in  einer  am  Boden  mit  einem  Leck  versehenen 
Barke  an  Duque  Otavio's  gastfreundliches  Schloss  herange- 
schwemmt und  sie  nun  vom  Schlosse  nach  Barcelona  fluthet,  vom 


1)  Fab.       Pues  dura  del  conde  el  mal, 

Mas  que  venga  el  duque  Otavio. 

2)  Eey.       Ha  seis  aiios  que  no  viene 

A  lä  Corte. 

3)  Pol  ib.    (Ap.  ä  Otavio) 

^Gozästela? 
Otav.  Los  criados 

Tienen  por  blason  de  honrados 
Ser  obedientes  y  mudos. 


See-  und  Landtrauer.  411 

Diener  Po libio  nach  dem  Hafen  begleitet,  der,  im  Begriife,  sich 
mit  der  Gräfin  auf  den  Weg  zu  machen,  sein  obiges  Gozästela- 
Aparte  mit  einem  zweiten  ergänzt,  aber  ein  Fürsich -Aparte: 
„Bei  Gott,  noch  eh'  sie  den  Hafen  erreicht,  muss  sie  mein  seyn", 
auf  Spanisch:  muss  ich  sie  gozaren.  i)  So  wandelt  nun  das  Ideal 
von  tugendhafter  Dulderin  und  freiwilligem  Eheopfer  an  der  Seite 
eines  dem  Gebieter  seelenverwandten  unverschämten  Dieners  dem 
Fahrzeuge  entgegen,  das  sie  nach  Barcelona  bringen  soll;  das 
glücklicherweise  keinen  Leck  hat,  während,  leider  Gottes,  sie,  oder 
ihre  Frauenehre,  mit  einem  solchen  zu  Schiffe  geht,  sey's  auch 
nur  mit  dem  Schatten,  dem  Halbschatten  eines  durch  jene  fre- 
chen Apartes  auf  sie  geworfenen  Verdachts  von  möglichem 
Lecke  in  ihrer  Muster  -  Frauenehre  und  Selbstmärtyrer -Glorie 
befleckt. 

Der  Schmachfieck  breitet  seine  Farbe  über  des  Grafen  von 
Barcelona  ganzes  Eacheheer  aus,  das  in  schwarzem  Kriegs- 
paradeaufzug anmarschirt:  schwarzumflorte  Trommeln,  schwarze 
Fahne,  worauf  Isabela's  Bildniss  gemalt  erscheint.  Das  Kind 
Don  Juan,  als  schwarzer  Prinz  und  Feldherr-Admiral  zwischen 
zwei  bis  acht  Jahren,  in  schwarzer  Rüstung  unter  schwarzem 
üeberwurf  und  in  der  Kinderhand  den  schwarzen  Commando- 
stab.  Hinter  ihm  sein  schwarzer  Grossvater,  der  Graf  von  Bar- 
celona/^) Der  aragonische  Cid  im  ßoUwägelchen ,  der  General- 
Tomb  mit  den  Hosenschlitz  hinten  berühmt  sich  gegen  seinen 
Grossvater:  „Binnen  zwei  Tagen  wird  diese  Brust  wie  ein  zu 
enges  Behältniss  für  meinen  kriegsmuthigen  ßachegrimm  bersten 
und  Entsetzen  über  die  feigen  Gegner  ausgiessen.  Um  solches 
Männervolk  zu  schrecken  und  zu  Paaren  zu  treiben,  bin  ich  ganz 
allein  Manns  genug."  ^)    Der  kleine  spanische  Sacramenter   von 


1)  Polib.  (Ap.) 

Por  Dios,  que  antes  de  Uegar 
AI  pnerto,  la  he  de  gozar. 
1)  Soldados  con  caja  y  bandera  negra,   y  en   ella  pintada  la  imagen 
de  Isabela;  el  iiino  Don  Juan,    armado    sobre   una   sotana  negra,    con 
baston  de  general;  deträs  el  Conde  de  Barcelona. 
3)  Qne  dentro  de  dos  dias  este  pecho 

Ha  de  romper  como  aposento  estrecho 
Para  asorabrar  esta  cobade  gente. 


412  ^^^  spanische  Drama. 

Eisenfresser  auf  dem  Kinderk— stuhl chen!  Die  Soldaten  stellen 
sich  auf  die  Zehen,  begierig,  den  Knirps-Grossmaul  zu  ergucken. 
Um  ihnen  den  Anblick  zu  erleichtern,  nimmt  Grossvater  den 
„Nino"- Bramarbas  mit  der  Kanonenkugel  als  Lutschbeutelchen 
im  Maul  auf  den  Arm.  ^)  Mittlerweile  gebärdet  sich  König 
von  Irland  als  Contrastfigur  zum  kleinen  Don  Juan,  als  ein 
Nino-König,  dem  das  Herz  in  die  Kinderhose  fällt.  Er  hat  solche 
Angsteile,  dass  seine  Noth  des  Conde  Enrique  Eisen  bricht.  Er 
lässt  den  Conde  aufs  allerschnellste  aus  dem  Gefängniss  holen 
und  ihn  dem  fürchterlichen  Nino  ausliefern.  ^)  Ausserdem  sey  an 
einem  Verrückten  ohnehin  nichts  gelegen.  ^)  Auch  steht  der 
Duque  Otavio  schon  da,  um  den  Oberbefehl  über  die  irischen 
Truppen  zu  übernehmen.  Man  könnte  dieses  motivirungslose 
leichtfertige  Hin  -  und  Herschieben  der  dramatischen  Figuren  mit 
der  Eilfertigkeit  der  Lope'schen  Compositionsweise  sich  erklären, 
die  mit  dem  Anschlagfaden  durch  lange  verlorene  Stiche  die  Sce- 
nen  und  Incidenzen  so  obenhin  wie  möglich  zusammenheftet, 
wenn  derlei  Kuscheleien  sich  nicht  auch  bei  andern  Meistern  des 
spanischen  Drama's  fänden. 

In  weit  trauervolleres  Schwarz  als  des  Grafen  von  Barcelona, 
Don  Kamen  de  Moncada,  Heer  und  Flotte,  finden  wir  am  Mee- 
resstrande seine  Tochter,  die  hehre  Isabela,  den  Frauenehren- 
und  Tugendspiegel  gehüllt,  und  klagend,  in  Mannskleidern,  über 
des  Duque  abscheulichen  Diener,  Polibio,  der  sie  habe 
nothzüchtigen  wollen,  und  daran  nur  durch  seinen  viehischen 
Bausch  und  die  finstere  Nacht  sey  verhindert  worden.  "*)  Man 
denke    doch    nur    an   Isabela's    leid-  und    schicksalsverwandte 


1)  —  quiero  —  con  aquestos  brazos  levantarte 

2)  Ve,  Clenardo 

Y  trae  de  la  prision  atado  al  Conde  .  .  . 
Därsele  intento  a  quien  por  el  me  pone 
En  tanto  aprieto. 

3)  Fuera  —  de  que  ya  es  loco  y  hombre  inutil. 

4)  Forzarme  quiso  el  villano, 
Mas  como  el  suefio  y  el  vino, 
Le  retuvieron  la  mano 
Enfreno  su  desatino 

La  noche  .  .  . 


Isabela  als  Spion.  413 

Imogen!  Wie  diese  alle  guten  Geister  der  dramatischen  Poe- 
sie mit  ihren  Engelfiügeln,  inmitten  aller  Fahrnisse  und  schimpf- 
lichen Verleumdungen,  als  ihresgleichen  schirmen  und  vor  dem 
kleinsten  Fleckchen  ihrer  Frauenheiligkeit  bewahren,  starkmuthig 
und  unnahbar  in  sich  selbst,  nicht  dass  sie  die  Reinhaltung  und 
ün Versehrbarkeit  ihrer  Ehre  dem  Zufall,  dem  viehischen  Kausch 
eines  brutalen  Knechtes  verdanke.  Ist  es  nicht,  als  sey  es  Mis- 
sion des' grossen  britischen  Bühnendichters  gewesen,  die  Verir- 
rungen  aller  andern  dramatischen  Genies  in  seiner  Kunst  zu  süh- 
nen; das  blosse  dramatische  Genie  zur  höchsten  Seele npoesie 
durch  eine,  so  zu  reden,  kunstsittliche  Katharsis  zu  läutern,  als 
ob  in  seiner  Composition  die  gefeiertesten  dramatischen  Versuche, 
Vorwürfe  und  Leistungen  seiner  Vorgänger  und  Nachfolger,  wie 
auf  einer  Taborhöhe,  sich  vergeistigten  und  vollendeten,  gleichwie  im 
Glaubensworte  des  Messias  sich  alle  früheren  Weissagungen  und 
Heilsbotschaften  in  höchster  Weihe  und  Verklärung  erfüllten; 
und  als  ob  der  Messias  der  dramatischen  Kunst  Alles  und  alle 
dramatischen  Sünden,  auch  die  der  Erzväter  und  Propheten  der 
Bühnendichtung,  auf  sich  genommen  und  gesühnt  hätte!  Shak- 
speare's  Novellen-Schauspiele,  wie  Cymbeline,  Wintermär- 
chen, sie  werden  uns  gerade  seine  dramatische  Kunst  und 
Technik  in  grösster  Stärke  zeigen. 

Von  zwei  spanischen  Marketendern,  die  Isabela  in  Manns- 
kleidern für  einen  Spion  hielten  und  ihr  Arme  und  Hände  fest- 
banden, erfährt  sie,  dass  jene  vor  Anker  liegende  Flotte  die  des 
Conde  de  Barcelona  sey.  Sie  erblickt  ihren  Sohn  —  jammert  ein 
Aparte,  dass  sie  ihn  mit  gebundenen  Händen  nicht  umar- 
men und  nur  ihren  Thränen  freien  Lauf  lassen  könne. J)  Er- 
greifender Zug!  Aber  wie  der  pannus  purpureus^)  blos  ange- 
flickt, nicht  mittelst  kunstgemässer  Motivirung  in  Fabel,  Peripetie 
und  Katastrophe  einheitlich  verwoben.    Heisst  das  nicht  die  Büh- 


1)  Que  brazos  que  atados  van 
A  mal  tiempo  los  empleo. 
Las  lagrimas  derramadas ; 
Que  lo  pudieron  hacer, 
Como  no  estabau  atadas. 

2)  Purpureus  late  qui  splendeat,  unus  et  alter 
Assuitur  pannus.  Hör.  A.  P.  v.  15. 


414  Das  spanische  Drama. 

nenwirkung  auf  die  äusserste  Spitze  treiben,  wenn  der  Nino-Ge- 
neral,  Don  Hänschen,  Folterwerkzeuge  herbeiholen  heisst^), 
um  mit  der  noch  unerkannten,  und  von  den  spanischen  Soldaten, 
als  Spion,  ihm  zugeführten  Mutter  ein  bhitpeinliches  Verhör  vor- 
zunehmen? Von  der  Aehnlichkeit  aber  des  vermeinten  Spions  mit 
der,  „die  er  zumeist  liebe",  betroffen,  befiehlt  das  Söhnchen- 
Grossconstabler,  dem  Vorgeführten  die  Fesseln  abzunehmen,  und 
ernennt  die  als  Barceloner  sich  bekennende  Isabela  zum  Haupt- 
mann. „Wüsste  ich  meine  Mutter  nicht  todt,  ich  würde  schwö- 
ren, sie  in  diesem  verhüllten  Schattenbilde  zu  erblicken**'-),  ruft 
das  Tüpfelchen  auf  dem  I  unseres  „Fuerza  lastimosa^-Drama's, 
an  welchem  selbst  vom  Dichter  so  viel  Fuerza  lastimosa  verübt 
worden.  Kaum  sind  der  Incognito-Mutter  die  Bande  abgenommen, 
erscheint  vor  dem  Söhnchen-Oberfeldherrn  der  Vater  Conde 
Enrique,  in  Ketten,  von  Conde  de  Barcelona,  seinem  Schwie- 
gervater, herangeführt.  Eine  Katastrophenscene,  abermals  aus 
dem  Würfelbecher  des  Glücksgenies  auf  das  Brett  oder  die  Bret- 
ter geschleudert  mit  der  höchsten  Augenzahl  nach  oben.  Der 
Conde  Grossvater  stellt  den  Conde  Vater  dem  Enkel-Gran  Capitan 
als  den  Mörder  seiner  schönen  und  heiligen  Mutter  vor.  Auf 
des  Vaters  Entschuldigung:  Ein  Anderer  habe  ihn  dazu  ge- 
zwungen, fragt  das  „Kind" -Feldmarschall:  „Wie  sollte  denn 
ein  Mensch  den  freien  Willen  eines  Andern  zwingen  kön- 
nen?" Die  Frage  leistet  ihren  Komödien -Abtrag  an  das  Kir- 
chendogma vom  freien  Willen,  für  welches  das  spanische  Drama 
des  16.  und  17.  Jahrhunderts,  insbesondere  Calderon's,  streitet. 
Conde  Vater  entschuldigt  dies  wieder  mit  der  menschlichen  Ge- 
brechlichkeit, ^)    Eine   hinkende  Ausrede  in   dem   Munde   einer 


1)  D.  Juan.         Traed  un  tormento  aqui. 

2)  D.  Juan.  Si  no  fuera  muerta 

Mi  madre,  que  era  jurara 
Aquesta  sombra  encubierta. 

3)  Conde  de  Bare. 

Este  es  aquel  que  mato 
Tu  madre  santa  y  hermosa. 


Conde  Enr. 

Hijo,  un  hombre  me  forzo. 


Das  Unfehlbarkeitsdogma.  415 

zum  ritterlich  liebevollen  Leidenshelden  angelegten  und  inten- 
tionirten  dramatischen  Gatten-  und  Vaterfigur.  „Ein  Mensch 
kann  irren''  —  wenn  er  nämlich  nicht  zufällig  Papst,  und  eben 
kein  Mensch  ist,  sondern  um  die  Hälfte  mehr  als  Christus  sel- 
ber, der  als  Gott-Mensch  lebte,  lehrte  und  gekreuzigt  ward,  und 
am  Kreuze  rief:  „Gott,  mein  Gott,  warum  hast  Du  mich  ver- 
lassen?'' War  dieser  Angst-  und  Todesmarterruf  keine  mensch- 
liche Schwäche?  also  ein  menschlicher  Irrthum?  Einem  solchen 
Irrthum  wäre  der  infallible  Papst  am  Kreuze  schlechterdings 
nicht  unterworfen.  Man  lass'  es  nur  auf  eine  Probe  ankommen 
Der  dramatische  Leidensheld  —  uuf  auf  diesen  zurückzukommen 
—  das  Widerspiel  zum  infalliblen  Papst,  muss  irren,  aber  cum 
grano  salis.  Er  darf  um  Gottes  und  Drama's  Willen  nicht  auf 
schimpfliche  Weise  irren,  denn  das  wäre  kein  Irrthum  mehr, 
sondern  ein  schlechter  und  feiger  Streich,  den  sich  ein  solcher 
Held  um  SeeF  und  Seligkeit  nicht  zu  Schulden  kommen  lassen 
darf.  Darin  muss  er  infallibel  seyn,  noch  infallibler  als  der 
Papst,  denn  an  Jenes  Infallibilität  in  diesem  Punkte  glaubt  alle 
Welt,  was  bei  der  des  Papstes  so  wenig  der  Fall  ist,  dass  er, 
wenn  er  meinte,  den  Glauben  an  seine  Infallibilität  durchsetzen 
zu  können,  auf  dem  dicksten  Irrthum  herumreiten  würde,  auf 
dem  jemals  ein  Gott-Papst  minus  Mensch  nur  herumgeritten. 

Herzrührend  ist  des  kleinen  Generalissimus,  Don  Juan,  Bit- 
ten und  Flehen  zu  des  Grossvaters  Füssen,  um  das  Leben  seines 
Vaters,  damit  er,  der  Mutterberaubte,  nicht  auch  zur  vaterlosen 
Waise  gemacht  werde,  weil  er  sonst  vor  Herzeleid  sterben 
müsste.  ^)  So  fleht  und  jammert  das  Urbild  zum  Däumling-Feld- 
marschall,  Cornelius  Nepos,  in  Achim  von  Arnim's  Gespenster- 


D.  Juan. 


Conde  Enr. 


(iün  hombre  puede  forzar 
A  nadie  el  libre  albedrio? 


Hombre  he  iiacido,  hijo  mio, 
Y  como  hombre,  pude  errar. 
Mi  madre  es  muerta,  senor; 
Si  mi  padre  muere  asi, 
Yo  morire  de  dolor. 


416  Das  spanische  Drama. 

kutsche.  So  fleht  er  weinend  und  schluchzend,  aber  unbeschadet 
■"der  scharfen,  an  Conde  Vater  gerichteten  Apostrophe,  die  men- 
schenmöglicherweise vielleicht  gar  für  das  Vorbild  zu  jener  be- 
rühmten Apostrophe  Macbeth's  an  seine  blutigen  Hände  gelten 
könnte,  ^)  Conde  Grossvater  zieht  sich  zurück,  um  sich  an  dem 
vom  Enkel  begnadigten  Verbrecher  nicht  zu  vergreifen.  Um  dem 
Grossvater  doch  einige  Genugthuung  zu  geben,  lässt  das  „Kind" 
den  Vater  von  dem  begnadigten  'Soldaten'  (Isabela)  in's  Ge- 
fängniss  führen  und  entfernt  sich.  Nun  erstarrt  Conde  Enri- 
que über  die  Aehnlichkeit  des  ihn  in  Haft  bringenden  'Soldado' 
mit  seiner  unglücklichen  Gattin  Isabela.  Sie  fragt,  was  ihn  zum 
Morde  bewogen,  was  die  Gemahlin  verbrochen?  „Eine  Heilige 
war  sie",  ächzt  der  Erbärmling,  „und  nur  ein  König  konnte 
mich  zu  solcher  That  zwingen."^)  0  du  Jämmerling 
aus  Königsfurcht!  Die  tragische  „Furcht"  spuckt  der  deinigeu 
in's  Gesicht.  Ein  bis  zu  solcher  Verleugnung  aller  göttli- 
chen und  menschlichen  Gebote  schlotterndes  Entsetzen  vor  dem 
crimen  laesae  durch  nicht  unbedingten  Gehorsam  gegen  ein 
Gott  und  Menschheit  schändendes  Königsmachtgebot  entwür- 
digt dich  zum  Auswürfling  aller  dramatischen  Memmen.  Das 
Insect,  das  im  Kectum  eines  Pferdes,  des  Pegasus  zumal, 
nistet,  kann  unter  Umständen  bühnenwürdig  sein,  wie  die  Bremse 
der  lo  oder  des  Bellorophon;  —  bühnenwürdiger  jedenfalls,  als 
ein   solcher  sich  aus  Angst  vor  den  Brauenrunzeln  des  crimen 


1)  „Kann  ;wohl  des  grossen  Meergotts  Ocean  dies  Blut  von  meiner 
Hand  rein  waschen?'*  .  .  .  u.  s.  w. 

Arrojästela  en  lä  mar 

Pensando  poder  lavar 

Con  tanta  agua  tal  pecado, 

Mas  lo  qne  sangre  ha  manchado 

Con  sangre  se  ha  de  sacar. 
Warfst  hinein  sie  in  das  Meer, 
Denkend,  eine  Schuld  so  schwer, 
Wasche  rein  die  Wogenfluth. 
Aber  was  befleckt  mit  Blut, 
Stellt  auch  Blut  nur  wieder  her. 

2)  Fue  Santa  — 

Solo  un  rey  pudo  forzarme. 


Entscheidung.  4I7 

laesae  in  einen  Königstyrannen  —  verkriechende  Dungkäfer !  Nun 
jammert  er,  auf  Soldado-Isabela's  Zuspräche:  „Mein  Verbrechen 
ist  unsühnbar."  ^)  Ja,  lastimoser  Proktophantasmist !  tausendfach 
unsühnbar,  dramatisch  unsühnbar,  weil  keiner  dramatischen 
Sühne  würdig! 

Lope's  unerschöpfliche,  leider  oft  überwuchernde  Fruchtbar- 
keit wirft  nun  noch  in  die  Schlusskatastrophe,  in  die  auf  dem 
letzten  Loch  pfeifende  Anagnorisis,  ein  neues  Incidenz- Motiv. 
Vor  dem  König  von  Irland,  vor  der  Infantin  Dionisia,  vor  dem 
Grafen  von  Barcelona  und  Conde  Enrique,  vor  Nino- 
Don  Juan,  vor  Duque  Otavio,  des  Königs  von  Irland  Feld- 
hauptmann, kurz,  vor  dem  sämmtlichen  Personal  der  Tragikomö- 
die „trauriger  Vergewaltigung" ,  nach  allen  Eichtungen  erklärt 
Isabela,  im  Soldaten -Incognito:  Nicht  der  unschuldige  Conde 
Enrique,  „Ich  war  es",  ich,  derSoldado,  war's,  der  in  das  Schlaf- 
zimmer der  Infanta  in  jener  Nacht  mich  eingeschlichen  —  zum 
Beweise:  der  Ring,  den  ich  beim  Abschied  als  Andenken  an 
so  viele  Gunstgewährungen  und  Genüsse  mit  mir  nahm.  Kö- 
nig und  Duque  Otavio  fahren  Beide  zugleich  aus  dem  Häus- 
chen. Die  Infantin  bleibt  ruhig  in  dem  ihrigen,  sich  mit  der 
Bestätigung  inbetreff  des  Ringes  und  mit  der  Frage  begnügend, 
ob  Soldado  von  Adel  oder  ein  Plebejer  sey.  Auf  Duque  Ota- 
vio's  Drohung,  wenn  Soldado  nicht  widerruft,  werde  er,  Duque, 
mit  des  Soldado  Namen  hervorrücken,  schenkt  nun  Soldado-Isa- 
bela  der  ganzen  Versammlung  reinen  Wein  als  letzte  Neige  ein, 
deren  reiner  Wein  sich  als  trübste  Hefe  zu  erkennen  giebt:  „Du 
warst  der  Ein-  und  Aufsteiger,  nicht  Ich!" 2)  Jetzt,  wo  der 
König  dem  Duque  das  Abälard-Messer 3)  an  die  Kehle  setzt, 
legt  der  Beschleicher  die  übliche  Schlussgeneralbeichte  ab.  Die 
Erklärung  der  Infanta:  Besser  ein  Beschleicher  mit  einem  Kopf, 
der  ihre  abgeschnittene  Ehre  wieder  herstellt,  als  Einer  mit  ab- 
geschnittenem Kopf,  der  sie  mit  abgeschnittener  Ehre  und  Lei- 


1)  No  hay  disculpa 

2)  Que  non  fui  yo,  sino  tu. 

3)  —  testes  caudamque  salacem 

Demeteret  ferrum.  Hör.  Sat.  11.  1.  V.  45. 

X.  27 


418  Das  spanische  Drama. 

beserben  iiesse  i),  rettet  dem  Duque  den  Kopf,  behufs  dessen  Ab- 
lösung der  König  schon  Horazens  Messer  erhoben  hatte.  Dabei 
lässt  es  aber  Feldmarschall-Cornelius  Nepos  keineswegs  bewen- 
den: Er  muss  Blut  sehen;  er  fordert  den  Yerräther  zum  Zwei- 
kampf. Grossvater,  Vater  und  Soldado-Mutter  berufen  des  Niiio 
Kindschaft,  und  erbieten  sich  als  Stellvertreter.  Endlich  nach  der 
letzten  handvoU  Salzschrot  von  unnöthigen  Hinhaltungsincidenzen 
noch  am  letzten  Ende,  nimmt  Duque  Otavio  dem  Soldado  die 
Incognito-Maske  ab,  und  entlarvt  ihn  als  Condesa  Isabela  — 
Jubelumarmungen  —  Vater,  Grossvater,  Mutter,  Gatte,  Kind,  Gat- 
tin —  aus  Armen  in  Arme  fliegend,  —  Wenn  Ihr  aber  meint, 
Lope's  Fruchtbarkeit  lasse  sich  damit  begnügen,  so  rechnet  Ihr 
ohne  die  noch  erst  nachschleppende  Endscene,  die  den  Schwere- 
nöther Polibio  in  Weiberkleidern  und  in  Ketten  daherschleppt 
—  der  Weiberkittel  und  die  Ketten  als  obligate  Parallelmaskerade 
zu  Isabela's  Wams,  Hose  und  Ketten.  Damit  noch  nicht  genug, 
thut  Lope's  superfötirende  Incidenz-Fruchtbarkeit  ihr  Aeusserstes 
mit  Dionisia's  der  ganzen  hochehrbaren  Gesellschaft  zumbesten 
gegebenen  Anzeige :  dass  sie  diese  Nacht  eines  Mägdeleins  gene- 
sen 2),  als  Parallel-Nino  zum  General-Nino,  und  letzte  Zwangsge- 
burt der  „beklagenswerthen  Gewaltübung"  in  allen  Ecken  und 
Enden  der  hochgerühmten  Comedia:    'La  fuerza  lastimosa'. 


1)  Dion.    —  Aunque  el  Duque  merecia 

La  muerte  por  sus  traiciones 
Le  quiero  por  mi  marido 
Pues  es  mejor  que  nie  honres 
Que  no  que  tu  y  yo  quedemos 
Sin  honra  y  sin  sucesores. 

2)  De  aquella  noche  pari 
Una  nina. 

Nach  neun  Monaten  also  seit  jener  verhängnissvoUen  Quiproquo -Nacht. 
Wo  kommt  nun  das  8-  oder  6jährige  Nino-Generalchen  her,  Conde  Enri- 
que's  und  Isabela's  Söhnchen,  Don  Juan,  die  es,  dieser  Zeitrechnung  zu- 
folge, ganzer  neun  Jahre  unter  ihrem  Herzen  müsste  getragen  haben! 
Solche  Oscitanzen  muss  man  schon  dem  Siebenmeilenkothurn  oder  Soccus 
des  Lope'schen  Genies  durch  die  Finger  sehen. 


Tante  Teodora.  419 

El  Acero  de  Madrid 
(Das  Stahlwasser  von  Madrid). 

Das  Stahlwasser  zielt  auf  die  fingirte  Brunnencur,  welche 
der  fingirte  ßriinnenarzt,  Bei  trän,  des  Caballero  Lisardo 
Diener,  der  Beiisa,  Tochter  des  Prüden cio,  auf  ihr  Anstiften  ^) 
verordnet,  um  ihr  auf  den  beim  Brunnentrinken  vorgeschriebenen 
Spaziergängen  -)  Gelegenheit  zu  verschaffen,  mit  ihrem  Geliebten, 
Don  Lisardo,  Zusammenkünfte  zu  halten.  Aus  Gesundheits- 
rücksichten gestattet  Vater  Prudencio  seiner  Tochter  die  Stahl- 
wassercur,  aber  nur  in  Begleitung  ihrer  gestrengen,  mit  Kosen- 
kranz  und  Scapulier  gegen  jede  Anfechtung  des  Liebesteufels 
bewaffneten  Tante,  Teodora.  Um  Betkranz  und  Scapulier  sammt 
Tante  von  Beiisa  auf  die  Tugend  wächterin  selber  abzulenken, 
bringt  Lisardo's  Freund,  Riselo,  das  seltene  Freund schaftsopfer, 
diese  Ablenkung  bei  der  Tante  vorzunehmen,  auf  die  flagrante  Ge- 
fahr hin,  dass  die  heiligen  Bannmittel  gegen  die  Liebesteufel  sich 
an  der  Tante  unwirksam  erzeugen,  und  sie  ihres  eigenen  Herzens 
Thür  und  Thor  dem  Liebesdämon  in  Eiselo's  Gestalt  öffnen 
könnten.  Das  von  Kiselo  gebrachte  Freundschaftsopfer  erscheint, 
inanbetracht  seiner  Liebesbewerbung  bei  der  jungen  Wittwe, 
Marcela,  um  so  grösser  und  selbstverleugnungsvoller.  Als  Ge- 
hülfe des  vermeinten  Brunnenarztes,  Bei  trän,  ist  dem  Lisardo 
Annäherung  vielleicht  mit  Beiisa  gegönnt.  Wie  der  Pulsfühler 
die  Erlaubniss,  angesichts  der  Tante,  benutzt,  lässt  sich  denken. 
Beiisa  treibt  das  Bedürfniss  der  Stahlcur  bis  zu  fingirten  Ohn- 
mächten, Amors  Antäus-Kunststückchen,  das,  wie  beim  mytholo- 
gischen ßingkampfe,  mit  einer  lebensgefährlichen  Umarmung  en- 
det, lebensgefährlich  für  die  in  den  Armen  des  herculischen  üm- 
armers  erstickte  Tugend,  deren   Stärke  der  mütterliche  Schooss, 


1)  Wie  Beiisa  in  einem  Briefchen  dem  Lisardo  mittheilt:    Sie  wolle 
sich  krank  stellen,  um  Vater  und  Tante  zu  täuschen: 

Yo  voy  fingiendo,  mi  querido  esposo, 
Que  estoy  descolorida  y  opilada 
Para  enganar  un  padre  tan  aloso 
Y  una  tia  tan  mal  intencionada.    1.  4. 

2)  Oon  el  ir  ä  pasear. 

27* 


420  I^^s  spanische  Drama. 

deren  Schwäche  die  freie  Luft,  besonders  auf  Spaziergängen  bei 
einer  ^Stahlwassercur.  Alles  unter  den  Augen  der  gestrengen 
Tante  mit  Eosenkranz  und  Scapulier.  Lisardo  steckt  der  Ohn- 
mächtigen beim  Pulsfühlen  einen  Gesundheitsring  an  den  Finger, 
flüstert  ihr  äsculapische  Heilsprüche  in's  Ohr,  mit  der  Wirkung 
des  von  der  epidaurischen  Aesculapschlange  vollzogenen  Ohrbe- 
leckens:  Beiisa  schlägt  die  Augen  auf  und  lispelt:  Welcher 
süsse  Ohrentrost!  ^)  als  hätte  ein  Bienchen  ihr  süssen  Jungfern- 
honig mit  anbetungswürdigem  Stachel  säuselnd  in's  Gehör  ge- 
träufelt. 2)  „Ein  Bienchen?"  brummt  die  haarige  Hummel,  Tante 
Teodora.  „Es  mag  wohl  ein  Bullenbeiser  gewesen  seyn,  der  Dir 
in  den  Ohren  lag!"^)  Nun  ist's  Zeit,  dass  Riselo  mit  den  Erst- 
lingen seines  Freundschaftsopfers  beginnt.  Er  nimmt  die  Tante 
zu  einem  heimlichen  Zwiegespräch  in's  Gebet,  wobei  Eosenkranz 
und  Scapulier  einnicken,  während  Lisardo  und  Beiisa  ihre 
Ohrenbeichte  fortsetzen,  jedes  Wort  ein  Bienchen,  den  süssesten 
Jungfernhonig  summend  und  träufelnd.  Schon  hört  man  Eosen- 
kranz und  Scapulier  leise  schnarchen.  Die  Bienen  schwärmen 
so  dicht,  dass  sie  das  Leichtlingspaar  wie  mit  einem  goldenen 
vulcanischen  Netz  umwehen,  worin  sie  Tante  Teodora  in  seliger 
Umarmung  betrifft,  als  Messe  Lisardo  Mars  und  Beiisa  Venus.  ^) 
Nun  weiss  sie,  woran  sie  mit  der  Stahlwassercur  und  mit  Belisa's 
Milzverstopfung  ist. ^)  Tante  Teodora  fängt  an,  Ejiselo's 
Freundschaftsopfer  zu  goutiren.  Lisardo  ist  in  der  Lage,  den 
ersten  Act  seiner  Eisensäuerlingscur  und   seiner  ersten  Ohren- 


1)  Beiisa  (Despierta). 

iQue  dulce  consolacionl 

2)  Parece  que  una  abejita, 
Cugo  toerno  pico  adoro, 
Con  un  susurro  sonoro, 
Que  todos  mis  males  quita, 
Un  panal  de  miel  subrosa 
En  el  oido  me  hacia. 

3)  Teod.   ^Abeja?  Alono  seria 

Traidora,  en  tu  oreja  ociosa. 

4)  (Vuelve  la  tia  la  cabeza,  y  ve  abrazorse  Lisardo  y  Beiisa.) 

5)  Teod.  Ya  entiendo  la  opilacion. 


Diverse  Eecepte.  421 

beichte  mit  dem  Siegesruf  zu  schliessen:    Amor,  Victoria!    Ich 
hab'  gesiegt!  ^) 

Den  obligaten  albernen  Vetter,  der  sich  nebenher  um  Be- 
iisa bewirbt,  führt  der  zweite  Act  unter  dem  Namen  Otavio 
ein,  dem  sein  Diener  Salucio  schon  in  der  ersten  Scene  in's 
Gesicht  sagt,  dass  Belisa's  ganze  Krankheit  nichts  weiter  sey, 
als  seine,  Otavio's,  Liebesbewerbung.  ^)  Dann  treibt  der  als  Arzt 
verlarvte  Beitran  seinen  Jocus  mit  dem  „Tölpel"  ^)  vom  Lande 
und  verordnet  ihm  gegen  Schlaflosigkeit  eine  Kräutermixtur  von 
unfehlbarer  Wirkung,  da  sie  ihn  die  Nacht  über  unausgesetzt  auf 
den  Beinen,  und  diese  auf  dem  Laufenden  hält.  Der  munteren 
schon  nach  dem  ersten  Genuss  des  Stahlwassers  sich  gestählt  und 
erkräftigt  fühlenden  Belisa^)  verschreibt  Bei  trän  eine  Feige, 
die  sie  nämlich  selbst  mittelst  ihres  durch  Zeige-  und  Mittel- 
finger geschobenen  Daumens  zuwege  bringen  und  dem  Otavio  — 
zeigen  soll.  ^)  Dagegen  klagt  Tante  Teodora  über  Verstopfung 
und  Anschoppung  im  Unterleib,  seit  der  Stahlwasser -Prome- 
nade.^) Beitran  verordnet  Spieke '^),  von  Riselo  auf  die  lei- 
dende Stelle  gelegt:  Teodora's  verliebsames  Luchsauge  hat  auch 
schon  Beltr  an 's  Doctormaske  durchschaut,  und  bittet  ihn  in- 
brünstiglich,  das  Auflegen  der  Spieke  durch  ßiselo  vermitteln 
zu  wollen,  ^)   Er  verspricht  es,  für  den  Gegendienst,  dass  sie  ihre 


1) 

lAmor,  Victoria!  Venci. 

2) 

Que  pienso  que  tu  afficion 
Es  todo  SU  opilacion. 

3) 

Beltr.  (ap.) 

En  majadero  muere 
Por  Beiisa. 

4) 
5) 

Bei. 
Beltr. 

Hallome  mugaliviada. 

A  quien  la  (higa)  tengo  de  dar? 

Desela  al  seiior  Otavio. 

6) 

Teod. 

Tu  sobrina,  ya  has  dejado, 
Andando,  tu  opilacion, 
Y  yo  en  la  misma  razon 
La  tengo  de  haber  andado. 

8) 

Beltr. 
Theod. 

Vay  ä  la  botica  luega 
Por  un  manojo  de  espliego. 
Haz  buen  oficio  con  el. 

422  Das  spanische  Drama. 

Scheinheiligkeit  und  graue  Gottseligkeit  an  den  Nagel  hänge, 
und  lieber  dafür  sorge,  dass  die  beiden  Täubcheii,  Lisardo  und 
Beiisa,  alsbald  in  ihrem,  Teodora' s,  Hause  ihr  Nest  bereiten.  0 
Ein  auf  Bell sa's  Opilacion  anspielendes  Liedchen  versenkt  Vater 
Prudencio  in  Aparte-Gedanken,  ob  es  denn  nicht  doch  gerathen 
wäre,  die  Verstopfung  durch  einen  Ehemann  zu  heben,  und  greift 
sofort  nach  dem  neben  ihm  stehenden  Vetter  Otavio,  der  sich 
zur  Cur  bereit  erklärt.  Beiischen  will  aber  sterben  eh,  als 
sich  desopiliren  lassen  von  Vetter  Otavio.  2)  Kein  anderer  als 
Lisardo  soll  die  Ehe-Cur  mit  ihr  vornehmen.^)  Tante  Teo- 
dora, non  ignara  mali,  lässt  in  einem  Brief chen  an  Kiselo  ihn 
und  Lisardo  nach  dem  Prado  auf  ein  Schlückchen  Stahlwasser 
bestellen.'  Eiselo  erledigt  zuvor  ein  Eifersuchtsschäferstündchen 
mit  seiner  vom  Fenster  herab  ihm  wegen  der  Teodora  die  Le- 
viten lesenden  Marcela.  Hier  wohne  nicht  die  Tugendbüchse 
Teodora,  mit  mehr  Tugendbüchsen,  als  der  Apotheker  Theriak- 
und  sonstige  Kräuterbüchsen  auf  dem  Stapel  hat  ^)  —  und  schlägt 
das  Fenster  zu.  Nun  bringt  Beitran  Teodora's  Billet  mit  der 
Schreckensbotschaft  für  Lisardo,  dass  Beiisa  den  Otavio 
heirathen  soll  und  mit  der  für  Kiselo  nicht  geringeren  Schauder- 
kunde, dass  sie,  Teodora,  ihn  heirathen  möchte.  Marcela, 
die  blos  hinter  dem  Gewölk  ihrer  Fenster-Jalousieen  und  dem 
ihrer  eigenen  Jalousie  sich  versteckt  gehalten,  erscheint  abermals 
am  Fenster  mit  der  Erklärung,  Kiselo  müsse,  solle  sie  ihn  wie- 
der  in   Gnaden   aufnehmen    in  ihr  Herz,   auf    dem  Prado   der 


1)  Beltr.     Hare  lo,  Teodora  ansi. 

Arrinia  la  hipocrisia 
Y  la  patida  beatitud  .  .  . 
Traza  que  estos  dos  pictones 
Haguii  SU  nido  en  tu  casa. 

2)  Tia,  mi  muerte  procura. 

3)  Mire  que  Lisardo  es  ya 
Mi  honor,  mi  vida,  mi  ser. 

4)  Que  no  vive  aqui  Teodora  ... 
Es  mujer  de  escapulario 

Con  mas  botes  de  virtudes, 

Aquas,  yerbas  y  suludes 

Que  hay  en  cas  de  un  botecario. 


Selbstverleugnung  aus  Freundschaft.  423 

scheinheiligen  Beguine  im  Busssack  i)  den  Liebestollwurm  aus 
der  Nase  ziehen,  den  Zagel  in  den  Nacken  werfen  und  ihr  das 
Enttäuschungslicht  aufstecken  und  ihr  damit  heimleuchten.  Ver- 
gebens stellt  ihr  Lisardo  vor,  Kiselo  würde  dadurch 'auch  sei- 
ner, Lisardo's,  Bewerbung  um  Beiisa  den  Todesstoss  einge- 
ben. Marcela  besteht  auf  dem  sofortigen  Heimleuchten,  widri- 
genfalls auch  sie  nach  einem  andern  Liebhaber  sich  umsehen 
werde,  ßiselo  wüthet  sich  zur  Eifersuchts-Horniss ,  reckt  den 
Dolchstahl,  Marcela  schreit  |Ay  Dios!  und  läuft  weg  vom 
Fenster.  Trotz  Liebes-  und  Eifersuchtswuth  hält  Riselo,  der 
biederherzige  Freund,  am  Freunde  fest,  entschlossen,  Lisardo 's 
Interessen  auch  fernerhin  wahrzunehmen,  und  stünden  tausend 
Weiber  auf  dem  Spiel.  2)  Marcela's  wiederholtes  Erscheinen  am 
Fenster  und  eifersüchtige  Liebesabsage  macht  Eiselo  in  seinem 
Freundschaftseifer  nicht  wanken.  Eine  seltene  Selbstverleugnung 
aus  Freundschaft  in  der  spanischen  Komödie! 

Marcela  erscheint  verschleiert  auf  der  Strasse  und  trifft 
mit  Otavio  zusammen,  einem  ihr  unbekannten,  aber  durch  ver- 
wandtes Schicksal,  durch  Brunnencur-Liebesleiden ,  verbundenen 
und  daher  sich  ihr,  der  Verhüllten,  zugesellenden  Genossen. 
Schon  hat  Marcela  auf  dem  Prado  Belisen  und  Teodora 
in's  Gespräch  genommen;  schon  ßiselo  die  Verschleierte  be- 
merkt; schon  Beiisa  sich  der  Aufdringlichen  im  Schleier  er- 
wehrt; diese  schon  der  Teodora  den  ßiselo  als  ihren  Gatten 
bezeichnet,  und  ihn  mit  verschleierter  Wuth  der  Betschwester 
zur  Verfügung  gestellt^)  —  und  schon  lägen  sich  beide  Neben- 
buhlerinnen in  den  Haaren,  käme  nicht  ßiselo's  Nebenbuhler, 
Florencio,  daher,  den  die  Verschleierte  mit  geheucheltem,  vom 
Sturmwind  der  Eifersucht  von  ßiselo  auf  Florencio  gejagten 
Liebesflugfeuer  anfällt.  Daraus  erkennt  ßiselo  seine  Pappenhei- 
merin und  feuert  mörderische  Apartes   ab.    Alle  Donner!    Sie 


1)  envuelta  de  manta  de  yerga. 

2)  Lisardo.  El  medio  es  dejarme  ä  mi  .  .  . 
Kiselo.     Eso  no  por  mil  mujeres, 

Aunque  reviente,  aunque  muera. 

3)  Le  dejo  que  os  hable  y  vea. 


424  ^^s  spanische  Drama. 

betet  ihn  an  —  und  das  duld'  ich?^)  und  muss  zusehen,  wie 
Plorencio  mit  Marcela  davongefft,  und  nach  dem  Zusehen 
noch  das  Nachsehen  haben,  während  Marcela  sich  mit  einem 
Aparte  in's  verschleierte  Fäustchen  lacht!  2)  Lisardo  hat  Noth, 
den  Eiselo  an  den  vor  Eifersucht  brennenden  Eockschössen  zu- 
rückzuhalten, während  Betschwester  Teodora  wie  ein  feuriges 
Meteor  davonstiebt,  Beiisa  und  die  Zofe  Leonor  sammt  der 
stummen  Statistenperson,  Otavio,  in  ihrem  vor  Entrüstung  und 
Eifersucht  glühenden  Schweifwirbel  mit  fortreissend,  die  Sprüch- 
worte, wie  ein  Schwungstern  Funken,  von  sich  schnaubend :  „We- 
der Er  (Eiselo)  soll  mein  Gatte,  noch  Du  (Beiisa)  Lisardo 's 
Gattin  werden!" 3)  Lisardo,  Eiselo,  Beitran  treiben  sich 
vor  Eifersuchtsverzweiflung  selber  die  Hüte  an  bis  auf  die  Schul- 
tern 4),  und  der  zweite  Act  seinen  Eiesenfilz  bis  an  die  Fuss- 
knöchel  Allen  zusammen.  Meisterliche  Schlussscenen  durch  Be- 
wegung, vis  comica  und  Lustspielcharakter,  meisterlich  alle  zu- 
sammen! 

Die  päpstliche  Dispensation  zur  Verheirathung  seiner  Tochter 
Beiisa  mit  Vetter  Otavio  ist  eingetroffen,  und  nun  wundert 
sich  Vater  Prüde ncio  nur  über  Eins,  dass  er  nämlich  Belisen 
alleweile  verstopfter  vor  sich  sieht,  als  sie  beim  Beginn  des  Brun- 


1)  Eiselo  (Ap.) 

jVive  el  cielo,  que  le  adora! 

^Esto  tengo  de  sufrir? 

2)  Marcela  (Ap.). 

jCuän  bien,  justo  cielo, 

Me  vengaste  de  Eisuelo! 

3)            Teod, 

Ni  el  ha  de  ser  mi  marido, 

Ni  tu  de  Lisardo  esposa. 

4)            Eis. 

Marcela  und  Florencio  zusammen?! 

Lis. 

Beiisa  und  Otavio  zusammen?! 

Beltr. 

Leonor  und  Salucio*)  zusammen?! 

Eis. 

jjuntos  Marcela  y  Florencio! 

Lis. 

jJuntos  Beiisa  y  Otavio! 

Beltr. 

tJuntos  Leonor  y  Salucio! 

*)  Otavio'ö  Diener. 

Stahl-Cur.  425 

nentrinkens  gewesen  ^) ,  und  macht  die  fromme  Schwester  und 
Betschwester,  Teodora,  für  diese  hartnäckige  Opilacion  verant- 
wortlich. Sie  schwört  bei  ihren  hundert  Argusaugen,  dass  keines 
derselben  ihren  Wachtdienst  auch  nur  einen  Moment  versäumte. 
Aber  ünterleibsbeschwerden  bei  einem  mannbaren  Mädchen  er- 
leiden dergleichen  Eückfälle  dem  Argusschweife  in's  Gesicht. 
Prudencio,  sich  das  Weitere  vorbehaltend,  geht  die  päpstliche 
Dispensation  holen,  das  unfehlbare  Bestandstück  der  spanischen 
Komödie  und  ihr  stehender  Petrusschlüssel  zum  Lösen  und  zum 
Binden,  zum  Lösen  des  Lustspielknotens,  und  zum  Binden  der 
Liebespaare. 

Teodora  insinuirt  der  Beiisa  des  Vaters  Verdacht,  betreffs 
der  versteckten  Opilacion  nach  der  Cur.  2)  Stahlwasser  gegen 
Hartleibigkeit  ist  aber  das  verkehrteste  Heilmittel,  und  was  die 
Ventrikel  eines  Mädchenherzens  anbelangt,  so  vertragen  sie  Amors 
ganzen  Köcher  voll  stählerner  Pfeilspitzen  so  gut,  wie  ein  Hühner- 
magen die  spitzigsten  Schuhnägel.  Beiisa  sagt  es  nahezu  selbst, 
aber  im  Sinn  der  christlichen  Legende:  dass  Lisardo  in  der  Se- 
bastians-Kirche, wo  sie  ihn  zum  erstenmal  gesehen,  alle  Pfeile 
des  h.  Sebastian  auf  ihr  Herz  abgeschossen^),  das  seitdem  an 
einer  stählernen  Liebes-Opilacion  leidet,  die  der  Desopilacion  des 
Vaters,  und  sogar  der  Dispensation  des  heiligen  Vaters  den  hart- 
näckigsten Widerstand  entgegensetzt.  Hierauf  kam  aus  einem  Ge- 
büsch amManzanares  der  kleine  heidnisches.  Sebastian-Schütze,  der 
Amor,  hervorgesprungen,  und  drückte  seine  noch  stählerneren  und 
mit  allen  Stahlwassern  gewaschenen  Pfeile  ab  auf  ihr  Herz,  ^j 
Was  Wunder,  dass  die  Folgen  dieser  doppelten  Ladung  von  Se- 
bastians- und  Amor-Pfeilen  sich  alsbald  einstellten.    Beträcht- 


1)  Con  mas  opilacion  que  antes  la  veo. 

2)  Tu  padre  estä  sospechoso 
De  verte  laas  opilada 
Tras  el  acero. 

3)  Aquel  mancebito 

Que  me  vio  en  la  iglesia 
De  San  Sebastian 
Me  tirö  mil  flechas. 

4)  Pues  amor  entonces 
Disparo  sus  fiechas. 


426  I^as  spanische  Draaia. 

liehe  Zunahme  der  Opilacion  mit  Auftreibung  des  Unterleibs?  ^) 
Da  hilft  keine  päpstliche  Dispensation  gegen,  und  die  päpstliche 
Unfehlbarkeit  selber  fiele  dabei  zu  kurz.  '^)  Eh'  fünf  Monde  in's 
Land  gehen,  würde  die  Geschwulst  von  selbst  abnehmen  ohne 
Dispensation,  das  habe  diese  Art  von  Auftreibung  so  in  der  Art, 
wenn  sie  vier  Monate  laug  zugenommen  —  ihr  Fall  eben  — 
däss  sie,  die  Anschoppung,  noch  fünf  Monate  brauche,  um  sich 
zu  verlieren,  inkraft  ihrer  eigenen  Dispensation.'^)  Die  Argus- 
augen, die  nun  Tante  Teodora  macht!  Die  Tante  sieht  sich  plötz- 
lich in  die  Lage  einer  plautinischen  Amme  versetzt,  die  sich  im 
Hui  in  eine  Hebamme  umsetzt,  da  Belisa's  wunderlichem  Ge- 
bahren  nur  die  zwei  Pünktchen  auf  dem  a  fehlen,  um  Doctor 
und  Wehmutter  gegen  die  fürchterliche  Opilacion  zu  Hülfe  zu 
rufen,  ^j  Menander  und  Plautus  würden  diese  Stahlwasser-Ko- 
mödie als  eine  vom  ersten  Wasser  der  neuen  griechischen  und 
alten  römischen  Komödie  und  ihren  eigenen  Komödien  als  voll- 
kommen ebenbürtig  begrüssen. 

Riselo  steht  wieder  vor  Marcela's  Erker  und  will  sich  die 
Haare  ausraufen  vor  Verzweiflungswuth,  dass  er  seine  von  Mar- 
cel a  gehohnneckte  Eifersucht  an  der  lachenden  Balconteufelin  nicht 
auslassen    kann,    die    ihren  Liebes-  und  Eifersuchtsverdruss  in 


1)  —  mi  opilacion 
Crecio  de  manera 

Que  jamas  me  he  visto 
Tan  pesada  y  necia. 

2)  La  dispensacion 
Mal  venida  sea. 

3j  Suplico  te,  Tia, 

Dislate  las  fiestas, 
Hasta  ver  si  acaso 
Esto  bulto  mengua 
Por  lo  menos,  tia, 
Cinco  meses  sean; 
Que  bien  habrä  cuatro 
Que  pise  las  yerbas. 

4)  Beiisa.  jQue  terrible  opilacion! 

Parece  que  el  corazon 
Salir  del  pecho  procura 
Llameme  luego  un  doctor. 


Riselo 's  kniefällige  Abbitte.  427 

spöttisch -giftiger  Scherzhaftigkeit  auslässt,  der  toUmachendsten 
aller  Eifersuchtsqualeii.  Lisardo  spricht  bei  ihr  dem  Freier  zu- 
gute, der  dabei  Blut  und  Wasser  schwitzt.  Er  verlangt  ein 
Briefchen  von  ßiselo  zurück  —  „was  Briefchen?"  lacht  sie  — 
„längst  verbrannt!  Sie  bewahre  kein  Briefchen  von  einem  ver- 
abschiedeten Liebhaber  auf,  verbrannt  bis  auf  die  Asche  der  Erin- 
nerung," 1)  Den  unten  vor  Schüttelfrost  des  Äergers  Zitternden 
erwärmt  sie  mit  einem  Guss  heisser  Spottlauge  über  den  Kopf, 
betreffs  seiner  lieben  Teodora. 2)  Lisardo  bringt  endlich  eine 
Versöhnung  zustande.  Aber  welche?  Auf  den  Knieen  muss  Ri- 
selo  Abbitte  leisten  und  sogar  die  Abbitteformel  zerknirscht  und 
zermalmt  nachsprechen,  die  sie  ihm  vorspricht.  Marcela  ist 
eine  spanische  Liebesunholdin  von  so  erstaunlicher  Lebenswahr- 
heit, dass  der  Nichtspanier  sie  leib-  und  seelenhaft  vor  sich  sieht, 
und  die  ümwickelungen  des  Anbeterherzens  mit  schlüpferigem 
Schlangengeringel  und  die  tödtlich  wollüstigen  Giftstiche  an  dem 
eigenen  Herzen  zu  fühlen  meint.  Herzensumwickelungen  und 
Giftstiche  in's  Herz,  die  aber  doch  in  letzter  Absicht,  wie  die 
Umflechtungen  von  Hygiea's  Schlange  eine  Heilwirkung,  Liebes- 
heilwirkung eifersuchtslistig  erzielen.  In  seiner  Stahlwasser-Ko- 
mödie lässt  wieder  Lope  an  allen  Ecken  und  Enden  die  erquick- 
lichsten Quellen  von  Charakter-  und  Situationskomik  aus  dem 
Sande  der  spanischen  Schablonen-Komödie  springen.  Beiisa 
und  Marcela  sind  neue  Figuren,  und  die  Freundschafts-Soli- 
darität von  Lisardo  und  Riselo  wirkt  als  erfrischender  Seelenreiz 
in  dieser  Blut-  und  Milzreinigungs-Stahlwasserkomödie  von  acht 
antikem  Lustspiel-Schrot  und  Korn,  vereint  mit  dem  romanischen 
Verszauber  des  Troubadourstyls.  Ein  Plautinischer  Diamant  in 
Facetten  kunstreich  geschliffen  mit  dem  Diamanteustaub  der 
Cancionero-Lyrik  und  strahlend  im  ergötzlichsten  Farbenschim- 
mer.  Wer  an  der  Wunderkraft  jenes  vertrockneten  Schlangen- 
balges zweifelt,  den  der  römische  Cäsar  als  heilbringendes  Amu- 
letarmband  trug;  der  wird  an  solche  dem  dürrbunten  Schlangen- 


1)  Marcela.  iYo  papel  suyo,  que  ya 

Hasta  memorias  queme. 

2)  Tiemblas  del  hielo,  ßiselo 
Que  has  visto  en  mi  para  ti. 


428  Das  spanische  Drama. 

balge  der  spanischen  Mantel-  und  Degenspiele  innewohnende  Zau- 
berkraft glauben  müssen,  wenn  er  die  Wunderwirkungea  gewahrt, 
welche  dieser  buntscheckig  geringelte,  um  Lope  de  Vega's 
Schreibarm  gewundene  Häutungsbalg  noch  gegenwärtig  her- 
vorbringt. 

Prudencio  und  Otavio,  Schwiegersohn  mit  päpstlichem 
Dispens,  aber  ohne  Braut,  erkennen  in  Lakai  Bert  ran  des  Pu- 
dels Kern  vom  Pseudodoctor,  und  lassen  ihn,  gebunden,  vorläufig 
in  Zimmerarrest  bringen.  Durch's  Fenstergitter  seines  Haftzim- 
mers giebt  Bert  ran  der  über  ihre  zunehmende  Opilacion  jam- 
mernden, und  alle  Stahlwasser  der  Welt  vor  der  nicht  minder 
rathlosen  Teodora  verwünschenden  Beiisa,  Zeichen  hinunter 
von  seiner  Lage.  Kammerzofe  Leonor  bringt  nun  gar  die  Schau- 
dernachricht, dass  Schwiegervater  und  Sohn,  inkraft  des  Dispen- 
ses, mit  einer  brennenden  Fackel  schon  unterweges  sind,  um  den 
Bei  trän  ein  wenig  zu  beträufeln,  und  dem  Doctor  die  Heil- 
kraft von  Glühschwämmen  und  Glüheisen  an  seinem  eigenen 
Fleisch  beizubringen,  i)  Zum  Glück  für  Beitran 's  Haut  hat 
Leonor  den  Zimmerschlüssel.  Beiisa  schliesst  ihm  auf,  und 
die  Fackeln  mit  Prudencio  und  Otavio  haben  selbdritt  das 
Nachsehen.  Otavio's  Diener,  Solucio,  meldet,  der  Häftling  strie- 
gele des  Teufels  Mauleselin  2),  mit  andern  Worten,  Bei  trän  habe 
der  Teufel  geholt  und  Beiisa  gleich  mit.  Und  bald  sehen  wir 
auch  Beiisa  im  Costüm  der  leibhaften  Mantel-  und  Degenko- 
mödie ^),  und  den  fackelflüchtigen  Bei  trän  in  Belisa's  Kleidern 
auf  der  Strasse  in  stockfinsterer  Nacht,  vor  Marcela's  Hause,  wo 
Lisardo  und  Eiselo  sich  befinden.  Beitran  ruft  im  Mäd- 
chendiscant  nach  Lisardo,  und  wird,  nachdem  er  eine  Weile 
den  Lisardo  mit  der  Frauenstimme  gehänselt,  von  diesem  als 
Beitran  recognoscirt.  Als  Beitran  dasselbe  Spiel  mit  Eiselo 
vornimmt,  reisst  ihm  die  eifersüchtige  Marcela  Haube   sammt 


1)  Que  Otavio  y  tu  pädre  airado 
Una  hacha  encendiendo  estän 
Para  pringar  ä  Beitran. 

2)  —  almohaza 
Las  mulas  de  los  demonios. 

3)  con  capa,  espada  etc. 


Lope's  Comedia:   El  Caballero  de  Olmedo.  429 

Schleier  ab.  In  diesem  Moment  erscheint  der  Dispensschwieger- 
vater Prudencio  mit  dito  Schwiegersohn  Otavio  und  mit 
noch  einem  überzähligen  Gesellenpaar,  dem  in  der  spanischen, 
namentlich  in  L5pe's  Komödie,  stationären  Parallelfigurenpaar, 
das  sich  zufällig  in  der  Komödienintrigue  mit  den  über- 
flüssigen Beinen  verwickelt,  hier  Florencio  und  Freund  Ger- 
harde heisst,  die  am  Schluss  nur  wie  Schergen  eingreifen,  in- 
dem sie  unter  der  Hausthür  Beiisa  und  Beitran  dem  Pru- 
dencio dingfest  machen  helfen.  Prudencio  erklärt  sich  mit 
Lisardo's  Erklärung  seiner  Bereitwilligkeit,  die  eheliche  Nachcur 
zur  Stahlwassercur  mit  Beiisa  vornehmen  zu  wollen,  zufrieden- 
gestellt, und  Otavio  mit  der  päpstlichen  Dispensation  in  der  Ta- 
sche, statt  der  Braut  an  der  Hand.  Wie  gewöhnlich  lässt  sich 
auch  von  dieser  Komödie  des  Lope  nicht  nachrühmen  „Ende  gut, 
Alles  gut";  vielmehr  heisst  es  auch  bei  dieser,  wie  bei  seinen 
trefflichsten  Stücken:  „Alles  gut,  nur  Ende  nicht  gut.'*  Es  ist 
eben  die  Nothtaufe,  um  schliesslich  den  Namen  der  Komödie  be- 
hufs Kechtfertigung  des  Titels  zu  constatiren.  Die  Stahlwasser- 
Quelle  verläuft  mit  des  Dichters  Erfindungsquelle  in  den  Sand. 
Das  finem  lauda  schüttelt  sein  Genie,  wie  der  Pilger  den  Staub, 
von  den  Füssen  —  von  den  Vierfüssen  seiner  unerschöpflichen  und 
unnachahmlich  leichtfüssigen  Trochäen. 

El  Caballero  de  Olmedo 
Der  Bitter  von  Olmedo. 

Das  Kaleidoskop,  zu  deutsch,  Schöngucker  seiner  erotisch- 
zelotypischen  Komödienspiele,  schüttelt  Lope  de  Vega  in  jedem 
derselben  zu  einem  neuen  Figurenbilde  des  Liebesmotivs  auf;  in 
solcher  Figurenwandlung  und  Umstellung  vorzugsweise  seinen  Er- 
tindungsreichthum  bekundend.  Eine  seiner  „famosesten"  Come- 
dias:   El  Caballero  de  OlmedoO»  „Der  Ritter  von  Olmedo", 


1)  Olmedo,  eine  Ortschaft,  unweit  von  Medina  del  Campo,  in 
Altcastilien,  uns  durch  zwei  Schlachten  bekannt,  29.  Mai  1445  und  20.  Aug. 
1467;  desgleichen  Medina  del  Campo,  durch  den  mörderischen  Strassen- 
kampf,  dessen  Held  der  Günstling,  Luna  de  Alvaro  (1441),  und  durch  den 
schimpflichen  Enrique  IV.    (el   Inpotente)   mit    dem    aufständischen  Adel 


430  I^as  spanische  Drama. 

rückt  und  rüttelt  das  Liebesmotiv  hinsichtlich  der  ersten  Be- 
kanntschaft des  Liebespaares,  des  Olmedo-Kitters ,  Don  Alonso 
de  Manrique,  und  Dona  Ines,  in  die  Configuration  einer 
Romeo-Liebe,  insofern  Beide,  auf  das  erste  Sicherblicken,  in  Eine 
unlöschbare  Liebesgluth  zusammenschlagen,  üeber  diesen  einen 
Berührungspunkt  mit  der  ßomeo-Julia-Liebe  hinaus  die  Leiden- 
schaft des  Ritters  von  Olmedo  und  des  Fräuleins  von  Medina  del 
Campo  auch  in  Verlauf  und  Entwickelung  vergleichen  wollen, 
wäre  die  sträflichste  Versündigung  an  jener  prädestinirten  von 
einem  Erstblick  zu  tragisch-schicksalvoller  Amor-  und  Psyche- 
Liebe  angefachten  Seelendoppelflamme.  Wie  es  mit  des  spa- 
nischen Eomeo^),  des  Olmedo-ßitters,  solcher  Liebe  würdiger 
und  weihevoll -gemässer  Leidenschaftsstimmung  von  vornherein 
bestellt  ist,  das  bezeugt  Don  Alonso's  erster  Schritt  behufs  Ge- 
winnung und  Aneignung  seines  nur  erst  verständnissinnig  er- 
schauten, noch  nicht  gesprochenen  Herzensidols.  Dieser  erste 
Schritt  gilt  einem  Abklatsch  von  'Celestina',  der  Kupplerin  Fa- 
bia,  die  dem  Olmedo-ßitter  das  Liebchen,  im  Wege  der  säu- 
bern Künste  ihres  Gewerbes,  verschaffen  soll,  und  in  der  er  zu 
dem  Zwecke  in  einer  zwei  Columnen  langen  Erzählung  das  erste 
Begegniss  mit  seinem  als  Schäferin  gekleideten  „Engel"  auf  der 
Messe  zu  Medina  del  Campo  schildert,  mit  einem  üeberschwange 
von  glühender  Malerei  des  Eindrucks,  deren  Feuer  den  gleich  an 
der  Expositions-Schwelle  —  der  Thürschwelle  eines  Kuppelweibes 
von  Profession !  —  seiner  frischen  Liebesleidenschaft  angehefteten 
Schmutzfleck,  weit  entfernt  ihn  zu  tilgen,  seinem  Herzen  und  der 
Komödie  enkaustisch  einbrennt.    Dem  Schandweib  übergiebt  er 


geschlossenen  Compromiss  (1465).  Gesch.  d.  Dram.  VIII.  S.  711.  712.  Anm. 
825.  826.  Ausserdem  ist  Medina  del  Campo  durch  seine  Jahrmärkte  be- 
rühmt ;  durch  den  in  dieser  einst  von  50,000  Einwohnern  bevölkerten  Stadt 
erfolgten  Tod  der  Königin  Isabel;  durch  das  Schloss,  welches  der  Ar- 
chitekt Fernando  de  Carreno  für  König  Juan  IL  daselbst,  erbaute 
(1440).  Infolge  des  Stadtaufstandes  unter  Carl  V.  (König  Carlo  I.)  und 
der  von  dem  königlichen  Feldhauptmann,  Antonio  de  Fosseca  befoh- 
lenen Einäscherung  ist  Medina  del  Campo  zu  gänzlicher  ünbedeutenheit 
und  Verarmung  herabgesunken.  —  1)  Lope  de  Vega's  eigentliches  Romeo- 
Julia-Drama  haben  wir  bereits  S.  340  ff.  in  seiner  Comedia  'Castelvines 
y  Monteses'  unter  die  Lupe  genommen. 


Fabia  als  'Oelestina'.  431 

ein  Briefchen  für  die  Schöne,  das  den  ersten  Erguss  seiner  Er- 
klärung enthält:  eine  Herzensausschüttung  in  eine  Kloake,  die  sie 
an  Ort  und  Stelle  flössen  soll!    Doiia  Ines  enthüllt  doch  min- 
destens -ihr   Inneres    ihrer    ehrbaren,    wenngleich    langweiligen 
Schwester,  Dona  Leonor,  vor  welcher  sie  jenen  ersten  auf  der 
Marktmesse  und  dann  in  der  Kirchenmesse   getauschten  Liebes- 
blickstrahl, vom  Herzen,  wie  Morgensonnenlicht  vom  Bononischen 
Stein,   oder  vom  Oculus  mundi  genannten  Edelstein,  eingesogen, 
spielen  und  spiegeln  lässt.  ^)    Eine  Augenblicksliebe,  die  sich  zu 
einer   Ewigkeit    von    Seelenwonne    und    Himmelsentzücken    er- 
schliesst,  wie  ?  eine  solche  Lieb'e  müsste  nicht  von  Herz  zu  Mund 
zumal  überfliessen?    Der  gemeinsame  Augenstrahl  müsste  die 
Verständnissinnigkeit    des  Blickes  nicht    als  gegenseitig  augen- 
blickliches Liebesgeständniss  verlautbaren?     Das   Zwillingsknos- 
penpaar sollte  den  ersten  Sonnenfrühstrahl  in  Einem  Thautropfen 
schlürfen,   und  nicht  von  Lippe   zu  Lippe  gleiten,  sondern  jede 
der  Knospen   dürfte  ihren  halben  Tropfen   auf  Nebenwegen  der 
anderen   zukommen   lassen;    die  eine   durch  Vermittelung  eines 
garstigen  Stinkkäfers;   die  andere  Hälfte  durch  den  Saugrüssel 
eines  genäschigen  Buttervogels,   der  von  Kelch   zu  Kelch  den 
Befruchtungsthau,  den  Blüthenstaub  trägt,   der  Blumenkuppler? 
Da  sitzt  auch  schon  Stinkkäfer  auf  dem  Lippensaume  der  Ines- 
Knospe  mit  Alonso's  halbem  Thautropfen  an  der  Nase.    Celesti- 
na's  Abklatsch,  die  Kuppelhexe,  Fabia,  kommt,  wie  ihr  Urbild, 
als  Hausirerin,  lässt  unter  ihrem  Kram,  wie  zufällig,  das  Liebes- 
briefchen von  Ines  erblicken,  und  dreht  die  Finte:   das  Brief- 
chen gelte  einem  edlen  Fräulein,  dem  sie,  Fabia,  es  zuzustellen 
nicht  wage,  trotz  der  ehrbaren  Heirathsabsichten,  die  der  Cabal- 
lero hege.  Dona  Ines  möchte  daher,  um  sie  doch  das  güldene, 
ihr  vom  Ritter  versprochene  Kettlein  verdienen  zu  lassen  —  Dona 
Ines  möchte  ihr  das  Liebesbrief chen  beantworten,  das  dann  sie, 
Fabia,  dem  Ritter  als  Antwort  von  seiner  Schönen,  jenem  Edel- 
fräulein,  überbringen  wolle,    üeber  diese  Finte  muss  Mutter  Ce- 


—  en  el  instante  que  vi 
Este  galan  forastero, 
Me  dijo  el  alma  „este  quiero'' 
Y  yo  le  dije  „sea  ansi." 


432  ^^^  spanische  Drama 

lestina  sich  im  Grabe  dreimal  umkehren.  Dona  Leonor  aber 
erklärt,  während  Dona  Ines  im  Nebenzimmer  die  Antwort  schreibt, 
die  Finte  als  vortrefflich  0 ,  als  ein  Musterstück  von  Erfindung, 
und  der  französische  üebersetzer  der  Komödie,  Mr.  Eugene  Bar- 
ret, ruft  •entzückt:  „Welche  reizende  Wendung!"-)  Als  ob  es 
bei  dieser  Ines,  die  doch  mit  allen  zehn  Fingern  nach  dorn 
Liebesbriefchen  greifen  muss,  einer  solchen  Wendung  bedürfte! 
„Pfui  Dich  an,  Du  altes  Pell!"  —  speit  Mutter  Celestina  der 
Pfuscherin  aus  dem  Grabe  in's  Gesicht.  „Schier  Dich,  mit  Deiner 
„buena  invencion"  und  Deinem  „tour  charmant"  zum  Teufel,  der 
Dich  aber  mit  seiner  dreizinkigen  Gabel  ganz  sicherlich  aufrafft 
und  zur  Hölle  hinauswirft,  als  die  ungeschickteste  Kuppelhexe, 
die  das  Gewerbe  in  üblen  Ruf  bringt  und  mich  im  Grabe  noch 
beschimpft!  Zu  den  anderweitigen  Erfindungen  des  ersten  Actes 
würde  Celestina  vielleicht  auch  den  Kopf  schütteln;  jedenfalls 
selbe  für  keine  von  Lope's  Mustererfindungen,  wie  Dofia  Leonor 
und  Mr.  Eugene  Barret,  erklären.  Zunächst  die  Erfindung  des 
Don  ßodrigo  als  Lustspielfigur  überhaupt,  der  um  Doiia  Ines 
Hand  sich  bei  ihrem  Vater  mit  Gongorismen  und  den  ab- 
schmeckendsten  Phrasen  des  Cultistenstyls  bewirbt,  zumal  in  der 
steten  Begleitung  seines  Freundes,  Don  Fernando,  des  ünter- 
futters  zur  Schlafmütze:  Rodrigo.  Dann  möchte  vielleicht  Ce- 
lestina ihr  noch  als  Todtenschädel  anschlägigeres  Haupt  über  die 
beiden  Hälften  des  grünen  Bändchens,  wo  nicht  schütteln,  doch 
mindestens  wiegen,  welches  grüne  Bändchen  Dona  In-es  an 
ihr  Balcongitter  als  Zeichen  für  Don  Alonso,  den  Olmedo- 
Ritter,  befestigt  hat,  dem  sie  in  ihrer  Antwort  auf  das  Lie- 
besbriefchen ein  nächtliches  Stelldichein  vor  ihrem  Erker  ge- 
geben, und  welches  grüne  Bändchen  die  Schlafmütze,  Don 
Rodrigo,  mit  ihrem  ünterfutter,  Don  Fernando,  theilt, 
um  die  Enden  an  die  Mütze  zu  stecken,  jedes  von  ihnen 
ein  Bandstück.  Zu  welchem  Ende?  2)  fragt  Celestina  mit  Don 
Fernando,  „damit"  —  erwidert  Schlafmütze  Rodrigo  —  „die 
beiden  Schwestern,  Ines  und  Leonor,  an  dem  Zeichen  erkennen 


1)  ;Que  buena  invencion!  —  2)  „Quel  tour  charmant!** 
3)       D.  Fern.    ^A  que  causa? 


Grüne  Jungen  mit  grünen  Bändchen.  433 

mögen,  dass  wir  zusammen  hier  gewesen."^)  ünterfutter  nickt 
beifällig;  Celestina  zuckt  die  Schultern.  Don  Alonso  findet 
natürlich  nichts  von  einem  grünen  Bande,  nicht  ein  ßestendchen 
davon  am  Balcongitter,  stösst  aber  dafür  im  Dunklen  mit  Don 
Eodrigo  zusammen,  den  er,  ohne  ihn  zu  erkennen,  vom  Gitter 
wegweist.  Die  Degen  kreuzen  sich.  Don  Eodrigo  bekommt 
sein  Theil,  zieht  sich  mit  seinem  Zopf,  Don  Fernando,  zurück, 
lässt  aber,  nachdem  er  ein  Bestandstück  der  Mantel  -  und  Degen- 
Komödie,  letzteren  nämlich,  eingesteckt,  den  Mantel  als  Erken- 
nungsobject,  behufs  der  Knotenlösung,  fallen,  den  Alonso  seinem 
Diener,  Teile,  zu  diesem  Zwecke  aufheben  und  vorläufig  in 
Verwahrung  nehmen  heisst.  2) 

Don  Eodrigo  erscheint  vor  Ines  und  Leonor  mit  dem 
halben  grünen  Bändchen  an  der  Mütze.  Bald  darauf  tritt  Don 
Fernando  in  Begleitung  von  Dona  Ines'  Vater,  Don  Pedro, 
ein,  mit  der  andern  Hälfte  des  grünen  Bandes  an  der  Mütze. 
Beim  Erblicken  der  beiden  grünen  Parallelhälften  an  den  Paral- 
lelhüten des  Schattenrisses  des  albernsten  aller  Freier  ^)  und  seines 
noch  langweiligem  Halbschattens,  fiüstert  Dona  Ines  in's  schwe- 
sterliche Parallelohr:  „Eine  von  der  Fabia  gezettelte  Intrigue"^), 
die  ihr  Bestellbriefchen  dem  Eodrigo  überbracht  hätte  ^) ,  anstatt 
es  dem  Olmedo-Eitter  einzuhändigen.  Wie  kommt  nun  aber 
Don  Fernando  zur  andern  grünen  Hälfte?  —  fragt  sich 
Schwester  Leonor,  den  Fernando  zu  ihrem  Parallelfreier  im- 
provisirend,  und  von  Schwester  Ines  Aufschlus  über  diesen  Zwie- 
spalt des  grünen  Bändchens  verlangend,  grün  vor  Eifersucht  aus 


1)  D.  Kodr.    A  que  los  dos  nos  le  vean 

Y  sabrän  con  esta  traza 
Que  habemos  venido  juntos. 

2)  Teile.        Aqni  se  quedo  una  capa. 
D.  Alonso. 

Cogela  y  ven  por  aqui. 

3)  Dona  Ines. 

(Ap.  ä  SU  hermana.) 
Non  he  visto  tan  necio. 

4)  Todo  fue  enrede  de  Fabia. 

5)  jYo  papel  ä  Don  Rodrigo! 

X.  28 


434  I^as  spanische  Drama. 

dem  Stegreif  0  —  „Que  buena  invencion!"  „Quel  tour  char- 
mant!" —  lacht  sich  Celestina  im  Grab  die  Haut  voll  Mit  Ei- 
ner Volte  bringt  Fabia,  die  der  Actschluss  auf  den  Schlag  her- 
beiführt, Alles  durch  die  Versicherung  in's  Gleiche:  „Don  Alonso 
wird  der  Deinige.  Lass  mich  nur  machen.  Du  wirst  glücklich 
seyn  'mit  dem  Manne,  der  die  Zierde  von  Medina  ist  und  die 
Blume  von  Olmedo/'^) 

Nun  erst  hinkt  das  Romeo-Julia-Liebesgeständniss  in  der 
zweiten  Scene  des  zweiten  Acts  hintennach,  wo  das  Liebes- 
paar zum  erstenmal  seit  dem  Begegniss  auf  und  in  der  Messe 
sich  zusammenfindet  in  Gegenwart  —  in  stereotyper  Gegenwart 
—  des  an  die  Ferse  seines  Herrn  unablöslich  befestigten  spani- 
schen criado  oder  Gracioso,  der,  hier  Tello  zubenamt,  in  der 
ersten  Scene  des  zweiten  Acts,  als  selbstgeständlicher  'Sempronio' 
aus  der  Tragikomödie  'Celestina',  an  Dona  Ines  Hausthür  an- 
klopfte mit  der  Frage:  „Ist  Melibea  zu  Hause?  denn  da  kommt 
C allst o",  worauf  ihm  Dona  Ines  Zofe,  Ana,  von  innen  zuruft: 
„Warte  ein  wenig,  Sempronio."  3)  Die  Nachahmung  der  un- 
nachahmlichen Celestina  an  seine  und  seines  Herrn  Mütze 
steckend,  wie  Don  Rodrigo  und  Don  Fernando  die  Hälften  des 
grünen  Balconbändchens,  womit  die  Balconscene  in  Komeo  und 
Julie  in  die  grünen  Fichten  gegangen,  an  ihren  Hüten  zur  Schau 
tragen,  üeberraschend  wetteifert  der  zweite  mit  dem  ersten  Act 
in  „buenas  invenciones''  und  „tours  charmants."  Ihrem  Vater, 
Don  Pedro,  der  miteinmal  eifrig  und  nachdrücklichst  für  Don 
ßodrigo  bei  seiner  Tochter  Ines  wirbt,  erklärt  diese,  gleich 
stegreifsmässig:   sie  gehe   in's  Kloster  und  wünsche  dessbehufs 


1)  Dona  Ines.   Y  jtu  de  Fernando  celos! 

2)  Fabia.  Dejame  ä  mi  tu  suceso, 

Don  Alonso  ha  de  ser  tuyo; 
Que  seras  dichosa  espero 
Con  hombre  que  es  en  Castilla 
La  gala  de  Medina, 
La  flor  de  Olmedo. 

3)  Tello.  ^Estä  en  casa  Melibea? 
Que  Calisto  viene  aqui. 


Ana  (dentro). 


Aguarda  un  poco,  Sempronio. 


Parallel-Scene  zu  einer  in  Shakspeare's  'Taming  of  the  Shrew'.    435 

mit  einer  Frau  von  guten  Sitten  und  ehrbarem  Lebenswandel  zu 
verkehren  und,  nächst  dieser,  einen  Sprachmeister,   der  sie  zu- 
gleich im  Latein  und  im  Singen  unterrichte.    Wie  Tello   von 
dem  ad  hoc  so  trefflich  erfundenen  Anschlag  hört;  hat  er  auch 
schon  als  duefia  von  ehrbarem  Lebenswandel  die  Kupplerin  Pa- 
bia,  und  als  Latein-  und  Singlehrer  sich  selber  in  Petto,  i)  — 
„0  que  buena  invencion!"    „Oh  quel  tour  charmant!''   schüttelt 
sich  wiederum  Celestina  im  Grab  vor  Lachen  —  „insonders  wo 
es  gilt,  eine  Romeo-  und  Julia-Liebe  einem  entsprechenden,  sol- 
cher Liebesidee  und  himmlischer  Herzensseligkeit  gemässen  Aus- 
gange zuzuführen!"    Alonso  und  Ines,  das  spanische  Romeo- 
und  Juliapaar,   ergreifen  Tello's  Vorschlag  mit  Begier,   welchem 
denn  auch  die  Ausführung  auf  dem  Fusse  folgt.  Fabia  schleicht 
schon  daher  mit  Rosenkranz,  Krückenstock  und  Brille  als  fromm- 
ehrsame  duena,  die  Kuppelpelzfüchsin  im  Schaa^elz,  und  spielt 
ihre  heilige  Maske  in  Gegenwart  von  Ines  Vater,   Don  Pedro, 
zu  dessen  erbaulichster  Täuschung:    „Nie"—  ruft  die  väterliche 
dupe  seiner  Tochter,  Ines-Julia  zu  —  „Nie  sah  ich  eine  solche  De- 
muth."2)    Nicht  lange,   so  springt  auch  Tello  herein  als  sich 
empfehlender  Lateinischlehrer  der  Doila  Ines,  und  bringt  uns  mit- 
eins in's  Fahrwasser  der  analogen  Scene  in  Shakspeare's  „Be- 
zähmte Widerspenstige"  (Taming  of  the  Shrew)^),  so   dass  Don 
Pedro  selber  sich  in  die  Rolle  von  Vater  „Baptista",  Tello  in 
die  von  'Bianca's'  Freier  'Lucentio',  und  Dona  Ines  endlich  in 
die  der  'Bianca'  oder  auch  umgekehrt:  dass  Shakspeare's  homogene 


1)  Tello.     Pues  ha  de  leer  latin, 

^No  serä  facil  que  pneda 

Ser  yo  quien  venga  a  ensenarla? 

Y  Veras  icon  que  destreza! 

Le  enseno  a  leer  tus  cartas  .  .  . 

Y  aun  pienso  que  podrä  Fabia 
Servirte  en  forma  de  duena, 
Siendo  la  santa  mujer, 

Que  con  su  falsa  aparencia 
Venga  ä  ensenarla. 

2)  No  he  visto  humilidad  igual. 

3)  m.  Sc.  1. 


28"* 


436  lL)as  spanische  Drama. 

Figuren  sich  in  die  Masken  von  Lope's  zu  verkleiden  scheinen 
könnten,  cum  grano  salis.  0 

Den  höchsten  Kranz  setzt  aber  den  „buenas  invenciones" 
und  „tours  charmants"  in  Lope's  Olmedo-Komödie  Scene  XIP) 
auf,  die,  als  Göttin  aus  der  Maschine,  den  König  Don  Juan  IL, 
und  seinen  Günstling,  den  Condestable  Don  Alvaro  de 
Luna  einführt,  Beide  zur  Feier  des  in  Medina  del  Campo  am 
3.  Mai  abzuhaltenden  Mai-Kreuzfestes  ^j  aus  ihren  Gräbern  her- 
aufbeschworen. Die  Scene  spielt  in  einem  Hotel  zu  Olmedo. 
König  und  Condestable  sprechen  von  Staatsangelegenheiten,  vom 
Alcantara-Orden,  von  den  Abzeichen,  die  Mauren  und  Juden  an 
ihren  Kleidern  künftig  tragen  sollen,  damit  ihnen  ehrliche 
Christen  ausweichen  können'*),  und  schliesslich  von  Caballero 
de  Olmedo,  dem  durch  Geburt  und  Ruf  ausgezeichneten  jun- 
gen Ritter,  den  der  König  durch  Ordensverleihung  morgen  am 
bevorstehenden  Kreuzfeste  zu  ehren  gedenke.  „Sagt  ihm"  —  trägt 
König  Don  Juan  IL  seinem  Condestable  auf  —  „dass  ich  ihm 
die  nächste  erledigte  Comthurei  vorbehalte"  ^)  und  gehen  zusam- 
men ab. 

Die  letzte  zu  Olmedo  in  Don  Alonso's  Haus  spielende  Scene 
des  2.  Acts  beglückt  den  Ritter  mit  einem  Liebesbriefchen  von 
Dona  Ines,  das  ihm  sein  Diener,  Tello,  zuträgt,  und  Don  Alonso 
natürlich  voller  Entzücken  liest,   zwischendurch  den  glücklichen 


1)  Des  alten  ^Baptista'  Abfragen  z.  B.  und  Sicherkundigen  nach  Her- 
kunft, Ort  und  Absicht  u.  s.  w.  der  ihn  dupirenden  Diener  von  Bianca's 
Freiern  im  Gleichlaut  mit  Don  Pedro's  Fragestellungen  an  den  als 
Sprach-  und  Musiklehrer  vermummten  Tello:  Baptist a.  Von  wannen 
kommt  ihr?  Don  Pedro.  ^De  donde  es  galan?  u.  s.  w.  Und  beim  Wie- 
dereintritt Don  Pedro's,  woDoilalnes  Alonso's  ihr  von  Tello  zuge- 
stecktes Billet  doux  liest,  und  Tello  ihr  geschwind,  als  fahre  er  im  Un- 
terricht fort,  lateinische  Vocabeln  vorspricht,  die  sie  wiederholt,  ähnlich 
wie  'Lucentio'  der  'Bianca'  sein  *hoc  ibat  Simois'  etc.,  durchflochten  von 
seiner  Liebeswerbung.  —  2)  In  der  Ausgabe  von  Hartzenbusch :  Comedias 
escogidas  de  Lope  de  Veg.  t.  II.  (Bibliot.  de  Aut.  Esp.  t.  34). 

3)  ä  la  Cruz  de  Mayo. 

4)  Bey.    Tenga  el  cristiano  el  decoro, 

Que  es  justo:  apärtese  del  .  .  . 

5)  —  yo  le  pienso  honrar 
Con  la  primera  encomienda. 


Ein  Stiergefecht.  437- 

Erfolg  von  Tello's  und  der  Fabia  Vermummnngen  ans  des  Die- 
ners Munde  vernehmend,  und  aus  dessen  Hand  einen  ihm,  nach 
Melibea's  Vorgang  in  der  ^Celestina',  von  dir  Ines  zugeschickten 
Gürtel,  den  er  morgen  am  Feste  umlegen  möge,  empfangend  und 
schwärmerisch  dazu  seufzend :  „0,  dass  ich  ( Alonso),  dieser  Gür- 
tel wäre!"  Das  0.  ist  auch  nur  ein  Echo  von  Calisto's  0  beim 
Empfange  von  Melibea's  Gürtel  in  der  'Celestina'. 

Stiergefecht  zur  Feier  des  Maikreuzes,  abgehalten  in  Medina 
del  Campo,  vor  König  Juan  IL  und  Condestable  Alvaro 
de  Luna,  und  verherrlicht  durch  den  Stierbesieger,  den  Ca- 
ballero de  Olmedo,  den  das  vom  Kampfplatz  auf  die  Bühne 
herausschallende  Jauchzen  des  Volkes  bis  in  den  Himmel  em- 
porjubelt, zu  Don  Eodrigo's  und  seines  Trabanten,  Don  Fer- 
nando, knirschendem  Aerger,  die  Beide  am  Eingang  zur  'plaza', 
zum  Stier-Circus ,  und  am  Eingang  des  dritten  Acts,  mit 
zerbrochenen  Kampfstangen  in  der  Hand,  bei  jedem  Jubelruf  und 
Siegesschrei  im  'Coso'  stöhnen  und  ächzen  ob  den  Triumphen  des 
verwünschten  Ritters  von  Olmedo  und  ob  ihrem  ochsigen  Pech 
und  Missgeschicke,  das  der  Stier  auf  seine  Hörner  nahm,  und 
nun,  bei  einem  zweiten  Angriffsversuch,  nachdem  das  Pechbrü- 
derpaar, die  Zwillinge  im  Thierkreis  neben  dem  Stier,  sich  wie- 
der auf  die  Kampfbahn  gestürzt ,  erst  recht  und  so  schwungvoll 
auf  die  Hörner  nimmt,  dass  Don  Rodrigo,  an  allen  Gliedern 
wie  zerbrochen,  vom  Ritter  von  Olmedo  unterstützt,  der  ihn 
dem  Gnadenstoss  des  Stiers  entrissen,  daherschleift,  stammelnd: 
„Euch  verdanke  ich  das  Leben,  es  war  ein  harter  Sturz"  ^)  — 
und  vor  des  Königs  und  des  Günstlings  Augen !  und  der  schmerz- 
lichste Hornstoss:  vor  Dona  Ines'  Augen,  wonneleuchtend  ob 
ihres  Olmedo-Ritters  sieghafter  Lanze!  Nun  erst  nach  beendig- 
tem Stiergefecht,  Scene  XIII ,  erfolgt  die  Romeo- Julia  Balcon- 
scene  zwischen  Don  Alonso  und  Dona  Ines:  Sie  am  Bal- 
congitter.  Er  unten  auf  der  Strasse.  Eine  Abschiedsscene  zu- 
gleich, da  ihn  seine  Eltern  nach  Olmedo  zurückberufen;  Todes- 
ahnungen zugleich  vonseiten  Alonso's,  aus  Besorgniss  vor  seinen 
auf  sein  Glück  eifersüchtigen  Rivalen.    „Bist  Du   aus  Eifersucht 


1)  —  con  vos  le  (al  änimo)  cobro. 

La  caida  ha  sido  grande. 


438  I^as  spanische  Drama. 

schwermüthig"  —  flüstert  Ines  —  „so  ist  undankbar  Deine  Liebe. 
Ich  verstehe  Dich,  Du  aber  verstehst  noch  nicht  meine  Liebe." 
Alonso- Romeo  ver^chert,  dass  er  fern  sey  von  jedem  Arg- 
wohn. „Die  Träume  meiner  Phantasie  haben  allein  diese  eitlen 
Einbildungen  erzeugt."  Wie  Julia's  Amme,  ruft  Dona  Leonor 
von  innen.  Das  Liebespaar  wechselt  noch  ein  paar  Abschieds- 
seufzer, Ines  hoffnungsvollen,  Alonso  wehmüthigen  Herzens. 
Alonso's  Abschiedsklage  in  Decimen,  mehr  gesungen  als  ge- 
sprochen i),  können  sie  die  innere  Seelen-Musik,  das  wie  von 
Nachtigallen  geflötete  Brautlied,  die  Vermählungs-Nachtfeier,  das 
Amor-  und  Psychepervigilium  in  Capulet's  Garten  ersetzen?  Oder 
müssen  nicht  vielmehr  diese  todesahnungsschweren  Abschiedsde- 
cimen  aus  dem  Stegreif,  die  zu  dem  Ton,  zu  der  Haltung,  zur 
Frivolität  eines  Popp-,  Verkleidungs-  und  Kuppelspieles,  zu 
Ines'  seelenheiterer,  ja  liebesübermüthiger  Herzensstimmung  ei- 


1)  Don  Alonso. 

Yo  lo  siento,  y  voy  ä  Olmedo, 
Dejando  el  alma  en  Medina 
No  se  como  parto  y  quedo: 
Amor  la  ansencia  imagina, 
Los  celos,  senora,  el  miedo, 
Asi  parto  muerto  y  vivo; 
Qiie  vida  y  mnerte  recibo. 
Mas;  que  te  pnedo  decir, 
Cuando  estoy  para  partir 
Puesto  ya  el  pie  en  el  estribo? 
Ando,  senora,  estos  dias, 
Entre  tantas  asperezas 
De  imaginaciones  mias, 
Consolado  en  mis  tristezas 

Y  triste  en  rais  alegrias. 
Tengo,  pensando  perderte, 
Imaginacion  tan  fuerte, 

Y  asi  en  ella  vengo  y  voy, 
Que  me  parece  qua  estoy 
Con  las  ansias  de  la  muerte, 

etc. 

Ein  lyrisch-elegischos  Prachtstück  neben  ähnlichen  Decimenergüssen  im 
Cancionero  general,  als  Improvisation serguss  in  einer  Comedia  wie  diese 
—  ein  poetisches  xWgerniss! 


Improvisirter  Spuk.  439 

nen  schreckenden  und  durch  das  Unvorbereitete,  das  plötzliche 
Ueberkommen  dieser  Schwermuth  und  Vorgefühle  einen  um  so 
grelleren  Abstich  und  Missklang  in  DonAlonso's  Liebespathos 
empfinden  lassen?  Diese,  um  der  angedeuteten  Compositions- 
Verstösse  willen  —  als  solche  denn  auch  kunst-  und  poesiever- 
pönte Eadicalmängel  —  diese,  unserem  ürtheil  nach,  verfehlteste 
Scene  der  Komödie  hat  der  Franzose,  der  mehrbelobte  Eugene 
Barret,  die  Stirne,  die  dummdreiste  Stirne,  der  Balconscene  in 
'Komeo  und  Julie'  an  poetisch  dramatischem  Werthe  ebenbürtig, 
wo  nicht  über  jene  zu  stellen,  undLope'sOlmedo-Komödie  über  Shak- 
speare's  'Eomeo  und  Julie'  gleich  mit  in  Pausch  und  Bogen!  i) 

Unmittelbar  nachdem  Dona  Ines  sich  zurückgezogen,  hat  der 
plötzlich  von  Saul's  Geist  verfinsterte  Don  Alonso  eine  Vision: 
Er  selbst  erscheint  sich  als  sein  Geist  und  Schatten,  „eine  schwarze 
Maske  vor  dem  Gesicht,  einen  breitkrämpigen  Hut  in  die  Stirne 
gedrückt  und  die  Hand  auf  dem  Degenknopf." '^)  Auf  Alonso 's 
Frage:  Wer  der  Schwarze  sey,  antwortet  der  Schatten  wieder- 
holt: „Don  Alonso"  und  verschwindet.  Eine  Erfindung  ex 
abrupto  schauerlicher  Art  wirkt  in  dem  Grade  lächerlicher,  als 
sie  schauerlich  seyn  will.  Aus  heiler  Haut  ein  melancholischer 
Geisterseher,  und  als  Sichselbsterscheiner,  Sichselbstbangemacher 
—  wer  begreift  eine  solche  aus  der  Pistole  geschossene  Charak- 


1)  Uli  seul  mot  suffira  ä  donner  la  vraie  mesure  de  la  valeur  de  cet 
ouvrage:  c'est  qu'il  n'est  pas  loin  d'egaler  le  Eomeo  et  Julie tte  de 
Sliakspeare  .  .  .  Le  poete  espagnol  a  ecarte  les  Images  fuiiebres  que 
prodigue  la  melancolie  du  genie  anglais:  son  drame  est  moins  brutal  que 
celui  de  Shakspeare,  et  le  röle  de  Fabia  —  est  moins  choquant  que  celui 
de  la  uourrice.  Le  caraatere  d' Alonso  est  plus  male  que  celui  de  Eomeo 
et  mieux  dessine.  Un  seul  regard  decide  de  la  destine  d'Ines  comme  de 
Celle  de  Juliette :  C/est  la  meme  passion  invincible  et  fatale,  -—  plus  pudi- 
que  chez  Ines.  a.  a.  0.  p.  208.  Jedes  Wort  in  diesem  „un  seul  mot"  ist 
ein  Beleg  dafür,  dass  den  Franzosen,  wie  jeder  Maassstab  für  sittliche 
Wahrheit,  wahre  Ehre,  wahre  Cultur  und  Civilisation,  wahre  Menschen- 
würde, Freiheit  und  Gleichheit,  wahrhafte  Tapferkeit  und  Vaterlandsliebe 
—  dass  ihnen  ebenso  jeder  Begriff  von  kritischer  Wahrheit  und  gewissen- 
haftem Urtheil  abhanden  gekommen.  Ihre  sittliche  Verderbniss  und  Ver- 
logenheit geht  mit  ihrer  geistigen  Hand  in  Hand.  —  2)  Una  sombra 
con  una  mäscara  negra  y  sombrero,  y  puesta  la  mano  en  el  puno  de  la 
espada  se  le  pone  delante. 


440  Das  spanische  Drama. 

terumwandlung,  eine  solche  Peripetie  als  Selbstwechselbalg?  Nur 
der  begreift  es,  der  darin  den  spanischen  Parallelismus  als  Ge- 
spenst seiner  selbst  zu  erblicken  die  Unbefangenheit  besitzt. 

Solche  dem  Komödienhelden  auf  den  Plotz  über  den  Kopf 
kommende  Vorahnungsmelancholie  und  Schwermuthsbangniss  wird 
uns  bei  Lope  mehrfach  überraschen.  Seine  Flüchtigkeit,  oft  plan- 
lose Eil-  und  Leichtfertigkeit  im  Entwerfen,  neben  seinem,  an 
Stelle  des  Kunstgewissens,  mahnenden  und  die  ruschlige  Ertind- 
samkeit  gleichsam  am  Aermel  zupfenden  genialischen  lustincte, 
spritzt  diesen  Hamlettropfen  unversehens  in  die  von  Anfang  herein 
krystallhelle  Lustspielstimmung  des  Komödienhelden  und  trübt 
sie,  wie  der  Tintenfisch  die  klare  Pluth  mit  einem  Tropfen  aus 
seinem  Tintenbeutel  schwärzt.  Buchstäblich  ein  geschwärzte 
Melancholie,  die  den  ursprünglich  komödienhaft  angelegten  Geistes- 
ton verschiedener  seiner  Liebeshelden  bis  zum  Wahn-  und  Aber- 
witz verdunkelt.  Den  Charakter,  solcher  Affectwandlung  gemäss, 
zu  grundiren,  wär's  auch  nur,  wie  etwa  unser  Lessing  seinem 
Teilheim,  Appiani,  Tempelherrn  dergleichen  Charakterzug  als 
T  e  m  p  e  r  a  m  e  n  t  s  s  t  i  m  m  u  n  g  aus  der  dramatisch  -  satyrischen 
Gallenblase  in's  Blut  träufelt  —  dazu  hatte  Lope's,  im  Sieben- 
meilen-Kothurn oder  Soccus  über  alle  möglichen  Bühnenstoffe 
und  Combinationen  dahinsausender  Erfindungsgeist  zu  wenig  Zeit 
und  zu  viel  Eile.  Im  Widerspiel  zu  unserem  Lessin  der  seine 
ebenso  mächtigen  wie  bedächtigen  Erfindungs-  und  Composi- 
tionsschwingen  als  Krücken  verschrie,  die  ihm  bei  seinen  angeb- 
lich mehr  kritisch-  als  poetisch-productiven  dramatischen  Arbei- 
ten forthälfen.  Wie  er  denn  in  solcher  Teilheimstimmung  selber 
einmal  an  Mendelssohn  schrieb:  ^)  „Mein  kleinster  Vorsatz  ist 
jetzt,  Avenigstens  noch  dreimal  so  viel  Schauspiele  zu  machen, 
als  Lope  de  Vega."  Die  Kritik,  ja  die  Kritik!  Hätte  Lope  nicht 
diese,  wie  jener  Wettläufer  in  den  olympischen  Spielen  das 
Schurzfell,  abgeworfen;  er  hätte  freilich  dann  nicht  dreimal  so  viel 
Theaterstücke  gedichtet,  als  der  olympische  Wettrenner  Schritte 
lief;  aber  auch  nicht  wie  dieser  seine  Blossen,  seine  parties  hon- 
teuses,  zur  Schau  gestellt.    Und  unser  Lessing  und  das  grösste 


1)  1758, 


Lessing,  Shakspeare  und  Lope  de  Vega.  441 

Vorbild  dramatisch-schöpferischer  Dichtung,  der  Kunstmeister  aus 
Stratford  am  Avon,  sie  hätten,  ohne  Kritik,  ohne  tief  erwägsame 
Kunsteinsicht  und  Ergründen,  Prüfen  und  Ponderiren,  die  Zahl  ihrer 
Bühnenstücke  um's  Dreifache  mindestens  vermehren,  hätten  ihre 
Fruchtbarkeit  bis  in's  Lope n hafte  steigern  können. 

Seinem  Verhängniss,  zumal  einem  unmotivirten,  von  seinem 
Schöpfer,  dem  Dichter,  fatalistisch  auferlegten  Verhängnisse,  kann 
auch  der  Ritter  von  Olmedo  nicht  entgehen.  Einmal  im 
Todesvorgefühl,  muss  er  in  sein  Verderben  rennen.  Auf  dem 
Heimritt  nach  Olmedo  vernimmt  er  aus  dem  Gebüsch  warnende 
Todesmahnungen,  sein  Sterbelied: 

Haben  ihn  des  Nachts  gemordet 

Den  Caballero 

Die  Zierde  von  Medina, 

Die  Blume  von  Olmedo. ') 

Die  Geisterstimme  singt  wiederholt: 

Schatten  laut  und  leise' 
Warnten,  mahnten  ihn; 
Warnten  vor  der  Reise 
Und  nicht  heirazuziehn 
Den  Caballero, 
Die  Zierde  von  Medina 
Die  Blume  von  Olmedo.  2) 

Nun  kommt  die  Geisterstimme  als  Bauerngespenst  aus  dem 
Gebüsch  hervorgeschlupft,  im  Husch  wie  Zieten  aus  dem  Busch, 
und   mahnt  die  Blume   von  Olmedo   zum   drittenmal    zur  Um- 


1)  Que  de  noche  le  mataran 
AI  Caballero, 

La  gala  de  Medina 
La  Üor  de  Olmedo. 

2)  Sombras  le  avisaron 
Que  no  saliese 

Y  le  aconsejaron 
Que  no  se  fuese 
El  Caballero, 
La  gala  de  Medina 
La  flor  de  Olmedo. 


442  Das  spanische  Drama. 

kehr.  ^)  „Solche  Furcht"  —  weist  die  „Zierde  von  Medina"  die 
Warnung  der  gespenstischen  Teldscheuche,  des  von  ihm  für  einen 
wirklichen  Feldarbeiter  (Labrador)  gehaltenen  Spuks,  zurück  — 
„Solche  Furcht  wäre  für  mein  Adelthum  niedrige  Feigheit."  2) 
Der  Bauer  verschwindet.  Don  Alonso  schreitet  fürbass  in  die 
von  den  beiden  Dons  oder  Dunses,  Don  Eodrigo  und  Don  Fer- 
nando, ihm  gestellte  Mordfalle.  Alonso  setzt  sich  zur  Wehr  mit 
blanker  Klinge.  Auf  ein  Zeichen  der  zwei  Dunses  giebt  Eo- 
drigo's  Diener,  Mendo,  Feuer;  der  Ritter  von  Olmedo  stürzt  zu 
Boden.  Die  Mörder  gehen  davon.  Tello  kommt  zum  Vor- 
schein, findet  seinen  Herrn  in  einer  Blutlache  und  trägt  ihn 
wehklagend  fort. 

Herausgehoben  aus  dem  Zusammenhange,  sind  diese  Scenen 
Lope's  würdig,  und  wirken  mit  realistisch  schauerlicher  Stärke  — 
herausgehoben!  die  isolirte  Trefflichkeit,  die  eben  bricht  über 
sie  den  Stab.  Und  welche  Fülle  von  eingestreuten  Andeutungen, 
von  dramatischen  Momenten,  die,  aus  einer  kunstmässigen  Moti- 
vation entwickelt,  zu  einem  Meisterdrama,  einem  ganz  anderen 
freilich  als  die  vorliegende  Komödie,  aber  zu  einem  dem  Pro- 
blem, dem  Stoffe  ächtbürtigen  Drama,  einem  Shakspearedrama, 
zu  einem  jener  doubtful  plays  mindestens,  sich  gestalten  Hessen.  In 
der  Auflauerungsscene  (XVH)  z.  B.  werfen  die  beiden  leeren 
Dioskuren-Eierschaalen,  Don  Eodrigo  und  Don  Fernando, 
Farbenkörner  hin  —  auf  Lope's  Palette  leider  nicht  zu  dem 
entsprechenden  Gemälde  vertrieben,  sondern  auf  steinigen  Boden 
eben  nur  geworfen.  So  zählt  DonRodrigo  mit  der  von  Alonso 
und  dessen  Diener,  Tello,  durch  die  gespielte  Täuschung,  durch 
die  Einführung  der  infamen  Kupplerin  bei  Dona  Ines,  ihrem  Va- 
ter, ihr  selbst  und  ihrem  ganzen  Hause  zugefügten  Ungebühr 
und  Schmach,  deren  Sühne  die  Komödie  nicht  blos  als  Anhängsel 
anflicken,  sondern  von  vornherein  anlegen  und  aus  den  Einge- 
weiden des  Themas  hervorspinnen  und  durchführen  musste  — 
Eodrigo  zählt  mit  diesen  vom  Liebespaar  an  ihren  Familien, 
an  ihrer  Liebe  vor  Allem  verübten  Unwürdigkeiten  die  Sünden 


1)  Volved  aträs. 

2)  Ell  Uli  nobleza 
Fuera  ese  temor  bajeza. 


'Der  Eitter  von  Olmedo',  eine  Eomanzenkomödie  aus  dem  Stegreif.    443 

und  Schmachflecke  der  Komödie  selber  auf.  0  Welcher  Rück- 
schritt in  dramatischer  Compositionskunst,  verglichen  mit  Cota- 
ßojas  von  Lope  hier  so  ruschelig  und  leichtsinnig  nachgepinsel- 
ter 'Celestina',  wo  die  kathartische  Endabsicht  der  Katastrophe, 
die  in  Lope's  Komödie  albernste  Figur  aus  dem  Munde  als  Mo- 
ralzettel unversehens,  wie  das  Dosenteufelchen  den  scharlach- 
rothen  Zungenlappen,  hervorschnellt  —  aus  den  Conflicten  der 
dramatischen  Verschuldung  entspringt !  Ein  anderes  Weizenkorn, 
von  Lope's  mehr  instinctivem,  auf  gut  Glück,  als  kunstabsichtlich 
schaffendem  Genie  in  die  Dörner  gesät,  ist  die  Angabe  des 
Bauerngespenstes,  dass  er  die  aus  dem  Gebüsch  erklungenen 
Warnungsliedchen  von  einer  Fabia  habe  singen  hören.  2)  Noch 
ein  anderes  keimkräftiges  Saatkörnchen  lässt  er,  nach  Verschwinden 
des  Visionsbauern,  mit  der  Bemerkung  fallen,  dass  die  vernom- 
mene Eomanze  auf  den  Tod  eines  Bürgers  von  Olmedo  gedichtet 
worden,  den  Leute  aus  Medina  del  Campo  ermordet  hätten  3), 
womit  eine  zwischen  Olmedo  und  Medina  del  Campo  obwaltende 
oder  früher  bestandene  Fehde  angedeutet  wird,  die,  in  Verbindung 
mit  der  Einführung  Königs  Juan  IL  und  des  Condestable,  Alvaro 
de  Luna,  zu  einem  ganz  anderen,  d.  h.  zu  einem,  diesem  Stoff,  die- 
ser volksthümlichen  Sage  allein  zukömmlichen  Familiendrama, 
einem  wahrhaft  spanischen  an  jene  Adels  -  und  Städtekriege  sich 
anlehnenden  Eomeo-  und  Julia -Drama  sich  hätte  entwickeln 
können,  entwickeln  müssen. 

Welchen  Ausgang,  welche  Schlichtung  bringt  uns  nun  dafür 
Lope's  Olmedo-Medina-Schauspiel?  Improvisationen  der  schlimmsten 


1)  jQue  honrada  duena  recibio  en  su  casa 

Don  Pedro  en  Fabia!    jOh  misera  doncella!  .  .  . 
jCuantas  casas  de  nobles  caballeros 
Han  infamado  hechizos  y  terceros!  .  .  . 

2)  Labrador,  No  puedo 

Deciros  deste  cantar 
Mas  historia  ni  ocasion, 
De  que  ä  una  Fabia  la  oi. 

3)  Pero  es  cancion 

Que  por  algun  hombre  hicieron 
De  Olmedo,  y  los  de  Medina 
En  este  camino  han  muerto. 


444  Das  spanische  Drama. 

Art!    Oder  ist  es  kein  Stegreifsaustrag,    wenn    auf  des  Con- 
destable  vom  Zaune  gebrochene  Empfehlung   der  beiden  mittelst 
zweier  Hälften    eines  grünen   Freundschaftsbandes   verbundenen 
Froschmäusler  zu  Don  Pedro's  Schwiegersöhnen,  wenn  ihm  König 
Don  Juan  IL   das   Fischblasen -Zwitterpaar   als   würdigste  Ei- 
dame vorstellt?    Und  Don  Pedro,    der  ebenso  aus  freier  Hand 
und  auf  den  Stutz  sich  als  des  Ritters  von  Olmedo,  Don  Alonso 
Manrique,  und  von  diesem  mit  Beschlag  belegter  Schwieger- 
vater ankündigt,   auf   das   vom   Könige   dem  Ritter   verliehene 
Ehrenkreuz  sich  berufend,  das  keine  andere  Schwiegersohnwahl 
zulasse!    Und  Tello's  Improvisation  als  Schlussfeuerwerk?  Tel- 
lo's,   der  die  Ermordung  seines  Herrn,   des  Ritters  von  Olmedo, 
in  der  letzten  Scene  meldet,  und  ein  Tableau  von  den  Schmerzens- 
ergüssen  der  Eltern  an  des  Caballero  blutiger  Leiche,  zu  Hause, 
dort  in  Olmedo,  improvisirt?    Eltern,   die  uns   so   gleichgültig 
wie  der  Comedia  bleiben,  trotzdem  dass  letztere  den  Sohn  dieser 
ein  für  allemal  von  ihr  an  die  Luft  gesetzten  Eltern  zu  ihrem 
usterliebeshelden  und  Ritter  auserwählte!    Dona  Ines'   Aus- 
ruf:   „Weh  mir!"^)  nachdem   sie  Tello's  Bericht  vernommen  — 
verliefe  mit  diesem  „Weh  mir"  das  ganze  Pathos  und  Ausgangs- 
geschick  der  Julia   dieser  spanischen  Romeo-  und  Julia-Liebe, 
auch  nicht  in  den  Sand  einer  blossen  endgültigen   Stoss-  und 
Nothseufzer-Improvisation  pro   forma:   so   spräche  es   doch  den 
verschwenderischen  Aufwand  von  Liebesentzückungen,  worin  sie 
in  den  drei  Acten  schwelgte,  in's  Bereich  epithalamischer  Steg- 
reifslyrik, ohne  dramatischen  Abschluss,  ohne  dramatisches  Sühne- 
bewusstseyn,  ohne  Katastrophe,  die  sich  mit  einer  Hauptfrevlerin, 
der  Fabia,  aus  dem  Staube  machte.    Und  wenn  alle  angedeu- 
teten Stegreifeffecte  sich  zu  rechtfertigen  vermöchten,  so  würde 
doch  des  Königs  über  dies  Mörderpaar  gesprochene  Schlussurtheil 
die   eclatanteste   aller  Improvisationen  bleiben,   indem   dasselbe, 
auf  Enthauptung    der  beiden  Mörder   des  Don  Alonso   lautend, 
ihren  Hälsen  corpora  delicti  aus  dem  Stegreif  aufbürdet  und  auf- 
improvisirt,  die  ihnen  die  Komödie  von  vornherein  abgesprochen: 
Köpfe  nämlich. 


1)  ;Ay  di  mi! 


Lope's  König-Schulze.  445 

El  mejor  Alcalde  el  Key 
(Der  beste  Schultheiss  [Dorfrichter]  der  König). 

Der   lietenswürdigste   zugleich  aller   spanischen   Komödien- 
könige; so  herzfesselnd  liebenswürdig,  dass  man  schier  mit  einem 
Eey  neto,   der  so  wohlthätig   in  die  Familienverhältnisse  eines 
Edelhofbauers  eingreift,  sich  versöhnen  könnte.    Der  Vorgang  be- 
ruht auf  einer  historischen,  von  Mariana  und  Sandoval  er- 
zählten Anekdote.    Letzterer  berichtet:    „Kaiser  Don  Alfonso  (El 
Emperador  Alfonso  VIL,  König  von  Leon  und  Castilien)  0  war  ein 
so  eifriger  Rechtspfleger,  dass  er,  selbst  inmitten  seiner  kriegeri- 
schen, gegen  mächtige  Feinde  gerichteten  Unternehmungen  und 
seiner   schwierigen  Staatsgeschäfte  im  Innern   des  Eeiches,  der 
Fürstenpflicht,  Unbilden  zu  schlichten  und  Verbrechen  zu  stra- 
fen,  aufs  strengste  nachkam.    Als  er  im  Jahre  1189  (1151)  zu 
Toledo  mit  den  Vorbereitungen  zu  dem  Kriege  in  Andalusien  und 
der  Eroberung  des  Königreichs  Jaen  beschäftigt   war,   erschien 
vor  ihm  ein  Landmann  aus  Galizien  mit  einer  Beschwerde  gegen 
die  ihm  von  einem  benachbarten  Edelmann  und  Grundherrn,  Na- 
mens Don  Fernando,  zugefügten  ßechtskränkuDgen  und  Gewalt- 
thätigkeiten.    Der  Kaiser  wies   den  eigenmächtigen  Infanzon  in 
einem  Handschreiben  an,  dem  Landmann  gerecht  zu  werden  und 
sich  künftighin  jeder  Ungebühr  gegen   denselben  zu  enthalten. 
Zugleicherzeit  trug  Kaiser  Alfonso  dem  Oberrichter  des  König- 
reichs auf,   die  Sache  zu  untersuchen  und  rücksichtslos  das  Ge- 
setz walten  zu  lassen,   falls  der  Schuldige   den  Befehlen   nicht 
Folge  leisten   sollte.    Don  Fernando   nahm   nicht   die  mindeste 
Eücksicht   auf  des  Kaisers  Schreiben,   und  der  Oberrichter  ver- 
mochte  nichts   gegen   denselben   auszurichten.    Da  erschien  der 
galizische  Landmann  abermals  vor  Kaiser  Alfonso,  der  nun,  ent- 
rüstet ob  dem  dreisten  Trotzmuth  des  Edelmanns,  sofort  gen  Ga- 
lizien aufbrach,   insgeheim  und  unerkannt.    Am  Orte  angelangt, 
liess  der  Kaiser,  nachdem  er  des  Thatbestandes  sich  vergewissert, 
das  Schloss  des  verwegenen,   sich  eines  solchen  Besuches  nicht 
vermuthenden  Infanzon  von  Mannschaft  besetzen,  den  Gutsherrn 


1)  Gesch.  d.  Drama's  VIIL  S.  454  ff.  Prud.  de  Sandoval,  Hist. 
de  los  Eeyes  de  Oastilla  y  de  Leon.  D.  Alonso  VII  Emperador  de  las 
Espanas.  5arag09a  1634,  p.  201  Era  1189  ano  1151. 


446  I^as  spanische  Drama. 

festnehmen,  einen  Galgen  aufrichten,  und  den  Edelmann  zurstelle 
aufknüpfen.  ^)  Der  gewaltsam  beraubte  Landmann  erhielt  sein 
Eigenthum  zurück.  Das  war  eine  des  grossen  Fürsten  würdige 
That,  und  liess  einen  solchen  Schrecken  in  den  Gemüthern  ähn- 
lich Gesinnter  zurück,  dass  in  der  Folge  Keiner  den  Andern  zu 
bedrücken  wagte.  Kaiser  Alfonso,  als  König  von  Castilien  und 
Leon  der  Siebente,  würde  tausend  Jahre  von  seiner  jenseitigen 
Seligkeit  für  einen  Besuch  auf  seines  dramatischen  Verherrlichers 
Landsitz  mit  Freuden  hingegeben  haben,  um  demselben  eine  aus 
paradiesischem  Lorbeer  geflochtene  Preiskrone,  oder  gleich  lieber 
einen  vom  Himmel  gepflückten  Sternenkranz  für  diese  seine  Kö- 
nigs-Schulzenthat  verewigende  Comedia  zu  überreichen,  eine  Co- 
media,  die  zugleich  des  Dichters  rühm  würdigstes  Werk  und, 
unsers  Bedünkens,  seine  vollendetste  Meisterkomödie  ist. 

Als  Schauplatz  stellt  sich  in  der  ersten  Scene  des  ersten 
Acts  eine  Landschaft  an  den  Ufern  des  Flusses  SiP)  dar,  die 
der  junge  Bauer  Sancho,  präsumtiver  Schwiegersohn  des  Pacht- 
bauern Nuiio,  im  bucolischen  Styl  des  Virgil  begrüsst  mit  einem 
in  Decima's  versificirten  Fragemonolog,  an  die  „edlen  Gefilde 
Galizias"  und  die  sie  besingenden  Vöglein:  ob  sie  jemals  eine 
zärtlichere  Liebe  als  die  seine,  eine  ländliche  Schöne  gesehen, 
die  seiner  Elvira  zu  vergleichen  wäre?  Er  habe  sie  einmal 
hinter  diesen  Kastanienbäumen  Linnen  waschen  sehen,  die  nim- 
mermehr weiss  werden  konnten  unter  Elvira's  weisseren  Händen. 
Er  sah  sie  in  seinem  Versteck  des  Amor  Binde  waschen.  Dass 
der  Himmel  die  Welt  bewahren  möge  vor  dem  ohne  Augenbinde 
herumstreifenden  Amor!^) 


1) y  sin  mas  dilacion  mandö  ponsr  uiia  horca  ä  las  puertas  de 

las  mismas  casas  de  don  Hernando,  y  qne  luego  le  pusiessen  en  ella  a.  a.  0. 

2)  Galizischer  Fluss,  den  der  Minho  aufnimmt. 

3)  Lavaste,  Elvira  unos  panos 
Que  nunca  blancas  volvias; 
Que  las  manos  que  ponias 
Causaban  estos  enganos: 
Yo  deträs  destos  castanos 
Te  miraba  con  temor, 

Y  vi  que  amor  por  favor 
Te  daba  a  lavar  su  vanda. 


Gracioso  Pelayo.  447 

Elvira,  die  den  Monolog  in  ein  Zwiegespräch  überfüh- 
ren kommt,  hält  den  noch  in  der  Knospe  der  Liebeswerbung 
schmachtenden  Sancho  kurz  am  Gängelbande  von  Amor's  frisch 
gewaschener  Augenbinde,  nimmt  ihn  aber  nebenbei  in  die  Frauen- 
schule, ihn  einweihend  in  die  Lehre,  die  Abweisungen  der  Frauen 
stets  im  Gegensinn  des  Wortlautes  zu  nehmen.  ^)  Wenn  es  sich 
doch  nur  ebenso  mit  den  Schwiegervätern  verhielte!  —  denkt 
Sancho,  und  fasst  ein  Herz  und  bringt  seine  Werbung  beim  alten 
Nuno  vor,  während  Elvira  hinter  einer  Ulme  verborgen  das 
Gespräch  belauscht.  Nuno  kommt  mit  seinem  jungen  Schweine- 
hirt Pelayo,  den  er,  Nuno,  wegen  fahrlässiger  Hut  der  ihm 
anvertrauten  Heerde,  angrunzt.  Das  beirrt  den  offenherzigen 
Schweinehirt  nicht  im  geringsten  in  seiner  Bewerbung  um  —  ? 
um  Elvira's  reinste  Hand!  Glücklicherweise  steht  Sancho  noch 
weit  genug  ab  von  den  Sprechenden,  um  sich  für's  erste  nur  über 
Pelayo's  lästige  Gegenwart  zu  ärgern.  Sancho  unterbricht  Pe- 
layo's  Anhalten  um  Elvira  frisch  von  der  Leber  weg  mit  dem 
seinigen  beim  alten  Nuno.  ^)  Pelayo,  der  kein  Blatt  vor  den 
Mund  nimmt,  vergilt  es  dem  Sancho,  dessen  Bewerbung  er  mit 
dem  Lob  seiner  Schweine  und  deren  das  Herz  einer  Braut  nicht 
anders  als  erfreuendem  glatten  und  vor  Fett  glänzenden  Aussehen 
durchkreuzt.  Diese  sich  durcheinander  flechtende  Doppelwerbung 
ist  wieder  acht  spanisch-schematisch ,  dabei  aber  doch  ergötzlich. 
Pelayo  kommt  immer  wieder,  nicht  auf  besagten  Hammel,  aber 
auf  besagtes  Schwein  zurück,  mit  dessen  ansprechendem  Aeussern, 
in  Ermanglung  des  seinigen,  er  bei  Elvira  unfehlbar  Schwein 
zu  haben,  dem  Alten  versichert.  Besagtes  Schwein  erfreue  sich 
einer  so  kräftigen  wohlklingenden  Stimme,  dass  es  mit  Ehren  Ca- 
pellmeister  seyn  könnte.  ^)  Der  alte  Bauer  steht  da  zwischen  bei- 
den Bewerbern  und  wedelt  wie  der  Ochse  beim  Wiederkäuen, 
nach  rechts  und  links  die  Fliegen  ab,  oder  wie  der  Blinde  beim 
spanischen  Wettspiel,  dem  „Schweinegreifen",  wo  der  Blinde  bei 


1)  —  todas  nostras  cosas 

Se  han  de  entender  al  reves. 

2)  Por  Elvira  me  abraso  y  me  consumo. 

3)  Cochino  traigo  yo  por  esta  oriUa  .  . 


Que  pueda  ser  maeso  de  capella. 


448  ^^s  spanische  Drama. 

jedem  Griif  nach  links  und  rechts  über  ein  ihm  zwischen  die 
Beine  rennendes  Schwein  hinstürzt  oder  doch  stolpert.  Von  der 
einen  Seite  giebt  Nuno  dem  Pelayo  mit  seinem  Schwein  Fuss- 
tritte,  von  der  andern  greift  er  nach  Sancho's  von  dessen  Herrn, 
Don  Tello,  dem  Grundbesitzer,  ihm  in  etwaige  Aussicht  zu 
stellendem  wenigen  Vieh.  ^)  Den  ßath  giebt  ihm  der  auf  diese 
Anwartschaft  hin  zur  Schwiegervaterschaft  erbötige  Nuno  in 
Terzinen!  Homer's  edler  Schweinehirt  Eumäos  lässt  es  bei  ein- 
fachen Hexametern  bewenden.  Ein  spanischer  Bauer  spielt  den 
Helden,  trotz  dem  ithakischen  König,  und  spannt  dessen  Bogen  eben 
so  leichterdings  und  noch  obendrein  mit  der  Zunge  und  flötet  ihm 
Terzinen,  Octaven  und  Decimen  auf  der  Sirenenflöte  vor,  dass  dem 
erfindungsreichen  Könige  von  Ithaka  das  Wachs  selber  in  den 
Ohren  vor  Lustkitzel  schmilzt.  Sancho  will  sich,  gern  oder  nicht, 
nach  einer  kleinen  Viehheerde  in  die  Ehe^),  Pelayo  nach  einer 
andern  Ehehälfte  umsehen.^)  Elvira  tritt  aus  ihrem  Lausch- 
versteck hinter  der  Buche  hervor,  nachdem  sich  Vater  Nuno  und 
sein  edler  Sauhirt  entfernt.  Necken  sich  erst  gegenseitig  mit 
vorgeblicher  Hoffnungslosigkeit,  um  sich  desto  ungestümer  als  lie- 
beseliges Brautpaar  in  die  Arme  zu  fliegen.  Sancho  sucht  sei- 
nen Herrn,  den  Edelmann  und  Grundbesitzer,  Don  Tello  auf, 
in  Begleitung  des  ihm  nun  treuherzig  zugesellten  und  allwärts- 
hin,  wie  das  Heilige- Antonius  -  und  Achates-Schweinchen,  folgen- 
den Pelayo,  kündigt  dem  Infanzon  seine  Bewerbung  um  Nuno's 
Tochter  an;  der  splendide  Junker  bewilligt  dem  jungen  Land- 
mann ein  Geschenk  von  zwanzig  Kühen,  und  verspricht  auf  der 
Hochzeit  mit  seiner  Schwester  Felicia  na  als  Gast  zu  erschei- 
nen, aufgeheitert  durch  Pelayo's  echoartig  Sancho's  lebhafte 
Dansagungs-lnterjectionen  wiederholende  und  in's  Gespräch  mit 
Umstellung  der  Beiwörter  hineingehallte  Zustimmungs-Assonan- 
zen. *)   Don  Tello  fragt,  wer  das  .felsenklüftige  Echo  sey  zwi- 


1) 

Como  por  ser  tan  rico  y  dadivoso, 
Daräte  alguna  parte  de  ganado. 

2) 

Sancho. 

Yo  voy  de  mala  gana;  finalmente 
Ire,  pues  tu  lo  mandas. 

3) 

Pelayo. 

Aqui  la  dejo  yo;  mi  amor  se  mnda. 

4) 

Sancho. 

jTanta  merced! 

Pelayo. 

i  Merced  tanta! 

Don  Tello  und  seine  Schwester.  449 

sehen  vier  Wänden.  Pelayo  stellt  sich  ihm  als  der  verlorne 
Sohn  des  Nuno  vor,  dem  er  die  Ferkel  hütet.  ^)  Der  Gracio- 
sisimo  aller  Schweinehirten  anf  gespaltenen  Freiersfüssen! 

Die  Familie  Nuno  ist  über  S  an  c  ho 's  Aufnahme  beim  Guts- 
herrn Don  Tello  und  dessen  Hochzeitsgeschenk  von  zwanzig 
Kühen  entzückt,  und  im  siebenten  Freudenhimmel  vollends  bei 
des  gnädigen  Herrn  Besuch.  Sancho  hält  sich  für  zu  niedrig 
und  gering,  um  dem  Hochedlen  nach  Gebühr  für  so  viel  Güte 
zu  danken.^)  Pelayo,  mit  seinen  Zwischenreden  und  Zwischen- 
schieben seiner  Person,  bei  Don  Tello's  Musterung  von  Nuno's 
weiblichem  Hausgesinde,  macht  sich  wieder  zum  Stichblatt 
der  komischen  Züge  auch  in  dieser  Scene,  die  an  jene  in  Aristo- 
phanes'  „Frösche''  erinnert,  wo  des  Dionys  Diener,  Xanthias,  seine 
Verwunderung,  dass  von  Allem,  nur  nicht  von  ihm  die  Rede  sey, 
dem  Dialog  zwischen  Dionys  und  Herakles  unter  den  Fuss  giebt.  ^) 
So  oft  Don  Tello  um  den  Namen  eines  vod  Nuno's  Haus-  und 
Viehmägden  fragt,  ist  Pelayo  mit  seinem  Namen  bei  der  Hand. 
Nun  tritt  auch  das  gnädige  Fräulein,  Don  Tello's  altadelige  und 
altjüngferliche  Schwester,  Feliciana,  mit  Sancho's  Braut,  El- 
vira,  ein,  mit  der  Peripetie  der  Komödie,  darf  man  sagen,  da 
beim  Erblicken  Elvira's  eine  plötzliche  Wendung  in  den  Gesin- 
nungen des  Infanzon  und  in  den  Geschicken  der  Bauernfamilie 
hereinbricht.  Sein  Aparte  giebt  diesem  jähen  Situationswechsei 
verhängnissvollen  Ausdruck:  „Nie  habe  ich  eine  solche  Schön- 
heit gesehen.  Welche  göttliche  Vollkommenheit !  Wie  weit  über- 
trifft sie  jedes  Lob  und  den  Ruf  ihrer  Schönheit  1   Glückselig  die 


Sancho. 

iTan  grande  bien! 

Pelayo. 

jBien  tan  grande! 

Sancho. 

iRara  virtud! 

Pelayo. 

jYirtnd  rara! 

Sancho. 

iAlto  valor! 

Pelayo. 

jValor  alto! 

Sancho. 

I  Santa  piedad! 

Pelayo. 

jPiedad  santa! 

1) 

El  prodigo  soy  de  Nuno. 

2) 

Fnera  dervario 
Querer  daros  gracias  yo. 

3' 

Gesch.  d.  Dr 

am.  11.  S.  192. 

X 

29 


450  ^^^  spanische  Drama. 

Hoffnung,  die  solchem  Besitz  entgegensieht !"  i)  Auf  Don  Tello's 
Frage  nach  dem  Namen  der  Verlobten,  meldet  sich  Pelayo 
auch  gleich  wieder  mit  dem  seinigen  zu  Nuno's  grimmigem  Aerger, 
der  ihm  jedesmal  mit  einem  Fluch  auf's  Maul  schlägt.  Der 
Traupriester  steht  vor  der  Thür.  Don  Tello  rasch:  Lasst  ihn 
nicht  eintreten,  und  abermals  ein  verhängnissvolles  Aparte:  Diese 
göttliche  Schönheit  bringt  mich  noch  um  den  Verstand.  '^)  Das 
höllische  Feuer,  das  die  Lüsternheit  in  seiner  Seele  entzündet, 
das  überwältigend  Leidenschaftliche  veredelt  die  unreine  Begier 
und  verlangt  eine  gewisse  poetische  Entschuldigung.  Das  sind 
Kunstgriffe  der  Meisterklaue,  die  das  spanische  Blut  freilich  un- 
ter der  Hand  dem  Temperamente  zuschanzt.  Sancho's  auf  die 
Hochzeit  erpichten  Ungestüm  vertröstet  Ihre  junkerliche  Gnaden 
auf  —  Morgen^),  mürrisch  über  des  Bräutigams  Zudringlichkeit. 
—  Armer  Mazetto!  Ein  ßomeo-Motiv:  schicksalvolle  Liebeslei- 
denschaft auf  den  ersten  Blick,  gefacht  in  dem  verruchten  Busen 
eines  Don  Juan  Tenorio!  Der  galizische  Barlador  de  Sevilla 
empfiehlt  sich  mit  seiner  Schwester  Feliciana,  seinem  Leporello 
ge Wissermassen  im  Altjungfern-Unterrock,  und  dem  Brautvater 
empfiehlt  er,  die  Braut  für  diese  Nacht  in  Euhe  zu  lassen.  4)  Ver- 
blüfft bleibt  die  Familie  zurück.  Der  alte  Nuno  zuckt  die  Ach- ^ 
sein  —  was  thun?  Er  ist  der  Grundherr  und  mag  wohl  auch 
hierzu  seinen  Grund  haben.  Aber  auch  Nuno  hat  Grund,  zu 
bedauern,  dass  Seine  herrschaftliche  Gnaden  sein  Haus  betreten.  •*) 


1)  Don  Tello  (Ap.). 

No  he  visto  mayor  beUeza, 
;Que  divina  perfeccion! 
Corta  lia  sido  su  alabanza. 
jDichosa  aquella  esperaiiza 
Que  espera  tal  posession! 

2)  Don  Tello. 

Pues  decid,  que  no  entre  el  cura. 
(Ap.  Que  tan  divina  hermosura  • 
Robandomi  el  alma  estä.) 

3)  Manana  serä  mejor. 

4)  Llevala,  Nuno,  y  descansa 
Esta  noclie. 

5)  No  entiendo  su  voluntad 

Ni  lo  que  pretende  hacer  — 


Riegel  auf,   Riegel  zu.  451 

Das  allein  gebliebene  Brautpaar  ist  so  wenig  einverstanden  mit 
der  vom  gnädigen  Herrn  empfohlnen  „Ruhe  für  diese  Nacht", 
dass  Elvira  vielmehr  den  schon  verzagenden  Bräutigam,  als 
ihren  ein  für  allemaligen  Gatten,  auffordert,  ihr  Alles,  nur  ja 
keine  Ruhe  zu  lassen,  zu  welchem  Zwecke  sie  ihm  denn  auch 
Alles,  nur  nicht  den  Riegel  ihres  Kämmerchens  vorschieben  will.  ^) 
Wie  hüpft  das  schon  verzagte  Herz  dem  miteins  sprungfreudigen 
Zagal  bei  diesem  Rollentausch,  wo,  statt  der  Braut,  der  Riegel 
für  diese  Nacht  in  Ruhe  und  unbehelligt  bleibt!  Preise  Deinen 
Hochzeitstern,  Sancho!  dass  Deine  Elvira  keine  Zerline  ist,  und 
dass  Du,  während  Dein  Gutsherr  Don  Tello,  mit  seinem  Hel- 
felshelfer,  Celio,  Don  Juan-Anschläge  auf  Elvira  schmiedet,  die 
er  Dir,  sobald  er  ihrer  überdrüssig  geworden,  mit  einer  Mitgift 
von  Vieh,  Wirthschaftsgut  und  Geld  zurückzustellen  sich  vorbe- 
hält —  2)  dass  Du  derweile  ihm  den  Riegel  im  Brautkämmer- 
chen  vorschiebst!  —  So  könnte  Sancho  sein  Schnippchen  schla- 
gen, wenn  der  schadenfrohe  Teufel -üebermuth  nicht  allerwegen 
dem  braven  Frohmuth  um  eine  Nasenlänge  voraus  wäre!  Wenn 
Don  Tello's  verlarvter  Diener,  den  Elvira  in  ihrem  Kämmer- 
chen  für  ihren  Sancho  hält,  sich  nicht  ihrer  bemächtigt  und  sie 
dem  Edelherrn  überliefert  hätte!  0  über  den  verrätherischen 
Riegel!  Der  nach  Hülfe  Schreienden  wird  auf  Don  Tello's  Ge- 
heiss  der  Mund  verstopft J)  Erbarmungswürdiger  Sancho,  der 
Du  nun  zum  leeren  Neste  Deines  Hochzeitskämmerchens  heran- 
schleichst mit  der  Weisung  an  dem  heimlichen,  sich  überall  einschie- 
benden Brautführer,  P  e  1  a  y  o ,  als  Posten  zu  wachen,  bis  ihn,  den  glück- 
lichen Bräutigam,  der  Aurora  heimführende  Morgenstern  aus  dem 


Es  Senor.  —  Ya  me  ha  pesado 
De  que  haya  venido  aqui. 

1)  Elvira.    Ya  eres,  Sancho,  mi  marido, 

Ven  esta  noche  ä  mi  puerta 
Sancho.  Teadräsla,  mi  bien,  aperta? 
Elvira.     Pues  ^no? 

2)  Despues  que  ella  me  canse, 
Podrä  este  rustico  iieccio 
Casarte:  que  yo  dare 
Gaiiado,  hacienda  y  dinero  .  .  . 

3)  Täpala  esa  boca. 

29* 


452  ^^^  spanische  Drama, 

Himmel  verscheuchen  wird  —  verwünschter  Morgenstern!  ^)  Fluche 
ihm  nur,  dem  Morgenstern  sammt  der  Morgenröthe,  deren  Fackel 
Dir  einen  schrecklichem  Drachen,  als  Psychen  ihre  Leuchte,  er- 
hellen soll:  ein  leeres  Hochzeitsbett!  „Weisst  Du"  —  bemerkt 
ihm  Pelayo  —  „wem  ich  gleichen  werde,  wenn  Du  da  drinnen 
bist?  Dem  Maulesel  des  Doctors,  der  aussen  vor  der  Thür  am 
Zügel  käut."  2)  Des  stehenden  Zwischeneinschiebsels,  Pelayo, 
einziges  creve-coeur  ist,  dass  er  sich  nicht  auch  hier  dazwischen- 
schieben  kann! 

Die  Schreckenskimde  nimmt  S an cho  dem  alten  Nun o,  der 
im  Mondschein  daher  gerannt  kommt,  von  der  lallenden  Zunge. 
„Ein  Trupp  Bewaffneter"  —  keucht  der  Alte  —  „hat  diese  Thür 
eingebrochen  und"  —  „Vollendet  nicht,  ich  errathe  das  üebrige!"  •') 
—  fällt  ihm  der  unglückliche  Sancho  in's  Wort.  Und  wie  rich- 
tig und  genau  errathet  er's!  als  wäre  er  beim  Raube  dabei  ge- 
wesen. Der  Räuber  kann  kein  Anderer,  als  Seine  Gnaden  selber 
seyn  —  Gott  sey  ihm,  dem  armen  Sancho,  gnädig!  Und  ich, 
ich  selber  war's,  der  unter  mein  Dach  den  wilden  bluttrinkenden 
Löwen  brachte,  der  mir  mein  weisses,  unschuldiges  Lamm  ge- 
raubt! 0  ich  blinder,  ja,  ich  blinder  Thor!  Denn  die  reichen  und 
mächtigen  Hefren,  sie   bringen  nur  Unglück   in   das  Haus   der 


1)  Sancho.  Yo  saldre  cuando  del  alba 

Pida  albricias  el  lucero*), 
Mas  110  me  las  pida  a  me, 
Si  me  ha  de  quitar  riii  cielo. 

2)  Pelayo.    ^Sabes  que  parecere 

Mientras  estäs  allä  deiitro? 
Mula  de  doctor,  que  estä 
Tascando  a  la  puerta  el  freno. 

3)  Nunc.  Un  escuadron  de  armados 

Aquestas  puertas  rompieroii, 
Y  se  han  llevado  .  .  . 
Sancho.  No  mas; 

Que  aqui  diö  iin  mi  deseo. 


*)  ein  geistreich  anmuthiges  Bild:  „Vfenn  der  Morgenstern  sein  Bo- 
ten brod  von  der  Morgenröthe  sich  ausbittet.  Nur  von  mir  verlange  er 
keines,  da  er  mich  einen  Himmel  zu  verlassen  zwingt.** 


Dona  Elvira  und  Don  Tello.  453 

Armen!"  i)  Diesen  Klagerufen  nach  dem  geraubten  Lamm  macht 
nur  der  fallende  Vorhang  des  ersten  Actes  ein  Ende,  der  eben 
so  makellos,  wie  das  schneeweissestei  Vliess  irgend  eines  gewaltsam 
entrissenen  Lammes,  so  rein  von  dramatischen  Sünden  und  Flecken, 
wie  Elvira's  Herz  von  Seelenschuld  und  Fehlen.  Ja  schon  dieser 
erste  Act  ist  durch  Führung  der  Scenen,  Natur-  und  Localtreue 
Zeichnung  der  Figuren,  ländliches  Colorit  und  gefühlvolle  Wärme 
ein  goldnes  Vliess  an  Werth  und  Kostbarkeit. 

Herrlich  bleibt  dieses  Gold  auch  im  zweiten  Act  und 
gleich  in  der  ersten  Scene,  wo  Elvira,  gegenüber  ihrem  schnö- 
den Räuber,  sich  zum  Wächter  dieses  Vliesses  emporrafft:  zum 
feuerspeienden  Drachen.  „Siehst  Du  nicht"  —  fragt  der  unver- 
schämte —  „dass  Liebe  mich  dahinreisst?"  „Nein,  Herr!"  — 
eifert  Elvira  •—  „denn  Liebe,  die  keine  Achtung  vor  Frauen- 
ehre hat,  ist  eine  niedrige  Begierde,  und  kann,  als  garstiges  Ge- 
lüste, nicht  Liebe  heissen.  Liebe  ist  innige  üebereinstimmung  der 
Seelen,  wo  die  eine  Seele  nur  das  liebt,  was  die  andere  wünscht. 
Unkeusches  Verlangen  ist  und  kann  nicht  Liebe  seyn."^)  Ihre 
Ehre,  ihr  höchstes  Gut,  werde  sie  aufs  Aeusserste  vertheidigen. 
„Ich  bin  ein  Weib,  ich  liebe  einen  Andern.    Nichts  werdet  Ihr 


1)  dQ^e  trujese  yo  ä  mi  casa 
El  fiero  leon  sangriento, 
Que  mi  Candida  cordera 
Me  robara!   ^Estaba  ciego? 

Si  estaba;  que  no  entran  bien 
Poderosos  caballeros 
En  las  casas  de  los  p obres 
Que  tienen  ricos  empleos. 

2)  D.  Teil 0.  Tu  crueldad  ^no  considera 

Que  esto  es  amor? 
Elvira.  No,  seilor, 

Que  amor  que  pierde  al  honor 
El  respeto,  es  vil  deseo; 
Y  siendo  apetito  feo, 
No  puede  Ilamarse  amor, 
Amor  se  funda  en  querer 
Lo  que  quiere  quien  desea; 
Que  amor  que  casto  no  sea, 
Ni  amor  ni  puede  ser. 


454  ^^s  spanische  Drama. 

bei  mir  erreichen."  ^)  Schwester  Feliciana  tritt  hinzu  und  ver- 
tröstet den  Bruder  mit  dem  Leporello-Rath:  scheinbar  nachge- 
ben! hinhalten!  Zeit  bringt  Rosen  und  bricht  Rosen.  Morgen 
ist  auch  ein  Tag.  Sagt  sie  heute  nicht  Jh,  so  kann  sie's  morgen 
sagen. 2)  Wiederholtes  Klopfen.  Elvira  entfernt  sich.  Nuno 
und  Sancho  treten  beim  Gutsherrn  ein.  Sancho,  als  galizi- 
scher  Bauerbräutigam,  trägt  das  Caballero-Schwert  auf  der  Zunge 
und  diese  schwenkt  er,  bei  aller  Ehrerbietung  vor  dem  Edelherrn 
und  Pathen,  dass  ihm  die  Augen  flirren  und  er  hoch  betheuert, 
sich  mit  dreister  Lüge  wie  mit  seinem  Wappenschild  deckend, 
er  werde  den  Räuber  zu  züchtigen  und  ihn  zur  Herausgabe  der 
Entführten  zu  zwingen  wissen.  „Wüsste  ich,  wo  sie  verborgen, 
bei  Don  Tello's  Leben,  Du  solltst  sie  wieder  haben!" 3)  Auf  die- 
sen Schwur  tritt  Elvira  ein.  Schmerzvoll  freudige  üeberrar 
schung  für  Vater,  Braut  und  Bräutigam ;  wuthvolle  für  den  Nacht- 
raben, der,  wie  die  Nachtraben  in  scandinavischen  und  deutschen 
Sagen,  Bräute  entführt.  Er  ruft  seine  Leute  herbei  und  be- 
fiehlt, die  Verwegenen  niederzumachen.  Das  Brautpaar  trotzt  dem 
Tode,  selig  in  Gemeinschaft  zu  sterben.  Die  Raub-  und  Mord- 
knechte jagen  Vater  und  Bräutigam  mit  Knüppeln  hinaus.  Der 
gnädige  Herr  schwört  Elviren  den  Schwur  in's  Gesicht:  Er  müsse 
sie  besitzen  und  wär's  mit  Teufelsgewalt,  oder  nicht  der  seyn, 
der  er  ist  %  —  der  Nachtrabe  nämlich ,  den  bald  die  Tagraben 
Stück  für  Stück  sich  holen  werden,  was  er  zurstunde  freilich 
noch  nicht  weiss.  Unter  den  Knüppelhieben  der  Dienercanaillen 
vor  dem . Schlosshof  schwört  Sancho,  nicht  leben  zu  wollen  ohne 
Elvira,  und  vor  der  Räuberhöhle  lieber  den  Streichen  zu  erliegen. 
„Besser  doch"  —  meint  Vater  Nuno  —  „Du  lebst,  und  forderst 
Gerechtigkeit.    Versagt  sie  Dir  der  König,  so  appellire  an  die 


1)  Soy  11] ujer  y  tengo  amor: 
Nada  has  de  alcanzar  de  mi. 

2)  Tello,  si  lioy  no  dijo  si, 
Podrä  decirlo  manana. 

3)  Yo  no  se  donde  estä;  porque,  ä  sabello 
Os  la  diera,  por  vida  de  Don  Tello. 

4}  Que  por  fuerza  has  de  ser  mia, 

0  no  he  de  ser  yo  quien  fui. 


Ein  Leporello  im  Unterrock.  455 

nächst  höhere  Instanz,  an  öott!"^)  Selbstverständlich  kommt 
nun  Pelayo  daher,  seinen  Senf  nachträglich  dazwischen  zu  schie- 
ben, und  welche  Aussicht  für  seinen  Senf  in  Leon,  der  Resi- 
denz König  Alfonso's,  wohin  er  Sancho  begleiten  soll,  und 
nicht  als  Senf  nach  Tische,  sondern  bei  Tische  zu  dem  Schinken 
und  Eierkuchen,  womit,  wie  er  sicher  weiss,  die  Strassen  von 
Leon  gepflastert  sind! 2) 

Infanzon  Don  Tello,  immer  wilder  vor  Liebesbrunst,  nicht 
wie  ein  galizischer,  aber  wie  ein  andalusischer  Vollbluthengst, 
erneuert  mit  Hülfe  seines  Leporello  im  Unterrock,  Schwester 
Felicia  na,  die  hippomanischen  Angriffe  auf  Elvira's  Wider- 
,  stand,  derengleichen  auch  Don  Juan  Tenorio  auf  dem  bal  cham- 
petre  unter  Leporello's  Beistand  gegen  Zerline  in's  Werk  setzt. 
Wir  stehen  nun  am  grossen  Ereigniss  der  König- Alcalden-Come- 
dia:  Sancho 's  Audienz  beim  Emperador  Alfonso  VIL,  dem 
der  junge  galizische  ßauer-hidalgo  3)  seine  Klage  vorträgt;  die 
räuberische  Brautentführung,  die  Vergewaltigung,  die  ihm  und 
seinem  Vater  zugefügten  Misshandlungen,  die  auf  seinen  und  des 
Vaters  Hidalgo -Schultern  endossirten  hagebuchenen  Stockprügel, 
in  den  weichsten  Sextinen,  dem  Könige  zu  Füssen  legt.  4) 
Prügel  von  Dornzäunen  als  Sextinen  zubereitet,  schmecken  dem 


1)  Sancho.  Vive  Dios,  de  no  quitarme 

De  los  umbrales  que  veo, 
Aunque  me  maten!  qiie  vida 
Sin  Elvira  no  la  quiero. 
Nuno.       Vive,  y  pediräs  justicia; 

Que  rey  tienen  estos  reinos, 
0  en  grado  de  apelaeion 
La  podras  pedir  al  cielo. 

2)  Dicenme  acä,  de  la  corte, 
Que  con  liueros  y  torreznos 
Empiedraii  todas  las  calles. 

3)  Sefior,  Yo  soy  liidalgo 

4)  Que  habiendola  pedido 

Con  lagrimas  su  padre  y  Yo,  tan  fiero, 

Senor  ha  respondido, 

Que  vieran  nuestros  pechos  el  acero; 

Y  siendo  hidalgos  nobles 

Nuestros  hoinbros  las  ramas  de  las  robles. 


456  Das  spanische  Drama. 

spanischen  Ohr  so  lieblich,  wie  Spargel  in  Butter  einem  Deut- 
schen, oder  wie  die  Markkerne  stachliger  Artischoken  neapolitani- 
schen Gaumen.  Pelayo  als  Zwischenbemerker ,  beleckt  sich  die 
Lippen  beim  Schmaus,  wie  Philemon's  grauer  Pelayo  beim  Feigen- 
Zwischengericht,  während  der  Kaiser  den  Brief  an  Don  Tello 
schreibt,  jeder  Buchstabe,  wenn  nicht  ein  Schlag,  ein  Wink  mit 
dem  Zaunpfahl,  und  nicht  in  Bachamelle-Sauce  von  spanischen 
Sextinen.  sondern  gewürzt  mit  spanischem  Pfeffer.  König  und 
Kaiser  Alfonso  erfreut  sich  eben  so  sehr  an  der  Parenthese  in 
Gracioso-Gestalt,  an  Pelayo,  wie  dieser  am  Rey-Alcalde,  in 
der  Knospe  der  lettre  de  cheval,  an  den  Infanzon- Caballero. 
„Welcher  drollige  Bauerbursche!"  ^)  lächelt  der  Kaiser  und  König, 
in  den  Bart.  Und  Sancho's  Anhängsel,  das  ihn  so  parallel,  wie 
der  Commentar  den  Text,  begleitet,  der  „gracioso  labrador*',  ver- 
sichert dem  Emperador  huldvollst,  er  sey  eigens  nach  Toledo  auf 
seinem  vor  jedem  Wirthshaus  entweder  bocksteif  dastehenden, 
oder  auf  eigene  Rechnung  hinein  zurstelle  trabenden  Klepper-) 
hergeritten ,  um  des  Königs  Bekanntschaft  zu  machen.  ^)  Der 
sich  geschmeichelt  fühlende  König  schenkt  dem  amüsanten  Bur- 
schen einen  von  diesem  nicht  für  voll  gehaltenen  Beutel  mit 
Goldstücken,  nach  einem  Aparte,  worin  sich  Emperador  Al- 
fonso VII.  im  Stillen  über  das  seltene  Phänomen  wundert,  dass 
eine  und  dieselbe  Gegend  zwei  durch  so  verschiedene  Gaben 
merkwürdige  Geschöpfe  zusammengestellt:  der  eine  merkwürdig 
durch  seinen  Verstand,  der  andere  noch  merkwürdiger  durch  seine 
Dummheit.^)    Für  uns  dadurch  insonders  merkwürdig,    dass  er 


1) 

•Que  gracioso  labrador! 

2) 

Y  en  viendo  un  meson  delante, 
0  se  entra  o  se  pära  delante. 

•'5)  ' 

Soy  en  fin 
Que  per  vos  su  patria  de  ja 

4^ 

Eey  (Ap. 

iQue  dos  hombres  peregrinos 
Aquella  terra  junto, 
Aquel  con  tal  discrecion 
Y  este  con  tanta  ignorancia!) 
Toinad  vos.  (Dale  un  bolsillo.) 

Pelayo. 

No  es  de  unportancia. 

Pelayo's  Ohren.  457 

hinter  Sancho's  Verständigkeit  stets  das  bekannte  parallele  Ohren- 
paar hervorsteckt  und  zwischendurchschiebt. 

Sancho  überreicht  seinem  Gutsherrn  und  Brauträuber  des 
Königs  Schreiben,  dessen  Inhalt  wir  schon  aus  Sandoval  kennen. 
„Beim  Himmel!"  —  ruft  Don  Tello,  nachdem  er  den  Brief 
gelesen  —  „ich  erstaune  über  meine  Sanftmuth.  Glaubst  Du, 
Elender,  dass  ich  die  Folgen  Deiner  Vermessenheit  fürchte? 
Weisst  Du,  wer  ich  bin?''  Vor  Schrecken  richtet  Pelayo  das 
Ohrenpaar  hinter  Sancho's  Rücken  empor,  ingestalt  zweier  Hei- 
ligen: Sanct  Blasius  und  S.  Paulus.  „Ihr  Bauerntölpel"  —  wet- 
tert Infanzon  —  „wenn  es  mir  beliebt  hat,  Euch  dieses  Weib  zu 
entreissen,  so  bin  ich,  der  ich  bin.  Hier  bin  ich  Herr,  und  be- 
fehle' ich,  wie  der  König  in  Castilien.  Denn  diese  Ländereien 
verdanken  meine  Vorfahren  nicht  den  seinigen,  sie  haben 
den  Mauren  sie  entrissen^),  wie  ich  Dir  Dein  Weib,  gemeiner 
Wicht!  Hinaus  auf  derstelle  aus  meinem  Palast!  fort  mit  Euch 
von  meinem  Grund  und  Boden,  oder  ich  lass'  Euch  mit  Knitteln 
todtschlagen,  Spitzbuben,  Bauernknechte,  Lumpenpack  -—  mit  mir 
sich  messen!  mit  mir!"  2)    Pelayo  schiebt  nur  Ein  Ohr  in  die 


1)       D.  Tello.  iVive  Dios, 

Qiie  de  mi  piedad  me  espanto! 
<iPiensas,  villano,  que  temo 
Tu  atrevimiento  en  mi  daiio 
^Sabes  quien  soy? 


Pelayo.  ;San  Blas!  Sau  Pablo! 

D.  Tello.  Villano,  si  os  he  quitado 
Esa  mujer,  soy  quien  sOy, 

Y  aqui  reino  en  lo  que  mando, 
Como  el  rey  en  su  Castilla; 
Que  no  deben  mis  parados 

A  los  suyos  esta  tierra; 
Que  ä  los  moros  los  ganäron. 
D.  Tello.  Salid  luego  de  palacio, 

Y  no  pareis  en  mi  tierra; 
Que  os  hare  matar  ä  palos 
Picaros,  villanos,  gente 

De  solar  humilde  y  bajo 
iConmigo! 


458  1^3-8  spanische  Draraa. 

Höhe,  da  sich  das  andere  vor  Angst  verkriecht.  Das  eine  Ohr 
ruft  den  heiligen  Mauricius  an  zu  Hülfe.  Sancho,  mit  Pelayo 
allein,  fasst  den  Entschluss,  nach  Leon  zum  Könige  zurückzu- 
kehren. Pelayo  stellt  ihm  seine  vom  Könige  erhaltenen  Dou- 
blonen  und  auch  die  ihm  von  der  Natur  geschenkten  Doublonen, 
das  parallele  Ohrenpaar,  zugebote  behufs  Einschaltung  in  das 
Zwiegespräch  mit  König  Alfonso,  oder  Einbiegung  in  den  Dialog 
als  Lesezeichen,  und  giebt  zuletzt  noch  mit  demselben,  zum 
Schlüsse  des  zweiten  Actes,  dem  Sancho  einen  gloriosen  Fin- 
gerzeig, der  Sancho's  Ohren  lauschen  und  spitzen  macht:  „Auf, 
Sancho!  Machen  wir  uns  auf  den  Weg.  Noch  hat  dieser  Mensch 
Deine  Elvira  nicht  herumgekriegt!"  —  Sancho.  „Woher  weisst 
Du  das,  Pelayo?"  Pelayo.  „Er  hätte  sie  Dir  sonst  gewiss  zu- 
rückgegeben." Die  Ohren,  im  Hochgefühle  ihres  den  Nagel  auf 
den  Kopf  treffenden  Winkes,  nicken  sich  selber  Beifall  zu,  und 
den  Masqueteros  im  Parterre  ein  Tlaudite!'  im  Verein  mit  ihrem 
stehenden  Doppelgänger,  dem  hohen  'Senado'.  Ein  donnerndes 
Plaudite,  das  dem  ganzen  zweiten  Act  gebührt,  der  an  tadelloser 
Trefflichkeit  dem  ersten  nichts  nachgiebt  und  nur  mit  seinem 
Vordermann,  dem  ersten,  gegen  den  dritten  Act,  der  dem 
Meisterwerk  die  König- Alcalden-Krone  aufsetzt,  in  zweite  Linie 
zurücktritt. 

Der  dritte,  der  Kronenact,  stellt  Sancho  und  seinen  Ap- 
pendix ohne  weiteres  vor  des  Kaiser -Königs  Majestät,  der  den 
Kaisertitel  beim  Krönungsact  zu  Toledo  (1135)  auch  ohnewei- 
teres annahm.  Alfonso's  Begrüssung  des  Sollicitantenpaars  klingt 
inderthat  ganz  kaiserlich:  „Die  Armuth  ist  ein  Anspruchstitel 
auf  meine  Gunst"  —  wörtlicher:  „Der  Arme  überreicht  mir  in 
seiner  Armuth  sein  Empfehlungsschreiben."  0  Nachdem  der  wahr- 
haft kaiserliche  König  Sancho's  erneute  Klage  vernommen,  kün- 
digt er  den  beiden  anwesenden  Kammerherren  seinen  Entschluss 
an,  zurstelle  nach  Galicia  aufzubrechen,  heimlich  und  incognito. 
Schärft  dem  Sancho  Verschwiegenheit  ein,  und  dem  Pelayo  ab- 
solutes Stillschweigen:     „Die  Hand  auf  den  Mund!  so!  verstehst 


1)  —  el  pobre  para  mi 

Tiene  cartas  de  favor. 


Pelayo  als  Harpokrates.  459 

Du  wohl?  Die  Finger  nicht  von  den  Lippen!"  ^)  Keinen  Laut! 
Um-,  Ab-  oder  Zwischenlaut.  Was  Finger!  Als  Zeichen  unver- 
brüchlichen Verstummens  schlägt  sich  Pelayo  mit  den  Ohren 
aufs  Maul  und  bittet  sich  nur  so  viel  Mundöffnung  aus,  als  zum 
jeweiligen  Dazwischenschieben  von  Brocken  und  Bissen  unum- 
gänglich nöthig  ist.  Auf's  Gähnen  leiste  er  Verzicht.'-^)  Be- 
scheiden bittet  Sancho,  der  König  möge  nur  einen  Alcalde  als 
Stellvertreter  nach  Galizia  senden.  König  entlässt  ihn  mit  den 
wiederum  acht  kaiserlichen  Worten,  die  den  Titel  der  muster- 
gültigen, eines  Emperador-Poeten  würdigen  Comedia  zu  bilden 
verdienen:    „Der  beste  Alcalde  ist  der  König." 3) 

Der  alte  Nuno  bespricht  sich  mit  seiner  Tochter  Elvira 
am  Fenstergitter  des  gutsherrlichen  ßaubschlosses  und  vernimmt 
mit  trostvoller  Freude,  dass  ihre  Frauenehre  noch  unzugänglicher 
gegen  die  Angriffe  ihres  Räubers  vergittert,  verriegelt  und  ver- 
schanzt geblieben,  als  das  Fenster  ihres  Schlosskämmerleins.  Der 
alte  Vater  möge  sich  beruhigen  in  der  stolzfreudigen  Ueber- 
zeugung,  dass  seine  Tochter  eher  das  Leben  als  ihre  Jungfrauen- 
ehre dem  Raubmörder  preisgeben  werde.  ^)  Die  Situation  am 
Fenstergitter  zwischen  Vater  und  Tochter  ist  ein  neues   eigen- 


1)  Rey.  Paesta  en  la  boca  lä  mano 

Desta  nianera  .  .  .  ädvertid  .  .  . 
Porque  no  habeis  de  quitar 
De  los  labios  los  dos  dedos. 

2)  Pelayo.     Los  tendre  tan  quedos, 

Que  110  osare  bostezar, 

Pero  SU  merced  — 

Me  ha  de  dar  lana  licencia 

De  comer  de  quando  en  quando. 

3)  Sancho.     Enviad,  que  es  justa  ley, 

Para  que  haga  justicia, 
Algun  alcalde  a  Galicia. 
Rey.  El  mejor  alcalde  el  Rey. 

4}  Y  puedes  estar  ufano 

De  que  he  perder  la  vida 
Primero  que  este  homicida 
Llegue  ä  triunfar  de  mi  honor, 
Aunque  con  tanto  rigor 
Aqui  me  tiene  escondida. 


460  Das  spanische  Drama 

thümliches  Gegenbild  zu  den  stereotypen  nächtlichen  Liebesbe- 
suchen am  Fenstergitter  der  spanischen  Komödien -Heldinnen, 
deren  bräutliche  Ehre  keinesweges  hinter  ihren  Eisengittern  so 
unnahbar  hinter  Schloss  und  Riegel  ruht,  wie  Elvira's  in  dieser 
Musterkomödie.  Dort  sind  es  in  der  Regel  —  Fallgitter,  und 
die  galanes  „spanische  Reiter'',  aber  solche,  die  mit  eingelegter 
Gitterlanze  durch  das  aufgezogene  Fallgitter  in  die  gefallene 
Festung  ihren  Einzug  halten.  Auch  dies  ergänzt  die  Situation 
zum  Kehrbild  der  üblichen  Balcon-  und  Fensterliebesscenen  in 
der  spanischen  Komödie,  dass  hier  der  Ritter-Galan  —  ein  Raub- 
ritter freilich  —  dass  hier  Don  Tello  den  Vater  mit  der  Toch- 
ter überrascht,  der  sonst  die  Tochter  mit  ihrem  Ritter  und  Buh- 
len betrifft.  Vollends  auf  den  Kopf  stellt  die  herkömmliche  Git- 
tersituation das  Donnerwetter,  das  hier  der  Raubritter  und  Galan 
durch  Teufelsgewalt  über  das  greise  Haupt  des  Vaters  entladet, 
ein  Donnerwetter,  womit  sonst  Komödien- Väter  oder  Brüder  die 
Köpfe  der  Gitter-Ritter  waschen:  „Vergebens,  Ihr  Bauernkerle, 
sind  Eure  Klagen,  Thränen  und  Schliche.  Ihr  werdet  mir  den 
Gegenstand  meiner  Leidenschaft  nicht  entreissen!"  i)  Der  alte 
wehrlose  Vater  —  was  bleibt  ihm  übrig?  —  Er  zieht  ab  mit 
trauervoll  gesenktem,  von  Alters-  und  Grames-Asche  gebleichtem 
Haupte,  jammernd  —  aparte,  versteht  sich!  —  aparte  jammernd 
über  diese  ümkehrung  aller  menschlichen  und  göttlichen  Gesetze, 
dass  der  Arme  auch  seine  Ehre  vom  Reichen  muss  mit  Füssen 
treten  lassen,  und  diese  Fusstritte  als  sein  zukömmlich  Recht,  ja 
diese  Fusstritte  sich  noch  als  besondere  Ehre  anrechnen  muss!  '^) 
Uns  aber  —  vergieb  alter  um  Ehre  und  Tochter  beraubter  Bau- 
ernbrautvater! —  Uns  lacht  das  Herz  ob  dieser  ümkehrung  der 
spanischen  Komödien-Gesetze,  und  freut   sich  alcaldenköniglich. 


1)  D.  Tello.    Aunque  mas  formeis,  villanos, 

Quejas,  Uantos  e  invenciones 
La  causa  de  mis  pasiones 
No  ha  de  salir  de  mis  manos. 

2)  Nuno  (Ap,) 

iQue  sufra  el  mundo  que  esten 
Sus  leyes  en  tal  lugar, 
Que  el  pobre  al  rico  ha  de  dar 
Su  honor,  y  decir  que  es  justo. 


Don  Tello  als  Sextus  Tarquinius.  45  t 

t 

auch  einmal  auf  eine  spanische,  eine  Lope-Comedia  zu  treffen, 
wo  Vater  und  Galan  die  stehenden  Rollen  des  'Gitter-Rendez- 
Vous'  tauschen :  Der  Vater  mit  Schand'  und  Spott  davonschleicht, 
und  der  Galan  von  Teufels-Gnaden  die  Tochter  einsperrt.  Und 
wenn  der  grundherrliche  Hallunke  es  noch  bei  Schloss  und  Rie- 
gel bewenden  Hesse!  Seine  infame  ehrenschänderische  Brunst  — 
hilf,  Rey-Alcalde!  —  liegt  schon  auf  dem  Sprung,  Schloss  und 
Riegel  gewaltsam  zu  zerbrechen,  das  „Schlösschen",  das  Braut- 
schlösschen,  worauf  unser  ühland  zielte  —  nicht  blos  zu  „ge- 
fährden", es  zu —  Rey-Alcalde,  Rey-Alcalde!  tummle  Dein  Ross! 
spreng  heran  mit  verhängtem  Zügel!  —  es  zu  erstürmen;  es  zu 
—  um  mit  Don  Tello's  dienstfertigem,  davor  aber  doch  zurück- 
schreckendem Helfershelfer,  Celio,  zu  reden  —  forzalla!^) 
Lässt  sich  Don  Tello  bedeuten?  So  wenig  wie  des  Posthumus 
oh !  grunzender,  eichelgemästeter,  „deutscher  Eber."  ^)  Der  galizi- 
sche  schäumt  und  schweisst:  „Mein  muss  sie  seyn,  eh'  noch  der 
Tag  sich  wendet!  Tritt  meinem  Sprung  und  Gusto  nicht  in  den 
Weg,  sonst  rennt  er  Dich  über  den  Haufen!"  ^)  War'  der  Eber 
besonnen,  hiess  er  nicht  der  Tello.  Tarquin  —  Sextus  Tarquinius 
nämlich  —  schrie  auch  üp!  huck  auf  die  Maid!  und  büsste  seinen 
gusto.  ^)  Während  dessen  besteht  in  Nuiio's  Bauernstube  Gra- 
cioso  Pelayo  die  grössten  Gefahren,  sich  als  Zwischensprecher 
vor  Nuno  zu  verschnappen,  und  durch  die  zwei  Finger  hindurch, 
die  er  dem  Könige  Alfonso  in  Leon  als  sein  unverbrüchliches 
Maulschloss  angelobt  hatte.  Nuno's  bangmüthiger  Hoffnungslo- 
sigkeit mit  Andeutungen  über  den  herbeieilenden  Retter  unter 


1)  Und  als  er  sie  schwingt  nun  im  bräutlicben  Eeigen, 
Da  flüstert  er  leise,  nicht  kann  er's  verschweigen: 

„Schön  Jungfräulein, 
Hüte  Dich  fein! 
Heut  Nacht  wird  ein  Schlösslein  gefährdet  seyn." 

Graf  Eberstein. 

2)  Cel,  Qtie  forzalla  es  craeldad. 

3)  Like  a  full-acornd  boar,  a  Gernian  one, 
Cried  oh!  and  mounted  .  .  .    Cymb.  II,  5. 

4)  D.  Tello.  No  repliques  ä  mi  gusto. 

5)  Tarquino  tuvo  por  justo 

No  esperar  tan  sola  una  hora. 


462  Das  spanische  Drama. 

• 
die  Arme  greifend,  vergisst  der  in  alle  Dialogentöpfe  seine  Nase 

oder  Zunge  steckende  Zwischenredner  das  vom  König  Alfonso 
ihm  auferlegte  Maulschloss,  die  beiden  Finger  an  den  Lippen,  im 
besten  Zuge,  durch  dieselben  hindurch  aus  der  Schule  zu 
schwatzen,  und  mit  dem  Titel  der  Komödie  als  mit  der  Thür 
in's  Haus  in  die  Katastrophe^  zu  fallen  und  dem  König  und  der 
Komödie  den  Spass  zu  verderben.  Sancho  hat  seine  Hände  voll 
zu  thun,  um  Pelayo's  Finger  an  ihr  Gelöbniss  zu  erinnern  i),  und 
ihn  auf's  Maul  zu  schlagen.  In  diesem  Alles  auf  die  Kippe  stel- 
lenden Augenblick  kommt  Nufio's  Ackerbursche  Brito  —  ge- 
segnet seyen  Deine  Beine,  Brito!  —  dahergerannt  mit  der  Mel- 
dung: „Drei  Caballeros  sind  eben  vor  der  Hausthür  abgestie- 
gen." Kaum  gemeldet,  sind  die  drei  schon  in  der  Stube:  König 
Alfonso  mit  den  beiden  Hofcavalieren ,  dem  Conde  de  Castro 
und  Don  Enrique  —  Für  Nuiio,  versteht  sich,  nur  Brito's 
drei  Caballeros.  Eine  der  schönsten  und  ergötzlichsten  Situations- 
Scenen  an  der  Schwelle  einer  Komödien -Katastrophe!  Schön, 
durch  die  Incognito  -  Erscheinung  des  kaiserlichen  Königs  als 
Dorfrichter,  ein  Rey-Justiciero  in  Gestalt  eines  vom  Könige  zum 
Halsrichter  bevollmächtigten  Dorfschulzen.  Ergötzlich,  durch  den 
naiv  graziösesten  Bauerrüpel -Gracioso  der  spanischen  Komödie, 
unsern  unvergleichlichen  Pelayo,  dem  nun  der  liebenswürdigste, 
bauernfreundliche,  der  für  Alle,  ausser  Pelayo  und  Sancho,  uner- 
kannt seyn  wollende  König-Justiciero  jeden  Augenblick  die  Fin- 
ger auf  den  verschnappungslustigen  Mund  legen  muss!  Um  so 
verschnappungslustiger,  als  seine  Herzensfreude  über  die  Anwe- 
senheit des  königlichen  Schulzen  mit  seinen  Schweigefingern 
durchgeht!  Und  wie  der  Verschnappte  dem  Verkappten  das  Haus- 
gesinde, jeden  Einzelnen,  vorstellt^sammt  dessen  Curriculum  vitae! 
Und  Alles  in  so  reiner  lieblicher  Natureinfalt  und  Wahrheit! 
Aglaja,  die  frohsinnige,  Euphrosyne,  die  holdselige  und  der  ko- 
mischen Muse  scherzhaft  anmuthvolle  Namensvetterin,  Thalia  — 
die  drei  Grazien  haben  dem  alten  Lope  beim  Schreiben  dieser 
Komödie  Hände,  Augen  und  Mund  unzähligemal  und  mit  wett- 


1)    Sancho.        Pelayo  ^teneis  juicio? 
Pelayo  (Ap.) 

Olvide  me  de  los  dedos. 


Ich  der  König.  463 

eifernder  Herzenslust  geküsst.  Auf  das  Aparte  des  Königs,  das 
dem  Nuno  den  Auftrag  giebt,  Priester  und  Scharfrichter  heim- 
lich kommen  zu  lassen^),  würde  die  Göttin  der  Gerechtigkeit, 
Themis,  in  Person  dem  kaiserlichen  Schulzen  ihr  Schwert, 
knieend,  zur  Verfügung  stellen.  Es  ist  aber  auch  die  höchste  Zeit. 
Elvira's  Frauenehre  schwebt  auf  dem  äussersten  Rande  der  Noth- 
wehr,  auf  den  höchsten  Tönen  des  Nothschreies  nach  göttlicher 
Hülfe  gegen  ihren  Raubritter,  vor  dem  sie  durch  die  Zimmer- 
flucht seines  Jungfernzwingers  oder  Twinghofs  dahinstürzt,  und 
er  hinterdrein,  taub  gegen  die  Vorstellungen  seiner  Schwester,  die 
um  Mitleid  für  die  Verfolgte  fleht.  Während  dieses  lustigen 
Jagens  erscheint  der  König  mit  seiner  Begleitung,  worunter 
auch  Sancho.  Celio,  von  Tello's  Kuppler  zu  dessen  Warner 
umgewandelt,  fragt  den  Fremden,  der  bei  Don  Tello  angemeldet 
zu  werden  wünscht  —  Und  wer,  sag'  ich  ihm,  seyd  Ihr?  Ich, 
antwortet  der  König  2)  --  Celio  stutzt,  eilt  aber,  den  Yo  vor 
der  Thür  zu  melden  s),  erschrocken,  wie  Leporello  vor  dem  stum- 
men Gast.  Don  Tello  lässt  dem  Ich  sagen,  er  kenne  nur  zwei 
Ichs:  Gott  und  den  König,  So  meldet  mich,  erwidert  das  kö- 
nigliche Ich,  als  Hofschulz  des  Königs.  4)  Nuno  stellt  sich 
nun  auch  ein  mit  seinem  Hausgesinde.  Zornmuthig  ranzt  Don 
Tello  den  Alkalde  des  Königs  an,  und  fragt  ihn  nach  seinem 
Richterstab.  Diesen  trage  er  —  versetzt  der  König  —  noch  in 
der  Scheide.  „In  der  Scheide!  Ei!  Ihr  wisst  wohl  nicht,  dass 
Niemand  Hand  an  mich  legen   darf,    es   sey  denn  der  König." 


1)  Eey.  (Ap.  ä  Nuno.) 

Haced  traer  de  secreto 
ün  derigo  y  un  verdugo. 

2)  Celio.  Y  ^quien  dire  que  sois? 
Eey.  Yo. 

Anspielung  auf  das  Yo  el  rey. 

3)  Yo  voy  ä  decir  que  Yo 
Estä  ä  la  puerta. 

4)  Eey.  Pues  un  alcalde  decid 

De  SU  casa  y  corte. 
Schöppe  beim  Stadtgericht  der  Eesidenz.     Celio  wundert  sich,  verdutzt 
über  diese  neue  Würde. 


464  ^^^  spanische  Drama. 

Nun  denn!  Ich  bin  der  König,  Elender I^)  Leporella,  Feli- 
ciana,  ruft  vor  Schrecken  den  heiligen  Dominik  von  Silos  an. 
Dem  Junker  bleiben  alle  Heiligen  in  der  Kehle  stecken,  er  kann 
nur  aparte  sein  Schuldbekenntniss  röcheln,  seine  Versündigung 
an  Gott  und  König.  2)  Nun  stürzt  Elvira  selber  herbei 
mit  aufgelösten  Haaren,  erzählt  den  Hergang,  die  Sünden  ihres 
Ehrenräubers  in  eine  Schlussanklage  zusammenfassend,  und  fleht 
in  sechssylbigen  Endechas-Versen  zu  des  Königs,  „des  besten 
Alcalde",  Füssen  um  Gerechtigkeit.  Der  furchtbare  Alcalde  be- 
fiehlt, den  Scharfrichter  zu  entbieten,  Feliciana's  Gnadenflehen, 
und  selbst  des  Conde  de  Castro  Verwendung  bleiben  wirkungs- 
los. Gnade  und  Mitleid  darf  sich  nicht  geltend  machen  —  auf 
Kosten  der  Gerechtigkeit-^)  entscheidet  der  König,  und  gebietet 
dem  Tello,  Elviren,  behufs  Wiederherstellung  ihrer  Ehre,  die 
Hand  als  Ehegatte  zu  reichen,  damit  sie,  nach  seiner  Enthaup- 
tung, sich  mit  Sancho  vermählen  könne.  Und  so  vollzieht 
sich's  auch.  Pelayo  hat  selbstredend  das  letzte  Wort,  womit 
er  dem  besten  Schulzen  unter  den  Königen  das  Zeugniss  aus- 
stellt: „Ein  Mordkerl  von  König!" 4)  Der  Comedia  aber,  deren 
Held  dieser  Emperador  als  Landrichter  ist,  würde  ohne  alle 
Frage  unser  Pelayo  das  Zeugniss  ausstellen,  dass  sie  durch 
wohlthuende  Einfachheit,  Sühne  des  Rechtsgefühls,  naive  Komik, 
tadellose  Führung  Lope  de  Vega's  Meisterwerk  ist  und  an  in- 
nerem Kunstwerthe  tausend  mindestens  von  seinen  zweitausend 
Dramen,  die  glänzendsten  nicht  ausgenommen,  aufwiegt. 


1)  Don  Tello. 

Si  el  Key  no  viene  ä  prenderme, 
No  hay  en  todo  el  mundo  quien. 
Eey.  Pues  yo  soy  el  Rey,  villano. 

2)  Don  Tello  (Ap.) 

Mi  justa  muerte  ha  Uegado 
A  Dios  y  al  Rey  ofendi. 

3)  Rey.  Cuando  pierde  de  su  punto 

La  justicia,  no  se  acierta 
En  admitir  la  piedad. 

4)  ; Bravo  Rey! 


Lope's  geistliche  Komödien.  465 

Lope's  Autos. 

Lope's  Aut.  Sacram*  DelPan  y  del  Palo^)  feiert  die  Ver- 
mählung der  Seele,  hier  schlechtweg  'La  Esposa'  genannt, 
mit  Christo,  dem  ewigen  König  (Bey  eterjio). '^)  Das  Auto 
ist  eine  mystisch-allegorische  Pastorale.  Die  Wohnung  der  Seele, 
ihre  Schäferhütte  (aldia)  ist  der  Leib.  Die  Sinne  (los  Sentidos) 
treten  als  Frohnarbeiter  auf  (Labradores).  Dem  Brautpaar  wird 
das  Kreuz  als  Sinnes-  und  Euhmesfahne,  als  himmlische  Ori- 
flamme  und  Laterne  voraufgetragen.  3)  Gutjahr  (Buenano)  und 
Freude  (regocijo)  verlangen  nach  dem  heiligen  Brode.  ^)  E  sposa 
lechzt  gleichfalls  nach  der  Götterspeise^),  dem  erquickendsten 
Hochzeitsmahle.  Vivatrufe  dem  „wonnigsten  Himmelsbrode"  un- 
ter Sang  und  Klang.  <^)  König-Bräutigam  erklärt  der  Braut 
Sinn  und  Bedeutung  des  Brodes,  das  nicht  von  dem  sinnlichen 
Auge,  sondern  allein  vom  geistigen  des  Glaubens  erkannt  wird.  ^) 
Der  himmlische  König-Hochzeiter  schmückt  die  Hände  der  Braut 
mit  sieben  Eingen.  Der  erste  ist  die  göttliche  Weisheit 
(Sabiduria  divina)  ein  Kubin;  der  zweite  der  Verstand  (el 
Entendimiento) ,  nicht  der  weltliche,  sondern  der  Gott  verste- 
hende:^)  Sonnenauge.  ^)    Der  dritte  Fingerring  ist  göttlicher 


1)  „Vom  Brod  und  Krenzesstamm.'^  —  2)  Nebenher  die  weltliche  Dop- 
pelvermählung (1612)  des  Principe  Don  Felipe  und  der  Dona  Ana 
Maria  Mauricia,  Kinder  König  Philipp's  III.,  mit  der  Prinzessin  Isa- 
bel, Tochter  Heinrichs  IV.  von  Frankreich  und  mit  Ludwig  XIII. 

3)  Y  ansi  mi  cruz  es  mi  gloria  .  .  . 
Mis  timbres,  mis  coroncles  .  .  . 
Esta  es  la  primer  seilal 

Del  que  ha  de  ser  mi  soldado. 

4)  Dadme  vuestro  pan,  Senor. 

5)  Dadnos  este  pan  gloriosa 
Que  yo  tambien  os  la  pido. 

6)  Musicos.     iViva  la  gloria  del  blanco  Pan! 

7)  Key.  Cuando  en  pan  me  doy,  la  fe, 

Que  no  la  vista  me  mira 

8)  Con  que  te  alejes  del  mundo 
Y  entiendas  de  mi. 

9)  Girandol,  der  Edelstein,  mag  wohl  den  „oculus  mundi"  Weltauge 
bedeuten. 

X.  30 


466  l^as  spanisclie  Drama. 

ßath  (consejo);  ein  Topas.  Der  vierte:  Stärke  (fortaleza):  ein 
Diamant.  Der  fünfte:  Wissenschaft  (ciencia):  ein  Sma- 
ragd. Der  sechste:  Frömmigkeit  (piedad):  ein  Hyacinth, 
Der  siebente:  Saphir,  worin  die  Furcht i)  und  Scheu  vor  Sünde 
krystallisirt  erscheint. 

Aber  so  leichterdings  besteigt  Esposa  nicht  das  himmli- 
sche Brautlager.  Peinvolle  Prüfungen  sind  ihr  vom  göttlichen  Bräu- 
tigam auferlegt.  Besorgniss  (Cuidado)  erhält  Befehl,  die  Braut 
nicht  als  Herrin  von  nun  an,  sondern  mit  grosser  Strenge  und 
Härte  zu  behandeln.  ^)  „Mein  Kreuzesleiden  führe  sie  zu  mir ; 
sie  erkenne,  was  Brod  und  Kreuz  es  pfähl  bedeute.^)  Statt 
der  Brautkleider,  wird  der  Esposa  ein  härenes  Gewand  ange- 
legt, ein  Strick  um  den  Leib  gegürtet,  eine  ßussgeissel  und  Kreuz 
ihr  in  die  Hand  gegeben.  Knieend  und  jammernd  vor  dem 
Kreuze,  fragt  sie,  womit  ihre  Liebe  diese  Umwandelung  verschul- 
det, ^j  Verfolgung  (Persecucion)  und  Falschheit  (Falsidad) 
fallen  sie  an  wie  Furien,  Verleumdung  geifernd  und  ihren  guten 
Namen  vergiftend.  ^)  Ach,  stöhnt  und  ächzt  die  Jammerwürdige, 
gestern  Hochzeitsfeste  und  heute  Tragödien ! ^)  Das  Jesuskind 
tritt  vor  sie  hin,  barfuss  mit  einem  Kreuz  über  die  Schulter  ge- 
legt, und  einem  mit  Goldblumen  gestickten  ßöcklein.  '^)  „Kommt, 
ihr  Müheseligen,  ruft  das  göttliche  Kind,  und  ruht  in  meinen 
Armen  aus!"^)  Wie  schmelzen  nun  in  süsse  Pein  und  Herzens- 
schauer die  Augen  der  Betrübten!  „Bist  Du  es,  mein  Gatte? 
0  Gott,  ja,  Du  bist's!    Doch  wie  denn  so  kleines  Kind,  mein 


1)  Y  este  zalir  de  T einer. 

2)  ßey.        No  como  a  esposa  v  sefiora  .  . 

La  trateis  de  aqui  adelante, 
Sino  con  rniicha  aspereza. 

3)  Por  rai  er  uz  vaja  ä  buscarme: 
Sepa  del  pan  y  del  palo. 

4)  Esp.        ^En  que  os  ofendi  ini  amor? 

5)  Fals.      La  mala  opinion,  Esposa, 

Pocos  sahen  resistir. 

6)  jAyer  bodas  y  hoy  tragedias! 

7)  Con  tuniceja  de  rosas  de  oro. 

8)  Venid,  los  que  estais  cansados 
Y  en  mis  brazos  descansad. 


Lope's  Frolinleichnamsspiel  vom  Brod  und  Kreuzesstamm,        467 

himmlischer  König?  mein  einzig  Gut,  mein  Herr,  mein  Gemahl! 
Lass  Deine  Füsse  mich  küssen!  Jesus,  meine  Seele  Du,  ge- 
liebte Braut."  ^)  Und  als  Kind  kommt  er,  weil  die  Liebe  ein 
Kind,  und  das  Kreuz  viel  Liebe  verlange.  2)  Esposa  fleht  um 
sein  Kreuz,  dass  sie  es  tragen  mögeJ).  Sie  nimmt  das  Kreuz 
und  folgt  ihm,  „Dieses  Kreuz,  Esposa,  musst  Du  erklimmen, 
um  zum  Genüsse  meines  Brodes  zu  gelangen,  denn  ohne  Kreuz 
kein  Brod." 4)  Musik  ertönt,  das  Lamm  Gottes  erscheint  oben 
auf  dem  Kreuze,  Esposa  klimmt  bis  zum  Lamme  hinauf  und 
kommt  getreu  der  Weisung  des  Kind-Gemahles  nach.  Im  Lamm 
Gottes  geniesst  nun  Braut  Seele  auch  den  Leib  ihres  Herrn. 
„Iss,  denn  ich  bin  es  selbst."  „Durch  Schmerz  und  Qual  zur 
Glorie,  durch  Tod  zum  Leben,  durch  Thränen  zum  Genuss."^) 
Gutjahr  und  Freude  gesellen  sich  wieder  hinzu  als  Braut- 
und  Kreuzjungfern.  Esposa,  in  ihrem  Seelenjubel,  schliesst 
auch  die  zwei  Furien,  Falschheit  und  Verfolgung,  an  ihr 
Herz.  ^0 


1)  Esp.        ^ßi  es  mi  Esposo?  jAy  Dios! 

[El  es!  - 
Pues  conio  iiifio  pequeno, 
lUej  mio?  ;Mi  bien,  mi  dueiio, 
Mi  Espöso,  dadme  esos  pies! 
Jesus.     iAlma  mia,  Esposa  amada! 

2)  Que  es  nino  amor,  y  la  cruz 
Quiere,  Esposa,  muclio  amor. 

3)  Mi  bien,  i]ii  amor,  la  cruz  deja: 
Yo  la  Uevare. 

4)  Por  este  palo,  mi  Esposa, 
Se  ha  de  saber  ä  mi  pan; 
Porque  sin  cruz  uo  le  dan. 

5)  Jesus.    j(yome,  Esposa,  que  yo  soy! 

Por  pena  y  tormeiito,  gloria; 
Por  muerte,  vida!  por  Uanto 
Gusto. 

6)  Esp.        Agravios,  envidias,  eras, 

Gastigos,  tribulacioues 

Bien  vengais;  dadme  esos  brazos. 

30"* 


468  I)as  spanische  Drama. 

Selbst  den  Sündern  soll  vergeben, 
Und  die  Hölle  nicht  mehr  seyn! 

Wie  war  es  möglich,  dass  diese  Eeligion  der  seligsten  Kindes- 
innigkeit, der  himmlischsten  Seelenliebe  sich  in  eine  Hölle  auf 
Erden  verkehrte,  bevölkert  von  Teufeln  und  Dämonen,  von  Je- 
suiten und  Dominikanern?  Mit  welchem  Teufel  ging  es  zu, 
dass  diese  Legionen  von  Furien  der  „Falschheit"  und  „Ver- 
folgung", diese  Myriaden  von  Teufeln  an  Jesu  und  der  Seele 
heiliger  Hochzeitfackel  ihre  höllischen  Pechstöcke  anzünden  durf- 
ten, um  so  viele  Tausende  von  Scheiterhaufen,  im  Namen  jenes 
göttlichen  Brautpaars,  in  Flammen  zu  setzen? 

La  Siega  „Die  Ernte",  scenirt  Matthäi  Parabel  vom  Felde 
mit  gutem  und  schlechtem  Weizen  zum  Auto  sacram.,  das  Götzen- 
diener, Judenthum,  Ketzer  i)  als  Dornbündel  und  Unkraut  in's 
Feuer  will  geworfen  wissen,  wofern  sie  nicht  des  Herrn  und 
seiner  Braut,  der  Kirche,  Barmherzigkeit  anflehen  und  sich  be- 
kehren. Alle  kriechen  zu  Kreuz,  nur  der  Hebraismo  nicht; 
dieser  hartgesottenste  aller  Teufelsbraten  erwartet  seinen  Messias 
nach  wie  vor  2).  In's  Feuer  mit  dem  unverbesserlichen  Dorn- 
bündel, in's  ewige  Feuer  !^)  Wenn  nur  der  Dornbusch  nicht, 
wie  Mosis  seiner,  unverbrennbar  bleibt  in  der  Flamme,  und  nicht 
auch  hier  noch  seinen  Messias  erwartet!  Dass  der  spanische 
Hebraismo  der  eigentliche  un verbrennbare  Spanier  ist,  das  muss 
ihm  selbst  die  spanische  Inquisition  bezeugen.  Der  deutsche 
Leser  findet  Lope's  Frohnleichnamspiel  „  D  i  e  E  r  n  t  e  "  in  D  h  o  r  n '  s 
,^Spanischen  Dramen''  Bd.  L  übersetzt  und  wird  uns  einer  nähe- 
ren Erörterung  überheben.  —  Erwähnt  mag  noch  Lope's  Auto  s. 
El  Pastor  Lobo  y  cabana  celestial  werden:  „Der  Wolf 
als  Hirt  und  der  himmlische  Schafstall."  Der  Hirt- Wolf,  der 
Teufel  (demonioX  im  Gegensatz  zum  Pastor  Cord  er  o  der  „gute 
Lämmerhirt",  der  ja  identisch  mit  dem  Lamm  Gottes  selber  ist, 


1)  El  Hebraismo,  la  Heresia,  la  seta,  la  Idolatria 

2)  Hebr.  Que  aguardo 

El  mesias  prometido 

3)  Senor.    jEchadle  en  el  fuego  eterno! 


Hirt  und  Wolf  in  Einer  Person.  459 

geht  aus,  um  des  guten  Hirten  bestes  Schaf  zu  rauben,  i)  Trotz 
Wolf  und  Teufel  in  Einer  Person,  kommt  es  doch,  wie  die  Para- 
bel vom  guten  Hirten  es  längst  vorhergesagt.  Der  gute  Hirt 
trägt  das  Schaf  (cordera)  auf  den  Schultern  in  seine  himmlische 
Hürde  (cabaiia  celestial)  zurück.  Er,  beia'änzt  mit  Dornen,  das 
Schaf  (die  gerettete  Seele),  mit  Rosen.  Die  Hürde  des  Pastor 
Lobo  geht  in  Flammen  auf.  Als  Futter  erhält  das  Schaf  das 
heilige  Gottesbrod,  bei  dessen  Anblick  das  Schaf  aufjauchzt.  2) 
Hirt- Wolf-Teufel  knirscht  vor  Wuth;  sein  Rachen  glüht  wie  die 
Hölle,  weniger  nach  dem  Brod,  als  nach  dem  Schaf.  Wenn  mir 
Gott  doch  nur  den  einzigen  Gefallen  thäte,  dass  ich  mit  diesen 
Zähnen  als  Wolf  und  Bestie  das  Schaf  dort  zerreissen  könnte.  ^) 
„Aber  warte  nur!  Erwisch'  ich  Dich  wieder,  wirst  Du  zum  letz- 
ten Mal  Weissbrod  gegessen  haben!''  Schaf.  „Da  kannst  Du 
lang'  warten,  denn  ich  bin  schon  Gottes  Braut."  ^) 


1)  Fast.  Lobo. 

Mas  yo,  que  disfrazado 

Me  Hämo  el  Pastor  Lobo, 

Conio  se  llama  Dios  Pastor  Cordero 

Lo  mejor  del  ganado: 

De  sus  rediles  robo 

Sns  cabanas  atrevido  y  iiero. 

2)  (Jordera.   Oh  pan  del  cielo!   Pan  vivo! 

(:,Es  posible  que  en  la  tierra 
Pan  de  angeles  come  el  hombre? 
Brod  des  Himmels,  Lebensbrod! 
Ist  es  möglich,  dass  auf  Erden 
Engelbrod  der  Mensch  geniesst. 

3)  Lobo.         Rabio,  enfurezcome,  muero  .  .  . 

Lifieriio  soy  de  mi  mismo. 
jNo  mi  diera  Dios  licencia 
Para  que  con  estos  dieiites 
Como  lobo  y  como  fiera, 
Deshiciera  aquel  cordera ! 

4)  Lobo.         Guardate,  Alma,  que  si  pecas 

Y  otra  vez  te  vuelvo  acä, 
No  bayas  miedo  que  allä  vuelvas! 
Cordera.  No  bare,  Lobo,  que  ya  soy 
Esposa  de  Dios. 


470  I^^s  spanische  Drama. 

Representacion  moral  del  viage  del  Alma,  i) 

In  Barcelona  auf  öffentlichem  Markte  fand  die  erste  Vorstel- 
lung dieses  Auto  sacram.  mit  Moralitäts-Charakter  statt.  Zuerst 
treten  drei  Musiker  vor,  die  zu  ihren  Instrumenten  das  geist- 
liche Amt  Christi  und  Einsetzung  des  Abendmahls  als  Messe 
feiern.  Hierauftritt  ein  den  Prologo  vorstellender  Schauspie- 
ler (Farsante)  auf,  der  in  300  endecas.  sueltas  (Blankversen)  einen 
dürren  katalogisirenden  Bericht  über  Personen  und  Ereignisse 
aus  der  heiligen  Schrift  von  Erschaffung  der  Welt  bis  zu  Christi 
Erscheinung  abstattet,  von  so  skelettartiger  Trockenheit  ('des- 
cornadisimo'),  dass  der  Herausgeber,  Pedroso,  an  dessen  Stelle 
lieber  den  Prolog  zu  einem  gleichfalls  im  Teregrino'  befindlichen, 
nichtsacramentalen  Auto  von  Lope:  „Der  verlorne  Sohn"-),  ein- 
schiebt, und  in  nicht  weniger  reimlosen  Elfsylbern  die  Fama, 
die  Ruhmbegier,  als  die  Mutter  aller  in  der  Geschichte  verzeich- 
neten Grossthaten  an  Namen  und  Beispielen  aus  der  römischen  und 
spanischen  Geschichte  nachweist,  von  Faustulus  bis  zum  Herzog 
von  Alba,  und  die  ganze  Litanei  Schriftsteller  seit  Menschenge- 
denken als  Zugabe  —  descornadisimo  im  Superlativisimo ,  ein 
Beinhaus  von  Endecasillabos  sueltos,  das  Pedroso  gleichfalls  dem 
Peregrino  und  dem  „verschwenderischen  Sohn''  hätte  überlassen 
mögen.  Dann  kommen  die  drei  Mus i cos  wieder  zum  Vorschein, 
und  springen  und  singen,  und  tanzen  und  stürzen  ihre  Versfüsse 
herunter,  trochäisch,  jambisch,  durchweg  ungereimt.  ^)  Zum  üeber- 
fluss  streut  der  gelehrte  Herausgeber  diesen  Myriaden  an  Vers- 
füssen  auch  noch  seine  Kuckukseier  als  Noten  unter  die  Beine, 
und  lässt  die  Myriadenfüssler  einen  unabsehbaren  Kuckukseiertanz 
ausführen.  Ein  Todtentanz  von  Endecasillabos  descornadisimos 
auf  columnenhohen,  noch  knochendürrem  Noten-Stelzen!  End- 
lich beginnt  das  eigentliche  Spiel.    Die  Seele  tritt  in  einem 


1)  „Sittliche  Darstellung  der  Keise  der  Seele'*.  Zuerst  gedruckt  in 
Lope's  oben  berührten  Eoman  'El  Peregrino  en  su  Patria'.  Sevilla  1604. 
Buch  I.  —  2)  'El  Hijo  prodigo' ,  im  vierten  Buche  des  Romans.  Dieses 
biblische  Auto  wurde  in  der  Festung  Perpinan  durch  einen  Theil  der 
Besatzung  aufgeführt. 

3)  Taiie  canta,  come  y  bebe, 

Salta,  corre,  danza  y  baila. 


Personificirte  Intelligenzen.  47 ;[ 

weissen  Gewände  auf  mit  einem  Rüpel  (villano),  der  den  Wil- 
len (voluntad),  und  einem  muntern  Jüngling,  der  das  Gedächt- 
niss  (Memoria)  vorstellt.  Die  allegorischen  Figuren  in  dieser 
Art  Spielen  sind,  wie  die  Engel,  geschlechtlos.  Beide  Begleiter 
der  Seele  bekunden  sich  sofort  als  guten  und  bösen  Genius  oder 
Rathgeber,  der  eben  auf  dem  gefährlichen  Meer  des  menschli- 
chen Lebens  sich  einzuschiffen  im  Begriffe  stehenden  Seele.  ^) 
Der  gute  Genius,  Gedächtniss,  führt  der  Seele  zweierlei 
Häfen,  Ausfahrt  und  Landungsplatz,  zu  Gemüth:  Wiege  und 
Grab,  und  das  Meer,  das  Ein  einziges  Thränenmeer.  2)  Der 
schlimme  Einbläser,  Wille,  wirft  sich  als  der  alleinige  berufene 
Führer  auf,  die  Seele  auf  den  ihr  von  Gott  zugetheilten  „freien 
Willen^'  verweisend,  demzufolge  sie  thun  und  lassen  könne,  was 
ihr  gut  dünkt.  ^)  Memoria  weist  sonach  die  Seele  aus  sich 
und  über  sich  hinaus;  Wille  auf  ihr  eigen  Selbst  zurück,  den 
Compass  auf  der  Lebensschifffahrt:  die  Magnetnadel  in  der  eignen 
Brust,  die  Selbsteinsicht,  das  wissende,  seines  eignen  Wesens  und 
des  Wesens  der  Dinge  innegewordene  und  begreifende  Selbstbe- 
wusstseyn.  Memoria  kündigt  sich  gleichfalls  als  ein  Innewerden, 
Eingedenkseyn,  an,  aber  Eingedenkbleiben  Gottes,  als  eines 
immerdar  über  und  ausser  ihr  waltenden  Lenkers.^)  Dass Beide, 
Wille  und  Erinnerung  oder  Lmewerdung,   so  lange  sie  im  Ge- 


1)  Alma.  Ya  es  el  tempo  de  embarcar 

Porque  es  forzoso  pasar  — 
El  mar  de  la  liumana  vida 
Que  es  un  pelegroso  mar. 

2)  Memoria,   Y  asi  hay  dos  puertos  ä  entrar, 

Y  dos  playas  ä  salir: 
En  uno  has  de  embarcar; 
Que  del  nacer  al  morir 
Todo  es  Uanto  y  todo  es  mar. 

3)  Volunt.     Id,  Alma,  como  querias, 

Pues  que  Dios  os  dio  albedrio. 

4)  Mem.  Mira,  pues,  Alma  querida, 

Que  te  avisa  tu  Memoria 

Que  hay  bien  y  mal,  pena  y  gloria 

Acuerdate  lo  que  debes 

A  Dios,  para  que  no  Ueves 

Su  Santo  Camino  errado. 


472  Jöas  spanische  Draiiiii. 

gensatz  und  Widerspruch  gegen  einander  verharren,  auf  dem 
Holzwege  sind,  und  nur,  sich  gegenseitig  durchdringend :  der  Ei- 
genwille mit  der  Innewerdung  Gottes  und  seines  Willens  zum 
wahrhaft  Freien  Willen ;  und  der  blosse  Glaube  an  einen  äusser- 
lichen  Gott  und  seine  Gebote,  als  Gedächtnisskram,  zum 
wahrhaften  Innewerden  Gottes  und  mit  dem  gewollten  Wissen 
von  Gott,  mit  dem  aus  freiem,  Gott  verinnerlichendem  Vernunftden- 
ken und  Gott  denkenwollen  begriffenen  Gotteswesen  sich  durchdrin- 
gend. Von  dieser  Einheit  und  nur  durch  das  Gottdenken  eben 
dialektisch  vermittelten  Einheit  der  beiden  Gesellen  der  Seele, 
Gedächtniss  und  Wille,  hat  das  spanische  Auto  keine  Vorstellung, 
und  hat  auch  für  diese  kein  Gehirnorgan,  ja  im  Gegentheil  das 
gerade  Widerspiel  zu  einem  solchen  Organ:  das  Organ  des  dua- 
listischen Parallelschemas,  vermöge  dessen  Memoria  und  Vo- 
luntad  einfürallemal  in  ihrer  einseitigen  Gegensätzlichkeit  verhar- 
ren und  sich  arg  in  den  Haaren  liegen.  Weist  doch  'Voluntad' 
dem  Widerpart,  'Memoria',  wirklich  eine  besondere  untergeord- 
nete Stelle  im  Gehirn,  im  „hintern  Theil"  desselben  an,  dicht 
beim  Rückenmark.^)  Merkwürdig  genug!  eine  Stelle,  die  ihm 
gerade,  dem  Willen,  von  der  neueren  Physiologie  zugewiesen 
wird.  Memoria  trumpft  ihn  ab,  indem  sie  als  seinen,  des 
Willens,  Sitz  den  Schlund  bezeichnet,  insofern  doch  sein  We- 
sen in  steter  Begierde  und  Appetit  besteht.  2)  Wogegen  Wille 
seinen  Widersacher  mit  einem  Schopenhauer's  Philosophie  antici- 
pirenden  Schlag  aufs  Maul  ad  absurdum  führt.  „Mein  Wille"  — 
retorquirt  er — leitet  seinen  Ursprung  aus  einem  vernünftigen  Grunde 
ab:  In  Willen  und  Int  eile  et  besteht  des  Menschen  Vollkom- 
menheit und  Aehnlichkeit  mit  Gott.  ^)  Viel  näher  hat  die  Ge- 
gensätze auch  Schopenhauer   nicht  gebracht.    Schon   sein  Auf- 


1)  Vol.  Allä  en  la  postrema  parte 

Del  celebro  se  reparte 
Junto  ä  la  espinal  medula. 

2)  Mem.         Y  ho  apetito  en  la  gula, 

Para  que  nunca  se  harte. 

3)  Vol.  No  me  hagais  irracional; 

Que  mi  voluntad  deriva 

De  la  parte  racional, 

En  Voluntad  y  intelecto. 


Demonio  als  SchiflFshaiiptmaiiii.  473 

stellen  als  starre  Gegensätze,  spricht  diese  Philosophie  mehr  dem 
spanischen  Parallelismus,  als  dem  dialektischen  Denken  zu,  in 
welches  die  „Philosophie  des  ünbewussten",  wie  sich  uns  darge- 
than,  jene  Gegensätze  nicht  durch  eine  Cerebral-  sondern  Spino- 
dorsal- Wirkung,  nicht  durch  eine  Gehirnreflexion,  sondern  durch 
eine  infolge  von  Zucken  und  Jucken  erregte  ßeflexwirkung  des 
Rückenmarks  -  hineinnies't  i),  oder  wie  Lope's  Rüpel,  „Wille" 
sich  ausdrückt:  „Alla  en  la  postrema  parte,  Del  cerebro  se  re- 
parte  Junto  ä  la  espinal  medula." 

Demonio,  der  Teufel,  erscheint  in  Gestalt  eines  Schiffs- 
hauptmanns in  schwarzem,  flammengoldig  durchwirktem  Kleide, 
„das  Mäntelchen  von  starrer  Seide",  mit  seinem  Matrosen-  und 
Schiffsgefolge:  „Eigenliebe,  Essgier  und  ähnlichem  Gelich- 
ter", worunter  der  Trug. '^)  Auf  die  Frage,  wohin  er  segle:  „In 
die  neue  Welt"  3),  giebt  Teufel-Schiffspatron  Bescheid,  steure  er 
mit  seinem  famosen  prächtigen  Schiff,  das  den  Namen  „Lust" 
führt. ^;  „Was  für  neue  Welt?"  erkundigt  sich  angelegentlich  Wille; 
ob  die  von  Columbus  entdeckte,  von  Cortes,  Magellan;  ob  die 
Welt,  wo  die  Caraiben  gebratene  Menschen  fressen^),  deren 
Stellvertreter  dann,  die  Spanier,  als  Satans  Hofköche,  die  Men- 
schen für  seine  höllische  Tafel  brieten.  Demonio  schmunzelt, 
und  entwirft  von  dem  Schlaraffenland,  wohin  er  segelt,  ein  ver- 
führerisches Stillleben,  dass  Willen  das  Wasser  in  den  Zähnen 
zusammenläuft.^)    Gedächtniss '),   der  treue   Eckhard   warnt 

Es  el  hombre  mas  perfecto 
Y  semejanza  de  Dios. 
l)  IX.  S.  311.  Aiim.  2.  —    2)  Entro    a  esta   sazon  El  Demonio  en 
forma  de  marinero  todo  el  vestido  de  tela  de  ora  negrobordado  de  Ilamas ; 
y  con  el  como  grumetes.  El  Amor  Propio,  El  Apetito  y  otros  vicios, 
entre  ellos  El  Engano. 

3)  Dem.  Alma,  aquesta  nave  mia 

AI  nuevo  mundo  la  levo. 

4)  Mi  nave  famosa  y  bella 
La  del  Deleite  se  Uama. 

5)  —  donde  el  caraibe  fiero 
Come  los  hombres  asados? 

6)  Vol.  —  ya  me  inclino  ä  vos 

7)  Das  altdeutsche  'Minna',  bedeutet  Erinnerung  und  Liebe 
{/Livr}fj.ri)',  Vgl.  J.  Grimm,  Kl.  Schriften.  IL  S.  318. 


474  I^as  spanische  Drama. 

Seele,  verfällt  aber  selbst  in  einen  tiefen  Schlaf,  in  den  sie  des 
Seeteufels  Schiffsjungen,  Appetit,  Eigenliebe  und  Trug,  so 
lieblich  und  zauberisch  singen,  wie  Mephisto's  Jungen  Faust's 
Seele  mit  üppigen  Traumbildern  umwehen.  Nun  hat  Teufel 
und  Wille  freies  Spiel.  Vom  mahnenden,  schlummerversunkenen 
Gedächtniss  verlassen,  vom  Teufel  und  Willen  zum  Einstei- 
gen in  das  Lustschiff  zur  Lustfahrt  nach  dem  Eldorado  aller  Lüste 
und  Genüsse  eingeladen,  geht  die  Seele  unter  lockenden,  von  Ap- 
petit, Eigenliebe  und  Trug  angestimmten  Gesängen  i)  an  Bord. 
Erinnerung  (Memoria)  schläft  und  schläft,  aber  nicht 
biblischen  Schlaf,  bei  dem  das  Herz  wacht  (Ego  quidem  dormio, 
sed  cor  meum  vigilat);  sondern  den  gesunden  Lethe-Schlaf,  den 
Schlaf  der  Philosophie  des  ünbewussten.  Darüber  erscheint  der 
im  spanischen  Auto  übelberüchtigte  Verstand  (Entendiraiento) 
von  Ansehen  eines  ehrwürdigen  Greises  2),  und  wundert  sich  des 
Todes,  dass  Seele  ohne  ihn  eine  Seefahrt  unternimmt 3) ,  und 
weiss  nicht  was  er  von  Memoria  denken  soll,  die  daliegt  schla- 
fend wie  eine  Ratte  oder  Murmelthier,  und  schnarchend  wie  ein 


1)  Apetito.    Amor  proprio,  Engafio: 

Esta  es  nave  donde  cabe 
Todo  contento  y  placer. 

Esta  es  nave  de  alegria 
Que  va  ä  las  Islas  de  Oro, 
Donde  es  el  gasto  el  tesoro 
Que  has  de  cargar,  alma  mia; 
Porque  hasta  el  ultimo  dia 
No  hay  tempestad  que  temer: 

Esta  es  nave  donde  cabe 
Todo  contento  placer  etc. 

2)  en  forma  de  un  viejo  venerable. 

3)  Entend.    iCosa  que  el  alma  se  vaya 

Sin  SU  amado  entendimiento!  .  . 

Alma  amiga,  alma  querida. 
^  Donde  caminas  sin  mi? 


Mas  ^Quien  esta  aqui?   jAy  de  mi, 
Que  es  la  Memoria  dormida! 
Kecuerda,  recuerda  ya, 
Del  Alma  dormida  vela. 


Das  Schiff  ^Poenitenz\  475 

Wallross.  „Erwache!"  —  ruft  Verstand  —  „erwache,  schlafende 
Wächterin  der  Seele!"  Wachgerüttelt,  reibt  sich  Memoria  den 
Sandmann  aus  den  Augen,  und  sagt  gähnend:  „Gut,  dass  Ihr 
da  seyd,  Alter!  Denn  bleibt  Ihr  zurück,  so  ist  ihr,  der  Seele, 
Verderben  gewiss."  i)  Ein  überraschendes  Zugeständniss  an  den 
Verstand  in  einem  spanischen  Auto  sacram.,  wüsste  man  nicht, 
was  es  mit  dem  Auto-Verstand  auf  sich  hat,  dessen  Vetterschaft 
der  logische  Verstand  sich  verbittet.  Um  Verstandes  Stimme, 
der  vom  Ufer  aus  der  dahinsegelnden  Alma  zuruft,  zu  über- 
täuben, veranstaltet  De  monio  mit  seinem  Schiffsvolk  einen  Schiffs- 
arbeit und  Getümmel  nachahmenden  Höllenlärm,  so  dass  Ver- 
stand sein  eigenes  Wort  nicht  hört 2);  und  was  Alma  davon 
auffängt,  das  macht  ihr  Seereisemarschall,  Wille,  zunichte. 
Verstand  hat  das  Nachsehen,  und  das  ihm  vom  Schiff  zurück- 
hallende Echo  seiner  Warnungen  schlägt  an  sein  Ohr  als  Hohn 
und  Spott,  als  Unverstand,  dessen  tauben  Ohren  er  in  der  Was- 
serwüste predigt.  „Essen,  Trinken,  Schlafen  und  Liebesgenuss", 
darin  allein  liegt  für  die  verstand-  und  erinnerungslöse,  vom 
blossen  Willen  beherrschte  und  inspirirte  Seele,  Sinn  und 
Verstand.^)  Und  wie  denn  —  höhnt  Wille  —  wie  umkehren, 
selbst  wenn  wir  möchten?  Auf  welchem  Fahrzeug?  „Das  Schiff 
„Pönitenz"  nimmt  Euch  auf",  schreit  ihm  Verstand  zu 4) 
durch  die  hohle  Hand.  „Pönitenz?"  lacht  sich  Wille  den  Bauch 
voll.  „Dass  Dich  die  Pestilenz!  Ein  eigenes  Seeschiff,  Deine 
„Pönitenz!"    Und  was  für  Vorrath  hat  die  „Pönitenz"  am  Bord, 


1) 

Mem. 

Cuando  vos  otras  quedais, 

Su  (del  Alma)  perdicion  es  notoria. 

2) 

Ent. 

De  oir  se  ofende 
Mis  voces. 

3) 

Ent. 

^Donde  vas? 

Alm. 

Extrano  eres. 
Voy  con  quien  me  adora  y  ama  . 

Volunt.     —    —    —    —    —     — 

Hay  que  brindar  y  comer, 
Que  dormir  y  gozar. 
4)        Vol.  ^Pues  donde  nos  llevareis? 

Ent.  En  la  nave  entrar  podeis 

De  la  Penitencia. 


476  1^3'S  spanische  Drama. 

he?"  Verstand:  „Thränen,  Fasten  und  Pein."  „Köstlicher  Schiffs- 
zwieback in  faulem  Thränenwasser  aufgeweicht!  Mach,  dass  Du 
fortkommst!  Fall  uns  nicht  beschwerlich  auf  unserer  Fahrt  zur 
Schlampampeninsel,  alter  Einfaltspinsel !" ')  Nun  wissen  auch  wir, 
welchen  Geistes  Kind  Verstand  ist.  Zwar  kein  Einfaltspinsel 
—  im  Gegentheil,  ein  echtes  Auto-Kirchenlicht! 

Jetzt  geht  ein  Vorhang  auf.  Man  erblickt  Schiff  „Lust- 
barkeit" (Deleite)  mit  vergoldetem  Hintertheil  und  über  und 
über  bemalt  mit  Lästergeschichten  aus  der  heiligen  und  profanen 
Historie.  Auf  dem  Deck  zeigen  sich  viele  Damen  und  6  a- 
lane  zechend  und  schmausend,  und  um  die  Tische  herum  Pos- 
senreisser  undMusici.  Die  sieben  Todsünden  haben  an 
den  Schiffsborden  Stellung  genommen.  Im  Mastkorb  wiegt  sich 
der  Hochmuth  in  Matrosenanzug.  Tafelmusik  und  Gesang  er- 
schallt.-) Verstand  streckt  sehnsuchtsvoll  die  Arme  der  in 
Tafelfreude  schwelgenden  Seele  entgegen. 3)  Segelschläge  wie 
von  einem  sich  nähernden  Schiffe,  werden  vernommen.  Es  ist 
das  Schiff  „Penitencia",  von  dieser  selbst  befehligt  mit  einem 
zum  obigen,  vom  Teufel  commandirten,  parallelen  Manöver.  ^)  Mit 


1)  Vol.  iBueno! 

^A  un  cuerpo  contento  y  Ueno 

Esa  dieta  le  poneis?  .  .  . 

^Que  hay  en  esa  nave?   <iA  ver? 
Eilt.  Lagrimas,  ayuno,  peiia. 

Vol.  Mos,  viejo,  en  hora  btiena. 

^Caminar  y  no  comer? 

2)  jHola,  quo  me  lleva  la  ola! 
IFola  que  me  lleva  la  mar. 
„Holla!  schaukle  mich,  o  Woge!      ' 
Holla!   Trage  mich,  o  Meer." 

3)  Alma  hermosa,  alina  querida 
^Como  me  quieres  dejar? 
„Schöne  und  geliebte  Seele 

Wie  kannst  Du  mich  so  verlassen?" 

4)  Demonio  (Dentro). 

jOh  Luzbel! 
Todos  (Dentro). 

jAh! 


Christus,  Capitän  des  Schiffes  Toenitenz*.  477 

dem  letzten  Matrosenruf  von  innen:  „Land!  Land!"  verschwin- 
det die  ganze  Mannschaft  im  Teufelsschiff  bis  auf  Seele  und 
Willen.  Am  Ufer  weilen  noch  Memoria  und  Verstand. 
Christus  erscheint  als  Capitän  des  Schiffs  'Penitencia'  mit 
Engeln  als  seinen  Matrosen.  Cristo  lässt  die  Seele  zur 
Busse  auffordern,  seinen  Leib  und  seine  Blutessenz  als 
Schiffsproviant  in  Aussicht  stellen,  i)  Seele  bereut  und  gelobt 
Busse:  „Lebe  wohl,  weltliche  Lust;  denn  zu  Gott  kehrt  mein 
freier  Wille  zurück!"  2)  Das  Schiff  'Penitencia'  löst  sich  ganz 
und  gar  in  ein  die  Leidensgeschichte  Jesu  vorstellendes  Tableau 
auf,  wobei  sich  die  Bestandstücke  des  Schiffes  in  Christi  Passions- 
symbole, Kreuz  und  Marterwerkzeuge  verändern.  Der  Spiegel 
stellt  das  Grab  Christi  vor,  an  welchem  die  heilige  Madalena 
kniet,  der  Papst  lenkt  das  Steuerruder  u.  s.  w.  So  segelt  das 
Schiff  mit  Alma,  Voluntad,  Memoria,  Entendimiento,  Engeln  und 
St.  Peter  nach  dem  „himmlischen  Zion."^) 


Dem.  (Dentro). 

iOh  soberbia! 
Tod  OS  (Dentro). 

jAh!  etc. 
Penitencia  (Dentro). 

{Dies  Padre! 
Todos  (Dentro). 

iAh! 
Pen  it.  (Dentre). 

jSu  hijo  eterno! 
Todos  (Dentro). 

jAh!  etc. 

1)  Donde  es  mi  cuerpo  y  esencia 
Divino  matalotaje. 

2)  jAdios,  mundano  placer, 

Que  ä  Dios  vuelve  mi  albedrio. 

3)  H.  V.  Sc  hack  ordnet  Lope  de  Vega's  Dramengruppen  in  zweck- 
mässiger und  überschaulicber  Weise  nach  dem  Charakter  der  behandelten 
Stoffe.*)  Die  erste  Gruppe  umfasst  die  Stücke  aus  der  spanischen  Ge- 
schichte und  Sage.  Die  Menge  und  Mannigfaltigkeit  seiner  DarsteHun- 
gen  auf  diesem  Gebiete  ist  so  gross,  dass  sich  selbst  aus  dem  noch  vor- 
handenen eine   beinahe  voUständige  Gallerie  aller  erheblichen  Bilder  aus 


*)  IL  S.  267  ff. 


478  ^^s  spanische  Drama. 

der  spanischen  Geschichte  zusammenstellen  Hesse.  Wir  haben  —  um  die 
ganze  Strecke  nur  nach  einigen  Hauptstationen  zu  durchmessen  —  in 

La  amistad  pagada  die  Kämpfe  der  alten  Cantabrer  gegen  die  rö- 
mische Uebermacht;  in 

El  Eey  Wamba*)  die  anarchischen  Bewegungen  des  schon  den  Ein- 
sturz drohenden  Gothenreichs ;  in 

El  ultimo  Godo  de  Espana  den  Verrath  des  Grafen  Julian,  den 
Untergang  des  Eodrigo  und  den  Sieg  der  mohamedanischen  Waifen;  in 

El  primer  Rey  de  Castilla  dann  die  ersten  Triumphe  der  wieder 
erstarkenden  christlichen  Monarchie ;  in 

Las  almenas  de  Toro  die  Streitigkeiten  zwischen  Sancho  dem 
Starken  und  seinen  Schwestern  Urraca  und  Elvira,  seine  Ermordung  durch 
Bellido  Dolfos,  und  als  Fahnenträger  des  castilianischen  Ruhmes  den 
Cid;  in 

El  sol  parado  die  glorreichen  Kriegsfahrten  Ferdinands  des  Hei- 
ligen; in 

Lo  Cierto  por  el  Dudoso**)  die  ersten  Keime  zu  jenen  Zwistig- 
keiten  zwischen  Peter  dem  Grausamen  und  Heinrich  von  Trastamare;  in 

Los  Ramirez  de  Arellano  den  furchtbaren  Brudermord  auf  dem 
Felde  Montiel;  in 

El  milagro  por  los  Zelos  die  Zeit  Johanns  IL  in  einem  ihrer 
denkwürdigsten  Ereignisse,  dem  Sturz  des  Alvaro  de  Luna;  in 

El  piadoso  Aragones  die  Geschichte  des  unglücklichen,  obgleich 
keineswegs  schuldlosen  Karl  von  Viana,  seiner  zweimaligen  Empörung 
gegen  den  Vater,  seiner  Gefangenschaft  und  endlich  seines  tragischen  To- 
des, durch  welchen  Ferdinand  (der  Katholische)  Thronerbe  von  Aragon 
ward;  in 

El  cerco  de  Santa  Fe***)  den  glorreichen  Kampf ,  der  den  letzten 
maurischen  Thron  auf  der  Halbinsel  stürzte;  in 

La  Victoria  de  Santa  Cruz  endlich  eine  Kriegsthat,  an  welcher 
der  Dichter  selbst  als  Jüngling  Theil  genommen  hatte. 

Aus  Lope's  vaterländisch  historischen  Stücken  hebt  Herr  v.  Schack 
zunächst  diejenigen  hervor,  welche  Ereignisse  ,,aus  den  Zeiten  des  ersten 
Wiederauflebens  der  spanischen  christlichen  Reiche"  dramatisiren :  ,,Alle 
diese  Gemälde  z.  B.  in  Los  Prados  de  Leon,  Los  Tellos  de  Me- 
nesest),  Los  Benavidesft)  ^^^  vielen  Anderen,  sind  von  einer  Ju- 
gendfrische und  Kraft,  dass  ein  unbefangener  —  Sinn  sich  ihnen  unmög- 
lich versagen  kann  .  .  .  Die  ganze  Anmuth,  der  ganze  Zauber  der  ächten 
Pastoralpoesie  ist  hier  mit   dem   gewichtigen  Ernst  der  Heldendichtung 


*)  s.  unsere  Analye  S.  1  ff.  Vgl.  Ticknor  IL  p.  56511'.  Deutsche  Uebers., 
wo  auch  die  Stücke  in  den  Ausgaben  genau  angegeben  sind.  —  **)  Ana- 
lyse S.  381  ff..  —  ***)  Analyse  S.  250  ff.  -  f)  Analyse  S.  140  ff  —  ft)  Ana- 
lyse S.  97  ff. 


V.  Schack's  Classification  der  Lope'schen  Dramen.  479 

verschmolzen.  Keiner  hat  so,  wie  Lope,  den  tüchtigen  Kern  der  spani- 
schen Nation  geschildert,  ihren  einfachen,  demuthsvoll  dem  Himmel  zu- 
gewandten Sinn,  ihre  Genügsamkeit,  ihren  vom  Gefühl  eines  freien  Da- 
seyns  gehobenen  Muth,  ihre  Entschlossenheit,  zur  Vertheidigung  ihres 
Glaubens  jeden  Augenblick  Gut  und  Blut  zu  lassen.  Dabei  durchdringen 
sich  Stoff  und  Form  seiner  Darstellungen  aufs  innigste;  es  herrscht  in 
dieser  eine  Enthaltsamkeit  in  der  Färbung,  eine  Natürlichkeit  und  schlichte 
Unbefangenheit,  wie  man  sie  sonst  nur  in  Producten  der  Volkspoesie 
findet  .  .  .  Mit  wie  indivuellem  Leben  sind  selbst  die  Nebenfiguren  aus- 
gestattet .  .  .  Ganz  hiermit  harmonirt  auch  die  wilde,  abgerissene  Dar- 
stellung .  .  .  Wie  charakteristisch  der  Ton  der  Andacht,  der,  wie  eine 
Hymne  durch  den  Sturm,  durch  das  Kampfgetöse  dieser  gewaltigen  Dich- 
tungen erschallt!  Endlich,  überblicken  wir  das  Ganze  der  Handlung, 
welch  ein  unaufhaltsamer  Gang,  wie  viel  Leben  und  Eegsamkeit  in  allen 
Theilen!  Welche  Hlusion  der  Wirklichkeit,  die  uns  mitten  in  das  be- 
wegteste Leben  hineinreisst,  in  diesen  vorüberfliehenden  Gruppen,  diesen 
sich  vor  uns  aufrollenden  Kriegsscenen ,  in  deren  Schlachtgetümmel  man 
sich  versetzt  glaubt!''*) 

Der  ausgezeichnete  Darsteller  geht  nun  auf  einzelne  Schauspiele  der 
vaterlandsgeschichtlichen  Reihe  über,  von  welchen  ein  kurzer,  den  Vor- 
gang in  leichten  Umrissen  skizzirender  Inhaltsauszug  mitgetheilt  wird. 

Um  eine  Uebersicht  verschiedener  von  uns  nicht  zur  Analyse  gebrach- 
ten Dramen  des  Lope  de  Vega  zu  geben,  wollen  wir  eine  Skizze  einiger 
dieser  trefflichen  Auszugsskizzen  unsern  Lesern  entwerfen. 

El  Conde  Fernan  Gonzales.  Ein  Eremit  weissagt  dem  auf  der 
Jagd  verirrten  Grafen  Gonzales  die  künftigen  Siege.  Gonzales  erhält  die 
Nachricht  von  einem  Einfalle  der  Mohren,  Schilderung  des  Verheerungs- 
zugs der  Feinde  in  den  folgenden  Scenen.  Des  Conde  ruhmreicher  Sieg, 
am  Schlüsse  des  ersten  Acts  durch  festliche  Spiele  der  Landsleute  ge- 
feiert. Der  zweite  Act  schildert  die  unsern  Lesern  aus  dem  epischen  Ge- 
dicht**) bekannte,  durch  die  Königin  aus  Rache  wegen  ihres  von  Gonzales 
im  Zweikampf  getödteten  Bruders,  des  Königs  von  Navarra,  arglistig  be- 
werkstelligte Gefangenschaft  und  Befreiung  aus  derselben  durch  den  In- 
fanten von  Navarra.  Während  der  Haft  des  Grafen  besiegen  die  ihres 
Feldherrn  beraubten  Castilianer  die  Feinde,  begeistert  von  dem  lebens- 
grossen,  dem  Heere  vorangetragenen  Bildnisse  des  Conde.  Im  dritten  Act 
geräth  Conde  Fernan  in  Leon  mit  dem  Könige  in  Streit,  wird  als  Auf- 
rührer in  den  Kerker  geworfen,  woraus  ihn  abermals  seine  Gemahlin,  das 
Muster  ehelicher  Treue,  befreit,  indem  sie  mit  ihm  die  Kleider  wechselt 


*)  Sollte  auch  auf  dem  Prüfstein  unserer  Analysen  nicht  jeder  dieser 
Charakterstriche  probehaltig  erscheinen,  so  wird  sich  unser  Leser  doch 
immerhin-  an  dem  Glanz  und  der  Schwunghaftigkeit  ihres  Auftrags  er- 
freuen. -  **)  Gesch.  d.  Dram.  VIII.  S.  441  f. 


480  ^^^  spanische  Drama. 

und  an  seiner  Stelle  zurückbleibt.  Der  dritte  Act  behandelt  ferner  die 
Losreissung  Castiliens  von  Leon  durch  Gonzales,  den  Besieger  seines  Lehns- 
herrn, des  Königs  von  Leon,  der  den  zu  einer  unerschwinglichen  Summe 
angewachsenen  Kaufpreis  für  ein  arabisches  Pferd,  das  der  König  vom 
Conde  mit  der  Verpflichtung  erstanden  hatte,  für  jeden  Tag  nach  dem 
nicht  eingehaltenen  Zahlungstermine  das  Doppelte  der  Kaufsumme  zu  ent- 
richten, nun  mit  dem  Königreich  Castilien  dem  Conde  Fernan  Gonzales 
zahlen  und  ihn,  dank  seinem  siegreichen  Arm,  seinem  treuen  Weibe, 
und  dank  dem  arabischen,  den  königlichen  Lehnsherrn  zahlungsunfähig 
stellenden  ßosse,  der  Lehns-  und  Vasallenpflicht  entbinden  und  als 
selbständigen  Beherrscher  Castiliens  anerkennen  musste.  Ein  durch  und 
durch  epischer  ßomanzenstolf,  ohne  Widerrede,  dessen  dramatische  Be- 
wältigung selbst  einem  Genie  wie  Lope's  widerstrebt,  was  freilich  nur  aus 
einer  Analyse  des  Stückes,  nicht  aus  einer  noch  so  anschaulichen  Inhalts- 
skizze, geschweige  aus  einer  cpitomirten  Skizze  erhellen  kann.  Der  In- 
haltsauszug eines  Drama's  gleicht  dem  Schuh  des  Theraraenes:  er  passt 
auf  alle  Füsse,  auf  die  der  Novelle,  der  Romanze,  der  Comedia  und  des 
Heldengedichtes.  Der  Inhaitsauszug  giebt  immer  nur  den  Erzählungs- 
stoff des  Novellistischen  im  Drama.  Das  Drama  selbst,  worin  ja  eben  das 
Novellenhafte  verschwinden  soll  —  das  Drama  verschwindet  umgekehrt  im 
Inhaltsauszug  und  verküjnmert  zur  Lemuren-Larve  eines  Novellengerippes. 

Den  Romanzen,  die  des  Bernardo  del  Carpio  Heldenthaten  feiern, 
entnahm  Lope  de  Vega  ein  Ereigniss  aus  den  Flegeljahren  des  könig- 
lichen Bastard-Knaben-ßecken,  und  dramatisirte  dasselbe,  mit  Beziehung 
auf  die  beim  Regierungsantritt  von  König  Philipp  IIL  für  Spanien  glück- 
lich beendigten  Kriege  gegen  Frankreich,  in  dem  historischen  Schauspiel: 

El  casamiento  en  la  muerte  „Die  Vermählung  im  Tode''. 

üebereinstimmend  mit  dem  Romaucero  erzählt  die  Chronica 
general,  dass  Conde  de  Saldana,  gen.  Sancho  Diaz,  mit  Ximene, 
der  von  ihm  verführten  Schwester  König  Alfonso's  des  Keuschen*), 
den  Bernardo  gezeugt,  del  Carpio  nach  dem  vom  jungen  Recken  er- 
oberten Schlosse  genannt.  Alfonso  der  Keusche,  König  von  Leon,  Hess 
die  Schwester,  Ximene,  in  ein  Kloster,  den  Verführer,  Conde  Saldana, 
in  die  Veste  Luna  einsperren.  Die  Freilassung  seines  Vaters  und  dessen 
eheliche  Verbindung  mit  seiner  Mutter,  Ximene,  bemühte  sich  Bernardo, 
von  seinem  Grossvater,  dem  Könige,  durch  ausserordentliche  Heldentha- 
ten, behufs  Aechtigung  seiner  Geburt,  zu  erlangen,  wurde  aber  vom  Kö- 
nige mit  blossen  Versprechungen  hingehalten,  bis  ihn  der  junge  Enkelheld 
auf  der  Jagd  aus  den  Tatzen  eines  Bären  befreite.  Nun  erst  willigte 
König  Alfonso  der  Keusche  in  die  Freilassung  des  Sancho  Diaz.  Zu 
spät.  Bernardo's  Vater  war  schon  den  Abend  vorher  im  Kerker  verschie- 
den.   Bernardo   entreisst  die  Mutter  dem  Kloster,   legt  ihre  Hand  in  die 


*)  Gesch.  d.  Drani.  VIII.  a.  a.  0. 


Lope's  Bernardo  del  Carpio.  481 

der  Vater-Leiche,    vollzieht  die  Vermählung  und  mit  dieser  seine  Aech- 
tigung. 

Die  Heldenstreiche  des  jungen  Recken  schildert  der  erste  Act.  Er 
zwingt,  an  der  Spitze  der  aufrührerischen  Barone  von  Leon,  den  König,  sei- 
nen Grossvater,  zum  Widerruf  des  Karl  dem  Grossen  geleisteten  Verspre- 
chens, dem  Frankenkönige  einen  Theil  seines  Landes  für  dessen  gegen  die 
Mauren  dem  Könige  von  Leon  gewährte  Erud  erhülfe  abzutreten,  und  er- 
scheint selbst  am  Hofe  Karls  des  Grossen  im  Saal  vor  dem  von  seinen 
Paladinen  umringten  Kaiser,  um  diesem  die  Aufhebung  des  Vertrags 
ohne  Umstände  anzukündigen.  Staunen  und  Entrüstung  unter  den  Pala- 
dinen. Nur  Roland  freut  sich,  in  dem  zwischen  Spanien  und  Frankreich 
nun  entbrannten  -Kampfe  sich  mit  seinem  iberischen  Parallelhelden  bald 
messen  zu  können.  Der  zweite  Act  feiert  die  Schlacht  von  Ronceval 
und  Bernardo's  Sieg  über  Roland,  den  er  selbst  erlegt,  nach  spani- 
scher Mythe,  die  für  ihren  Kopf  einen  von  ihr  erfundenen  spanischen  Ro- 
land dem  fränkischen  entgegenstellt.  Sollte  doch,  einer  Sage  zufolge, 
Bernardo  del  Carpio  der  Sohn  einer  Schwester  von  Kaiser  Karl  dem  Grossen 
seyn,  welche,  auf  einer  Pilgerfahrt  zum  heiligen  Jago  nach  ComposteUa, 
vom  Conde  de  Saldana  in  seinem  Schlosse  beherbergt,  und  zur  Erin- 
nerung an  die  Gastfreundschaft  den  Bernardo-Kleinroland,  als  des  Conde 
Miniatur bild ,  auf  oder  unter  dem  Herzen  nach  Prankreich  eingeschmug- 
gelt habe.  Den  dritten  Act  schliesst  die  schon  mitgetheilte  Vermählung 
der  Mutter  mit  der  Leiche  des  Vaters. 

Vielleicht  ist  von  der  ganzen  vaterländischen  Ruhmesherrlichkeit  des 
Bernardo  del  Carpio  nichts  von  Bestand  und  historischer  Thatsächlichkeit, 
als  das  historische  Drama  des  Lope  de  Vega  Carpio,  eines  seiner  patrio- 
tisch begeistertesten  Romancero-Stücke ,  das,  abbildlich  und  parallel  mit 
seinem  StoiFinhalt,  eine  der  Kloster-Chronik  entrissene  Fabel  mit  der  ge- 
bornen  Leiche  eines  der  Karlsage  nachgebildeten  Romanzenheldens  ver- 
mählt. 

Las  doncellas  de  Simancas  „Die  Jungfrauen  von  Simancas'S 
feiert  die  Heldenthat  asturischer  Jungfrauen,  die,  als  Jahrestribut,  vom 
asturischen  König,  Manregato,  an  den  Chalifen  von  Cordova  ausgelie- 
fert werden  sollen,  sich  aber  selbst  verstümmeln,  und,  mit  Berufung  auf 
den  Tributsvertrag,  wonach  nur  unversehrte  und  an  allen  Gliedern  ge- 
sunde Christenmädchen  dem  Chalifen  zugesendet  werden  dürfen,  gegen 
ihre  Auslieferung  sich  verwahren.  Die  heroische  Selbstverstümmelung  be- 
wirkt einen  Aufstand  der  Bevölkerung  von  Simancas,  die  unter  Anführung 
des  Verlobten  einer  der  heldenmüthigen,  vom  Sohne  des  Chalifen  ebenfalls 
geliebten  Jungfrauen,  vom  asturischen  König  Manregato  die  Aufhebung 
des  schmachvollen  Tributes  mit  bewaifneter  Hand  erstürmt. 

El   Principe   despenado   „Der   vom  Felsen  gestürzte   Fürst*'  ist 
Don  Sancho,  nach  seiner  Brüder  Tod,  durch  die  Ränke  des  Don  Mar- 
tin de  Guevara,  zum  Könige  von  Navarra  erwählt,  mit  üebergehung 
X.  31 


482  I)as  spanische  Draraa. 

des  noch  im  Mutterleibe  befindlichen  rechtmässigen  Thronerben,  dessen 
Ansprüche  Don  Martins  Bruder,  Ramon  de  Guevara,  erfolglos  vertritt. 
Die  schwangere  Königin  El  vir a  flüchtet  in  eine  Gebirgsgegend,  wo  sie 
ihres  Schmerzenreichs  geneset,  den  ein  Diener  der  Gemahlin  des  Don  Mar- 
tin de  Guevara  in  ihr  nahe  gelegenes  Schloss  bringt.  Die  edle  Dame 
Dona  Bianca  nimmt  den  Knaben  auf,  ohne  dessen  Abstammung  zu 
ahnen.  Zum  Tauffest  erscheint  der  eben  im  Gebirgswalde  jagende  König 
Sancho,  verliebt  sich  in  Don  Martinas,  von  dessen  Gnaden  er  König  ist, 
schöne  Gemahlin  Bianca,  schickt  den  Gatten  in  den  Krieg,  angeblich 
gegen  Eamon,  der  mit  einem  französischen  Hülfsheer  heranzieht,  und 
vergewaltigt  während  dessen  Abwesenheit  die  Schlossdame  Bianca.  Don 
Martin  findet  ,bei  seiner  Rückkehr  die  Zimmer  in  seinem  Schloss  mit 
schwarzem  Tuche  überzogen.  Die  Gemahlin  in  tiefer  Trauer  setzt  ihn  von 
ihrer  und  seiner  Schande  in  Kenntniss,  reisst  ihm  den  Dolch  aus  dem 
Gürtel  um  sich  zu  ermorden,  fällt  aber  vor  dem  Stoss  in  Ohnmacht.  Don 
Martin  trifft  mit  seinem  als  Eremit  im  Gebirge  lebenden,  in  Thierfelle 
gekleideten  Bruder,  Ramon,  zusammen.  Nachdem  sich  die  Brüder  er- 
kannt und  Don  Ramon  die  Entehrung  der  Schwägerin  durch  den  König 
von  seinem  Bruder  erfahren,  verabreden  sie,  dass  Ramon  den  König  auf 
einen  Felsen  locken,  und  Martin  ihn  in  den  Abgrund  stürzen  soll.  Auf 
diese  Weise  wird  König  Sancho  der  Titelheld  des  Stückes,  und  sein 
Neffe,  den  Don  Martin  hatte  aussetzen  lassen,  und  der  von  seiner  im 
Gebirge  umherschweifenden  Mutter,  der  Königin  Elvira,  gefunden  und 
als  fremdes  Kind,  dem  Parallelismus  zuliebe,  erzogen  worden,  zum  recht- 
mässigen König  ausgerufen,  nachdem  Alles  und  Jedes  hergebrachtermassen 
sich  aufgeklärt  hat. 

Hieran  schliessen  sich  bei  Herrn  v.  Schack  „die  Schauspiele,  deren 
Handlung  in  das  spätere  Mittelalter  verlegt  ist"  .  .  .  „Wir  erhalten 
ein  furchtbar  klares  Bild  von  der  Anarchie  der  mittleren  Jahrhunderte." 
Diesem  Cyklus  reiht  der  berühmte  Verfasser  der  Gesch.  der  dram.  Lit. 
und  Kunst  in  Spanien  ein:    La  Campana  de  Aragon*)   „eine  energi- 

*)  „Die  Glocke  von  Aragon",  welche  Glockenform  nämlich  die  über- 
einandergeschichteten  Köpfe  der  amutarischen  Granden  bilden,  über 
deren  Häupter-Glocke  der  Barfüsser-König  von  Aragon,  Don  Ramirof), 
mit  dem  Scepter  in  der  einen,  mit  dem  Schwert  in  der  andern  Hand  und 
zu  seinen  Füssen  eine  Erdkugel,  dasitzt,  als  eigenthümlicher  „Glöckner" 
von  Aragon,  der  mit  Vasallenköpfen  seinen  Regierungsantritt  ausläutet 
und  seine  oberherrliche  Gewalt: 

Ramiro.    —  aquesta  es  la  campana 

Que  se  oirä  por  todo  el  mundo. 

Y  vosotros,  descendientes 


t)  Gesch.  d.  Dr.  VIII.  S.  451. 


Lope's  Dramen  nach  mittelalterlichen  Historien  483 

sehe  Schilderung  der  Kämpfe  zwischen  den  Aragonischen  Grossen  und  der 
königlichen  Macht. 

La  inocente  Sangre  „Das  unschuldige  Blut"  der  beiden  Ritter 
Caravajales  nämlich,  die  von  einem  rachsüchtigen  Nebenbuhler  fälsch- 
lich der  Ermordung  des  Günstlings  von  König  Fernando  IV.  angeklagt, 
auf  Befehl  des  Königs  von  einem  Felsen  gestürzt  werden.  Vor  dem 
Sturze  laden  die  Unschuldigen  den  König  vor  Gottes  Gericht  binnen 
dreissig  Tagen,  woher  diesem  Könige  von  Castilien  und  Leon  der  Bei- 
name 'El  Emplazado'  „der  Vorgeladene"  blieb.*) 

La  Judia  de  Toledo,  die  auf  unsere  Analyse  (S.  276  ff.)  verweist. 

Los  Novios  deHornachuelos  „schildern  die  Demüthigung,  welche 
einem  hochfahrenden  Ricohombre  von  Estremadura  durch  König  Enrique 
III.  zu  Theil  wird.*'**; 

Peribanez  y  el  Comendador  de  Ocana,  Los  Comendadores 
de  Cordoba  und  Fuente-Ovejuna  ,,sind  drei  dem  Inhalte  nach  mit 
einander  verwandte  Dramen,  insofern  alle  drei  die  Tyrannei  und  die  Aus- 
schweifungen von  Comthuren  der  militärischen  Orden  zum  Gegenstande 
haben.  In  dem  ersten  stellt  der  Comthur  de  Ocafia  der  schönen  Gat- 
tin des  Bauern  Peribanez  nach,  und  wird  von  diesem  mit  dem  Schwerte 
durchbohrt,  das  ihm  der  Comthur  selbst  für  den  Kriegszug  gegen  die 
Moren  umgegürtet  hatte,  der  dem  Comthur  freies  Feld  lassen  sollte  zu  sei- 
nem Kriegszage  gegen  die  schöne  Bäuerin.  König  Enrique  III.  billigt 
die  That  des  Bauern  und  ernennt  den  Peribanez  zum  Hauptmann  der 
aus  dem  Gebiete  des  von  ihm  getödteten  Comthurs  ausgehobenen  Mann- 
schaft. 

Fuente  Ovejuna  gehört  zum  Cyklus  der  das  katholische  Königs- 
paar, Fernando  und  Isabella  feiernden  Dramen  von  Lope.  Eine  treff- 
liche Uebersetzung  findet  sich  in  Herrn  v.  Schack's  „Spanisches  Thea- 

Destos  que  veis  degoUados 
'    A  vuestros  ojos  presentes 
Quedareis  escarmentados 
De  ser  al  Rey  obedientes. 
Temblad,  temblad  .  .  . 
*)  Gesch.  d.  Dram.  VIII.  S.  497. 
Don  Juan  (Caravajal). 

Digo  que  pues  inocente 
Muero,  al  Rey  Fernando  emplazo 
Para  el  tribunal  de  Dios. 
Wir  bedauern,  uns  nicht  näher  mit  dieser  historischen  Tragödie  des  Lope 
beschäftigen  zu  können,  die  zu  seinen  motivreichsten  und  pathetisch  be- 
wegtesten zählt.    In  menschücher  Erwägung  der  Schranken  von  Zeit  und 
Raum,   wird  uns  kein  Leser  vor  seinen  kritischen  Richterstuhl  derowegen 
laden.  —  **)  Gesch.  d.  Dram.  VIII.  S.  651  Anm.***).  (Bibl.  de  Aut.  Esp. 
Obras  de  Lop.  d.  V.  t.  III.  p.  387—402.) 

31* 


484  I^as  spanische  Drama. 

ter"  (Bd.  11.  S.  17—156).  Diese  Dramen-Reihe  umfasst  das  Schauspiel: 
El  mejor  mozo  de  Espana  „die  romantische  Geschichte  von  Fernando's 
von  Aragon  Brautfahrt  nach  Valladolid. "  In  ^ElhidalgoAbencerrage' 
sehen  wir  die  hinsterbende,  aber  zum  Scheiden  noch  einmal  hell  auf- 
strahlende Glorie  von  Granada.  In  *La  embidiadelanobliza'  den  Un- 
tergang des  edlen  Abencerragen  durch  die  verrätherische  Zegris;  in  'El 
cerco  de  Santa  Fe'  —  was  unser  Leser  aus  der  Analyse  dieses  Stückes 
weiss  (s.  oben  S.  250 ff.).  Ferner:  'El  nuevo  mundo  descubierto.  Für 
unsern  Leser  der  betreffenden  Analyse  keine  mehr  fremde  oder  unent- 
deckte  Welt  (s.  S.  54  ff.). 

„Die  Thaten  und  Begebenheiten  Karls  V.  haben  wir  in  Carlos  V. 
en  Francia  und  La  mayor  desgracia  del  Emperador  Carlos 
(der  verunglückte  Zug  nach  Algier).  Arauco  domado  „schildert  die 
Bezwingung  der  durch  Ercilla's  Epos  so  berühmt  gewordenen  tapfern  Völ- 
kerschaft im  südlichen  Chili.'**) 


*)  Der  Held  ist  Don  Garcia  de  Mendo9a,   ein  Gideon,    der  den 
wilden   araucanischen  Häuptling,  Caupolican,   durch  kriegerische  Gott- 
seligkeit besiegt,  was  Garcia  Hurtado  de  Mendo9a  selbst  ankündigt: 
Dos  cosas  en  Chile  espero 
Que  de  su  gran  piedad  me  de  .  .  . 
La  primera  es  ensanchar 
La  Fe  de  Dios;  la  segunda 
reduzir  y  sujetar 
de  Carlos  a  la  coyunda 
esta  tierra  y  este  mar  — 
Im  Gegensatz  zu  dieser   demuthvoUen  Gottergebenheit   des   katholischen 
Heerführers  wirft  sich  der  araucanische  Häuptling  in  zügelloser  Verwe- 
genheit als  Gott  auf: 
Caupolican.    No  ay  poder  que  me  assumbre, 

Yo  soy  el  Dios  de  Arauco,  no  soy  hombre. 
Dem  entspricht  der  wilde  Schlachtgesang  der  Araucaner,  der  in  den  Na- 
men des  Häuptlings  als  Rundreim  aushallt: 

üna  voz.      Pues  tantas  victorias  goza 

de  Valdivia,  y  Villagran. 
T  0  d  0  s.  Caupolican. 

Solo.  Tambien  vencera  al  Mendo^a 

Y  ä  los  que  con  el  estan 
Todos.  Caupolican.  etc. 

Er  führt  aber  —  dem  Gott  Caupolican  sey's  geklagt!  —  seine  Rolle 
nicht  durch,  sondern  fällt  von  seiner  Selbstgottheit  schmählich  ab,  und  jam- 
mert in  Banden  vor  Don  Garcia  de  Mendo^a,  dass  er  angestiftet  worden 
von  den  Seinigen: 

que  ä  todo  acudi  for9ado. 


Lope's  Dramen  aus  Stoffen  aus  der  Geschichte  seiner  Zeit.       485 

„Noch  spätere,  in  Lope's  eigene  Lebzeiten  fallende  Begebenheiten 
sind  behandelt  in  La  santa  Liga."    Darstellung  des  Kriegszugs  wider 

und  kriecht  zuletzt  buchstäblich  zu  Kreuz,  indem  er  um's  Himmels  Christi 
willen  nach  der  Taufe  verlangt;  und  nicht  nur  zu  Kreuz:   Der  Selbstgott 
Caupolican  kriecht  auf's  Kreuz,   worin  er  am  Schluss  angenagelt  er- 
scheint, zum  Gott  der  Christen  betend  und  seine  Sünden  bereuend: 
Pero  dizen  que  estando  arrepentido 
Deuo  creer  que  en  este  dia  he  nacido, 
Perdonadme,  Seiior,  si  me  detengo. 
In  dem  Stück  tritt  auch  der  Dichter  des  bedeutendsten  spanischen  Epos, 
Don  Alonso  Ercilla,   auf,    dessen  Heldengedicht  La  Araucana*)  die 

*)  Alonso  de  Ercilla  y  ^^niga  wurde  1553  in  Madrid  geboren,  als 
einer  der  Pagen  des  Infanten,  nachmaligen  Königs  Philipp  IL  am  Hofe 
Karls  V.  erzogen.  Ercilla  begleitete  den  Infanten  1554  nach  England,  als 
derselbe  sich  mit  der  Königin  Maria  (der  ,, Blutigen",  Bloody  Maria) 
vermählte.  In  England  kam  ihm  die  Nachricht  vom  Aufstande  der  Ein- 
gebornen  in  Chile.  Ercilla,  damals  21  Jahre  alt,  meldete  sich  zum  Feld- 
zuge gegen  das  kleine,  aber  kriegerische  Völkchen  der  Araucanen,  das  eine 
Landschaft  von  20  Meilen  Länge  und  12  Meilen  Breite  mit  verzweifelter 
Tapferkeit  vertheidigte.  Ercilla  focht  in  sieben  blutigen  Schlachten  und 
litt  noch  mehr  durch  die  Märsche  in  der  Wildniss.  1562  kehrte  Ercilla 
nach  Spanien  zurück,  bereiste  Italien  und  andere  Länder  Europas;  ver- 
mählte sich  1570  mit  Doiia  Maria  de  Bazan,  aus  dem  altadeligen  Ge- 
schlechte der  Santa-Cruz,  die  er  am  Ende  des  18.  Gesanges  seines  Poems 
feiert;  wurde  1576  Kammerherr  des  deutschen  Kaisers,  kehrte  1580  nach 
Madrid  zurück,  sieht  sich  vom  Könige  vernachlässigt  und  stirbt  verges- 
sen und  verschollen.  Man  weiss  nur,  dass  er  1595  schon  gestorben  war. 
Ercilla's  La  Araucana  hat  37  Gesänge  in  Octaven.  Die  erste  Abtheilung 
ist,  laut  Ticknorf),  nur  eine  in  Verse  gebrachte  Geschichte  aus  dem  An- 
fange des  Krieges,  ein  Gedicht,  das  man  mit  der  Landkarte  lesen  muss. 
Ercilla  hat  diesen  Theil  seines  Gedichtes,  nach  seinem  eigenen  Berichte, 
in  der  Wildniss  geschrieben,  bei  Nacht  aufzeichnend,  was  bei  Tage  ge- 
schehen war,  und  seine  Verse  auf  Papierläppchen  schreibend  oder  auf  Le- 
derstücke. Treffend  nennt  Ticknor  das  Gedicht  „ein  achtzeilig  gereimtes 
dichterisches  Tagebuch  des  Feldzugs,  den  er  mitgemacht  hat.^*  Diese 
15  Gesänge  wurden  1555—63  niedergeschrieben  und  erschienen  1569  in 
Druck. 

Die  zweite  Abtheilung  der  Epopöe  (1578)  ist  an  epischen  Ornamen- 
ten, Göttererscheinungen,  reicher:  Fortuna  im  17.  und  18.  Gesang;  die 
Höhle  des  Zauberers  Fiton,   23.  u.  24.  Ges.,   wo  der  lange  nachher  er- 


t)  IL  S.  104.   D.  Uebers. 


486  Das  spanische  Drama. 

die  Türken,  der  mit  der  Schlacht  von  Lepanto  endigte.  Lope's  nnd  an- 
derer ihm  zeitverwandten  Bearbeiter  von  Kaiser  Karls  V.  Thaten  für  die 
spanische  Bühne  epische  Vorlagen  auch  für  diese  Dramengruppe,  dürf- 


Farben  und  Töne  zu  Lope's  'Tragicomedia  famosa  Arauco  domado' 
mischte,  die  er  dem  Sohne  seines  Helden,  dem  Don  Hurtado  de  Men- 
do^a  SU  hijo,  Marques  de  Caiiete  widmete. 


fochtene  Seesieg  von  Lepanto  geweissagt  wird  —  das  merkwürdigste 
Zauberkunststück  auf  epopöischem  Gebiet.  Die  dritte  1590  erschienene 
Abtheilung  enthält  (Ges.  32.  33)  eine  völlig  überflüssige  Vertheidigung 
der  Königin  Dido  gegen  die  Anschuldigungen  Virgil's.  Ges.  36  biogra- 
phische Mittheilungen  über  sich  selbst.  Den  Schluss  des  ganzen  Gedich- 
tes bilden  Klagen  über  seine  bedrängte  Lage,  seine  getäuschten  Hoffnun- 
gen, und  der  Entschluss,  sein  noch  übriges  Leben  der  Busse  und  Andacht 
zu  weihen.  Ercilla's  Beschreibungen  —  urtheilt  Ticknorf)  —  ,,sind,  wenn 
man  die  von  Landschaften  ausnimmt,  bemerkenswerth,  und  sowohl  die  von 
Schlachten  als  von  den  wilden  Sitten  der  Indier  von  keinem  andern  spa- 
nischen Dichter  übertroffen  worden.  Auch  die  Reden  sind  bei  ihm  oft 
trefflich,  vorzüglich  die  merkwürdige  im  2.  Gesänge,  welche  dem  Colocolo, 
dem  ältesten  Kaziken  in  den  Mund  gelegt  wird."  Ercilla's  Charaktere, 
die  der  Häuptlinge  insbesondere,  „sind  kräftig  und  deutlich  entworfen, 
und  flössen  eher  Mitgefühl  für  den  Indier  als  für  den  angreifenden  Spa- 
nier ein  .  .  .  Das  ganze  Gedicht  durchströmt  das  tiefe  Gefühl  der'Lehns- 
treue"  .  .  .  Um  ein  Drittel  länger  als  die  Iliade,  blieb  die  Araucana  doch 
nur  ein  Bruchstück,  an  welches  sich  noch  33  Gesänge  des  Diego 
Sanisteban  Osorio  aus  Leon  als  Fortsetzung  anschliessen  und  1597  er- 
schienen. Beide  Araucana's,  die  des  Ercilla  und  Osorio,  wetteifern 
darin  miteinander,  dass  sie  vom  Helden  ihres  Heldengedichtes,  Garcia 
Hurtado  de  Mendoza,  dem  Oberbefehlshaber  im  araucanischen  Kriege, 
schweigen,  oder  doch  leicht  über  ihn  hinweggehen.  Lope  de  Vega's  Tra- 
gicomedia  'Arauco  domado'  scheint  vorzugsweise  gedichtet,  um  diese  in 
der  Geschichte  der  Epopöen  beispiellose  Lücke  durch  eine  tragikomische 
Apotheose  des  Helden  auszufüllen;  nach  Vorgang  und  vielleicht  auf 
Grundlage  des  epischen  Gedichtes  „Arauco  domado"  von  Pedro  de 
Ona,  aus  Chile,  in  19  Gesängen,  das  dieser  Chilesische  Epiker  ausdrück- 
lich zur  Glorification  des  Bewältigers  von  Arauco,  Garcia  de  Mendo9a,  ge- 
dichtet hat. 

Die  biographische  Quelle  zu  diesem  Bezwinger  von  Chile  oder  Arauco 
hat  man  in  Christoval  Suarez  de  Figueroa's:  'Hechos  de  Don  Gar- 
cia de  Mendoza'  (Madr.  1613.  4^)  zu  suchen. 


t)  a.  a.  0.  S.  105, 


Schaus]iiele  aus  der  spaniöclien  Geschichte.  487 

ten  wir  vielleicht  in  Hieronimo  Sempere's  Epopöie:  La  Carolea 
(2  Bde.  Valenc.  1560.  12«)  erblicken.  Der  Dichter,  ein  Kaufmannn,  schil- 
dert in  den  ersten  1 1  Gesängen,  welche  mit  der  Gefangennehniung  Franz  I. 
schliessen,  die  ersten  ital.  Feldzüge  des  Kaisers.  In  der  zweiten  Abthei- 
lung von  19  Ges.,  Carls  V.  Kämpfe  in  Deutschland.  Eine  dritte  Ab- 
theilung, welche  des  Kaisers  Kriegszüge  in  Afrika  enthalten  sollte,  ist 
nicht  erschienen,  ,, glücklicherweise'*,  wie  Ticknor  meint.*)  Diesen  Ausfall 
deckt  —  „unglücklicherweise*'  für  den  amerikanischen  Cato  Censorius  der 
spanischen  Literatur  —  deckt  des  Luis  de  ^apata  Epos  'Carlo  fa- 
mos o%  das  eine  Chronik  von  Karls  V.  Leben  und  Thaten  in  50  Ges.  von 
40,000  Versen  in  Achtzeilen  (ital.  Octaven)  liefert,  und  dem  Dichter 
13  Jahre  Operam  et  oleum  gekostet  hat.  Er  erzählt  das  Leben  des  Kai- 
sers Jahr  für  Jahr,  von  1522  bis  zu  seinem  Tode  1558  im  Kloster  San 
Juste.  Sowohl  der  Carolea  der  Sempere,  wie  dem  Carlo  famoso  des  ^a- 
pata,  weist  Cervantes  einen  Platz  unter  den  besten  Dichtungen  in  Don 
Quijote's  Büchersammlung  an.  Für  den  amerikanischen  Cato  Censorius, 
der  dem  spanischen  Epos  —  wie  der  römische  den  Eittern,  die  sich  auf 
dem  fahlen  Pferde  betreffen  Hessen,  das  Keitpferd  —  das  Musenpferd  er- 
kennt, giebt  es  ,, nicht  leicht  ein  prosaischeres  Gedicht". 

In  seiner  normgerechten  Classification  und  kennzeichnenden  Charak- 
teristik von  Lope's  historischen  Schauspielen  aus  der  spanischen  Ge- 
schichte geht  nun  unser  mustergültiger  deutscher  Literarhistoriker  auf 
diejenigen  geschichtlichen  Dramen  Lope's  über,  „die  zwar  auf  dem  Boden 
der  nationalen  Geschichte  stehen  und  historische  Personen  auftreten  las- 
sen, aber  sich  doch  mehr  um  Privatinteressen,  als  um  die  grossen  Staats- 
angelegenheiten drehen".  In  diese  Reihe  werden  von  H.  v.  Schack  eingeord- 
net: La  Estrella  de  Sevilla.**)  Porfiar  hasta  morir  ,,eine  sehr 
gelungene  Bearbeitung  der  Geschichte  des  unglücklichen  Troubadour 
Macias."***)  El  mejor  Alcalde  el  Key,  Analyse  oben  S.  445  ff. 


*)  a.  a.  0.  S.  100.  -   **)  Unsere  Analyse  S.  365  ff.  -  ***)  Gesch.  d. 
Dram.  VIII.  S.  725  f.   (Bibl.  de  Aut.  Esp.  a.  a.  0.  IE.  95  ff.)    Lope  lässt 
Don  Tello,  den  künftigen  Gemahl  der  Dona  Clara,   durch  Macias  aus 
den  Händen  von  Räubern  befreien,  den  Macias  aus  Liebesverzweiflung  in 
den  Krieg  ziehen,  mit  dem  Santiago-Kreuz  geschmückt  nach  Cordova  zu- 
rückkehren,  wo   er  Doiia  Clara  mit  Don  Tello  vermählt  findet,    den 
Liebesritterdichter  wahnsinnig  werden,   von  Marques  Enrique  Maestro  de 
Santiago  als  gefährlichen  Narren  einsperren  und  von  Tello  mit  dem  apo- 
theosirenden  Speer  durch  das  unsterbliche  Kerkergitter  durchbohren: 
Ale  aide.      Que  ha  muerto  a  Macias  Tello, 
-  Tirandole  por  la  reja 
Una  lanza. 
Macias  wird  mit  dem  Speer  in  der  Brust  auf  die  Bühne  gebracht,  wo  er 
seinen  letzten  Seufzer  in  den  Titel  des  Stückes  porfiar  hasta  morir: 


488  ^*s  spanische  Drama. 

La  Carbonera,  von  Leonor,  Peters  des  Grausamen  Schwester,  so 
benannt,  die  sich  vor  den  Verfolgungen  ihres  Bruders  unter  Köhlern 
verborgen  hält.  König  Pedro' s  Vertrauter  soll  sie  aufsuchen;  verliebt 
sich  in  die  Prinzessin  und  findet  Gegenliebe.  Auf  der  Jagd  verirrt,  ge- 
räth  König  Pedro  in  die  Köhlerhütte,  erblickt  Leonor,  die  er  nie  vorher  — 
mirabile  dictu !  —  gesehen,  verliebt  sich  in  die  Schwester  und  befiehlt  dem 
Don  Juan,  sie  ihm  zuzuführen,  Verzweiflung  des  Liebespaars.  Leonor  ver- 
mählt sich  zum  Schein  mit  dem  Köhler  Bras;  entdeckt  sich,  um  ein  Ende 
zu  machen,  dem  grausamen  Pedro,  der  seinen  Charakter,  wie  gewöhn- 
lich im  spanischen  Drama,  de  but  en  blanc  umkehrt,  aus  einem  grausa- 
men in  einen  grossmüthigen  Pedro  umschlägt,  und  die  Schwester  dem 
Don  Juan  in  die  Arme  führt.  Die  Katastrophe  bricht,  wie  Hercules  dem 
Stierkopf  des  Achelous  das  Stosshom  als  Füllhorn  abbrach,  ähnlich  un- 
serm  grausamen  König  Pedro  die  ihm  während  dem  Verlauf  des  Stückes, 
aufgesetzten  Homer  als  Fruchthörner  voll  Huld  und  Gnaden  von  der  Stirne. 
So  in  Lope's  Don  Pedro-Drama:  Lo  Cierto  por  lo  dudoso*)  und  in 
La  nifia  de  Plata:  „Das  Mädchen  von  Silber**.**)  So  wird  Teodora,  die 
Heldin  der  Comedia  von  Sevilla,  um  ihrer  unschätzbaren  Eigenschaften  und 
ihrer  nicht  mit  Gold  und  Silber  und  Piatina  aufzuwiegenden  Annehmlich- 
keiten und  Tugenden  titulirt.  ***)  Hier  wetteifert  König  Pedro's  Bastard- 
Bruder  Enrique  Trastamara  mit  Pedro  dem  Grausamen  an  Grossmuth, 
indem  er  das  Mädchen  von  Sevilla,  Teodora,  die  er  vor  der  Katastrophe 
in  ihrem  Schlafgemach  überfallen  hatte,  aber  von  dem  Silber  ihrer  tugend- 
haften Thränen  bezaubert,  nun,  wo  ihm  die  Katastrophe  das  Messer  an 
die  Kehle  setzt,  mit  ihrem  Geliebten,  dem  Don  Juan,  unter  den  Anspi- 
elen des  Königs  Pedro,  vermählt,  der  nur  eben  dem  Don  Juan  und  des- 
sen Vater  d-en  Kopf  wollte  abschlagen  lassen,  und,  nach  Don  Enrique's 
der  Teodora  feierlich  geleisteter  Ehrenerklärung,  den  24,000  vom  Ba- 
stardbruder der  Teodora  als  Mitgift  ausgesetzten  ducados  die  gleiche 
Summe  aus  seiner  königlichen  Tasche  zulegt f),  und  so  das  Mädchen  von 
Silber  zum  Ducatenweibchen  macht. 

Selbstverständlichermassen  wird  uns  auch  in  dieser  Comedia  des  Gross- 
muthswetteifers  zwischen  den  so  herzverschwisterten  Bastardbrüdern, 
deren  entente  cordiale  sich  vor  Montiel  zu  einem  Todesumarmungsknoten 


„Kämpfen  bis  zum  Tode**,  aushaucht.    Kämpfen  als  unermüdlicher  Lie- 
besstreiter;   „porfiar**    bezeichnet    zugleich  die  Ausdauer  im  Kampfe.  — 
*)  Analyse  S.  381  ff.  —  **)  Analyse  Bd.  IX.  S.  617  ff. 
***)  —  a  quien  Uama 

Nina  de  Plata  Sevilla 
Por  el  valor  de  sus  gracias. 
+)        Key.        —  Si  dio  el  infante 

Veinte  y  ouatro  mil,  anadan 
Otros  tantos  que  doy  yo. 


Schauspiele  aus  der  Geschichte  König  Pedro's  I.  v.  Castil.       4g9 

zusammenschnürte  —  auch  in  dieser  Comedia  das  stereotype  Parallel- 
Doppelmotiv  nicht  geschenkt:  Don  Juan's  Liebesbewerbung  um  Teo- 
dora's  Freundin,  Marcela,  aus  Eifersuchtsrache  wegen  des  Prinzen  En- 
rique, so  wie  der  streng  nach  dem  orthodoxen  Paralleldogma  stattfin- 
dende Wohnungstausch  zwischen  Teodora  und  Marcela,  infolge 
dessen  Don  Juan  vor  Marcela's  Gitterfenster  Huldigungen  darbringt, 
die  der  Teodora  zugutkoramen,  und  was  nicht  noch  alles  für  Huldigun- 
gen, die  aus  jenem  Wohnungstausch  entspringen,  der  Parallelformel  dar- 
gebracht werden.  — 

Jene  Selbstverstümmelung,  welche  eine  von  König  Pedro,  dem  ebenso 
Brünstigen  wie  Grausamen,  hartbedrängte  Scham  an  sich  vornahm*),  um 
den  Gelüsten  des  Wüstlings  zu  entgehen,  vollzieht  in  Lope's  Comedia:  La 
Corona  merecida  eine  Doiia  Sol  an  ihrem  schönen  Körper,  um  den 
König  Alfonso  VIII.  abzuschrecken,  wofür  der  Dona  Sol,  ihrer  Hof- 
dame, die  Königin  Leonor,  eine  englische  Prinzessin,  ihre  Königskrone 
aufsetzt.  Die  Selbstverstümmelung  bewirkt  Dona  Sol,  aus  ehelicher 
Treue,  mit  einer  brennenden  Fackel,  die  ihren  schönen,  entkleidet  auf 
dem  Bette  hingelagerten  Körper  mit  Brandwunden  übersät.  In  diesem 
Zustande  stattet  sie  knieend  der  Königin  Leonor  Bericht  ab  vom  Anlass 
zu  der  stückweisen  Selbstverbrennung  bei  langsamem  Fackelfeuer.**)  Die 
Königin  preist  den  weiblichen  Phaeton  ihrer  selbst,  Sol  (Sonne)  undPhae- 
ton  zugleich.***)  Und  König  Alfonso  VIII.  bestätigt  die  Aussage  der 
Dona  Sol  auf  Königswort  f),  und  schenkt  dem  Holokaust  ihrer  selbst  vier 
Städte  in  die  Wirthschaft.  ff)  Nach  der  ihr,  als  enkaustischer  Tugend- 
preis und  als  Sinnbild  ihrer  aus  der  Fackelfeuerprobe  als  lauteres  Gold 
hervorgegangenen  Frauenehre,  aufgesetzten  Königskrone,  nach  der  Corona 


*)  Gesch.  der  Dram.  VIII.  S.  606.    • 
**)    Dona  Sol.   —  con  una  hacha 

Metida  en  un  aposento, 
Desnuda  sobre  la  cama 
Gaste  la  media  en  mi  cuerpo 
Cubriendome  de  mil  Ilagas 
Cuya  sangre  sale  ahora 
Por  los  pechos  y  los  mangas. 
„Bedeckte  ich  mich  mit  tausend  Wunden, 
Die  hier  aus  Brust  und  Aermeln  bluten." 
***)    Leonor.       Que  tu  nuevo  Sol  has  sido 

Con  aquella  hacha  encendida, 
Otro  Faeton  en  el  carro 
Para  abrasarte  a  ti  mismo. 
t)    Eey.  Cuanto  ha  dicho,  el  Key  confirma. 

f  t)  Y  yo  les  doy  cuatro  villas 

Leon.  Tu  y  cuantos  de  si  desciendan  .  .  , 


490  I^as  spanische  Drama, 

merecida  —  bestimmt  Königin  Leonor  —  sollen  die  Nachkommen  der 
Dona  Sol  für  alle  Zeiten  den  heraldischen  Familiennamen  ,,Coroneles'* 
„Krönlinge"  tragen.*) 

„Die  Stücke"  —  entrollt  H.  v.  Schack  seine  Liste  Lope'scher  Dra- 
menköpfe immer  reichhaltiger  —  „die  Stücke,  zu  denen  die  Annalen  Por- 
tugals den  Stoff  geliefert  haben  (El  principe  per  feto**);  El  Duque 
de  Viseo;  La  discreta  venganza***);  El  mas  galan  Portuguez; 
Duque  de  B r aganz a);  stehen  in  Bezug  auf  die  Behau dlungsweise  des 
Historischen  ganz  denen  aus  der  spanischen  Nationalgeschichte  gleich." 
Von  Duque  de  Viseo  giebt  Herr  v,  Schack  einen  Inhaltsauszug  (S,  317  f.). 
Eine  Paraphrase  der  Fabel  findet  sich  in  Enk's  mehrcitirten  Studien 
(Nr.  XIV.).  Das  Motiv  ist  höchste  VasaUen  -  Loyalität  quand-meme,  an 
zwei  verschiedenen,  nur  parallel  neben  einander  hergehenden  Handlungen 
erläutert:  an  dem  auf  Befehl  König  Don  Juan' s  von  Portugal  enthaupteten 
Don  Juan  de  Braganza,  und  an  Duque  de  Viseo,  dem  Vetter  des 
Königs,  den  dieser  mit  eigner  Hand  niederstösst,  aus  Furcht  vor  einer 
Prophezeihung,  die  dem  Duque  de  Viseo  die  Krone  in  Aussicht  stellt.  Die 
auf  einen  Zettel  geschriebene  Prophezeihung  überreicht  der  Duque  seiner 
Geliebten  Dona  Elvira  vor  ihrem  Balcon  an  einer  Schnur  aus  Ver- 
sehen, statt  der  Antwort  auf  ihr  Brief chen,  das  sie  ihm  an  derselben 
Schnur  herabgereicht.  Der  König  überrascht  Elvira  und  entreisst  ihr  das 
Papier.  Den  Verhetzer  macht  Don  Egas,  aus  Rache,  weil  Einer  von  den 
Brüdern  Braganza  an  der  Aechtheit  von  Egas'  ritterbürtiger  Abstam- 
mung gezweifelt.  Diese  Beweggründe  und  diese  am  Blindenseile  des  Zu- 
falls geführte  Handlung  und  herbeigeführte  Katastrophe  versetzen  der  histo- 
rischen Tragödie  oder  Tragikomödie  den  meuchelmörderischen  Dolchstoss, 
der  den  Heldenvasallen  von  der  Hand  des  Königs  trifft. 

Hier  wendet  sich  Herr  v.  Schack  zu  den  die  Begebenheiten  anderer 
Völker  dr am atisir enden  Stücken  des  Lope:  „Unter  den  der  Geschichte 
des  klassischen  Alterthums  entnommenen,  verdient  —  die  Roma  abrasadaf), 
nur  durch  die  lyrische  Pracht  einiger  Schilderungen  Aufmerksamkeit,  ft) 


*)  —  por  aquesta  Corona 

Se  Hamen  desde  este  dia 

Coroneles  para  siempre. 
**)  Eine  parallele  Dilogie  (Primera  Parte  und  segunda  Parte),  welche 
in  König  Don  Juan  IL  (Joano  II.)  von  Portugal,  den  vollkommensten  der 
Könige,  das  Ideal  von  König,  verherrlicht.  —  ***)  „Die  verständige  Rache", 
spielt  in  Lissabon  unter  König  Alfonso,  aber  mit  einem  Contingent  von 
spanischen  Komödienfiguren.  —  f)  >,Das  brennende  Rom",  von  Nero  in 
Brand  gesteckt.  —  ft)  Wohl  auch  durch  die  Charakteristik  des  Kaisers 
Claudio,  des  Neron  und  Oton,  nach  Sueton  und  —  für  uns  das  Beach- 
tenswerthesteste  —  durch  das  kräftige ,  geschichtsgetreue  römische  Colorit, 
das  dieses  historische  Drama  auszeichnet,  ein  unicum  in  dieser  Beziehung, 


Stücke  nach  alttestamentlichen  Stoffen.  491 

Aus  den  Stücken  mit  alttestamentlichen  Stoffen  hebt  unser  kun- 
diger, in  der  Lope-Komödie  tief  belesener  Classificator  und  Ordner  seiner 
Schauspiele  nach  Stoff  und  Thema,  Los  trabajos  de  Jacob  (die  Müh- 
sale Jacob's  oder  Joseph  und  seine  Brüder)  hervor  —  „ein  Stück,  das 
eben  so  untadelhaft  in  der  Composition  als  anziehend  in  den  Details  ist, 
und  eine  so  ergreifende  Innigkeit  des  Gefühls  athmet,  dass  der  Dichter 
die  ganze  Fülle  seines  liebevollen  Gemüths  in  dasselbe  ausgegossen  zu 
haben  scheint",  woraus  ein  so  alttestamentlich  melodischer  Nachhall  am 
Ende  wohl  gar  in  MehuFs  gleichstoffiges  und  thematisches  Gesangspiel 
sich  ergossen!  ,, Dieses  Drama*'  —  Lope's  Trabajos  de  Jacob  —  steht 
zwischen  zwei  andern:  El  robo  de  Dina  (Raub  der  Dina,  der  alttesta- 
mentlichen Helena)  und  La  salida  deEgytto  (Auszug  aus  Aegypten), 
mit  denen  es  eine  Art  von  Trilogie  bildet."  —  Ein  Inhaltsauszug  aus  dem 
Auszug  aus  Aegypten,  aus  der  Art  Trilogie,  müssen  für  uns  ägyptische 
Fleischtöpfe  bleiben,  wonach  wir  uns  blos  sehnen  dürfen.  Welcher  Li- 
terarhistoriker vermöchte  auch  Liebig'sche  Fleischextracte  aus  allen  Lo- 
pe'schen  Fleischtöpfen  zu  geben!  Preisen  wir  unsern  deutschen  Meister 
der  Geschichte  der  dramatischen  Literatur  und  Kunst  in  Spanien  vielmehr 
um  der  zahlreichen  schmackhaften  Extracte  willen,  die  er  zuerst  in  sol- 
cher Auswahl  und  Fülle  geliefert.  Ein  Löffelchen  davon  könnte  sogar 
manche  breite  Bettelsuppe  der  Sismondis,  der  Puisbusque,  der  Amadores 
de  los  Bios  und  sonstiger  Extracidores  nahrhaft  und  bekleibend  würzen. 
Finden  wir  uns  doch  selber  gemüssigt,  in  unsere  analytischen  Vitellius- 
schüsseln  von  tausenderlei  Gerichten  aus  allen  Thierklassen ,  hier  noch 
nachträglich  eine  Messerspitze  voll  von  jenen  wohlschmeckenden  und  be- 
kömmlichen Komödien-Extractstoffen  zu  mischen !  In  unsere  Vitellius-Ana- 
lysenschüsseln  eine  Art  Hasen  -  oder  Gänseklein,  zusammengeschnitten  und 
geschneidelt  aus  den  zerhackten  Gliedern  der  riesigen  Diana  von  Ephesus 
sammt  allen  aus  ihrem  Leib  hervorgewachsenen  Thierköpfen. 

Man  vergleiche,  beispielsweise,  unsere  Analyse  von  Lope's  Comedia 
'El  castigo  sin  Venganza'*)  mit  dem,  als  Probe  einer  Lope-Comedia 
nach  italienischem  Fabelstoffe,  dargebotenen  Inhaltsextracte  S.  321  in 
Herrn  v.  Schack's  nicht  genug  zu  rühmendem,  durch  Geschmack,  er- 
schöpfende Sachkenntniss ,    durch    elegante  Kürze  und  Gehaltfülle  gleich 


unseres  Bedünkens,  in  dem  historischen  Drama  der  Spanier.  Zur  Aus- 
führung dieser  Randbemerkung  in  ein  analytisches  Gemälde  fehlt  es  uns 
an  Leinwand,  an  Farben,  an  Pinseln,  die  wir  auf  andere,  für  das  Ver- 
ständniss  von  Lope's  Eigenart  uns  dienlicher  scheinende  Dramen  ver- 
quistet.  So  manche  seiner  magern  Kühe  mussten  aus  diesem  Grunde  so 
manche  seiner  fetten  Kühe  verschlingen.  Wie  z.  B.  seine  römische  Tragi- 
komödie ^Elhonrado  hermano'  die  Analyse  seiner  'Roma  abrasada' 
verschlang:  oben  S.  313  ff.  —  *)  S.  303  ff. 


492  I^as  spanische  Drama. 

ausgezeichnetem  Werke.  Und  man  wird  auch  bei  diesem  Vergleiche  fin- 
den: dort  die  Vitellius-Schüssel;  hier  das  granum  salis. 

„In  El  esemplar  mayor  de  la  desdicha  haben  wir  ~  das  tragi- 
sche Geschick  des  Belisar  ...  El  gran  Duque  de  Moscovia  hat  das 
Leben  und  die  Schicksale  des  falschen  Demetrius  zum  Gegenstand*) .  .  . 
El  Rey  sin  Eeino  schildert  die  Wirren  und  Kämpfe,  die  am  ungarischen 
Hofe  der  Thronbesteigung  des  Matthias  Corvinus  vorausgingen,  in  den 
lebhaftesten  Farben  ...  La  Reyna  Juana  de  Napoles  —  ein  ganz 
misslungenes  Product  .  .  .  Wir  wünschen,  Lope  von  der  Autorschaft  die- 
ser Tragödie  freisprechen  zu  können,  die  indessen  nur  allzugut  beglaubigt 
ist."    Lebhaft  stimmen  wir  in  diesen  Wunsch  mit  ein.**) 

Es  folgt  nun  die  Rubrik  von  Lope's  mythologischen  Schauspielen. 
„Dass  er  (Lope)  hier  mehr  der  Convenienz  und  äussern  Antrieben,  als 
dem  eigenen  Drange  folgte,  zeigt  sich  —  oft  in  einer  gewissen  Kälte  und 
Mattigkeit,  die  durch  alle  Pracht  der  Darstellung,  durch  allen  Glanz  der 
Schilderung  nicht  verdeckt  werden  kann."  Diesem  ürtheil  lässt  sich  kein 
Jota  rauben.  Für  das  mythologische  Genre  war  Lope's  dichtende  Phan- 
tasie zu  realistisch,  möchten  wir  sagen.  Hiefür  eignete  sich  weit  mehr 
Calderon's  symbolisirende ,  hypostasirende  Manier  und  theologisch-mysti- 
sche Anschauungsweise.  Dergleichen  war  Lope's  heiterem  Genius  so  wenig 
an  der  Wiege  gesungen,  wie  unserem  Goethe,  wovon  den  schlagendsten 
Beweis  die  kalte  Hexenküche  zum  ersten  Theil  des  Faust  liefert:  der 
zweite  Theil  nämlich.  Aus  Lope's  mythologischen  Stücken  nennt  H. 
V.  Schack  die  Fabula  de  Perseo,  Las  mugeres  sin  hombres,  El 
Laberinto  de  Creta,  Adonis  y  Venus,  El  vellocino  de  Oro  (das 
goldene  Vliess).  Denen  wir  noch  das  schwächste  hinzufügen,  die  'Andro- 
meda'  —  lauter  Hesperiden-Aepfel ,  will  sagen  Hesperiden-Erdäpfel  in 
mythologischer  Phönix-Asche  gebraten. 

Ein  Contingent  aus  den  deutschen  Kaisergeschichten  stellt^  Lope's : 
La  Imperial  de  Otton,  „die,  auch  über  die  deutschen  Bühnen  ge- 
gangene Geschichte  des  Königs  Ottokar  von  Böhmen."  „Im  zweiten 
Act  sieht  man  die  beiden  feindlichen  Heere  am  Abend  vor  der  entschei- 
denden Schlacht  einander  gegenüberstehen.  Kaiser  Rudolph  empfängt  in 
seinem  Zelt  einen  Wahrsager,  der  —-  ihm  seinen  gewissen  Sieg,  so  wie 
die  künftige  Herrlichkeit  des  Hauses  Habsburg  verkündigt.  Ottokar  da- 
gegen hat  eine  Geistererscheinung,  durch  die  ihm  das  Frevelhafte  seines 
Unterfangens  vorgehalten  und  sein  Sturz  geweissagt  wird."  Das  erinnert 
an  die  gleichzeitige  Doppelvision  Richard's  III.  und  Richmond's  im  5.  Act 
bei  Shakspeare.  „Die  Vision  macht  einen  solchen  Eindruck  auf  ihn  (Ot- 
tokar), dass  er  beschliesst,  von  seiner  Auflehnung  abzustehen ;  doch  macht 

*)  In  Enk's  Studien  Nr.  XVII.  Eine  deutsche  Uebersetzung  in  fünf- 
füssigen  Jamben  lieferte  Moritz  Rapp  in  die  werthvolle  Sammlung  von 
Hildburghausen.  -  **)  Bei  Enk.  Nr.  XIII,, 


Lope's  Drama  nach  ital.  Novellen.  493 

er  es  zur  Bedingung  seiner  Unterwerfung,  dass  bei  der  Huldigung  und 
Abbitte,  die  er  dem  Kaiser  leisten  werde,  kein  Zeuge  zugegen  sey.  Ru- 
dolph sagt  die  Erfüllung  der  Bestimmung  zu.  Man  erblickt  im  Hinter- 
grunde das  an  allen  Seiten  geschlossene  kaiserliche  Zelt,  worin  aber  Grup- 
pen der  kaiserlichen  und  böhmischen  Krieger.  —  Plötzlich  fällt  der  Vor- 
hang des  Zelts  und  man  sieht  Rudolph  im  vollen  Ornat  des  Imperators, 
Scepter  und  Reichsapfel  in  der  Hand,  zu  seinen  Füssen  aber  den  gede- 
müthigten  Ottokar  auf  den  Knieen;  dieser  erhebt  sich  voll  Zorn"  u.  s.  w. 
Das  erinnert  an  die  homogene  Scene  in  Grillparzer's  „Ottokars  Glück  und 
Ende''.  Desgleichen  der  hohnvolle  Empfang,  den  Lope's  nach  Prag  zu- 
rückgekehrter Ottokar  von  seiner  Gemahlin  Ethelfriede  erfährt,  genau,  wie 
in  Grillparzer's  Glück  und  Ende. 

Stoffe  aus  mittelalterlichen  Sagenkreisen  behandeln  u.  a.  Lope's 
Los  Palacios  de  Galiana,  „die  Dramatisirung  einer  dem  Karls-Sagen- 
kreis angehörenden  Erzählung  (s.  darüber  Turpin  c.  20  und  die  Reali  si 
Prancia  L.  VI.  c.  18 — 51)."  Diesen  schliesst  sich  an:  Lamocedadde 
Roldan  (Roland's  Jünglingsthaten).  ühland's  „Klein-Roland".  La  po- 
breza  deReynaldos  „behandelt  die  Leiden  und  Thaten  des  Heymons- 
sohnes  Reinhold  von  Mantalban  während  seines  Exiles."  In  El  Mar- 
ques de  Mantua  haben  wir  die  —  Erzählung  von  Baldovinos  und  Car- 
loto*)  u.  s.  w.  „Die  rührende—  Erzählung  von  der  schönen  Magelone**) 
ist  auf  sehr  vorzügliche  Weise  behandelt  in  Los  tres  diamantes"  ... 

„Wir  kommen  nun  zu  den  Dramen,  deren  Inhalt  auf  Novellen  der 
Italiener  und  Spanier  basirt  ist.  El  Mayordomo  de  la  Duquesa  de 
Amalfi  (nach  Bandello  P.  J.  Nov.  26)  giebt  zu  einer  interessanten  Zu- 
sammenstellung mit  der  auf  dieselbe  Begebenheit  gegründeten  altengli- 
schen Tragödie  von  Webster  Anlass  (The  Duchess  of  Malfi)"  .  .  ,  Anlass 
zu  einer  noch  ungleich  interessanteren  Zusammenstellung  bietet  Lope's 
Tragicomedia  Castelvines  y  Monteses,  fussend  auf  den  Capuletti 
und  Montecchi-No vollen.  Von  dieser  Tragicomedia  giebt  H.  v.  Schack 
ein  ausführlicheres  Inhaltschema  nach  den  Jornadas.***) 

„Ungleich  vorzüglicher  als  die  beiden  zuletzt  genannten  Komödien 
(Duquesa  de  Amalfi  und  Castelvines)  ist  La  Quinta  de  Florencia, 
gleichfalls  aus  einer  Novelle  des  Bandello  gezogen  —  und  hier  muss  man 
Lope'n  unbedingt  den  Vorrang  vor  Beaumont  und  Fletcher  einräumen,  die 
in  ihrem  Maid  of  the  mi  11  dasselbe  Ereigniss  dramatisirt  haben  .  .  , 
In  El  Halcon  de  Federigo  stösst  man  auf  die  Novelle  vom  Falken  aus 
dem  Decameron  (Giorn.  5.  Nr.  9);  im  El  remedio  en  la  Desdicha 
auf  die  mit  Recht  bewunderte  Erzählung  von  Abindarracz  und  Darifa  aus 
der  Diana  des  Montemayor.    El  Guante   de  Dona  Bianca  ist  auf  die 


*)  Der  Karlssage  angehörend.  —  **)  Hystoria  de  Jinda  Magelona  hija 
del  rey  de  Näpoles  y  del  muy  esforzado  Caballero  Pierres  de  Provenza. 
Toledo  1526;  Sevilla  1532.  —  ***)  Unsere  Analyse  X.  S.  340  IT. 


494  ^^^  spanische  Drama. 

nämliche  Begeijenheit  gegründet,  wie  Schiller's  Handschuh.  El  marmol 
de  Felisardo  zeigt  in  der  Handlung  auffallende  Verwandtschaft  mit 
Shakspeare's  Wintermärchen.*) 

An  der  Spitze  der  Dramen,  deren  Charakter  als  „dramatische  No- 
vellen** bezeichnet  werden,  begrüsst  uns  Lope's  Comedia  El  nuevo  Pita- 
goras,  ,,die  bizarrste  Mischung  heterogener  Bestandtheile ,  die  tollste 
und  abenteuerlichste  Verbindung  von  tragischen  Katastrophen  und   aus- 


*)  Da  uns  selbst  der  VI.  Bd.  von  Lope  de  Vega's  grosser  Komödien- 
sammlung (Madr.  1615),  worin  die  Comedia  El  marmol  de  Felisardo  (Nr.  11) 
enthalten,  nicht  erlangbar  ist,  geben  wir  den  aus  Grillparzer's  Aufsatz: 
Ueber  Lope  de  Vega's  dramatische  Dichtungen  (Werke  Bd.  VI.  S.  257  ff.) 
entnommenen  Auszug. 

„Ein  junger  Student  Felisardo  befindet  sich  auf  dem  Dorfe,  wo  er 
sich  in  die  Tochter  des  Alkalden,  Elisa,  verliebt.  Er  gilt  als  der  Sohn 
eines  vornehmen  Mannes  und  wird  für  hohe  kirchliche  Würden  bestimmt. 
Als  man  sie  aber  bei  einer  verliebten  Zusammenkunft  überrascht,  was  das 
Mädchen  in  üblen  Euf  bringen  müsste,  und  Felisardo  verspricht,  sie  zu 
heirathen,  giebt  der  Vater  denn  doch  seine  Einwilligung.  Felisardo  ist 
aber  ein  natürlicher  Sohn  des  Königs  (von  Gelanda.  Ich  weiss  nicht,  wo 
das  liegt).  Da  dieser  König  im  Laufe  des  ersten  Actes  durch  den  Tod 
seines  rechtmässigen  Thronfolgers  erblos  wird,  muss  er  sich  nothgedrun- 
gen  an  den  natürlichen  Sohn  wenden,  und  er  schickt  den  Almirante  ab, 
der  ihn  auch  wirklich  an  den  Hof  bringt.  Nun  fängt  der  Unsinn  an. 
Elisa  hat  einen  Zwillingsbruder,  Celio,  der  ihr  so  ähnlich  ist,  dass,  als 
ihr  Vater  diesen  Celio  als  Pagen  an  den  Hof  bringen  will,  er  sich  ver- 
greift und  seine  Tochter  in  Pagenkleidern  dem  Prinzen  als  Diener  stellt. 
Felisardo  ist  selbst  im  Zweifel  über  das  Geschlecht  dieses  Zwitterwesens, 
wo  ihm  denn  der  lustige  Diener  Tristan  den  Rath  ertheilt,  dem  Pagen 
einen  Schilling  geben  zu  lassen,  wo  sich  denn  herausstellen  müsse,  ob  er 
ein  Mann  oder  ein  Weib  sey.  Unterdessen  will  man  den  Prinzen  mit  der 
Tochter  'des  Almirante  verheirathen.  Tristan  giebt  wieder  den  Rath,  sein 
Herr  möge  sich  wahnsinnig  und  in  eine  Statue  im  Garten  verliebt  stellen 
(El  marmol  de  Felisardo).  Nachdem  alle  Mittel  der  Heilung  fruchtlos 
versucht  worden  sind,  giebt  der  König,  wieder  auf  den  Rath  Tristan's, 
endlich  seine  Einwilligung  zu  der  Vermählung  mit  der  Statue.  Es  ver- 
steht sich,  dass  Elisa  in  die  Statue  verkleidet  worden  ist  und  der  König, 
durch  sein  Wort  gebunden,  nun  auch  die  Ehe  mit  der  lebendigen  Stell- 
vertreterin zugeben  muss,  was  er  um  so  lieber  thut,  da  sich  zeigt,  dass 
der  Alkalde,  ihr  Vater,  eigentlich  von  hohen  Verwandten  abstamme.  Zu- 
letzt hat  sogar  der  Zwillingsbruder  Celio,  der  in  dem  Personenverzeich- 
nisse gar  nicht  vorkommt,  einen  einzigen  Vers  zu  sagen,  als  man  ihn 
nämlich  mit  der  für  Felisardo  bestimmten  Tochter  des  Almirante  ver- 
heirathet." 


,, Dramatische  Novellen".  '  495 

gelassener  Komik  ~  die  monströseste  Vereinigung  des  völlig  Albernen 
und  Sinnlosen  mit  Sinnreichem  und  Ergötzlichem."  Wen  der  Gaumen 
danach  kitzelt,  findet  die  Tafel  mit  den  nach  Jornadas  geordneten  obge- 
nannten  Inhaltsingredienzen  reichlich  servirt  S.  340  —  349.  Der  neue  Py- 
thagoras  ist  der  Docior  Cornagoras,  dessen  Hirn  von  dem  unsinnigen 
Glauben  der  Seelenwanderung  eingenommen.  Die  Zauberin  Rustana  pro- 
phezeiht  in  ihrer  Zauberhöhle  mit  den  Eingebungen  eines  grossen  Affen, 
von  dessen  Collegen  sich  Goethe's  Hexe  doch  nur  das  Zauberbuch  vorhal- 
ten lässt:  Der  in  der  Welt  umherstrolchende  Liebesheld  könne  seine  Ge- 
liebte, Angelica,  laut  Weisagung  des  grossen  Affen,  nur  erlangen,  nach- 
dem er  sich  bei  Angelica's  Mutter,  die  den  armen  Pythagoras,  Corna- 
goras, geheirathet,  für  den  trojanischen  Paris  ausgiebt.  Eine  episodi- 
sche Maschinerie  zeigt  aber  vorher  den  Liebeshelden  des  Stückes,  Ra- 
zonte-Paris,  auf  Engelbefehl,  kommen  und  Gloria  in  Excelsis  singen" 
vor  den  beatificirten  Leichen  der  inzwischen  zu  Handlungen  bekehrten  und 
verklärten  Hexe  Rustana  und  —  nicht  etwa  ihres  grossen  Affen  —  aber 
ihres  Bussgenossen,  Eremiten  Helvidius.  Einen  solchen  Hexenkessel  von 
Pythagoras-Dramen  konnte  nur  ein  spanisches  Gehirn  brauen,  das  auf  gut 
pythagoräisch  in  einem  Doppelkopfe  spukt,  dem  Familienerbstück,  fortge- 
pflanzt von  der  dreiköpfigen  Hexenurmutter,  Hekate,  und  dem  Urahn,  dem 
spanischen  Dreischädelkönige,  Geryon.  Aehifliche  Ausgeburten  wüster 
Halbköpfigkeit  sind  die  phantastischen,  über  Zweck,  Pflicht  und  Auf- 
gabe des  Drama's  völlig  irregewordenen,  und  daher  nur  irrsinnigen,  aus- 
schweifenden Komödienerfindungen,  die  in  Stücken  wie  La  Ventura  sin 
buscalla*)  wuchern,  worin  eine  auf  der  Flucht  begriffene  Fürstin  (Li- 
fanta  Lisarda)  bei  einem  ungarischen  Ackerbauernedelmann  im  Karpathen- 
gebirge  als  Magd  dient,  ihn  heirathet  und  zum  König  von  Ungarn 
macht;  oder  wie  Lope's:  'El  animal  de  Ungria%  welches  animal,  zu 
deutsch  „Vieh",  eine  in  den  wilden  Wald  von  ihrem  Gemahl  Dario, 
König  von  ügarn,  verstossene,  in  Thierfellen  als  wildes  Thier  umherir- 
rende ungarische  Königin,  Kinder  raubend,  die  der  König  mit  ihrer 
Schwester  gezeugt.  ElHijo  de  los  Leon  es  ,,Der  Sohn  der  Löwen", 
ist  auch  so  „Ein  Sohn  der  Wildniss",  der  an  missgeburtlich  doppelköpfiger 
Monstrosität  dem  „Animal"  von  Ungarn  gleicht,  wie  ein  Zwillingsbruder 
dem  andern.**)  Der  Sohn  der  Löwen,  Leonido,  schweift  als  Findling 
von  wirklichen  Löwen,  seinen  Pflegeeltern,  mit  diesen  in  dem  Stücke  um- 
her, zum  Mordschrecken  für  Bauern  und  Hofleute,  bis  er  zum  Salon- 
löwen und  Königs-Neffen  sich  geleckt,  als  welchen  ihn  der  König  mit  sei- 
ner Nichte ,  der  Prinzessin  von  Theben ,  verheirathet ,  um  von  ihnen  eine 
Löwenbrut  für  seinen  Löwengarten  zu  erzielen. 


*)  „Ungesuchtes  Glück".  —  **)  In  einer  Sammlung  von  Lope's  Co- 
medias  finden  wir  diese  Comedia  famosa  einem  „ingenio  de  esta  Corte" 
zugeschrieben.  Gedr.  1730. 


496  I^^s  spanische  Drama. 

Von  diesen  „unförmlichen  Productionen**  nimmt  unser  Führer  in  den 
abliegenden  Partieen  von  Lope's  Komödien-Wildpark  eine  Wendung  zu 
andern  mit  obigen  durch  lose  Verknüpfung  und  „romantische  Mannigfal- 
tigkeit" verwandten  Schauspielen,  die  aber  „ungleich  mehr  Kunst  im 
Entwurf,  und  in  der  Durchführung  des  dramatischen  Planes  zeigen*'  und 
giebt  resumirende  Inhaltsverzeichnisse  der  Komödien -Novellen  von  der 
Tragedia  oder  Tragicomedia:  Fuerza  lastimosa*);  von  der  Comedia 
DonLope  de  Cordova,  Feldherrn  des  Königs  von  Aragon,  dessen  Siege 
damit  belohnt  werden,  dass  er  bei  seiner  Heimkehr  die  Gemahlin  auf  der 
Flucht  vor  den  Lieb  es  Verfolgungen  des  Infanten  von  Aragon,  und  seinen 
greisen  Vater  eingekerkert  findet,  weil  er  die  Ehre  der  Schwiegertochter 
gegen  den  Prinzen  vertheidigt  hatte.  Lope  de  Cordova  selbst  wird 
verbannt,  leidet  mit  der  Gemahlin  Schiffbruch  an  der  sicilischen  Küste 
und  bekriegt,  als  Feldherr  des  von  ihm  besiegten  Königs  Roger 
von  Sicilien,  sein  Vaterland  Aragon,  von  Roger  dazu  gezwungen,  der 
ihn  mit  Ermordung  seiner  Gemahlin,  Casandra,  bedroht.  Den  Feld- 
zug in  Aragon  entscheidet  ein  Zweikampf  des  Cordova  mit  einem  ver- 
kappten Ritter,  den  er  als  seinen,  zum  Zweikampf  vom  Prinzen  Pedro 
gezwungenen  Vater  Bernardo  erkennt,  und  nun  zur  Flucht  beredet. 
Hierauf  verwickeln  sich  in  Sicilien  die  abenteuerlichsten  Kreuzungen  ge- 
dankenlos durcheinandergeschlungener  Begebnisse  zu  dem  zweiten  Knoten 
des  Stückes.  Lope  de  Cordova's  Gemahlin,  Casandra,  hat  sich  inzwi- 
schen auf's  Kuppeln  verlegt  und  vermittelt  eine  Zusammenkunft  ihres  Ver- 
folgers und  Anbeters,  des  Prinzen  von  Aragon,  mit  der  sicilianischen  in 
Prinz  Pedro  sterbensverliebten  Prinzessin. 

„Der  Prinz  entspricht  der  Aufforderung,  wird  aber  in  Casandra' s  Zelt 
von  Roger  überrascht  und  gefangen  genommen.  Lope  (de  Cordova) 
schäumt  vor  Wuth  wegeif  der  vermeintlichen  Treulosigkeit  seiner  Gattin, 
und  diese,  um  sich  seinem  Grimm  zu  entziehen,  entflieht,  indem  sie  das 
Gerücht  verbreitet,  König  Roger  habe  sie  wegen  des  vermutheten  Einver- 
ständnisses mit  dem  Feinde  hinrichten  lassen."  Belagerung  von  Messina 
durch  die  Aragonier.  Auf  der  Mauerzinne  erscheint  der  gefangene  Prinz 
von  Aragon,  mit  dessen  Enthauptung  die  Messiner  die  Belagerer  bedrohen, 
wenn  in  diesem  Falle  diese  den  Angriff  fortsetzten.  Unten  droht  die  sici- 
lianische  Prinzessin,  die  sich  den  Aragoniern  überliefert,  zurück;  mit  des 
Prinzen  Haupt  würde  auch  das  ihrige  fallen.  Dieser  heroische  Entschluss 
führt  die  Beilegung  des  Kampfes  herbei.  „Die  beiden  Könige  versöhnen 
sich  und  besiegeln  ihre  künftige  Freundschaft  durch  die  Vermählung  ihrer 
Kinder."  Lope  de  Cordova  wird  vom  Könige  von  Aragon  in  seine 
Würden  wieder  eingesetzt.  ,, Casandra  endlich  wird  in  Kriegertracht  unter 
dem  Heer  entdeckt,  ihre  Unschuld  kommt  an  den  Tag,  und  so  schliesst 
das   Stück   mit   allerseitiger  Versöhnung.**    „Allseitig**   -—   bis    auf    die 


*)  Unsere  Analyse  S.  394  ff". 


Lope's anderweitigeb Koiiiödien-Wildpret,  gepürscht auf fremdemRevier.  497 

dramaturgische  Poetik,  die  gegen  eine  solche,  das  Drama  in  die  Evolutio- 
nen von  Kunstreiter -Quadrillen  durcheinanderschlingende  Abenteuer-Ta- 
bleaux-  und  Situations-Wechsel-Reiterei  unversöhnlich  bleibt. 

Die  scenirten  Reiter-Quadrillen  oder  dramatisch-novellistischen  Contre- 
tänze  als  Comedias  famosas  wechseln  nur  Costüme  und  Titel  mit  jedem 
neu  eintretenden  Drama.  Den  in  eitel  Verwickelungen  aufgehenden  dra- 
matischen Gehalt  und  Kern  verflüchtigt  jedes  in  seiner  Weise.  Herz, 
Nieren  und  Gehirn  werden  an  diesen  Dramen  zu  künstlich  verschränkten 
Netzbeuteln,  zu  Nesseltüchern  für  farbenreiche  Stickmuster  gehäkelt  und  ge- 
strickt, durch  die  sich  die  gefühlsamsten  Saiten  der  Seele  nur  wie  die 
gleissenden  Silberfäden  durch  eine  gewirkte  Handarbeit  schlängeln.  Selbst 
die  Thränen  der  Rührung,  des  Schmerzes,  der  leidenschaftlichen  Alfecte 
reihen  und  fädeln  sich  als  Glas  -  oder  Stahlperlchen  auf,  zu  Pantoffeln  für 
Thalia,  zu  Schnürstiefelchen  für  die  tragische  Muse,  oder  zu  einer  gestick- 
ten Scheide  für  ihren  Dolch,  der  aber  nur  Thalia's  ihr  geborgter,  gold- 
ner Zahnstocher  ist,  mit  dem  sich  die  spanische  Tragödie  die  fälschen 
Zähne  stochert,  so  oft  sie  diese  —  zeigen  soll.  Thut  sie  das  etwa  nicht 
auch  in  einem  der  etfectvollsten  und  auch  abenteuervoUern  Rührstücke 
Lope's,  in  dem  Drama  Laura  perseguida?*)  Lassen  wir  uns  die  No- 
vellenfabel von  dem  Linnaeus  der  spanisch-dramatischen  Treibhausilora  im 
Auszuge  erzählen,  den  wir  nur  hie  und  da  mit  Citaten  glossiren. 

,,Oranteo,  Sohn  des  Königs  von  Ungarn,  liebt  Laura,  eine  junge 
Dame  von  hoher  Schönheit**),  die  ihm  jedoch  nicht  ebenbürtig  ist,  und 


*)  „Die  verfolgte  Laura".  —  **)  Von  noch  grösserem  Geiste,  wie  ihre 
Vertraute  schmeichelt : 

Leonarda.     Aunque  tu  mucha  hermosura 
Endende  qualquier  deseo 
Ser  amada  de  Otranteo  .  .  . 


Los  pasos  que  en  esto  das 

Vera  que  se  deve  mas 

A  tu  gran  entendimiento. 
Laura  selber  als  Page  des  Prinzen  verkleidet,  nennt  sich  in  einer  hüb- 
schen Scene  mit  dem  König,  „Ein  Weib,  das  vergöttert  zu  werden  ver- 
diente", mit  einer  Hinzielung  freilich  auf  Petrarca's  Laura,  deren  Bild 
(Titelkupfer)  Page  Zelio  (Laura)  vor  den  Sonetten  sah,  die  er  heute  zu 
lesen  begonnen  hat: 


Rey. 

<iQuien  es  Laura? 

Laura. 

Una  muger 

Que  merecio,  ser  divina  .  . 

Rey. 

^Has  visto  ä  Laura?  .  .  . 

Laura. 

En  estampa  la  vi 

Oy  que  el  principio  lei  .  .  . 

32 


498  l^as  spanische  Drama. 

hat^Jschon  zwei  Kinder  mit  ilir  gezeugt.  Der  König  (Priandro)  widersetzt 
sich  der  beabsichtigten  Heirath  seines  Sohnes,  den  er  mit  einer  Prinzessin 
vermählen  will.  Um  seinen  Zweck  zu  erreichen,  sucht  er  Laura  mit  sei- 
nem Sohne  zu  entzweien,  während  Laura  selbst,  die  er  nie  gesehen  hat, 
unter  einem  andern  Namen  verborgen  lebt.  *)  Eine  Zofe  (Leonarda)  Laura's, 
welche  ihrer  Herrin  sprechend  ähnlich  sieht,  und  ein  gewisser  Otavio,  Secretär 
des  Prinzen,  geben  sich  dazu  her,  den  Plan  des  Königs  in's  Werk  zu  setzen ; 
die  Zofe  legt  Laura's  Kleider  an**)  und  hält  in  dieser  Gestalt  eine  zärt- 
liche Zusammenkunft  mit  Otavio,  von  welcher  Oranteo  Zeuge  wird.  Der 
Letztere  geräth  nun  in  die  heftigste  Wuth  und  sagt  sich  von  Laura  los***) ; 
dennoch  kann  er  die  Liebe  zu  ihr  noch  nicht  ganz  aus  seinem  Herzen  ver- 
bannen f)?  und  schleicht,  indem  er  sich  für  Otavio  ausgiebt,  vor  ihr 
Fenster,  um  sich  zu  überzeugen,  ob  ihre  Treulosigkeit,  an  welcher  er  trotz 
des  Augenscheins  noch  zweifeln  zu  können  glaubt,  wirklich  wahr  sey.  Sie 
richtet,  indem  sie  von  dem  ganzen  Verrath  nichts  weiss,  freundliche  Worte 
an  ihn,  als  den  Secretär  des  Prinzen;  aber  gerade  dies  ist  in  seinen  Au- 
gen ein  entschiedener  Beweis  ihrer  Untreue,  ft)  Laura  wird  nun  in  einen 
Kerker  geworfen,  während  ihre  Kinder  in  eine  ferne  Gebirgsgegend  ge- 
schickt und,  mit  ihrer  Herkunft  unbekannt,  in  einer 'Bauernfamilie  auferzogen 
werden.  Nachdem  sie  ein  Jahr  lang  als  Gefangene  geschmachtet  hat, 
entrinnt  sie  ihrer  Haft  und  stellt  eine  Pilgerfahrt  nach  St.  Jago  an.  Auf 
der  Eückkehr  von  dort  kommt  sie  in  das  Dorf,  wo  ihre  Kinder  leben,  und 
umarmt  dieselben  unter  tausend  Thränen.  Der  Prinz  hat  unterdessen, 
obgleich  von  Laura's  Untreue  überzeugt,  sein  Herz  doch  noch  nicht  von 
ihr  abwenden  können  und  die  Vermählung  mit  der  Lif antin  standhaft  ver- 
weigert.   Die  Entwickelung,  dass  Laura's  Unschuld  anerkannt  wird,  und 

*)  Lisandra.  Die  Liebesneigung  des  Königs  zu  dieser  Pseudo -Laura 
hat  sich  unsern  Blicken  entzogen.  —  **)  Verwandtes  Verkleidungsraotiv 
mit  dem  in  „Viel  Lärm  um  Nichts". 

***)  „Du  schienst  wie  Diana  mir  in  ihrer  Sphäre, 

Keusch,  wie  die  Knospe,  die  noch  nicht  erblühte, 
Doch  du  bist  ungezähmt  in  deiner  Lust'S 
ruft  Claudio  zu  Hero,  in  der  Kirche  vor  dem  Traualtar  (IV,  1). 
Lorbeer  (Laura)  warst  du,  ein  verwerflich  Eeis, 
Dessen  Grün  die  Juli-Sonne  welkt.  — 
Tu  fuiste  Laura,  cafia  inutil  fuiste, 
Cuya  verdura  el  Sol  de  Julio  acaba  .  .  . 
ruft  Oranteo  in  seinem  Monolog,  nachdem  ihm  sein  Secretär  Otavio 
ein  Borachio-Jago  —  den  Trug  gespielt. 

t)      Orant.      0  Laura  amada  y  aborrecida. 
tt)  Die  Scene  ist  zwischen  Oranteo,  Otavio  und  Laura,  die  sich 
gegen  Oranteo    rechtfertigt,    der  sie   mit  harten  Vorwürfen  überhäuft. 
Laura  lässt  die  Kinder  kommen. 


Lope's  Laura  perseguida.  499 

der  König,  der  ihr  schon  unter  einem  andern  Namen  Neigung  geschenkt 
hat,  sie  als  seine  Schwiegertochter  annimmt,  ergiebt  sich  von  selbst/' 
Die  Lope-Calderon'sche  Novellen-Komödie  kommt  nun  einmal  aus  der 
nach  der  Ent Wickelung  zurückgebliebenen  und  dramatisch  verkümmerten 
Verlarvungsform  der  x^benteuer -Novelle  nicht  heraus!*) 


*)  Der  Secretär  Otavio  liebt  Laura,  und  will  sie  besitzen.  Laura 
zückt  vor  dem  König  den  Dolch,  um  sich  zu  erstechen.  Der  König,  in 
der  Meinung,  der  beabsichtigte  Dolchstoss  sey  von  Laura  der  Infantin 
Porcia  zugedacht,  will  Laura  tödten  lassen  (Muera  luego).  Oranteo 
berichtigt  des  Königs  Irrthum: 

(Senor,  cree  que  te  enganas 

Que  matarse  a  si  queria). 
In  der  folgenden  Scene  zwischen  Oranteo  und  Laura  giebt  diese 
dem  Prinzen  Aufschluss  über  den  von  Otavio  gezettelten  Trug.  Eine 
schwache,  künstliche  Entwickelung.  Otavio  tritt  hinzu,  Oranteo  zwingt 
ihn  mit  dem  Degen  zum  Geständniss,  erfleht  von  der  gekränkten  und  ver- 
folgten Gattin  Verzeihung  und  gelobt,  sich  mit  ihr  noch  diese  Nacht  in 
gesetzlicher  Form  zu  vermählen.f)  Das  meldet  Otavio  dem  König.  Dieser 
wüthet  gegen  die  verruchte  Schaar  und  befiehlt,  Soldaten  aufzubieten, 
um  sie  zu  ergreifen  und  zu  tödten. ff)  Der  Alcaide  (Schlosscommandant) 
räumt  dem  vermählten  Paar  ein  Schloss  ein,  das  sie  vor  des  Königs  An- 
griffen schützen  soll,  der  den  Prinzen,  den  Verräther,  umbringen  willftt)» 
wozu  er  einem  im  3.  Act  als  Begleiter  der  Infantin  Porcia  improvisirten 
Conde  Ruf  in  o  die  Vollmacht  ertheilt.  Vor  dem  Kampf  erscheint 
Oranteo  mit  seiner  Gemahlin  Laura,  ein  Kind  jedes  an  der  Hand,  ver- 
schwört, dass  er  mit  einer  andern  Waffe  als  mit  diesem  Kinderpaar,  des 
Königs  Enkeln,  den  Vater  bekämpfen  werde.  Conde  Ruf  in  o  rathet  zur 
Versöhnung,  und  schlägt  die  Infanta  Porcia  dem  König  als  geeig- 
netste Partie  vor,  womit  die  Prinzessin,  faute  de  mieux,  sich  einverstan- 
den erklärt.*!)  Otavio  reicht  der  Leonarda  die  Hand  und  hält,  trotz 
Schurkereien,  als  Dritter  im  Bunde,  gemüthlich  Hochzeit  zugleich  mit 
König  und  Prinz  Oranteo,  den  er  in  der  unschuldigen  Gemahlin  so  fre- 
ventlich geschändet!  Alles  Schöne  und  Liebe  mag  man  der  spanischen 
Comedia  nachsagen,  aber  unter  hunderten,  und  zwar  der  ersten  Meister, 
verdient  kaum  eine  den  Nachruf:    „Ende  gut,  Alles  gut". 

t)         Orant.   Esta  noche  nos  casamos 
tt)         Rey.        Salgan  dos  mil  hombres  presto 
Que  a  prenderle  voy  dispuesto, 
0  a  matar  mi  infame  nuera. 
ttt)         Rey        Combatalde,  derribalde  ,  .  . 
Mi  traydar  hijo,  y  matalde. 
*t)  Acabado  por  mi  esta. 

32* 


500  ^^s  spanische  Drama. 

Einer  Mittelklasse  von  Schauspielen,  „zwischen  letztern  und  den 
Stücken,  welche  mehr  den  Ton  des  eigentlichen  Lustspiels  anschlagen", 
überweist  die  „Geschichte  der  dramatischen  Literatur  und  Kunst  in  Spa- 
nien" Lope's Komödie  Las  Flores  de  Don  Juan*);  La  moza  de  Can- 
taro**),  „vor  Allem  La  esclave  de  su  Galan".  Die  Inhaltsangabe  in 
der  Haselnuss  oder  als  Senfkernchen  beschränkt  sich  auf  die  bei  solcher 
UeberfüUe  von  Fabelauszügen  dankenswerthe  kurze  Chronik:  „Der  junge 
Don  Juan  entsagt  aus  Liebe  zu  Elena  einer  reichen  Pfründe,  welche 
ihm  sein  Vater  ausgewirkt  hat,  und  wird  deshalb  von  letzterem  Verstössen. 
Elena,  für  das  Opfer,  *das  ihr  der  Geliebte 'gebracht,  dankbar,  fasst 
denselben  Entschluss,  sich  als  Sklavin  an  Don  Juan's  Vater  (Don  Fer- 
nando) zu  verkaufen,  um  dessen  Zorn  zu  besänftigen  und  ihn  mit  dem 
Sohn  zu  versöhnen".***)    El  Cavaliero  de  Olmedo.f) 

Die  schwungvoll  enthusiastische  Verherrlichung  der  eigentlichen  „Lust- 
spiele"tt)  wird  dem  Leser  reichlichen  und  wohlthuenden  Ersatz  bieten, 
für  unsere  den  Schmelz  der  Schmetterlingsflügel  so  oft  in  blos  gleissen- 
den Staub  auflösende  analytische  Lupe:  „In  diesen  Lustspielen  des  Lope 
de  Vega  strahlt  die  Flamme  des  Genies  —  im  reinsten  Glänze  und  in  den 
mannigfaltigsten  Brechungen.  Mag  die  Anlage  und  Durchführung  des 
ganzen  Plans  oder  die  sorgfältige  Pflege  des  Einzelnen,  mag  die  Erfindung 
der  Handlung  oder  ihre  entsprechende  Ausführung  in's  Auge  gefasst  wer- 
den, überall  zeigt  sich  der  vollendete  Meister,  überall  erfreut  und  be- 
glückt uns  der  üppigste  Reichthum  der  Phantasie,  die  gutmüthigste ,  lie- 
bevollste Laune,  der  Adel  und  die  Eeinheit  der  Gesinnung,  der  durch- 
dringendste Blick  in  die  Tiefe  der  Seele.  Wir  treten,  wenn  wir  diese 
Dichtungen  durchwandeln,  in  eine  ganz  neue  poetische  Welt;  es  ist  eine 
unübersehbare  Ausstellung  von  Gemälden  der  Leidenschaften  und  Be- 
strebungen des  Menschen,  ihrer  Liebe  und  ihres  Hasses,  der  Windungen 
und  Verkettungen  ihrer  Schicksale.  Welch  reicher  und  reizender,  die  Auf- 
merksamkeit immer  von  neuem  fesselnder  W^echsel  der  Begebenheiten! 
Welche  Anmuth  und  Süssigkeit  in  den  Sceneu  der  Galanterie  und  Minne! 
Welche  sprudelnde  Laune  in  den  Scherzen!  Welche  Mannigfaltigkeit  in 
den  wunderbaren  Spielen  des  Zufalls  und  in  der  Gestaltung  der  Verhält- 
nisse, die  aus  ihnen  hervorgehen!  Und  in  allen  diesen  Gemälden,  welche 
Correctheit  der  Umrisse,  so  dass  kein  Zug  verzeichnet  ist !  Welcher  Glanz 
der  Beleuchtung,  welche  Wärme  des  Colorits!"ttt)  "   Jedes  Ausrufungs- 


*)  Unsere  Analyse  X.  S.  106  tf.  --  **)  S.  28  ff.  —  ***)  In  der  Bibl.  ßi- 
vadene^Lra,  t.  IL  der  Comed.  escog.  de  Lope  de  V.  (t.  34.)  p.  487—506. 
Das  Motiv  von  der  ital.  Komödie  mehrfach  benutzt.  —  f)  Analyse  X. 
S.  429  ff.  —  tt)  ä-  a.  0.  S.  363  tf.  Die  sogenannten  Mantel-  und  Degen- 
spiele. „Las  Comedias  de  intriga  amorosa,  6  Comedias  de  Capa  y 
espada.  En  esto  genere  fue  (Lope)  original  y  major  que  en  nungun  otro.'' 
Lista  a.  a.  0.  p.  153.  —  ftt)  a.  a.  0.  S.  365. 


Lope's  Schäferspiele.  501 

zeichen  ein  Lichtstrahl  zur  Charakteristik  dieser  das  feine  Lustspiel  trans- 
figurirenden  Gruppe ;  und  zugleich  ein  Lichtwurf,  der  die  alles  vergröbern- 
den Linsengläser  des  Mikroskops  in  der  Hand  eines  Mikromegas  der  kri- 
tischen Analyse  zertrümmert!  0  um  die  Augenlinse  von  Hotfmann's 
Meister  Floh,  die  Alles  verschönert !  Behufs  Würdigung  poetischer  Meister- 
werke, da  gilt  es  Schöngucker  nicht  Kleingucker  (Mikroskope)  in  die  Pu- 
pille schrauben!  Wir  können  daher  den  Leser  zu  seiner  Erhebung  und 
Erholung  von  den  Mikromegas-Kritiken,  die  nur  den  Sirenen,  wie  den  Mu- 
sen im  Kampfe  mit  denselben  die  Flügel  zerschlagen  und  die  glänzendsten 
Federn  ausrupfen  —  wdr  können  unsern  Leser  nur  auf  diese  auch  in 
stylistischer  Beziehung  musterhafte  poetisch- enkomiastische  Auszugsangabe 
des  Fabelinhaltes  von  Lope's  eigentlichen  „Lustspielen*'  verweisen,  auf  die 
ernstliche  Gefahr,  unseren  Lesern  für  immer  den  Geschmack  an  der  zer- 
gliedernden Kritik  zu  verleiden.  Wer  wird  auch  Austern  mit  Messer  und 
Gabel  kurz  und  klein  schneiden,  anstatt  sie  aus  der  Inhaltsauszugsschale 
mit  dem  Schluck  Seewasser  zu  schlürfen,  und  hinterher  einen  Guss 
Champagner  perlender  Lobesbegeisterung  zu  stürzen!  —  Die  Inhaltsaus- 
züge von  Amor  sin  saber  a  quien;  von  El  mayor  Imposible;  von 
El  Acero  de  Madrid;  von  Los  milagros  del  Deprecio  —  eben  so 
viele  Austern  mit  Champagner -Schlucken,  in  Vergleich  zu  der  Analysen- 
Kritik*),  welche  die  Cleopatra-Perlen  in  Essig  auflöst,  Perlen,  Auster  und 
Austerschale  allzumal. 

Von  Lope's  „Schäferspielen"  werden  die  beiden  Jugendstücke: 
El  verdadero  amante,  und  La  pastoral  de  Jacinto,  und  die  Co- 
media  La  Arcadia  namhaft  gemacht.**)  Aus  den  Comedias  de  San- 
tos  „geistlichen  Komödien",  die  eine  scharfe  und  treffende  Abfertigung 
erfahren,  werden  als  Beispiele  „von  auffallender  Monstrosität*'  El  Cardi- 
nal Belen;  San  Nicolas  de  Tolentino;  El  animal  Profeta  (Das 
Leben  des  St.  Julian)  angeführt,  mit  kurzen  Andeutungen  der  Hand- 
lung.***) Das  prophetische  Thier  ist  ein  vom  zukünftigen  h.  Julian 
auf  der  Jagd  erlegter  Hirsch,  der  im  Verscheiden  zu  ihm  spricht:  „Es 
ist  nicht  viel,  dass  Du  mich  tödtest,  da  Du  einst  noch  Deine  Eltern  um- 
bringen wirst,  t)   Wie  der  Jüngling  Oedipus,  entflieht  auch  unser  Heiliger, 


*)  S.  239  ff.,  23  ff.,  419  ff.,  210  ff.  —  **)  Vgl.  Gesch.  der  Drama's  IX. 
S.  558  ff".  —  ***)  In  der  Geschichte  d.  Drama's  mussten  Lope's  den  h.  Isi- 
doro  feiernde  Festkomödien  dieses  Genre  vertreten.  So  eine  Analyse  ist 
wie  der  Hecht  im  Goldfischteich:  unus  pro  multis. 

f )  No  tengas  por  grande  hazaiia 

la  que  oy  en  matarme  has  hecho 


Que  es  hombre  que  — 

—    —    —    —    ha  de  matar 


502  ^^s  spanische  Drama. 

um  der  Prophezeihung  einen  Riegel  vorzuschieben,  aus  dem  elterlichen 
Hause.  Vater,  Mutter,  Geliebte  (Irene),  die  ihm  vergebens  nachrufen,  be- 
sieht er  mit  dem  Bücken.*)  Im  zweiten  Act  ist  St.  Julian"mit  Lau- 
rencia, der  Nichte  des  Herzogs  von  Perrara,  vermählt  und  fordert  ihren 
früheren  Anbeter,  Federico,  des  Herzogs  Bruder,  der  das  Geschäft  nach 
St.  Julian^s  Vermählung  mit  frischen  Kräften  fortsetzen  will,  zum  Zwei- 
kampf. Federico  beabsichtigt  indess  einen  andern  Zweikampf,  mit  St.  Ju- 
lian's  Gattin,  Lauren cia  nämlich,  die  er,  während  der  künftige  Heilige 
auf  dem  Kampfplatz  wartet,  zu  entführen  entschlossen  ist.  Julian  hat 
diesen  von  Federico  einem  Genossen  eröffneten  Vorsatz,  hinter  einer  Wand 
verborgen,  behorcht.**)  Das  erzählt  er  sich  in  einem  Monolog  vor  der 
schlummernden  und  im  Traum  sprechenden  Gemahlin,  deren  traumbe- 
fangene Worte  er  zugunsten  Pederico's  auslegt.  Julian  entfernt  sich 
mit  dem  Schwur,  beide  Buhlen  zu  morden.***)  Es  treten  nun  Julian's 
Eltern  (Ludovico  und  Rosaura)  ein,  die  ihren  verschwundenen  Sohn 
aufsuchen.  Laurencia  überlässt  den  Schwiegereltern  ihr  Ehebett.  Ju- 
lian schleicht  mit  einer  Laterne  herbei:  Die  umgekehrte  Situation  zu 
„Zacharias  Werner's*'  —  eigentlich  Lille' s  „Vier  und  zwanzigstem  Februar'', 
an  welchem  unser  Zacharias  Werner  ein  Plagiat,  oder  auch  eine  Art  Va- 
terraubmord, begangen.  Julian  hält,  trotz  Laterne,  das  schlafende  El- 
tempaar  im  Bette  seiner  Gemahlin,  für  diese  und  ihren  Buhlen  Federico, 
und  taucht  seinen  Dolch  in  die  Herzen  der  Eltern,  wiederholentlich  den 
Stahl  mehrmals  in  deren  Busen  umkehrend.!)  Da  tritt  ihm  aus  dem 
Nebenzimmer  Laurencia  mit  einem  Licht  entgegen.  Lallend  vor  Ent- 
setzen, fragt  Julian:  „Wer  sind  denn  die  in  meinem  edlen  Bette V" 
Laurencia  bittet  sich  für  die  erfreuliche  Nachricht  Botenlohn  aus  und 
meldet  ihm:    „Deine  Eltern  sind's!*'tt)    Grausend  legt  Julian  Hand  an 

Sus  padres  —    —    —    — 
no  es  mucho  que  mate  un  ciervo. 
*)    Jul.  (dentro*). 

A  Dios  Patria,  ä  Dios  Irene,] 
Ä  Dios  padres. 
Irene.  jMa  inconstante!  ... 

**)  Pues  de  un  tabique  escondido, 

de  lo  que  tiene  trazado 
mi  enemigo  rae  he  informado. 
***)  Vive  Dios  que  he  de  mataiios. 

t)    Jul.  Y6  en  sus  peches  cautelosos 


manche  el  punal  varias  veces  .  . 
tt)    Jul.  Dime  (iquien  so  las  que  ocupan 

mi  noble  lecho? 


*)  „hinter  der  Scene". 


Der  Teufel  wird  vom  heiligen  Julian  geholt.  503 

sich  selbst,  im  Begriife,  sich  mit  dem  vater-  und  muttermörderischen 
Dolche  zu  durchbohren.  Da  kommt  Federico  wie  gerufen,  den  der 
Heilige  in  herba,  statt  seiner,  niedersticht  und  entflieht  mit  seiner  Gattin, 
Stich  und  Flucht  mit  Laurencia  dem  Federico  vorwegnehmend. 

Die  dritte  Jornada  versetzt  uns  nach  Calabrien,  wo  wir  zunächst 
dem  Duque  de  Calabra,  und  dann  dem  Julian  und  seinem  Diener 
Bulcano,  in  Eremitentracht,  begegnen,  huckepack  als  Armen  —  Wen 
tragend?  —  den  leibhaften  Teufel.*)  Welchen  Eingang  zum  dritten  Act 
nach  einem  Actschluss  wie  in  der  zweiten  Jornada!  Traun,  das  Gehirn 
des  grössten  spanischen  Genie's  gleicht  immer  doch  dem  Sacke  jenes 
andern  spanischen  Heiligen,  worin  sich  beständig  zwei  Teufel  balgen.  Im 
spanischen  Gehirnsack  sind  diese  zwei  Teufel:  der  Dämon  des  poetischen 
Genie's  und  der  dumme  Teufel  des  heiligen  Aberwitzes.  Der  Teufel 
hockt  dem  heiligen  Julian  auf  dem  Genick,  um  ihn,  für  die  Gründung 
eines  Spitals,  in  welches  sich  der  Demonio  als  Kranker  eingeschlichen, 
mit  Beschlag  zu  belegen.  Demonio  hat  aber  die  Rechnung  ohne  den 
Spitalwirth  Julian  gemacht,  der  ihn,  den  Teufel,  holt.  Der  arme,  arme 
Teufel!  ,,Er  hat  diese  List  ersonnen,  um  den  reuigen  Julian  irre  zu  ma- 
chen und  ihn  zu  überreden,  dass  seine  Sünde  nie  Vergebung  finden  könne, 
weil  seine  Eltern  unbussfertig  gestorben  sej^en*'.**)  Der  Teufel  hatte  ihm 
allerlei  Teufelsfratzen  in  Gestalt  von  Armen  und  sogar  jene  faustischen 
„Kleinen  von  den  Meinen"  vorgegaukelt,  welche  dem  Julian  hinter  der 
Scene  seine  ganze  Geschichte,  von  der  Prophezeihung  des  sterbenden  Hir- 
sches an,  bis  auf  die  Spitalgründung  in  Calabrien,  vorsangen,  und  dem 
Geängstigten  die  Hölle  so  heiss  machten,  dass  Julian  an  Gottes  Gnade 
schon  verzweifelt.***)  Noch  mehr!  Demonio  lässt  dem  Julian  seinen 
von  ihm  ermordeten  Vater  aus  höllischen  Flammen  emporsteigen,  und  ihn 
mit  Jammerflüchen  wegen  der  sechs  Dolchstiche  in  der  Brust  peinigen. 
Der  Spuk  versinkt.  Endlich  erscheint  Laurencia  mit  dem  Jesuskind 
als  Spitalarmen,  t)    Das  Jesuskind  giebt  Liebe  als  sein  Gebresten  an  ff), 

Laur.  <sHas  de  darme 

primero  albricias? 
Jul.  Si  hare. 

Laur.  Pues,  son,  esposo,  los  padres. 

*)  (Con  el  demonio  de  pobre  en  los  hombros.)   . 
**)    Dem.  Y  hijo  el  pecado  mas  grave, 

en  no  matarlos  en  gracia. 
***)    Jul.  ^Adonde  se  esconderä, 

Dios  Eterno,  mi  malicia 
Si  ya  por  vuestra  justicia 
Condenada  el  alma  estä? 
t)  (el  Niiio  Jesus  de  pobre.) 
tt)    Jul.  6Q^6  dolor  teneis? 

Nino.  De  Amor. 


504  ^^^  spanische  Drama 

und  beruhigt  des  geängstigten  Julian  Gemüth  mit  der  Kunde,  dass  seine 
Eltern  zurzeit  nicht  in  der  Hölle,  sondern  im  Fegefeuer  sich  aufhalten, 
und  —  siehe  da!  —  und  schweben  auch  schon  aus  dem  Purgatorium  in 
lichten  Gewändern  empor.  Das  Kind  Jesus  erhebt  sich  nun  ebenfalls  in 
den  Himmel,  nachdem  es  sein  Spitalkleid  hat  fallen  lassen.  „Das  gilt 
nicht!"  schreit  der  Teufel.  „Was?  einen  Elternmörder  nimmst  Du  zu 
Gnaden  an  ?  und  machst  ihn  zum  Heiligen ;  der  von  rechtswegen  mir  ge- 
hört? Wohin  soll  das  führen,  allgütiger  gerechter  Gott?***)  „Wilder 
Höllendrache!'*  —  schleudert  aus  seiner  Glorienhöhe  das  Jesuskind  dem 
Teufel  aufs  gehörnte  Haupt  —  „St.  Julian's  Eeuebusse  erwirbt  ihm  meine 
Verzeihung**,  und  ruft  die  seligen  Geister  von  St.  Julian's  Eltern,  Ludovico 
und  Rosaura,  zu  sich  heran,  die  dem  Heilandkinde  zur  Eechten  und 
Linkeu  nun  auch  mit  ihm  emporschweben.  Parallel  zu  diesem  Glorien- 
Tableau,  beruft  Demonio  unterhalb  die  höllischen  Schaaren  und  die  Ver- 
dammten herauf,  in  parallelen  Wechselversen  mit  des  Gottkindes  himmli- 
scher Ansprache  an  den  Heiligen  und  Gerechten,  sich  mit  seinen  Ver- 
ruchten hinunterstürzend  in  den  Flammengrund.  Der  vom  Jesuskinde  sel- 
ber canonisirte  Heilige,  St.  Julian,  folgt  in  Verzückung  an  der  Seite 
seiner  Gemahlin  Laurencia  der  Himmelfahrtsherrlichkeit  mit  heiligge- 
sprochenen Blicken.  Welche  Mischung  von  poetischer  Phantasie  und 
Fratze !  von  dramatischem  Genie  und  dessen  Kraft  und  Wirkung  lähmen- 
dem Idiotismus,  der  den  Glauben  an  weissagende  Hirsche  so  eifervoll  ein- 
prägt, wie  an  Gott  und  Christum! 

Einen  ganz  und  gar  verteufelten  Bösewicht  und  Höllenauswurf,  der 
nach  den  gräuelvoUsten  Ausschweifungen  und  Verbrecherabenteuern  — 
Blendung  seines  Vaters,  versuchte  Schändung  seiner  Schwester  —  sich  be- 
kehrt, einen  Kerl,  der  an  Verworfenheit  den  Demonio  im  St.  Julian- 
Heiligenspiel  überteufelt,  beatificirt  Lope's  Santo -Drama  *La  fianza 
satisfecha',  die  zufriedengestellte  Bürgschaft  in  der  Person  eines 
Wüstlings  aus  Palermo,  Leonido,  den  Jesus,  als  Hirtenknabe,  durch 
den  Anblick  seiner  in  der  Hirtentasche  diesem .  Leonido  vorgezeigten 
Marterwerkzeuge,  und  dann  durch  die  Anschau  Jesu  am  Kreuze,  als 
der  ihm  plötzlich  der  Hirtenknabe  erscheint,  zum  freiwilligen  Märtyrer 
und  Bussheiligen  bekehrt  und  verklärt.  ,,Am  Schlüsse  sieht  man  ihn, 
die  Dornenkrone  auf  dem  Haupt,  freudig  den  Tod  am  Kreuze  erlei- 
den**. Mit  dem  Gottmenschen,  dem  Ideal  aller  menschlichen  und  göttli- 
chen Tugenden,  den  Auswurf  der  Menschheit  der  gleichen  Marterseligkeit 

*)  Dios  eterno  que  es  aquesto? 

Pues  como 
De  los  Celestes  coluros 
baxas  para  regalarle 
y  darle  en  sus  penas  gusto? 


Eines  der  merkwürdigsten  Dramen  Lope*s.  505 

und  Beispielwürdigkeit  theilhaft  machen,  blos  weil  der  Auswurf  nach  ei- 
nem Schandleben  zu  Kreuz  kriecht  —  ist  das  nicht  die  freyelvollste  Ent- 
weihung von  Christi  Kreuzestod?  Und  läuft  nicht  eine  so  gottesläster- 
liche Gleichstellung  auf  jene  Abfertigung  hinaus,  womit  Goethe  Gott  den 
Herrn  den  Teufel  auf  s  Maul  schlagen  lässt:  Am  jüngsten  Tag  ist  doch 
Alles  nur  ein  F  -?  Aufrichtige  Eeue  und  Busse  mag  ein  sünden volles 
Leben  läutern,  ^ber  dem  Reumüthigen  die  höchsten  himmlischen  Ehren 
und  Weihen  zuerkennen,  im  Masse  seiner  Schandthaten,  das  heisst,  diese 
selber  heilig  sprechen;  zur  Nachfolge  und  Nacheiferung  des  laster-  und 
verbrechenbefleckten  Lebenswandels  aufrufen,  mit  dem  freigestellten  Hin- 
tergedanken, mit  der  vorbehaltlichen  'Fianza  satisfecha':  dermaleinst  zu 
bereuen  und  sich  zu  einem  gleichwerthigen  Kreuzesmartyrium  mit  dem 
des  Weltheilands  beatificiren  zu  lassen.  Das  Leben  in  Christo  als  gleich- 
gültig darstellen,  wofern  man  nur  in  Christo  stirbt,  und  auf  solches  in 
Aussicht  genommene  selige  Ende  hin  lossündigt;  als  Demonio  leben  und  als 
Santo  sterben  —  ist  das  der  Kern  von  Jesu  Sendung  und  Heiligung  der 
Menschheit  durch  sein  gottwürdiges  Leben  und  durch  den  schmachvoll- 
sten Verbrechertod?  Die  Idee  dieses  göttlichen  Sühnopfers  des  heiligsten 
Lebens  in  das  Gegentheil  verzerren:  in  eine  schliessliche  Heiligung  des 
abscheuwürdigsten  Lebenswandels ,  aufgrund  des  blossen  reuseligen  Glau- 
bens an  Christi  durch  sein  Leben  und  Lehren  geheiligte  Todesschmach 
und  Marter  —  wird  die  dramatische  Verherrlichung  eines  solchen  gräu- 
lichen Zerrbildes  von  Christi  Erlösung  etwa  auch  zu  einem  poetischen 
Heiligen-Bühnenspiele,  weil  das  den  Heiland  zugunsten  eines  Santo  von 
ruchlosem  Wandel  schändende  Drama  das  Zerrbild  mit  poetisch  gleissen- 
den Blumen  und  Flitterwerk  ausschmückt?  — 

,,Zu  den  merkwürdigsten  Dramen  Lope's  gehört  ferner  *E1  nino 
inocente  de  la  Guardia'*),  ein  Stück,  das  zwar  durch  den  fanatischen 
Hass  gegen  Andersglaubende,  den  es  in  jeder  Zeile  athmet,  einen  peinli- 
chen Eindruck  hervorbringt  und  auch  als  dramatisches  Ganze  nicht  be- 
friedigt, aber  voll  hoher  poetischer  Schönheiten  und  reizend  schwärmeri- 
scher Züge  ist,  die  einen  wunderbaren  Zauber  über  das  Ganze  ausbreiten. 
Im  Beginne  sehen  wir  die  Königin  Isabella,  wie  sie  durch  eine  Er- 
scheinung des  heiligen  Dominicus  aufgefordert  wird,  Spanien  von  den 
Feinden  des  katholischen  Glaubens  zu  reinigen.  Die  folgenden  Scenen 
schildern  die  beginnende  Verfolgung  der  Juden  und  die  getroffenen  Maass- 
regeln zu  deren  gänzlicher  Vertreibung  ans  Spanien.  Wir  werden  in  eine 
ihrer  Versammlungen  geführt,  wo  sie  Rachepläiie  gegen  die  Christen 
schmieden;  einer  unter  ihnen  verspricht,  ein  Zaubermittel  zu  bereiten, 
welches  Tod  und  Verderben  über  ihre  Feinde  bringen  soll;  aber  es  bedarf 
dazu  das  Herz  eines  Christenkindes,  das  vor  allen  durch  Frömmigkeit  aus- 
gezeichnet ist,  weshalb  sich  Mehrere  aus  der  Gesellschaft  aufmachen,  um 

*)  „Das  unschuldige  Kind  der  Wache". 


506  ^^^  spanische  Drama. 

ein  solches  Kind  zu  rauben.  In  den  nächsten  Scenen  wird  die  Feier  des 
Himmelfahrtfestes  geschildert,  die  mit  grossem  Pompe  begangen  wird. 
Juannico,  ein  Knabe  von  engelgleicher  Schönheit  und  Frömmigkeit,  ist 
mit  seinen  Eltern  ausgegangen,  um  die  Procession  zusehen;  als  die  Fahne 
vorübergetragen  wird,  auf  welcher  Maria  in  ihrer  Glorie,  von  Engeln  um- 
geben, dargestellt  ist,  ruft  er  aus:  ,,0  war'  ich  einer  von  den  Engeln, 
welche  die  schöne  Jungfrau  umgeben!"  Er  eilt  anbetend  dem  Bilde  nach, 
verliert  sich  in  dem  Gedränge  und  wird  von  den  Juden  geraubt.  Die 
trostlose  Mutter  bemerkt  mit  Schrecken  den  Verlust  des  Kindes  und  sucht 
es  überall  vergebens;  sie  tritt  verzweiflungsvoll  in  eine  Kirche  und  lässt 
nach  einem  spanischen  Brauche  von  einem  Blinden  das  „Gebet  vom  ver- 
lornen Kinde"  hersagen;  kaum  aber  hat  dieser  geendigt,  so  erschallt  im 
Hintergrunde  der  Kirche  eine  Stimme,  welche  singt:  ,,Wer  verloren  hat, 
der  tröste  sich;  denn  was  man  auf  Erden  verliert,  das  findet  man  im 
Himmel  wieder!^'  — -  Den  Rest  des  Stückes  nimmt  nun  das  Märtyrthum 
des  unglücklichen  Knaben  ein.  Die  Juden,  um  ihre  ganze  Eache  zu  sät- 
tigen, beschliessen,  ihn  unter  denselben  Martern  hinzurichten,  wie  Christus, 
und  der  letzte  Act  führt  uns  die  ganze  Reihe  von  Leiden  vor,  welche  auf 
den  armen  Juannico  gehäuft  werden;  die  Geisselung,  die  Dornenkrönung 
und  endliche  Kreuzigung,  die  himmlische  Geduld  und  Ergebung  des  Kna- 
ben, dessen  Seele  zuletzt  von  Engeln  in  den  Himmel  getragen  wird,  und 
dazwischen  die  Orgien  und  Freudengesänge  der  Juden  —  das  Alles  bildet 
ein  wunderbares  und  tief  ergreifendes  Gemälde,  von  dem  man  nicht  weiss, 
ob  man  es  wegen  seiner  hohen  dichterischen  Schönheit  bewundern,  oder 
wegen  seiner  Wildheit  und  Seltsamkeit  tadeln  soll."*)  --  „Von  dem  man 
nicht  weiss"  —  ?  Ei  doch!  Von  dem  man,  mit  Vergunst  des  hochverdien- 
ten Literarhistorikers,  den  wir  citiren !  —  von  dem  jeder  durch  poetischen 
Scheinzauber  nicht  Bestechliche  recht  gut  weiss,  dass  Lope's  eben  vorge- 
führtes Martyrium -Drama,  *E1  nino  inocente',  ein  noch  abscheulicheres 
Kehr-  und  Zerrbild  von  Jesu  Worten  am  Kreuze  ist:  „Vergieb  ihnen", 
u.  s.  w.,  als  Lope's  Heiligendrama,  'La  fianza  satisfecha'  eines  von  Christi 
Leben,  Leiden  und  Sterben  isf.  Jesus  flehte  am  Kreuze  Gottes  Barmher- 
zigkeit und  Vergebung  für  seine  Folterer  und  Kreuziger  an;  Lope's  Niiio 
inocente  flucht  und  hetzt  die  christliche  Bevölkerung  gegen  die  jüdische 
auf  eine  schaudererregende  Blutthat  hin,  die  aller  factischen  Begründung 
entbehrt,  eine  Beschuldigung,  an  die  auch  nur  ohne  thatsächliche  Be- 
weise zu  glauben,  feindselig,  ja  unmenschlich  ist,  und  dem  Dichter,  dem 
gelehrtesten,  frömmsten  und  grössten  Dichter  seiner  Nation,  um  so  mehr 
zur  Schande  gereicht.  Der  Dichter,  der  dramatische  zumal,  ist  vor  Allen 
berufen,  die  Wahnbegriffe  seines  Volkes  zu  berichtigen,  zu  läutern,  Seelen 
und  Herzen  zu  holder  Menschenfreundlichkeit,  zur  Menschenliebe  zu  stim- 
men, mit  einem  Wort,  im  Geiste   von  Christi  Lehren,  Gesinnungen  und 


*)  Gesch.  der  drara.  Lit.  und  Kunst  in  Span.  a.  a.  0.  S.  391  f. 


Lope's  Autos  Sacramentales.  507 

liebreicher,  vergebungssüsser  Milde  den  Wahnglauben,  die  Unduldsamkeit, 
die  grausame  blutgierige  Verfolgungssucht,  den  Fanatismus  seiner  Zeit- 
und  Volksgenossen  durch  die  bewältigende  Macht  und  den  himmlischen 
Zauber  seiner  Kunst  zu  brechen,  und  wahrhaft  christliche,  d.  h.  von 
Christus  gehegte  und  geweihte  Empfindungen  für  die  Mitmenschen  in  die 
Gemüther  seiner  Glaubensgenossen  zu  pflanzen.  Athmen  seine  Dichtungen 
nicht  diesen  Heilandsgeist,  so  ist  der  Dichter,  im  Maasse  seines  Genies 
und  seiner  verführerischen  Zauberkräfte,  ein  Dichter  Beliars,  und  seine 
Kunst  Teufelsblendwerk  und  Gaukelspiel;  seine  schönsten  dichterischen 
Blumen  giftiges  Unkraut,  um  so  gefährlicher  und  tödtlicher,  als  sie  durch 
ihre  prächtigen  Farben  blenden  und  bestechen.  Das  spanische  Heiligen- 
Drama,  das  spanische  Auto,  mit  seltenen  Ausnahmen,  ist  solches  pracht- 
blumige Unkraut,  das  der  Teufel  unter  den  guten  Weizen  säte  und  das 
diesen  überwucherte  und  erstickte.  Nur  das  ist  schön,  was  zugleich  gut 
und  heilsam  ist  für  die  Seele,  und  das  Heilsame  allein  das  Heilige,  und 
nur  ein  Dichter,  der  in  diesem  Sinne  die  Seele  heiligt,  der  wahre  Dichter 
heiliger  Poesie,  Santo-Drama's  und  Autos  Sacramentales,  und  schön  und 
herrlich  und  kunstgemäss  einzig  nur  das  Gedicht,  dessen  Duft  und  Hauch 
so  balsamisch  heilsam  und  seelenstärkend  ist,  wie  seine  Blumen  Wohlge- 
stalt und  lieblich.  Der  Engel  schönster,  Lucifer,  entartete,  mit  der  inneren 
Verfinsterung,  zum  scheusslichsten  Drachen,  und  der  „schöne  Morgen- 
stern" strahlte  nur  höllisches  Feuer  der  ewigen  Verdammniss  aus.  So 
verkehrt  sich  das  scheinbar  Schönste  an  Kunst  ohne  menschlich-  und 
sittlich-schönen  Gehalt  zur  Teufelskunst  und  zum  Höllenzauber. 

Lope  de  Vega's  Autos  sacramentales  leitet  unser  geistvoller, 
mustergültiger  und  belehrungsreicher  Vorgänger  und  Meister  mit  den 
trefflichsten  Hervorhebungen  der  üebelstände  allegorischer  Dichtung  ein; 
schwingt  sich  aber  miteins  empor  zu  einer  kritischen  Dithj^ambe,  wie  ein 
Adler,  der  sein  halbzerfleischtes  Opfer  mit  den  eingeklauten  Fängen  bis 
in  die  Wolken  erhebt;  hoch  über  die  Wolken,  bis  an  die  Sterne,  wo  er 
den  blutig  zerkrallten  Hasen  als  Sternbild  wieder  laufen  lässt;  oder,  wie 
Jupiters  Adler  den  geraubten  Ganimed  in  dem  olympischen  Göttersaale 
als  Mundschenken  und.  Lustknaben  des  Götterkönigs  absetzte,  —  ähnlich 
das  eben  heruntergerissene  Auto  zu'  den  himmlischsten  Ehren  emporreisst, 
zu  dem  Schenkenamte  an  der  Göttertafel  der  Poesie,  wo  es  den  im  Kreise 
thronenden  Dramengattungen,  als  seligen  Göttern,  zur  x^mbrosia  den  un- 
sterblich berauschenden  Nektar  kredenzt  —  dasselbe  allegorische  Auto, 
das  zwischen  den  Krallen  des  Donnervogels  sich  eben  nur  so  kläglich  vor 
Angst  gebärdet  hatte,  wie  Eembrandt's  Ganimed  auf  dessen  bekanntem 
Entführungsbilde,  wo  der  Junge  unter  dem  aufgeschürzten  Hemdchen  als 
vorläufig  allegorischer  Schenke  aus  der  hypostatischen  Dille  eines  perso- 
nificirten  Henkelkrügleins,  zwischen  Himmel  und  Erde,  einen  mystisch-pa- 
rabolischen Vorguss  in  silbernem  Böglein  strahlt. 

Die    das    spanische   Frohnleichnamsspiel    apotheosirende    und    unter 


508  I^3;S  spanische  Drama 

die    Sterne    „mit   allen  Fehlern*'    palinodirende   Dithyrambe    lautet   wie 
folgt: 

„Wer  zuerst  in  den  Zauberkreis  dieser  Dichtungen  eintritt,  der  fühlt 
sich  von  einem  fremden  Geiste  angeweht  und  erblickt  einen  andern  Him- 
mel, der  sich  über  eine  andere  Welt  ausspannt.  Es  ist  als  ob  dämonische 
Mächte  uns  in  finsterem  Sturme  davontrügen;  schwindelerregende  Tiefen 
des  Denkens  thun  sich  auf,  wunderbar  räthelhafte  Gestalten  entsteigen 
der  Finsterniss,  und  die  dunkelrothe  Flamme  der  Mystik  leuchtet  in  den 
geheimnissvollen  Born  hinein,  aus  dem  alle  Dinge  entspringen.  Aber  die 
Nebel  zertheilen  sich  und  man  sieht  sich  über  die  Schranken  des  Irdi- 
schen hinaus,  jenseits  von  Kaum  und  Zeit,  in  das  Reich  des  Unermess- 
lichen  und  Ewigen  gerissen.  Hier  verstummen  die  Misstöne;  bis  hierher 
steigen  die  Stimmen  der  Menschenwelt  nur  wie  feierliche  Hymnen,  von 
Orgelklängen  getragen,  empor.  Ein  riesiger  Dom  von  geistiger  Archi- 
tektur nimmt  uns  auf,  in  dessen  Ehrfurcht  gebietenden  Hallen  kein  pro- 
faner Ton  laut  zu  werden  wagt;  auf  dem  Altar  thront,  von  magischem 
Licht  umflossen,  das  Mysterium  der  Dreieinigkeit;  ein  Strahlenglanz,  wie 
ihn  irdische  Sinne  kaum  zu  ertragen  vermögen,  dringt  hervor,  und  um- 
leuchtet die  gewältigen  Säulenhallen  mit  einer  wunderbaren  Glorie. 
Hier  sind  alle  Wesen  in  der  Anschauung  des  Ewigen  versenkt  und  blicken 
staunend  in  die  unergründlichen  Tiefen  der  göttlichen  Liebe.  Die  ganze 
Schöpfung  stimmt  in  einen  Jubelchor  zur  Verherrlichung  des  Urquells 
alles  Lebens  zusammen;  selbst  das  Wesenlose  redet  und  empfindet;  das 
Todte  gewinnt  Sprache  und  den  lebendigen  Ausdruck  des  Gedankens;  die 
Gestirne  und  Elemente,  die  Steine  und  Pflanzen  zeigen  Seele  und  Selbst- 
bewusstseyn;  die  verborgensten  Gedanken  und  Gefühle  der  Menschen 
springen  an's  Licht;  Himmel  und  Erde  strahlen  in  symbolischer  Ver- 
klärung. Auch  abgesehen  von  dem  tiefen  Innern  Gehalt  dieser  Dichtun- 
gen, muss  der  Glanz  in  der  Ausführung  des  Einzelnen  entzücken.  Viel- 
leicht in  keinem  ihrer  andern  Werke  haben  die  spanischen  Dichter  den 
poetischen  Reichthum,  über  den  sie,  wie  sonst  Niemand,  zu  gebieten  hat- 
ten, so  concentrirt,  wie  hier.  Es  ist  ein  Farben  schmelz ,  ein  Blüthen- 
duft  und  ein  Zauber  des  entzückendsten  Wohllauts,  der  alle  Sinne  be- 
rauscht.** • 

Der  Unterschied  von  Calderon's  und  Lope's  Auto  sacramental  wird 
in  treffenden  Zügen  festgestellt: 

„Die  höchste  Vollendung  und  kunstvollste  Ausbildung  hat  das  Auto 
sacramental  durch  Calderon  erhalten.  Bei  Lope  de  Vega  —  erscheint 
dasselbe  noch  in  einer  weniger  entwickelten  Gestalt.  Die  Kategorie  ist 
bei  ihm  oft  noch  in  derber  Unmittelbarkeit  gefasst  und  ohne  Tiefe  der 
Psychologie;  man  vermisst  nocli  jenen  Reichthum  und  jene  Feinheit  sinn- 
bildlicher Beziehungen,  jenen  tiefsinnigen  Mysticismus,  womit  sein  Nach- 
folger allen  Erscheinungen   den   Stempel   des  Begriifs  aufzudrücken  und 


Lope's  Auto:    Las  Aventuras  del  Hombre.  509 

das  ganze  Weltall  geistig*)  zu  verklären  wusste.  Lope  steht  noch  mehr 
auf  dem  Standpunkt  der  Naivetät  und  unmittelbaren  Poesie;  und  wenn 
wir  den  späteren  Dichter  auch  in  einem  vorgerückten  Stadium  der  Kunst 
erblicken,  so  fesselt  uns  der  frühere  dagegen  durch  mehr  Frische  und 
ISlatürlichkeit/'**) 

Lope's  Auto  sacram.  „Die  Reise  der  Seele''  (El  Viage  del  alma), 
das  erste,  wovon  unser  Autor  einen  Entwurf  giebt,  kennt  unser  Leser  aus 
der  Analyse.***) 

Das  zweite  Auto,  Las  Aventuras  del  Hombre  „Die  Abenteuer  des 
Menschen",  „beginnt  mit  der  Vertreibung  aus  dem  Paradiese"  .  .  .  Der 
Verbannte  sieht  sich  in  eine  grauenhafte  Einöde  hinausgestossen ,  wo 
rauhe  Felsen  seine  Füsse  zerschneiden,  Abgründe  ihn  zu  verschlingen 
drohen  und  furchtbare  Schreckgestalten  ängstigen.  Bei  dieser  Scene 
scheint  dem  Dichter  der  Anfang  von  Dante's  göttlicher  Komödie  vorge- 
schwebt zu  haben.  Der  Mensch  irrt  hültios  verzweifelnd  umher  und  ge- 
räth  immer  tiefer  in  die  pfadlose  Wildniss  hinein.  Da  tritt  eine  Gestalt 
zu  ihm,  die  ihn  anfänglich  erschreckt,  aber  bald  durch  milde  und  er- 
muthigende  Worte  aufzurichten  sucht,  indem  sie  zu  ihm  spricht;  „Ich 
bin  der  Trost,  von  Gott  gesandt,  um  Dir  zum  Begleiter  zu  dienen;  .  .  . 
wenn  ein  Weib  die  Ursache  Deines  Falles  und  Deiner  Verbannung  ist,  so 
soll  einst  ein  anderes  Dich  wieder  emporheben ; .  . .  wenn  eine  Speise  Dich 
zur  Schuld  verführt  hat,  so  soll  einst  eine  andere  Dich  mit  dem  Himmel 
versöhnen;  bis  dahin  lass  Dich  von  mir  durch's  Leben  geleiten".  Die 
beiden  Wanderer  „kamen  an  einen  prachtvoll  erleuchteten  Palast,  aus 
dem  ihnen  fröhliche  Musik  entgegenschallt.  Dort  thront  die  „Thorheit 
der  Welt"  als  Königin.  Eine  Schaar  von  Fröhlichen  umschwärmt  tanzend 
und  singend  die  Fremdlinge,  und  fordert  sie  auf,  in^s  Schloss  zu  treten. 
Der  Trost  warnt  den  Menschen,  aber  dieser  lässt  sich  bethören  und 
nimmt  die  angebotene  Gastfreundschaft  an.  Die  Königin  empfängt  ihn 
mit  Freuden  und  befiehlt  der  Eitelkeit  und  der  Prahlerei,  das  Zim- 
mer des  Trugs  prachtvoll  für  ihn  zu  schmücken,  der  Sinnlichkeit,  ihm 
einen  Liebestrank  zu  bereiten,  dem  Traum,  ihn  mit  reizenden  Bildern 
zu  umgaukeln,  der  Neugier  und  der  Lüge,  für  seine  Unterhaltung  zu 
sorgen".  Bald  aber  bekommt  der  Mensch,  „von  höherem  Drange  be- 
seelt", dieses  Schlaraifenleben  satt  und  verlässt  das  Schloss.  Auf  seiner 
Wanderung  „überfallen  ihn  die  Zeit,  der  Tod  und  die  Sünde  als  Räu- 
ber und  nehmen  ihn  gefangen  und  überliefern  ihn  der  Schuld  .  .  .  Der 
Trost  verweist  ihn  auf  den  Heiland  .  .  .  Die  Wände  des  Kerkers  öifnen 
sich,  die  heilige  Jungfrau,  mit  dem  Drachen  zu  ihren  Füssen  geschmiegt, 
erscheint  und  giesst  milden  Trost  in  die  Seele  des  Gefangenen,  der  nun 
beruhigt  einschläft.    Während  er  schlummernd  daliegt,  steigt  die  gött- 

*)  geistig  —  d.  h.  theologisch-scholastisch-mystagogisch-phantastisch- 
spiritualistisch.    ~  **)  a.  a.  0.  S.  398  f.  —  ***)  X.  S.  470  ff. 


510  Das  spanische  Drama. 

liehe  Liebe  auf  einer  Leiter  vom  Himmel  nieder  und  verkündet  ihm, 
die  Stunde  der  Erlösung  sey  gekommen.  Die  Thüren  des  Gefängnisses 
springen  auf  und  der  Mensch  wird  von  seinem  himmlischen  Führer  auf- 
gefordert, mit  ihm  ein  Schiff  zu  besteigen,  das  ihn  in  den  Hafen  des  ewi- 
gen Heils  führen  werde.  Der  Tod  und  die  Sünde  entfliehen;  die  Schuld 
erscheint  verklärt  und  im  lichten  Gewände.  Am  Schlüsse  sieht  man  das 
Schiff  (der  Kirche)  und  auf  ihm  einen  Altar  mit  Kelch  und  Hostie,  vor 
dem  der  Mensch  kniet". 

Das  Auto  De  la  puente  del  Mundo  (Von  der  Brücke  der  Welt), 
so  genannt  von  der  Teufelsbrücke,  die  der  Fürst  der  Finsterniss  gebaut 
und  Jeder  überschreiten  muss,  der  in  die  Welt  eingehen  will  —  behandelt 
nicht  das  Mysterium  des  Abendmahls,  ist  also  kein  eigentliches  Auto 
sacram.  Der  Teufelsbrücke  biegt  der  Kreuzesritter  (Christus),  nachdem  er 
die  Baumeister  und  die  Helfer  derselben,  den  Leviathan,  besiegt,  ein 
Paroli  durch  eine  andere,  parallel  neben  jener  geschlagene  Brücke,  „auf 
der  das  Menschengeschlecht  in  den  Himmel  gelangen  kann.'' 

^  Ebensowenig  lässt  sich  das  folgende  Auto,  El  Heredero  de  Cielo, 
„Der  Erbe  des  Himmels",  den  Abendmahl- Autos,  den  eigentlichen  Frohn- 
leichnamsspielen ,  beizählen,  da  es  wohl  von  einem  vom  Judenvolk  lieder- 
lich und  schwelgerisch  bewirthschafteten  „Weinberge",  nicht  aber  von  dem 
'Corpus  domini',  der  Transsubstatiation  des  Weines  und  Brodes,  han- 
delt. Der  Weinberg  ist  die  „heilige  Kirche";  ihn  giebt  Gott  einem 
„heidnischen  Volke",  dem  römischen  nämlich,  in  Pacht,  das  ihn  aber 
noch  ärger  zu  Schanden  gewirthschaftet  hat,  als  das  Volk  Israel  —  ein 
Auto-Stoff,  der  noch  seinen  Dichter  sucht.  Dieses  Auto  müsste  denn  der 
in  der  Versform  des  Hendecasyllabus  mit  Kettenreimen  gedichtete  — ■ 
Syllabus  seyn. 

„In  eine  unendlich  verschiedene  Sphäre  wird  man  versetzt,  wenn  man 
von  den  Autos  zu  den  Entremeses  übergeht.  Diese  kleinen  burlesken 
Darstellungen,  oft  nur  abgerissene  Scenen,  ganz  ohne  dramatisches  In- 
teresse, sind  von  dem  rastlos  producirenden  Dichter  ohne  Zweifel  in  we- 
nigen flüchtigen  Augenblicken  hervorgebracht  worden;  allein  treffliche  Züge 
von  der  Art,  wie  sie  in  dieser  Gattung  überhaupt  Platz  finden  können, 
wusste  seine  eilfertige  Feder  auch  hier  wie  im  Fluge  hinzuwerfen.  An 
kecken  Scherzen  und  belustigenden  Situationen  ist  kein  Mangel,  und  die 
Thorheiten  und  Lächerlichkeiten  des  Menschen  werden  aufs  launigste  und 
mit  ächter  Komik  gegeisselt.  Nur  Feinheit  des  Scherzes  darf  man  nicht 
in  einer  Gattung  von  Stücken  suchen,  die  sich  ihrem  Wesen  nach  durch- 
aus im  Gebiete  des  Burlesken  bewegt*),  vor  Allem  darauf,  ausgeht,  kräftig 
zu  ergötzen  und  zu  diesem  Zweck  selbst  zügellose  Possenreisserei  nicht 
verschmäht." 


*)  Durch  Feinheit  des  Scherzes  unterscheiden  sich  Cervantes'  En- 
tremeses von  Lope's  und  allen  andern  Entremeses  der  spanischen  Bühne. 


Lope's  Entremeses.  51 1 

Eine  fliegende  Besprechung  der  von  Herrn  v.  Sehack  übersetzten 
vier  Entremeses  des  Lope*)  wird  dem  Leser  am  besten  die  Eichtig- 
keit  der  literarhistorisclien  Kennzeichnung  beurkunden. 

Der  betrogene  Vater  (El  padre  enganado.**)  Guadarrama, 
,,Der  betrogene  Vater",  fällt  mit  gezogenem  Schwert  über  seinen  Diener, 
Lorenzo  her,  um  ihm  ein  Liebesbrief chen  zu  entreissen,  das  seine  Toch- 
ter, Isabela,  durch  Lorenzo  an  ihren  Geliebten,  wie  der  Alte  wittert, 
bestellen  lässt.  Ein  Nachbar  stürzt  auf  den  Lärm  herbei.  Lorenzo  kehrt 
den  Spiess  um:  Das  Brief  chen  hätte  ihm  der  alte  Geizhals  zum  Bestellen 
an  sein  Schätzchen  aufgezwungen,  und  weil  er  sich  geweigert,  daher  sein 
Toben  und  Schelten.  Nachbar  rathet  dem  wüthenden  Alten  den  Bur- 
schen fortzujagen.  Lorenzo  ist  froh,  aus  der  Hungerhöhle  zu  entkommen, 
wo  er  Essig  und  Knoblauch   schlucken  muss,  um   seine  Gedärme  einzu- 


*)  Spanisches  Theater  IL  Theil.  S.  159-269.  —  **)  Comedias  t.  1. 
Vallad.  1609  u,  Mil.  1617.  „Die  Ausgaben  dieses  Bandes'*  (bemerkt  der 
Verfass.  der  Gesch.  der  Lit,  u.  Kunst  in  Spanien  IL  Anhang  L  S.  691) 
„enthalten  ausser  den  12  Komödien  und  Loas  noch  folgende  Zwischen- 
spieleif)  La  Melisandra.  El  padre  Enganado.  El  capendor.  El  doctor 
simple.  Pedro  Hernandez  y  el  corregidor.  Los  alimentos  (Die  Ali- 
mente). Los  negros  de  santoThome.  El  Indiano.  La  cuna.  Los  ladrones 
enganados.  La  dama  fingida.  La  endemoniada  (Die  Besessene).  Wei- 
tere Entremeses  enthält  der  Band  (Fiestas  del  Santissimo  Sacramento 
en  doce  Autos  sacramentales  con  suas  Loas  y  Entremeses).  Madr. 
1644.  Autos:  El  nombre  de  Jesus  (Jesu  Name).  El  Heredero 
del  cielo.  Los  Accreedores  del  Hombre  (Die  Gläubiger  des  Men- 
schen). Del  Pan  y  del  Palo.ft)  Ei  Missacantano  (Der  Priester, 
der  seine  erste  Messe  liest).  Las  Aventuras  del  Hombre.  La 
siega.  El  Pastor  Lobo  (Der  Hirte  als  Wolf).ttt)  I^a  Vuelta  de 
Egypto  (Die  Rückkehr  aus  Egypten).  El  Nino  Pastor  (Das  Kind  als 
Hirte).  Los  Cantares  (Das  Hohelied).  La  Puente  del  Mundo.  En- 
tremeses: El  Letrado  (Der  Advocat).  El  soldadillo  (Der  kleine 
Soldat).  El  Poeta.  El  Robo  de  Helena  (Raub  der  Helena).  La 
Hechicera  (Die  Hexe,  Zauberin).  El  Marques  de  Alfarache.  El 
Degollador  (Der  Halsabschneider).  La  Muestra  de  los  Carros  (Die 
Karren-Schau  oder  Musterung).  Los  Organos  (Die  Orgel).  El  Reme- 
diador  (Der  Schadenheiler).  Daca  mi  Muger  (Her  mit  meinem  Weib!) 
Las  Comparaciones  (Die  Vergleichungen).  Von  diesen  Entremeses 
hat  Moritz  Rapp  übersetzt:*!)  El  Poeta.  El  Marques  de  Alfarache. 
El  Remediador.    El  robo  de  Helena.    El  Degollador.    La  Hechicera. 


t)  Die  gesperrt  gesetzten  Titel  sind  die  der  vier  von  H.  v.  Sehack  über- 
tragenen Entremeses.  —  tt)  Analyse  S.  465  ff.  —  ftt)  Analyse  S.  468  f. 
-    *t)  Bibl.  auserl.  Klassiker  91.    Hildburgh.  1869, 


512  -^^^  spanische  Drama. 

pökeln,  damit  sie  vor  Nüchternheit  nicht  in  Fäulniss  übergehen.  Auf  dem 
Bratrost  seines  Namensheiligen,  Lorenzo,  ist  unser  Lorenzo  der  Braten, 
der  am  langsamen  Feuer  des  Hungerleidens  schmort.  „Neulich*^  —  sagt 
er,  malerisch  wie  der  Judenbursche  in  Cumberlands  Juden-Eührstück  — 
„Neulich  wollte  ein  Gerichtsdiener  meine  Zähne  als  Nichtsthuer  und 
nahrungslose  Vagabunden  verhaften  und  auf  die  Galeeren  bringen  lassen." 
Um  dieser  Eventualität  auszuweichen,  jagt  sich  Lorenzo  selber  fort,  und 
giebt  dem  Geizkragen  noch  Fersengeld,  um  seine  Zähne  zu  retten.  Er- 
freut über  das  gute  Geschäft,  das  der  Nachbar  vermittelt  hat,  fordert 
Guadarrama  diesen  auf,  seiner  Tochter  die  Leviten  zu  lesen.  Nach- 
bar hat  Eile,  verspricht  aber,  zu  dem  Zwecke  bald  wieder  zu  kommen. 
Statt  seiner  kommt  indessen  Antonio,  Isabellchens  Liebhaber,  mit  einer 
verschleierten  Dame,  für  die  er,  unter  Vorgeben,  die  Verschleierte  sey 
ihrem  grundlos  eifersüchtigen  Manne  entflohen,  einstweilen  Zuflucht  in 
Guadarrama's  Haus  erbittet.  Nach  einigen  Bedenken  bewilligt  der 
gleich  lüsterne  wie  geizige  Alte  die  Aufnahme.  Antonio  entfernt  sich. 
Guadarrama  versucht  mit  der  Verschleierten  den  liebenswürdigen  Haus- 
wirth  zu  spielen  und  erhält  für  den  zärtlichen  Händedruck  von  der  Ver- 
hüllten, als  Gegengastgeschenk,  einen  unverschleierten  Fusstritt.  Gua- 
darrama steckt  ihn  vorläufig  ein,  auf  einen  günstigen  Augenblick  sich 
vertröstend,  ruft  Isabellchen  herbei,  von  ihr  die  Verschleierte  in  ihr 
Zimmer  führen  zu  lassen,  der  Tochter  alle  mögliche  Achtung  und  Eück- 
sicht  gegen  die  fremde  Dame  einschärfend.  Unterdessen  hat  Antonio 
eine  Versöhnung  zwischen  dem  eifersüchtigen  Gemahl  und  der  verschleier- 
ten Gemahlin  zustande  gebracht,  und  erscheint  nun,  diese  ihrem  Gatten 
wieder  zuzuführen.  Guadarrama  ruft  hinein,  Isabellchen  möchte  die 
Dame  hereinkommen  lassen.  Die  Verschleierte  tritt  herein  und  wird 
von  Antonio  davongeführt.  Kaum  hat  er  mit  der  Dame  den  Rücken 
gewendet,  war  oben  am  Fenster  Lorenzo  sichtbar,  der  die  Schleiermaske 
dem  Töchterchen  des  gefoppten  Alten,  Isabellchen,  überlassen  und  dem 
„betrogenen  Vater"  von  oben  herunter  mit  einer  Nase  von  Fensterhöhe 
begrüsst,  dazu  noch  obenein,  als  war'  es  eine  Flöte,  folgendes  Ströphchen 
trällernd: 

Ach,  mein  Vater,  Angst  und  Zorn, 

Weil  Du  mich  so  hart  behandelt, 

Hat  mich  hinten,  hat  mich  vorn, 

Siehst  Du,  gänzlich  umgewandelt, 

Und  mich  also  mitgenommen, 

Dass  ich  einen  Bart  bekommen! 


Guadarrama.  Jesus,  Jesus,  was  seh  ich?  — 
Lorenzo.     0  Du  alberner  Geselle! 
Deine  Tochter  Isabelle, 
Wisse,  ist  Dir  durchgegangen 


tiope's  Entremeses.  513 

Und  Hess  mich  an  ihrer  Stelle 

Hier  zurück  in  Angst  und  Bangen. 
Guadarrama.  Sag'  mir  Spitzbube,  wer  hat  Dir  meine  Thür  geöffnet? 
Lorenzo.    Du  höchst  eigenhändig  eben 

Hast  mich  in  das  Haus  gebracht, 

Und  die  Tochter  mit  Bedacht 

Ihrem  Liebsten  übergeben, 

Der  sich  jetzt  in's  Fäustchen  lacht. 
Nun  kommt  auch  noch  Antonio  mit  Isabellchen  an  der  Hand,  hinter 
ihnen  Musikanten  und  Tänzer. 
M-usikanten  (singen): 

Schwiegervater,  gieb  Dich  drein, 

Lass  das  junge  Pärchen  ein, 

Denn  es  kann  nicht  anders  seyn. 
Und    nun    im    Wechselgesang   Lorenzo    mit    den   Musikanten,    und 
Tänzer  den  lustigsten  Keigen  tanzend.    Bald  gesellt  sich  auch  Nachbar 
hinzu.    Heisa!  ein  Hochzeitstanz,  der  dem  Alten  so  in  die  Beine  fährt, 
dass  er  den  Hochzeitssegen  dazu  tanzen  muss. 
Lorenzo.     Alter  mit  dem  Schafsgesicht, 

Sträube  Dich  nun  länger  nicht, 

Iss  vom  bitteren  Gericht, 

Sonst  befalle  Dich  die  Gicht, 

0  Du  jammervoller  Wicht! 
Musikanten. 

Schwiegervater,  gieb  Dich  drein, 

Lass  das  junge  Pärchen  ein. 

Denn  es  kann  nicht  anders  seyn! 
Guadarrama.  Nein,  jetzt  reisst  mir  die  Geduld.  Lasst  mich  los,  Ihr 
Herren.  Diesmal  soll  mir  der  verteufelte  Bursche  nicht  entwischen!  Er 
stürzt  auf  Lorenzo  los,  fällt  aber  zu  Boden,  Lorenzo,  der  die  Flucht 
ergreift,  fällt  gleichfalls,  und  während  Alle  verwirrt  durcheinander  lau- 
fen, schliesst  das  Zwischenspiel  mit  der  obligaten  Entremeses-Prügelei,  wobei 
die  Musikanten  den  Stuhlbeinen  aufspielen,  dass  sie  mit  den  Zwischen- 
spielern in  die  Wette  tanzen.  Hat  das  spanische  Entremes  überhaupt 
eine  auffallende  Familien-Aehnlichkeit  mit  der  italienischen  Pantomime,  so 
scheint  die  eben  skizzirte  des  Lope  vollends  nur  eine  solche  Pantomime, 
die  ihr  Gebärdenspiel  in's  Spanische  übersetzt.  Guadarrama:  Pantalon. 
Lorenzo:  Pierrot.   Antonio:    Arlechino.   Isabela:  Columbina. 

Doctor  Simpel.  Der  Dienst,  den  Perico  und  Lorenzo  beim 
Doctor  versehen,  besteht  nicht  blos  darin,  dass  sie  seine  Pasteten  und 
sein  Obst,  eingemacht  oder  nicht,  wie  Pillen  verschlucken;  sie  nehmen 
auch,  während  der  Doctor  auf  Krankenbesuch  aus  ist,  von  den  sich  mel- 
denden Patienten  das  Honorar  für  die  von  ihnen  verschriebenen  Medica- 
mente in  Empfang,  die  dazu  angethan  sind,  ganze  Dörfer  hinzurichten. 
X.  33 


514  J)as  spanische  Drama 

Einem  Weibe  verordnet  Lorenzo,  im  Lehnstuhl  des  abwesenden  Doctors 
und  in  dessen  Schlafrock,  gegen  Magenkrämpfe,  nachdem  er  das  ihm  als 
unwirksam  vorgezeigte  Beinpflaster  wie  eine  von  des  Doctors  Pasteten  ver- 
schlungen —  verordnet  Lorenzo  einen  Umschlag  von  Arsenikpulver,  statt 
Absynth,  den  ihm  sein  Genosse,  Perico,  als  Famulus  zugeflüstert  und 
Lorenzo  falsch  verstanden.  Einem  Andern,  der  ein  Mittel  gegen  Herz- 
weh  wünscht,  wovon  sein  Weib  plötzlich  befallen  worden,  empfiehlt  er,  auf 
Perico's  Zuflüsterung,  einen  Aderlass  von  drei  Unzen  Blut  aus  der  Haupt- 
ader zu  verordnen,  eine  Abzapfung  von  dreihundert  Unzen  Blut  aus  der 
Fussader.  Der  Doctor  ist  zurückgekehrt,  sieht  den  in  seinem  Schlafrock 
überraschten  Diener  Lorenzo  von  dessen  CoUegen  Perico  mit  dem  spa- 
nischen Köhrchen  bearbeiten,  angeblich  um  den  Schlafrock  auszuklopfen, 
der  jetzt  zum  erstenmal  erfährt,  was  Ausklopfen  heisst.  Nicht  lange,  so 
stellen  sich  auch  die  beiden  Patienten  mit  dem  Gerichtsdiener  ein, 
um  dem  gefährlichen  Quacksalber  „im  Namen  des  Königs"  den  Schlafrock 
auf  dem  Leibe  auszuklopfen.  Dieser  aber,  nicht  faul,  wirft  sich  mit  allen 
Prügeln  im  Schlafrock  auf  den  Diener  der  Gerechtigkeit  und  drischt  ihn 
zur  Thür  hinaus  rite  nach  dem  Landrecht  des  spanischen  Zwischenspiels 
und  spanischen  Röhrchens. 

Letzteres  spielt  sogar  in  Lope's  Entremes:  „Die  Besessene"  (La 
Endemoniada)  die  Hauptrolle,  den  Teufelsbanner,  nämlich  Teufelsaus- 
treiber, den  Exorcisten,  bei  Sarmiento's  Diener,  Gil,  in  welchen  der 
Liebesteufel  aus  Sarmiento's  Tochter,  Ines,  als  Essteufel  gefahren, 
den  das  spanische  Röhrchen  aus  ihm  austreibt,  geschwungen  von  Pedro 's 
Hand,  des  Geliebten  der  Ines.  Pedro  hatte  sich  bei  dieser  schon,  ab- 
geredetermassen ,  als  Teufelsbanner  so  bewährt,  dass  Ines  plötzlich  vor 
dem  verblüiften  Vater  nach  allen  Göttern  der  griechischen  Mythologie  auf- 
schreit, und  die  ernstlichsten  Anstalten,  um  in  die  Luft  zu  fliegen,  trifft, 
vorläufig  aber  erst,  als  Flugprobe,  Ohrfeigen  dem  Gil  in's  Gesicht 
fliegen  lässt.  Yater  Sarmiento  beschwört  sie  himmelhoch,  ihm  die  Angst 
zu  ersparen  und  es  bei  den  fliegenden  Ohrfeigen  bewenden  zu  lassen. 
Gil  holt,  mit  der  Hand  auf  der  Backe,  den  als  Teufelsbanner  verkleideten 
Pedro  herbei.  Ines  ruft  ihm,  als  Besessene,  entgegen:  „0  Du  Freude 
meiner  Augen,  also  kommst  Du,  wie  verabredet  war!"  Pedro.  „Aufge- 
passt!  das  ist  der  Teufel,  der  aus  ihr  redet,  und  ist  es  nöthig,  ihm  in 
derselben  Art  zu  antworten."  ~  „Ja,  Du  Wonne  meiner  Seele,  ich 
komme,  ich  komme!"  .  .  .  Der  Exorcist  lässt  nun  die  stärksten  Bann- 
sprüche des  Höllenzwangs  los  in  Ciceronischem  Latein,  dass  dem  Teufel 
Hören  und  Sehen  vergeht:  „Daemonius  maleditus,  quae  intrabit  Corpore 
mulier  et  tentabit  dieses  Weib,  exi,  pack  Dich!"  Entsetzt  ob  dem  Latein, 
fährt  der  Besessenen  der  Teufel  aus  dem  Leib,  pustend  von  hinten  und 
vorn.  Um  einen  Rückfall  oder  Wiedereinfahrt  des  Teufels  zu  verhüten, 
erklärt  der  Austreiber,  er  müsse  noch  20  bis  30  Tage  bei  der  vom  Teufel 
glücklich  Entbundenen  bleiben.    Ausser  sich  vor  Freuden,   bewilligt   der 


Doctor  Simpel.    Cosme,  der  Schädeiiheiler.  5|5 

Gross vater  des  Teufels  und  baldiger  Schwiegervater  des  Teufelsbanners, 
diesem  nicht  blos  dreissig  Tage,  nein,  dreissig  Monate,  und  befiehlt  den  Die- 
nern, der  des  Teufels  gewesenen  Tochter  zu  essen  zu  bringen,  was  nur 
Küche  und  Speisekammer  liefern  können.  Das  hören  und  flugs  in  Gil's 
Leib  sich  als  Essteufel  stürzen,  ist  für  den  ausgetriebenen  Daemonius 
maleditus  Teufelsspass.  Diese  Höllenfahrt  des  Daemonius  in  Gil's  Magen 
geschieht  natürlich  unsichtbar,  und  versteckt  sich  hinter  des  Dieners 
Pascual  dem  Gil  gegebenen  Rath:  sich,  um  auch  gut  zu  essen,  besessen 
zu  stellen.  Da  brüllt  auch  schon  der  Essteufel  aus  Gil  heraus,  die  heid- 
nischen Götter  citirend,  wie  Ines,  und  macht  Anstalten  in  die  Luft  zu 
fliegen,  wie  Ines.  Auch  der  Teufelsbanner,  Pedro,  dem  Pascual  einen 
Wink  gegeben,  lässt  es  an  ihm  nicht  fehlen,  und  steht  schon  da  mit  dem 
Dens  ex  machina  des  spanischen  Entremes,  mit  dem  spanischen  Prügel- 
rohr, um  den  aus  Gil  höllisch  nach  „Essen"  schreienden  Teufel  auszu- 
treiben. 

Pedro.  „Ha,  verfluchter  Teufel,  was  willst  Du?  was  begehrst  Du?'* 
Gil.  „Zu  essen,  Senor,  zu  essen!"...  Pedro.  „Daemonius,  quid  petis? 
Was  verlangst  Du?'*  Gil.  „Essen,  essen!"  .  ,  .  Pedro.  „Essen?  Nun 
hier  hast  Du,  wovon  Du  satt  werden  kannst!"  —  Und  Prügel  hageldicht, 
und  flutsch ! ,  der  Fress-Teufel  dem  Gil  zum  Mund  heraus,  aber  ihm  auch 
gleich  als  Entremesprügelteufel  in  die  Hand  hinein  und  ingestalt  des  spa- 
nischen daemonius  fustitudinus  entremesisimus ,  den  Pascual  zur  Thür 
und  zum  Entremes  hinaus  gefuchtelt,  wie  besessen  und  das  Entremes 
hinterdrein  —  und  wusch!  in  Moritz  Rapp's  „Spanisches  Theater'*  sich 
hinüberwerfen,  um  in  dem  Zwischenspiel,  „Der  Schäden  heiler",  als 
Peitsche  die  Heilung  zu  bewirken,  und  uns  starke  Hand  zu  leihen,  um 
einen  übersetzten  Zwischenspiel-Teufel  mit  dem  andern  auszutreiben. 

Cosme*),  „Der  Schädenheiler",  ist  eine  Art  moralisirender  Quacksal- 
ber, ein  Dulcamara  der  Seelenschäden,  der  seinen  Kunden,  wenn  guter 
Eath  nicht  hilft,  spanische  Fliegenpflaster  mit  der  Peitsche  aufstreicht. 
Kellnerin  Jusepa  fragt: 

,,Wie  werd'  ich  von  meinen  Schmerzen  frei?" 

Cosme. 
Verabschieden  mag  sie  die  Schlamperei, 
Nicht  eine  Stunde  müssig,  nähen,  spinnen. 
Das  lehrt  so  Früh-  wie  Abendkost  gewinnen, 


*)  Cosme  kommt  singend  und  auf  einem  Steckenpferd  reitend  die 
Strasse  gezogen,  er  hat  über  seiner  Mütze  eine  Stange  befestigt,  mit 
Schnüren,  woran  eine  Tafel  hängt  und  darauf  mit  grossen  Buchstaben  ge* 
schrieben  steht:  „Der  Schädenheiler".  Das  Entremes  spielt  in  der  Laube 
vor  einer  Dorfschenke,  wo  gleich  Eingangs  Cosme  mit  leeren  Schüsseln 
bewirthet  und  der  Wirth  Salvador  mit  dem  Klang  von  klingender 
Münze  bezahlt  wird. 

33* 


516  i)as  spanische  Drama. 

Will  das  der  schönen  Leonor  nicht  taugen, 
So  mag  sie  an  dem  kleinen  Pinger  saugen. 

Einer. 
Das  ist  kein  Rath,  an  dem  ein  Fräulein  nasche. 

Cosme. 
Ein  Jeder  spare  in  die  eigne  Tasche, 
Und  jetzo  will  ich  euch  die  rechten  Lehren 
Erst  recht  auslegen  und  euch  bass  bekehren. 
(Er  nimmt  seine  Stange  von    der  .Mütze,    braucht  sie  als  Peitsche  und 
schlägt  auf  sie  los,  und  jagt  allesammt  mit  Heilsprüchen  und  Peitschen- 
hieben davon).   Heil  Dir,  ,Cosmo  de'Medici,  mit  dem  Peitschenstiel, 
„als  Seelenpflasterstreicher." 

„Der  Raub  der  Helena'',  der  Tochter  nämlich  des  Doctor  Ori- 
gano,  die  Helena  heisst,  und  von  ihrem  Geliebten  Paez,  als  „Paris**, 
aus  einem  dem  Doctor  und  den  Gästen  vorgespielten,  zum  Entführungs- 
zwecke von  Paez  verfassten  Entremes  im  Entremes  als  spartanische  Helena 
geraubt  wird.  Der  Alte  holt  Paris  und  Helena  in  einer  Herberge  ein,  und 
wird  dermassen  erweicht  und  gerührt,  man  weiss  nicht  wovon,  dass  er, 
statt  der  zugedachten  Prügel,  dem  Paare  seinen  väterlichen  Hochzeitssegen 
giebt.  Zur  Probe  von  Herrn  Rapps  burlesk-gewandter  Uebersetzung  wird  ein 
Stück  aus  dem  Liebesmonolog  im  Litermezzo  des  Entremes  genügen: 
Paez  (affectirt  declamirendj. 

Helena  mein,  deren  Blicke 
Mir  das  Sonnenlicht  verkleiben. 
Sage  mir,  wo  soll  ich  bleiben 
Vor  des  Liebesbuben  Tücke? 
Troja,  mein  geliebtes  Vater- 
land, verrathen  hab'  nun  dich  ich. 
Und  nun  sitz'  ich  hier  schiiFbrüchig, 
Auf  dem  Sand  ein  Desperater. 
Wohl  steht  dorten  in  der  Schenke, 
Nein,  ich  wollt'  im  Meere  sagen, 
Mir  ein  Schiff,  das  flutgetragen 
Als  ein  Ross  kommt  von  der  Tränke. 
Wann,  o  schönste  Helene, 
Fahren  endlich  wir  von  hinnen? 
Helena.         0  Paris,  du  meiner  Sinnen 

Lust  und  Labsal,  nicht  o  wähne, 

Weil's  noch  mit  dem  Schiff  nicht  richtig, 

Dass  ich  ungern  mit  dir  liefe. 

Aber  ach,  das  Meer  ist  tiefe, 

Agamemnon  eifersüchtig; 

Sassen  wir  in  einer  Kutschen, 

Ha,  wie  wollten  wir  dem  Strand, 


Lope-Kritik.  --  517 

Ein  kritisches  Gesammturtheil  über  Lope  de  Vega's  Vorzüge 
und  Mängel,  seine  Eigenart,  seine  unsterblichen  Verdienste  um 
das  spanische  Drama,  wird  wohl  unser  Leser  aus  den  Zerglie- 
derungen so  vieler  seiner  Stücke  sich  selbst  zu  bilden,  und  Lo- 
pe's  Stellung  zu  seinen  Vorgängern,  durch  einen  Vergleich  von 
Beider  Leistungen,  zu  erkennen  in  der  Lage  seyn.  Unser  Leser 
wird  sein  kritisches  Endurtheil  nicht  erst  an  den  Maassstäben 
spanischer  und  französischer  Kunstrichter  emporranken  dürfen, 
und  selbst  die  maassgeb endern  Aussprüche  der  deutschen  Kritik 
nach  gewonnener  Ueberzeugung  zu  prüfen  und  zu  berichtigen 
sich  im  Stande  fühlen.  Unser  Leser  wird  nicht  erst  vom  „Ex- 
celentisimo  Senor"  Don  Antonio  Gil  deZarate^)  zu  lernen 
haben,  dass  Lope  in  das  volksthümliche  spanische  Drama,  das 
eigentliche  Nationaldrama  der  Spanier,  die  poetische  Sprache  ein- 
führte. '^)  Unser  Leser  wird  sogar  Lope's  Anspruch  auf  dieses 
Verdienst  dahin  steigern,  dass  er  ihn  als  den  spanischen  Büh- 
nendichter kennzeichnen  würde,  der  den  Nationaldramen  zuerst 
eine  poetische  Seele  einhauchte;  der  nicht  nur  eine  glückliche 
Vermählung  der  gelehrten  mit  der  volksthümlichen  Dichtung  be- 
wirkte 3) ;  der  auch  als  Erster  zu  bezeichnen,  der  die  sogenannte 
gelehrte  Poesie  und  das  Drama  der  classisch-spanischen  Schule 
nationalisirte  und  mit  dem  genuin  spanischen  Volksgeiste  be- 
lebend durchdrang,*  mochte  auch  diese  Aneignung  und  Ver- 
volksthümlichung,  nach  antikem  Kanon  und  den  immanenten  Ge- 
setzen und  Ideen  des  poetischen  Kunstdraraa's  gemessen,  nur 
Sensationsscenen  erstrebt  und  geschaffen  haben,  von  mehr  thea- 
tralisch blendender  als  ethisch  poetischer,  als  innerlich  gehalt- 
voller, das  Volksgemüth  veredelnder,  die  Volksseele  läuternder, 
den  Nationalgeist  erleuchtender  Kraft  und  Wirkung;  und  moch- 

Meinem  bittern  Vaterland, 

Arm  in  Arm  selig  entrutschen! 
Keine  Knüppelprügel  im  Entremes-Revier  ?  —  So  giebt  es  trochäische  Knit- 
telverse  dafür. 

1)  Manuel  de  Literatura,  segonda  parte.  Vgl.  'Juicio  general  de  las 
Obras  de  Lope'  Comed.  escog.  de  Lope  de  Vega  por  D.  Eng.  Hartzen- 
busch  t.  I.  (BibL  Rib.  t.  XXIV).  —  2)  Introdujo  en  la  poesia  populär  el 
languaje  poedico  que  le  faltaba.  —  3)  Este  feliz  maridaje  que  hizo  Lope 
de  la  poesia  populär  con  la  erudita. 


518  Das  spanische  Drama. 

ten  diese  scenischen  Sensationsmomente  auch  das  der  spanischen 
Nation  tiefer  vielleicht  als  andern  romanischen  Völkern  eingesenkte 
und  vom  Priesterthum  eifrig  genährte  Ferment  des  barbarisch  Fa- 
natischen nur  in  eine  geistig  raffinirtere  Gährung  versetzt  und 
den  Auflösungsprocess  nur  beschleunigt  haben.  Im  weltlichen 
Schauspiel  tritt  dieser  raffinirt  barbarische  Fanatismus  im  abso- 
luten Ehrendogma  und  in  der  Eifersuchtsblutrache;  im  geistli- 
chen Schauspiel  als  Verketzerungsdogma  mit  Feuer  und  Schwert 
zutage.  Immerhin  sprudelt  doch  in  dieser  Effervescenz  des  Un- 
menschlichen ein  mächtiges  nationales  Geistesleben;  und  bes- 
ser —  wie  jenes  Juden  zum  Sprichwort  gediehener  Wahrspruch 
lautet  —  besser  ein  lebendiger  Hund  seyn,  als  ein  todter  Löwe, 
auch  nach  dem  Schätzungtarif  der  Weltgeschichte.  Es  sey  denn, 
dass  so  ein  Löwenaas  einen  Bienenschwarm  mit  Honigwaben  im 
Leibe  trüge,  wie  der  Löwenleichnam  der  attischen  Tragödie  und 
Komödie  noch  jetzt  solche  Schwärme  brütet.  Dergleichen  aber 
waren  die  Vorlope'schen  classisch  spanischen  Dramen  eines  Oliva, 
Malara,  Cueva  u.  s.  w.  so  wenig,  dass  dieselben  vielmehr  für  eben 
so  viele  todte  Hunde  gelten  dürfen. 

Wenn  sich  unser  Leser  mit  des  spanischen  Dramaturgen,  Gil 
Zarate,  Hervorhebung  der  Mannigfaltigkeit  von  Lope's  dramati- 
schen Vorwürfen  einverstanden  erklären  mag,  wird  er  die  den- 
selben vom  spanischen  Literator  beigelegte  preiswürdige  Eigen- 
schaft, dass  Lope's  dramatische  Argumente  und  Fabelstoffe  stets 
glücklich  gewählte  und  ersonnene  sind^),  dem  Schöpfer  des  spa- 
nischen Kunstdrama's  wohl  kaum  zusprechen  können;  der  An- 
sicht vielmehr  eines  andern  ausgezeichneten  spanischen  Drama- 
turgen beipflichten,  dass  dem  Lope,  der  selbstgeständlich  nach 
keinem  höhern  Ziele,  als  die  Schaumenge  zu  ergötzen,  strebte,  dass 
ihm  jedes  Argument,  jedes  Fabelmotiv  gerecht  und  willkommen 
war,  wenn  es  nur  die  Neugier  lebhaft  beschäftigte  und  festhielt  '^) ; 
wenn  es  —  um  bei  unserer  Bezeichnung  zu  bleiben  —  wenn  es 


1)  Los  argumentos  de  sus  dramas  son  variados  y  siempre  felices. 
Zarat.  p.  XXII.  —  2)  C(5mo  no  aspiraba  sino  ä  alcanzar  aplausos,  sin  pro- 
ponerse  en  sus  comedias  fin  mas  noble,  e  importante,  le  bastaba  elegir 
argumentos  que  excitasen  vivamente  la  curiosidad,  sin  promitirle  amor- 
tiguarse.    Mart.  de  la  Rosa,  Obras  lit.  11.  p.  420. 


Spanische  Urtheile.  519 

sich  nur  zu  Sensationsscenen  eignete.  Woraus  von  selbst  der 
Lope's  dramatischen  Fabeln  widerspruchslos  zuerkannte  Vorzug 
entsprang,  dass  dieselben  voller  Bewegung,  spannender  Situatio- 
nen und  überraschender  Zwischenfälle  sind,  und  dass  auch  seine 
Expositionen  nicht  erzählungsweise,  sondern  vonvornherein  han- 
delnd einschreiten.  ^)  Nicht  das  allein !  Unser  Leser  kann  auch 
diesen  Lobpreis,  dem  spanischen  Kritiker  über  den  Kopf  hinweg, 
durch  das  Zugeständniss  an  Lope's  dramatisches  Genie  erwei- 
tern, dass  Lope  als  der  Schöpfer  der  scenischen  Situation  zu  be- 
trachten, die  er  gleichsam,  wie  Vulcan  mit  dem  Beil  aus  Jupi- 
ters Schädel  die  Göttin  der  Weisheit,  seiner  Fabelverwickelung 
aus  dem  Hirnkasten  schlägt,  Lope  —  kann  unser  Leser  dem 
spanischen  Dramaturgen  weisen  —  citirt  seine  schönsten,  schla- 
gendsten Situationen,  wie  der  Nekromant  seine  dienenden  Geister, 
gute  und  schlimme,  auf  ein  blosses  Zauberwort;  die  geheimsten 
Verwickelungsschlösser  mit  dem  künstlichsten  Intriguen-Gesperr 
und  Gewinde  sprengt  er  durch  eine  blosse  Berührung  mit  der 
Alraunwurzel  auf,  die  ihm  des  Musengottes  Apollo  Leibvogel, 
der  Specht,  der  auch  die  Alräunchen  im  Schnabel  herbeibringt, 
vom  Stegreifzaun  gebrochen  und  zutrug.  Nicht  anders  hält  es 
der  grosse  spanische  Situations- Wettermacher  —  das  Zauber- 
stückchen hat  uns  Lope,  dem  Leser  und  uns,  mehr  als  einmal 
vorgemacht  —  hält  es  Lope  mit  den  Katastrophen,  indem  er  die 
Knoten  seiner  Stücke,  wie  der  Hexenmeister  die  in  sein  Zauber- 
schnupftuch geschlagenen  Knoten  aufknüpft,  mit  dem  Erfolge 
nämlich,  dass,  wie  diesen  durch  blossen  Zauberspruch  entschürz- 
ten Knoten  Stürme,  also  Lope's  von  der  Faust  weg  gelösten  dra- 
matischen Knoten  Katastrophen  entstürzen.  Seine  unerschöpfliche, 
jedoch  mehr  inbezug  auf  novellistisch-stoffartige,  als  hinsichts 
eigentlich  scenischer  Motive  und  Motivationen,  unversiegliche 
Erfindungsader  überwuchert  das  Compositionstalent,  sein  Genie, 
sein  Kunstvermögen,  was  aber  mehr  die  schluddernde  Leicht- 
fertigkeit, womit  er  die  Conception  aufs  Papier  hinwarf,  ver- 
schulden mochte,    als   ein  Mangel   an  Compositionskunst,  oder 


1)  La  fabula  de  Lope  esta  Uena  de  movimiento ,  de  sitnaciones ,  de 
lances;  hasta  la  esposicion  misma  se  hace  en  acciones  dramaticas.  Alb, 
Ijista,  Lecc.  p.  147. 


520  ^^^  spanibche  Drama. 

seine  im  Verhältniss  zur  Fruchtbarkeit  zu  kurz  fallende  Gestal- 
tungskraft, wie  einige  seiner  sorgfältiger  ausgearbeiteten  Stücke, 
vor  Allem  sein  Meisterwerk,  'El  mejor  Alcalde  el  Key',  darge- 
than.  Unser  Leser  wird  daher  auch,  inbetreff  dieses  Punktes, 
zugunsten  des  unfraglich,  trotz  aller  Uebereilung  und  Mängel 
grössten  dramatischen  Dichtergenies  Spaniens,  zu  Lope's  grösserem 
Ruhme  die  spanischen  Kritiker  berichtigen  dürfen,  die  jene  für 
uns  nur  relative  Compositionsschwäche  und  Plan-  und  Regello- 
sigkeit als  einen  positiven  Mangel  dem  Lope  aufmutzen.  ^)  Bei- 
läufig bemerkt,  sind  die  von  Hartzenbusch  aus  Antonio  Gil  de 
Zarate's  Handbuch  der  Literatur  (Manuel  de  Literatura)  mitge- 
theilten  kritischen  Urtheile  über  Lope  in  den  Hauptstellen  meist 
wörtliche  Wiederholungen  aus  Lista's  fast  zwanzig  Jahre  früher 
gehaltenen  Lecciones.  So  stimmt  u.  a.  das,  was  der  'Excelen- 
tisimo  senor'  über  Lope's  dramatische  Fabeln  vorbringt'^),  mit 
Lista's  ürtheil  in  Sinn  und  Passung  Wort  für  Wort  überein.  ^) 
So  auch  die  eben  aus  Zarate  citirte  Stelle  über  das  Verhältniss 
von  Lope's  Erfindungsgenie  und  seiner  Compositions-  oder  Dis- 
positionskunst.'*)    Bei  dem  allervortrefflichsten  Don  Ant.  Gil  de 

1)  Si  tuve  grande  inventiva,  no  fue  tan  afortunado  en  la  composicion, 
6  disposicion  de  la  fabula,  que  quasi  sierapre  es  defectuosa,  seiialada- 
mente  cuando  se  aproxima  el  desenlace,  caminando  sin  plan  y  siempre 
deprisa,  se  iba  extra viando  y  se  causaba.  Weshalb  —  folgert  Zarate  — 
Lope  von  allen  dramatischen  Dichtern  die  meisten  bewundernswerthen 
Scenen  und  die  wenigsten  guten  Komödien  aufweisen  kann:  Asi  de  todos 
los  poetas  dramaticos  es  el  que  tiene  mayor  numero  de  escenas  admirables 
y  menor  de  comedias  buenas.  Wir  aber,  und  mit  uns  unsere  Leser,  sind 
der  Ansicht,  dass  ausser  dem  genannten  Musterwerk  der  spanischen  Bühne, 
Stücke  wie  'El  acero  de  Madrid',  *Los  Melindres  de  Beiisa',  'Los  Tellos 
de  Meneses'  u.  A.  sich  auch,  was  Scenenführung  und  Gliederung  betrifft,  mit 
den  guten  Komödien  der  besten  spanischen  Dramatiker  vergleichen  dürfen, 
Calderon  vielleicht  nicht  ausgenommen,  dessen  bewunderte  Motivirungs- 
kunst  möglicherweise  als  eine  mehr  formelle,  denn  eine  wahrhaft  organi- 
sche sich  erweisen  könnte.  —  2)  s.  o.  S.  519.  Anm.  1.  --  3)  La  fabula 
de  Lope  esta  Uena  de  movimiento,  de  situaciones,  de  lances,  hasta  la  ex- 
posicion  misma  se  hace  en  accion  y  no  en  diälogos  y  discursos.  Lista, 
Lecc.  p.  147.  ~  4)  Si  la  invencion  de  Lope  de  Vega,  y  aun  la  esposicion 
de  sus  fabulas  es  siempre  agradable  e  interesante,  la  composicion,  esto  es 
el  movimiento  de  la  accion  durante  la  comedia  es  cuasi  siempre  de- 
fectuosa» etc,    Lista,  a.  a.  0.  p.  149. 


Zarate,  Lista  etc.  über  Lope.  521 

Zarate  scheint  sich  dieses  Verhältniss  umzukehren:  die  Kunst 
der  Disposition  nämlich,  d.  h.  die  Kunst,  über  das  kritische  Ei- 
genthum  eines  Vorgängers  nach  Gutdünken  zu  disponiren, 
weit  grösser  zu  sein,  als  die  'Inventiva' ,  als  die  Erfindungsgabe ; 
die  Inventiva  müsste  denn  dahin  zu  verstehen  seyn,  sich  aller 
eigenen  Erfindung  gewissenhaft  zu  enthalten;  dagegen  Alles  ir- 
gend Brauchbare,  was  man  findet,  als  gute  Prise  zu  betrachten 
und  in  seinen  Nutzen  zu  verwenden. 

Was  die  Charakteristik  in  Lope's  Dramen  anlangt,  so 
scheint  uns  auch  in  dieser  Hinsicht  die  Würdigung  der  spani- 
schen Kritik  nicht  vollgültig.  Unseres  Dafürhaltens  übertrifft 
Lope,  inbetracht  der  unübersehbaren  Fülle  von  Figuren,  rücksicht- 
lich der  Bestimmtheit,  Naturwahrheit  und  Mannigfaltigkeit  der 
Charaktere,  sämmtliche  spanische  Bühnendichter,  den  Alarcon, 
und  Tirso  deshalb  miteinbegriffen,  weil  deren  Charakterschil- 
derung, wie  sich  ergeben  wird,  schon  auf  Eaffinementkünste  aus- 
geht und  nicht  selten  in  absonderliche  Eigenschaften  sich  zu- 
spitzt. Bei  keinem  seiner  Kunstgenossen  ist  der  Kern  des  Cha- 
rakterwesens so  gesund  und  voll  Lebensfrische,  wie  bei  Lope. 
Am  wenigsten  bei  Calderon,  dessen  Charaktere  mit  ihrem  ganzen 
individuellen  Gehalt  meist  in  die  Künstlichkeit,  Ueberfeinheit  und 
Sophistik  seiner  Fabelverwickelung  und  ausgetiftelten  scenischen 
Contraste  aufgehen,  und,  von  dem  Mechanismus  seiner  Compo- 
sitionsabsichten  und  von  der  Virtuosität  seiner  spitzfindigen  Inci- 
denzenverknüpfung  ihres  Markes  beraubt,  zu  blossen  Situations- 
Schemen  und  algebraischen  Exponenten  verblichen  und  abgezehrt 
erscheinen.  Wir  können  daher  dem,  unserer  Schätzung  nach, 
gediegensten  Kritiker  der  spanischen  schöngeistigen  Literatur  in 
der  ersten  Hälfte  des  Jahrhunderts,  nicht  beistimmen,  wenn  er 
von  Lope  urtheilt,  derselbe  hätte  die  dramatische  Charakteristik 
vernachlässigt,  und  es  häufig  bei  seinen  Charakteren  an  Wahr- 
heit und  Schärfe  der  Umrisse  fehlen  lassen.  0  Bezüglich  der 
Form,  der  Versification,  und  des  poetischen  Ausdrucks  (elocucion), 
wirft  Lista  dem  Lope,    ausser  Prosaismus,    eine  Ueberladung 


1)  Descuidaba  Lope  la  parte  concerniente  ä  Caracteres,  y  no  los 
presentaba  muchas  veces  oon  verdad  ni  exactitud.  Mart.  de  la  Eosa 
a.  a.  0.  p.  423. 


522  Das  spanische  Drama. 

mit  gelehrten  Schulphrasen  vor,  als  Folge  seiner  Neigung  zu  theo- 
logischen und  kirchlichen  Erörterungen,  i)  Ohne  ihn  vom  letz- 
teren Flecken  gänzlich  frei  sprechen  zu  wollen,  glauben  wir  doch, 
was  den  Prosaismus,  namentlich  in  Lope's  nichtdramatischen 
Dichtungen  betrifft,  dass  der  einsichtige  spanische  Dramaturg 
vielleicht  gerade  in  der  Leichtigkeit,  Natürlichkeit  und  Durch- 
sichtigkeit von  Lope's  poetischem  Sprachstyl,  Eigenschaften,  die 
uns  an  dem  poetischen  Ausdruck  so  lieblich  dünken,  wie  Thau- 
tropfen  in  Blumenkelchen  —  den  Prosaismus  erblickt  haben 
möchte.  Eben  so  gut  könnte  man  das  reizende  Negligee  einer 
Schönen  Prosaismus  schelten,  oder  die  himmlische  naive  Nackt- 
heit von  Tizian'schen  Engelkindern  oder  Albano's  Amoretten 
durch  Toilette  und  Au^utz  ersetzt,  wo  nicht  gar  von  angemal- 
tem Tricot  umsponnen  wünschen.  Mit  gleichem  Rechte,  wie  dem 
Lope,  Hesse  sich  dieser  Prosaismus  Lope's  deutschem  Geniegenos- 
sen in  der  Lyrik  und  erzählenden  Poesie,  unserem  Goethe,  vor- 
werfen. Wir  aber  möchten  —  nicht  um  aller  Pindar'schen  pomp- 
vollen Hyperbata  seines  lyrischen  Prachtstyls  —  uns  kein  Tütel- 
chen von  diesem  Prosaismus  in  Goethe's  Lyrik,  in  Goethe's  poe- 
tischer Sprache  überhaupt,  rauben  lassen.  Nebenher  bemerkt, 
haben  Goethe's  Vorgänger  in  der  deutschen  Lyrik  des  18.  Jahr- 
hunderts mehr  von  diesem  köstlichen  Prosaismus,  worein  Goethe's, 
ganz  und  gar  wie  in  Ambrosia  und  Nektar  getaucht  ist,  als 
seine  Nachfolger,  zUm  grossen  Nachtheil  der  lyrischen  Poesie, 
in  ihre  Gedichte  und  Lieder  hineinwirken  mochten. 

Fassen  wir  denn,  da  uns  die  spanische  Kritik  kein.e  neuen 
Aufschlüsse  über  Lope's  Kunstart  giebt,  die  zu  seiner  Prüfung 
übereinstimmenden  Züge  mit  den  Worten  des  mehrgenannten 
vorzüglichen  spanischen  Dramatikers  und  Dramaturgen,  Mart.  de 
la  Eosa,  in  ein  Vollbild  zusammen,  welches  ähnlich  jenen  aus 
Strophenversen  oder  aus  Zeilen  des  Vaterunser  zu  einem  Portrait 
umschriebenen  kalligraphischen  Schriftbildnissen  —  aus  allgemei- 
nen Phrasen  von  Eigenschaftbezeichnungen  Lope's  Conterfey  zu- 


1)  — ■  hay  en  sus  obras  otros  defectos  de  elocucion,  independientes 
del  prosaismo.  Tal  vez  se  enreda  su  cuestiones  escolasticas  que  no  vieneii  al 
caso:  y  entonces  no  se  desdena  su  musa  de  las  frases  y  nomenclatura  de 
la  escuela. 


Versformen  im  spanischen  Drama.  523 

sammenstellt:  „Niemand  in  der  Welt  hat  Lope  an  Gaben  für 
die  dramatische  Kunst  übertroffen.  Ihm  fehlte  keine  derselben: 
unerschöpfliche  Erfindung,  die  lebhafteste  Einbildungskraft,  Schil- 
derungstalent, die  Kunst  den  Dialog  zu  führen,  ausserordentliche 
Meisterschaft  in  der  Sprache,  staunenswürdige  Leichtigkeit  in  der 
Behandlung  des  Terses  i),  urbane  Anmuth,  Witz  und  Scharfsinn. 


1)  Ueber  die  Vers  formen  im  spanischen  Drama  ertheilt  uns  die 
„Geschichte  der  Literatur  und  Kunst  in  Spanien"*)  nachstehende  er- 
schöpfend-belehrende Auskunft: 

„Die  spanische  Komödie  schliesst  im  Allgemeinen  keine  der  überhaupt 
in  castilianischer  Sprache  üblichen  Versformen  aus;  doch  sind  unter  die- 
sen diejenigen,  die  nur  ausnahmsweise  und  in  ganz  singulären  Fällen  vor- 
kommen, von  denen  zu  unterscheiden,  die  gemeinhin  von  allen  Dramati- 
kern gebraucht  werden.    Zu  letztern  gehören: 

1.  Der  vierfüssige  Trochäus,  der  eigentliche  Grundton  des  spanischen 
Schauspiels,  in  den  alle  andern  Modulationen  und  Ausweichungen  wieder 

zurückleiten Die  Hauptformen  des  vierfüssigen  Trochäus, 

die  im  Drama  vorkommen,  sind  nun: 

a)  Die  Romanze,  oder  die  trochäischen  Reihen  mit  durchgehenden 
Assonanzen  in  solcher  Ordnung,  dass  der  vierte  Vers  die  Assonanz  oder 
das  Echo  der  Endvocale  des  zweiten  enthält,  der  sechste  die  beider  u.  s.  w. 
In  den  früheren  Werken  des  Lope  de  Vega  und  seiner  Zeitgenossen  wird 
diese  Form,  ihrem  Ursprung  in  den  alten  Volksromanzen  entsprechend, 
gemeinhin  nur  für  Erzählungen  gebraucht;  in  den  späteren  gewinnt  sie 
mehr  Umfang,  bis  sie  bei  Calderon  und  den  Dichtern  seiner  Zeit  und 
Schule,  ausser  in  den  Erzählungen  und  anderen  langen  Reden,  auch  im 
gewöhnlichen  Dialog  und  in  den  bewegten,  rasch  fortschreitenden  Theilen 
der  Handlung  vorherrschend  auftritt. 

b)  Die  Redondille,  oder  vierzeilige  Strophe  mit  solcher  Reimstel- 
lung, dass  der  vierte  Vers  auf  den  ersten,  der  dritte  auf  den  zweiten 
reimt.  In  Lope's  älteren  Stücken  bildet  sie  —  die  gewöhnlichste  und 
durchgehendste  Form  der  dramatischen  Rede  in  mannigfachen  Nüancirun- 
gen;  Calderon  und  die  Späteren  pflegen  sie  vorzugsweise  für  reflectirende 
Momente,  für  zärtliche  und  tändelnde  Stellen  und  für  Antithesen-Spiele 
zu  wählen. 

c)  Die  Quintille,  d.  h.  fünf  zeilige  Strophe  mit  verschiedener  Reim- 
stellung; wenn  paarweise  zu  einer  zehnzeiligen  verbunden,  Decime  oder 
Espinele  genannt. 


*)  II.  S.  81  if. 


524  Ü3»s  spanische  Drama. 

Alle  diese  Gaben  besass  er  vereint  und  alle  in  einem  hervorra- 
genden Grade.'^    Nur  in  dem  Gebrauch  all  der  herrlichen  Ta- 


2.  Der  Jambus,  im  Gegensatz  zum  Trochäus  das  feierliche  Maass, 
in  folgenden  Formen: 

a)  Als  Octave  (italienische  Stanze,  ottave  rime)  für  lange,  monolog- 
artige Beschreibungen,  pomphafte,  weitläufig  ausmalende  Erzählungen, 
oder  für  den  Dialog,  wo  ihm  besondere  Würde  und  Grossartigkeit  gege- 
ben werden  soll. 

b)  Als  Sonett  für  Antithesen,  gespitzte  Fragen  und  tiefsinnige  Ant- 
worten, oder  für  Ausbrüche  der  Empfindung,  die  durch  eine  Vergleichung 
oder  einzelne  Betrachtung  herbeigeführt  werden.*) 

c)  Als  Terzine,  vornehmlich  für  den  getragenen  und  ernsten  Dialog, 
bei  Lope  und  den  Aelteren  sehr  häufig,  bei  Calderon  seltener,  jedoch  hier 
und  da  (z.  B.  gleich  im  Anfang  des  standhaften  Prinzen)  vorkommend. 

d)  Als  Lira  oder  sechszeilige  Reimstrophe,  von  deren  abwechselnd 
drei-  und  fünffüssigen  Jamben  die  vier  ersten  Kreuzreime  haben,  die  bei- 
den letzten  dagegen  miteinander  reimen.**)  Der  männliche  Reim  scheint 
ausgeschlossen  zu  se3^n,  daher  die  Verse  immer  sieben  oder  eilf  Sylben 
zählen.  Auf  kein  Sylbenmaass  pflegt  ein  so  grosses  Gewicht  gelegt  zu 
werden,  wie  auf  dieses,  das  für  den  leidenschaftlichen  Dialog,  für  die 
drängende  Fülle  lyrischer  Ergüsse,  für  die  rasch  wechselnde  Bilderpracht 
der  Beschreibung  gebraucht  wird.  In  den  älteren  Dramen  unserer  Periode 
erscheint  diese  Lira  sehr  häufig;  in  den  späteren,  namentlich  den  Calde- 
ron'schen,  seltener,  indem  hier  an  ihre  Stelle  gewöhnlich  die 

e)  Silva  tritt,  d.  h.  eine  Mischung  drei  und  fünffüssiger  (sieben-  und 
eilfsylbiger)  gereimter  Jamben  ohne  Strophenabtheilung.  Der  Wechsel 
des  längeren  Verses  mit  dem  kürzeren  kann  entweder  von  Zeüe  zu  Zeile 
oder  in  freier  Art  erfolgen,  in  welchem  letzteren  Falle  der  Hendekasylla- 
bus  vorwaltet,  so  dass  der  kürzere  Vers  nur  dann  und  wann  dazwischen 
tritt;  ebenso  treten  die  Reime  bald  in  unmittelbarer  Aufeinanderfolge, 
bald  in  verschränkter  Stellung  ein.'* 

Diesen  Vers-  und  Strophenformen  fügt  unser  Autor  noch  hinzu: 

,,Die  Endechas  oder  dreifüssige  Trochäen  mit  Assonanzen  in  jedem 
zweiten  Vers,  vorzugsweise  für  klagende  Berichte  und  Erzählungen  ge- 
braucht. 

Die  vierfüssigen  gereimten  Trochäen  mit  eingemischten 
Halbversen  (Versos  de  pie  quebrado)  in  mehrfachen  Combinationen. 

Der  verso  suelto  oder  fünffüssige  Jambus  ohne  Reim.  —  Bei  Lope 


*)  Von  Lope  besonders  beliebt  bei  resumirender  Gefühlsstimmung  zu 
Schlussmonologen,  wie  bei  Metastasio  die  Abgangs-Arie.  —  **)  Vielleicht 
den  6  längern  und  kurzem  Saiten  der  Laute  oder  Cither  entsprechend. 


Mart.  delaRosa's  Wehld.,  dassLope  nicht  in  seiner  Zeitep.  geb,  wurde.  5^5 

lente  habe  es  Lope  versehen,  dem  mehr  am  Beifall  der  Menge, 
als  an  dem  der  Kunsweisen  und  an  Poetiken  und  Kunstprinci- 
pien  lag.  „Wie  sehr  ist  es  zu  beklagen,  dass  ein  so  ausseror- 
dentliches Talent  nicht  in  einer  andern  Zeitepoche  geboren  ward, 
oder  Besonnenheit  genug  besass,  den  Zurufen  und  dem  Beifall- 
klatschen eines  irregeleiteten  Publicums  den  Beifall  der  Ver- 
nunft und  des  guten  Geschmackes  vorzuziehen,"  i)    Wie  Lope, 


in  den  nur  die  Handlung  fördernden  Scenen  sehr  häufig;  Calderon  hat  ihn 
niemals. 

Die  italienische  Cancioneroform  in  ihren  verschiedenen  Gestal- 
tungen. 

Die  Anacreonticas  oder  Jamben  von  sieben  Sylben,  durch  das  Band 
der  Assonanz  zusamengehalten. 

Die  versos  de  arte  major  oder  daktylischen  Verse,  nur  sehr  selten 
und,  wie  es  scheint,  immer  nur  in  der  Absicht  gebraucht,  der  Eede  ein 
alterthümliches  Colorit  zu  geben. 

Die  Hendekasyllaben  mit  sogenanntem  Kettenreime,  eine  ganz 
eigenthümliche,  nicht  eben  häufig  vorkommende  Form,  deren  Structur  aus 
folgendem  Beispiel  erhellt; 

Sahen  los  cielos,  mi  Leonora  hermosa, 

Si  desde  que  mi  esposa  de  nombraron, 

Y  de  los  dos  enlazaron  una  vida, 

Por  vella  divertida  en  otra  parte, 

Quisiera  aposentarte  de  manera 

En  ella  quo  no  hubiera  otre  seiiora, 

Que  no  siendo  Leouora  la  ocupara  .  .  . 
(Aus  El  Predendionte  al  reves  von  Tirso  de  Molina.    Jornada  II.) 

Die  L et  ras  oder  Themas  mit  dazu  gehörigen  Glossen  oder  poetischen 
Variationen  und  endlich  fast  alle  älteren  national-spanischen  Liederformen, 
Canciones,  Villancicos,  Chanzonetas  und  Cantarcillos,  jedoch 
nicht  als  eigentliche  Bestandtheile  der  dramatischen  Rede,  sondern  als 
eingeschaltete  Gesänge  und  Improvisation.'*  *) 

1)  Cuanto  no  es  de  lamentar  que  un  talento  tan  extraordinario  no 
naciese  en  otra  epoca,  6  que  no  tuyiese  cordura  bastante  para  anteponer  ä 
los  vivas  y  palmoteos  de  un  publice  seducido  el  aplauso  de  la  razon  y  el 
voto  del  buen  gusto!  Porque  puede  decirse  confiadamente  que  nadie  en 
el  mundo  ha  aventajado  ä  Lope  en  dotes  para  la  dramatica;  pues  no  le 
faltaba  ninguna:  invencion  inagotable,  imaginacion  vivisima,  talento  para 
retratar,   arte  para  manyar  el  dialogo,    maestria  singular  en  la  lengua, 

*)  Vgl.  Mart.  de  la  Rosa's  Anotac.  zu  seiner  Poetik  Obr.  I. 


526  ^^s  spanische  Drama. 

der  Ausdruck  seiner  Zeitepoche  und  seiner  Nation  in  dieser  Zeit- 
epoche als  Dichterpersönlichkeit,  es  hätte  anstellen  sollen,  um  in 
einer  andern  Zeitepoche  geboren  zu  werden,  und  doch  Lope  zu 
bleiben  —  ist  nicht  so  leicht  zu  begreifen,  wie  Lope's  kritisches 
Portrait  mit  kalligraphischer  ßabenfeder  aus  zierlichen  Buchsta- 
ben zusammensetzen.  Einen  tiefern  Blick  that  der  deutschästhe- 
tisch geschulte  treffliche  Ag.  Du  ran,  der  doch  Lope's  Dichtung 
als  den  geistigen  Abdruck  vom  Abdruck  und  Körper  seiner  Zeit 
und  seines  Volkes  erkannte.  ^)  Dem  schliesse  sich  eine,  Durands 
Lope- Verherrlichung  und  Sündenlosspruch,  auf  Grund  von  dessen 
Identification  mit  dem  spanischen  Volke,  verständig  beschränkende 
Bemerkung  des  hochberufenen  Don  Manuel  Jose  Quintana 
an  2),  als  verhüllendes  Blättergeranke  oder  Randglossen- Arabeske 


facilidad  portentosa  para   versificar,   donaire  urbano,   agudeza  y  chiste, 
todo  lo  reunia,  y  todo  en  grado  sobresaliente. 

1)  —  el  hombre  que  supo  aproximar  elementos  tan  distantes  (wie  diese 
in  seiner  cel tisch  -  carthagisc  h  -römisch  -  maurisch  -  westgothischen  Nation 
lagen)  y  edificar  con  ellas  un  monumento  real  e  idealmente  hello  y  ar- 
monioso  fue  Lope  de  Vega.  Creo  su  drama,  y  creado  se  lo  presento  al 
pueblo  y  dijo:  „He  aqui  tu  poema"  .  .  .  porque  esta  obra,  aunque  salida 
de  mis  manos,  es  propria  tuya,  porque  se  ha  formado  de  tus  leyes,  tus 
costumbres,  tu  saber,  tus  gustos,  tus  sentimientos,  tus  creencias,  y  en  fin, 
de  tu  propria  sustancia.  Gut  und  schön!  Nur  fehlt  ein  Hauptdrucker,  dass 
ein  grosser  Nationalpoet  das  geläuterte  Abbild,  das  Idealportrait  seines 
Volkes  und  Volksgeistes  vorstelle;  nicht  die  Nation  en  bloc  mit  Haut 
und  Haaren,  mit  allen  ihren,  im  Feuer  seiner  Poesie  nicht  gereinigten, 
sondern  feuerfest  geglühten  Fehlern  und  Abscheulichkeiten.  Von  dieser 
Schuld  ist  Lope,  ist  kein  spanischer  Grossdichter,  am  allerwenigsten  Spaniens 
grösster  Kunstpoet,  Calderon,  freizusprechen.  Der  Einzige,  aus  dessen 
poetischem  Schmelztiegel  der  spanische  Nationalgeist  in  Einer  Beziehung 
mindestens,  in  Absicht  auf  Don  Quijotismus,  gewitzigter  hervorge- 
gangen ist  eben  der  Dichter  des  Don  Quijote,  und  daher  auch  der  Ein- 
zige, der  seine  Nation  und  seine  vaterländischen  Kunstgenassen  um  Kopfes- 
länge überragt.  —  2)  en  gracia  de  su  bella,  de  sus  dulces  versos,  de  tal 
cual  dialogo  ingenioso,  y  de  los  rasgos  de  ternura  que  ä  veces  presenta, 
se  disimulan^demasiados  delerios  y  extravagantias  ä  Lope  de  Vega  .  .  * 
Obras  completas  (Bibl.  de  Aut.  Esp.  t.  XIX.)  p.  93.  n.  (12)  zu  seiner  in 
Terzinen  gedichteten  Poetik:  'Las  Reglas  del  Drama',  worin  Lope'n 
folgende  Zeilen  gewidmet  sind: 

A  fuer  de  immenso  y  candoloso  rio 
Que  ni  diques  ni  märgenes  consiente, 


Französische  Lope-Kritik.  527 

ihrerseits  zu  Quintana'«  Rhadamantus-Urtheil  über  Lope  in  dem 
Prologe  zu  seinem  'Tesoro  del  Parnaso  EspanoP,  worin 
er  Spaniens  grösstes  Dichtergenie,  und  aller  Parnasos  Staun- 
wunder, maassen  dem  'Penix'  des  Theaters  das  Feuer  nichts  an- 
haben kann,  zum  Ersäufen  im  Meere  der  Vergessenheit  verdammt, 
mit  sämmtlichen  Werken,  den  2000  Dramen  und  weitern  Tau- 
senden sonstiger  ßeimweisen  als  Mühlsteinen  am  Halse,  die,  wie 
Quintana  verkündet,  all mä lieh  zerbröckeln  und,  zahlreich  wie 
Sand  am  Meere,  sich  zum  Sand  im  Meer  der  Vergessenheit  auf- 
lösen werden» 

Die  französische  namhafte  Lope-Kritik  vertritt  fast  aus- 
schliesslich unser  guter  Bekannte,  Mr.  Adolphe  dePuisbusque, 
der  in  seiner  schätzenswerthen  „vergleichenden  Geschichte  der 
spanischen  und  französischen  Literatur"  in  zwei  starken  Bän- 
den ^),  an  verschiedenen  Stellen  Lope  de  Vega  ausführlichst,  ver- 
gleichlich  und  unvergleichlich,  im  Allgemeinen  und  Besondern, 
mit  dem  grossen  Corneille  namentlich  und  vornehmlich  und  be- 
züglich auf  dessen  Meisterwerk  'Horace',  würdigt,  vergleicht  und 
abwägt,  gegeneinander  hält  und  nach  Loth  und  Quentchen  ab- 
schätzt, auch  dem  Spanier,  so  weit  solches  einem  Franzosen 
mit  dem  grossen  Corneille-Sparren  im  Kopfe  möglich  ist,  gerecht 
wird,  wobei  natürlich  der  grosse  Lope,  im  Vergleich  zum  grossen 
Corneille,  sich  immer  nur  verhält,  wie  der  Comparativ  zum  Su- 
perlativ. Eben  so  selbstverständlich  vollzieht  sich  die  compara- 
tive  Kritik  mit  jener  anmuthigen  Gründlichkeit  und  spiegelklaren 
Einsicht  in  das  Wesen  der  dramatischen  Kunst,  wie  etwa,  nach 
den  Gesetzen  der  optischen  Täuschung,  beim  Flachspiegel  das 
Bild  in  der  Tiefe  des  Spiegels,  mittendrin,  erscheint,  während 
dasselbe  reapse  ebenso  weit   vor  dem  Schauglase  sich  befindet, 


Y  en  los  campos  se  tiende  ä  su  albedrio, 

Tal  de  consejo  y  reglas  impaciente, 
Audaz  inunda  la  espanola  escena 
El  ingenio  de  Lope  omnipotente, 

Y  con  SU  dulce  inagotable  vena, 
Con  SU  varia  invencion,  con  su  ternura 
De  asombro  y  gusto  sus  oyentes  llena. 
1)  Hist.    comp,    des  Litteratures   Espagnole   et  Fran^aise  I.  p.  325 
ä  357;  IL  120  a  124,  154  ä  161,  473  ä  477. 


528  Öäs  spanische  Drama. 

niemals  auch  nur  dessen  Oberfläche  berührend.  So  bleibt  —  wenn 
auch  uns  ein  Vergleich  gestattet  ist  —  bleibt  das  comparative 
ürtheil  des,  nächst  Hinard  und  Barel,  mit  der  spanischen  Lite- 
ratur vertrautesten  französischen  Literators  stets,  und  in  gleicher 
Entfernung  mit  dem  Gegenstand,  vor  dem  französischen  Toilet- 
tenspiegel stehen.  Was  Neuheit  und  Eigenthümlichteit  der  Pui- 
busque'schen  Lope-Kritik  betrifft,  so  verschwinden  beide  Eigen- 
schaften, wie  gewöhnlich,  in  dem  ansprechenden  Glanz  einer  ge- 
schmackvollem Fa9onnirung  und  Appretur  marktläufiger  Gemeinur- 
theile  und  schmuck  aufgebügelter  Phrasen;  glänzen  mit  einem 
Worte  —  um  eine  französisch  geistreiche,  nunmehr  aber  auch 
schon  landläufig  gewordene  und  bis  auf  den  Kupferbeischlag  ab- 
gegriffene Phrase  zu  brauchen  —  glänzen  durch  ihre  Abwesen- 
heit. Unser  Leser  wird  daher,  nachsichtig  wie  er  ist,  mit  dem 
hier  einfallenden  Eeflex  dieses  Glanzes  vorliebnehmen,  dessen  opti- 
sche Spiele  an  der  Lichtquelle  zu  beobachten  und  sich  daran  zu 
ergötzen,  natürlich  jedem  unverwehrt  und  unbenommen  bleibt. 

Von  den  englischen  und  angloamerikanischen,  in  Lord  Hol- 
land und  Ticknor,  wie  in  zwei  Brennpunkten  sich  sammeln- 
den kritischen  ürtheilen  über  Lope,  haben  wir  im  Verfolg  unserer 
Erörterungen  so  viel  eingestreut,  dass  wir  einer  besondern  Eevi- 
sion  derselben  uns  entübriget  erachten  dürfen.  So  hätten  wir 
nur  noch  der  deutschen  Lope-Kritik  zu  gedenken,  die  ebenfalls 
in  zwei  Autoritätsquellen  rieselt  und  sprudelt,  wovon  die  eine, 
inweise  des  berühmten  Nürnberger  Springbrunnleins,  seine  fei- 
nen krystallklaren  Wasserstrählchen  in  zierlichen  Böglein  ergiesst 
und  träufelt  —  das  Gänse-  oder  P-mäniken  der  „Vorlesungen 
über  dramatische  Kunst  und  Literatur."  0  Ganz  anders  springt 
und  strömt  die  zweite  Hauptquelle  .der  deutschen  Lope-Kritik, 
vergleichbar  den  grossen  Wasserkunst-Pontainen  in  Versailles  und 
Saint-Cloud.  Sie  spritzen  ihre  Wasserstrahlen  zu  Triumphbögen 
für  Lope  de  Vega  in  krystallenen  Regenbogen.  Proben  davon 
mittheilen,  Messe  die  Springbrunnen  in  Versailles  und  St.-Cloud, 
hiesse  die  strömenden  Triumphwasserbogen  auf  Pläschchen  eines 
Probemusterreiters  füllen  2),  die  freilich  noch  immer  für  Caraffen 
gelten  könnten,  im  Vergleich  zu  dem  Probefiäschchen ,    auf  wel- 


1)  2.  Aufl.  S.  350.  —  2)  V.  Schack  a.  a.  0.  IL  p.  152—415. 


Geister-Flasche.  529 

ches  Leopold  Schmidt  die  „vier  bedeutendsten  Dramatiker  der 
Spanier"  abzog  0,  worin  die  vier  bedeutendsten  Dramatiker,  Lope 
de  Vega,  Tirso  de  Molina,  Alarcon  und  Calderon,  wie  Infusorien 
im  Wassertropfen  sich  tummeln,  und  Lope  de  Vega  in  der  Beleuch- 
tung des  Sonnenmikroskops  nicht  über  vier  Linien  gross  er- 
schiene. 2) 

lieber  unsere,  nächst  Lope,  noch  fünf  bedeutendsten  spa- 
nischen Dramatiker  wird  der  folgende  Band  sein  Sturzglas  oder 
ein  jener  Flasche  ähnliches  Glasgehäuse  blasen,  in  welcher  der 
Zauberer  und  Teufelsbanner,  Erlolfus,  Abt  von  Fulda,  sechs  der 
stärksten  seiner  Geister  eingeschlossen  mit  sich  führte. 


1)  Ueber   die   vier  bedeutendsten  Dramatiker   der  Spanier.    Vortrag 
gehalten  am  18.  Dec.  1857.  —  2)  S.  7. 


34 


Die  Dramatiker  ans  Lope's  Schale. 

El  Divino  Miguel  Sanchez»  *) 

La  Guarda  cuidadosa 
(Der  sorgsame  Wächter.) 

Die  Bolle  dieses  Wächters  übernimmt  Florencio,  ein  jun- 
ger Caballero  aus  Valencia,   angeblich  um  den  Principe,   der 


1)  Von  ,, Miguel  Sanchez  dem  Göttlichen",  Bürger  zu  Valla- 
dolid*),  wissen  wir  gar  vieles  nicht.  Wir  wissen  nicht,  wann  er  geboren; 
wissen  nicht,  wann  und  wo  er  gestorben,  und  wissen  nicht  —  um  Alles 
in  Ein  Nichtwissen  zusammenzufassen  —  wissen  nicht,  weswegen  und  auf 
welche  übermenschliche  Eigenschaft  hin,  unser  Miguel  Sanchez  „der 
Göttliche"  genannt  wurde.  Agustin  de  Royas  Villandrado's  Ver- 
zückungs-Ausruf in  seinem  Viage  entret.**)  mag  vielleicht  das  „Göttlich*' 
wie  ein  Muttermaal  ihm  auf  die  Welt  und  Nachwelt  mitgegeben  haben. 
Lope  im  Laurel  de  Apolo  rühmt  ihn  als  den  ersten  Meister,  den  die  Musen 
des  Terentius  in  Beschlag  genommen***),  und  preist  in  seiner  'Arte  nuovo' 


*)  Antonio  Navarro  weist  dem  „Göttlichen"  die  Stadt  Piedrahita 
als  Geburtsort  zu  und  überträgt  ihm  das  Amt  eines  Secretärs  beim  Bischof 
von  Cuenca.  Nach  einer  Stelle  in  Lope  de  Vega's  zwischen  1628 — 1830  ge- 
schriebenem Laurel  de  Apolo,  wo  des  Sanchez  als  eines  Verstorbenen  ge- 
dacht wird,  muss  er  vor  1630  gestorben  seyn. 

**)  El  divino  Miguel  Sanchez 

^Quien  no  sabe  lo  que  inventaV 
Cervantes  preist  seine  kunstreichen  Komödienfabeln:  Estimanse  las  tra- 
zas  artificiosas  en  todo  extremo  del  licenciado  Miguel  Sanchez.    (Pro- 
logo zu  seinen  Comedias.) 

*)  Michel  Sanchez,  que  ha  sido 

El  primero  maestro  que  han  tenido 
Las  musas  de  Terencio. 


***\ 


Wieso  der  „Göttliche* '  ?  531 

im  Gebirge  auf  der  Jagd  umherstreift,  als  treuer  Hüter  zu  be- 
wachen, in  Wahrheit  aber,  um  den  Principe  —  welchen  Lan- 


des Sanchez  Erfindungskunst  ganz  besonders.*)  Sind  „einzig*^  und  „gött- 
lich" ein  und  dasselbe,  so  verdient  Sanchez  aUerdings  von  der  Nachwelt 
den  Beinamen  des  „Göttlichen'',  angesehen  der  einzigen  Comedia,  die  er 
nns  vermacht  hat,  die  wir  getreulich  unsern  Lesern  mittheilen,  und  die 
sich  auch  wirklich  durch  dramatische  Eigenschaften  auszeichnet,  die 
Sanchez  seinem  angeborenen  Talente  verdankte,  nicht,  wie  Lope  de  Ve- 
ga's  meiste  Zeitgenossen ,  an  dessen  Vorbildern  und  Komödien-Mustern 
erwarb  und  stärkte,  da  Miguel  Sanchez,  zurzeit  als  Lope  auftrat,  um 
1588  sich  bereits  einen  weit  verbreiteten  Euf  als  Bühnendichter  erworben 
hatte.  Unter  den  neuern  spanischen  Dramaturgen  bläst  Alberto  Lista 
mit  Agust.  Royas,  bezüglich  unseres  ,,Bivino'S  aus  Einem  VergÖt- 
terungs-Horn :  ,,Die  Sprache"  in  der  Comedia  *La  Guarda  cuidadosa'  „ist 
durch  Correctheit,  Reinheit  und  eine  gewisse  Urbanität,  die  sich  der  des 
Calderon  nähert,  ausgezeichnet.  Die  im  Allgemeinen  nicht  eben  harmo- 
nische Versification  ist  voll  Pracht  und  bilderreich.  Die  Kunstabsicht 
durchweg  dramatisch  und  geht  von  einer  Situation  aaf  die  andere  über, 
ohne  jemals  das  Interesse  zu  schwächen.  Die  ansprechenden,  stets  aus 
vorhergehenden  abgeleiteten  Situationen  sind  mit  einer  solchen  Kunst  be- 
handelt, dass  ich  mich  nicht  zu  täuschen  glaube,  wenn  ich  diese  Intri- 
guen-Komödie  (la  Guarda  cuid.)  für  einen  Uebergang  aus  dem  novellen- 
haften  Drama  des  Lope  de  Vega  zu  dem  des  Calderon  betrachte.  Ausser- 
dem weht  uns  aus  derselben  eine  ländliche  Atmosphäre  an,  welche  die 
Liebes-  und  Eifersuch tsscenen  nur  lebhafter  und  komischer  erscheinen 
lässt.  Der  Verfasser  flocht  viele  doppelsinnige  Scenen  ein**),  wo  zwei 
Unterredner,  mit  deren  Angelegenheiten  der  Zuhörer  vertraut  ist,  das  zur 
Sprache  bringen,  was  sie  beabsichtigen,  ohne  dass  ein  anderer  gegenwär- 
tiger Theilnehmer  an  der  Unterhaltung,  vor  dem  sie  sich  inachtnehmen 
möchten,  den  Sinn  errathet."  Ein  Paar  andere,  dem  Miguel  Sanchez  zu- 
geschriebene Comedias***)   sind  apokryph.    Seine  zwei  lyrischen  Poeme 


*)  En  todas  las  comedias  Miguel  Sanchez, 

Digno,  por  la  invencion  de  esta  memoria. 

**)  introdujo  muchas  de  doble  sentido,  en  que  dos  de  los  interlocu- 
tores  en  cuya  confidencia  estä  el  auditorio,  espresan  lo  que  quieren,  sin  que 
conozca  el  sentido  que  dan  ä  sus  palabras,  otro  interlocutor  que  estä 
presente  tambien  y  del  cual  tienen  que  guardarse.  A.  Lista  a.  a.  0. 
p.  229.  —  ***)  'El  cerco  de  Tunez  y  ganada  de  la  Goleta  por  el  Em- 
perador  Carlos  V.'  del  licenciado  Sanchez  natural  de  Piedrahita'  (dem 
Lope  de  Vega  zugeschrieben).  —  'La  Isla  Barbara',  Comed.  historico- 

34* 


532  t^^s  spanische  Drama. 

des  Principe,  blieb  uns  unersichtlich  —  selber  zu  bewachen,  und 
sich  vor  ihm  zu  behüten,  dass  er,  der  Principe,  als  Mitbewerber 
um  Nisea's  Liebe,  der  Tochter  eines  im  Gebirge  sesshaften 
Landedelmanns,  Leucato,  ihm,  Florencio,  nicht  in's  Gehege 
gehe.  Nisea,  die  ihn  in  Valencia  kennen  gelernt,  und  bis  zur 
Schwermuth  sich  in  ihn  verliebte,  Nisea  und  ihre  Dienerin, 
Abrinda,  sind  die  Einzigen,  die  um  Florencio's  Verkleidung 
und  verstellte  GebirgswächterroUe  wissen,  die  er  aber  erst  zu 
spielen  beginnt,  nachdem  er  sich  von  den,  infolge  eines  Sturzes 
vom  Pferde,  davon  getragenen  Wunden  erholt.  Ohnmächtig  in 
Leucato's  Gebirgswohnung  getragen,  erkennt  die  melancholische 
Nisea  den  Geliebten  aus  Valencia,  und  bietet  dem  in  ihren  Ar- 
men aus  der  Ohnmacht  erwachten  Floren cio  Pflege  und  War- 
tung an,  mit  all  der  leidenschaftlichen  Zärtlichkeit,  die  spanische 
Dichter  in  solchen  Situationen  aufzubieten  wissen.  Das  Erwachen 
des  Florencio  aus  der  Ohnmacht  ist  poetisch  und  theatralisch 
schön,  und  der  Tropfen  Rosenöl,  der  die  ganze  Komödie  wohl- 
riechend macht.  Er  glaubt  in  Nisea  einen  Engel  des  Himmels 
zu  schauen,  und  weiss  nicht,  ob  er  ein  seliger  Geist  oder  leib- 
hafter Mensch  sey,  ob  er  im  Himmel,  im  Paradiese,  im  Fegefeuer 
oder  in  der  Hölle  sich  befinde.  Doch  Himmel,  Erde,  Hölle, 
bleibe  sein  ewiger  Aufenthalt,  wenn  er  nur  dort  weilen  darf,  wo 
er  sie  sehen  kann,  i) 


(die  einzigen  von  ihm),  eine  Ganzen  an  den  Gekreuzigten  (Cancion 
ä  Christo  crucifiado),  späterhin  dem  Mystiker  Fra  Luis  de  Leon  zuge- 
schrieben, von  Lopez  de  Sedano  (Parnaso  1771)  dem  Sanchez  revindicirt 
und  dann  abermals  in  einer  Sammlung  geistlicher  Lieder  (Madr.  1779) 
auf  Rechnung  des  Fray  Luis  de  Leon  gesetzt.  Das  zweite  lyrische  Ge- 
dicht des  göttlichen  Sanchez  ist  die  berühmte  Eomanze:  Oid  senor 
don  Guiferos  (Romane,  gen.  1604  und  abgedr.  bei  Duran). 
1)  Alma,  cuerpo,  sombra  fria; 

Que  alma  debes  de  ser, 

Pues  con  este  parecer 

Por  fuerza  lo  seräs  mia; 


instructiva,  und  Segonda  parte  del  corsaricT)  Barbaroja,  y  huer- 
fano  desterrado  del  licenciado  Juan  Sanchez  (hier  gar  Juan  getauft!) 
(In  der  Sammlung  Flor  de  las  Comedias  de  Espana  etc.  Quinta  parte. 
Madrid  X.  Alcalä,  1615.) 


Der  verwundete  Waldhüter.  533 

Da  tritt  der  Principe  in  die  Stube  und  angesichts  des  Engels 
und  der  Hiramelsvision  fühlt  sich  Florencio  plötzlich  in  die 
Hölle  der  Eifersucht  geschleudert.  Er  rafft  sich  von  seinem  Ohn- 
machts-  und  Schmerzenslager  auf  und  wankt,  am  Arm  seines 
treuen  Begleiters,  Ariadeno,  todtkrank  und  mit  lebensgefahr- 
lichen Wunden  bedeckt,  davon,  um  zu  sterben,  i)  Mit  dem  Nach- 
ruf: „Ich,  Elorencio,  habe  Dich  getödtet)"  2)  schliesst  die  melan- 
cholische Nisea  den  ersten  Act. 

Im  zweiten  Act  spielt  erst  der  von  den  Sturzwunden  gene- 
sene, nun  aber  von  Allen,  bis  auf  Nisea,  für  todt  gehaltene^) 
Florencio  seine  GebirgswächterroUe  (guarda  de  monte),  Nisea 
ist  in  ihre  Schwermuth  zurückgefallen.  Sie  trifft  mit  Florencio 
zusammen.  Der  Betrübte  klagt  die  Melancholische  der  Verän- 
derlichkeit an;  die  Melancholische  giebt  dem  eifersüchtig-Choleri- 
schen den  Vorwurf  zurück.  0    Nicht  mit  Unrecht,  da  er  mittler- 


Por  esa  imagen  que  ofreces 

A  los  ojos  que  te  ven, 

De  un  angel  hermoso,  ä  quien 

Yo  adoro  y  tu  te  pareces 

Que  me  digas  donde  estoy, 

Si  en  esta  tierra  que  piso 

Purgatorio  6  paraiso. 

^Soy  cuerpo,  sombra  6  que  soy? 

De  tres  lugares  deseo 

Digas  cuäl  es,  angel  bello; 

Que  inferno  no  puede  sello, 

Pues  en  el  ä  ti  te  veo. 

Sea  en  vida  6  sea  en  muerte, 

En  cielo,  en  tierra,  en  infierno. 

Pues  estoy  do  puedo  verte. 

1) 

Traza  de  matarme  voy. 

2) 

jYo  te  mate,  Florencio,  yo  te  he  muerto! 

3) 

Y  ya  me  tienen  por  muerto. 

4) 

Nis. 

^,  Quien  se  ha  trocado? 

^Tü  6  yo? 

Flor. 

^No  me  ves,  Senora? 

Nis. 

No; 
Que  estoy  de  Uorarte  ciega. 

Nis. 

Wer  hat  sich  verändert,  Du  oder  ich? 

534  ^^s  spanische  Drama. 

weile  Gebirgs-Nachtwächter  und  Principe-Hüter  geworden;  sie 
aber  nach  wie  vor  Manns  genug  ist,  sich  selbst  vor  dem  Principe 
zu  hüten.  Die  Verkleidung  rechtfertigt  Florencio  mit  seiner 
Absicht,  ihre  Brust  enthüllt,  und  ihre  Eingeweide  klar  vor  sich 
zu  sehen,  ohne  dass  sie  es  merke,  i)  Der  Wunsch,  so  ausge- 
drückt, klingt  uns  seltsam:  er  ist  eben  spanisch.  Doppelsinnige 
Dialoge,  infolge  von  des  todtgeglaubten  Florencio  Unerkannt- 
heit, und  mehr  noch  infolge  des  spanischen  dobble-view,  erge- 
ben sieh  von  selbst.  So  z.  B.  die  Scene  der  Nisea  mit  ihrem 
Kammerdiener  Roberto,  der  zu  Florencio's  Todtglaubern 
gehört,  in  dessen  Gegenwart.  Doch  gelingt  es  dem  „göttlichen 
Michel  Sanchez"  nicht,  seine  auf  zwei  Seiten  zutragenden  Situa- 
tionen so  schmuck  herauszuputzen,  wie  ein  Lope  und  Genossen. 

Schon  ist  Principe  —  der  ein  regelrechter  rey  —  auf  die 
fremdartige  Erscheinung  seines  ihm  octroyirten  Leibgebirgsgardisten, 
der  ihm  überall  bei  Nisea  im  Wege,  aufmerksam  geworden,  und 
erkundigt  sich  angelegentlich  nach  dessen  Personalien.  2)  Bal- 
conscenen  und  nächtliche  Balconpromenaden  —  der  „Göttliche" 
müsste  kein  spanischer  Michel  sey,  um  uns  nicht  deren  die  Hülle 
Tind  Fülle  zu  spenden:  Balcongespräch  zwischen  Nisea,  die  ihre 
Schwermuth  durch  die  Anwesenheit  ihres  für  Balcon-Situation 
als  verkappter  Wächter  wie  geschaffenen  Florencio  bedeutend  ge- 
mildert fühlt  3)  —  und  ihrer  Kammerjungfer,  Arsinda,  die  sich 
lebhaft  für  den  Principe  bei  ihrer  Gebieterin  verwendet,  im  vollen 
Einverständniss  mit  Nathan  Levi's  Ansicht,  ein  lebendiger  Hund 
seyn  ist  besser,  als  ein  todter  Löwe  seyn,  und  wie  erst  besser, 
ein  lebendiger  Gebirgsleu,  ein  lebendiger  Principe  Waidmann 
seyn,  als  ein  todter  Nachtwächterhund,  für  den  der  Jude  nichts 
giebt.  Femer  ein  Balcongespräch  Nisea's  mit  Flore ncio,  der 
für  sie  der  lebendige  Bergleu,  der  bei  Nacht  umhergeht,  sehend, 


Flor. 

Du  erkennst  mich  nicht? 

Nis. 

Nein. 
Da  ich  mich  blind  um  Dich  geweint. 

1) 

Ver  tu  pecho  descubierto 
Quise,  y  tus  entranas  ciaras, 
Sin  que  de  mi  te  guardaras. 

2) 

Que  hombre  es  ese? 

3) 

Algo  mejor  me  he  sentido. 

Balcongespräche.  535 

dass  sie  der  Principe  nicht  verschlinge.  ^}  Balcongespräch  Ar- 
sinda's  mit  dem  Principe,  das  sich  aber  nur  darauf  beschränkt, 
ihm  zu  sagen,  Nisea  sey  zu  Bette  gegangen.  Der  eifersüchtige 
ßalcon-Nachtwächter  folgert  aus  diesem  Gespräch,  dass  Prin- 
cipe von  Nisea  zu  einem  Balconrendez-Vous  bestellt  worden 
und  jagt  sich  darüber  in  einen  solchen  Eifersuchtsharnisch,  dass 
ihm  Principe  befiehlt,  sich  zu  entfernen,  er,  Principe,  sey  be- 
reits mündig,  und  könne  sich  ohne  Beaufsichtiger  behelfen.  Der 
Geharnischte  kennt  aber  seinen  Dienst,  behauptet  den  Nacht- 
wächterposten 2),  und  hält  nun  auch  sein  Balcongespräch  mit 
dem  Principe  stramm  fort,  bis  seine  Balconscene  mit  Ar  sin  da 
sich  einstellt,  die  einen  Todesschrecken  bekommt,  als  sie  den 
todten  Bärenhäuter  nun  im  lebendigen  Nachtwächter  erkennt.  ^) 
Die  Zofe  schiebt  in  der  Angst  alle  Schuld  auf  ihre  Gebieterin, 
Nisea,  und  läuft,  wie  gejagt,  vom  Balcon  weg  vor  dem  Bären- 
häuter. Plötzlich  hört  er  aus  dem  Gebüsch  stöhnen  ein  „Wehe 
mir!"  (Ay  de  mi!)  Das  „Wehe  mir!"  ist  das  dralle  nette  Ge- 
birgsmädchen  Florela,  eine  Zerline,  die  sich  bei  stockfinsterer 
Nacht  vor  den  lebhaften  Freundschaftsversicherungen  von  Prin- 
cipe's  Leporello  hierher  geflüchtet,  und  die  unser  Gebirgswäch- 
ter  Florencio  in  einem  unbewachten  Augenblicke  für  den  Tod 
hält,  den  seine  Eifersuchtsverzweiflung  eben  angerufen^),   und 


1) 

Nis. 

iQue  a  guardar  vienes  ahora? 

Flor. 

Y  con  muchas  ocasiones; 
Porque  siempre  los  ladrones 
Saelen  andar  ä  deshora. 

2) 

Flor. 

Yo  OS  he  de  servir; 
Asistere  aqui  en  tu  guarda. 

Princ. 

Irte  puedes. 

No  es  razon 
Dejarte  en  esta  ocasion. 

3) 

Ars. 

jAy,  Jesus!  ,iquien  es? 

Flor. 

ün  muerto  .  ,  . 

Ars. 

;Ay  de  mi! 
Yo  soy  muerta. 

4) 

Flor. 

Muerte,  lo  mas  estä  hecho, 
Acaba  mi  mal  extrano  .  .  . 
^Donde  estäs,  donde  te  escondes? 
Muerte,  <iComo  no  respondes? 

536  l^as  spanische  Drama. 

nun,  nachdem  sie  ihm  die  näheren  Bewandtnisse  mitgetheilt,  und 
er  in  ihr  das  lebensfrische  junge  Blut  vor  sich  sieht,  seinerseits 
zum  leibhaften  Tod  sich  erschreckt,  als  er  von  ihr  vernimmt, 
dass  Nisea  für  die  Geliebte,  oder  gar  dama  (Maitresse)  des 
Principe  gelte.  ^ 

Nun  hat  der  dritte  Act  seine  Entwickelung^weg;  er  hält 
sie  fest,  er  hält  sie  warm.  Die  Schelmin,  die  Labradora  Flo- 
rela,  hat  nicht  blos  im  IL  Act.  im  Gebüsch,  in  der  Nähe  des 
Balcons,  sämmtliche  oben  namhaft  gemachten  Balcongespräche 
belauscht;  die  Schelmin  belauscht  auch  in  Act  III.  ein  nächtli- 
ches Liebesgespräch  zwischen  Nisea  und  Florencio,  woraus 
sie  deren  erste  Bekanntschaft  in  Valencia  mit  allen  möglichen 
Nebenumständen  erfährt,  bis  auf  Florencio' s  Stand  und  Na- 
men. Davon  bekommt  Principe  durch  seine  Leporellos  Wind, 
und  benutzt  die  Angaben,  imbesten  seiner,  wegen  verschmähter 
Liebesintrigue,  der  Nisea  geschworenen  Eifersuchtsrache,  zu  ei- 
nem der  schönsten  Belege  für  die  sinnreichen  Kunstbehelfe  des 
spanischen  Parallelismus,  vermöge  deren  die  schwierigste  Ent- 
wickelung  den  Kopf  so  geschickt  aus  der  Schlinge  der  krausesten 
Verwickelung  zieht,  wie  der  Taschenspieler  seine  Büchsen  mit 
doppeltem  Boden  umkehrt.  Um  der  Nisea  einen  Streich  zu 
spielen,  giebt  Principe  dem  Bergwächter,  den  er  für  einen  ge- 
meinen Wicht  und  Bauernknecht  hält,  dem  Vater  der  Nisea, 
dem  Leucato,  gegenüber,  aufgrund  des,  mittelst  Plorela,  er- 
haltenen Signalements,  für  einen  jungen  mit  allen  Vorzügen  eines 
Caballero  geschmückten  Edelmann  aus  Valencia  aus,  in  der 
Voraussicht,  Nisea 's  von  dem  Liebesverhältniss  seiner  Tochter 
mit  dem  räthselhaften  Wächter  in  Kenntniss  gesetzter  Vater, 
Leucato,  werde,  Ehrenrettungshalber,  auf  diese  Entdeckung 
hin,  die  schleunigste  Verheirathung  Nisea' s  mit  dem  Caballero 
aus  Valencia  betreiben,  infolge  dessen  seine,  Principe 's,  Eache 
den  herrlichsten  Triumph  über  Nisea  feiern  würde,  die  von  der 
Gewissheit  in   ihrem  Ehegatten  den  gemeinsten  Kerl   von   der 


Flor.  ;Ay  de  mi! 

Florenc.  dQ^®  ^oz  es  esta? 

^Eres  la  muerte? 
1)  Que  se  dice  que  es  su  dama. 


Gaspar  Aguilar.  537 

niedrigsten  Extraction^),  kurz  einen  richtigen  Nachtwächter  zu 
besitzen,  sich  zerschmettert  fühlen  müsse.  Diesen  doppelgedreh- 
ten Zwirn  knüpft  Principe  zu  einer  Schlinge,  die  sich  nur 
für  ihn  selber  als  eine  solche  zuletzt  ausweist,  die  aber  für  das 
nun  auch  von  Leucato  schleunigst  zusammengegebene  Liebes- 
paar zu  einem  beglückenden  Ehebande  sich  entknüpft,  da  Plo- 
rencio  wirklich  und  inderthat  und  genau  und  buchstäblich  das 
ist,  was  der  schlaue  Principe  ersonnen  zu  haben  vermeinte! 
Die  so  schlau  und  fallenstellerisch  bewerkstelligte  Selbstdupirung 
würde  doch  mindestens  so  viel  acht  komisches  Salz  auf  den 
Schluss,  den  Schweif  der  Komödie  streuen,  als  eine  Mücke  auf 
dem  Schwanz  davonträgt,  wenn  dieses  Salz,  vermöge  des  spinti- 
sirt-marktläufigen  Belauschungsmotivs  und  der  gezwungenen  Her- 
beiführung des  Ausgangs,  nicht  dem  Schnee  gliche,  den  die 
schlauen  Lalenburger  von  der  Ofenwärme  zum  körnigsten  Stein- 
salz backen  lassen. 


Gaspar  Aguilar.  2) 

La  Gitana  melancolica. 

„Die  melancholische  Zigeunerin''  —  auf  den  ersten  Anblick. 
Bald  indess  gewahrt  man,  dass  unter  'Gitana'  eine  Aegyptierin 


1)  Y  tu  hija  ä  un  hombre  das 
El  mas  bajo  y  abatido 

Que  en  la  tierra  conoci! 
lautet  des  Principe  an  Leucato  freundschaftlich  warnungsvoll  gerich- 
tete Verwunderungsfrage. 

2)  Was  weiss  uns  die  Biographie  von  dem  Dioskurenzwilling  zum 
Oanonigo  Tärrega,  mit  dem  er  in  der  Kegel  zusammengenannt  wird  — 
was  weiss  sie  uns  von  Gaspar  Aguilar  zu  erzählen?  Wunderbare 
Mähr!  Dass  er  in  Valencia  geboren.  In  welchem  Jahr?  Das  ist  ihr, 
der  Biographie,  Geheimniss.  Doch  hat  sie  in  ihre  Schreibtafel  vermerkt, 
dass  G.  Aguilar  Secretär  bei  dem  und  jenem  Grafen,  Herzog  und  derglei- 
chen war:  bei  dem  Don  mit  klafterlangem  Namentitel  —  Joime  Ceferino 
Ladran  de  Pallas,  Conde  de  Simarcas  y  Vizconte  de  Chelva, 
hierauf  Hausmaier  (mayordomo)  der  allerf ürtref flieh  st  en  Herzoge  von 
Gandia.    Dass  unser  Gaspar  alsdann  nach  der  Hauptstadt  an  den  Hof 


538  r^as  spanische  Drama. 

verstanden  wird,  wie  Shakspeare's  Marc.  Anton  auch  die  Cleopatra 
Zigeunerin  nennt.    G.  Aguilar's  Gitana  ist  Kaiser  Tito's,  von 


sich  begab,  wo  er  so  gut  aufgehoben  war  und  eine  solche  Geltung  er- 
warb, dass  er  durch  den  Ehrennamen:  der  verständige  Valencianer 
(el  discreto  Valenciano)  ausgezeichnet  ward.  Der  verständige  Berliner 
würde  bescheidentlich  fragen:  Wat  ich  mir  dafür  koofe?  Und  nimmt  die 
Biographie  dem  verständigen  Berliner  die  weltberühmte  Frage  nicht  von 
der  Zunge,  wenn  sie  hinzufügt,  dass  der  discreto  Valenciano  für  sein  zur 
Vermählungsfeier  der  durchlauchtigsten  Herzoge,  seiner  hohen  Gönner,  ver- 
fasstes  Poem  nicht  nur  keinen  Valencianischen  Kupferdreier  bekam  — 
berlinisch  verständig  ausgedrückt:  „besah**  —  dass  unser  Discreto  Valen- 
ciano sogar  über  die  ihm  widerfahrene  Kränkung  sich  zu  Tode  härmte, 
lieber  das  Jahr  aber,  in  welchem  sich  der  gute  Discreto  zu  Tode  grämte, 
schweigt  die  Biographie  wie  das  Grab',  und  zwar  wie  ein  leichensteinloses 
Grab,  in  dessen  Sandhügel  die  stehenden  Unsterblichkeitsversicherer,  Cer- 
vantes, Lope,  Rojas,  Nicolas  Antonio,  und  der  lateinische  Distichon-Pane- 
gyriker  Vicente  Mariner*),  mit  poetischer  Diamant-Spitze  oder  mit  pro- 
saischen Spatenstichen  unvergängliche  Lobsprüche  zeichneten.  Aguilar's 
lyrische  Erzeugnisse  sind  in  den  Wettgedichtsammlungen  der  poetischen 
Preiskämpfe  enthalten.  Seine  Komödien  schliessen  verschiedene  CoUec- 
ciones  von  Bühnenstücken  ein  und  belaufen  sich  auf  folgendes  Dutzend: 
El  Mercador  Amante  (Der  verliebte  Kaufmann).  —  La  fuerza  del 
interes  (Die  Macht  des  Vortheils).  —  La  suerte  sin  esper anza  (Das 
holFnungslose  Geschick).  —  La  gitana  melancolica  (Die  melancholi- 
sche Aegyptierin,  die  wir  zur  Besprechung  uns  auserkoren).  —  La  nueva 
humildad  6  la  nuera  humilde  (Die  neue  Demuth  oder  die  demüthige 
Schwiegertochter).  —  Los  amantes  de  Cartago  (Das  Liebespaar  von 
Carthago,  behandelt  die  Liebesgeschichte  von  Massinissa  und  Sopho- 
nisbe).  —  El  gran  Patriarca  Don  Juan  de  Eibera  (Der  grosse  Pa- 
triarch Don  Juan  de  Ribera).  Diese  sieben  Stücke  befinden  sich  in  der 
mehrgedachten  Valencianer  Sammlung.  La  venganza  honrosa  (Die 
ehrenwerthe  Eache).  —  Vida  y  muerte  de  san  Luis  Bertran  (Leben 
und  Tod  des  h.  L.  Bertran).  —  El  caballero  del  sacramento  (Der 
Ritter  vom  Sacramente).  —  No  son  losreceloscelos  (Befürchtungen 
sind  keine  Eifersucht).  —  El  crisol  de  laVerdad  (Der  Prüfstein  der 
Wahrheit).  Von  diesen  fünf  sind  die  vier  letzten  nicht  im  Druck  erschie- 
nen. La  veng.  honrosa  steht  in  der  Coli.:  Flor  de  Comedias.  Als 
Mitglied  der  Valencianer  Academia  de^  los  Nocturnos  hielt  Aguilar 
verschiedene  Vorträge  (discursos)  in  derselben.  U.  a.  Ueber  die  Vorzüg- 
lichkeit des  Hundes  (De  la  excellencia  del  perro). 


*)  'Fortuna  illi  (Gasparo  Aguilar)  impar  sine  limite  sed  tarnen  aura 
IUI  afflat  mentis  gaudia  mellifluae'. 


Die  schöne  schwermüthige  Aegyptieriii.  539 

einer  ägyptischen  Königin  erzielte  Tochter,  Irene,  die  der  Be- 
lagerer von  Jerusalem  mit  schwärmerischer  Vaterzärtlichkeit  liebt, 
wie  sich  von  der  „Wonne  des  Menschengeschlechts*'  nicht  an- 
ders erwarten  lässt,  welche  Wonne  in  den  Augen  der  Juden  frei- 
lich —  und  von  ihrem  Augenpunkt  aus  mit  vollem  Eecht  —  als 
'Titus  der  Bösewicht'  verabscheut  wird.  In  Aguilafs  Gitana: 
wenn  man  will  —  Juden-  und  Zigeuner-Drama  bleibt  Tito  aber 
die  Wonne  sogar  für  die  Juden,  die  er  mit  römisch-kaiser- 
licher Grossmuth  behandelt;  der  Schirmherr  und  liebevoll  kai- 
serliche Vater  von  einer  Zigeunerin  und  einem  halben  Dutzend 
ganz  Israel  vertretender  Juden. 

In  der  ersten  Jornada,  der  Belagerung  Jerusalems,  ver- 
sucht die  Gitana  ihren  heimlich  geliebten  römischen,  Soldado' 
kurzweg  genannten,  und  zum  Angriff  gegen  das  „Verräther- 
volk" 0,  die  Juden,  stürmenden  Numa  vom  Kampfe  zurückzu- 
halten. Kampfesehre  reisst  den  tapfern  Numa  selbstverständlich 
aus  den  Armen  der  Belagerungs-Liebe,  und  schon  in  der  näch- 
sten Scene  muss  Gitana  aus  dem  Berichte,  den  Capitan  Mario 
dem  zärtlichsten  aller  kaiserlichen  Väter  abstattet,  erfahren:  dass 
der  „grosse  Numa"  nach  Jerusalem  als  Kriegsgefangener  gebracht 
worden.  2)  Irene  fällt  darüber  erst  in  Ohnmacht  und  aus  der 
Ohnmacht  in  Melancholie,  wofür  der  tief  bekümmerte  kaiserliche 
Vater,  noch  vor  Ankunft  des  herbeigerufenen  Arztes,  den  Zustand 
diagnosticirt  ^) ,  den  Titel  der  Comedia  nach  der  Krankheitsform 
feststellend.  Tito  der  Gütige  zerschmilzt  in  eine  so  schwer- 
müthige Vaterbesorgniss  um  das  melancholische  Aegypter-Kind, 
dass  es  zweifelhaft  bleibt,  wer  melancholischer,  der  Vater  oder 
die  Tochter,  der  römische  Emperador  oder  die  ägyptische  Prin- 
zessin, die  er,  auch  rücksichtlich  der  gemeinsamen  Melancholie, 
sein  zweites  Ich  nennt.  ^)    Der  herbeigerufene  medico  ist  Hofarzt 


1)  Voy  Inego  ä  dar  el  asalto 
Contra  este  piieblo  traidor. 

2)  Bien  es  verdad  que  nos  cuesta 
La  persona  del  gran  Numa 
Que  en  la  ciudad  queda  presa. 

3)  Sin  duda  es  melancolia. 

4)  pues  eres 

Un  Yo  apartado  de  mi. 


540  ^^s  spanische  Drama. 

genug,  um  der  kaiserlichen  Diagnose  unbedingt  nach  allen  Krank- 
heitssymptomen, als  da  sind  „kalter  Schweiss,  blasses  Gesicht, 
trübe  Augenfarbe",  beizustimmen^),  und  verordnet  gegen  den 
'humor  melancolico'  Lustbarkeiten,  Hoffeste,  Spiele  und  Diver- 
tissements als  probates  Mittel.  2) 

Infolge  eines  jener  unvermutheten  Kriegszufälle  finden  wir 
den  Heldenkrieger,  den  nach  verrätherischem  Judenfleisch  wolfs- 
hungrigen Judenfresser,  den  „grossen"  Numa,  gleich  nach  dem 
ersten  Glücks-  und  Decorationswechsel  ^) ,  als  jüdischen  Abge- 
sandten des  Juden-Generals  Josefo,  an  den  Kaiser  Tito,  der 
den  kriegsgefangenen  Kömer  nicht  ohne  Mühe  aus  den  Händen 
zweier  Judios,  die  ihn,  den,  nächst  Titus  dem  Bösewicht,  ge- 
fährlichsten Judenfeind,  brevi  manu  abzuschlachten  im  Begriffe 
standen,  befreit  hatte.  Zwei  miserable  Judios,  Manns  genug,  ei- 
nen Kriegshelden,  wie  den  „grossen  Numa",  mit  Haut  und  Haa- 
ren zu  verspeisen?  —  Was  ein  Decorationswechsel  nicht  alles 
für  Verwandelungen,  selbst  in  den  Personen  und  Helden  eines 
Stückes,  nach  sich  ziehen  kann!  Der  Juden -General  Josefo 
lässt  durch  seinen  Gesandten,  den  römischen  Helden  Numa, 
dem  Kaiser  Tito  die  Zerstörung  Jerusalems  anbieten,  aber  eine 
Zerstörung  mit  Maassen,  Blut  und  Feuer  nach  Belieben,  so  viel 
Tito  der  Gütige  will,  nur  die  Geissei  des  Hungers  möchte  er 
nicht  fürder  schwingen,  ^)  Um  eine  Vorstellung  von  dieser  Geissei 
zu  geben,  erscheint  hierauf  des  Josefo,  „Generals  von  Jerusa- 


1)  Porqtie  considerando  el  sudor  frio, 
La  poca  calentura,  el  rostro  palido, 

Y  el  color  denegrido  de  los  ojos, 
Es  humor  melancolico. 

2)  Mändale  luego  hacer  fiestas  y  juegos, 
De  manera  que  pueda  divertirse. 

3)  „Gambia  la  decoracion". 

4)  Dite  a  Tito  que  le  ruego 

Y  pido  con  humildad 
Que  destruya  esta  ciudad, 

Si  pretende,  ä  sangre  y  fuego. 
Solo  que  no  la  destroya 
Con  este  azote  siniestro. 


Numa  als  ReguUis.  541 

lern",  Töchterlein,  die  schöne  Aber,  um  ihrem  Herzgeliebten, 
dem  tapfern  Judensoldaten  (soldado  judio)  ünias,  tapfer  wie  der 
soldado  romano,  der  grosse  Numa,  —  jetzt  aber,  infolge  sechs- 
tägigen Verhungerns,  ein  ausgemergelter  soldado  und  galan  judio 
—  die  eine  Hälfte  vom  letzten  Kleienbrod  in  Jerusalem  zu 
reichen,  die  andere  Hälfte  ihrem  Vater,  Josefo,  dem  General 
von  Jerusalem,  und  dessen  letztem  Kleienbrode,  vorbehaltend.^) 
Der  vor  Liebe  zu  gleichen  Hälften  mit  dem  Hunger  schmach- 
tende ünias  besteht  darauf,  dass  seine  Aber  die  Brodhälfte 
mit  ihm  theile  2),  genau  die  Hälfte,  abgewogen  auf  der  spanischen 
Parallel-  und  Halbscheids- Waage.     . 

Numa  erledigt  sich,  von  Josefo  bevollmächtigt,  seiner  Ge- 
sandtschaftsmission dem  Kaiser  Tito  gegenüber,  ein  zweiter  Ee- 
gulus  an  Ehrenpflichtgefühl  und  Gebundenheit  durch  sein  dem 
Judengeneral  verpfändetes  Wort,  zurückzukehren  nach  Jerusalem 
in  seine  Haft  3),  egregius  properaret  exul,  mit  Tito's  Forderung 
einer  bedingungslosen  Uebergabe  der  Stadt  auf  Gnade  und  Un- 
gnade. Irene's  Thränen  können  Numa's  eiserne  Regulusbrust 
nur  rostfleckig  machen,  nicht  erweichen,  und  ihr  x\rgument,  dass 
ja  kein  einziger  Jude,  da  die  ganze  Brut  massacrirt  werden 
soll,  übrig  bleibe,  um  ihm  seinen  Wort-  und  Ehrenbruch  vorzu- 
halten 4),  prallt  an  Numa's  stählernem  Ehrenschild  ohnmächtig  ab. 


1)  Aber.      No  hay  en  toda  la  ciudad 

Sino  este  pan  de  salvado  .  .  . 

Quiero  darte  la  inidad. 
Unias.    Y  la  otra  ^adonde  ha  de  ir? 
Aber.     Mi  padre  la  ba  de  levar. 

2)  En  que  tomes  la  mitad 
Desta  mitad  que  me  has  dado. 

3)  Y  asi,  vuelvo  ä  la  prision 
Contra  mi  gusto,  pues  tengo 
De  volver  obligacion. 

4j  Y  pnes  no  ha  de  quedar  vivo 

Ninguno  de  quantos  son, 
Sepamos  por  que  razon 
El  volver  ä  ser  cautivo 
Pundas  en  obligacion. 


542  ^^^  spanische  Drama. 

Numa-ßegulus  zieht  ehrenwortfest  in  seine  Kriegsgefangen- 
schaft zurück.  Aus  Irene 's  melancholischem  Lamento  darüber 
glaubt  Kaiser  Tito  folgern  zu  dürfen,  dass  Numa  die  Krank- 
heitsursache ,  die  causa  proxima  ihrer  Melancholie  sey.  ^)  Diese 
scharfsinnige  Diagnose  macht  der  ersten  Jornada  ein  Ende. 

Die  zweite  Jornada  spielt  sich  in  eine  Judith-Katastrophe 
hinein,  die  der  jüdische  Hohepriester  gegen  Kaiser  Tito's  Titus- 
kopf  mit  Josefo  berathet,  und  beschliesst,  das  schönste  Juden- 
mädchen in  Jerusalem  soll  die  Judith-ßolle  übernehmen.  Unter 
drei  der  schönsten  trifft  die  allerschönste  Judenjungfrau,  Josefo's 
Töchterlein,  Aber,  das  Loos,  deren  Namen  ihr  Vater  selbst  aus 
der  Urne  zieht.  Die  schöne  Aber  findet  aber  bei  der  Judith- 
Mission  ein  Aber  wegen  ihres  Unias,  der  darüber  nur  deswegen 
nicht  aus  der  Haut  fährt,  weil  Ab  er 's  Gegenwart  ihm  die 
Haut  unsterblich  und  ihn  hautfest  gerbt.  ^)  Aber 's  Versicherung, 
sie  ziehe  aus,  um  ihre  Haut  für  ihn  zu  Markte  zu  tragen  ^), 
streicht  seiner  unsterblichen  Haut  die  Kummerrunzeln  aus  dem 
Gesicht;  er  giebt  dem  von  seinem  Geschick  geschliffenen  Messer  4), 
womit  sie  Tito's  Kopf  abschneiden  geht,  den  Keisesegen,  und 
wirft  der  Davonziehenden  einen  Monolog  nach,  der  wie  ein  bren- 
nender Pulverfrosch  unter  tollem  Zischen  und  Prasseln  ver- 
pufft —  „Ein  Feuer". ^) 

Irene  verharrt  noch  immer  in  ihrem  melancholischen  Lie- 
besstarrkrampf so  unveränderlich   durch   das   ganze  Stück,   wie 


1)  Luego  ^Numa  es  instrumento 

De  sns  desventuras  ? 

^)  Si  con  este  sobresalto 

Subitamente  no  muero, 
Y  si  no  me  acaba  el  mal 
La  vida  con  la  paciencia 
Debe  de  ser  immortal. 

3)  Que  por  ti  salgo  ä  morir. 

4)  Y  embotaräs  el  cuchillo 

Que  has  amolado  en  mi  suerte. 

5)  Fuego  soy;  y  asi  mi  fnria 
Mi  ardiente  poder  ensefia, 


Ein  kopfloser  Hauptmann.  543 

dessen  Titel.  Inzwischen  hat  sich  der  Jude  Ismael  aus  Jerusa- 
lem aufgemacht,  um  mit  einer  valencianisch  überschwänglichen, 
wie  die  der  schönen  Suleima  im  hohen  Lied,  üppig  brünstigen 
Schilderung  von  Aber's  Schönheit  Kaiser  Tito's  Begehrlichkeit  zu 
kitzeln,  wie  den  Herrscher  von  Java  sein  verschnittener  Harem- 
Oberster:  mit  einer  Pfauenfeder.  „Ich  kann  Dir  blos  sagen"  — 
schliesst  der  Kitzler  seine  Schilderung  —  „die  schöne  Aber  geht 
daher,  wie  des  Argos  Pfauenschweif  ganz  bedeckt  von  den  Augen 
ihrer  Bewunderer."  ^)  Dieses  mit  Pfauenschweifaugen  über  und 
über  besäte  Prachtstück  von  Judenmädchen  soll  nun  heimlich, 
auf  Befehl  ihrers  Vaters  Josefo,  nach  Aegypten  gebracht  wer- 
den 2),  als  muthmasslicher  Harem-Pfauenwedel.  Tito  lässt  ihr 
sofort  von  200  Keisigen  den  Pass  nach  Aegypten  verlegen,  und 
bestellt  seinen  Hauptmann  Mario,  der  schon  während  Ismael's 
Schilderung  von  Aber's  Reizen  die  Wirkung  der  Javanischen 
Pfauenfeder  auf  seine  gespannte  Erwartung  durch  die  untrüg- 
lichsten Zeichen  doppelter  abwärts-  und  aufrechtstehender  Aus- 
rufungszeichen in  Aparte-Klammern  zu  erkennen  gegeben^)  — 
diesen  Hauptmann  Mario  bestellt  Tito  als  Hüter  und  Beschir- 
mer von  Aber's  Schönheit  und  Keuschheit,  übergiebt  ihm  sei- 
nen Commandostab  und  mit  diesem  seine  kaiserliche  Autorität 
und  Vertretung  der  kaiserlichen  Person  ^)  in  seiner  Abwesenheit  — 


Pues  arde  en  el  verde  lena 

De  aquesta  reciente  injuria. 
Feuer  bin  ich,  und  so  nimmt, 
Meine  Wuth  mich  in's  Gebet, 
Dass  wie  nasses  Holz  sie  glimmt 
In  dem  Schimpf,  der  frisch  mich«schmäht. 

1)  Solo  puedo  decir  que,  como  un  Argos 
Va  contino  cubierta  de  los  ojos 

Que  le  ofrecen  aquellos  que  le  miran. 

2)  Quiere  (su  padre)  enviarla  luego  al  rey  de  Egipto. 

3)  Mario  (Ap.) 

jOh,  quien  pudiese  ver  mujer  tan  bella 
Y  ofrecelle  los  mios! 
(nämlich  Argusschweif-Augen.) 

4)  Quiero  que  representes  mi  persona. 


544  ^^^  spanische  Drama 

einem  römischen  Hauptmann  —  wie  zur  Doublette  des  assyri- 
schen Feldhauptmanns,  Holofernes  auserlesen,  dessen  Schicksal 
er  dann  auch  in  allen  Stücken  erfährt,  nach  einer  vorläufigen 
Scene,  worin  ihm  das  verführerisch  reizende  Judenmädchen,  Aber, 
die  ihn  für  Kaiser  Tito  hält,  unter  denFuss  giebt,  dass  sie  ge- 
kommen, um  ihm  stehenden  Fusses  den  Kopf  abzuschneiden  i), 
worüber  Mario  Holofernes  so  ausser  sich  geräth  vor  Ent- 
zücken, dass  er  in  seinen  Wonnedelirien  die  Aber  fragt,  ob  ihr 
denn  nicht  ihr  vom  Himmel  octroyirtes  Gesicht  genüge,  mit  der 
Warnung,  sich  zu  hüten,  dass  sie  es  nicht  in  seinem  Auge  er- 
blicke, wenn  sie  nicht  den  Tod  des  Narciss  sterben  will.  '^)  Mitt- 
lerweile ist  Tito  von  Aber's  ihr  nachgelaufenem  Bräutigam, 
ünias,  über  deren  Absicht  in  Kenntniss  gesetzt  worden  ^),  damit 
der  Kaiser  sie  nicht  vorlasse.  Dieser  befiehlt,  den  Zeltvorhang, 
der  Aber's  Judith -That  verbirgt,  zu  öffnen.  Da  steht  Aber 
schon  mit  Mario's  Pseudo-Tituskopf  in  der  Hand  vor  dem  wirk- 
lichen, der  sich  vor  Staunwunder  ob  seines  Hauptmanns  Haupt 
nicht  genug  schütteln  kann,  während  mancher  kaiserliche  Kriegs- 
herr bei  so  manchem  andern  Hauptmann  über  das  umgekehrte 
Schauwunder  den  Kopf  schüttelt:  über  den  Mann  ohne  Haupt. 
Aber-Judith  fleht  um  ihren  Tod  so  schleunig  wie  möglich, 
dessen  sie  zu  ihrem  Siege  dringend  bedürfe  ^),  um  so  dringender, 
da  sie  nicht  den  rechten  Kopf  abgeschnitten.  Der  grosse  Tito 
möchte  nun  über  sie  triumphiren,  da  sie  über  ihn  nicht  trium- 
phire,  ^)    Tito  thut  der  Aber  so  wenig  den  Gefallen,  dass  er 


1)  ^Sabräs  que  salgo  ä  quitarte 
La  cabeza? 

2)  N<>  basta  el  rostro  que  quiso 
Darte  el  cicio  por  despojos? 
Pues  si  lo  ves  sin  aviso, 

En  la  frente  de  mis  ojos 
Moriräs,  como  Narciso. 

3)  Sin  duda  algnna 
Salio,  Tito,  ä  darte  muerte. 

4)  Dadme  con  presteza  mucha 
La  muerte. 

5)  Triunfa,  oh  gran  Tito,  de  mi. 
Yo  que  de  ti  no  he  triunfado. 


Allgemeine  Wolfsjagd.  545 

um  ihretwillen  der  Stadt  Jerusalem  Frieden  anzubieten  bereit  ist, 
während  die  Bevölkerung  gerade  in  diesem  Augenblick  einen  Wolfs- 
hunger-AusfalP)  machen  muss  und  —  was  thut  vor  Hunger?—  sich 
in  die  melancholische  Zigeunerin,  des  Kaisers  Tochter,  verbeisst, 
und  mit  dem  Fang  in  die  Stadt  Hals  über  Kopf  zurückeilt,  nach- 
dem die  Juden- Wölfe  in  der  zur  Erheiterung  der  melancholi- 
schen Prinzessin  versammelten  Fressgesellschaft  gewüthet  mit 
der  doppelten  Vertilgungswuth  von  jüdischen  ßömerfressern  und 
ausgehungerten  Wölfen.  Tigergleich  ^)  setzt  Kaiser  Tito  den 
beschnittenen  Wölfen  nach,  um  ihnen  die  Tochter  zu  entreissen, 
lässt  aber  erst  die  Aber  zur  Thür  hinauswerfen.  3)  Nun  — 
rauft  sich  Aber  das  schöne  Haar  aus  —  Nun  ist's  aus  mit  Je- 
rusalem! und  stürzt,  ohne  das  Hinausgeworfenwerden  erst  abzu- 
warten —  stürzt  davon,  um  für  das  theure  Vaterland  und  den 
theuren  Gatten  zu  sterben  *) ,  Mario's  Pseudokopf  als  Katze  im 
Sack,  mit  dem  ihr  die  zweite  Jornada,  wie  Judith's  Magd,  Abra, 
ihrer  Herrin,  nachläuft. 

Numa  benutzt,  mit  Anbruch  der  dritten  Jornada,  die 
allgemeine,  durch  Tito's  Angriff  in  Jerusalem  entstandene  Ver- 
wirrung, und  seine  Befreiung  aus  der  Kriegsgefangenschaft  zu  der 
Anfrage  bei  Kaiser  Tito,  was  aus  Irene,  der  melancholischen 
Aegyptierin,  geworden,  und  vermisst  sich  des  Heldenschwurs  von 
Schiller's  Bastard  Dunois:  Frei  muss  sie  seyn,  eh'  noch  der 
Tag  sich  endet !  „Beim  hohen  Himmel !  befreien  muss  ich  meine 
Dame !''  ^)  —  „Du,  eine  Dame  ?"  ^)  fragt  Tito  verwundert,  unein- 
denk  des  Lichtes,  das  ihm  doch  schon  in  der  H.  Jornada  Irene 
selbst  darüber  aufgesteckt.    Numa  verständigt  den  Kaiser  durch 


1) 

han  salido, 

Como  lobos  hambrientos,  de  los  muros. 

2) 

Y  asi,  quiero  salir  en  busca  suya, 

Como  tigre  parida  ... 

3) 

Echad  esa  mujer,  echalda  luego. 

4)           Aber.     AI  fin  Jerusalem  ha  de  perderse  .  .  . 

Que  muera  por  mi  patria  y  por  mi  esposo. 

5) 

Por  el  cielo  soberano, 

Que  he  de  übrar  a  mi  dama. 

6) 

^,Dama  tienes? 

X. 

35 

546  I^as  spanische  Drama. 

die  Blume :  die  Zwillingsähnlichkeit  seiner  Dame,  in  Wesen  und 
Eigenschaften,  mit  Tito's  Tochter  Irene  ihm  zu  riechen  gebend.^) 
Tito  verspricht  ihm,  die  Herzensdame  werde  Irene  eigenhändig 
ihm  zuführen.  2)  Der  verblümte  Doppelsinn  im  Dialoge  scheint 
in  der  Schule  von  Valencia  so  dicht  aneinander  gedrängt  zu 
blühen,  wie  Blüthen  und  Früchte  auf  den  Aesten  der  dasigen 
Orangen-  und  Citronenbäume  sich  zusammen  wiegen. 

Josefo  ruft  die  Juden  zum  Verzweiflungskampfe  auf  die 
Mauern,  und  bedient  sich  dabei  eines  in  der  Geschichte  der 
Kriegskunst  vielleicht  einzigen  strategischen  Kunstgriffs:  der 
Proberufe,  ähnlich  wie  jener  Witztölpel  mit  seinem  Schreck- 
spass:  „der  Wolf  kommt",  zuletzt  die  gefoppten  Hirten  wirklich 
abschreckte,  ihm  beizuspringen,  als  der  rechte  Wolf  Ernst  machte 
und  kam.  Die  Juden  stürzen,  bis  an  die  Zähne  gewappnet, 
herbei,  um  dem  römischen  Wolf  das  Fell  zu  zausen  —  Wo  ist 
er?  schreit  Judio  I^.,  kampflustig  —  Wo  ist  der  Wolf?  „Ich 
wollte  Euch,  Brüderchens,  nur  auf  die  Probe  stellen",  lacht  den 
Verdutzten  der  Judengeneral  in  die  Zähne.  ^)  Wiederholter 
Alarmruf.  Massenweise,  wie  eine  Herde  bärtiger  Maremmen- 
Büffel  auf  den  einbrechenden  Wolf  mit  gesenkten  Hörnern  und 
die  Luft  peitschenden  Schweifbüscheln,  stürzen  die  jüdischen 
Streiter  heran:  Der  Wolf!  der  Wolf!  der  römische  Wolf!  „Etsch!" 
—  schabt  ihnen  General  Josefo  Rübchen:  „hab'  ich  Euch  schön 
angeführt !" 4}  Eichtig!  aufs  Haar  wie  in  der  Fabel;  der  Wolf 
ist  nun  wirklich  da,  ein  ganzer  Trupp  römischer  Wölfe,  Kaiser 
Tito  vorauf  —  General  Josefo  schreit  darüber  nicht  Probe  — 
die  Juden  aber,  die  denken  aha!  die  Generalprobe!  und  sagen: 
Schrei  du  und  der  Teufel !  und  rühren  sich   nicht.  ^)    So  wird 


1) 

—  igual  en  calidad 
Con  tu  hija 

2) 

Mi  hija  — 

Te  la  darä  por  mujer. 

3) 

Judio  P. 

^En  que  parte  esta? 

Josefo. 

Hermanos 
Quise  probaros  con  esto. 

4)' 

iQue  lindamente  os  burle! 

5) 

Josefo. 

digo 

Die  Geschichte  des  Drama's  im  Harnisch.  547 

Jerusalem  erobert  und  Josefo  gefangen  genommen:  Eine  Va-  . 
riante  dieser  gegen  sich  selbst  in  Anwendung  gebrachten  Kriegs- 
list des  Juden-Generals  Josefo  zu  Josephus  Plavius'  Juden-Ge- 
schiclite,  über  die  Josefo  Flavio  sich  nicht  wenig  wundern  dürfte. 
Mörderische  üeberrumplungsgefechte  finden  gleichwohl  statt.  Der 
tapfere  ünias,  der  jüdische  Hektor,  kämpft  den  Verzweiüungs- 
kampf  mit  dem  Eömer  Turno,  die  schöne  Aber  mit  dem  sol- 
dado  romano  Gesta,  dessen  Namen  die  Gesta  Romanorum  ver- 
ewigen, und  säbelt  ihm  den  Kopf  in  den  Judithsack.  Und  mitten 
in  diesen  sturmheissen ,  ein  Weltvolk,  wie  das  Jüdische,  eine 
Gottesweltstadt,  wie  Jerusalem,  zermalmenden  Kämpfen,  die,  wie  " 
das  Judenschicksal,  unentrinnbare  Eifersuchtsscene  1  Zwischen  dem 
verwundeten  ünias  und  der  schönen  Aber,  die  ünias  deshalb 
beeifersüchtelt,_  weil  sie  doch  beim  Abschlachten  des  Mario  ihn 
berühren  und  sogar  seinen  Kopf  am  Schöpfe  fassen,  jedenfalls  in 
Mario's  Nähe  sich  befinden  musste!^)  Darüber  muss  selbst  ein 
Engel  von  kritischer  Geduld,  wie  unsere  Geschichte  des  Drama's, 
sich  gelb  und  grün  ärgern,  sich  wenigstens  in  die  Leibfarbe  ei- 
nermelancholischen Zigeunerin  hineinärgern!  Difficile  est  satyram 
non  scribere  —  wie  oft  verbeisst  die  Aermste  diesen  Stossseuf- 
zer,  den  sie  um  so  betrübter  in  sich  hineinächzt,  als  sie  zu  ihm 
bei  Analysen  von  Dramen  veranlasst  wird,  wo  das  glänzendste 
scenische,  freilich  immer  nur  nationalscenische  Talent  mit  ebenso 
heimischen  Gebirgskröpfen  prunkt,  die  das  kritische  Messer  und 
den  kritischen  Arsenik  herausfordern,  und  beiden  heroischen  Mit- 
teln noch  heroischer  trotzbieten! 

Des  ünias  Eifersuchtstiftelei  unterbricht  General  Josefo 
mit  dem  Vorschlag,  das  Liebespaar  an's  Messer  zu  liefern,  um 
des  Römers  über  ihren  Häuptern  schwebendem  Schlachtmesser 
das  Prävenire  zu  spielen.    Hatte  doch  Pontius  Pilatus  in  eines 


Que  ha  venido  el  enemigo. 
Judio  3^    (Dentro) 

Ya  se  que  te  estas  bnrlando. 
1)  Pues  aunque  digas,  cruel, 

Que  no  Uegaste  ä  tocalle, 
Quando  Uegaste  a  matalle, 
No  estäbas  mii}^  lejo  del  — 

35  = 


548  I^^s  spanische  Drama. 

schuldlosen  Lammes  Opferblut  seine  Hände  rein  gewaschen,  i) 
Um  jedoch  nur  Einen  Leib  zu  schlachten,  will  Josefo  aus  dem 
Liebespaar  zuvor  durch  Eheschliessung  Einen  Leib  machen.^) 
Lope's  oft  geschmacklose,  aber  immer  krystallhelle  Argutien  die- 
ser Art  sieht  man  von  dem  Reagentientropfen  der  Valencianer 
Schule  als  trüben  Niederschlag  aus  der  Flüssigkeit  ausscheiden 
und  zu  Boden  sinken.  Glücklicherweise  kommt  dem  Vorhaben 
Kaiser  Tito's  weltbekannte  Grossmuth  zuvor  durch  das  huld- 
volle an  den  jüdischen  General  gestellte  Anerbieten,  bei  seinem 
Triumphe  in  kriegsgemeinschaftlicher  Freundschaft  sich  zu  be- 
theiligen J)  Umarmt  das  neue  Ehepaar  und  ersucht  sie,  ihm 
beim  Aufsuchen  seiner  Irene  behüflich  zu  seyn.  Schliessen  wir 
uns  den  Aufsuchern  an,  schon  um  den  am  Schlüsse  so  misslichen 
episodischen  Scenen,  wie  die  z.  ß.,  wo  ein  Römer  20  gefangene 
Juden  für  einen  Heller  verkauft,  aus  dem  Wege  zu  gehen,  und 
folgen  wir  dem  zweiten  Juden,  der  uns,  selbfünft,  —  mit  Numa, 
welcher  sich  inzwischen  angeschlossen,  ^elbsechst,  —  wie  ein  Frem- 
denführer in  den  Tempel  geleitet,  um  unter  andern  Merkwürdig- 
keiten die  nebst  sonstigen  römischen  Gefangenen  daselbst  ver- 
steckte melancholische  Zigeunierin  oder  Aegyptierin,  Prinzessin 
Irene,  zu  zeigen,  an  welche  der  Hohepriester  von  Jerusalem 
eben  mit  der  unterwürfigsten,  in  AUerunterthänigkeit  ersterben- 
den Ehrfurcht  das  Bittgesuch  richtet,  sich  abschlachten  zu  las- 
sen. ^)   Wir  Sechs,  Kaiser  Tito,   Josefo,   das  junge  eben  ge- 


1)  Despues  que  en  la  (sangre)  de  un  cordero 
Lavo  las  suyas  (manos)  Pilato, 

Quiero  pues  por  eso  hacer 

Con  pecho  constante  y  fuerte, 

Que  al  poder  vais  de  la  muerte 

Primero  que  a  su  poder  (de  los  Komanos). 

2)  Primero  casar  es  quiero 
Por  matar  uno  no  mas, 
Porque  siempre  el  casamiento 
De  dos  uno  suele  ser. 
Casaos  al  momento. 

3)  Solo  quiero  Uevarte  como  amigo 
Para  que  me  acompanes  en  el  triuiifo. 

4)  Perdonad,  Irene  hermosa 


Zweimaliges  Wiederfinden.  549  , 

traute  jüdische  Ehepaar,  Unias,  Aber  und  Unsere  Wenig- 
keit in  Vertretung  unserer  Leser  —  wir  fallen,  Numa  vorauf, 
dem  Hohenpriester  in  den  mit  dem  Opfermesser  erhobenen  Arm. 
Unseren  von  Numa's  Schwert  nachdrücklich  unterstützten  Vor- 
stellungen giebt  der  Hohepriester  als  Klügerer  nach,  und  thut 
noch  ein  Uebriges,  sich  bereit  erklärend,  sämmtliche  im  Tempel 
verborgene  Kriegsgefangene  frei  zu  geben-.  Das  Wiedersehens- 
Entzücken,  landläufig  im  spanischen  Drama,  läutet  das  Liebes- 
paar, Numa  und  Irene  mit  allen  Glocken  aus.  Irene's  Au- 
gensterne —  zieht  Numa  seinen  Glockenstrang  —  waren  für  ihn 
der  Nordstern  —  richtiger  zwei  Nordsterne,  kurzum  Wegweiser, 
die  ihm  auf  dem  Meere  seines  Liebesstrebens,  behufs  Entdeckung 
der  beiden  Lidien  seines  Entzückens,  wesentliche  Dienste  ge- 
leistet. 1)  Und  nun  das  zweite  Wiederfinden,  Tito's  und  Prin- 
zessin Irene' s.  Nur  Eines  finden  wir,  die  Sechse  insgesammt, 
nicht  wieder:  die  melancholische  Aegyptierin;  statt  ihrer 
vielmehr  nicht  blos  eine  vollständig  durch  Tempel-Incubation  von 
ihrer  Melancholie  geheilte,  sondern  eine  vor  Seelenlust,  Hoch- 
zeitsfreuden vergnügte  und  mit  sobresaltos,  wie  eine  indische  Baja- 
dere, im  Tempel  von  Jerusalem  ihrem  Bräutigam  in  die  Arme 
tanzende  Zigeunerin,  die  gleich  König  Salomo's  Braut  in  seinem 
Hohenliede  „schwarz  ist,  aber  lieblich."  Kaiser  Tito  der  Gütige 
schlägt  eigenhändig  zum  Hochzeitstanze  die  Schellentrommel  -), 
seinen  väterlichen  Segen  dazu  singend,  in  den  unsere  Analyse 
mit  einem  Freudensprung  einstimmt,  angeregt,  wenn  nicht  von 
der  dramatischen  Fabel,  die  gleich  den  meisten  dieser  histori- 
schen Comedias,  in  ihre  Selbstparodie  umschlägt;  so  doch  hoch- 
zeitlich angeregt,  durch  den  Brautvater,  den  trefflich  in  seinem 
Legendencharakter    als    grossmüthiger   Tito    gehaltenen    Kaiser 


Si  ml  brazo  determina 
Daros  muerte  rigorosa. 

1)  Descubri,  Seiiora  mia, 
Esas  estrellas,  que  fueron 
En  el  mar  de  mi  porfia 
Norte  que  me  descnbrieron 
Las  Indias  de  mi  alegria. 

2)  Desde  ahora  te  la  doy 
Por  la  legitima  esposa. 


550  I^as  spanische  Drama. 

Tito,  und  auch  festlich  angeregt  durch  die  würdige  Schilderung 
der  Judenschaft  von  Jerusalem,  frei  von  jeder  Antipathie  und 
karrikirendem  Unglimpf,  —  was  dem  spanischen  Dichter  zu  be- 
sonderem Lobe  gereicht,  und  wovon  sich  vielleicht  selbst  ein 
deutscher  confessioneller  Dichter,  was  diese  Spanier  fast  alle  sind, 
nicht  so  rein  gehalten  hätte;  —  freudig  angeregt  endlich  durch 
den  Reiz  und  die  stylistische  Kunst  der  Gesprächsführung  — 
ein  Gemeingut  freilich  sämmtlicher  spanisch-dramatischen  Schu- 
len des  17.  Jahrhunderts.  Kein  Drama  irgend  welchen  Volks- 
thums  hat  eine  so  brillante  dialogische  Schablone,  wie  das  spa- 
nische, wie  das  Lope-Calderon-Drama.  Diese  glänzende  Einför- 
migkeit in  der  Gesprächsfärbung  und  im  rhythmischen  Klingklang, 
erregt  die  stereotyp-monotone,  aber  immer  festfeierliche  Stim- 
mung, die  des  jüdischen  Hohenpriesters  Juwelenbrustschild  und 
der  Klang  güldener  Glöcklein  an  seinem  Gewand-Saume  bei  den 
Amtshandlungen  und  dem  vorschriftsmässigen  Hin-  und  Her- 
schreiten vor  und  hinter  dem  Vorhang  des  AUerheiligsten  in  der 
andächtigen  Gemeinde  erregen  mochten;  sollten  auch  die  zwölf 
Steine  im  spanischen  Dialogen-Brustschildchen  nicht  immer  acht 
und  die  güldenen  Glöcklein  nicht  immer  vom  feinsten  gediege- 
nen Golde  seyn. 

Doctor  Francisco  Tärrega.^) 

La  Duquesa  constante 
(Die  standhafte  Herzogin). 

Duque  Valentine  —  irgend  ein  beliebiger  italienischer 
Kleinfürst  —  segelt  mit   drei  Galeren   nach   Spanien  ab,   vom 


1)  Doctor  Francisco  Tärrega,  gen.  El  Canönigo  Tärrega, 
ans  Valencia,  war  schon  um  1590  als  Schriftsteller  und  Dichter  berühmt 
und  der  früheste  Valencianische  Dramatiker,  der  Lope  de  Vega's  Schan- 
spielgattung  und  Schule  cultivirte.  Sein  Geburtsjahr  ist  nicht  bekannt. 
1590  schrieb  er  Komödien  noch  unter  dem  Namen  Licenciado  Fran- 
cisco Tärrega.  Als  Mitglied  der  Academia  de  los  Nocturnos  führte  er 
den  Namen  'Miedo'  (Furcht).  Ueber  sein  Sterbejahr  beobachten  die  melir- 
erwähnten  Valencianischen  Biographen,  Rodriguez,  Jimeno  und  Fuster, 
Grabesschweigen.    Nicol.  Anton  sogar  auch  über  die  Lebenszeit,  die  zwi- 


Franc.  Tärrega's  ^La  Duquesa  constante'.  551 

Könige  dahin  berufen,  seinem  Vetter  Torcato  ein  versiegeltes 
Papier  anvertrauend,  das  derselbe,  nur  auf  des  Duque  Ermäch- 


schen  Tärrega's  Wiege  nnd  Grab  fällt,  selbst  den  Namen  unseres  Cano- 
nigo  in  Stillschweigen  begrabend,  bei  dem  es  freilich  die  Valencianischen 
Biographen  auch  nur  bewenden  lassen.  Kurzum,  von  Tärrega's  Lebens- 
umständen kennt  man  keinen  nähern  Umstand,  als  dass  er  überhaupt  ge- 
lebt hat,  einen  Umstand,  von  dem  aber  Spaniens  biographische  Haupt- 
grundquelle, Nicol.  Ant.,  auch  nichts  weiss.  Desto  feurigere  Lobredner 
fand  unser  Canönigo  in  den,  so  zu  reden,  literarhistorischen  Poemen  wie 
des  Cervantes  ^Viage',  und  Lope  de  Vega's  'Laurel'.  Yicente  Ma- 
riner, in  seiner  lateinischen  zur  Verherrlichung  der  Valencianischen  Poe- 
ten gedichteten  Elegia,  preist  ihn  über  den  Valencianischen  grünen  Klee, 
als  einen  komischen  Dichter,  dessengleichen  nicht  mehr  zu  finden.*) 
Blieb  doch  Doctor  und  Canönigo  Tärrega,  trotz  der  Trompeten  seiner  Zeit- 
genossen, über  dritthalb  Jahrhunderte  selber  unfindbar  und  verschollen, 
nicht  blos  Seinesgleichen. 

Tärrega's  Comedias  erschienen  in  der  von  Aurelio  Mey  1609  und 
1616  herausgegebenen  Sammlung  der  Werke  der  vier  Valencianischen  Dich- 
ter in  zwei  Th eilen**),  mit  folgenden  Comedias: 

El  Cerco  de  Eodus  (Belagerung  von  Rodus).  La  sangre  leal  de 
los  Montaneses  de  Navarro  (Das  königliche  ßlat  der  Gebirgsbewoh;:, 
ner  von  Navarra).  El  esposo  fingido  (Der  vorgebliche  Gatte).  El 
prado  de  Valencio  (Der  Lustwald  oder  Augarten  von  Valencia).  La 
perseguida  Amaltea  (Die  verfolgte  Amaltea).  Las  suertes  troca- 
dos  y  torneo  venturoso  (Die  vertauschten  Loose  und  das  glückliche 
Turnier).  El  Cerco  de  Pavia,  y  prision  del  Key  Francisco  (Die 
Belagerung  von  Pavia  und  die  Gefangenschaft  des  Königs  Franz  I.  von 
Frankreich).  La  Duquesa  constante  (Die  standhafte  Herzogin),  un- 
sere Auserwählte.  La  Enemiga  favorable***)  (Die  gastfreundliche 
Feindin). 


*)  Comica  sub  tanto  nituit  sie  fabula  vate 

Ut  similem  nullum  jam  reperire  queat. 

**)  I.  Doce  Comedias  famosas  de  cuatro  poetas  naturales  delainsigne 
y  coronada  ciudad  de  Valencia,  worin  6  Com.  von  Tärrega.  II.  Noche 
de  la  Poesia  Espanola,  illustrado  del  sol  de  doce  Com.  (que  forman 
segunda  parte)  de  laureados  poetas  Valencianos  etc.  ipor  Aurel.  Mey  de 
Anno  1616,  worin  drei  Com.  von  Tärrega.  —  ***)  Li  Eugenio  de  Ochoa's 
'Tesoro  del  Teatro  Espanol'  1840  abgedruckt  und  zuerst  erschienen  in  der 
Sammlung  Flor  de  las  Comedias  de  Espana  etc.  recogid.  por  Franc,  de 
Avila.  Quinta  parte.  Madr.  u.  Alcalä  1615.  Inhaltsauszug  dieser  Comed 
bei  Schack  a.  a.  0.  S.  421  f. 


552  Das  spanische  Drama 

tigung  dazu,  öffnen  solle,  und  empfiehlt  dem  Vetter,  eine  Schrift 
mit  zwei  f,  aus  dem  ff,  die  sorgsamste,  treueste  und  liebevollste 
Obhut  über  seine  mehr  als  zärtlich  geliebte,   seine  angebetete 
vergötterte  Gemahlin,  Duquesa  Fla  mini  a.    Welchem  Wolfe 
der  Herzog  sein  Herzenslamm  anvertraut,  giebt  Wolf  Torcato, 
unmittelbar  nachdem  Duque  abgesegelt,   selbst  kund  in  seinem 
dem  vertrauten  Otavio  abgelegten  Geständnisse  von  seiner  Lei- 
denschaftsgluth  für  Duquesa  Flaminia,   deren  Herz  ein  Keusch- 
heitspanzer von  Eis  gegen  ihn  wappnet,   den  er   mit  Lieb  oder 
Leid  schmelzen  müsse.  ^)     Ein  entschiedener,  löblicher  Exposi- 
tionsschritt in  medias  res.    Otavio  soll  ein  prachtvolles  Mas- 
kenfest zu  Ehren  der  Duquesa  rüsten,  das  der  in  eine  doppelte 
Maske  verlarvte  Wolf  Torcato,  behufs  Schmelzung  gedachten 
Keuschheitspanzers  von  Eis,  zu  benutzen  willens  ist.    Den  zwei- 
ten Expositionsschritt  in  medias  res  thut  Torcato's  Gattin  Lu- 
crecia  mit  der,  Angesichts  von  Flaminia,  bewirkten  Enthül- 
lung ihres  für  den  Gatten  in  treuer  Liebe  glühenden  Herzens 2), 
dem  er,  der  fühllose  Gemahl,  einen  Eispanzer  entgegensetze.^) 
Lucrecia's  Herz  wird  von  einer  Doppelflamme  verzehrt,  von  ver- 
schmähter Gattenliebe   und   von  Eifersucht  auf  -—  Flaminia, 
die  der  Freundin  Herz  an  ihr  eisumpanzertes  Herz  drückt  und  da- 
durch die  Eifersuchtsflamme  dämpft.  ^)    Den  dritten  Expositions- 
schritt thut  das  Fest  selber,  das  mit  den  Kanonenstiefeln  zweier 


Ausserdem  verschiedene  Comedias  siieltas.    Das  Auto  sacram. 
del  Colmenar  (vom  Bienenkorb)  etc. 

1)  Amor 

—  mi  Uama  ardiente 

encienda 

Aquel  hielo  endurecido 
De  Flaminia  .  .  . 

2)  No  conoceras  mi  fuego 

Hasta  que  en  mis  fuegos  ardas. 

3)  Su  rigor  y  su  desden 
Me  tienen,  Flaminia,  tal. 

4)  Y  pues  es  Flaminia  quien 
Con  celillos  te  fatiga, 
Esa  Flaminia,  con  sello, 
Te  perdona  e  te  asegura. 


Torcato,  Vorbild  des  Tieck'schen  Genoveva-Golo.  553 

maskirten  spanischen  Studenten,  Don  Juan  und  Don  Julio, 
in  medias  res,  nicht  sowohl  in  die  der  Handlung,  als  der  ver- 
schleierten Lucrecia  und  ihrer  alten  Dienerin  Marta,  hineinzu- 
schreiten Miene  macht.  Mit  Torcato's  Versuch,  als  maskirter 
Juwelenhändler  durch  kostbare  Schmucksächelchen  sie,  die  Du- 
quesa,  zu  „kaufen";  mit  seinem  und  seiner  Diamanten  glän- 
zendem Abblitzen  bei  Duquesa  Flaminia;  mit  Lucrecia's, 
die  ihren  bei  einer  Umarmung  Flaminia's  in  Ehren  und  Züchten  i) 
betroffenen  Mann  entlarvt,  nachdem  sie  sich  selbst  entschleiert,  — 
mit  Lucrecia's  demaskirter  Eifersucht ;  mit  ihrer  doppelt  und  drei- 
fachen Demaskh^ung  •,  mit  etwelchen,  von  Torcato  ihr  versetzten 
Pusstritten  '^j ,  —  die  letzten  Expositionsschritte  in  medias  res 
posteriores;  —  mit  Torcato's  den  Otavio  ertheiltem  Auftrag, 
seine  Gattin  auf  sein  Landgut,  einen  am  Meere  belegenen  Gar- 
ten, zu  bringen^),  wo  sie  die  schönste  Gelegenheit  habe,  Eifer- 
sucht und  ^Coces'  in  der  frischen  Landluft  abzukühlen:  mit  die- 
sen directen  Schritten  in  die  Handlung  hinein  schliesst  der  Ex- 
positionsact. 

Von  der  Handlung  selbst  erfahren  wir  eingangs  des  zweiten 
Acts  Torcato's  gegen  Otavio  geäusserten,  gegen  Flaminia 
beabsichtigten  und  vom  Erlkönig  mit  Krön'  und  Schweif  über- 
kommenen Vorsatz:  „So  brauch  ich  Gewalt".^)  Erfahren  wir 
ferner  durch  einen  aus  Barcelona  1.  Juli  1550  datirten  Brief  des 
herzoglichen  Geheimsecretärs  an  Torcato  von  des  Duque  in 
Barcelona  vorgefallener  Verhaftung  und  Einsperrung  in  einen  Sau- 
stall, aber  nicht  den  Grund.  Erfahren  wir  weiter  die  von  Tor- 
cato vorgenommene  Eröffnung  des  ihm  von  Duque  bei  der  Ab- 


1)        Tore.         —  es  lo  que  el  Duque  me  ha  dado  (el  abrazo). 


Flamin.    Toma  el  abrazo  — - 

—  pienso  que  Valentino, 
Que  es  mi  esposo,  me  abrazo. 

2)  (Aqui  le  da  de  coces). 

3)  Aperciba  una  litera 

Y  con  esta  mujer  parte 
AI  jardin  de  la  ribera  .  .  . 

4)  Gozando  por  fuerza 

La  que  sin  fuerzas  me  mata. 


554  I^as  spanische  Drama. 

segelung  übergebenen  Briefes  mit  sieben  Siegeln ;  erfahren  gleich- 
zeitig den  Inhalt,  der  mit  dem  von  Herodes  dem  Grausamen 
gegen  seine  Königin  Mariana  in  ähnlicher  Lage  sub  sigillo  an 
seinen  Vertrauten  gerichteten  Blutbefehle  genau  übereinstimmt, 
nur  dass  des  Duque  Blutbrief  der  DuquesaFlaminia  gilt. 
„Das  Beispiel  von  Herodes  mit  der  Mariana"  —  schreibt  der, 
statt  in  ein  Aragonisches  Castel  in  das  dasige  Irrenhaus  einge- 
sperrt zu  werden  verdient  habende  Duque  —  „wird  meine  Ei- 
fersucht entschuldigen".  ^)  Plaminia's  Eispanzer  auf  Deinen  hirn- 
verbrannten Schädel,  missrathene  Doublette  des  grausamen  Hero- 
des! „Ich  schwöre",  ruft  —  und  wir  mit  ihm!  —  ruft  der  wackere 
Otavio,  das  Antidot  zum  Torcato  und  Flaminia's  heimlicher 
Schutzgeist  —  „Ich  schwöre  beim  heiligen  Himmel,  dass  dieser 
Auftrag  das  Unerhörteste  und  Abscheulichste  ist,  das  (seit  Hero- 
des) die  Welt  gesehen!"^)  Das  pastorale  Einschlagsgewebe 
schliesst  sich  durch  die  Haupthandlung  weniger  parallel  zu  der 
Fäden  Grundzettelung  und  diese  mehr  durchkreuzend,  als  bei 
Lope;  vielleicht  ist  das  eines  der  Unterscheidungskennzeichen  der 
Valencianischen  von  den  castilischen  öder  Lope  -  Calderon'schen 
Dramen;  wie  das  stärkere  Betonen  des  bürgerlichen  als  des 
höfischen  Wesens;  und  hiermit  im  Zusammenhange:  eine  auf 
Geisselung  fürstlicher  Verkehrtheiten  entschiedener  zielende  Ten- 
denz; kurz  ein  demokratischeres  Element,  als  in  den  Dra- 
men jener  Schule  sich  kundgiebt.  Wo  nicht  gar  Lope,  -—  was  in 
den  seinigen  von  diesem  Permente  wirken  mag,  die  asturische 
Ader  mit  in  Anschlag  gebracht,  —  dieses  Senfkorn  aus  der  valen- 
cianischen  Schule  in  sein  Drama  verpflanzt  und  zum  stattlichen 
Senfstrauche  sich  hat  verzweigen  lassen,  woraus  er  Ruthen  für 
die  Bücken  so  mancher  seiner  Sancho  el  Bravo's  schnitt;  Ruthen 
freilich,  wie  die  römischen  Fasces,  mit  Lorbeeren  für  die  ihren 
Streichen  vorbestimmte  Partie  seiner  gekrönten  Bravo's,  parallel 
umwickelt,  theils  als  Huldigung,  theils  als  Schonung  der  Partie, 


1)  El  exemplo  de  Herodes  con  Mariane, 

Su  mujer,  disculparä  mis  celos. 

3)  Juro  por  el  cielo  santo 

Que  es  la  mas  nueva  y  odiosa  (cosa). 
Que  lia  visco  el  mundo. 


Gift  und  Gegengift.  555 

hauptsächlich  aber  um  dem  spanischen  Parallelformationstriebe 
nichts  zu  vergeben,  welchem  gemäss  Lope's  Königsdrama  die 
Plagellation  mittelst  der  lorbeerumwickelten  Senfgerte,  begleitet 
von  majestätslmldigenden  Kniebeugungen,  vollzieht.  Die  Sprech- 
weise stimmt  mit  diesem  Charakter  überein.  Im  Dialoge  der 
Valencianer  scheint  sie  uns  weit  weniger  vom  Style  des  Cancio- 
nero  gefärbt ;  sie  lautet  bürgerlicher,  mittelständisch,  von  lyrischen 
Blumen  selten  überwuchert  und  der  reinen  Lustspielsprache 
der  französischen  Komödie  verwandter.  Die  in  Tärrega's  „stand- 
hafter Herzogin''  die  Haupthandlung  begleitende  idyllische  Ne- 
benhandlung führt  Torcato's  aufs  Land  verbannte  Gattin  Lucre- 
cia  mit  so  günstigem  Erfolge,  dass  sie  den  Strick,  womit  der 
junge  Landmann  Ganimedes  seinem  Liebeskummer,  ähnlich 
wie  Papageno,  ein  Ende  machen  will,  zum  Ehebande  knüpft^), 
ihm  seine  Papagena,  Tirsia,  zuführend. 

Der  brave  Otavio,  so  Antidot  er  zum  Torcato  seyn  mag, 
bringt  diesem  doch  eine  Schale  Gift  für  die  standhafte  Herzogin, 
Flaminia,  aber  Lorenzo-Gift ,  das  ähnliche  Folgen  hat,  wie  in 
Komeo  und  Julia,  doch  mit  glücklicher  Katastrophe.  Torcato 
giebt  der  Herzogin  erst  den  von  ihrem  Gemahl,  dem  Duque, 
erhaltenen  Blutbefehl  zu  lesen.  Das  standhafte  Weib  erkennt 
darin  gerade  einen  Beweis  von  Gattenliebe,  und  äussert  nur  Be- 
sorgniss  wegen  des  Herzogs  Haft.^)  Der  unverschämte  Giftmi- 
scher trägt  ihr  die  Ehe  an,  das  Gift  als  Mitgift,  und  mit  der 
Zusicherung,  sein  Weib,  die  Lucrecia,  aus  dem  Wege  zu  räu- 
men.^) Das  Alles  in  Otavio 's  Gegenwart.  Torcato  —  dass 
man  den  Schandkerl  noch  analysiren  muss!  —  schenkt  der  Du- 
quesa  die  Galgenfrist  einer  kurzen  Bedenkzeit  im  Nebengemach 
—  Da  ist  sie  schon,  die  Nemesis,  um  ihn  beim  Schopf  zu  neh- 


1)  Los  brazos  de  Tirsia  son, 
Que  como  esposo  te  aguardan. 

2)  Mira  si  me  obliga  en  el 
El  duque  a  serle  mas  fiel, 
Cuanto  mas  amor  le  atino  .  .  . 
La  nueva  de  su  prision 

Es  lo  que  me  da^  cuidado. 

3)  Con  dar  la  muerte  ä  mi  esposa 
Haremos  un  casamiento. 


556  I^as  spanische  Drama. 

men!  ihr  erster  Schritt  dazu  wenigstens,  als  letzter  eines  zweiten 
Couriers,  der  dem  Erzverräther  und  Meuchelmörder  des  Duque 
Befreiung  aus  der  Haft,  ungetrübtes  Wohlseyn  und  baldiges  Ein- 
treffen meldet.  Torcato  ist  nun  fest  entschlossen,  die  Herzogin 
zu  ermorden,  und  den  einzigen  Zeugen,  seinen  Vertrauten, 
Otavio,  gleich  hinterher  mit  dem  Best  des  von  Torcato  selbst 
der  Duquesa  beigebrachten  Giftes,  welchen  Best  ein  Capitan 
Orfeo  dem  Otavio  beizubringen  übernimmt.  Den  Courier 
sticht  Torcato  eigenhändig  nieder.  Die  standhafte  Herzogin 
trinkt  ihre  Hälfte  mit  dem  Heroismus,  der  sich  von  dem  Komö- 
dientitel erwarten  lässt  0  ?  und  mit  der  dem  Torcato  gegebenen 
Yersicherung,  dass  sie  ihm  verzeihe  2),  der  ja  nur  den  Befehl  des 
geliebten  Gatten  vollzieht.  Die  schwache  Motivirung  dieses  dem 
grausamen  Herodes  in's  Handwerk  pfuschenden  Befehls,  der  ganzen 
Beise  des  Duque  nach  Spanien,  seiner  Verhaftung  und  Be- 
freiung —  die  Hauptstützen  der  Komödie  folglich  —  ist  das 
Gift,  das  unser  Canonicus  Tärrega  dieser,  der  Komödie,  bei- 
bringt, das  aber  die  Komödie  nicht  so  standhaft  wie  ihre  Ti- 
telheldin nimmt,  aus  Schuld  jener  morschen  unter  ihr  zusam- 
menbrechenden Motivirungsstützen. 

Der  Schluss  der  zweiten  Jornada  versetzt  uns  an  eine  Mee- 
resküste (Marina),  wo,  vom  Seesturm  dahin  verschlagen,  unser 
Duque,  Valentine,  nackt  und  triefend  dem  „Einen  und 
Dreien"  für  seine  Bettung  inbrünstig  dankt  ^) ,  und  bei  den 
Fischern,  Ganimede  und  Lau  so,  gastfreundliche  Aufnahme, 
Abtrocknung  und  eine  gute  warme  Fischsuppe  findet,  die  ihm 
aber  die  in  der  dritten  Jornada  von  Ganimede,  der  ilm 
für  einen  Engländer  hält,  empfangene  Kunde  über  die  Sachlage 
in  der  Heimath  so  versalzt,  dass  er  die  Schüssel  im  Stiche  lassen 
muss,  um  die  Fischbrühe  nicht  noch  mehr  mit  seinen  Thränen 
zu  versalzen  und  die  Fischerhütte  nicht  mit  dem  Feuer  seiner 


1)  Ya  parece  que  aliviada 
Me  siento. 

2)  Y  Dios  te  perdone,  amigo, 
Que  Yo  por  mi  te  perdono. 

3)  (Säle  El  Duque  desnudo  y  mojado) 
Duq.       Gracias  te  doy,  Uno  y  Trino. 


Rührende  Fischbrühe.  557 

rasenden  Orlando- Wuth  in  Brand  zu  stecken.  ^)  Der  rasende  Ro- 
land als  Herodes  ohne  allen  Grund,  oder  doch  einen  andern 
Grund  als  seine  Verrücktheit  von  Hause  aus :  sich  von  Frau  und 
Komödie  böslich  zu  entfernen,  um  dem  Torcato  freie  Hand  und 
der  Komödie  freies  Spiel  zu  lassen!  Sich  nach  Spanien,  man 
vyreiss  nicht  von  wem  und  wozu,  mit  der  Flotte  berufen,  sich  in 
Aragonien  einsperren,  aus  der  Haft  befreien,  vom  Sturm  ver- 
schlagen zu  lassen,  eine  gute  warme  Fischsuppe  sich  mit  sei- 
ner sich  selbst  eingebrockten  Suppe  zu  versalzen,  um  dann  die 
von  einem  Pagen  dem  Capitan  Orfeo,  der  inzwischen  den 
Otavio  vergiftet  und  begraben,  entworfene  Schilderung  von  der 
Duquesa  Flaminia  kläglichem  Tode  zu  belauschen;  um  den 
Torcato  durch  den  Fischer  Lau  so  von  seiner  Ankunft,  durch 
einen  Pagen,  dass  er  in  seinem  Palast  bereits  in  der  Tracht 
eines  armen  Seemanns  abgestiegen,  in  Kenntniss  zu  setzen,  — 
kurz,  um  die  muth willig  von  ihm  eingerührte  Katastrophe  mit 
dem  tragikomischen  E ü h r löffel  auszuessen !  Den  Torcato  über- 
stürzt wie  Hochfluth  sein  mörderisches  Gewissen,  das  ihm  die 
Angst,  die  Todten  könnten  auferstehen,  in  die  Ohren  saus't.  2) 
Duque  tritt  nun  als  solcher,  in  der  ganzen  zermalmenden  Ma- 
jestät seines  fürstlichen  Rächeramtes  dem  Mörder  gegenüber. 
Giebt  man  diesen  spanischen  Dramatikern  ihre  absurd-undrama- 
tischen, oft  unmenschlichen,  culturwidrigen  und  unpoetischen  Prä- 
missen zu,  so  muss  man  fast  durchgängig,  auch  bei  den  Bühnen- 
dichtern zweiten  Ranges,  die  Kunstfertigkeit  bewundern,  mit  wel- 
cher sie  die  Scharten  ihrer  Voraussetzungen  und  falschen  Be- 
gründungen auswetzen.  Darin  liegt  ihre  bewältigende  Kraft, 
ihre  Theaterbravour.  Jeder  von  ihnen  ist  ein  Antäus,  der,  im 
Ringkampfe  mit  dem  dramatischen  Kunstgesetze,  als  Kunstgenie, 
vom  Niederwurf  auf  die  Bretter  der  Theaterwalt  sich  als  neu- 
gestärkter Riese  erhebt,  aber  auch,  wie  jener  vom  Hercules,  vom 


1)  iOh  choza  del  conde  Orlando! 
Quisiera  su  furor  ciego 

Para  abrasarte  en  el  fuego 
En  qua  me  voy  abrasando. 

2)  —  si  vivieran  los  difuntos 

l  Quien  pudiera  librarme  de  la  muerte  ? 


558  I^as  spanisclie  Drama. 

Kunstgesetze,  vom  dramatischen  Genie,  hoch  in  Lüften,  in  der 
Katastrophe  nämlich,  erstickt  wird.  —  So  entreisst  denn  auch 
die  in  Rede  stehende  Scene  mit  dem  Gesichtsschlag,  den  sie 
ihren  Prämissen  in's  Auge  giebt,  glänzende  Funken  eines  Situa- 
tions-Feuerwerks. Torcato,  der  sich  von  seinem  misshandelteu 
Weibe,  Lucrecia,  verrathen  glaubt,  beruft  sich  auf  des  Duque 
Blutbefehl  i),  der  also  nur  die  Strafe  seines  verrückten  Herodes- 
gelüstes  an  sich  selber  vollzieht,  was  doch  eigentlich  die  rechte 
Höhe  der  dramatischen  Katastrophe  ist.  Allein  weil  eben  das 
Gelüste  von  vornherein  verrückt,  aus  der  Luft  gegriffen  ist,  er- 
fährt die  Katastrophenscene  des  Antäus  Geschick:  sie  wird  in 
der  Luft  erstickt.  „Im  Zweifel  schwebe  ich"  -),  ganz  wie  Antäus 
dem  Hercules'  breite  Brust  hoch  in  der  Luft  den  Lebensodem 
ausgepresst,  guter  Duque!  Dein  spanisches  'suspenso  estoy', 
das  du  aparte  mit  ausgehendem  Athem  ächzest,  drückt  das  noch 
bezeichnender  aus.  Andererseits  Torcato's  Verbrecherangst  an 
der  Wippfolter  seines  schaudernden  Thatbewusstseyns,  auf  des 
Duque  Frage,  wo  ist  Dein  Genosse  Otavio?  Wo  ist  Dein  Bruder 
Abel?^)  und  doch  ist  dies  keine  GewissensaDgst  der  poetischen 
Nemesis,  der  tragisch-gesetzlichen,  poetisch-sittlichen  Vergeltung, 
kein  Shakspeare'scher  Abel-Blutschrei  aus  des  Mörders  Busen. 
Torcato's  innere  Folter  ist  die  Angst,  Otavio  könnte  noch  aufle- 
ben und  wider  ihn  zeugen  —  blosse  materielle  Gewissenschauer  des 
gemeinen,  feigen  Verbrechers.  Darin  liegt  die  abgrundtiefe  Kluft, 
die  Shakspeare's  seelenerschütternden,  geisterhaft  durchgrausenden, 
wie  mit  Gottesstimme  und  Gottesruf  nach  Abel,  aus  des  Sünders 
Busen  herausächzenden  Gewissensschrei  von  dem  'turbado  estoy' 
aller  Torcato's  der  spanischen  Katastrophen  trennt;  hierin  die 
Kluft  mit  einem  Wort,  die  sich  zwischen  Shakspeare's  tragische 
Katharsis  und  die  tragikomische,  grobfleischliche  der  Spanier, 
und  die  frechatheistisch -cynische,  gottverlassene,  gottverödete 
von  den  tendenziösen  „Aphorismen  über  das  Drama"  docirte 
Katharsis  unverknüpfbar  hinspannt —  eine  Katharsis-Lehre,  eine 


1) 

Matäla  por  tu  mal  dado, 

Con  el  orden  que  me  diste. 

2) 

Suspenso  estoy. 

3) 

Tore.  (Ap.)    Turbado  estoy. 

Herodes-Duque's  Ehren-Eabulistik.  559 

Theorie  der  tragischen  Reinigung .  der  Affecte,  die,  wie  sich 
weiter  noch  zeigen  wird,  auf  deren  schlimmste  Verunreinigung 
und  Besudelung,  auf  die  Cloakificirung,  auf  die  Vergiftung  der 
dramatischen  Kunst,  hinausläuft.  Die  Philosophie  des  Nihilismus, 
sie  hat  keinen  furchtbareren  Eacheengel  als  die  Kunst,  voraus 
die  poetische  Kunst.  Diese  vor  Allem  deckt  den  philosophi- 
schen Nihilismus  in  seiner  scheusslichsten  öestalt  auf:  als 
den  Eunuchen-Lucifer,  der,  im  unbewussten  Bewusstseyn 
seiner  ewigen  Verdammniss  zur  Impotenz  und  unschöpferischen 
Entmanntheit ,  in  seines  Nichts  durchbohrendem  Gefühle  sich 
mit  dem  teuflischen  Kitzel  schadlos  hält:  Gott  und  die  Welt  zu 
castriren. 

Otavio,  dessen  Auferstehung  noch  hingehalten  wird,  soll 
vor  Duque  erscheinen.  Torcato  wird  als  Gefangener  vorge- 
führt, und  Duque  sophistisirt  sich,  auf  gut  spaaisch-katastro- 
phisch  in  das  Ehrenmotiv  hinein,  das  ihm  gebiete,  den  Tor- 
cato zu  schonen,  damit  seine  Gemahlin,  die  standhafte  Duquesa, 
infolge  seines  Blutbefehls,  nicht  aber  von  Torcato's  Liebes- 
brunst befleckt,  ermordet  worden.  ^)  Verhärtung  und  Verstockung 
in  seiner  Schuld',  pour  sauver  l'apparence,  um  seine  Scheinehre 
endgültig  zu  Ehren  zu  bringen,  ist  des  Duque  dramatische  See- 
lenläuterung,  ist  die  tragisch-komische  Reinigung  seiner  nicht 
tragisch-,  sondern  rein  lächerlichen  Versündigung  an  der  drama- 
tischen Causalitätsvernunft  und  am  gesunden  Menschenverstand. 
Nescio  an  Anticyram  non  illis  destinet  omnem!    Ein  nicht  min- 


1)  He  de  procurar  valerte  (den  Torcato) 

No  por  excusar  tu  muerte, 

Sino  ä  cuenta  de  mi  houor, 

Estimando  por  favor 

Lo  que  es  rigor  de  mi  suerte; 

Que  bien  lo  serä,  si  entiendo, 

Que  libre  de  toda  culpa 

Pago  mi  esposa,  muriendo, 

La  pena  que  te  disculpa  .  .  . 
argumentirt  Duque  orthodox   nach  dem  Unfehlbarkeitsdogma  der  spani- 
schen Ehre,    als  dessen  die  Seelen  bindenden,    die  dramatische  Vernunft 
gefangennehmenden  Concilsbeschliiss  jede  dieser  Komödien  betrachtet 
werden  kann. 


560  Das  spanische  Drama. 

der  von  der  dramatischen  Poetik  und  Kunsttechnik  verpönter, 
von  der  spanischen  aber  sanctionirter  Kunstgriff  ist  das  urplötz- 
lich in  die  Schlusskatastrophe  hineingeschneite  Incidenz:  dass  der 
Herzog  noch  seinen  alten,  gliederlahmen  Oheim,  Marcelo,  in 
einer  Sänfte  herbeitragen  lässt,  dem  er  sein  Geschick  erzählt 
und,  dem  beregten  Monolog  in's  Angesicht,  den  Auftrag  ertheilt, 
den  Torcato  auf  dem  öffentlichen  Marktplatz  enthaupten  zu 
lassen.  Er,  Duque,  gehe  währenddessen  auf  die  Jagd,  um  den 
Selbstmord  zu  pürschen.  i)  Da  ereignet  sich  ein  spanisches  Ka-r 
tastrophenwunder.  In  dem  Augenblick,  wo  der  herzogliche  Jäger 
seiner  selbst  zu  dem  Behuf  auf  dem  Anstand  an  Otavio's  Grab- 
mahl lehnt,  streckt  dieser,  vom  Scheintode  erwacht,  den  Arm 
aus  dem  Grabmal  hervor,  um  dem  Duque  in  seinen  dolchbe- 
waffneten Arm  zu  fallen,  und  des  Duque,  Duquesa,  und  seine 
eigene,  und  hiermit  auch  die  unangetastete  Ehre  des  verrückten 
Blutbefehls  zu  retten. 2)  Der  Hauptentlastungszeuge,  Otavio, 
steht  nun  vor  ihm  in  fleischerner  Gestalt,  als  Ketter  sämmtli- 
cher  obgedachter  Ehren,  dank  seiner  iluferstehung  des  Fleisches 
und  seiner  zum  blossen  Scheintodtranke  verdünnten  Hälfte  des 
Gifttrankes,  während  zu  gleicher  Zeit  die  standhafte  Duquesa 
Flamini a  auch  ihre  Hälfte  ausgeschlafen,  um  in  der  definitiv 
letzten  Scene  an  der  Hand  ihres  Herodes,  im  Geleit  ihres  im 
Scheintode  ehehälftlichen  Grabesgenossen,  Otavio  und  des  ganzen 
idyllischen  Fischerpersonales  der  Tragi-Comedia  von  der  Du- 
quesa constante  —  um  das  komische  Ende,  das,  auch  bezüg- 
lich des  Fischerpersonals,  desinit  in  piscem,  anzufügen. 


1)  Duque.      Me  quiero  salir  ä  caza  .  .  . 
Marcelo.  ^Solo  quereis  ir? 
Duque.  Bien  hago 

Pues  ä  la  muerte  Camino. 

2)  Noch  im  entscheidenden  Moment,  im  Monolog,  den  vor  dem  be- 
schlossenen Selbstmord  der  an's  Grabmal  gelehnte  Duque  hält,  wandelt 
ihn  nicht  der  leiseste  Scrupel,  nicht  ein  Hauch  vom  Bewusstseyn  seines 
verdammlichen  Herodes-Befehles  an.  Der  Selbstpürscher  jagt  sich  viel- 
mehr zum  Vorstehhund  seiner  selbst,  der  die  „Undankbare",  sein  Weib, 
als  gehetztes  Wild,  aus  dem  Busche  schnoppert: 

Valentino,  cuyo  honor 

Padecio  tal  atrevimiento 

De  una  ingrata  y  de  un  traidor  ... 


Doctor  Juan  Perez  de  Montalvan.  5g  j^ 

^  Doctor  Juan  Perez  de  Montalvan.  ^) 

No  hai  vida  como  la  honra^) 
(Kein  Leben  wie  die  Ehre). 

Duellehre   natürlich!    und   nebenbei  die  in   der  Gattin  ge- 
kränkte und  wieder  nur  durch  Zweikampf  und  Tödtung  des  Be- 


1)  Uns  schon  als  erster  Biograph  von  Lope  de  Vega  rühmlich 
bekannt.  Geboren  zu  Madrid  1602,  Sohn  des  Alonso  Perez  de  Montalvan, 
Privatbibliothekar  des  Königs.  Studirte  zu  Alcalä,  gradnirte  als  Doctor 
der  Theologie,  wurde  im  Alter  von  23  Jahren  Priester,  und  bekleidete 
das  Amt  eines  apostolischen  Notars  der  Inquisition.  In  so  vieler  Eück- 
sicht  eine  Miniatur  seines  grossen  Vorbildes  und  Lehrers,  Lope  de  Vega, 
kam  ihm  Montalvan  auch  darin  nach,  dass  er  schon  mit  13  Jahren  in 
Prosa  und  Versen  zu  Schriftstellern  begann.  Solche  Frühproducte  sind: 
Las  novelas  ejemplares  (Madrid  1624),  'Vida  y  purgatorio  de 
san  Patricio'  (Leben  und  Fegefeier  des  h.  Patricius)  (Madrid  1627).  Die 
Fama  postuma  erschien  1636.  Er  schrieb  an  60  Comedias  und  Autos, 
wovon  der  I.  und  IL  Band  erst  nach  seinem  Tode  (1639)  erschienen,  ver- 
schiedene andere  nicht  im  Druck  erschienene  Werke  ungerechnet.  Mon- 
talvan starb  an  einer  Hirnkrankheit  infolge  übermässiger  Geistesarbeiten 
1638,  36  Jahr  alt. 

1619  fing  Montalvan  an,  für  die  Bühne  zu  schreiben,  1624  erschien 
sein  Poem  *E1  Orfeo  en  lengua  castellana',  der  berühmten  portu- 
giesischen Dichterin  Dona  Bernarda  Perreira  dela  Gerda  gewid- 
met. Nicol.  Antonio  behauptet  ohne  allen  Grund,  Lope  de  Vega  habe 
dieses  Poem  dem  Montalvan  zum  Geschenk  gemacht.  Die  erwähnten  Nov. 
ejempl.  gab  Montalv.  1624  unter  dem  Titel  heraus:  'Sucesosyprodigios 
de  amor'  (Erfolge  und  Wunderwürdigkeiten  der  Liebe),  die  acht  Auflagen 
erfuhren.  Zu  seinen  berühmtesten  Schriften  gehört  'Para  todos'  (1632) 
(für  Alle),  ein  Mischmasch  von  Abhandlungen  über  wissenschaftHche,  mo- 
ralische, göttliche  und  menschliche  Gegenstände,  worin  vier  Comedias  und 
zwei  Autos  sacram.  eingeschaltet*),  nach  den  7  Tagen  der  Woche  ver- 
theilt,  ein  Heptaemeron.    Die  Schrift  erlangte  sechs  Auflagen  in  zwei  Jah- 


2)  ,,Er  schrieb  dasselbe,  nachdem  eines  seiner  Stücke  ausgepfiffen 
worden  war,  zu  seiner  Ehrenrettung,  und  hatte  einen  so  glücklichen  Er- 
folg damit,  dass  es  viele  Tage  hintereinander  auf  beiden  Theatern  mit 
gleichem  Beifall  aufgeführt  wurde."  v.  Schack  a.  a.  0.  551. 

*)  Para  todos.  Exemplos  morales,  humanos  y  divinos,  en  que  se 
tratan  diversas  ciencias,  materias  y  facultades  repartidas  en  los  siete  dias 
de  la  semana.  Madrid  1632.  Einige  Notizen  daraus  bei  H.  v.  Schack  a.  a. 
0.  542. 

X.  36 


562  -^^s  spanische  Drama. 

leidigers  hergestellte  Gatteuehre  und  befriedigter ,  Männerstolz. 
Wegen  Duells  sitzt  der  blutarme,  aber  durch  Ahnen-  und  Duell- 
blut reiche  Don  Carlos  Osorio^  im  Gefängniss  und  in  Ket- 
ten. Das  Duell  ist  aber  nur  ein  vorläufiges,  das  Carlos  als  Be- 
günstigter von  Dona  Leonor,  die  er,  nach  spanisch  ständiger 
Komödienweise,   bei  einer  verunglückten  Spazierfahrt  aus   dem 


ren,  im  Ganzen  zwölf,  und  rief  die  heftigste  literarische  Fehde  hervor, 
mit  einem  Kreuzfeuer  von  Satiren  und  Apologieen.  Den  Kampf  eröffneten 
Francisco  de  Quevedo  mit  seiner  buntscheckigen,  leidenschaftlichen 
Diatribe:  Perinola,  die  ihrerseits  wieder  eine  endlose  Eeihe  virulenter 
Gegenbeschuldigungen  zurfolge  hatte.  Die  literarischen  Skandale,  die 
Goethe,  SchiUer,  Heine  oder  etwa  die  Coterie  Swift-Pope  ihrer  Zeit  er- 
regten, kommen  dagegen  kaum  in  Betracht,  Den  zweiten  Theil  von  Mon- 
talvan's  *Para  todos'  erstickte  sein  Tod  in  der  Wiege.  Die  im  Para  todos 
enthaltenen  Theaterstücke  sind;  El  segundo  Seneca  de  Espana, 
(Philipp  II.)  y  Principe  don  Carlos.*)  'No  hay  vida  como  la  honra' 
(wovon  wir  eine  Skizze  geben).  'De  un  Castigo  dos  Venganzas' 
(Zwei  Rachethaten  für  eifie  Bestrafung).  Das  Auto  sacram.  el  Poli- 
femo**)  mit  der  Jahreszahl  1628.  La  mas  constante  (Das  standhafte 
Weib). 

Von  seinen  in  zwei  Theil en  (Valencia  1652)  erschienenen  Dramen 
begnügen  wir  uns  zu  erwähnen:  Tome  primero  Alcalä  1638.  Los 
templarios  (Die  Templer).  Amor,  privanza  y  castigo,  y  fortunas 
de  Seyano  (Liebe,  Gunst  und  Strafe,  und  Glückswechsel  des  Sejanus). 
Tragedia.  El  Senor  don  Juan  de  Austria.  Los  amantes  de 
Teruel.***)  Tomo  segundo.  Madrid  1638.  (Fajardo).  Don  Florizel 
de  Niquea.  Segunda  parte  del  Seneca  de  Espaila.  Despreciar 
lo  que  se  quiere  (oder  Despreciarse  por  quererse  Sich  verschmä- 
hen, um  sich  zu  lieben.  Motiv  von  Moreto's  Desden  con  el  Desden).  Die 
weiteren  Dutzende  von  Montalvan's  Comedias  sueltas  —  von  solchen,  die 
in  den  verschiedenen  Sammlungen  zu  finden,  von  den  handschriftlichen  in 
den  spanischen  Bibliothehen ,  nämlich  in  der  berühmten  des  Duque  de 
Osuna  —  dieser  verwunschenen,  im  Zauberschlaf  des  Handschriftenthums 
begrabenen,  ihrer  Erlösung  entgegenharrenden  Prinzessin  —  bleiben  für 
uns  ägyptische,  in  Mumiensärgen  aufbewahrte  Papyrusrollen. 


1)  Naci  hidalgo  como  el  Rey 

Mas  tan  pobre,  que  mi  corro. 

*)  Das  motiwerwandte  Drama  von  Diego  Ximenes  de  Enciso  behalten 
wir  uns  zur  Besprechung  vor.  —  **)  Allegorisch  mystischer  Polifemo,  der 
den  Teufel  vorstellt,  ülysse  Jesus  Christus,  Galatea  die  menschliche 
Seele  u.  s.  w.  —  ***)  Inhaltsauszug  bei  v.  Schack  a.  a.  0. 


Montalvan's  Com.  No  hay  vida  etc.  563 

Wasser  gerettet,  gegen  einen  in  die  Komödie  nicht  weiter  ein- 
greifenden und  von  ihr  wie  von  Dona  Leone r  unbeachtet  ge- 
bliebenen Nebenbuhler  bestanden  hatte.    Das  eigentliche  Duell 
der  Verwickelung  und  Entwickelung  ficht  Carlos  aus,  als  Ehren- 
retter seiner  mit  ihm  heimlich  vermählten,   von   ihm  aus  dem 
Wasser  gezogenen  Gemahlin,  Dona  Leone r,  mit  dem  Conde 
Astolfo,  des  Virey  (Vicekönigs)  nahen  Anverwandten,  den  er 
im  Zweikampf  tödtet,  als  Geächteter  fern  von  seiner  Gattin  um- 
herschweift, und  schliesslich,  behufs  Erwerbung  des  auf  seinen 
Kopf  gesetzten  Preises,  sich  selbst  der  Blutrache  und  dem  Ge- 
richte  des  Virey  stellt,   um   mit  dem   eigenen  Blutgeld  seine 
durch   den  Tod  ihres  Vaters   in   bittere  Noth   und  Armuth  ge- 
stürzte Gattin  Leonor  aus   ihrer  Bedrängniss  zu  reissen.    Ge- 
rührt von  solcher  ehetreuen  Eitterlichkeit  und  mannhaften  Ehren- 
rache, verzeiht  der  Virey  nicht  nur  dem  Mörder  seines  Neffen  — 
der  grossmüthige  Verzeiher  schenkt  auch  noch  dem  tapferherzigen 
Ehe-  und  Ehrenritter  den  doppelten  Betrag  des  Kopfpreises  in  die 
Ehe.  ^)  Nach  gewohnter  Art  schlingt  sich  durch  die  Haupthandlung, 
oder  läuft  vielmehr  als  Sahlband  und  Saumverzierung  eine  Parallel- 
liebesbrautschaft  um  das  Komödiengewebe  her,  in  dem  Liebes- 
paare Don  Fernando  Centellas  und  Dona  Estela,  Dona 
Leonor's  Cousine,  die  den  mit  seiner  Base  Leonor  versproche- 
nen Don  Fernando  Centellas  aus  Zaragoza  in  ihr  Netz  ein- 
fängt.   Fernando's  Bekanntschaft  macht  Don  CarlosMmGe- 
fängniss,  wohin  der  mit  Leonor,  dem  Don  Carlos  unwissentlich, 
verlobte  Vetter  aus  Zaragoza  mit  seinem  Diener  Teodor  ge- 
bracht worden,  auch  er,  selbstverständlich,   wegen  eines  gleich 
nach  seinem  Eintreffen  in  Valencia  mit   einem  Unbekannten  auf 
der  Strasse  ausgefochtenen  Duellhandels,  welchen  Unbekannten 
Don  Fernando  mit  Koth  bespritzte,    welchen  Koth  besagter 
Unbekannte  nur  mit  dem  Blut  des  Bespritzers  abzuwaschen  sich 


1)       Virey,       No  he  visto  resolucion 

Tan  honrada  y  tan  briosa  .  .  , 
Que  como  Carlos  lo  dice, 
No  hay  vida  como  la  honra 
Digo  que  ä  Carlos  perdono  .  .  . 
Lo  prometido  le  doblo. 

36  =♦ 


564  ^^^  spanische  Drama. 

in  seinem  Gewissen  verpflichtet  glaubte  i),  welchen  Spritzfieck  der 
Unbekannte  aber  durch  sein  eigenes  Blut  nur  vergrösserte,  wofür 
Fernando  ä  son  debotte  in's  Geföngniss  wanderte,  in  welchem 
Gefängniss  er  den  parallelen  Leidensgenossen,  Don  Carlos,  mit 
dessen  parallelem  Diener,  Tristan,  vorfand,  welcher  Don  Car- 
los, beim  Kartenspiel,  dem  unbekannten  Leidensgenossen  wegen 
Duells  mit  einem  Unbekannten,  sein,  gelegentlich  von  Casandra's, 
(Maskirname  für  Leonor)  Kettung  durch  ihn  vom  Ertrinken  in 
ihrer  von  scheuen  Pferden  in  den  Fluss  geworfenen  Kutsche, 
bestandenes  Duellabenteuer  in  ein^r  2V2  Folio-Columnen  langen 
Schilderung  erzählt,  auf  die  Gefahr,  mit  d^m  dritten  Unbekann- 
ten, dem  ihm  unbekannterweise  mit  Leonor  von  ihrem  Vater  zu- 
gesagten Don  Fernando  aus  Zaragoza  ein  Eivalenduell  zu  be- 
kommen, das  nur,  dank  Estela's  den  Saragosser  haschendem 
Schmetterlingsnetzbeutel,  vermieden  wird.  Erfährt  nun  noch  der 
Leser  den  Charakter  des  vom  Conde  Astolfo,  Neffen  des 
Virey,  der  Leonor  dadurch  zugefügten  Schimpfes,  dass  er  sich 
nächtlicherweise;  infolge  einer  Verwechslung  im  Finstern  mit 
Don  Carlos,  in  Leonofs  Schlafgemach  eingeschlichen,  wo 
Don  Carlos  den  Vermummten,  von  seiner  heimlichen  Gattin 
Leonor  für  Carlos  gehaltenen,  und  nahezu  mit  allen  Accidenzen 
und  Dependenzen  als  ihren  geheimen  Gatten  behandelten  Conde 
Astolfo  betrifft,  entlarvt  und  im  Zweikampf  tödtet  —  hat  der 
Leser  auch  diesen  in  der  spanischen  Komödie  heimischen  Um- 
stand erfahren:  so  versehen  wir  uns  zu  seiner  Nachsicht  des 
freundlichsten  Erlasses  einer  Analyse ,  um  so  gewisser,  als  der 
Losspruch  auch  ihm,  dem  geneigten  Leser,  eine  ausnahmsweise 
Euhepause  vom  rastlosen  Wälzen  des  Sisyphus-Steines  der  Ana- 
lysen vergönnt.  Kein  Leben  wie  ein  bischen  Ausruhe  vom  Stein- 
wälzen über  den  Berg  Montalvan! 


1)  Sobre  salpicar  ä  un  hombre. 


Mira  de  Mescua.  565 

Mira  de  Mescua.^) 

Galan,  valiente  y  discreto. 

Um  den  Titel  dreht  sich  die  Komödie  so  lange,  bis  derselbe 
in  dem  spanischen  Caballero,  Don  Fadrique,  zu  Fleisch  und 

1)  Die  biographischen  Notizen  über  den  Doctor  Don  Antonio  Mira 
de  Mescua  oder  Arnes cua  sind  äusserst  sparsam.*)  Das  Licht  der 
Welt  erblickte  er  um  1570  zu  Guadix  (Cadix),  wo  die  mythische  Geogra- 
phie der  Griechen  die  Sonne  als  geschmolzene  Erzkugel  im  Ocean  unter- 
tauchen lässt  mit  zischendem  Geräusch.  In  Neapel  gehörte  er  zu  dem 
Hofdichterkreise**),  welcher  sich  um  den  berühmten  Conde  de  Lemas 
(Don  Pedro  Fernandez  de  Castro)  bewegte  —  zumeist  durch  seine  dem 
Cervantes  gewidmete  Gönnerschaft  berühmt  —  zur  Zeit,  da  Conde  de 
Lemas  als  spanischer  Vicekönig  zu  Neapel  residirte  (1610).  Nach  Spanien 
zurückgekehrt,  wurde  unser  Doctor  Mira  de  Mescua  zum  Caplan  des  katho- 
lischen Königspaars,  und  späterhin  von  König  Philipp  IV.  zu  seinem 
Ehren-Caplan  (capellan  de  honor)  in  Madrid  ernannt,  wo  er  1635,  dem 
Todesjahr  von  Lope  de  Vega,  starb.  ***)  Mehr  als  diese  Leichenstein-Bio- 
graphie haben  seine  Lobpreiser,  Cervantes  f),  Montalvan  und  Nicolas 
Antonio  tt)  nicht  verzeichnet.  Auch  Don  Petro  Suarez  in  seiner  'Historia 
de  Guadix  y  de  Baza'  ttt)  hat  keinen  weitern  Lebenszug  zu  Mescua's  bio- 
graphischem Porträt  geliefert.*!)  Ein  desto  vollständigeres  geistiges 
Ebenbild  hat  er  selbst  in  seinen  Dichtungen  hinterlassen,  die  ihn  als  ei- 
nen der  vorzüglichsten  Lyriker  Spaniens  und  unter  den  zeitgenössischen 
Schülern  und  Nacheiferern  Lope  des  Vega's  als  einen  durch  Geschmack 
und  Feinheit  des  Geistes  ausgezeichneten  Bühnendichter  zu  erkennen  ge- 
ben. Mescua's  in  Einem  Bande  erschienene  Schauspiele  sind  folgende: 
La  hija  de  Carlos  V.  (Die  Tochter  Carls  V.).  Vida  y  muerte  de  San 
Lazaro  (Leben  und  Tod  des  h.  Lazarus).   El  rico  avariento  (Der  reiche 

*)  vgl.  Dramat.  Contemp.  de  Lope  de  Vega  etc.  par  Don  Ramon 
de  Mesonero  Romanos  t.  IL  (Bibl.  de  Aut.  Esp,  L.  45).  Apuntes  biogr. 
p.  VII f.  —  **)  Darunter  die  beiden  Argensolas,  Anton,  de  Larcedo  y 
Coronel,  der  Entremeses-Dichter  Barionuevo  u.  A.  m.  —  ***)  Suarez 
lässt  ihn  1640  in  Cadix  sterben.  —  f)  Viage  del  Parn.  und  Prologo  zus  einen 
Comedias:  ,,la  gravedad  del  doctor  Mira  de  Mescua  honra  singolar  de 
nuestra  nacion".  Lope  erwähnt  seiner  mit  grossen  Lobsprüchen  im  Fest- 
spiel des  San  Isidoro  (Bd.  X.  S.  607  f.)  ,,sus  comedias  ingeniosas  ven- 
cen  arte  a  Terencio".  In  der  *E1  J ardin  de  Lope'  überschriebenen 
Epistola  äRioja;  in  Silva  2  des  ^Laurel  de  Apolon'.  —  ft)  B.  nov.  1.  An- 
tonio Nicol.  stellt  ihn  dem  Lope  de  Vega  an  die  Seite.  —  fft)  P-  323.  — 
*t)  Leirado  spinnt  die  wenigen  Data  nur  paraphrastisch  aus  (Mira  de 
Mescua). 


566  Das  spanische  Drama. 

Bein  wird,   welcher  allein  von  seinen  drei  Mitwerbern  um  die 
Hand  der  Duquesa  de  Mantua,  die  Duques  de  Ferrara, 


Geizhals).  Lo  que  puede  una  sospecha  (Was  ein  Argwohn  vermag). 
El  esclavo  del  demonio  (Des  Teufels  Sklave).  El  Conde  Alarcos 
(Graf  Alarcos).  El  hombre  de  mayor  fama  (Der  hochberühmte  Mann). 
El  negro  del  mejor  amo  (Der  Negersklave  des  besten  Herrn),  Las 
Lises  de  Francia  (Die  Lilien  Frankreichs).  Los  Carboneros  de 
Francia  (Die  Köhler  von  Frankreich).  Desgracias  del  rey  don  Al- 
fonsoelCasto  (Missgeschicke  des  Königs  Alfonso  d.  Keuschen).  Obligar 
contra  su  Sangre  (Verpflichten  gegen  sein  eigenes  Blut).  Aus  Mescua's 
zerstreuten  Theaterstücken  wählte  DonRamon  de  Mesonero  Romanos 
für  die  Bibl.  de  Aut.  Esp.  fünf  der  besten  aus:  La  Eueda  de  la  Fortuna 
(Das  Rad  der  Fortuna),  Vorbild  von  Calderon's  *En  esta  vida  todo  es 
verdad  y  todo  es  mentira  (In  diesem  Leben  ist  Alles  Wahrheit  und 
Alles  Lüge),  den  wieder  der  grosse  Corneille  in  seinem  Heraclius  copirte, 
welcher  Heraclius  indessen  eine  noch  grössere  Verwandtschaft  mit  Mescua's 
^Glücksrad'  darweist,  so  dass  der  grosse  Corneille  wohl  auch  einen 
grossen  Griff  in  Mescua's  Glückstopf  der  Fortuna  gethan  haben  k5nnte. 
Mescua's  zweite  von  Mesonero  Romanos  gewählte  Comedia  ist:  Galan 
valiente  y  discreto,  von  Alarcon  in  seinem  *Examen  de  los  Maridos' 
(Prüfung  der  Ehemänner  oder  Männerprobe)  nachgeahmt.  Unser  Heraus- 
geber erklärt  diese  Komödie  des  Mescua  für  eine  der  schönsten  des  alten 
spanischen  Theaters  (vom  16.  und  17.  Jahrb.).  *)  Unser  Leser  mag  nun 
selbst  prüfen,  ob  er  diesem  Urtheil  beipflichten  kann.  Noch  andere  von 
Mescua's  Stücken  haben  Nachahmungs-Liebhaber  in  den  hervorragendsten 
spanischen  Bühnendichtern,  ausser  den  genannten,  an  Cancer  undMatas 
Fragoso,  gefunden,  in  der  von  ihnen  mit  Moreto  gemeinschaftlich  ver- 
fassten  hochberühmten  Comedia:  *Caerpara  levantar'  (Fallen  um  sich 
zu  erheben),  welche  nur  eine  getreue  Umarbeitung  von  Mescua's  Stück:  'El 
esclavo  del  demonio  (Der  Sklave  des  Teufels)  ist.  Guillen  de 
Castro,  der  als  Komödien-Marder  ab  und  zu  Lope's  Taubenschlag  und 
Hühnerhof  beschlich,  verschmähte  es  nicht,  auch  zuweilen  bei  Mira  de 
Mescua  zu  marodiren;  ingleichen  der  grosse  Tirso  de  Molina,  Stollen  von 
seinem  Bergwerk  aus  in  das  unseres  Doctors  zu  legen.  Mescua's  treffliche 
Comedia:  *La  Fenix  de  Salamanca',  die  wir,  gestattet  es  die  Göttin 
Gelegenheit,  zu  Markte  zu  bringen  gedenken,  —  auch  Mescua's  Fenix  hat 
der  grosse  Kunstmeister  der  spanischen  Schaubühne,  Calderon,  in  ver- 
schiedenen seiner  aus  aromatischen  Reisern  und  Hölzern  erbauten  und  mit 
Auto  -  da -fe- Flammen  zu  Phönix- Wiegengräbern  entzündeten  Comedia- 
Nestern,  —  als  da  sind:   *La  Dama  duende  (Dame  Kobold),  'El  Magico 


*)  La  de  Galan  valiente  y  discreto   es,   ä  mi  juicio,  una  de 
bellas  comedias  del  antiguo  teatro.  p.  X, 


Mira  de  Mescua's  Com.  Galan,  val.  y  discr.  5&7 

Parma  und  ürbino,  in  den  Augen  der  ehescheuen  ^)  Duquesa, 
die  den  Komödientitel  bildenden  und  Herzl  und  Haüd  der  Du- 
quesa  erobernden  drei  Eigenschaften  in  sich  vereinigt. 

Um  die  vier  Freier  auf  den  Komödientitel  zu  prüfen,  ein 


prodigioso'  (Der  Wundertliätige  Zauberer),  'El  Escondido  y  la  Ta- 
pada'  (Der  Verborgene  und  die  Verschleierte)  —  als  seinen  Sonnenvogel 
verbrennen  und  in  neugeborner  Pracht  auffliegen  lassen.  Kurz,  so  man- 
ches über  die  spanischen  Bretter  rollende,  mit  den  Brustbildern  der 
grössten  Dramatiker  gestempelte  Goldstück  ward  aus  unseres  Doctors  und 
Ehrencaplans  Barren  geprägt  —  dem  jus  talionis  freilich  gemäss,  als  Ent- 
gelt für  das  geprägte  Gold  und  Silber,  das  Mescua  aus  dem  Schatzhause 
des  Croesus  der  Komödienerfindung,  des  Lope  de  Vega,  ausgeführt.  Das 
ist  nun  einmal  das  altherkömmlich  von  der  licentia  poetica  und  dem 
Quidlibet  cudendi  semper  fuit  aequa  potestas  ertheilte  Dichter-Privilegium. 

Als  episch -lyrischer  Dichter  zeichnete  sich  Mira  de  Mescua  vor- 
zugsweise durch  sein  Poem  Acteon  und  Diana  von  58  Octaven  aus.**) 
Viele  von  Mescua's  Theaterstücken  finden  sich  zerstreut  in  verschiedenen 
Sammlungen  von  spanischen  Dramen,  und  anderen  Dramatikern  zuge- 
schrieben. Wie  z.B.  Mescua's  Drama:  *La  Judia  de  Toledo'  (Die  Jü- 
din von  Toledo),  auch  'La  desgraciada  Eaquel*)  (Die  in  Ungnade 
gefallene  Eachel,  Geliebte  Alfonso's  V.).  'El  animal  Profeta',  *Las 
desgracias  del  ßey  Don  Alonso  el  Casto',  *E1  Ejemplo  major 
de  la  desdicha,  y  Capitan  Belisario'.***) 

Unter  Mescua's  Autos  sacramentales  und  el  nacimiento  de  Cristo 
(Weihnachtsspiele)  sind  hervorzuheben:  'La  mayor  soberbia  humana 
de  Nabucodonosor',  'Las  pruebas  de  Cristo'  etc.  (in  der  Samm- 
lung: Aul  sacramentales  etc.  Madrid  1675.)  Comedias  in  der  Madrider 
Sammlung  u.  A.:  'Lo  que  puede  una  sospecha'  (Was  ein  Argwohn 
vermag).  'El  negro  del  mejor  amo'  (Inhaltsangabe  bei  v.  Schack  IL 
S.  460).  *No  hay  burlas  con  las  mugeres,  6  casarsa  y  vengarse' 
(Mit  den  Frauen  ist  nicht  gut  spassen,  oder  heirathen  und  sich  rächen). 
'El  esclavo  del  demonio*.    (Das  Argument  bei  Schack  a.  a.  0.) 


1)  El  no  inclinarme  a  casar, 

Y  haberlo  de  hacer  per  fuerza. 

*)  Bei  Bohl  de  Faber  im  dritten  Theil  s^einer  Floresta.  —  **)  Das 
Manuscript  hatte  Ticknor  in  Händen.  Abgedruckt  in:  Com«diäs  nuevas 
de  los  mas  celebres  autores.  Amsterd.  1726,  dem  Diamante  zuge- 
schrieben. —  ***)  Dem  Lope  de  Vega  sämmtlich  beigelegt:  Fünfter 
Theil  der  Comed.  de  Lope  de  Vega.  Sevilla,  der  'Capitan  Bei isario', 
auch  abgedruckt  im  sechsten  Theil  der  Comedias  escogid.  de  los  mejores 
ingeniös  de  Espana.   (Zargoza  1653  u.  54). 


568  I^as  spanische  Drama. 

Examen  rigorosum  mit  ihnen  anzustellen  i) ,  braucht  die  D  u- 
quesa  zwei  Kunstgriffe:  Sie  veranstaltet  erstens  ein  Blumen- 
spiel, wobei  jene  Eigenschaften  gleichsam  im  Transparent  zum 
Vorschein  kommen  sollen 2),  und  tauscht,  zweitens,  in  der  Ab- 
sicht, ihre  Mitbewerber,  während  sie  selbst  unerkannt  bleibt, 
besser  beobachten  zu  können,  Person  und  Stand  mit  ihrer  Vertrauten, 
Porcia^),  dergleichen  Selbstvertauschungen  wir  schon  in  ver- 
schiedenen Komödien  von  Königen  und  ihren  Vertrauten  vornehmen 
und  durchführen  sahen.  DonPadrique  trägt  den  abzuschiessen- 
den  Vogel  vorweg,  durch  seines  Dieners  Flor  es  Verdienst,  in 
der  Tasche,  welcher,  als  Narr  (Loco)  und  als  „Galan  Gra- 
cioso"  von  der  Du  quesa  in  Dienst  und,  Brod  genommen 
wird,  und  so  in  die  bequeme  Lage  kommt,  unter  dem  Namen 
Eoque,  das  geheime  Spiel  der  Du  quesa  seinem  Gebieter  D  0  n 
Fadrique  zu  verrathen^),  und  ihn  wider  alles  Spielrecht  — 
auch  Komödienrecht  —  gegen  seine  Mitbewerber  um  Titel  und 
Duquesa,  die  drei  Duques,  in  Vortheil  zu  setzen.  Das  Blumen- 
festspiel leitet  die  Komödie  als  Blumenfee  durch  Scenen  ein, 
die  in  dem  Blumenballet  'Thea'  mitspielen  und  mitspringen  könn- 
ten. Der  Duquesa  verzückungsvolle  blumenberauschte  Verherr- 
lichung ihres  Gartens,  worauf  dann  die  vier  Prätendenten  in  dem 


1)  Duquesa.     Hacer  imagino  ya 

ün  examen  rigoroso 

De  todos  mis  pretendieutes. 

2)  Duquesa.      El  que  inclinarme  quisiere 

Sea  soio  el  que  tuviere 
Gala  ingenio  y  Cortesia  .  .  . 
Tambien  le  quiero  valiente. 

3)  Que  eres,  Porcia,  la  Duquesa, 

Y  que  yo  la  Porcia  soy. 

4)  Flor  es.         Fingime  loco,  y  mandöme 

Que  en  su  casa  y  corte  asista; 

Y  asi  de  sus  esperanzas 
Tengo  de  ser  uua  spia  .  .  . 

Fadrique.    Si  me  industrias,  si  me  avisas 

De  lo  que  pasa  in  palacio, 

La  duquesa  ha  de  ser  mia. 
Heisst  das  nicht  mit  gefälschten  Würfeln  spielen?  und  den  Titel,   seinen 
Anspruchstitel    auf    die   Hand    der    Duquesa,    von    vornherein    compro- 
mittiren  ? 


Irrgarten-Spiele.  569 

von  der  Duquesa,  von  ihrem  Blumenlyrismus ,  und  von  den 
wirklichen  Kindern  der  Flora  düftegeschwängerten  Irrgarten  um- 
hertaumeln, ihre  floralischen  Parenthyrsen  als  Huldigungsweih- 
rauch mit  vollen  Backen  von  sich  blasend;  Duque  ürbino  mit 
scimeeigem  Jasmin,  Parma  mit  der  Liebesgöttin  grünem  Guirlan- 
denreise,  der  Myrthe,  Per  rar  a  mit  dem  blüthendurch  würzten 
Springbrunnen,  als  Eau  de  mille  fleurs,  opfernd,  und  DonPadri- 
que,  der,  als  Triastitelfactotum,  die  drei,  aus  Blumenanbetern  zu 
Sonnenanbetern,  zu  Heliotropen  oder  Helianthen  sich  berauschenden 
Duques  und  ihren  Huldigungstaumel  einschlürft  und  in  den  wohlrie- 
chenden Wasserstrahlen  von  sich  sprüht.  ^)  Der  Inbegriff  aller  Blu- 
men, der  Gartengott  und  Blumennamensheilige  in  Einer  Narrenfigur, 
derLoco  und  Galan  Plores,  verspottet  die  sämmtlichen  vier  Preier, 
die  ihm  wie  höfische  Pflöcke  und  Klötze  vorkommen  2),  vier  mit 
Blumen  umwundene  trunci  ficulni,  von  denen  drei  seine,  des  Narren 
Plores,  Blumennarren  sind.  Wozu  sie  das  nun  eröffnete  Blumen- 
festspiel vollends  stempelt,  wo  der  Spanier  Don  Padrique,  Vet- 
ter des  Königs  Alfonso,  und  anwartschaftlicher  Komödientitelan- 
sprecher,  sonst  aber  mittellos  und  arm  wie  eine  Kirchenmaus, 
die  erste  der  Drei  Titelblumen  zum  Hochzeitsstrausse,  das  Blüm- 
chen „Prauenhold",  „Galan",  pflückt,  dank  dem  Galan  Gra- 
cioso,  Plores,  der  ihm  das  Blumenspiel-Geheimniss  durch  die 
Blume  zu  riechen  giebt,  und  dank  den  duftenden  Anspielungs- 
huldigungen, die,  im  Cancionero-Blumenstyl ,  Don  Padrique, 
der  in  der  Blumenmaske  Por  cia  verwandelten  Duquesa  Sera- 
fina  delirirend- verzückt  und  seelenverhauchend-narcissisch  vor- 
blümelt.  ^)  Hiermit  hat  die  erste  der  drei  Jornaden  die  erste  der 
Eigenschaften  in  Don  Padrique's  Titelanspruch  hinter  sich. 

Don  Padrique  wird  in  der  zweiten  Jornada  mehr  und 
mehr  zu  einem  im  Liebesirrgarten  umhertaumelnden  Caballero, 
worin  die  zwei  Ariadnes,  Duquesa  und  Porcia,  ihn  an  einem  aus 


1)  Sombras  seis  de  serafina 
Cristales,  murtas  y  rosas. 

2)  Flor  es.      Majaderos  cortesanos 

Los  cuatro  me  pareceis. 

3)  Quien  mis  dehrios  acuerde  .  .  . 
Porque  solo  estä  en  razon 
Quien  por  vos  el  seso  pierde. 


570  -Das  spanische  Drama. 

Blumenfaden  gesponnenen  Faden  hin  und  her  gängeln,  anstatt 
ihn  aus  dem  Labyrinth  zu  leiten.  Duquesa  fühlt  Liebesneigung 
für  Don  Fadrique  in  ihrem  ehescheuen  Busen  keimen,  will  sie 
aber  vorläufig  noch  unterdrücken,  i)  Porcia,  die  verstellte  Du- 
quesa, befindet  sich  in  dem  irrlichtelirenden  Fall:  sie  will  ihre 
Liebe  für  den  Spanier  unterdrücken,  weil  er  sie,  als  Schein- 
Duquesa,  verschmäht,  und  zugleich  ihn  lieben,  weil  er  doch  in 
der  Duquesa  eine  Schein-Porcia,  nominell  also,  wenigstens  liebt,  ^j 
Eine  proven9alische  Blumenspiel-Komödie  von  spitzfindiger  Lie- 
bes-Casuistik,  die  freilich  das  Grundmuster  des  spanischen  Dra- 
ma's  überhaupt  bildet.  Die  Casuistik  zeigt  sich  in  dem  Contro- 
versfall,  der  daraus  entsteht,  dass  P^orcia  ein  Papier  fallen  lässt, 
das  Fadrique  aufzuheben  verschmäht,  der  aber  gleich  darauf 
den  von  der  Duquesa,  behufs  Galanterieliebesprobe,  fallen  ge- 
lassenen Handschuh  aufhebt,  die  Duquesa  aber  anzunehmen 
weigert.  Don  Fadrique  zupft  nun  in  einer  Soloscene  an  den 
Pingerspitzen  des  Handschuhs,  als  wär's  eine  Sternblume,  die 
ganze  Controverse  des  Fragespiels  kurz  und  klein:  „liebt  sie, 
liebt  sie  nicht?"  Ob  nämlich  das  Nichtannehmen  des  aufgeho- 
benen Handschuhs  vonseiten  der  Duquesa  ein  Zeichen  ihrer  Lie- 
besgunst oder  Ungunst  sey.  Die  Wagschaalen  der  Argumente 
schwanken  in  paralleler  Schwebe  ^) ,  wie  die  beiden  Lappen  des 
spanischen  Gehirns  überhaupt.  Das  Argument  der  zweiten 
Jornada  aber,  die  Probe  auf  das  'Discreto',  kündigt  Fl  eres 
dem  Don  Fadrique  an  %  mit  den  betreffenden  Anweisungen  zum 
unfehlbaren  Bestehen  der  Probe.  Von  den  drei  Mitfreiern,  den 
Duques,  nimmt  Fl  eres  gewissenhaft  die  Geschenke  an  für  die 
Gegengefölligkeit,  jeden  von  ihm  eine  Antwort  von  der  Duquesa 
auf  sein  Liebesbriefchen  zu  bringen,  ohne  sich  ein  Gewissen  aus 

1)  Mas  soy  tan  duefia  de  mi, 

Que  he  de  vencerme  y  no  amar. 

2)  obligada  estoy 

Si  ama  a  Porcia  y  Porcia  son. 

3)  Ambos  argumentos  son, 
Que  estän  en  balanza  igual. 

4)  Esta  noche  hay  otro  examen: 
Saber  quiere  serafina 

Quien  es  mas  cuerdo  y  discreto. 


Probe-Frag&piel.  571 

der  pünktlichen  Bestellung  und  Gegenleistung  zu  machen.  Mit 
Leib  und  Seele  seinem  spanischen  Landsmann  und  Gebieter  er- 
geben, überlässt  er  diesem  sogar  die  von  den  Duques  erhaltenen 
Geschenke,  damit  DonFadrique,  als  ebenbürtiger  Mitbewerber 
,am  Braut-  und  Spielpreise,  mit  Equipage  und  Livreebedienten 
erscheinen  kann.  Vor  dem  zweiten  Probespiel  controverseln 
und  tenzoniren  die  ineinander  verlarvten  Liebespreis-Damen  eine 
Scene  lang  über  das  Thema  ihrer  gegenseitigen  erkünstelten 
Scheinconflicte ,  wobei  die  Komödie  und  das  Dramatisch-Komi- 
sche, wie  das  Streitobject  bei  rabulistischen  Processen,  in  die 
Rappuse  geht.  Vor  Beginn  der  Discreto-Probe  überreicht  Flores 
die  drei  Liebesbillets  der  Schein-Duquesa,  Porcia,  wovon  sie  die 
zwei  an  die  Schein-Porcia  gerichteten  billets  doux  zerreisst,  mit  der 
Aufforderung  an  die  Schein-Duquesa,  das  dritte  gleichfalls  zu 
vernichten.  Die  Schein-Porcia  fühlt  aber  ein  weibliches  Erbar- 
men mit  den  Papierchen  oder  Hühnchen,  und  fügt  sogar 
den  vier  Liebesver sehen  noch  zwei  hinzu,  und  lässt  die  zum 
Sechsvers  vermehrte  Strophe  von  den  'Musicos'  singen.  Das  hin- 
zugefügte Verspaar  fasst  die  Liebesklage  des  Huldigers  in  eine 
Anweisung  auf  Liebesewigkeit  zusammen,  welche  auf  die  calendas 
graecas,  auf  den  Mathaei  am  Letzten  und  die  aschgraue  Unend- 
lichkeit hinausläuft: 

Weinen,  seufzen,  lieben,  sterben, 

Kann  nur  Leben,  Gunst  erwerben,  i) 

Nun  legt  Porcia,  als  Schein-Duquesa,  zwei  Spielfragen  vor.  Die 
erste  lautet: 

Welche  Eigenschaft  eine  Frau  zumeist  ziere? 

ürbino:  edle  Geburt. 

Ferrara:  Schönheit. 

Fadrique:  Sittsamkeit. 

Zweite  Frage: 

Um  welcher  Eigenschaft  willen  würde  eine  vernünftige  Frau 


1)  Arno  sin  ser  entendido, 

Gimo  sin  ser  escuchado 
Lloro  sin  ser  consolado, 
Muero  sin  ser  conocido, 
Arne,  gima,  Uore  y  müera 
Quien  vida  y  favor  e&pera. 


572  I^as  spanische  Drama. 

einen  Mann  zumeist  lieben  und  wählen:  den  Galantesten,  Tapfer- 
sten oder  Klügsten? 

ürbino  erklärt  sich  für  den  Tapfersten. 

Perrara  für  den  Galantesten. 

Padrique  für  den  Verständigsten. 

Hiermit  hat  Don  Padrique  auch  den  Vogel  der  zweiten  Jor- 
nada abgeschossen.  Denn  der  Verständige  vereinigt  die  beiden 
andern  Eigenschaften:  Er  wird  zur  rechten  Zeit  galant  und  zu 
rechter  Zeit  tapfer  zu  seyn  verstehen,  i) 

Das  nachträglich  noch  von  Flore s  gefädelte  Blumen-  und 
Schärpen-Laufspiel,  derart  von  ihm  gedreht  und  abgewickelt,  dass 
Porcia  des  Padrique  Schärpe  erhält,  die  sie,  die  Schein- 
Duquesa,  der  Schein-Porcia  aus  Eifersucht  überlässt.  und  die 
dann  von  Padrique  in  zwei  parallele  Hälften  zerrissen  wird,  worin 
sich  Schein-Porcia  mit  Padrique  theilt  —  dieses  von  verblüm- 
ten Tifteleien  und  verschleiertem  Liebesgirren  durchwobene  Anhäng- 
sel-Zopfband der  zweiten  Jornada,  wollen  wir  ruhig  pendeln 
lassen,  und  Don  Padrique's  letzte  Probebestehung,  betreffs 
der  dritten  wahlwürdigen  Manneseigenschaft,  des  *Valiente',  uns 
ansehen  —  die  dritte  Probe,  der  Jornada  tercera  nach,  die 
zweite  im  KomödientiteL 

Diese  dritte  Prüfungs-Jornada  stellt  unsere  Geduld  mit  neuen 
Tifteleien  durch  die  Doppelsinn-Blume  auf  die  Probe,  veranlasst 
durch  ein  scheinbares  von  der  Schein-Porcia,  der  Duquesa  dem 
Duque  ürbino  angedeutetes  Huldzeichen,  dasDonPadrique's 
nicht  schein-  sondern  sichtbare  Eifersucht  über  des  ürbino  Be- 
werbung aus  heiler  Haut,  nicht  um  die  Schein-Duquesa,  und  wirk- 
liche Porcia,  wie  in  den  beiden  abgethanen  Jornadas,  sondern 
um  die  Schein-Porcia  und  wirkliche  Duquesa  Serafina  erregt. 


1)  I  Sabrä  ä  tiempo  ser  galan 

Sabrä  ä  tiempo,  ser  valiente. 
Das  spanische  'discrecion' und  ^discreto'  schliesst  aber  die  drei  Eigen- 
schaften in  sich,  wie  Fadrique  ausführt: 

La  discrecion  es  union 

De  todas  virtudes:  qne  es 

Cuerdo,  prndente  y  cortes 

El  que  tiene  discrecion. 


Don  Fadrique  der  leibhafte  Komödientitel.  573 

welcher  gegenüber  Don  Fadrique's  Eifersucht  nur  die  Wechsel- 
wahl zwischen  Tod  oder  Geduld  übrig  bleibt,  i)  Während  der 
Wechselwahl  erzählt  er  der  Angebeteten  den  Hergang  bei  einem 
Turnier,  worin  er,  in  Abwesenheit  der  Schein-Porcia,  bedeutende 
Valiente-Proben  abgelegt.  Dergleichen  in  den  Eingeweiden  der 
spanischen  Komödie  hausende  Schilderungs-Parasiten  kehren  im- 
mer wieder,  wie  die  abgetriebenen  Glieder  des  Bandwurms  aus 
dessen  sitzengebliebenem  Kopfe  sich  ergänzen,  vielleicht  in  des 
Orestes  poetischer  Erzählung  vom  Kampfspiel  zu  Delphi,  in  So- 
phokles' 'Elektra',  schon  sitzen  geblieben.  Inmitten  der  stück- 
weisen Abgänge  seines  Turnier-Schilderungs-Bandwurms  kommt 
Don  Fadrique  zwischendurch  auf  seine  Wechsel  wähl  zwischen 
Tod  und  Hoffnung  zurück.  Um  ein  Unglück  zu  verhüten,  er- 
klärt ihm  Schein-Porcia,  dass  die  ihr  vom  Duque  Urbino  zutheil 
gewordene  Huldigung  der  Schein -Duquesa  (Porcia)  gegolten, 
und  dass  er,  Don  Fadrique,  nur  ihr  zur  Bestellung  bereitwilliges 
Si,  „Ja",  vernommen,  welches  Si  Fadrique's  Eifersucht  als  eine 
Genehmigung  von  Duque  Urbino's  Liebeshuldigung  für  ihre,  der 
Schein-Porcia,  Person  ausgelegt.^)  Nun  entwickelt  sich  erst  die 
eigentliche  Valiente-Probe ,  und  mit  ihr  das  letzte  Stadium  un- 
serer Geduld-Probe.  Duquesa,  nämlich  Schein-Porcia,  wirft  ein 
Taschentuch  hin,  und  wie  Schreier's  Pudel  fallen  die  vier  Freier 
darüber  her,  um  es  zu  apportiren,  Don  Fadrique  kämpft  es  mit 
dem  Degen  den  Mitwerbern  ab  und  apportirt  das  Tuch  an  der 
Degenspitze  als  Valiente-Kitter  der  nun  aus  der  Schein-Porcia 
zur  Serafina  entpuppten  wirklichen  Duquesa,  die  entzückt 
ausruft : 

Lichtstrahl  ist  der  Don  Fadrique, 
Den  Gebieter  nennt  mein  Auge.  ^) 

Und  den  nicht  ihre  Augen  blos,  sondern  auch  ihr  Herz  und  Hand 
Gebieter  nennen,  als  den  Galan,  Discreto  y  Valiente  aus- 


1)  Por  eso  pido  al  amor 

Que  me  de  muerte  6  paciencia. 

2)  Si,  le  dije,  y  este  Si 
Escuchaste. 

3)  Es  un  rayo  Don  Fadrique 
Dueiio  mis  030s  le  Ueman. 


574  I^^s  spanische  Drama. 

schliesslich  und  schlechthin. i)  „Capricho"  immerhin!  Wenn  nur 
dein  Versteck-  und  Verlarvungs-Capricho,  durchlauchtigste  Schein- 
Porcia!  eine  wirkliche  —  keine  blosse  Schein-Comedia  wäre! 

La  Fenix  de  Salamanca. 

Dona  Mencia,  der  Phönix  von  Salamanca,  eine  reizende 
junge  Wittwe,  und  schon  als  solche  ein  aus  dem  verbrannten 
Ehebett-Neste  als  verjüngter  Heiraths-Phönix  auffliegender  Phö- 
nix —  hat  ihre  Vaterstadt  verlassen  und  zieht,  als  junger  Jo- 
hanniter verkleidet,  aus,  um,  unter  dem  Namen  Don  Carlos, 
ihren  ungetreuen  Liebesritter,  DonGarceran,  in  Madrid  aufzu- 
suchen. Vergebens  stellt  ihr  die  Begleiterin  Leonor,  die  sich 
Jaramillo  in  ihrer  Vermummung  nennt,  die  Gefahren  vor, 
denen  sie  sich  aussetzen.  Es  könnte  ihnen  z.  B.  begegnen,  dass 
sie  ein  Alcalde  auf  der  Galeere  spinnen  liesse,  trotzdem,  dass  sie 
der  Phönix  von  Salamanca.  ^) 

Des  Johanniter- Phönix  Dona  Mencia-Don  Carlos  erstes 
Abenteuer  in  Madrid  ist  die  Fensterbekanntschaft  mit  ihrer  Nach- 
barin Dona  Alejandra,,  die  an  dem  jungen  Ordensritter  Wohl- 
gefallen findet,  unbeschadet  ihres  Verhältnisses  mit  dem  Conde 
Horacio.  Beim  Einsteigen  zu  einer  Spazierfahrt  äussert  Ale- 
jandra den  verbindlichen  Wunsch,  sich  bald  längere  Zeit  der  an- 
genehmen Gesellschaft  des  Senor  Don  Carlos  erfreuen  zu  dür- 
fen. 3)     Don  ßeltran,   Alejandra's  Vetter  und   Bewerber  um 


1)  Mi  capricho  logro  asi 

Pues  a  un  amaute  la  (mano)  di 

Galan,  discreto  y  valiente. 
In  regelrechter  Jornada- Abf olge ,  worauf  der  Titel  zu  corrigiren  und  ein- 
zustellen, die  Epitheta  jedes  an  seinen  gebührenden  Ort. 

2)  Aunque  te  quieräs  Uamar 
La  Fenix  de  Salamanca; 
Que  ä  la  visita  primera, 
Sin  teuer  duelo  y  clemencia, 
ün  alcalde  nos  sentencia 

A  hilar  en  una  galera. 

3)  Deseo  con  mas  espacio 
Senor  Don  Carlos  gozar 
De  vuestro  pico. 


Mira  de  Mescua's  Com.  La  Fenix  de  Salam.  575 

ihre  Hand,  hat  auch  schon  ein  Haar  in  dieser  Nachbarschaft  ge- 
funden und  fragt  Alejandra's,  seine  Bewerbung  begünstigenden 
Bruder,  Don  Juan,  was  denn  eigentlich  dieser  Don  Carlos  sey, 
ob  ein  Ordensbruder  oder  Ritter.  ^)  Bald  erscheint  auch  auf  dem 
üblichen  Tummelplatz  der  spanischen  Komödie,  auf  der  offenen 
Strasse,  Dona  Mencia's  Liebesfiüchtling  auf  Freiers  Füssen,  Don 
Gare  er  an,  mit  seinem  Lacayo  Solano.  Das  zur  Mahlzeit  vom 
Markt  mitgebrachte  Geflügel,  das  Solano  dem  Gebieter  namhaft 
macht,  Capaun,  Schnepfen  u.  s.  w.,  lässt  sich  Don  Garceran 
gefallen,  nur  den  Vogel  Phönix  von  Salamanca,  auf  den  Solano 
anspielt,  verbittet  sich  der  Caballero  2),  aus  Schwermuthsgrillen, 
weil  er  sie,  angeblich  aus  Rücksicht  auf  ihren  Ruf,  ihre  Ehre, 
will  verlassen  haben.  ^)  Ei  was  Schwermuth !  da  betrachte  nur 
das  Strassentreiben  in  Madrid,  den  famosen  Prado,  und  ertränke 
deine  Wehmuthsgrillen  in  dieser  Fluth  von  lachenden  Blumen- 
gärten, Springbrunnen,  Rittern,  Damen,  glühenden  Farben,  Kut- 
schen, geräuschvollem  Plaudern,  diese  Liebe  ohne  Liebe,  diese 
Wahrhaftigkeit  voller  Lügen  ^)  —  und  ergiesst  sich  dabei  selber 
in  einen  Schilderungsstrom,  einen  Redeschwall,  der  Lacayo,  dass 
ihm  sein  Herr  den  Mund  verstopfen  muss  mit  der  Aufforderung, 


1)  Este  Don  Carlos,  Don  Juan 
^Es  fraile  6  es  caballero? 

2)  Deja  esa  materia,  acaba. 

3)  Que  dejarla  fue  estimar, 
Como  era  justo,  su  honor. 

4)  Solano.      jNecedad!   Toma  alegria; 

Mira  este  famoso  Prado, 
Esta  mezela  de  colores, 
En  jardines  difereutes 
BulUr  y  saltar  las  fuentes, 
Keir  y  alegrar  las  iiores 
Los  varios  coches  que  en  tropa 
Discurren  por  la  alameda  .  .  . 
Esta  confusion  que  espanta 
Y  esta  grandeza,  que  admira, 
De  tanta  verdad  mentira  .  .  . 
De  tanta  gente  perdida 
De  tanta  barbara  vida 
De  tanto  amor  sin  amor  .  .  . 


576  ^^^  spanische  Drama. 

sich  in  die  nächste^  Gasse  zurückzuziehen,  um  die  Vorbeiwandeln- 
den zu  beobachten.  Alejandra  und  Conde  Horacio  treten 
in  den  Bereich  seiner  Strassenbelauschung.  Sie  erblickt  ihren 
Bruder  Don  Juan  mit  Vetter  Don  Beitran,  ihrem  als  Bräu- 
tigams-Teufel der  Langeweile  sie  plagenden  Verlobten  daherkom- 
men, und  flüchtet  sich  in  ihren  Wagen.  Conde  Horacio  er- 
sucht die  beiden  Fremden,  jene  sich  nähernden  Schreckgestalten 
zu  beschäftigen,  bis  die  Kutsche  ihrem  Gesichtskreis  entschwun- 
den, und  jagt  mit  der  Geliebten  davon.  Die  zwei  Vogelscheu- 
chen verliebter  Paare  rennen  aber  unaufhaltsam  dem  Wagen 
nach,  so  dass  Don  Garceran  ihnen  den  Weg  mit  gezogener 
Klinge  verlegen  muss.  Einer  gegen  Zwei  ~  den  ungleichen 
Zweikampf  bringt  der  hinzugetretene  Don  Carlos,  der  als  Or- 
densritter verkappte  Phönix  von  Salamanca,  Dona  Mencia,  in's 
Gleiche,  die  sich  mit  ihrem  fahrenden  Laienbrüderchen,  Jara- 
millo-Leonor,  dem  aus  ihren  Liebesbanden  entschlüpften 
Don  Garceran  deckend  zur  Seite  stellt.  Die  zwei  Vogel- 
scheuchen, Bruder  und  Vetter,  ziehen  sich  zurück.  Dona  Men- 
cia erkennt  ihren  Ausreisser,  nicht  Er  sie.  Als  Don  Carlos  will 
sie  die  Veranlassung  des  Duells  wissen.  Beschützung  einer  Dame, 
erklärt  Don  Garceran.  Darüber  werde  sich  der  Beschützer 
noch  zu  erklären  haben.  Entfernt  sich,  schärft  aber  dem  Mönch- 
lein im  Unterrock,  dem  Jaramillo,  heimlich  ein,  dem  Stroh- 
wittwenmacher  nicht  von  der  Seite  zu  gehen.  ^  Conde  Hora- 
cio ist  zurückgekehrt,  um  sich  gegen  den  fremden  Cavalier  in 
Danksagungen  für  den  Gefälligkeitsdienst  zu  ergiessen,  mit  dem 
dringenden  Wunsche,  dessen  Namen  zu  erfahren.  Dona  Men- 
cia hat  sich  inzwischen  wieder  eingestellt.  Die  Situation  ist 
trefflich,  spanisch -komödienhaft  von  achtem  Brillantwasser  und 
Pacettenschliff,  bis  auf  Dona  Mencia's  veranlassungsloses 
Sichentfernen  und  Wiederkommen.  Don  Garceran  entwirft  seinen 
Lebensabriss.  Als  Zweitgeborner  hatte  er  sich  mit  einem  ver- 
mögenlosen Mädchen  von  geringer  Herkunft  vermählt.  Nach  dem 
Tode  seiner  Eltern  zwang  ihn  die  Dürftigkeit,  seine  Studien  wie- 
der aufzunehmen.    In  Salamanca  lernte  er  als  Student  eine  Dame 


1)  No  se  apartes  de  su  lado. 


Bon  Garceran  und  Fenix-Don  Carlos.  577 

kennen,  das  Wunder  ihres  Geschlechtes,  kürzer,  den  Phönix  von 
Salamanca: 

„Ihre  Huldbeweise  nennen, 
Hiesse  hier  die  Sterne  zählen."  i) 

Dem  Johanniter  pocht  das  Herz  unter  dem  weissen  Brustkreuz, 
und  vor  Angst,  der  Lebensschilderer  könnte  in  seine  Farben  ihre 
Schamröthe  mischen,  wird  es  ihm  in  seinem  Don  Carlos- Wams 
und  Beinkleid  eng  und  schwül.  2)  Doch  geht  ihr  auch  gleich 
das  Herz  vor  Vergnügen  wie  eine  rothe  Eose  hinter  dem  weissen 
Kitterkreuze  auf,  und  sie  fühlt  sich  wieder  als  Fenix  mit  gold- 
nen  Rittersporen  bei  Garceran's  Schwur,  dass  sein  Verhältniss 
zur  schönen  Wittwe  von  solcher  Reinheit  und  fleckenlosen  ün- 
schuldsweisse  war,  wie  die  Hand,  die  er  zu  berühren  nicht  ge- 
wagt. „Ach,  wohl  dürftest  Du  es  wagen,  Garceran"  —  haucht 
in  leiser  Wonne  vor  sich  hin  der  Phönix  —  „Von  heute  ab 
weihe  ich  Dir  mein  Leben  —  Tausend  Leben,  wenn  ich  sie  hätte. 
Welches  Weib  gäbe  nicht  ihre  Seele  einem  Manne  von  be- 
scheidener Zunge!"  ^)  Don  Garceran  fährt  in  den  Bekenntnissen 
seiner  schönen  Seele  fort.  Die  Dame  in  Salamanca  hatte  keine 
Ahnung,  dass  er  verheirathet.  Um  jeder  Versuchung,  ihren  guten 
Ruf  zu  kränken,  auszuweichen,  fasste  er  den  Entschluss,  zu  flie- 
hen. Seine  Frau  starb.  Er  wollte  nach  Salamanca  zurückkehren. 
Der  Brief  eines  Freundes  brachte  ihn  davon  ab,  und   er  ging 


1)  Querer  decir  sus  favores 
Sera  contar  las  estrellas. 

2)  Dona  Mencia. 

jAy  de  mi  si  este  villano 
Se  atreve  a  mi  fama  honesta. 

3)  Don  Garceran. 

Mas  pongo  al  cielo  testigo 
Que  fue  con  tanta  limpieza 
Que  no  la  saque  una  mano. 
Dona  Mencia  (ap.) 

•jAy!  Garceran  bien  pudieras. 
Hoy  mi  vida  te  consagro 
Y  mil,  si  tantas  tuviera; 
^Y  que  mnger  no  da  el  alraa 
A  un  hombre  de  buena  lengua? 
X.  37 


578  Das  spanische  Drama. 

nach  Madrid,  um  Kriegsdienste  für  Italien  und  Flandern  zu  neh- 
men. Conde  Horacio  fordert  Don  Garceran  auf,  bei  ihm 
zu  wohnen.  Dieser  entschuldigt  sich  unter  Berufung  auf  einen 
Freund,  mit  dem  er  im  Gasthof  zusammen  bleiben  möchte. 
Conde  Horacio  ladet  ihn  auf  den  nächsten  Tag  zu  Tische. 
Der  Gasthofwirth  River a  benachrichtigt  Don  Carlos  (Mencia), 
des  Königs  Gesandter  hätte  sein  Zimmer  in  Beschlag  genommen. 
Don  Garceran  bietet  dem  Caballero  (Mencia)  ein  Zimmer 
neben  dem  seinigen  an.  Caballero  Don  Carlos  nimmt  es  nur  an 
auf  Garceran's  Versicheruflg,  dass  er  keine  Dame  bei  sich 
habe,  die  der  fremde  Caballero  zu  behelligen  besoi-gen  dürfe,  i) 
Solano  schliesst  Kameradschaft  mit  Jaramillo  (Leonor)  auf 
Gemeinschaft  von  Tisch  und  Bett. 

In  letzterer  üebereinkunft  fand  die  geistliche  Censur  ein 
Haar,  und  liess  von  den  Vertragspunkten  in  der  ersten  Scene  der 
zweiten  Jornada  an  den  Hauptstellen  nur  die  Punkte  als  Spu- 
ren der  Vertragsbestimmungen  bestehen,  ohne  verMndern  zu 
können,  dass  die  Contrahenten  derselben,  mit  einigen  Vorbehalten 
freilich  vonseiten  Jaramillo's,  nachkommen.  Ausser  diesen  Funk- 
ten, worüber  sich  noch  in  einer  folgenden  durchpunktirten  Scene 
Leonor  mit  ihrer  Gebieterin  Mencia  unterhält,  beschäftigt  die 
zweite  Jornada  die  an  Conde  Horacio  von  Don  Beitran 
gerichtete  Herausforderung,  die  Don  Carlos  (Mencia)  aus  Be- 
sorgniss  um  Garceran,  den  Secundanten  beim  Duell,  paraly- 
siren  möchte.  Don  Juan  leitet  das  Duell  mit  einem  auf  seine 
Schwester  Alejandra  gezückten  Dolch  ein,  die  seine  Frage, 
was  sie  an  der  Person  des  ehrenwerthen  Herrn  Onkel,  Don 
Beitran,  auszusetzen  finde,  kurzweg  damit  beantwortet:  dass  er 
nicht  nach  ihrem  Geschmack  und  ein  alter  Hahn  sey;  ihr  Hahn 
im  Korbe  müsse  jung  und  nach  ihrem  gusto  seyn.  2)  Mit  dem 
Fluch:  '0  infame!'  will  eben  der  wüthende  Bruder  den  gezoge- 
nen Dolch   brauchen,   da   erfährt  er  von  seinem  Diener,  Onkel 


1)  G-arc.      No  la  tengo  por  mi  vida. 
Menc.     Pues  con  esa  condicion 

La  acceptare. 

2)  Ser  a  mi  disgusto  y  viejo  .  , 
Ser  mozo  y  ser  de  mi  gusto. 


Dona  Alejandra  und  Fenix-Don  Carlos.  579 

Beltfan  sey  in  voller  Küstung  zum  Duell  ausgezogen,  Don 
Juan  stürzt  davon.  Alejandra  beklagt  ihr  Geschick  in  einem 
Sonett  mit  so  betrübter  Seele,  dass  sie  den  vom  Schneider  und 
Goldarbeiter  gebrachten  Anzug  und  die  mit  Silber  gestickten 
Schuhe  1)  beiseite  legen  heisst,  als  unverträglich  mit  ihrer  Sonett- 
Stimmung.  2)  Sie  spricht  noch  eine  Weile  mit  dem  Goldar- 
beiter über  die  von  Onkel  Bei  trän  bei  ihm  für  sie  bestellten 
Hochzeitgeschenke,  die  ihr  der  Geber  verleide.  ^)  Das  Silberhaar 
eines  unausstehlichen  Goldonkels  kann  die  Juwelierläden  einer 
ganzen  Goldschmiedezunft,  und  selbst  ein  grünes  Gewölbe  in  sei- 
nen Werth'uud  seine  Farbe  wandeln,  wie,  nach  dem  Volksglau- 
ben, ein  Büschel  Wolfshaare  unter  dem  Kopfkissen  einer  Braut 
sie  auf  zeitlebens  um  alle  Mutterfreuden  bringen  soll,  wovon 
auch  Alejandra's  Juwelier,  Villena,  ein  Vorgefühl  hat.'*) 

Besuch  des  Don  Garlos  (Mencia)  bei  Alejandra.  Ihr 
Diener,  auf  der  Lauer,  sieht  Don  Juan  mit  Don  Beitran 
kommen  —  Alejandra  in  der  Angst  lässt  Don  Carlos  Frauen- 
kleider eiligst  von  Jaramillo  (Leonor)  anziehen  und  findet  den 
hinter  dem  spanischen  Wandschirm  vortretenden  Caballero,  ach, 
wie  bezaubernd!'')  Dona  Alejandra  ist  eine  der  reizendsten 
Mädchenfiguren  der  spanischen  Bühne,  aus  deren  Blut  das  Feuer 
verliebter  Sinnlichkeit  so  hervorblinkt,  wie  die  Goldkörner  durch 
den  feuchten  Schleier  des  Tajo,  und  deren  schlüpfrige  Sittsamkeit 
das  zärtliche  Glühen  nur  so  verhehlt  und  kühlt,  wie  die  Meeres- 
welle das  griechische  Feuer,  das  sie  bekanntlich,  statt  es  zu 
dämpfen,  nur  stärker  und  verzehrender  facht.  Eine  spanische 
Jungfrau  wiegt  ihr  Herz,  wie  jene  Jungfrau  in  der  finnischen 
Sage  das  Feuer  in  einer  goldnen  an  Silberschnüren   hängenden 


1)  chapines  con  virillas  de  plata. 

2)  —  agora  no  tengo  gana 
De  probarmela. 

3)  Alej.  No  me  contentan  en  nada, 

Como  venga  per  sus  manos. 

4)  Villena.    No  prometen  buenos  fines 

Bodas  con  tan  poco  gusto. 

5)  Alej.  (ap.) 

jAy  Dios,  que  gentil  mancebo! 
Tras  el  mi  van  los  ojos. 

37' 


580  ^^^  spanische  Drcama. 

Wiege  schaukelt.  Plötzlich  fällt  das  Feuer  aus  der  Wiege  und 
mit  Hast  fliegt  es  durch  alle  acht  Himmel.  Vom  Feuer  gepei- 
nigt, stürzt  das  Wasser  über  die  Ufer,  wie  das  Augenwasser 
der  spanischen  Liebesheldin  über  die  Wimpern,  und  wie  dort  die 
Fische,  die  das  Feuer  verschlucken,  von  der  Flamme  gepeinigt, 
in  der  Fluth  umhertreiben,  so  jagen,  schiessen  und  stürzen  die  keu- 
schen, kaltblütigen  Gedanken,  die  züchtigen  Widerstrebungen  des 
weiblichen  Tugendstolzes  wild  dahin,  durchglüht  von  dem  heim- 
lichen Liebesfeuer  in  der,  sonst  so  wallend  kühlen  und  nun,  wie 
sie  selbst,  erhitzten  und  entzündeten  Silberfluth  ihres  Elementes : 
der  Abwehr  und  Verschmähung,,  wie  Wogenschaum  sprühenden 
Mädchenstolzes  und  aufbrausender  Sittsamkeit.  Und  wenn  dem 
finnischen  Gott  Wairämoinen  aus  dem  Innern  des  in  sein  Wurf- 
netz eingefangenen,  vom  verschlungenen  Feuer  glänzenden  Lachses 
dieses  als  abermals  enteilender  und  ganze  Länderstrecken  in 
Brand  setzender  Funken  entgegenspringt :  ereignet  sich  nicht  das- 
selbe mit  dem  im  Wurfnetze  des  Liebesgottes  der  spanischen 
Komödie  verstrickten  Herzen  der  Liebesheldin?  Bis  es  endlich 
dem,  Gott  Amor  überholenden  Hymen  der  spanischen  Komödie 
gelingt,  das  Flugfeuer  hinter  die  Balconthür  oder  das  Fenster- 
gitter eines  Schlafgemachs  zu  bannen  und  den  furchtbaren  Fun- 
ken im  Eisenkäfig  einer  Stegreifs-Eheschliessung  unschädlich  zu 
machen,  wie  der  finnische  Gott  Ilmarinen  jenes  dem  Wasser  und 
dessen  Bewohnern  so  verderbliche  Feuer  bändigt,  i) 

Das  unzertrennlich  langweilige  Onkel  -  Neffen  -  Paar ,  Don 
Beitran  und  Don  Juan,  belästigt  die  beiden  Frauen  Ale- 
jandra  und  Mencia,  letztere  für  die  Freundin,  als  Don  Carlos 
in  Weiberkleidern,  für  Don  Juan,  als  fremde  Dame  von  Stau- 
nen erregender  Schönheit,  eine  Sensationserscheinung.  Don  Juan 
wird  schwindlig  vor  Liebe  aus  dem  Stegreif,  und  versichert  sei- 
nem Diener  Leonardo,  dass  ihm  bei  diesem  Anblick  etwas  Un- 
glaubliches abhanden  gekommen:  sein  Verstand. 2)  Frauenpaar; 
Onkel-Neffen-Paar;  Mencia  für  die  Geschlechtsgenossin  ein  herz- 
fesselnder Caballero,  und  zugleich  für  deren  Bruder  von   ver- 


1)  S.  Weinhold,  Altd.  Wälder   S.  19;  Sclüefner,  Kalewala,    das  Na- 
tionalepos der  Finnen,  S.  274-283;  Simrock,  deutsche  Mythol.  1.  S.  134. 

2)  ;Ay  Leonardo!  pierdo  el  seso. 


Drei-Doppelduell.  581 

standraubendem  Zauber,  während  Onkel-Capitän  Don  ßeltran  zu 
der  Paarung  mit  Alejandra  die  sie  nie  berührende  Parallellinie 
abgiebt  i)  —  bilden  diese  Paare  nicht  die  ansprechendste  Bou- 
doir-Parallelgruppe als  neusten  Beleg  zu  der  auch  aus  der  Phönix- 
Asche  von  Salamanca  in  verjüngter  Gestalt  sich  erhebenden  spa- 
nischen Formel?  —  Ein  Bote  des  Conde  Horacio,  in  Ange- 
legenheit der  Herausforderung,  ruft  den  Don  Juan  ab.  Das  be- 
unruhigte Frauenpaar  kommt  überein,  sich  an  den  Ort  des  'Duell- 
Kendez-Vous'  zusammen  zu  begeben,  Mencia  als  verkleideter 
Don  Carlos.  Das  Duellpersonal,  Conde  Horacio,  DonGar- 
ceran,  Don  Beitran  und  Don  Juan  hat  sich  eingestellt. 
Garceran's  Vorstellungen  an  Don  Beitran,  er  möchte  doch, 
in  Eücksicht  auf  sein  weisses  Haar,  den  Springinsfeld,  den  Freier, 
Händelsucher  und  Duellanten  endlich  an  den  Nagel  hängen,  rei- 
zen den  Graukopf  nur  stärker  auf,  und  erhitzen  ihn  bis  zur 
Weissglühhitze.  Die  beidenDamen  erscheinen  auf  dem  Kampf- 
platz verschleiert.  Leonor  folgt  als  Jaramillo.  Die  Ent- 
schleierung bringt  die  grösste  Verwirrung  unter  den  Kampflusti- 
gen hervor. 2)  Conde  Horacio  ruft  bei  Mencia's  Anblick  „Don 
Carlos?"  Don  Garceran:  „Dona  Mencia?"  und  zittert  und 
bebt  und  weiss  nicht,  was  er  von  der  verblüffenden  Aehnlichkeit 
des  Don  Carlos  in  Frauenkleidern  mit  seinem  Fenix  de  Sa- 
lamanca sagen  soll. ^)    Alejandra  versichert  ihren  Oheim  und 


1)       Don  Beitran. 

Alejandra 


—  como  estoy  tan  cierto 
Que  mi  vista  te  da  enojos, 

Y  que  en  mi  pones  los  ojos 
Como  en  un  cadaver  muerto, 
Eetirome 

2)  Dejad  ya,  por  vida  mia, 
Amorosos  devaneos, 
Valentias  de  soldado 

Y  locuras  de  mancebo. 

3)  Gare.  jAy  triste! 

Perdonad,  que  ^stoy  sin  seso, 
Que  como  dentro  del  alma 


582  Das  spanische  Drama. 

Freier  Don  Beitran  ihrer  liebevollen  Verehrung.  Mencia  bit- 
tet ihn  und  Don  Juan,  sich  mit  dem  Conde  zu  versöhnen. 
Von  ihrer  Schönheit  bezaubert,  hat  Don  Juan  keinen  eigenen 
Wyjen  und  heisst  ihn  seinem  bereits  verlornen  Verstände  nach- 
laufen. Selbst  Bei  trän  macht  Anstalten,  unter  Bedingungen, 
dem  Neffen  zuliebe,  die  Hand  zur  Versöhnung  zu  reichen.  Das 
erste  und  vielleicht  einzige  Beispiel  in  der  spanischen  Comedia, 
dass  Frauen  als  Friedensstifterinnen  ein  Duell  verhindern.  Der 
Schluss  der  zweiten  Jornada  kann  darauf  hin  unter  seinen  Col- 
legen  eine  Ausnahmsstellung  rubro  notanda  calculo  mit  allem 
Fug  in  Anspruch  nehmen,  wenn  ihn  die  CoUegen  nicht  eben 
deshalb  als  das  räudige  Schaf  kennzeichnen  und  ausstossen. 

Der  tiefbetrübte  Don  Garceran  hat  Eingangs  der  dritten 
Jornada  auf  den  Rath  seines  Freundes,  Don  Carlos  (Mencia), 
einen  liebeheissen  Abbittebrief  an  den  Fenix  von  Salamanca  ge- 
schrieben, dessen  Bestellung  der  als  Don  Carlos  verkappte  Fenix 
selbst  übernimmt,  der  pikanten  Situation,  infolge  eines  Verklei- 
dungsmotivs, zugefallen. 

Onkel  Beitran  besteht  nach  wie  vor  auf  der  Conditio  sine 
qua  non  seiner  Versöhnung  mit  Conde  Horacio:  dass  ihn 
nämlich  dieser  bei  der  Bewerbung  um  seine  schöne  Nichte,  Ale- 
jandra,  nicht  kreuze,  mit  der  zähen  Hartnäckigkeit  eines  alten 
Bockes,  der  von  diesem  nur  die  bocksteife  Unnachgiebigkeit  be- 
hält. Während  Don  Beitran  auf  die  Post  eilt,  um  das  aus 
Eom  angelangte  Packet,  das  nur  den  päpstlichen  Dispens  zur 
Vermählung  mit  der  Nichte  einschliessen  kann,  abzuholen,  be- 
stürmt Don  Juan  die  Schwester  um  den  Namen  der  fremden 
Dame  von  wunderbarer  Schönheit.  Die  zierlich  neckische,  glän- 
zende, wie  ihre  Muhme,  die  Schlange,  listige  Alejandra,  be- 
nutzt  des  Bruders  Stimmung  für   ihren  Zweck:    Alejandra. 


Traigo,  Don  Carlos,  impreso 

Aquel  Fenix  de  hermostira 

y  sois  SU  retrato  belle 

Toda  alma  se  alborota, 

Quando  de  repente  os  veo 

Y  mas  en  aqueste  trage, 

Que  en  solo  verle  ando  y  tiemblo. 


Solano  niid  sein  Schlafkaraerad.  583 

„Wirst  Du  mich  ausschelten?"  —  Juan.  „Gewiss  nicht."  — 
Alejandra.  „Mir  nichts  zuleid  thun?"  —  Juan.  „Auch  das 
nicht."  —  Alejandra.  „Auch  kein  Dölchlein  mehr?"  —  Juan. 
„Ein  Narr  war  ich."  ^)  Und  wenn  sie  auf  dem  Prado  den  Conde 
anspreche?  —  Alles  Anständige  soll  ihr  gestattet  seyn,  wenn  sie 
ihm  den  Namen  der  Dame  sage.  Darüber  würde  ihm  Don  Car- 
los Auskunft  geben.  Sie  möchte  sie  aufsuchen,  und  ihm  Gele- 
genheit verschaffen,  die  Dame  zu  sprechen,  in  ihrer,  seiner 
Schwester  Gesellschaft.  Alejandra's  Plan  geht  dahin,  Don  Car- 
los (den  sie  immer  noch  in  Mencia  erblickt)  mit  ihrem  Bruder 
in  freundschaftliche  Beziehung  zu  bringen,  und  ihn  dadurch  für 
Conde  Horacio  zu  gewinnen.  Heimlicher  Besuch  des  Conde 
bei  Alejandra  und  dem  entsprechendes,  traulich -zärtliches  Lie- 
besgespräch. Mescua  darf  in  dieser  Comedia  mit  den  besten 
Dramatikern  seiner  Zeit,  selbst  mit  Lope,  und  den  kunstvollsten 
nächst  Lope,  mit  Tirso,  Alarcon,  bis  auf  den  grossen  Calderon 
hinauf,  wetteifern,  und  wer  weiss,  ob  er  sie  nicht  in  diesem  Lust- 
spiel allesammt  an  naiver  Natürlichkeit  und  Einfachheit  der  Er- 
findung, der  Motive  und  Figuren,  vor  Allem  an  Grazie  einer  un- 
gekünstelten Gesprächsführuug  übertrifft. 

Mittlerweile  hat  Don  Garceran's  Diener,  Solano,  in  seiner 
Gasthof-Schlafkammer  sich  immer  tiefer  in  den  Verdacht  hinein- 
gegrübelt, ob  sein  Schlaf kamerad,  Jaramillo,  am  Ende  nicht 
gar  ein  Zwitter,  ein  Hermaphrodit  sejJ)  Die  Gründe,  die  ihn 
zu  dieser  Annahme  bestimmen  und  die  er  seinem  Herrn,  Don 
Garceran,  entwickelt,  geben  allerdings  zudenken.  Jaramillo 
legt  sich  regelmässig  im  Finstern  zu  Bett,  mit  hermetisch  zuge- 
nähtem Hemde,  schläft  in  den  Beinkleidern,  was  freilich  der 
schlafende  Hermaphrodit   im  Louvre   nicht  thut,  — ja,  Jara- 


1) 

Alej. 

^Has  de  renirme? 

D.  Juan. 

No  hare. 

Alej. 

(iNi  darme  pena? 

D.  Juan. 

Tampoco. 

Alej. 

<jNi  mas  daguita? 

D.  Juan. 

Fui  loco. 

2) 

Lo  que  terao 
Que  es  hermafrodito. 

584  I^as  spanische  Drama. 

millo  schläft  gar  nicht,  und  wenn  er,  Solano,  nach  hand- 
greiflichen Beweisen  forsche,  schlüge  der  Zwitter,  wie  ein  Maul- 
esel, hinten  ans.  ^)  In  der  14.  Scene  der  dritten  Jornada  trifft 
ein  Courier  aus  Salamanca  mit  einer  Antwort  auf  Garceran's 
Brief  an  den  Fenix  ein,  den  Mencia  selbstverständlich  nicht  ab- 
geschickt und  in  ihrem  Madrider  Gastzimmer  beantwortet  hatte. 
Zugleich  kündigt,  Verabredetermassen ,  der  Bote  die  Ankunft  ei- 
ner schönen  Wittwe  aus  Salamanca  an,  die  dem  Senor  Don  Car- 
los ähnlich  sähe.  2)  Das  könne  keine  andere  seyn  —  flüstert 
Don  Garceran  dem  Conde  zu  —  als  Dona  Mencia.  Gar- 
ceran  liest  laut  das  Antwortschreiben,  das  voll  der  zärtlichsten 
Vorwürfe  Versöhnung-erschmachtender  Liebe.  Don  Garceran 
schwimmt  in  Entzücken  so  überschwänglich,  dass  er  dithyrambi- 
sche Zufälle  über  das  Briefblatt  bekommt,  und  das  Wort  „carta" 
nach  den  verschiedensten  Bedeutungen  schwärmerisch  variirt;  das 
Blatt  ist  ihm  eine  „Seekarte,  die  ihn  in  den  Hafen  führt,  eine 
Quittung  über  eine  bezahlte  Schuld,  ein  Vollmachtsbrief"  u.  s.  w.  ^) 
Zum  Empfange  des  Don  Juan  zieht  sich  Don  Carlos  (Men- 
cia) behufs  Umkleidung  zurück  und  erscheint  bald  wieder  im 
Frauenanzug.  Garceran's  dithyrambische  Zufälle  steigern  sich 
bei  dem  Anblick  zu  ekstatischen  Krämpfen.  Solano,  Conde 
Horacio  und  Mencia  selber,  die  ein  Schwert  fordert,  um  sich 
als  Mann  zu  legitimiren,  haben  Mühe,  den  Verzückten  zu  sich 
zu  bringen  und  ihm  begreiflich  zu  machen,  dass  er  Don  Carlos 
und  keine  Phönixin  von  Salamanca  vor  sich  sehe.  DonJuan's 
Erscheinen,  der  bei  Mencia-Don  Carlos'  Anblick  mit  einem  ka- 
taleptischen  Starrkrampf  Don  Garceran's  enthusiastischem  Sanct- 
Veitstanz  in's  Handwerk  pfuscht,  versetzt  dessen  Liebes-Paren- 
thyrse  in  den  gefährlichsten  bis  zur  Käserei  sich  steigernden  Ei- 


1) 

Mas  si  le  vuelvo  a  palpar 

Vuelve  el  anca  como  mula. 

2) 

Y  algo  en  la  fisconomia 

Le  pareceis,  Senor,  vos. 

3) 

Soys  carta  de  marear 

Que  me  encaminais  en  el  pnerto; 

Carta  de  pago  y  remate 

De  tudos  cuentos  pasados  .  .  . 

Solano  bekommt  einen  Korb  von  seinem  Schlafkameraden.        585 

fersuchts-Paroxysmus.  ^)  Heil  dir,  erfindungsreicher  Ritter  in  der 
Noth!  Heil  dir  sieghafter  Abwickler  von  Komödienkatastrophen 
und  glücklicher  Operateur  der  beschwerlichsten  Lustspielknoten! 
Heil  dir  spanisches  Parallel-Schema ,  dass  du  der  A-iüösung  mit 
einem  zum  Onkel  Don  Beitran  parallelen  Onkel,  Don  Tello, 
unter  die  Arme  greifst!  Parallelonkel  Don  Tello  ist  Dona 
Mencia's  Oheim,  der  sich  aufgemacht  aus  Salamanca,  um,  An- 
gesichts der  ganzen  vor  Staunen  erstarrten  Gesellschaft,  den 
vermeinten  Don  Carlos  in  Weiberkleidern  als  seine  Fenix- 
Nichte  Dona  Mencia  zu  umarmen,  sie  mit  Don  Garceran 
zu  vermählen,  und  nebenbei  Zeuge  von  Don  Horacio's  Ver- 
bindung mit  Alejandra  zu  seyn,  sonder  Einspruch  vonseiten 
des  Parallelonkels  Don  Beitran,  der  die  Nachricht  erhält,  dass 
Seine  Heiligkeit  der  Papst  die  Dispensation  zu  ertheilen  nicht 
für  angemessen  befunden,  und  der  daher  mit  seinem  Neffen  und 
Schicksalsgenossen  Don  Juan  sich  in's  Unabänderliche  fügt. 
Der  Einzige,  der  mit  offenem  Munde  über  den  Schluss  der  Ko- 
mödie hinaus,  als  versteinertes  Symbol  der  Verblüfftheit,  erstar- 
rend verharrt,  ist  Solano,  bei  der  Kunde,  dass  Hermaphrodit 
Jaramillo  Dona  Mencia's  Kammerjungfer,  Leonore,  ist,  die 
als  entschiedener  Zwitter  so  viele  Nächte  hindurch  sein  Lager 
theilte,  und  die  nun,  als  entschiedene  Zofe,  es  mit  ihm  in  der 
Eigenschaft  seiner  Ehehälfte  zu  theilen,  sich  eütschieden  wei- 
gert. 2)  Wer  nun  als  ausrangirter  einschläfriger  Zwitter  übrig 
bleibt,  ist  einerseits  Solano,  und  andrerseits  das  Onkel-Neffen- 
paar Don  Beitran  und  Don  Juan,  die  Aschenmänner  der 
kalten  Phönix- Asche  —  „An  Aschen!" 


1)  zelos  tengo, 
Zelos,  conde,  zelos,  rabia. 

2)  Dona  Mencia. 

Quisiera  darte  ä  Leonor, 
Solano,  mas  no  le  agrada 
A  Leonor  tu  casamiento. 


586  -Das  spanische  Drama. 

Don  Antonio  Hnrtado  de  Mendoza.^) 

Los  Empenos  del  Mentir. 
Lügenbündniss. 

Eine  Chevalier  d'  Industrie -Komödie,   ein  Lügen -Scli wind- 
ler-Stück, ein  Gaukler-Trugspiel,   aber  im  spanisch-feinen  und 


1)  Ausgang  des  16.  Jahrh.  in  einem  Gebirgsort  von  Burjos  im  Hanse 
des  Grafen  von  Saldana  geboren,  war  Page-Comthur  von  Zurita  im  Cala- 
trava-Orden,  Kammer-  und  Justiz-Secretär  Philipp's  IV.,  und  Mitglied 
des  Grossinquisitions-Eathes.  Mit  Lope,  Calderon,  Quevedo  und  andern 
erlauchten  Genien  umkränzte  er  dieses  Mäcenaten-Königs  aus  goldnen 
Dichterlorbeern  aufgeflochtenen  Thron  zu  Buen-Eetiro,  wie  Phidias  Hören 
an  dem  Thron  seines  Zeus  zu  Olympia  ihren  Eeigen  schlangen.  In  diesem 
glänzenden  Kreise  führte  Antonio  Hurtado  de  Mendoza  den  Namen  El 
Discreto  de  Palacio  (Der  Bel-esprit  des  Palastes)  oder  el  Poeta  de 
Cämara  (Kfl-mmerpoet),  am  französischen  Hof  per  Synäresin  *Pöt  de 
Chambre',  vom  närrischen  duc  de  Eoquelaure  betitelt.  Als  Lyriker  hul- 
digte Mendoza  der  Schule  des  Gougora,  dessunbeschadet  galt  er  den  Zeit- 
genossen als  süssflötender  Schwan  (aliento  de  aquel  canoro  cisne).  Als 
dramatischer  Dichter  begnügte  sich  Ant.  de  Mend.  —  darin  ein  weisser 
Eabe  unter  den  spanischen  Dramatikern  —  mit  einem  Dutzend  Schauspie- 
len, die  meisten  wohlgenährt  mit  lyrischen  .Gongorismen  in  allen  mögli- 
chen Versformen,  Leckerbissen  für  den  Gaumen  des  Hoftheaterpublicums 
zu  Buen-Eetiro  und  Aranjuez;  worunter  besonders  einer  dieser  in  Gongori- 
schem  Fette  mit  den  Federn  gebratenen  dramatischen  Hofbühnen-Pfauen 
das  Aeusserste  leistete:  die  Comedia:  'Querer  por  solo  querer'  (Lieben 
blos  um  zu  Lieben,  dem  blossen  Lieben  zuliebe)  von  nicht  weniger  als  6400 
Versen,  und  dargestellt  von  den  'Edelfräuleins'  (meninas)  der  Königin  im 
Palast  zu  Aranjuez,  und  wimmelnd  von;^Drachen,  Eiesen,  Zwergen,  verzau- 
berten Prinzessinnen  und  italienischen  Versarten.  Seine  Obras  erschienen 
in  Lissabon  1690.  Neuere  und  neueste  Ausgaben,  Madrid  1760  und  1849.  8. 
In  der  Sammlung:  Flor  de  los  mejores  libros  que  han  salido  de  comedias 
nuevas.  Alcalä  1651  und  Madrid  1653  4o.,  finden  sich  andere  Comedias  von 
Ant.  Mendoza:  'El  galan  sin  dama'  (Der  Liebhaber  ohne  Liebhaberin). 
*Mas  merece  quien  mas  ama'  (Dem  gebührt  mehr,  der  mehr  liebt). 
In  der  Comedia  *Quien  mas  miente  medra  mas'  (Wer  mehr  lügt,  ge- 
winnt mehr),  die  Ant.  de  Mendoza  mit  Quevedo  gemeinschaftlich  im 
Auftrage  des  Conde-Duque  von  Olivarez  für  das  prächtige ,  von  diesem 
Günstling  den  Majestäten  am  Johannisabende  1631  veranstaltete  Fest 
dichtete,  glaubt  Ticknor  die  ähnlich  betitelte,  von  uns  besprochene  Co- 
media 'Los  empenos  del  mentir*'  vermuthen  zu  dürfen,  da  keine  unter  er- 
sterem  Titel  vorhanden.    Ant.  Mendoza  starb  zu  Zaragoza  1644, 


D.  Ant.  Hurtado  de  Mendoza's  Com.  Los  Emperlos  del  mentir.     587 

graziösen  Styl,  ungleich  anmuthender ,  als  ähnliche  in's  Grobe 
und  Gemeine  nachgeahmte  italienische  Komödien.  Teodoro 
und  Marcelo,  das  Schwindellügenpaar,  mit  bezeichnendem  Hin- 
weis auf  die  Heimath  derartiger  Landeskinder,  als  Italiener 
eingeführt,  stehen  im  Eeiseanzug  vor  den  Thoren  von  Madrid, 
und  überlegen,  nach  einem  auf  Madrids  ^)  Herrlichkeiten ,  Buen- 
Retiro-Feste,  insbesondere  auf  Philipp's  IV.  ganz  Castilien  be- 
glückende Regierung  und  dessen  Königin-Gemahlin,  die  gloriose 
Isabel^),  im  Munde  von  Lügen-Reisebeuteln,  gegen  des  Dichters 
Absicht,  parodistischen  Lobsalm  —  überlegen,  was  bei  leeren 
Taschen  und  nur  vollen  Lügensäcken  in  Madrid  anstellen,  um 
sich  in  der  fremden,  tonangebenden,  zu  Teodoro's  und  Marcelo's 
Zeit,  Weltgrossstadt  in  Ehren  durchzuschwindeln?  ^)  Und  kommen 
überein,  dass  Marcelo  im  Sinne  der  Arbeitstheilung  den  Lü- 
genstoif  liefere  und  Teodoro  ihn  verarbeite.  4)  Und  siehe  da, 
Gott  Mercur,  der  Gott  nicht  blos  der  ßeutelschneider,  auch  der 
Gott  der  Beutel-,  nämlich  der  Lügenbeutel- Aufschneider,  wirft 
ihnen  den  Lügenstoff  in  der  Person  des  von  drei  Bravos  Über- 
fallenen Don  Diego  zu,  den  das  neapolitanische  Schwindlerpaar 
sofort  unter  die  Finger  nimmt,  nachdem  sie  die  drei  gefährlichen 
Marktverderber  und  Pfuscher  in's  Handwerk,  die  drei  Bravos, 
mit  ihren  tapfern  Klingen,  in  die  Flucht  gejagt.  Aus  Don  Die- 
go's  im  spanischen  Komödienstyl  ihnen  mitgetheilten  Lebensab- 
riss,  hat  schon  Marcelo  Diego's  im  Elsass  verstorbenen  Bruder, 


1)  Teodoro. 

^A  quien  no  alegra,  oh  grande,  o  geiioroso, 
Noble  Madrid,  tu  vista  y  reflejos? 

2)  Oh  gloriosa  Isabel. 

3)  Marcelo. 

Ya  que  en  Madrid  estamos,  ^Q^^  ejercicio 
Tomaremos  los  dos? 


Teodoro. 

—    _    —    ea,  embnsteros 
Ha  de  ser. 

4)    Marcelo. 

Hare  verdad  las  cosas,  quien  suenas. 


588  I^as  spanische  Drama. 

Don  Tello^),  aufgeschnappt,  um  sich,  von  der  Faust  weg,  zu  des 
theuern  Todten  Busenfreund  zu  lügen,  den  die  eben  vernommene 
Todesnachricht  schmerzlicher,  als  den  Diego  selber,  Tello's  Bru- 
der, treffe.  Kaum  hat  Marcelo  der  Selbstbiographie  des  Diego 
den  zweiten  Wurm  aus  der  Nase  gekitzelt,  dass  nämlich  sein 
seliger  Herzensbruder  Tello  die  Verheirathung  seiner  und  Diego's 
Schwester,  Elvira,  mit  einem  Don  Luis  de  Vivero  aus  Nea- 
pel daselbst  betrieben  —  hat  auch  schon  Marcelo  sich  aus  seiner 
Haut  in  die  von  Elvira's  neapolitanischem  Bräutigam,  in  die  Haut 
besagten  Don  Luis  de  Vivero  hineingelogen.  Elvira's  Miniatur- 
portrait,  das  sich  Luis  de  Vivero  erbeten,  und  ihr  Bruder,  Don 
Diego,  wie  dieser  eben  erwähnte,  dem  Bräutigam  nach  Neapel 
geschickt  hatte  —  dieses  theure  Bildniss  liegt  —  ruft  freudig  der 
sich  zum  Don  Luis  aus  dem  Stegreif  lügende  Marcelo  —  liegt 
in  meinem  Reisesack!  und  meint  im  Stillen:  Lügensack.  Lauf, 
Teodoro!  und  bring's  herbei  zurstell!  —  Teodoro  wechselt  die 
Beine  und  weiss  nicht,  soll  er  laufen,  soll  er  holen,  und  wohin 
laufen  und  was  holen.  Marcelo  droht,  ihm  Beine  zu  machen, 
mit  Fusstritten.  Teodoro  versteckt  sich  hinter  Don  Diego, 
und  ächzt:  Bild,  Juwelen,  Kleinodien,  der  mit  Topasen  besetzte 
Spiegel,  Karfunkeln  und  Kamm  —  geraubt!  von  Schnapphähnen 
geplündert —  Alles  mit  einander  —  Marcelo  rast.  Teodoro 
zittert.  Don  Diego  bittet  Marcelo,  sich  zu  massigen  und,  als 
sein  Gast,  sich  für  den  Verlust  des  Schattenrisses  mit  dem  Ori- 
ginal trösten  zu  wollen. 2)  Und  wie  freut  sich  Don  Diego,  der 
Elvira  ihren  neapolitanischen  Bräutigam  in  dem  eben  angelang- 
ten Luis  de  Vivero  zuzuführen!^)  eine  Pracht  von  Bräutigam, 


1)  Que  ahora  murio  en  la  Alsacia. 

2)  Huesped  sereis  esta  noche 
De  SU  original. 

Der  Leser  erinnert  sich  der  italienischen  Komödie  *I  cavalieri  d'  Industria' 
von  Marchisio  (Gesch.  d.  Dram.  VI.  2.  S.  585  tf.)  und  hat  schon  in  Men- 
doza's  Lügenstück  die  Vorlage  zu  Marchisio's  Gaunerkomödie  erkannt.  Hier 
ist  dem  Spanier  wirklich  vom  Italiener  das  Bild  gerauht  worden,  ürhild 
und  Copie,  die  er  für  das  Original  verkaufte,  während  er  das  Original 
unterschlug. 

3)  —  todo  este  placer 

Es  dicha  de  Elvira  y  mia. 


Bollenwechsel.  589 

und  die  Tapferkeit  in  Person,  i)  Aber  oh,  El  vir  a!  Gleich  bei 
den  ersten  Worten  des  Tapfern  befällt  Elvira  ein  Schrecken 
über  den  cavalierwidrigen  Ton  des  Prachtbräutigams  2),  wie  nicht 
anders  von  dem  Diener  und  Helfershelfer  eines  Schwindlers  en 
compagnie  zu  erwarten.  Ihre  Cousine,  Dona  Ana,  findet  denn 
auch  den  vermeinten  Diener,  Teodoro,  annehmlicher.^)  Bruder 
Diego  aber  kann  die  Hochzeit  nicht  erwarten,  und  wünscht  sie 
noch  diese  Nacht  vollzogen.  ^)  Die  Magd  Teresa  fragt,  ob  Don 
Luis  alle  Tage  dieses  ruppige  Wesen  an  sich  trage?  ^)  Teo- 
doro fliesst  über  von  seines  Herrn  (Marcelo)  Lob,  und  ärgert 
sich  insgeheim  über  das  Brautglück  seines  Schlingels,  der  auf 
die  schöne  und  saftige  Frucht  keinen  andern  Anspruchstitel  hat, 
als  die  Prioritätslüge. ^)  Nebenbei  setzt  Marcelo  einen  Trumpf 
darauf,  den  Teodoro,  seinen  Herrn,  mit  der  Dienerrolle  so  zu 
zwiebeln,  dass  Beide  vor  Elvira's  feinem  Salonnäschen  in  üblen 
Geruch  kommen.  Er  lässt  sich  von  Teodoro  in  Elvira's  Gegen- 
wart die  Stiefel  ausziehen.  Dieser  fragt,  was  für  ein  Pferd  der 
gnädige  Herr  morgen  reiten  will,  den  Braunen  oder  Schecken? 
Don  Luis  (Marcelo)  reimt  richtiger,  als  jener  Schöpenstädter, 
der  auf  eine  ähnliche  mit  seinen  Genossen  verabredete  Frage ,  um 
seine  reimfertigen  Gaben  vor  der  Braut  herauszustreichen,  auf 
dessen  Anfrage,  ob  Braunen  oder  Schecken?  den  Beim  nach  vorn 
versetzte:  L —  Sie  mich.  —  Marcelo  bringt  das  L —  an,  wo 
es  hingehört:  *0h  que  gracioso  picaiio!'  Die  Frauen  entfernen 
sich  mit  den  Taschentüchern  vor  Mund  und  Nase.  ^)  Don  Diego 


1) 

Es  un  mancebo  gallardo 
Por  s^  valor. 

2) 

Elvira. 

Qae  mal  parte,  que  ruin  arte. 

3) 

Dofia  Ana. 

Ann  el  pobre  del  criado 
Es  trato  mas  apacible. 

4) 

Quisiera  que  el    casamiento 
Esta  noche  se  efectuase. 

5) 

^Itrae  esta  ruin  persona 

El  sefior  Don  Luis  cada  dia? 

6) 

Teodoro. 

;Que  este  fruto  huya  sacado 
No  mas  que  el  haber  plantado 
Mas  temprano  una  mentira! 

7) 

' 

(y  levantase  Elvira  enfadada), 

590  I^as  spanische  Drama. 

aber  lacht  sich  am  Schluss  der  ersten  Jornada  noch  freudig  in's 
Fäustchen  über  den  köstlichen  Schwager,  der  Ambra  schwitzt 
und  Myrrhen  duftet,  und  ihm  die  lieblichste  Blume  des  neapoli- 
tanischen Eitterthums  dünkt  und  ein  Caballero-Musterreiter  von 
Braunen  und  Schecken.  Unsere  Analyse  wäre  aber  in  die  Seele 
der  spanischen  Komödienfeinheit  trostlos,  wollte  man  den  Schö- 
penstädter  Reim  auf  Schecken,  und  Dona  Elvira's  Tuch  vor  Mund 
und  Naschen  durch  die  Hofirungs-Blume  und  nicht  durch  die 
hoffähige  der  spanischen  Komödie  verstehen.  Marcelo's  innerer 
Mensch,  seine  italienische  Bedientenseele  riecht  übel,  nicht  seine 
entstiefelten  Beine,  noch  seine  Reime.  Letztere  sind  vielmehr 
durchaus  correct,  zierlich,  hofgerecht  und  courtisanesk,  wie  die 
Reimsprache  der  spanischen  Komödie  durchweg. 

Mit  dem  ersten  Glockenschlag  der  zweiten  Jornada  kündigt 
Teodoro  dem  Marcelo,  der  alle  Vortheile  des  auf  gemein- 
schaftliche Kosten  zu  betreibenden  Lügengeschäftes  allein  ge- 
niesse  und  ihn,  Teodoro,  mit  dem  Maulabwischen  abfinde,  die 
Genossenschaft  auf.  ^)  Bei  der  blossen  Aufkündigung  der  Schwin- 
delgemeinschaft lässt  es  aber  Teodoro  keineswegs  bewenden. 
Er  fügt  hinzu,  dass  er,  Teodoro,  das  Geschäft  auf  eigene  Hand 
fortzuführen  gedenke,  und  dass  er  in  Diego's  Hause  die  Kunde, 
Er,  Teodoro,  nicht  Marcelo,  sey  der  ;richtige  Don  Luis  de 
Vivero,  verbreitet,  und  kunstgeschickt  glaubhaft  gemacht  habe.  ^) 
So  blühen  nun  nebeneinander  zwei  parallele  Lügengeschäfte  un- 
ter Einer  Firma,  ähnlich  wie  zwei  marktläufige  Berliner  Zeitun- 
gen, die  sich  unter  demselben  Titel  Concurrenz  machen.  Jeden- 
falls ist  Lügenheld,  Teodoro,  der  gewandtere  Ritter  des  täu- 
schungs-  und  beschwindelungsfähigen  Pseudo-Luisthums,  wofür 


1)  Teod.         ^Y  que  del  engailo  espero? 

Le  lleven  iguales  hombros  .  .  . 
Tu  triunfas,  y  yo  la  Uoro 
Tii  la  gozas,  yo  la  pierdo  .  .  . 

2)  Teod.  Yo  he  derramado  por  casa 

Con  tal  arte  y  tal  ingenio  .  .  . 
Marc.         iQ>^^  ^^^  derramado? 
Teod.  Que  soy  .  .  . 

Marc.         ^Quien? 
Teod.  Don  Luis  de  Vivero. 


Ex-Luis  nnd  Erzlügner.  591 

ihn  selbst  Dona  Elvira,  unbeschadet  ihrer  üeberzeugung,  dass 
Alles  Lijg  und  Trug,  anerkennt,  nachdem  sie  von  ihrem  Haus- 
mädchen, Teresa,  erfahren,  dass  der  Diener  der  wahre  Don 
Luis,  obgleich  beide  Luis,  meint  Dona  Elvira,  ihr  gestohlen 
werden  können  —  was  sich  denn  auch  Stan.  Marchisio,  der  be- 
zielte Pseudo-Luis  der  italienischen  Komödie:  'I  Cavalieri  d'  In- 
dustria',  nicht  zweimal  sagen  liess  —  so  scheine  ihr  doch  der 
Teodoro  mehr  'arte',  Pli  und  Schick  zum  'Caballero'  zu  haben, 
sey's  auch  nur  zum  Caballero  de  industria,  oder  zu  einem  von 
Marchisio's  Industrie-Eittern.  i)  Dona  Elvira  findet  den  Teo- 
doro-Luis  galanter  und  hofthümlicher  „mas  galan  y  mas  cortes'^ 
Was  bleibt  dem  Ex-Luis  Marcelo  übrig,  als  sich  diesem  Titel 
zu  fügen,  und  des  Teodoro,  seines  Herrn,  Don-Luisthum  nicht 
blos  zu  respectiren,  es  sogar  noch  zu  bestätigen  und  zu  befür- 
worten? 2)  Don  Diego, -eine  vorzügliche  Komödien-Dupe,  adop- 
tirt  den  zweiten  Don  Luis  mit  demselben  glaubensseligen  Ver- 
gnügen, wie  den  ersten  Don  Luis.  Er  wäre  Manns  und  Bruders 
genug,  Beide  für  die  ächten  Don  Luis  zu  halten.  Unser  spanischer 
Don  Diego,  neuigkeitssüchtig  und  erzählungserpicht,  wie  ein  Zei- 
tungsleser, forscht  nun  äusserst  gespannt  und  begierig  den  zweiten 
und  doch  ersten  Don  Luis,  den  Teodoro,  nach  Berichten  aus  über 
italienische  Zustände  und  seine,  Teodoro's,  eigenen  merkwürdigen 
Erlebnisse.  Der  Lügenreisesack,  den  nun  Don  Luis  der  Zweite 
vor  Diego  ausschüttet,  märchenhaft  fabelhaft!  Ein  Foliolügen- 
felleisen von  vier  Poliocolumnen,  jede  zu  hundert  Versen,  die 
erste  beginnend  mit  „Gustav  Adolph,  des  Nordens  glühendem  Ko- 
meten"*^), und  die  letzte  Foliolügencolumne  schliessend  mit  des 
zweiten  Don  Diego-Bauernfängers,  Don  Luis-Teodoro,  Wehklage 
um  seines  Seelenfreundes   Don  Tello,   Bruders   von  Diego   und 


1)  Teresa.     Que  el  criado 

Es  el  Don  Luis  verdadero. 
Elvira.      Que  tado  embuste  ä  ser  vieiie, 
No  lo  dudo,  pero  el  tieiie 
Mas  arte  de  caballero. 

2)  Marc.         Senora,  si  erre,  aqui  estoy 

A  mi  dueno  obedeci. 

3)  —  Gustavo  Adolfo, 

Del  Norte  ardiente  cometa. 


592  I^3,s  spanische  Drama. 

Elvira,  Tod,  und  schliessend  mit  einem  aus  der  Trauerklage,  wie 
Bethoven's  IX.  Symphonie,  in  Jubelentzücken  ausbrechenden  Tril- 
lerfinale: „Freude  schöner  Götterfunken!"  Freudejauchzen,  dass 
alle  seine  in  den  vier  Grossfoliolügencolumnen  überstandenen 
Trüb-,  Müh-,  Drang-  und  Lügensale  (Empiios  del  mentir)  „wie 
Schnee  an  der  Sonne"  nebst  noch  fünf  andern  „Wies"  —  dass 
wie  dieses  halbe  Dutzend  „Wies",  seine  zwölf  herculischen  Lü- 
genthaten,  sammt  den  vier  Foliocolumnen  zu  einer  Hercules- 
Fabel-Apotheose  in  „Elvira's  Augen"  zerschmelzend  sich  ver- 
klären, 0  Lüge  schöner  Götterfunken!  Wem  der  grosse  Lügen- 
wurf gelungen,  eines  Don  Tello  Don  Luis  zu  seyn,  wer  ein  hol- 
des Weib  errungen  und  sich  erlogen,  der  mische  seinen  Jubel 
in  Teodoro-Luis'  Lügenhymne  ein!  Juchhe!  mischt  Marcelo 
den  seinigen  ein  mit  einem  Aparte- Jubel:  Lüg  Du  und  der  Teu- 
fel! Kein  wahres  Wort,  kein  I-Tüpfelchen,  dem  sich  nicht  das 
Jota  rauben  und  das  Tüpfelchen  glauben  liesse!^)  Don  Diego 
erst!  welchen  Jubel  mischt  nicht  erst  Diego  in  Teodoro's  hohes 
Lied  auf  die  Lüge  ein: 

„Aus  der  Wahrheit  Feuerspiegel 
Lächelt  sie  den  Forscher  an  .  .  . 

Auf  des  Glaubens  Sonnenberge 
Sieht  man  ihre  Fahnen  wehn  .  .  . 

Männerstolz  vor  Königsthronen  — 
Brüder,  galt'  es  Gut  und  Blut  — 


1)  —  mis  lastimas  y  endechas, 
—  mis  ansias  y  finezas 
Como  al  sol  la  nieve  cruda 
Como  al  campo  la  alta  sierra 
Como  al  jebeche  las  ondas, 
Como  el  cefiro  las  ondas 
Como  al  aurora  las  flores 
Como  al  rocio  las  jerbas, 

A  los  ojos  de  mi  Elvira 
Todos  mis  males  se  templan. 

2)  Marc.  (ap.     Valgate  el  diablo  mil  veces, 

iQue  gran  mentira)  Una  linea 
Ni  una  tilde  le  ha  quitado 
A  la  verdad;  ; Jesus! 


Lügen-Bravouren.  593 

Dem  Verdienste  seine  Kronen, 
Dreimal  Hoch  der  Lügenbrut!  i) 

und  augenblicklich  seyd  umschlungen  zu  einem  Hochzeitspaar! '2) 
Das  Erfindungsgenie  der  beiden  Schelmuflfkys  hält  ihrer  Frech- 
heit die  Wage.  Elvira,  die  sie  belauscht  und  auf  ihrem  gegen- 
seitigen Lügen-Compromiss  ertappt,  schreit  das  ganze  Haus  den 
Gaunern  auf  den  Hals.  ^)  Welcher  Hals  ist  aber  weiter  und  über- 
schreit alle  andern  Hälse?  Der  Lügenhals!  Davon  liefert  auch 
gleich  Marcel o's  Hals  eine  glänzende  Probe,  mit  seinem  Schmäh- 
geschrei gegen  Teodoro,  der  von  der  Schrulle  besessen  sey, 
sich  für  einen  lumpigen  Don  Luis  auszugeben,  da  er  doch  ein 
geborner  Conde  Fabio  ist!^)  und  der  sich  mit  der  Tochter  des 
Regenten  vermählen  soll  und  nun  hier  eine  so  elende  Maskerade 
mit  dem  Don  Luis  treibt.  Aber  mich  soll  der  T —  reiten,  oder 
Du  wirst  sie  heirathen,  Verräther!  Die  Tochter  der  Kegentin, 
heirathen!  Sofort  geh'  ich  zum  König,  und  meld'  es  dem  gnä- 
digen Papa,  dem  Marques  deßitoldo!^)  Dona  Elvira  schlürft 
auch  gleich  den  'Conde'  mit  Condesa-Begier  in's  Ohr,  und  fällt 
dem  aus  einem  neapolitanischen  Strolch  zum  Don  Luis  und  aus 


1)  Don  Diego. 

Gran  soldado  y  caballaro, 
Hermana;  luego  lo  ve, 
Que  en  nada  me  engana  ä  mi 
Que  era  el  Don  Luis  de  Vivero. 

2)  Que  has  de  desposarte  luego. 

3)  Elv.  Embusteros,  ah  traidores 

Ah  infames,  ah  curedadores  — 
;Hermano,  hermano,  criados! 

4)  Marc.  Si,  yo  tambien 

Dare  voces,  dare  gritos 
Fieros,  grandes,  infinitos; 
Como  parecerä  bien 
Que,  siendo  tu  el  Conde  Fabio 
Hijo  del  noble  raarques 
De  Bitoldo,  que  este  lo  es  •  .  . 
5)  Pues  ä  casar  te  has  venido 

Con  la  hija  del  Kegente 
Seräs,  Traidor,  su  marido; 
Ireme  al  Rey,  ire  al  Conde  .  .  . 
X.  38 


594  I)as  spanische  Drama. 

diesem  zum  Conde  Fabio  Marques  de  Bitoldo  gelogenen  Teodoro 
in  den  schlagfertigen,  auf  Marcelo  wegen  seiner  Ausplauderei 
mit  dem  Fluche  niederfahrenden  Arm:  „Ei  Du  verdammter 
Schlingel,  ich  glaube  gar,  Du  willst  Dich  gegen  meine  schönen 
und  gerechten  Gefühle  für  Elvira,  der  ich  allein  meine  Hand 
bestimme,  stemmen  und  widersetzen!"  ')  Elvira's  zwei  Oehrchen, 
ihr  linkes  Condesa-Ohr  und  das  rechte  mit  dem  Zweifelfloh  darin, 
sie  unduliren  wie  die  Schälchen  der  feinsten  Juwelen  wage,  und 
das  Zünglein  spielt  bald  nach  dem  Condesa-  bald  nach  dem 
Flohöhrchen  hinüber  ^j,  hin  und  her  schwankend,  bis  auch  die 
zweite  Jornada  ausschwankt.  Parallel  mit  Elvira's  Wage  hält 
Teresa  ihre  massive  einschalige  Wage,  mit  dem  Centnergewicht 
„Condesa"  auf  dieser  einen  Schale,  demgemäss  denn  auch  ihre 
Zunge,  wagerecht  vorgestreckt,  den  Condesa-Marquesa-Ausschlag 
giebt.  3)  An  Elvira's  Oehrchenwage  halten  sich  am  Schluss  der 
zweiten  Jornada  die  Schalen  noch  das  Gleichgewicht.  ^) 

Das  Schaukeln  dauert  sogar  bis  in  die  dritte  Jornada  hin- 
ein, und  so  anhaltend,  dass  Dona  Ana  Cousine  Elvira  des- 
halb aufzieht.'^)  Bruder  Diego  lügt  sich  selber  in  die  Conde- 
Wagschale,  um  sie  mit  dem  Centnerübergewicht  seiner  Gläubig- 


1) 

Teod. 

(iMis  deseos 
Tan  hermosos  y  tan  justos 
Me  estorbas,  traidor,  villano? 
Solo  ä  Elvira  doy  la  mano. 

2) 

Elv.  (ap.) 

Que  haces 
Pesamiento?  ^Harete  agravio 
En  creer  que  esto  es  verdad? 
Dudarelo? 

3) 

Teresa. 

iQue  tarde 
Que  lo  tomasl  Date  priesa, 
Senora;  que  no  hay  condesa 
Que  SU  vispera  no  guarde  .  . 
^;  Condesa  y  marquesa  junto? 

Teodoro. 

Los  pies 
Beso  al  Conde,  mi  senor. 

4) 

Elv.  (ap.) 

Dudas,  yo  he  de  averigaros. 

5) 

Dona  Am 

i. 
Y  tu  ^por  Ventura  estäs 
Tan  necia? 

Bon  Luis  de  Vivero  in  Person.  595 

keit  zu  belasten,  und  Elvira's  Zweifel  in  die  Luft  zu  schnellen  i), 
wozu  ihm  nun  auch  die  unter  den  Sachen  der  Strolche  gefunde- 
nen, natürlich  ad  hoc  geschmiedeten  Briefschaften  und  Docu- 
mente  verhelfen,  die  ihre  Angaben  vollauf  bestätigen,  so  dass 
Dona  Ana's  argwöhnischer  Scharfblick  selber  wenigstens  eine 
Braue  in  die  Falte  der  Bewunderung  des  Erfindungsgeistes 
solcher  Betrugsfrechheit  emporzieht  und  wölbt.  2) 

Nun  wird  doch  aber  dieser  Erfindungsgeist  und  diese  Gau- 
nerfrechheit, bei  Marcel o's  seinem  Spiessgesellen ,  Teodoro, 
zugebrachter  Neuigkeit  von  des  wirklichen  Don  Luis  de  Vi- 
vero Ankunft  auf  dem  letzten  Loche  pfeifen! 

Aus  Marchisio's  vorerwähnter  italienischer  Komödiencopie 
weiss  aber  der  Leser  bereits,  dass  die  Strolche  mit  ihren  An- 
schlägen noch  nicht  auf  der  Neige  sind,  und  ersieht  zugleich, 
wie  geschickt  ihr  Landsmann,  der  Marchisio,  den  Spanier  ausge- 
beutet, indem  er  sich  nur  das  aneignete,  was  in  seinen  Kram 
passte,  die  Gelegenheits-Incidenzen  dem  Spanier  zu  weiterem  Ge- 
brauch überlassend,  wie  die  Zwischenscenen  mit  den  zwei  auf- 
einanderfolgenden Dienern,  von  welchen  der  Eine  der  'Senora 
Condesa,  und  Duquesa',  der  Elvira  eine  von  dem  Gaunerpaar 
natürlich  gekartete  Hofeinladung  nach  Buen-Eetiro  zu  zwei  Thea- 
tervorstellungen bringt,  zu  einer  Komödie  von  dem  grossen  herr- 
lichen Genie,  das  sich  unter  dem  Namen  Tirso  de  Molina 
verbirgt  (Gabriel  Tellez),  und  zu  einer  Tragödie,  deren  Helden- 
paar zwei  grosse  Schwindler.  ^)  Der  zweite  Diener  bringt  vom 
Admiral  eine  Einladung  zum  Ball,  auf  eine  mit  ihm  zu  tanzende 


1)  D!on  Diego. 

Todo  en  su  favor 

Habla,  concierta  y  responde. 

2)  Dona  Ana. 

Engano  0  verdad,  el  diablo 
No  pnede  disponer  mas  bien 
Un  embuste  y  un  engano. 

3)  La  primera,  de  nn  lucido 
Ingenio  grande,  escondido 
En  lo  Tirso  de  Molina  .  .  . 

La  tragedia  .  .  . 

De  dos  grand^s  embnsteros. 

38* 


596  ^^^  spanische  Drama. 

Quadrille.  Marchisio  schwänzte  die  Komödie  in  Buen-Retiro  und 
die  Quadrille  beim  Almirante  von  Castilien  und  hielt  sich  an 
das  Schwanzstück  unserer  spanischen  Komödie,  woraus  er  seine 
Lustspielkatastrophe  geschnitten,  an  das  Erscheinen  des  wirkli- 
chen Luis  de  Vivero  nämlich,  den  Teodoro  sofort,  wie  bei 
Marchisio,  als  den  Strassenräuber  erkennt,  der  ihn  ausgeplündert, 
durchsucht  ihm  die  Taschen,  worin  sich  wirklich  Elvira's  Por- 
trait und  sonstige  dem  Teodoro  geraubt  seyn  sollende  Effecten 
befinden,  und  sperrt  den  geknebelten  wirklichen  Don  Luis  vor- 
läufig, bis  Gerichtsdiener  kommen,  in  eines  der  Zimmer,  Alles 
mit  Hülfe  des  Don  Diego  und  Alles,  wie  bei  Marchisio,  mit 
Hülfe  des  Don  Antonio  Hurtado  de  Mendoza. 

Eingesperrt,  durchgebläut,  gebunden,  sieht  sich  unser  wirk- 
licher Don  Luis  in  der  betrübten  Lage  eines  ausgerungenen, 
vom  Bläuel  weg  durch  dieselben  Leidensstadien  hindurchgewun- 
denen, am  Trockenstrick  triefenden  und  vom  nasskalten  Winde 
noch  hinterdrein  gepeitschten  Nachthemdes,  und  verliebt  dazu! 
Verliebt  in  DonaElvira's  ihm  entrissenes  Portrait,  um  welches 
sich  seine  thränennasse  Seele  so  sehnsuchtsvoll  grämt,  wie  ge- 
dachtes Hemd  nach  einem  Sonnenstrahl,  oder  nach  dem  trockenen 
Leibe  seines  ihm  abhandengekommenen  Trägers.  Sein  grösster 
Schmerz  aber  ist  das  Räthselhafte  seiner  Lage.  In  der  ünge- 
Avissbeit  seiner  Verzweiflungsqualen  richtet  er  an  das  Schätzel  in 
Gestalt  der  Hausmagd  Teresa  die  Jammerfrage:  Was  dieser 
horabre,  Mensch,  für  ein  Caballero  und  dieser  Caballero  für  ein 
hombre,  für  ein  Mensch  sey  ^),  und  ob  er  überhaupt  ein  Mensch  sey 
und  kein  carnifex?  Dieser  hombre  steht  nun  selbst  vor  ihm  im 
Gefängnisszimmer,  um  ihm  über  sich  Aufschluss  zu  geben,  dass 
er  nämlich,  unser  Teodoro,  der  Don  Diego  Tello  de  Guzman 
sey,  und  hier  erscheine,  um  einen  Act  der  Grossmuth  an  ihm, 
dem  angemassten  Don  Luis  de  Vivero,  seines  seligen  Freun- 
des, zu  üben,  indem  er  ihm  die  Freiheit  schenke,  und  das  ge- 
raubte Gut,  Kostbarkeiten  und  Portrait  dazu,  ob  auch  sein  Her- 
zensfreund, der  Conde,  mit  dem  er,  Don  Diego  Tello,  seine 
Schwester  Elvira  vermählt  habe,  noch  so  sehr  um  diesen  Verlust 


1)  Solo  de  vos  saber  quiero 

Que  hombre  es  este  6  caballero. 


Entlarvung.  597 

trauern  und  seufzen  möchte.  Nur  pack  dich!  troll  ab,  und  schier 
dich,  du  trübseliger  Schatten  meines  verstorbenen  Don  Luis  de 
Vivero,  meines  seligen  Freundes!  ^)  Ob  dieser  unverschämten 
Lügenerfindungskunst,  die  ihn,  angesichts  seines  leibhaften  An- 
gesichts, für  einen  seligen  erklärt,  fährt  Don  Luis  aus  dem 
Häuschen,  und  bedauert,  dass  er,  statt  der  Kette,  nicht  einen 
Säbel  nachschleife,  um  dem  Gauner  einen  Denkzettel  für  seine 
infame  Grossmuth  zu  geben.-)  Da  kommt  Marcelo  ausser 
Athem  gelaufen  und  meldet  mit  Schrecken,  zwei  italienische  Ca- 
pitanes  und  drei  Diener  des  Don  Luis  de  Vivero  hätten  sich 
eingestellt  und  verlangten  stürmisch  nach  ihrem  Herrn.  Nun 
möchte  sich  Teodoro  selber  belügen,  bis  er  blau  oder  schwarz 
wird,  um  nicht  als  Lügner  erkannt  zu  werden.  Vergebens.  Der 
Schrecken,  der  alle  Gesichter  weiss  färbt  und  selbst  ein  Moh- 
rengesicht fahl  wäscht,  bleicht  das  Indigoblau  des  Anlaufen- 
lassens  und  die  lügenschwarze  Eussmaske  auch  auf  Teodoro's 
eiserner  Stirne  kreide  weiss,  und  auf  Diego's  Gesicht  zornfeuer- 
roth,  als  er  von  Don  Luis  und  sämmtlichen  um  ihn  gruppirten 
Neapolitanern  erfährt,  dass  ein  Marques  de  Bitoldo,  den  der  Gau- 
ner zu  seinem  Vater  gelogen,  im  ganzen  Königreiche  Neapel  nicht 
existirt.  Eine  Abschiedsstandrede  muss  aber  Teodoro,  als 
Grossmeister  vom  Lügenstuhl  seiner  Kunst,  doch  noch  zuguter- 
letzt  halten,  welche  Standrede  merkwürdigerweise  das  erste  wahre 
Wort  ist,  das  über  seine  Lippen  kommt.    Er  führt  aus,  dass  die 


1)  Teod.         Yo  soy,  yo,  Don  Diego  Tello 

De  Guzman:  que  los  Gnzmanes*) 
Ser  buenos  como  en  el  nombre, 
Es  magorazgo  en  lo  sangre  .  .  . 
Todas  las  Jogas  de  vuelvo 
Gima  lo  el  Conde  ä  la  brame  .  .  . 
Huije  luego,  vete  luego  .  .  • 

2)  Que  a  tener  aqui  una  espada  — 
Os  pagära  al  necio  aviso 

De  tan  indignas  piedades. 


*)  Guzman  =  Gutmann.  Der  Schuft  hat  die  Frechheit,  sich  zu- 
letzt noch  in  eine  deutsche  Haut  hineinzulügen,  und  obenein  in  die  eines 
Gutmann ! 


598  ^^^  spanische  Drama. 

ganze  Welt  Eine  Lüge,  „Ein  Teodoro  ist  — "  die  Luft,  der  Tag, 
das  Jahr  lügt,  und  in  dem  Kartenspiel  der  Welt  sind  alle  Fi- 
guren acht  gefärbt  in  der  Lügenwolle  und  in  der  nie  ausgehen- 
den, waschächten  Lug-  und  Trugfarbe  i),  die  alle  Welt  bekennt. 
Äehnlich  führt  Shakspeare's  Timon  aus,  dass  die  ganze  Welt, 
Natur  und  Welt  mit  einbegriffen,  das  Diebeshandwerk  treibt.  Für 
Mendoza's  Teodoro  ist  der  Himmel  ein  blauer  Dunst,  der  die 
Erde  blau  anlaufen  lässt  und  dem  Teufel  die  Haut  voll  lügt, 
bis  er  schwarz  wird;  und  nach  Shakspeare's  Timon  sind  die  Säu- 
len der  Welt  lauter  Dietriche  und  Nachschlüssel.  Drücken  wir 
menschenfreundlicherweise  ein  Auge  darüber  zu,  wenn  wir  Men- 
doza's  Lügengaunerpaar  vom  blauen  Dunst  nur  das  blaue  Auge 
davontragen  sehen,  mit  dem  es  fortkommt,  fortkommt  auch  in 
der  Welt,  ihrem  eigentlichen  Element.  Dass  Don  Diego  seine 
Schwester  Elvira  nun  mit  dem  wahrhaftigen  Don  Luis  verhei- 
rathet,  liegt  auf  der  Hand,  die  sie  ihm  in  der  Anwartschaft 
reicht,  dass  seine  Kartenfigur  in  Teodoro's  Weltkartenspiel  nicht 
aus  einem  brennendrothen  Herzkönig,  roth  wie  brennende  Liebe, 
in  einen  Piquebuben,  schwarz  wie  die  Hölle,  umschlagen  werde. 

Mendoza's  Lügenspiel  ist,  was  Charakteristik,  kerngesunde 
Motivirung  und  geistreichkomische  Durchführung  anbelangt,  eines 
der  trefflichsten  der  spanischen  Bühne,  wo  nicht  die  beste  Gau- 
nerkomödie überhaupt  —  ungelogen! 

Nicht  auf  gleicher  Höhe  steht,  unseres  Ermessens,  Hurtado 
de  Mendoza's  Comedia 

Gada  loco  con  su  tema 

6 

El  Montanes  Indiano. 

(Jedem  Narren  gefällt  seine  Kappe.   Wörtlich:    Jeder  Narr  mit 
deiner  Schrulle,  oder  der  indianische  Gebirgslandmann). 

Dieser  Indianer,  in  den  spanisch-amerikanischen  Besitzun- 
gen jener  Zeit  geboren,  ist  der  närrische  Kauz  von  Neffe  des 


1)  Atencion,  que  nada  vive 

Sin  mentir;  ^no  miente  el  aire, 
Miente  el  dia,  miente  el  ano? 


Marotten.  599 

eben  so  närrischen  Kauzes  von  Onkel,  des  alten  Hernan  Perez, 
der,  ausser  seinem  indianisch-spanischen  Brudersohn,  schlechtweg 
El  Mon-tanes,  der  Edelbauer  vom  Gebirge,  genannt,  aus  West- 
indien Geld  wie  Heu  und  hiernächst  die  Marotte  mitgebracht, 
seine  zwei  Töchter,  Isabel  und  Leonor,  mit  dem  Stocke  in 
der  Hand  zu  zwingen,  ihren  Vetter,  den  rauhhaarigen  Gebirgs- 
Esau  zu  heirathen,  wenn  nicht  Beide,  jedenfalls  Eine  von  ihnen 
zu  der  Partie  zu  zwingen,  gleichviel  'welche  von  beiden.  Der 
Neffe  und  Vetter  sey  zwar  nicht  gerade  bemittelt,  aber  betitelt, 
Hidalgo  nämlich,  und  er  als  Onkel  habe  einmal  die  Schrulle, 
spanisch  *tema',  und  müsse  wegen  des  Titels,  nicht  allein  des 
Hidalgo-Titels,  sondern  auch  des  Komödientitels  halber,  die  Ma- 
rotte haben,  keinen  andern  Schwiegersohn  besitzen  zu  wollen, 
als  erstens  einen  unbemittelten  Neffen,  der  aber  zweitens  ein  Ge- 
birgskrautjunker  und  drittens  ein  spaüischer  Landedelmann,  ein 
Hidalgo  ist.  Nur  einem  derart  bestallten  Neffen  sey  er  entschlos- 
sen, Vermögen,  Blut  und  Weib  zu  geben  und  zu  hinterlassen,  i) 
Die  Töchter  aber  wollen,  weder  Beide  noch  Eine,  von  dem  ihnen 
mit  dem  Stock  angefreiten  Stock-Bauer,  Landpflock,  Gebirgsblock 
und  Schockschwerenöther  von  unvermögendem  Hidalgo  -  Vetter 
nichts  wissen.  Wenn  es  schon  ein  unbemittelter  seyn  soll,  so 
müsste  es  wenigstens  ein  Caballero  seyn,  —  besteht  Tochter 
Isabel  auf  ihrer  Marotte,  —  und  nicht  ein  blosser  grobkör- 
niger, klobiger  Gebirgs-Hidalgo  2) ,  der  sein  Weib  nicht  so  gut 
wie  seine  Kühe  und  Ziegen  hält,  die  er  als  richtiger  Cyklop 
mit  eigenen  Händen  melkt.  Ein  Gebirgs-Hi-  oder  Ei-dalgo!  Fi 
über  den  Viehkerl,  schütteln   sich  beide  Töchter,  „Jonich!"  — 


Todo  miente,  y  en  el  naipe 
Del  mundo,  figura  es  tode, 
Y  todos  representantes  etc. 

1)  —  eso  ha  de  ser  .  .  . 
Que  ä  mi  sobrino  he  de  dar 
Hacienda,  sangre  j  mujer. 

2)  Dona  Isabel. 

Hidalgo,  ;que  triste  nombre! 
Que  aun  no  dijo  Caballero; 
Solo  hidalgo  es  mal  aguero. 


600  ^^^  spanische  Drama. 

nicht  besehen  und  nicht  unbesehen  !*)  Vom  omen  im  Namen 
'Hidalgo'  abgesehen,  das  ein  „Sohn  (hijo)  von  algo"  (von  „Et- 
was" etwas  Kechts)  nämlich,  von  Maxen,  wie  er  in  Wien 
heisst,  aber  nicht  Kaiser  Maxen,  Maxen  mit  der  leeren 
Tasche,  Maximiliano  senza  denaro,  sondern  mit  Batzen,  Kies  und 
Moos,  Gebirgskies  und  Gebirgsmoos  frisch  aus  dem  Bergwerk, 
kurz,  einen  Herrn  von  Habewas,  keinen  Herrn  von  Habenichts, 
der  ein  Hidalgo  wie  lucus  a  non  lucendo,  ein  Landelmann,  ein 
Johann  ohne  Land,  der  blank  mit  seinem  Beutel  steht,  und  der 
Beutel  blank  mit  Blank  .und  Baar.  Ein  Gebirgskropf,  solch  einen 
Vetter  und  Hidalgo  an  den  Hals  mag  kein  Weib  wie  Dona  Isabel 
und  DonaLeonor!  meint  auch  Tante  Äldonza,  betreff  desselben 
Themas  oder  tema.  Sonderbare  Gebirgsgrille  von  dem  Montanes, 
als  Brautschatz  seiner  Frau  nichts  weiter  mitzubringen,  wie  den 
Vetter  und  besagte  Grille :  den  Hidalgo  ohne  algo.  Die  Luft  von 
Madrid  vertrüge  dergleichen  nicht.  ^) 

Allein  mit  ihrer  Schwester  Leonor,  schüttelt  Isabel  die 
Taschen  und  Täschchen  ihres  Herzens  vollends  aus  bis  auf  den 
Grund,  mit  einer  kleinen  Apostrophe  an  dieses  selbige  Herz :  „Ei 
ja,  Freund  Herzchen,  mehr  fehlte  mir  nicht,  als  so  ein  Wild- 
schwein-Hidalgo aus  den  Gebirgen  von  Leon!"  3)  Ein  ganz  an- 
deres Band  fesselt  sie,  ein  ungleich  stärkeres,  als  selbst  das  Lie- 
besband, das  in  Westindien  ihr  Herz  mit  dem  ihres  Vetters  Don 
Luis  daselbst  umschlangt),   und  eröffnet   der  Schwester,  diese 


1)  Dona  Isabel. 

Yo,  no  le  qniero,  sin  velle. 
Dona  Leonor. 

Ni  yo,  quando  le  haya  visto. 

2)  Y  que  tienen  — 

Otro  saber  diferente  — 
Estos  aires  de  Madrid. 

3)  Dona  Isabel. 

Ay  amigo  corazon, 

No  mas  me  faltaba  ä  mi 

Que  un  hidalgo  jabali 

De  los  montes  de  Leon. 

Quando  yo  ä  Don  Luis  queria 

En  las  Indias,  no  pensaba 


Eine  Frau  für  ein  Pferd.  .  601 

demantene  Liebesfessel  hätte  Don  Juan  ihrem  Herzen  ange- 
legt. Leonor  hat  an  dem  Herzensfessler  nur  Eins  auszusetzen: 
dass  er  zu  Fuss  einherwandelt,  nicht  zu  Pferd.  Leooor's  *tema', 
Schrulle,  Grille  ist  die ,  dass  i  h  r  Galan  beritten  seyn  müsse.  0 
Ein  Caballero  ohne  Caballo,  sey  nicht  mehr  werth  als  ein  Hidalgo 
ohne  algo.  Einen  Nachtalp,  auch  Nachtmännchen  genannt,  das 
bekanntlich  einen  Pferdekopf  hat,  liesse  Leonor  lieber  auf  ihrem 
Herzen  hocken,  um  des  Pferdekopfs  willen,  als  einen  Galan,  oder 
gar  Ehemann,  als  einen  Tag-  und  Nachtmann  zu  Fuss.  Isa- 
beTs  Passion  ist  von  edlerem  Schlage  eine  wahrhaft  noble  Pas- 
sion. Sie  mag  keinen  Bereiter,  keinen  kutscherhaften  Centaur.  ^) 
Sie  wünscht  sich  einen  Mann  von  Geist,  von  Ehren-  und  Herz- 
haftigkeit^),  einen  Mann  der  Hand  und  Fuss  hat,  wenn  auch 
kein  Pferd,  und  der  auf  eignen  Füssen  steht  und  geht,  nicht  mit 
dem  Pferdefuss,  wie  der  Teufel,  der  im  Prado  zu  Fuss  spazieret, 
nicht  vierfüssig  auf  den  Beinen  eines  Miethgauls.  4)  Kurz ,  thö- 
richte  Schwester,  steig'  runter  vom  hohen  Pferd!  In  der  Liebe 
und  im  Kriege  lob'  ich  mir  die  spanische  Infanterie.  ^) 

Nach  und  nach  schieben  die  Scenen   anderweitige  Vertreter 
unseres  Komödientitels  herein.    Zuvörderst  Isabel's  auf  Freiers- 


Que  en  Madrid  amor  ärmaba 
Mayor  lazo  al  ahna  mia. 

1)  Doiia  Leonor. 

Pues  (S  Yo  admitiera  despojos 
De  hombre  de  ä  pie?  .  .  . 

2)  Y  ese  tu  galan  cansado, 

0  cochinista  o  rocinista  .  .  . 
Lo  que  ä  nn  picaro  le  cuesta 
Guisarse  de  Caballero. 

3)  Pues  yo  solo  un  hombre  quiero 
De  ingenio,  de  honra  y  valor  .  .  . 

4)  Que  ä  pie  se  baje  hasta  el  Prado 
Y  diga 

Aqui,  por  gracia  de  Dios, 
No  viene  rocin  prestado. 

5)  Y  en  fin,  necia  hermana  mia, 
La  vana  ambicion  destierra; 
Que  en  el  amor  y  la  guerra 
Espanola  infanteria. 


602  Das  spanische  Drama. 

füssen  stramm  und  correct  zuFuss  einhergehenden  Galan  Don 
Juan,  der  seinem  Freunde  und  Begleiter  Bernardo  das  tema, 
den  wunderliehen  Einfall  plausibel  zu  machen  sucht,  der  Freund 
möchte  die  alte  Tante  Aldonza  entern,  dieweil  er,  Don  Juan, 
sich  mit  der  jungen  Nichte,  der  Isabel,  auf  den  freundschaft- 
lichen Fuss  eines  Liebhabers  stellt.  Dem  barocken  tema  setzt 
Freund  Bernardo  seine  Schrulle,  den  Schauder  vor  alten  Tan- 
ten entgegen  1);  eine  Narrenkappe,  die  eine  empfehlenswerthe 
Sturmhaube  abgiebt  gegen  Hexen-Tanten,  wie  Doiia  Aldonza, 
die  auf  dem  Steckenpferd  als  Besenstiel  herumreitet,  in  den  vier- 
ziger Jahren  noch  heirathen  zu  wollen,  zu  Pferd  oder  zu  Fuss. 
In  seinem  Schrecken  vor  Tanten  und  tias  verschwört  Bernardo, 
um  sich  vor  Tanten  auf  alle  Fälle  zu  sichern,  verschwört  er  das 
Heirathen  in  Fausch  und  Boge^  und  erklärt  sich  aus  Tanten- 
Abscheu  zum  Weiberfeind  unter  allen  Ehegestalten.  Auf  Don 
Juan's  eheeifrigen  Einwurf:  Der  Ehestand  sey  heilig,  entgegnet 
Bernardo:  „Ja,  ein  heiliges  Offlz,  heilig  wie  die  heilige  Inqui- 
sition, denn  wer  in  den  heiligen  Ehestand  tritt,  kann  gewiss  seyn, 
daraus  mit  Teufelsgewalt  als  armer  Sünder  hervorzugehen."  ^)  Das 
sey  so  die  Marotte  des  Santo  oficio,  eine  Kappe  von  Gestalt  ei- 
ner trichterförmigen  Sanbenito-Mütze.  Isabela's  Kammermädchen 
Luisa,  die  dem  Don  Juan  ein  briefliches  Stelldichein  zur 
Kirche  bringt  —  per  pedes  Apostolorum  versteht  sich,  nicht  auf 
dem  apokalyptischen  Schimmel  —  neckt  der  aus  Tantenfurcht 
ehescheue  Bernardo  mit  ihrem  jugendlichen  Zwischenträger- 
geschäftchen,  alias  Kuppelhand  werkchen.  ^)  „Welche  Perle  für 
die  Hölle!"  Sie  giebt  es  ihm  heim:  „Welches  Ohrgehänge  für 
den  Galgen!"^)  Bernardo  ist  einer  der  vorzüglichsten  Repräsen- 
tanten der  satirisch -beissenden  Begleiterfiguren  der  spanischen 


1) 

^Yo  querer  a  una  tia?  Yo  ä  una  tia? 

2) 

D.  Juan. 

El  matrimonio  es  santo. 

Bernardo. 

Y  Santo  oficio, 
Porque  en  entrando  en  el  qualquier  casado, 
Por  fuerza  ha  de  salir  sentenciado. 

3) 

Que,  siendo  alcahueta  en  flor, 
Lo  ha  venido  ä  ser  en  fruto. 

4) 

Bern. 

iQue  perla  para  el  infierno! 

Luisa» 

jQue  arracada  para  el  rollo. 

Ein  Pferd  für  eine  Frau.  603 

Komödie,  eine  Art  freundschaftlicher  Mephistopheles,  wie  Goethe's 
Merk,  das  Vorbild,  wie  man  weiss,  zu  Goethe's  in's  höllisch- 
ironische umgeteufeltem  Mephistopheles.  Mendoza's  Bernardo  er- 
innert an  Shakspeare's  mit  witzig  humoristischer  Demantspitze 
gezeichnete  Typen  von  satirisch  böser  Zunge,  rasselnd  wie  der 
Schwanz  der  Klapperschlange,  aber  ohne  Giftsack  im  Zahn.  Klap- 
perschlangen als  giftlose  Schooss-  und  Busenschlangen,  wie  Be- 
nedict z.  B.  Zu  solchen  bildet  das  baare  Gegentheil  der  neue 
Beleg  für  die  durchgängige  Stichhaltigkeit  unseres  Komödienti- 
tels, ein  Don  Julian,  eingeführt  als  „Galan  gracioso",  der 
auf  seinem  Steckenpferd,  dem  Pferd  schlechthin,  als 'tema',  ge- 
streckten Galopps  auf  Leonor's  hippomanes  Herz  ansprengt.  ^) 
Bernardo  nennt  ihn  Caballero  testamento  todo,  und  Don  Ju- 
lian's  Eeitknecht  erklärt  ihn  für  den  grössten  Narren  in  Casti- 
lien^),  oder  wie  Shakspeare  von  einem  ähnlichen  alten  Wicht 
sagt:  Ganz  Catalonien  hat  nicht  seinesgleichen.  Vor  Conflicten, 
und  gar  Duellen,  scheut  er  wie  ein  Pferd  vor  einer  Leiche, 
nimmt  das  Gebiss  in's  Maul  und  geht  durch.  Vor  Don  Juan 
macht  er  Kehrt  und  prescht  ab,  brobdingragisch  wie  Swift's  Boss 
Huynuun  wiehernd:  „Was?  Ich  mit  Einem  mich  einlassen,  der 
zu  Fuss  geht?"  3)  In  nächster  Scene  reiten  ihn  in  effigie  die 
beiden  Schwestern  Isabel  und  Leonor,  Erstere  zu  Schanden, 
Letztere  Parade,  und  auf  öffentlicher  Strasse.  Isabel  misst  ihn 
neben  Don  Juan  —  welcher  Unterschied!  „Welcher  klägliche 
Wicht !  —  Welcher  stattliche  Wuchs !"  ^)  Dagegen  Leonor:  „Ist 
er  nicht  schmuck?  Ist  er  nicht  fein  und  zierlich  von  Ansehn?"  ^) 
Nächst  Pferd   ist  dem  Julian  nichts   so  an's  Herz  gewachsen, 


1)  D.  Juan.       Es  grandisimo  galan 

De  Dona  Leonor. 

2)  Que  no  hay  tal  necio  en  Castilla. 

3)  D.  Julian.  (iQue? 

^Yo  hablar  ä  quien  anda  a  pie? 

4)  Dona  Isabel. 

jQue  mal  hombre!  —  iQue  buen  taUe! 

5)  Dona  Leonor, 

j^No  es  gallardo?  no  es  airoso? 


604  I^as  spanische  Drama. 

wie  eine  Frau  mit  hübscher  Aussteuer.  ^)  Don  Julian  schwört 
auf  jene  mundläufige  Julian-Schmidt  Frage:  Herr  Schmidt,  was 
kriegt  die  Jule  mit?  Um  Beider,  Don  Juan's  und  Don  Julian's, 
Galanterie  auf  die  Probe  zu  stellen,  bedienen  sich  die  zwei 
Schwestern  des  in  der  spanischen  Comedia  nicht  mehr  unge- 
wöhnlichen Versuchsmittels,  eines  fallengelassenen  Handschuhs 
nämlich,  den  nicht  Don  Julian,  „der  sich  vor  Nichts  bückt" 2)^ 
als  vor  sich  selber,  seinem  eignen  Nichts,  und  gewöhnlich  keinen 
Handschuh  autnimmt,  auch  keinen  Frauenhandschuh  —  den  mit- 
hin auch  jetzt  nicht  Don  Julian  apportirt,  sondern  Don  Juan, 
und  ihn  der  Eignerin,  der  Doiia  Leonor,  ziersam  ritterlich  zu- 
stellt, Das  verbindet  der  L  e  o  n  o  r  den  auf  dem  fahlen  Pferde  —  mit 
dem  er  zusammengewachsen  —  betroffenen  Don  Julian.  Er 
scheute  wohl,  sagt  sie,  vor  ihrem  Handschuh  zurück,  weil  er  ihn 
für  einen  Fehdehandschuh  halten  mochte. '^)  Besser  gefällt  ihr 
Don  Juan,  wenn  er  nur  kein  so  armer  Teufel  wäre 4),  dass  er 
sich  nicht  einmal  ein  Pferd  halten  kann.  Diese  Marotte  hielt 
auch  Don  Juan  ab,  Bernardo's  eifrigen  ßath,  auf  Isabel's 
Humor  anzubeissen,  zu  beherzigen  und  zu  befolgen.  Sich  selbst 
aber  wünscht  ßernardo,  dass  Leonor  eine  Woche  lang  — 
Tante  wäre.  ^) 

Escudero  verlangt  Botenbrod  (albricias)  für  die  fröhliche 
Meldung  von  Hernan  Perez'  Neffen.  Hernan  springt  ellen- 
hoch vor  Freude  über  die  frohe  Botschaft  —  Das  ellenlange  Ge- 
sicht aber,  als  er  statt  des  erwarteten  Montanes,  seines  Ge- 


1)  D.  Julian.    Yo  enamoro  ä  lo  marido 

Solo  ä  un  dote  bien  nacido 

Y  ä  una  hacienda  bien  hermosa. 

2)  D.  Julian.    Nunca  yo  me  bajo  a  nada. 

3)  Dona  Leonor. 

Cansado  me  ha  Don  Julian; 

Penso  qua  era  — 

De  desafio  aquel  guante. 

4)  Mas  apacible  es  Don  Juan, 
iQuien  le  diera  otra  fortuna! 

5)  Yo  tamära  que  Leonor 
Fuera  tia  una  semaua. 


Ständclien-Taiife.  605 

birgsneffen,  den  Neffen  aus  Amerika,  Don  Luis  de  Peralta, 
vor  sich  sieht!  Er  begrüsst  ihn  mit  dem  eben  nicht  erfreulichen 
Willkommen:  „Aus  Westindien  hast  Du  mich  verjagt,  und  hängst 
Dich  nun  in  Madrid  an  mich  wie  eine  Klette?"  ^)  Der  Neffe  aus 
Amerika  kratzt  sich  hinter  den  Ohren  bei  der  Nachricht  von 
IsabeFs  Verlobung  mit  dem  Gebirgsvetter,  der  seiner  Braut  eben 
in  die  zum  Empfang  ihres  ehemaligen  Liebsten,  des  Vetters  aus 
Lima,  des  Don  Luis  Peralta,  ausgebreiteten  Arme  läuft,  die 
aber  vor  der  Umarmung  des  Gebirgsbären  von  Leon  zurückprallt 
mit  dem  Schrei:  „Jesus,  was  ist  das  für  ein  ungeschlachter  Bä- 
renhäuter!" "^j  Mit  der  gegenseitigen  Beäugung  und  Beschnüf- 
felung  des  Gebirgs-  und  des  Lima- Vetters ,  die  eine  Herausfor- 
derung vonseiten  des  Gebirgsvetters  zurfolge  hat,  schliesst  die 
erste  durch  Charakterkomik  preisliche  Jornada. 

Die  erste  Hälfte  der  zweiten  Jornada  ist  dem  Duell 
zwischen  den  beiden  Vettern  zweier  Welten,  dem  Gebirgsvetter 
aus  Leon,  und  dem  Lima- Vetter  aus  Amerika,  gewidmet;  die 
zweite  Hälfte  der  Taufe  des  Don  Julian,  die  der  Escudero, 
als  vermeinte  Isabel,  an  dem  Schädel  des  vor  ihrem  Balcon 
sein  Nachtständchen  absingenden  apokalyptischen  Reiters  auf  dem 
fahlen  Pferde  mit  einem  Nachtständchengeschirr  vollzieht,  von 
wunderbarer  Wirkung,  indem  der  Ausguss  den  Sänger  nur  zu 
einer  enthusiastischeren  Katzenmusik  begeistert,  als  käme  der 
Guss  frisch  aus  dem  Rossquell  der  Hippokrene.  Das  Duell  un- 
terbrechen Don  Juan  und  Bernardo,  die  wie  zwei Kampfwär- 
tel  mit  weissen  Stäben  dazwischen  treten.")  Don  Julian,  der 
dazu  kommt,  drückt  sich,  um  seine  jungfräuliche  Klinge  nicht  mit 
dem  Blute  von  Duellanten  zu  Fuss  zu  beflecken.  Aus  der  be- 
sorgten Erkundigung  seines  Onkels  Hernan  Perez  nach  seines 


1)  De  las  Indias  vengo  huyendo 
De  ti,  y  ^en  Madrid  ahora 
Aun  no  me  dejas? 

2)  ; Jesus!  ^Que  hombron 

Es  este? 

3)  D.  Juan.       Paz,  caballeros. 
Bernardo.  Paz  digo. 


606  I^as  spanische  Drama. 

Gegners  etwaigen  Duellwunden  erfährt  der  Lima- Vetter  zuerst 
den  Namen  des  Widerparts;  erkennt  auch  Don  Juan  zuerst  den 
seine  schöne  Sonne  verfinsternden  Schatten  i),  und  lässt,  zu  sei- 
nes Schmerzes  Linderung,  sich  von  Don  Luis  Peralta  zwei 
Foliocolumnen  Selbstbiographie,  beginnend  von  der  Geburt  des 
Vetters  zu  Lima  und  endigend  mit  dessen  trübseliger  Brautschau 
in  Madrid,  als  Pffester  auf  seine  schwärende  Eifersuchtswunde 
streichen,  mit  der  Versicherung,  dass  er,  Don  Juan,  des  Lima- 
Vetters  Drangsal  wie  seine  eigene  empfinde.^)  Onkel  Perez 
fordert  in  seinem  nur  für  Gebirgsneffen  gastfreundlichen  Hause 
den  Montanes  auf,  eine  von  seinen  Töchtern  vom  Fleck  weg 
zu  lieben.^)  Montanes  spuckt  auch  schon  in  die  Hände,  um 
sich  zu  dem  verwegenen  Unternehmen  anzufeuern,  und  in  die 
seiner  niedlichen  Cousinen  nicht  weniger,  denn  tausend  Küsse.  ^) 
Die  Cousinen  schieben  sich  gegenseitig  den  Vetter  zu.  ^)  Vater 
Perez  hetzt  das  Gebirgswild  zu  einer  Bärenumarmung  auf  die 
Töchter. ^)  Don  Juan  et  Comp,  kommen  dazu  und  entsetzen  sich 
ob  der  Hatz.'^)  Borna rdo  schwingt  den  Kolben,  um  den  Bären  zu 
lausen  mit  der  Schreckenskunde  von  Don  Luis'  gefährlichen  Duell- 
wunden, und  verschiedenen  Alguazils,  die  schon  anrücken,  um 
dem  Gebirgsbären  auf  den  Pelz  zu  brennen,  während  Don  Juan's 
Wildschur  bereits  zu  brenzeln  anfängt  vor  Eifersucht  wegen  Isa- 
beFs  Theilnahme  an  des  Lima- Vetters,  ihres  weiland  Liebhabers, 


1) 

Soinbra  de  mi  sol  hermoso. 

2) 

Senor  Don  Luis,  vuestra  pena, 

En  tan  justo  sentimiento 

Ya  como  propia  la  sento. 

3) 

^Cual  te  parece  mejor? 

Escoge  luego. 

4)  Mil  veces,  primas,  os  beso 
Las  manos. 

5)  Dona  Leonor. 

Suya  seräs,  que  es  may  justo. 
Dona  Isabel. 

El  hombre  tendrä  buen  gusto, 
Y  vendrä  escogerte  ä  ti. 

6)  Llega;  que  para  abrazar 
Basta  mi  dispensacion. 

7)  alborotados. 


Das  Ständchen.  607 

von  Bernardo  ausgeheckten  Wunden,  die  zurstelle  der  in  der 
Thür  unversehrt  erscheinende  Don  Luis  Lügen  straft;  fällt  aber 
in  demselben  Augenblick  als  Opfer  von  Bernardo's  Wun- 
den schlagendem  Erfindungsgeiste,  zu  Tode  geängstigt  mit  des 
Gebirgsvetters  im  Duell  erhaltenen  Wunden  und  den  ihm,  dem 
Lima- Vetter,  auf  den  Hacken  sitzenden  Alguazils.  ^)  Nun  kommt 
auch  Don  Julian  herbei,  um,  wie  gewöhnlich.  Kehrt  zu  machen, 
beim  blossen  Kedenhören  von  Duellwunden.  Dona  Isabel  fin- 
det ihn  so  abgeschmackt,  dass  sie  ihn  nicht  möchte,  selbst  wenn 
er  zu  Fuss  ginge. 2)  Bernardo  bewirft  ihn  mit  Hecheln,  die 
an  Juli  an 's  handschuhlederglatter  —  aber  nicht  fehde-  und 
fechthandschuhlederglatter  Haut  nicht  haften  bleiben.  Gross  und 
unanfechtbar  wie  immer  schreitet  er  davon,  über  das  Zeitliche 
und  über  kleinliche  Duellrache  erhaben.  ^)  und  weltverachtenden 
Schrittes  geradenwegs  unter  Isabel's  Fensterbalcon  mit  Musikan- 
ten, Ständchen  halber,  und  um  bei  dieser  Gelegenheit  obgemel- 
dete  Taufe  vom  Escudero  mit  dem  Kammertopfe  zu  empfangen, 
der  nebenbei  Oel  in  Don  Juan's  Eifersuchtsfeuer  schüttet,  aus 
Ursache,  weil  dieser  mit  Don  Juan  den  Escudero  für  Isabel 
hält  und  die  Taufe  für  ein  Symbol  von  Liebeserguss.  Don  Ju- 
lian meckert  mit  triefendem  Haupte :  „0  süsse  Isabel!"^)  Täu- 
fer Escudero  giesst,  wie  der  Wassermann  im  Thierkreis,  aus  seinem 
unversieglichen  Topf.  Don  Juan  schiesst  auf  ihn  los,  wie  Mars 
auf  Adonis  als  Eber.  Montanes  gesellt  sich  hinzu  als  unauf- 
haltsamer Schädelspalter  mit  Valentin's  Worten  in  Goethe's  Faust 
bei  Mephistopheles'  Ständchen  vor  Gretcliens  Fenster:^) 

1)  Bernardo.    Estä  el  Montanes  herido, 

Y  no  es  tu  peligio  poco; 
La  justicia  como  un  rayo 
Anda  ya,  y  es  janto  al  pecho. 

2)  Dona  Isabol  (ap.) 

No  te  qiiisiera, 

Aunque  anduvieras  a  pie. 

3)  —  Que  yo  me  fundo 

En  qne  no  hay,  cosa  en  el  mundo 
Que  me  merezca  un  enojo. 

4)  iAy  dulce  Isabel, 

5)  No  canteis, 

Y  ä  quien  aqui  se  atreviere 


608  Das  spanische  Drama. 

Valentin. 
„Wen  lockst  Du  hier?  beim  Element! 
Vermaledeiter  Rattenfänger ! 
Zum  Teufel  erst  das  Instrument! 
Zum  Teufel  hinterdrein  den  Sänger! 

Mephistopheles. 
Die  Zitter  ist  entzwei! 
An  der  ist  nichts  zu  halten. 

Valentin. 
Nun  soll  es  an  ein  Schädelspalten!*' 

Allgemeines  Serenadeii-Holzen  mit  Saiten-  und  Klappen-Hölzern, 
von  Don  Julian's  Discantschrei  nach  „Gerechtigkeit''  ^)  und 
ihren  Dienern  durchgellt  und  überschrillt. 

Montanes  beginnt  die  dritte  Jornada  mit  einer  dem 
Oheim-Schwiegerpapa  auftrumpfenden  Streitscene,  worin  jeder  seiner 
Einwürfe  ein  an  den  casco  des  Onkels  fliegender  Bruchsplitter 
scheint  vom  Schädelspalten  her  mittelst  entzweigeschlagener  In- 
strumente. Er  sey  herberufen,  wettert  er,  zu  heirathen,  nicht  zu 
lieben.  2)  Wer  hat  denn  aber  jemals  die  Heirathsthür  —  eifert 
Hernan  Perez  seinerseits  —  als  eifersüchtiger  Ständchen- W^ütherich, 
mit  gespaltenen  Hirnschädeln  eingerannt? 3)  Des  Montanes 
darauffolgende  Bewerbung  um  Isabel  könnte  man  sogleich  für 
den  Polterabend  einer  in  Scherben  geschlagenen  Zankscene  zwi- 
schen Braut  und  Bräutigam  halten.  Mindestens  fürchtet  IsabeFs 
hinter  dem  inamoviblen  Möbel  der  spanischen  Komödie,  hinter 
der  spanischen  Schirmwand,  versteckter  Vater,  dass  es  zu  einer 
solchen  Polterabendscene  kommen  könnte,  und  springt,  während 
des  Montanes  gleichzeitigem  Aufspringen  vom  Stuhl,  zwischen 
den  gebirgsfuchswilden  Freier-Neffen  und  seine  Tochter,  um  ei- 
nen regelrechten  Polterabend  anzubahnen.    Zärtlich,  nicht  bär- 


A  cantar  le  rompere 

El  instrumento  en  los  cascos. 

1)  ;La  justicia! 

2)  Yo  de  vos  llamado  he  sido 
Solo  para  ser  marido, 

Que  no  para  ser  am  ante. 

3)  iQuien  ha  entrado  ä  ser  marido 
Por  las  puertas  de  celoso? 


Dublonen -Seraph.  ß09 

beissig  sey  der  Freier  i),  glaubt  der  Schwiegervater  billigerweise 
von  dem  Cyklopen  aus  dem  Leon'schen  Waldgebirge  verlangen 
zu  dürfen,  der  noch  mehr  Cyklope,  als  der  siculische  Menschen- 
fresser^), der  sich  doch  wenigstens  um  die  Liebe  Galatea's  auf 
seinem  Haferrohr  zärtlich  bewarb,  in  verliebtes  Flötenspiel  zer- 
schmelzend, dieweil  der  Cyklop  aus  Leons  Bergesklüften  das  Ha- 
ferrohr schier  als  ein  spanisches  Kohr  behandle.  Montanes  pol- 
tert entgegen:  sein  Haberrohr  pfeife  einmal  auf  diesem  Loche, 
und  trollt  mit  dem  Wahlspruch  der  Dona  Diana  davon:  „Ver- 
schmähung  um  Verschmähung"  ^) ,  und  seine  Cousine  sey  ihm 
zehnmal  lieber.  4)  Isabel's  tema  oder  Liebeslaune  giebt  selbst 
dem  Don  Juan  harte  Nüsse  zu  knacken.  Sie  neckt  ihn  erst  ei- 
fersuchtswild mit  dem  Vorgeben,  sie  sey  schon  versprochen,  wie 
der  Matador  den  Stier  mit  dem  rothen  Lappen  vor  der  doppel- 
hakigen Pike  reizt  und  eifert  sich  nach  einer  Weile  selbst  in 
Wuth  über  Don  Juan's  Zögern,  auf  ihren  Vorschlag,  sie  au- 
genblicklich zu  entführen  ^)',  staute  pede  einzugehen.  Als  gut- 
müthiger  Mephistopheles  ist  schon  Bernardo  bei  der  Hand,  um 
über  die  Eifersuchtsschlacht,  die  sich  das  Paar  liefert ^0?  sein 
Lotterspöttlein  anzubringen:  Don  Juan's  tema  oder  Capricho  sey 
kein  Haar  weniger  Schrulle,  als  die  der  übrigen  Titelfiguren, 
dieweil en  Isabel  ein  Seraph  sey,  inbetreff  spanischer  Doublonen 
oder  doblones,  und  ausserdem  ein  frischer  Liebesphönix.  ')  Bernar- 
do's  Spötteltic  trumpft  Don  Juan  mit  seinem  schwärmerischen  und 
mit  edlem  Armuthsstolz  sich  brüstenden  Liebestic  ab :  Er  verlange 
keinen   andern  Keichthum,    als   die   Geliebte   anbeten  zu   dür- 


1) 

Tierno,  y  no  bravo,  el  amante. 

2) 

^Que  mas  testarudo  fuera, 

Que  mas  fiero,  si  viniera 

A  enamorar  ä  un  gigante? 

3) 

Desden  pago  con  desden. 

4) 

Mas  me  agrado  que  su  hermana. 

5) 

Llevame  luego  contigo. 

6) 

Dense  batalla  de  celos. 

V 

—  a  Isabel  tu  la  pierdes 

Por  solo  un  capricho  siendo 

Un  serafin  de  doblones 

Y  un  fenix  de  amores  nuevo. 

X.  39 


ß\Q  Das  spanische  Drama. 

fen.  ^)  Sonderbarer  Schwärmer!  und  eigonthümliche  Laune  der 
Verliebten ! 

Da  lernt  nun  auch  Tante  Aldonza,  das  alte  heiraths- 
lustige  Altjungfern-tema  mit  Bernardo  durchspielen,  der  aber 
wieder  hinter  sein  tema,  wie  Mephisto  gegen  Martha,  sich 
verschanzt  als  Matatias,  Vater  der  heiligen  Makkabäer,  mit 
Hinzielung  auf  das  Wortspiel  „matatias",  „Tantentödter".  Alte 
Tantenjungfern  sind  aber  nicht  todt  zu  machen,  zählebig  wie  die 
Kröten  oder  Katzen,  und,  wie  diese,  immer  wieder  auf  die  Füsse 
fallend,  auf  die  Freiersfüsse  nämlich,  dem  Tantenmörder  Ber- 
nardo unter  den  mit  dergleichen  Füssen  über  den  Fuss  ge- 
spannten Fuss  die  zwölf  Goldbarren  gebend,  die  sie  aus  Peru 
mitgebracht.  ^) 

Die  nächsten  Scenen  sind  nicht  danach  angethan,  um  un- 
sere Sehnsucht  nach  der  endlichen  Abwickelung  des  Thema's  und 
des  Tema's  zu  beschwichtigen.  Die  Scene  z.  B.  zwischen  Leo- 
nor  und  Bernardo,  die  sich  um  Don  Juan's  Füsse  dreht,  um 
seine  Liebhaberei  nämlich,  Grille  und  tema,  zu  Fuss  zu  gehen, 
worüber  Dona  Leonor  sich  wundert,  und  was  ihr  Bernardo 
als  so  ein  eigenes  Gelüst  von  Don  Juan  erklärt,  aber  ein  von 
Schicksalstücke  auferlegtes  3)  'gusto',  die  ihm  das  Pferd  zwischen 
den  Beinen  weggezogen  und  ßindsleder  unter  dieselben  gescho- 
ben, worauf  Doiia  Leonor  der  Neugierteufel  reitet,  zu  fragen: 
ob  Don  Juan,  falls  sie  ihn  in  den  Stand  setzte,  sich  eine 
Mähre   anzuschaffen,   sie,    die  Mähre,    reiten   würde? ^)     Dazu, 


1)  ~  que  ni  espero 
Mas  riqueza  que  adorarla. 

2)  Otros  majores  que  tu 

Me  ruegan,  j  ansi  me  vengo 
<5ue  por  cara  y  edad  tengo 
Doce  barras  del  Peru. 

3)  Dona  Leonor. 

Andar  a  pie  (ique  desgusto!) 
,:Es  necesidad  6  es  gusto? 
Bernardo/  Es  gusto  j  necesidad. 

4)  Dona  Leonor. 

(iSi  rico  lo  Meiere  yo 
A  caballo  no  andaria? 


IsabeFs  Liebesgeständniss.  611 

meint  Bernardo,  sey  Don  Juan  zu  stolz  und  nicht  ge- 
nugsam auf  den  Frauensattel  eingeritten.  Ebensowenig  fällt 
Bernardo's  Scene  mit  dem  hölzernen  Eheringelspiel -Türken, 
dem  Don  Julian,  der  von  aller  Welt  Stiche  bekommt  und 
keine  erwidert,  und  nun  auch  Bernardo's  ihn  mit  Eifer- 
suchtsstichen zusetzenden  Bemühungen  eine  Brust  von  Holz  ent- 
gegensetzt 1}  —  auch  diese  Scene  kann  unserem  gusto  nach  der 
Comedia  Ende  gut  in  die  Zügel  fallen.  Selbst  des  Gebirgsbären 
von  Leon,  des  Montanes,  Sichherumbeissen  mit  Leonor,  mit 
Bernardo  und  DonJulian's  Affensprünge  auf — genauer:  hin- 
ter des  Bären  Rücken,  um  vor  demx  Gebisse  sich  zu  retten.  Mon- 
tanes' und  Don  Luis'  sich  gegenseitig  als  aufgebundene  Bä- 
ren verwundernd  über  ihre  heile  Haut  trotz  Bernardo's  jedem 
von  ihnen  aufgebundenen  Duell  wunden.  2)  Dieses  mit  Don  Ju- 
lian um  den  Preis  zälier  Lustigkeit  kämpfenden  Montanes  — 
der  einzige  Zweikampf,  den  Julian  rühmlich  besteht  —  dieses 
Montanes  grossmüthiges  Abtreten  der  Dona  Isabel  an  den  Vet- 
ter von  Lima,  dem  westindischen  Bremen  zum  Vetter,  und  des 
Vetters  gerührter  Ablehnungsdank  für  diesen  edlen  Freundschafts- 
beweis. ^)  Des  Hern  an  Perez'  Meldung  an  seine  Tochter  Isa- 
bel, den  päpstlichen  Dispens  betreffend,  zur  Vermählung  mit 
dem  Montanes  —  all  diese  Scenen  vermögen  nur,  als  Bündel 
trockenes  ßeissig,  unsern  Sehnsuchtsdrang  nach  derjenigen  Scene 
in  lebhafter  Gluth  zu  entflammen,  worin  Dona  Isabel  ihrem  Va- 
ter das  lautere  Geständniss  ihrer  Liebe  für  Don  Juan  ablegt, 
mit  der  Fälschung  als  Beischlag,  dass  er  sie  verführt  und  plantirt 
habe.  ^)    Der  fälschende  Beischlag  fördert,  wie  bei  Silbermünze, 


1) 

Ten  celos,  bestia;  ten  celos, 
Majaderon  confiado. 

^) 

Mont. 

—  ^No  estäs 
Herido? 

D.  Luis. 

Y  ^tii  ne  quedaste  herido? 

3) 

M  0 11 1. 

Mi  nobleza  se  asegura, 
Su  esposo,  Don  Luis,  seräs 

D.  Luis. 

Yo  me  fio 

De  vuestra  noble  araistad. 

4) 

Me  dio  la  palabra, 
Que  atrevido  rompe. 

39^ 


ß|2  r^3,s  spanische  Drama. 

den  Cours  und  Annahme  ihres  Geständnisses  für  den  Vater,  zu- 
mal Don  Juan  de  Guevara  von  achtem  alten  Adel  ohne 
Kupferbeischlag.  ^  Don  Juan's  Freude  über  die  Pistole,  die  ihm 
Isabel's  Vater  auf  die  vermeintlich  treulose  Brust  setzt,  um  den 
vorgeblichen  Eheflüchtling  zur  Heirath  und  Ehrenrettung  der 
Tochter  zu  zwingen  2),  Don  Juan's  Jubelfreude  über  diesen  uner- 
warteten Ausgang  der  Komödie  bricht  um  so  unaufhaltsamer 
durch,  als  dieser  Ausgang  hingehalten  worden,  und  von  ihm 
selbst  hingehalten,  da  er  jetzt  noch,  unter  dem  Hochentzücken 
über  die  Pistole  vor  der  Brust,  seine  Armutb  geschämig  vor- 
schützt, bis  Isabel  den  Furchtsamen  an  ihr  Herz  reisst  und  zum 
Ehemann,  den  Seligen,  presst. ^)  Montanes  nimmt  mit  Dona 
Leonor  vorlieb,  die  ihm,  auf  das  vom  Vater  verheissene  Reit- 
pferd hin,  als  Leibrente^),  die  Hand  reicht.  Dem  Don  Julian 
hilft  der  Escudero  mit  dem  Nachtständchentopf  oder  Ständ- 
chennachttopf aus  dem  Traume  seiner  Ansprüche  auf  Dona  Isa- 
bel. Selbst  Tantenmörder  Bernardo  lässt  sich  die  ihm  ihre 
Hand  zum  Ehebund  reichende  Tante  Aldonza  als  eventuelle 
Schwiegermutter  gefallen. '') 


1) 

Isabel  (ap.) 

Herile  por  la  hidalguia; 

Amor,  i  Victoria,  victoria! 

2) 

Hernan. 

El  traidor  muera, 
Si  al  momento  no  se  casa. 

3) 

Cobarde 
Pecador,  ^que  temes?  Llega: 
Que  ä  mi  melo  debes  todo. 

4) 

Hernan. 

—  Que  tanta  renta 

Le  pondre,  que  ande  ä  caballo. 

Dona  Leonor. 

A  caballo,  eso  nie  basta. 

5) 

Dona  Aldonza. 

(däle  la  mano) 

Eecibesme  ? 

Bern. 

Por  mi  taegra. 

Don  Luis  de  Belmonte  Bermudez.  613 

Don  Luis  de  Belmonte  Bermudez.  ^) 

El  Diablo  Predicador  y  major  contrario  amigo.^) 

Das  kirchliche  Thema  geht  auf  Wiedereinsetzung  des  in 
Lucca  gefährdeten  Pranciscanerordens  in  sein  Kloster  und  sein 
Almosenrecht.  Ein  originelles  und  pikantes  Motiv  ist,  dass  diese 
Wiedereinsetzung  durch  den  Teufel  (Luzbel)  bewirkt  wird,  der, 
im  höchsten  Auftrage  des  göttlichen  Kindes,  die  Wiederherstel- 
lung in  der  Gestalt  eines  Mönches  predigt,  so  dass  es  manchmal 


1)  Um  1587  zu  Sevilla  geboren.  1605  war  er  in  Lima,  wie  er  selbst  sagt, 
im  Prologe  zu  seiner  1622  erschienenen,  mit  noch  andern  acht  Ingeniös 
zusammen  verfassten  Comedia:  *Algunas  hazarlas  de  las  muchas 
de  Don  Garcia  Hurtado  de  Mendoza,  marques  de  Canete'.*) 
Ausser  dem  Achtel  dieser  und  dem  Antheil  an  einigen  andern  mit  Cal- 
deron  und  Moreto,  Martin  de  Meneses  u.  A.  in  Gemeinschaft  ver- 
fassten Comedias  und  seiner  von  uns  erörterten  Teufel-Prediger-Komö- 
die**), ist  Belmonte  Bermudez  auch  als  Verfasser  von  zwei  episch-lyri- 
schen Poemen  bekannt:  'La  Hispalia',  bisjetzt,  uns  wissentlich,  noch 
ungedruckt,  und  das  1616  herausgegebene  Poem:  *La  Aurora  de 
Cristo\  Auch  an  den  Preisdichtungsfesten  zur  Feier  des  h.  Isidoro 
(1620,  1622)  und  des  wunderlichsten  aller  Heiligen,  San  Ignacio  de 
Loyola,  nahm  unser  Belmonte  Bermudez  Theil  (1622),  mit  Sonetten  und 
Canzonen  in  Octaven. 


2)  „Der  Teufel  als  Prediger  und  der  Freund  als  grösster  Widersacher". 
Schauplatz  die  ital.  Stadt  Lucca. 

*)  Einige  Thaten  von  den  vielen  des  Don  Garcia**  u.  s.  w.  Die  Comedia 
ist  dem  Sohne  des  Mendoza,  Seigeurs  von  Arauco  gewidmet.  ~  **)  Von 
derselben  sind  drei  handschriftliche  Copien  in  der  Bibl.  de  Osuna  vor- 
handen, unter  der  Jahreszahl  1635,  und  dem  Francisco  de  Villegas 
zugeschrieben.  In  einem  Einzelabdrucke  wird  als  Verfasser  bald  Fray 
Damian  Cornejo,  bald  Francisco  Malaspina  genannt,  der  sie  aber 
nur  umgearbeitet  hat.  Mit  dem  Autornamen  des  Luis  de  Belmonte  er- 
schien sie  in  der  'Parte  sexta  de  Comedias  de  los  mejores  ingeniös  de 
Espafia'.  Zaragoza  1653.  1654.  Leirado  führt  noch  ein  Dutzend  mehr  oder 
minder  zweifelhafter  vielvätriger  oder  ausschliesslich  unserm  Bermudez  bei- 
gelegter Stücke  an,  meist  handschriftlich.  Mögen  sie  die  Manuscripten- 
Würmer  fressen  oder  pressen!  —  wir  unseres  Orts  boten  sie  sämmtlich 
zum  Diablo-Predicador. 


()14  ^^^  spanisclie  Drama. 

d^  Anschein  gewinnt,  als  könnte  dem  Bermudez  selbst,  beim 
Abfassen  dieses  Mönchs- Auto,  der  Teufel  als  Schalk  im  Nacken 
gesessen  haben,  und  dass  er,  der  Autor,  der  zum  ßechtsfreunde 
befohlene  verkappte  Widersacher  des  Franciscanerordens  war.  Durch 
dieses  eigenthümliche  Grundgewebe  schlingt  sich  die  weltliche 
Liebe  des  Tlorentinischen  Ritters  Feliciano  zu  der  ihm  früher 
bestimmten,  nun  aber  mit  Ludovico,  einem  reichen  Geizhals 
in  Lucca,  nächst  Teufel  L  uz  bei  (Lucifer),  dem  unversöhnlichsten 
und  verstocktesten  Feinde  des  Franciscanerordens,  vermählten, 
höchst  tugendsamen  Frau  Octavia,  die  ihres  einstmaligen  Ju- 
gendgeliebten, Feliciano,  Liebesanträge,  aus  ehelicher  Treue 
zu  ihrem  verhassten  Gatten,  standhaft  zurückweist,  schliesslich  jedoch 
von  dem  Mönch-Teufel,  dem  'Diablo  Predicador',  als  Eheprocu- 
rator,  mit  dem  Geliebten  vermählt  wird,  nachdem  der  verruchte 
Geizhals  vom  Teufel  geholt  oder  in  die  Hölle  gepredigt  und  ge- 
betet worden. 

Erste  Jornada.  Luzbel  (Lucifer)  erscheint  auf  einem 
Drachen,  ruft  seinen  Collegen,  Asmodeo,  aus  der  Hölle  empor, 
erzählt  ihm  den  Anlass  zu  seiner  Weltfahrt  in  4V2  Folio-Colum- 
nen,  die  eine  widerwillige  Verherrlichung  und  Vergieichung  des 
H.  Pranciscus  mit  Jesu  Christo  verkünden,  ferner  seine,  Luzbel's, 
ingrimmige  Feindschaft  gegen  des  Heiligen  Ordensjünger,  die 
Franciscaner,  Luzbel's  grösste  Gegner  0,  die  -elenden  Barfüsser, 
über  deren  besondere  Gunst  bei  Gott  Vater  und  der  h.  Jung- 
frau er  sich  mehr,  als  über  alle  von  Gott  und  Jungfrau  ihm 
zugefügten  Unbilden,  ärgere.  ^)  Fordert  seinen  höllischen  Bruder, 
Asmodeo  auf,  nach  Toledo  in  Spanien  zu  eilen,  wo  die  Fran- 
ciscaner am  eifrigsten  gehegt  und  gepflegt  wurden,  daselbst  die 
Bevölkerung  gegen  sie  aufzuhetzen  und  Gottlosigkeit  unter  die 
Mittelclasse  zu  säen,  da  die  Reichen  ohnehin  die  Almosenbedürf- 
tigen hassen.^)    Während   er  selbst,  Luzbel,  in  Lucca,   den 


1) 

Son  mis  contrarios  majores. 

2) 

Que  a  tantas  persecuciones 

Estos  miseros  descalzos 

Tantos  vencimientos  logren  .  . 

3) 

—  siembra  impiedades 

En  los  de  mediana  porte  .  .  . 

Belmonte  Bermudez:  Der  Teufel  als  Prediger.  615 

Franciscanermönchen  die  Hölle  heiss  machen,  ihnen  den  Riegel 
vor  dem  von  ihnen  gegründeten  Kloster  vorschieben,  und  Schimpf 
und  Misshandlungen  von  den  Einwohnern,  statt  Almosen,  zu- 
schanzen wolle.  1)  Hierbei  würde  ihm  ein  reicher  Geizhals  aus 
Lucca,  Namens  Ludovico,  eifrig  zur  Hand  gehen,  dessen  Gat- 
tin aus  Florenz  eben  in  Lucca  eintreffe,  die  von  ihrem  Vater, 
einem  vermögenlosen,  goldgierigen  Edelmann,  mit  diesem  ehr- 
geizigen Viehkerl'^)  verheirathet  worden.  Asmodeo  besteigt 
Luzbel's  Kennthier,  den  Höllendrachen,  zum  Fluge  nach  Spanien. 
Luzbel  rüstet  sich  zu  seinen  den  Mönchen  zu  spielenden  Teu- 
felsstückchen. Ludovico  empfängt  seine  aus  Florenz  mit  ihrer 
Dienerin  Juana  eintreffende,  vor  seiner  Hässlichkeit  schaudernde 
junge  Gattin  ^)  mit  aller  Filzigkeit  eines  reichen  Knickers.  Luz- 
bel, beim  Empfange  unsichtbar  gegenwärtig,  hat  seine  Freude 
dran,  und  begleitet  das  darauf  folgende  Gespräch  der  tugendhaf- 
ten Octavia  mit  ihrem  vormaligen  Freier,  Feliciano,  den 
Ludovico  als  Verwandten  seiner  Neuvermählten  duldet,  mit 
entsprechenden  Apartes  und  Einbläsereien  gegen  die  Gattin  und 
den  heimlichen  Anbeter.  Ludovico's  Eifer  für  Almosenspen- 
den erfährt  der  Klosterguardian  sogleich,  der  mit  Bruder 
Antolin,  dem  Gracioso  im  Mönchsspiel,  vorspricht.  Barsch  und 
grob  weist  ihnen  Ludovico  die  Thür,  zu  Octavia's  stillem  Kum- 
mer, die  ihr  Loos,  das  Zusammenleben  mit  einem  solchen  Men- 
schen, beiseit  ihrer  Dienerin  Juana  klagt. ^)    Luzbel  hat  sich. 


No  en  los  ricos  te  embaraces, 
Que  — 

Aimque  vean  dos  mil  pobres 
No  harän  reparo  ninguno. 

1)  La  conservacion  no  logren  . 

De  un  convento  que  han  fundado, 
Haciendo  en  sus  moradores 
Que  las  limosnas  conviertan 
En  vergonzosas  baldones. 

2)  Con  este  ambkioso  bruto. 

3)  Horror  el  verle  nie  lia  dado. 

4)  Juana, 
Morir  serä  lo  mas  cierto, 
Pues  naci  tan  desticbada. 


Qlß  Das  spanische  Drama. 

als  Überflüssig  neben  einem  solchen  Wicht,  entfernt.  Bruder 
Guardian,  der  sich  durch  eine  besonders  feine  Nase  für  Wit- 
terung von  Teufel  und  HöUenunrath  auszeichnet,  hat  es  schon 
dem  Ludovico  angerochen,  dass  der  Teufel  aus  ihm  spreche.^) 
Wüthend  bedroht  der  Geizhals  die  beiden  Klosterbrüder  als  Va- 
gabunden mit  Mord  und  Todtschlag. 2)  Guardian  erscheint  mit 
Bruder  Antolin  vor  dem  Gobernador,  ihre  Noth  klagen. 
Schon  liegt  diesem  aber  Luzbel,  als  unsichtbarer  Einbläser,  in 
den  Ohren  mit  verhetzenden  Apartes  gegen  die  Pranciscaner. 
Zum  Unglück  für  den  Guardian  und  sein  Kloster  spielt  ihm 
sein  Teufelsriecher,  die  Nase,  wiederum  den  Streich,  auch  am 
Gobernador  den  Teufelsbraten  zu  riechen.  3)  Ein  zorniges  Ver- 
bot des  Gobernadors,  den  Mönchen  Almosen  zu  geben,  ist  der 
Bescheid,  womit  des  Guardian  feine  Teufelsnase,  als  lange,  ab- 
zieht. Nun  steht  Luzbel  selbst  mit  einer  solchen  vor  dem  ver- 
schleierten Kind  Jesus,  das  durch  Engel  Michael  dem  Teu- 
fel gebieten  lässt,  dass  er  den  widerspenstigsten  Almosen-  und 
Franciscanerfeind ,  den  Geizkragen  Ludovico,  zum  Almosen- 
austheiler  an  die  Mönche  umstimme  mit  Teufelsgewalt.  „Was?" 
—  schreit  Luzbel  —  „Gewalt?  Ich  soll  gegen  mein  eigenes 
Höllenfleisch  wüthen?  Dass  Gott  sich  erbarme  über  mein  Ge- 
schick!"^) Das  dicke  Ende  seines  Jammers  kommt  aber  erst 
mit  des  Erzengels  Befehl,  im  Namen  des  verschleierten  Jesuskin- 
des: Luzbel  solle  sich  sofort  und  unweigerlich  aufmachen  und,  in 
Gestalt  eines  Franciscanermönchs,  das  ausrichten,  was  der  h.  Frau- 
ciscus  selber  thun  würde,  in's  Kloster  nämlich  sich  verfügen,  und 
die  Mönche,  die  den  Entschluss  gefasst,  die  Stadt  zu  verlassen 
und  ein  anderes  Kloster  aufzusuchen,  daselbst  festhalten,  und 
Almosen  für  sie  einsammeln  und  für  ihren  Unterhalt  sorgen. 
Man  kann  sich  LuzbeTs  Gesicht  denken,  nachdem  die  himmli- 
sche Erscheinung,   das   verschleierte  Jesuskind,   und   der  für 


1) 

El  demonio  por  ti  habla. 

2) 

Matad  esos  vagamundos. 

3) 

Sin  duda 

Mueve  el  demonio  tu  lingua. 

^) 

^Yo  contra  mi  Tni.smo?   jPesia 

Mi  desdicha! 

Der  Teufel  als  nothgedruiigener  Franciscaner.  617 

ihn  fürchterlichste  aller  Erzengel,  der  heilige  Michael,  sich  ent- 
hoben, unter  dessen  Fusstritt  er  seiner  Zeit  geächzt  und  als 
Höllenwurm  sich  elendiglich  gekrümmt  und  gewunden !  Man  kann 
sich  LuzbePs  Gesicht  und  den  Monolog  denken,  den  er  über 
die  unerhörte  Zumuthung  hält:  „Er  soll  den  Heiligen  spielen, 
den  Almosensack  über  die  Schulter  nehmen,  und  sich  vor  allen 
seinen  Teufeln  so  lächerlich  blamiren!  Was  aber  machen?  Mit 
San  Michael  ist  nicht  zu  spassen.  Zwinge  Dich,  Israel,  und 
bange  Dich,  Jacob I^)  Du  bist  nicht  der  erste  Teufel,  der  in 
einer  Kutte  steckt.  Frisch  denn,  die  Kapuze  über  die  Ohren 
und  den  Bettelsack  über  die  Schulter!''  Da  steht  er  schon,  als 
Franciscaner,  vor  Pater  Guardian  und  Bruder  Antolin:  „Ge- 
lobt sey  Jesus  Christus!"  grüsst  er  die  Brüder  mit  einer  aparten 
Kolik- Grimasse.  2)  Guardian  schlägt  ein  Kreuz  über  seine 
Nase,  die  sich  schon  aufs  Wittern  legt 3),  und  Bruder  Antolin 
fragt  sich:  Durch  welche  Thür  ist  dieser  Bruder  denn  eigent- 
lich eingetreten?  4)  Bruder  Nicolas  versichert,  er  habe  selbst 
die  Thür  zugeschlossen.  Bruder  Luzbel  meint  dagegen:  Vor 
Gott  sind  alle  Thüren  gleich,  verschlossene  wie  offene^),  und 
giebt  sich  als  „Bruder  Gehorcher  mit  Teufelsgewalt,  vormals 
Cherub",  zu  erkennen.  0)  Guardian  dringt  auf  Angabe  von 
seines  Kommens  Zweck  durch  verschlossene  Thüren,  dergleichen 
scheine  seiner  Nase  nicht  geheuer,  er  für  seine  Person  zittere "), 
und  sie  für  die  ihrige  wittere.  Letzteres  erscheint  dem  Fray 
Antolin  so  bedenklich,  dass  er  sich  nach  Ysop  und  Weihwasser 


1)  Pero  ^para  que  me  causo, 
Si  el  ejecutarlo  es  fuerza? 

2)  Deo  Gracias, 
Hermanos  (ap.)  jFiero  castigo! 

3)  iValgame  Dios!  (iQuien  es,  padre? 

4)  (jPor  donde  ha  entrado  este  fraile? 

5)  No  hay  puerta 
Cerrada  al  pader  divin 0 

6)  Mi  nombre  es  y  mi  apellido 
Fray  Obediente  Forzado 

De  antes  Querub  .  .  . 

7)  ;Temblando  estoy! 


618  Das  spanische  Drama. 

umsieht^),  um  Guardian's  ßiecher  zu  besprengen  für  den  Fall, 
dass  es  der  Böse  wäre.  Pater  Luzbel  bestellt  seinen  von  Gott 
selbst  erhaltenen  Auftrag  unter  bauchgrimmigen  Apartes/^)  Die 
Mönche  geloben,  das  Kloster  nicht  zu  verlassen,  und  sehen,  ins- 
besondere Bruder  Antolin,  dem  gefüllten  Almosensack  des 
Paters,  „Gehorcher  aus  Höllenzwang,  vormals  Cherub",  mit  wäss- 
rigem  Mund  entgegen,  nicht  ohne  Zwinkeln  der  Nasenlöcher  von- 
seiten Pater  Guardians  3),  und  nicht  ohne  leises,  instinctmässiges 
Mitschnoppern  vonseiten  Bruders  Antolin 4),  der  kein  Auge  von 
Guardian's  Nase  lässt.  Mit  Luzbel's  Aufforderung  an  Bruder 
Antolin,  ihm  beim  Almoseneinsammeln  mit  den  nöthigen  Trag- 
körben zur  Hand  zu  seyn,  und  mit  der  Versicherung,  dem  zweiten 
Komödientitel:  su  mayor  Contrario  Amigo,  als  Schlussvers,  geht 
die  erste  Jornada  unserer  humoristischen  Mönch-Teufels komödie 
zur  Rüste. 

In  der  zweiten  Jornada  kommen  sämmtliche  Mönchsnasen, 
mit  Pater  Guardian's  seiner  an  der  Spitze,  immermehr  dahinter, 
dass  Fray  Forzado  der  Geist  sein  möchte,  der  stets  das  Böse 
will  und  stets  das  Gute  schafft.^)  Fray  Antolin  und  sein 
Klosteresel  sind  reichbeladen  mit  Almosenspenden  zurückgekehrt, 
und  kann  nicht  genug  von  den  Seltsamkeiten  erzählen,  die  er  an 
dem  Wundermann,  dem  Fray  Forzado,  unterweges  erlebte. 
Schnellfüssiger,    als   der   Wind,    arbeitet  er  für  hundert   Bar- 


1)  Yo  apercibo 
Hisupo  y  agua  bendita, 
Por  si  acaso  es  el  inaligno. 

2)  (ap.)  ;Que  yo  tal  pronuncie! 
(ap.)  jVoleanes  respiro! 

3)  Este  es  angel;  no  replico. 

4)  Alguna  sarna  se  cura 

El  padre;  que  el  olorcillo 

Es  de  azufre. 
Der  Pater  muss  die  Krätzcur  halten 
Denn  er  riecht  ein  weniges  nach  Schwefel. 

5)  Fray  Pedro. 

Yo  creo  que  es  angel  .  .  . 
Guardian  (ap.) 

Puede  ser;  pero  no  bueno. 


Der  Teufel  als  Pater  mit  Teufels-Gewalt.  619 

füsser.  1)  Für  Guardian's  Aparte's  ist  es  eine  ausgemachte 
Sache,  dass  Pater  F orz ad o  niemals  in  solchen  Ehren  gestan- 
den, seitdem  er  vom  Himmel  gefallen,  ^j  Gleich  geschäftig  zeigt 
sich  der  Teufel-AImosenier  und  Almosenprediger  bei  dem  neuen 
Ehepaar.  Octavia  weist  alle  Versuche  ihres  Vetters  und  ehe- 
maligen Geliebten  Feliciano,  durch  Juana  eine  Unterredung 
mit  ihr  zu  erlangen,  unerbittlich  zurück,  entreisst  ihm  ihr  Lie- 
besbriefchen aus  früherer  Zeit  und  zerreisst  es  vor  seinen  Augen, 
mit  der  Drohung,  ihn  durch  ihren  Gatten  Ludovico  ermorden 
zu  lassen,  wenn  er  sich  nicht  schleunigst  entferne.  Ludovico, 
der  dies  im  stehenden  Winkel  (rincon)  der  spanischen  Bühne  be- 
lauscht, findet  die  Briefschnitzel,  buchstabirt  so  viel  heraus,  als 
nöthig  zu  dem  Vorsatz,  Octavia  zu  erdrosseln.^;  Wer  hält 
ihn  davon  ab?  Luzbel,  Pater  Forzado,  der  die  Jago's  auf 
den  Weg  der  Tugend  zu  predigen,  die  Heiligen-Mission  und  das 
Teufels-Zeug  hat.  Der  Teufel  tritt  ihm  mit  der  Almosenbüchse 
in  die  Quere,  worüber  Geizhals  des  Teufels  ist  vor  Wuth  und 
dem  infernalischen  Almosenmönche  Widerwillen  und  um  Got- 
teswillen Dämon ,  Höllenphantom ,  und  solcher  Verbalinjurien 
mehr  in's  Gesicht  schnaubt^),  als  bliese  sie  Pater  Guardian's 
Teufelspech  und  Teufelsdr—  schnüffelndes  Nasenloch.  Dem 
Wucherer  und  Geizhals  geisselt  Luzbel  das  unbarmherzige  Ohr 
mit  socialtheoretischen  Hieben,  dass  es  schier  schallt  wie  ein  alt- 
Held'scher  Leitartikel:  „Glaubst  Du,  Dein  Capital  sey  Dein  ei- 
gen? Nicht  etwa  das  durch  Wechsel wucher  ergaunerte  Vermögen 
ist  Eigenthum,  sondern  das  im  Schweisse  des  Angesichts  durch 
Arbeit  von  Früh   bis  Abend  verdiente  und  im  Arbeitsschweiss 


1)  El  camina  luas  que  el  viento, 
Y  trabaja  por  cien  hombres. 

2)  Guardian  (ap.) 

Nunca  se  viö  tan  honrado 
Desde  que  cayo  del  cielo. 

3)  Mis  manos  en  su  garganta 
Podran  impedir  que  acudan 
A  sus  voces  las  criadas  .  .  . 

4)  No  se. 
Como  no  temes  mi  furia 
Fraile,  fantasma  6  demonio. 


620  I^as  spanische  Drama. 

genossene  Brot,  i)  Was?  Du  dünkst  Dich  Herr  und  Eigenthü- 
mer  Deines  Besitzes,  Du  Krähe!  der  nur  mit  lauter  fremden, 
von  anderer  Leute  Arbeitssch weisse  glänzenden  Federn  prangt?"  ^) 
El  Diablo  predicador  ein  Socialdemokrat,  Socialreformer!  Der  Teu- 
fel als  Prediger  und  Eeelamemacher  für  die  Socialdemokratische 
oder  Alt-Heldische!  —  Nicht  blos  in  diesem  Franciscaner-Auto, 
in  den  meisten  Autos,  selbst  sacramentales ,  streut  der  Teufel 
solche  socialistische  Dörner  unter  den  Waizen,  oder  —  wie 
man's  nimmt  —  dieses  Waizenkorn  unter  die  Dörner,  und  pre- 
digt aus  der  Biblia  pauperum  den  Armen  das  socialistische  Evan- 
gelium, die  reichen  Schlemmer,  Börsenmäkler,  Gründerund  Ca- 
pitalisten  als  Höllenböcke,  die  Armen  als  Himmelsschafe  gegen- 
einanderstellend  mit  Schellen  von  internationalen  Tendenzen,  die 
freilich  noch  hinter  der  eisernen  Maske  der  Almosenklosterbüchse 
als  Pfennige  kirchlicher  Barmherzigkeit  klappern,  welche  Maske 
aber  doch  schon  auf  das  communale  oder  internationale  Visier 
hindeutet,  mit  welchem  drei  Jahrhunderte  später  der  Krieg  gegen 
das  Capital  von  den  Kadmus-Rittern  oder  den  LuzbeUs  der  so- 
cialdemokratischen  Theorien  geführt  werden  wird.  Insofern  hat 
das  spanische  Auto  sacram.  eine  culturhistorische  Bedeutung 
und  gährt  in  seinem  Brotdogma  die  Brotfrage.  Am  ent- 
schiedensten arbeitet  dieser  Sauerteig  in  dem  längsten  aller  Autos 
*Las  Cortes  de  la  Muerte',  dessen  Grundmotiv  als  der  Zwie- 
spalt zwischen  Pauperismus  und  Capital,  in  der  Form  von  Al- 
mosenbarmherzigkeit und  Bettelmöncherei  freilich  immer  noch, 
bezeichnet  werden  kann.  Es  sollte  uns  leidthun,  wenn  die  Länge 
des  gedachten,  durch  alle  Stände  vor  den  Cortes  des  Todes  die 
Armenfrage,   für's  erste  als  Barmherzigkeitsfrage,  hindurcherör- 


1)  Y  no  solo  la  adquirida  (fortuna) 
Con  viles  caml^ios  y  usuras 
Oro  es  toda  de  quien  la  goza, 
Sino  la  del  que  madruga 

Para  el  trabajo  ä  la  aurora 
Comiendo  de  lo  que  saca. 

2)  Pues  ^Como  tu  de  la  hacienda 
Dueno  absuluto  juzgas 
Siendo  corneja,  vestida 

De  tantas  ajenas  pluraas. 


Der  Teufel  als  Alraosensammler.  621 

ternden  Auto  —  wenn  der  Umfang  dieses  Auto ,  als  Armen- 
advocaten,  dasselbe  unserer  Analyse  entziehen  sollte,  deren  enger 
Walfischschlund  wohl  Schwärme  von  dramatischen  Häringen, 
ganze  Tonnen  voll  Auto-Sardellen  verschlingen  kann,  aber  nicht 
die  Tonne  zugleich,  mit  der  sie  blos  zu  spielen  sich  begnügen 
und  bescheiden  muss. 

Den  Almosen-  und  Barmherzigkeitsdolch  setzt  auch  unser 
Luzbel  dem  hartherzigen  Capitalisten  Ludovico  an  die  Kehle, 
nebenbei  auch  das  Gottesschwert  des  jüngsten  Gerichts  über 
dessen  Haupt  schwingend.  Vor  diesem  Eichtschwert  zittert,  reue- 
zerknischt^  der  Wucherer;  dem  Almosendolch  an  der  Kehle  aber 
setzt  er  den  metallenen  Geizhals  unerweichlich  entgegen.  ^) 
.  Luzbel  sprüht  Höllenfunken  vor  Zorn  und  schnaubt  den  Wuche- 
rer an:  „Verworfne  Creatur!  Du  schlimmer  als  Luzbel!  Denn 
Lucifer,  wenn  er  könnte,  würde  Reue  fühlen;  Du  könntest 
bereuen  und  willst  nicht!" 2)  Der  Wucherer  schreit  nach 
Hülfe  —  unter  dem  Keulenschlage  und  Ruf:  'La  bourse  ou  la 
vie',  lässt  der  Börsenmäkler  das  Leben,  aber  nicht  die  Börse  — 
Diener  stürzen  herbei  und  wollen  den  zur  Thür  hinauswerfen, 
der  mit  den  Pforten  der  Hölle  zur  Thür  hereinfällt!  Gracioso- 
Scenen  zwischen  Luzbel  und  Bruder  Antolin,  der  vom  barm- 
herzigen Almosenteufel  beim  heimlichen  Beschmausen  des  einge- 
sammelten Vorraths  und  hamsterartigen  Verbergen  eines  guten 


1)  Luzbel.        Mira  que  de  su  justicia 

La  divina  espada  empuiia  .  .  , 
Mira  que  ya  la  desnuda, 
Mira  que  el  brazo  levanta, 
Mira  que  el  golpe  ejecuta. 

Ludovico.    Yame  arrepiento. 

Luzbel.            —  Pues  ^que  dudas? 
La  caridad  es  puerta. 
dame  limosna 

Ludov.         Eso  HO. 

2)  Vil  creatura, 

Peor  que  Luzbel  te  juzgo, 
Pues  si  el  pudiera,  sin  duda 
Fuera  su  arrepentimiento 
Tan  grande  como  su  culpa, 
Y  tu,  pudiendo,  no  quieres. 


522  ^^^  spanische  Drama. 

Theils  in  seine  Backentaschen  betroffen,  und  vom  mildthätigen 
Sohn  der  Hölle  gezwungen  wird,  das  Unterschlagene  den  herbei- 
gerufenen Armen  herauszugeben;  LuzbeTs  Scenen  ferner  mit 
Feliciano,  der,  als  Vetter  und  Liebhaber,  Anstalten  zur  Ent- 
führung Octavia's  macht  ^),  und  von  Pater  Luzbel  auf  Octa- 
via's  schliessliche  Lebens-  und  Ehrenrettung  durch  Den  ver- 
tröstet wird,  der  ihn,  den  Teufel,  mit  seiner  Heilssendung  be- 
traut hat  2),  —  vertröstet  wird  mit  dem  stillen  Vorsatz,  im  näch- 
sten Teufels-Monolog  Gott  den  Herrn  zu  fragen,  warum  er  ihn 
gerade,  der  am  wenigsten  dazu  berufen,  geschweige  auserwählt  — 
ihn  gerade  zum  Vollbringer  frommer  Thaten  auserkoren  ^),  der  sich 
dagegen  nur  mit  seiner  stehenden  Redensart  verwahren  könne: 
Non  possumus?"  —  Gedachte  Scenen  gehen  nach  der  Schluss- 
scene  vor  sich,  die  mit  Octavia's  vom  verruchten  Geizhals,  trotz 
Abmahnung  des  unsichtbar  bleibenden  Luzbel^),  vollführten  Er- 
mordung der  zweiten  Jornada  ihren  Teufelsschlussantheil  unter 
des  Erzengels  Michael  Aegide  zumisst.  „Ich  sterbe  unschuldig; 
heilige  Jungfrau  verleihe  mir  Deinen  Schutz !"  —  haucht  Octavia 
als  ihren  Todesseufzer  aus.  — .  Siehe,  da  steigt  auch  schon  die 
heilige  Jungfrau  in  einem  Engelchor  hernieder,  berührt  mit  ihren 
himmlischen  Händen  die  Erwürgte,  sie  zum  Leben  erweckend, 
und  entschwebt,  vom  Höllen-Pater  Luzbel  auf  den  Knieen  ange- 
betet, wie  von  einem  der  Apostel  bei  ihrer  eigenen  Auferstehung 
und  Himmelfahrt.  Die  erstandene  Octavia  will  dem  Teufel 
die  Püsse  küssen,  dem  h.  Beizebub,  in  der  Meinung,  dieser  habe 
sie  vom  Tode  erweckt.  Bescheiden  lehnt  er  den  Pantoffelkuss 
ab,  die  Auferstandene  an  die  heilige  Jungfrau,  und  den  Feli- 
ciano, der  schon  voller  Freude  sich  zu  Octavia's  Entführung 
gemeldet  hat,  nach  Gottes  Beschluss  verweisend,  dass  ihm,  Luz- 
bel, genannt  Pater  mit  Teufelsgewalt  (Forzado),  Octavia's  Obhut 


1)  Por  primo  suj'^o  y  amante, 
A  Octavia  debo  librar. 

2)  Pues  quien  aqui  me  ha  enviado, 
Vida  y  honor  le  darä. 

3)  t^ov  que  a  mi  me  lo  niandais? 
Sabiendo  vos  que  no  puedo. 

4)  Eucantador,  embustero, 
^Donde  te  escondes? 


Su  caridad  der  Teufel.  623 

bis  auf  Weiteres  vom  allerhöchsten  Herrn  überantwortet  worden. 
Feliciano  möchte  nur  getrost  zur  Stadt  zurückkehren.  Er,  des 
Herren  Sendbote  und  Stellvertreter  auf  Erden,  werde  schon  einen 
Ort  ausfindig  machen,  wo  die  Auferweckte  vorläufig  in  Sicherheit 
und  gefahrlos  verweilen  könne.  ^)  — 

Der  Teufel  ist  ein  strammer  Worthalter,  was  ihm  die  dritte 
Jornada  bezeugen  muss.  Er  verwahrt  die  vom  Tod  erstandene 
Oetavia  so  unversehrt,  als  ob  sie  niemals  gestorben  wäre,  und 
nur,  wie  sie  selbst  gegen  Juana  äussert,  nur  geträumt  hätte.  2) 
Der  Tod  ein  Traum  —  das  Gegenstück  zum  Leben  ein  Traum. 
Der  Teufel-Prediger  bewahrt  sie  mit  so  heiler  Haut,  dass  er  zu- 
gleich die  Continuität  ihres  posthumen  Zustandes  mit  ihrem  vor- 
todlichen  wieder  herstellt,  indem  er  sie  zu  ihrem  abscheulichen 
Gatten,  dem  geizhalsigen  Würger,  zurückbegleitet,  mit  dem  sie, 
laut  ihrer  eigenen,  gegen  Feliciano's  erneute  Liebesanträge  sich 
verwahrenden  Erklärung,  leben  und  sterben  wolle,  als  treue, 
kirchlich  angetraute  Gattin.  ^)  Seine  Barmherzigkeit  'su  caridad', 
wie  sich  Pater  Luzbel  —  analog  dem  'su  santitad'  und  mit 
Antwartschaft  auf  das  'su  infalibilidad'  —  nennen  lässt,  be- 
gleitet Oetavia  zu  ihrem  Galgenstrick  zurück,  aber  an  sein 
dem  Feliciano  gegebenes  Versprechen  erinnernd,  dass  Oeta- 
via nicht  umhin  werde  können,  ihm,  dem  Feliciano,  schliess- 
lich anzugehören.  4)  Währenddessen  getröstet  sich  Ludovico 
daheim  der  Hoffnung,  dass  seine  an  ihm  mit  Hängen  und  Wür- 
gen hängende  Gattin  von  dem  Bruder  Hexenmeister  heimlich 
begraben  worden^),  und  lebt  nebenbei  der  Zuversicht,  bald  den 
Feliciano  ihr  nachzuschicken.  Oetavia  und  Juana  ver- 
schleiert, Luzbel  mit  seinem  Knappen,  Bruder  An tolin,  un- 


\) 

Vos,  Feliciano,  volveos 

A  la  ciudad;  que  yo  ä  Oetavia 

Pondre  donde  este  sin  riesgo. 

2) 

Mi  mnerte, 

Como  la  he  dicho,  fue  un  sneno. 

3) 

—  he  de  volverme 

Con  el  ä  vivir  muriendo. 

4) 

Id  seguro;  que  no  puede 

Dejar  de  ser  vuestra  Oetavia. 

5) 

Ese  fraile  encantador 

De  secreto  la  ha  enterrädo. 

624  I^as  spanische  Drama. 

sichtbar  bleibend,  treten  bei  Ludovico  ein.  Beim  Erblicken 
der  verschleierten  Gattin  glaubt  Ludovico  des  Todes  zu  se}^!  vor 
Entsetzen.  Von  allen  Schrecken  das  Schrecklichste  ist  —  selbst 
für  bessere  Ehemänner  als  Ludovico  —  eine  vom  Tode  aufer- 
standene Trau  das  Fürchterlichste.  Um  nicht  in  Ohnmacht  zu 
fallen,  hält  er  sie  für  ein  Gespenst,  ein  Phantasma.  ^)  Nachdem 
sie  ihn  des  Gegentheils  und  ihrer  Verzeihung  versichert,  schwingt 
der  Teufelsracker  den  Dolch,  um  sie  zu  einem  Gespenst  zu  ma- 
chen. Der  bisjetzt  unsichtbar  gebliebene  Bruder  Antolin  fällt 
dem  recidiven  Mörder  in  den  Arm.  Ludovico  bleibt  verzaubert 
stehen,  Octavia  und  Juana  entschlüpfen.  Ludovico,  aus 
dem  Starrkrampf  zu  sich  gekommen,  will  seinen  Ingrimm  an 
dem  nun  unsichtbar  gewordenen  Bruder  Antolin  auswüthen, 
der  ihn  aber  mit  einem  zu  dem  Behufe  im  Aermel  verborgenen 
Kieselstein  in  einen  wiederholten  Starrkrampf  versetzt.  Ludo- 
vico fühlt  einen  kalten  Schweiss  durch  die  Adern  rinnen.  2) 
Teufel-Prediger  ermahnt  den  Verstockten  zur  Besserung,  mit  so 
salbungsvoller  Eindringlichkeit,  dass  dem  Sünder  das  Herz  im 
Leibe  schmilzt,  sogleich  aber  in  Starrkrampf  verfällt,  so  wie  Pa- 
ter Luzbel  die  Almosen-Saite  anschlägt.  Eso  no  —  „Alles,  nur 
das  nicht",  berlinisch  kürzer:  „Jo  nich!"  Nun  hat  seine  letzte 
Stunde  geschlagen.  Luzbel  ruft:  „Herr!  ist  es  Zeit?"  San 
Miguel  (hinter  der  Scene)  „Ja."  „Hinunter  mit  Dir,  Rebell, 
elender  Frevler!"  —  donnert  ihm  Luzbel  zu  mit  der  Donner- 
stimme, die  er  am  Leibe  hat,  wo  es  gilt  —  „Hinunter  mit  Dir, 
Du  mein  leibhaft  Ebenbild!  hinunter  in  die  wilde  Flamme,  die 
Dich  zu  Kohle  für  ewige  Zeiten  brennen  soU!"^)    Ludovico 


1)  ;Valgame  el  cielo! 
Fantastica  vision. 

2)  Un  frio  sudor 

Se  ha  esparcido  por  mis  venas. 

3)  Rebeide  vil  pecador. 

fiero 
ßetrato  mio 


Adonde  en  Uaraa  feroz 
Seas  eterno  carbon. 


lieber-  und  unterirdische  Zauberei.  625 

versinkt  wie  nur  der  Teufel  selbst.  San  Miguel  erscheint  in 
einer  Wolkenmaschine  und  trägt  dem  Luzbel  auf,  dafür  zu  sor- 
gen, dass  der  Versunkene  sein  Vermögen  an  die  Armen  vergebe. 
Luzbel  citirt  seine  Grossmutter  Astarot  aus  der  Hölle,  die,  in 
Ludovico's  Gestalt,  des  Erzengels  Befehl  vollzieht,  und  in  Gegen- 
wart des  verblüfften  Gobernador  die  Schätze  des  Wucherers 
unter  die  zusammenberufenen  Armen  der  Stadt  Lucca  vertheilt. 
Luzbel  giebt  nun  auch  das  inzwischen  hinzugetretene  Liebes- 
paar, Octavia  und  Peliciano,  zusammen,  wirft  die  Francis- 
canerkutte  ab,  aus  der  er  sich  zu  des  Pudels  Kern  entpuppt,  der 
er  ist,  desgleichen  die  Astarot,  seine  Grossmama,  und  versinkt 
mit  ihr  und  der  Legion  Teufel^),  die  ihm  beim  Vertheilen  von 
des  Börsenmaklers  Ludovico  Baarschaften  und  Staatspapieren 
an  die  Stadtarmen  behülflich  gewesen,  in  sein  höllisches  Erbreich 
vor  Pater  Guardian's  ihm  nachschnoppernder  Nase  und  vor 
Bruder  Antolin's  glotzenden  Augen,  der  sich  darüber  zumeist 
verwundert,  dass  er  des  Teufels  Cumpan^)  und  Sancho  Pansa 
gewesen.  Unstreitig  eines  der  geistvollsten  Auto's  und,  inbetreff 
des  kühnen,  volksthümlichen  Gracioso-Humors,  der  es  durchweht, 
ein  ünicum. 

Don  Carlos  Boil  Vives  de  Canesma.  ^) 

El  Marido  asegurado 
(Der  sichergestellte  Ehegatte). 

Der  Ehegatte,  der  vor  der  Verheirathung  sich,  inbetreff  der 
Liebestreue  seiner  Zukünftigen,  sicher  stellen,  in  dem  heiklichsten 


1)  Con  una  legion 

De  espiritus  que  le  asiste. 

2)  6  Que  fuese  yo 
Companero  del  demonio? 

3)  Erblickte  1560  das  Licht  von  Valencia.  War  Mitglied  der  Acade- 
mia  de  los  Nocturnos  unter  dem  nächtlichen  Namen  'Recelo'  (Besorg- 
niss).  Befreundet  mit  Lope  de  Vega,  während  dessen  Aufenthalt  in  Va- 
lencia, auf  den  Boil  oder  Boyl  ein  akrostichisches  Sonett  dichtete 
(abgedruckt  in  Lope's  uns  bekanntem  beschreibenden  Poem  *Fiestas  de 
Denia\  Val.  1599).  Ferner  schrieb  Boyl  zur  Feier  der  Vermählung  König 
Felipe's  III.  mit  Margarita  de  Austria   ein  Epitalamio  in  Octaven,  und 

X.  40 


526  ^^^  spanische  Drama. 

Ehepunkte  also,  Numero  Sicher,  wie  man  zu  sagen  pflegt,  ziehen 
will,  ist  Sigismundo,  König  von  Neapel,  und  die  Braut,  die 
sicüianische  Prinzessin,  Infanta  Menandra,  ist  das  Versuchs- 
und Prüfangsopfer,  deren  eheliche  Treue  er  dadurch  auf  die 
sicherste  Probe  zu  stellen  ^sich  getröstet,  dass  er  sie  in  ihrem 
Verhalten  gegen  einen  als  mitverlobten  Bräutigam  untergescho- 
benen Substituten  beobachtet.  Der  Substitut  ist  Con de  Man- 
frede, der,  zum  Glück  für  die  wenigstens  subjective  Richtigkeit 
der  Beobachtung  und  für  Erlangung  eines  für  die  Beobachtung 
geeigneten  Phänomens  —  ein  ernstes  Liebesverhältniss  mit  der 
Schwester  des  Königs  Sigismundo  von  Neapel,  mit  Prinzessin 
Fulgencia  hat,  das  aber  für  den  königlichen  Bruder  bis  zu 
Ende  ein  Geheimniss  bleibt.  Zum  Glücke!  Denn  sonst  hätte 
der  auf  Ehetreue  experimentirende  Frauenherzensforscher  gleich 
bei  der  ersten  Verrichtung,  behufs  Gewinnung  eines  reinen  Phä- 
nomens, seinen  Unberuf  zu  solchen  Beobachtungsanstellungen  be- 
kundet, massen  der  Substitut  in  die  sicilianische  Infanta  sich 
allen  Ernstes  hätte  verlieben  und  Gegenliebe  finden  können,  ohne 
dass  im  Mindesten  deshalb  die  Richtigkeit  des  Experiments  tan- 
girt  und  in  Frage  gestellt  worden  wäre.  Die  Berechtigung  zum 
Experiment  konnte  König  Sigismundo  nur  aus  der  Braut  schon 
erprobter  Liebe  für  ihn  schöpfen;  einer  Braut,  die  er  nie,  und 
die  auch  ihn  nie  gesehen ;  um  die  er  durch  Procuration,  von  sei- 
nem Abgesandten  nach  Palermo,  hatte  werben  lassen.  Zum 
Glück,  zum  zweitmaligen  Glück  für  das  Experiment,  hatte  der 
Gesandte  König  Sigismund's  Portrait  der  sicilianischen  Prin- 
zessin mitgebracht,  so  dass  der  König  sich  ihrer  Liebes-  und 
Treueverpflichtung  jedenfalls  in  effigie  versichert  zu  haben,  und 
auf  diesen  bildlichen  Versicherungsgrund  das  Experiment  der 
weiteren  Sicherstellung  anstellen  und  bauen  zu  können  glauben 


verschiedene  andere  lyrische  Poesien  (in  der  Gedichtsammlung  'El  prado 
de  Valencia'.  Herausg.  von  D.  Gaspar  Mercader  Conde  de  Bunal. 
Val.  1608).  Von  dramatischen  Dichtungen  sind  hlos  zwei  Comedias  des 
Boyl  bekannt:  *E1  Marido  asegurado',  die  wir  unseren  Lesern  der 
Länge  und  Breite  nach  vorlegen,  und  *E1  Pastor  de  Menandra,  ein 
wenig  bekanntes,  von  Jimeno  angeführtes,  von  Garcia  de  la  Huerta 
nicht  erwähntes  Stück.  Boyl's  Sterbejahr  und  seliger  Sterbetag  werden 
merkwürdigerweise  von  den  Biographen  angegeben:  24.  Febr.  1621. 


Ein  Labyrintli  von  Portrait-Wirren.  ß27 

durfte.  Stellt  denn  nun  wirklich  König  .Sigismundo  auf  Grund 
dieses  durch  eine  Portrait-Liebe  errungenen  Anspruchstitels  die  Probe 
an?  Keinesweges!  Er  experimentirt  auf  ein  ganz  anderes  Phänomen 
hin:  auf  die  unbedingte,  Ehetreue  schlechthin,  seinem  eigenen 
Portrait  in's  Gesicht,  und  auf  die  Voraussetzung,  dass  Infanta 
Menandra,  Cond  e  Manfrede,  mit  dem  Sigismundo  die 
Bräutigams-ßoUe  tauschte  i),  von  diesem  Personenwechsel  bona  fide 
getäuscht,  für  König  Sigismundo  halten  und  ihn  als  den  mit 
ihr  verlobten  Bräutigam  nehmen  werde.  Mit  ihr  verlobten?  Da 
sie  doch  König  Sigismundo's  Bildniss  als  das  ihres  Bräu- 
tigams aus  der  Hand  seines  Brautwerbers,  seines  Gesandten, 
empfangen  ?  Zum  Glück,  zum  drittmaligen  Glück,  ist  dieser  vom 
König  Sigismundo  selbst  angewiesen,  der  Infanta  Menandra, 
die  dem  als  König  Sigismundo  sie  empfangenden  Manfrede 
das  vom  Gesandten  ihr  zugestellte  Portrait  des  als  Manfrede 
gegenwärtigen  Originals  vorzeigt,  weiss  zu  machen,  dass  er,  Ge- 
sandter Honorio,  bei  der  üeberreichung  die  Portraits  verwech- 
selt, und  ihr  Manfrede 's,  statt  König  Sigismundo's,  Portrait 
zugestellt  habe.  Der  wirkliche  Manfrede  kann  daher  getrost 
die  Infanta  bedeuten;  das  von  ihr  vorgezeigte  Portrait  sey  des 
(Pseudo-)  Manfredo  Bildniss.  Wenn  jemals  in  einem  spanischen 
Stücke  das  nationaltypische  Parallelbild  sein  Wesen  trieb,  so  ist 
es  in  diesem  Gattentreueassecurations-  und  Gattensicherstellungs- 
Drama,  dem  genuinen  Urbild-Drama  des  genetisch  dem  National- 
geist eingeborenen,  um  eine  imaginäre  Bildniss-  und  Personenver- 
wechslung sich  bewegenden  doppelbildlichen  Paralleltypus,  in  je- 
dem der  nun  sich  aufrollenden  Situationsbilder  des  Stückes  durch- 
gängig abgespiegelt.  Wie  kam  nun  überhaupt  König  Sigismundo 
auf  den  Gedanken,  ein  so  verwickeltes  Phänomen  seiner  Beobach- 
tung zu  unterziehen  ?  Den  Gedanken  blies  ihm  auf  gut  spanisch 
ein  Eifersuchtsverdacht  auf  den  Duque  Norandino  ein,  der  in 
Palermo  zu  den  eifrigsten  Anbetern  des  Infanta  gehörte'-^),   der 


1)  Quiero  que  vos  llame  el  mundo 
A  Sigismundo,  Manfredo, 

Y  a  Manfredo,  Sigismundo. 

2)  Sigism.         A  Norandino  ha  tenido 

Por  galan  Menandra  bella," 

40* 


ß28  ^^s  spanische  Drama. 

sie  nach  Neapel  begleitete,  und  zum  Glück,  zum  viertmaligen 
Glück  für  die  Versuchsmühe  und  das  Beobachtungs-Oel  des  Kö- 
nigs Sigismundo,  zu  den  albernsten  herzoglichen  Galans  der  spa- 
nischen Bühne  zählt.  Ein  Glück  für  das  vermeinte  subjective 
Gelingen  des  Experiments;  da  ein  solcher  Galan,  im  Maasse  sei- 
ner windigen  Albernheit,  nur  ein  negatives  Gewicht  auf  der  Wag- 
schale der  Sicherstellungsgewissheit  abgiebt. 

In  einer  so  angelegten  Komödie  musste,  selbst  wenn  sie 
keine  spanische  wäre,  jede  Scene,  jeder  Dialog  ein  Janusgesicht 
zur  Schau  tragen.  In  einer  spanischen  Komödie  dieses  Schlags 
wird  das  Janusgesicht  auch  noch  mit  dem  Doppelschielen  behaftet 
zu  seyn  nicht  umhin  können,  mit  Strabismus  convergens  und 
divergens  zugleich.  Menandra,  die  Märtyrin  dieser  auf  die 
letzten  Spitzen  hinaufcombinirten  Doppelbrautstands-  und  Dop- 
pelehe-Verwechslungsexperimente und  Treuheitsproben,  wird,  im 
Verhältniss  ihrer  für  den  Pseudo-Sigismundo,  fürManfredO;  an 
den  Tag  gelegten  Treugefühle  ^) ,  den  Experimentator,  den  wirk- 
lichen König  Sigismundo,  mit  der  Freude  eines  zu  seiner  Be- 
friedigung gelangenden  Experimentes  erfüllen;  gleichzeitig  aber 
in  demselben  Grade  dem  Manfrede,  im  Hinblick  auf  geheimes 
Liebesverhältniss  oder  gar  geheimes  Ehebündniss  mit  des  Königs 
Schwester,  Fulgencia,  angst  und  bange  machen.  Und  je  mehr 
der  Pseudo-Manfredo (Sigismundo)  Menandra's  Eifersucht  gegen 
seinen  Substituten,  den  vermeinten  König,  durch  Vorspiegelung 
von  dessen  geheimer  Liebe  für  eine  Dame  2),  ein  Phantasiebild  ^) 


Y  quiero,  desconocido, 
Probar  lo  que  tengo  en  ella, 
Pues  he  de  ser  su  marido. 

1)  Menandra  (zu  Manfredo). 

Toda  soy  obligacion 

Todo  tu  gusto  es  mi  ley  .  .  . 

Yo  naci  para  quererte, 

Y  he  de  querer  tus  antojos  . 

2)  Mas  no  culpemos  al  Eey, 
Que  tiene  adönde  acudir, 

3)  Sigism.  (ap.)  Por  bautizar 

La  tengo  en  el  pensamiento. 


Pensando  estoy  ä  que  nombre. 


Mikroskopische  Eifersuchtsexperimente.  629 

für  Sigismuüdo ,  aufstachelt;  desto  vergnügter  wird  sich  der 
Pseudo-Manfredo  mit-  diesem  neuen  für  seine  Beobachtung  er- 
freulichen Phänomen  kitzeln,  i)  Und  wie  juckt  ihn,  den  als  Man- 
frede verkappten  König,  nicht  erst  der  heimliche  Lustkitzel  ob 
dem  glänzenden  Resultat  seines  Experimentirens ,  wenn  er  für 
seine  heissberedte  Liebeserklärung  und  die  Berufung  auf  sein  der 
Menandra  von  seinem  Frei  werber  Honorio  überbrachtesPseudo- 
Manfredo-Portrait 2)  —  wenn  Sigismundo  für  diese  Aufdie- 
probestellung von  Menandra's  ihre  Neigung  für  ihn,  den  fal- 
schen Manfrede,  erstickender  Brauttreue  eine  noch  heissere  Ver- 
schmähungs-,  Schimpf-  und  Verdammungslauge  über  den  Kopf 
empfängt,  mit  der  hochentrüsteten  Drohung,  seine  Unverschämt- 
heit züchtigen,  mit  dem  Tode  bestrafen  zu  lassen! 3)  Die  ehe- 
liche Liebe,  er  schlägt  sie  für  die  Sicherstellung  seiner  eheli- 
chen —  Stirne  vor  dem  Syllogismus  cornutus  mit  Wonne  in  die 
Schanze.  Dem  Doppelgänger  des  Königs,  dem  Manfrede,  der 
sie  nach  der  Ursache  ihrer  Entrüstung  fragt,  erwiedert  sie,  hinter 
Sigismundo's  Rücken:  ihr  Zorn  sey  ein  verstellter 4),  und  zielt 
auf  seines,  des  vermeinten  Königs  Verhältniss  mit  einer  andern 
Dame,  einer  ihrer  Hofdamen  ~  doch  so,  als  rüge  sie  des  Pseudo- 
Manfredo  (Sigismundo)  Liebesverhältniss  zu  sothaner  Dame,  für 
welches  Vergehen  sie  des  Manfrede  (Sigismundo)  Bestrafung  ver- 


1)  Me  arrime  .  ,  . 

Pues  sabes  que  yo  te  quiero, 

Pues  sabes  que  me  enternece 

Tu  duro  pecho  de  acero, 

Pues  sabes  lo  que  merece 

Un  amador  verdadero, 

Pues  sabes  und  noch  mehr  des  Pues  sabes  — 
Sic  vos  non  vobis  ...  sie  vos  non  vobis  .  .  .    Aehnlich  ereifert  sich  Me- 
nandra, sie  weiss  nicht  für  welchen  Manfredo  und  welchen  Sigismundo.     . 

2)  Para  enamorar  tu  ver 

Te  diö  Honorio  mi  traslado. 

3)  Vil,  viUano 

Con  el  Rey,  coi^mi  tambien, 
Y  con  mi  honra  inhumano 
Yo  te  mandare  matar. 

4)  Era  un  enojo  finjido. 


ß30  ^^^  spanische  Drama. 

lange.  1)  Jeder  Januszweikopf  ist  die  Atrappe  und  das  Maskeu- 
gehäuse  eines  dahinter  verborgenen  Jannsdoppelgesichtes,  und  die 
ganze  Komödie  gleichsam  ein  Parallel-Palimpsest  in  unzähligen 
Deckschichten.  Zuletzt,  da  Manfredo,  der  Pseudo-Sigismundo,  ein 
taubes  Ohr  zu  der  Anklage  macht,  deckt  sie  ihre  Karte  auf: 
Wie  nun  wenn  i  c  h  die  Dame  wäre,  die  der  M  a  n  f  r  e  d  o  (Sigismundo) 
mit  Liebesanträgen  verfolgt?  -)  Auf  diese  Anklage  sieht  sich 
Pseudo-Sigismundo,  der  wirkliche  Manfredo,  gemüssigt,  zwei 
taube  Ohren  zu  machen,  so  dass  Menandra  voll  Aerger  über  ei- 
fersuchtslose Taubheit  und  gUnzliche  Fühllosigkeit  gegen  den 
ihm  in's  Ohr  gesetzten  Eifersuchtsfloh,  zornig  davongeht.  Die 
Citronenpresse  der  Verwechslungsspiele  drückt  diese,  wie  man 
sieht,  bis  auf  den  letzten  Tropfen  aus.  Wackere  Citronenpresse! 
Die  Scenen  zwischen  Manfredo  und  König  Sigismundo, 
worin  das  Janusdoppelgesicht  wenigstens  ohne  Doppelmaske  sich 
zeigt,  besorgen  die  Eeinigung  der  Citronenpresse,  um  sie  zu  wei- 
teren Ausquetschungen  in  Stand  zu  setzen.  Zwischendurch  nimmt 
Sigismundo  auch  die  verschimmelte  Citrone,  den  Duque  Noran- 
dino,  in  die  Presse  und  quetscht  ihm  innige  Freudenächzer  aus 
über  die  Erfolge,  die  König  Sigismundo,  auch  für  den  Duque 
der  Manfredo,  bei  Menandra  zu  des  Duque  Gunsten  zu  erzielen 
ihm  versichert.  Duque  regt  in  der  Quetsche  so  lustig  die  vor 
Entzücken  zappelnden  Gliedmassen,  wie  die  hölzerne  Glieder- 
schlange in  der  drückenden  Hand  Kopf,  Hals  und  Schwanz. 
Kein  so  grosses  Vergnügen  äussert  Pulgen cia  unter  der  Press- 
schraube, die  Menandra's  Klage  über  des  Königs  (Manfredo) 
Kaltsinn  gegen  sie  und  seinen  absoluten  Mangel  an  Eifersuchts- 
empfänglichkeit so  nachdrücklich  auf  Prinzessin  Fulgencia 
wirken  lässt,  dass  sie  dieser  Eifersuchtsangsttropfen  auspresst.  ^) 
In  diese  Tropfen  schmilzt  die  letzte  Scene  der  ersten  Jor- 
nada, zwischen  Fulgencia  und  ihrem  Manfredo  aus,  der 
ihr  mit  dem  Sultanfavorittuch  seiner  zugeschwornen  Liebestreue 
den  Angstschweiss  von  der  Stirne  wischt. 


1) 

Mandalde,  Rey,  desterror. 

2) 

^Y  si  digo  que  fue  a  mi?  .  . 

3) 

Fulg. 

;Ay  triste,  que  no  me  agrada 
Que  ä  ti  te  parezca  bien! 

Handscliriften-Taschenspiel  aus  der  Hosentasche.  631 

Die  zweite  Jornada  eröffnet  König  Sigismundo  mit 
einem  Tanz,  den  er  nämlich  an  seinem  Schnürchen  den  Duque- 
Hampelmann,  den  Norandino,  ausführen  lässt,  der,  ausser  sich 
vor  Entzücken  über  die,  laut  Sigismundo's  Versicherungen,  ihm 
von  Menandra  geweihte  Liebe,  deckenhoch  springt  und,  mit 
Horazens  summo  feriam  sidera  vertice  Erde  und  Himmel,  und 
Alles  was  zwischen  Erd'  und  Himmel  sich  regt  und  kreucht, 
anjauchzt,  i)  Als  ihm  gar  Sigismundo  den  Inhalt  seines  mit 
der  hinzugetretenen  Menandra  gepflogenen  Gespräches  mittheilt, 
welcher  Inhalt  von  Menandra's  schwärmerischer  Leidenschaft  für 
die  herzogliche  Marionette  überfliesse  —  die  Purzelbäume,  die  diese 
Marionette  vor  Liebeslust  schlägt!  Schade,  dass  wir  an  seinem 
Entzücken  uns  nicht  betheiligen  können ,  maassen  dasselbe ,  wie 
diese  Eingangsscene  überhaupt,  nur  eine  Wiederholung  ähnlicher 
Scenen  in  der  ersten  Jornada  ist.  Das  einzige  neue  Incidenz 
in  Sigismundo's  für  den  albernen  Duque  zum  Fopp-  und  Vexir- 
dialog  glossirtem  Gespräche  mit  Menandra  ist  das  billet  doux  der 
unbekannten  Dame,  das  sie  in  ihres  Pseudo-Verlobten  (Manfre- 
do's)  Hosentasche 2)  gefunden,  und  dem  Pseudo-Manfredo 
(Sigismundo)  mit  der  Frage  vorzeigt,  ob  er  vielleicht  die 
Schreiberin  mit  der  Handschrift  errathen  könne?  Und  wie  kennt 
und  erklärt  er  sie !  Handschrift  und  Schreiberin !  Er  erkennt  in 
der  Handschrift  die  seiner  Schwester  Fulgencia,  und  in  der 
Schreiberin  die  Geliebte  seines  Substituten  Manfrede,  und  kaut 
in  Apartes  an  der  bitteren  Pille,  anstatt  sie  zu  verschlucken, 
unter  fürchterlichen  Drohungen  gegen  die  leichtfertige  Schwester 
und  gegen  den  elenden  Wicht,   ihren  unebenbürtigen  Liebhaber, 


1)  Tierra  alegre,  adonde  mora 
Un  favor  tan  impensado, 
Jardin  do  nace  el  aurora 
Cielo  que  no  te  has  mostrado 
Sei*  tan  ciclo  como  agora; 
Plantas  que  reverdeceis 

Con  las  nuevas  que  escuchais. 
Foentes  .  .  .   Pojaros  .  .  .  Flores  .  .  .  Sol  hello  .  .  .  etc.  etc.  cum 
gratia  in  infinitum. 

2)  Halle  en  una  fattriquera 
De  aquellas  calzas  .  .  . 


632  ^^s  spanische  Drama. 

oder  gar  heimlichen  Gatten.  ^)  Von  der  schäumenden  Wuth,  wo- 
mit Sigismundo  dem  von  ihm  selbst  bestellten  Doppelgänger  das 
verrätherische  Briefchen  in  der  nächsten  Scene  vor  Augen  hält, 
kann  man  sich  aus  den  angezogenen  Apartes  einen  Begriff  ma- 
chen; desgleichen  aus  dem  bisher  erprobten  Verwickelungsge- 
schicke unseres  valencianischen  Dramatikers,  Don  Carlos  Boil 
de  Canesma,  sich  auch  zu  ihm  ^  der  geschickten  Finte  ver- 
sehen, womit  sein  Manfrede  sich  aus  dieser  Schlinge  zieht. 
Hatte  nicht  König  Sigismundo  selbst  [ihm,  seinem  bestallten 
ehelichen  Doppelgänger,  unter  den  Fuss  gegeben,  dass  er,  behufs 
Eifersuchtserregung  bei  Menandra",  dieser  den  Verdacht  seiner 
heimlichen  Liebe  für  eine  Dame  beibringe?  Konnte  er  diesem 
königlichen  Eathe  getreulicher  und  überzeugender  nachkommen, 
als  wenn  er,  den  Menandra  doch  für  König  Sigismundo  halte, 
deren  Verdacht  auf  dessen  Schwester,  folglich  für  Menandra, 
seine  (Manfredo'sj,  Schwester,  lenke,  und  die  vermeinte  Schwester 
dadurch  noch  vermeinter  mache,  dass  er  —  Sigismundo  selbst!  — 
der  Menandra  insinuire,  die  vermeinte  Schwester  sey  eben  nur 
eine  vermeinte,  die,  unter  dem  Namen  einer  vorgeblichen 
Schwester,  sein  (Manfredo's)  heimliches  Liebchen  sey? 2)  Bravo 
Don  Carlos  Boil!  utroque  pollice  bravo!  So  bravo,  dass  es  ihm 
König  Sigismundo,  in  dulci  jubilo  über  Fund  und  Finte,  als 
bravissimo!  zuruft,  den  Substituten  als  seinen  treuesten  Freund, 
Doppelgänger  und  Pseudo-Pseudo  an  sein  Herz  drückend  ^) ,  um 
das  „Ein  Schlag  und  zwei  Pseudo-Herzen"  vollauf  zu  gemessen. 
Von  seines  Alter  Ego,  als  Pseudo-Yo  el  Rey,  glücklichem  Funde 
fühlt  sich  König  Sigismundo's  erfindrischer  Ehrgeiz  so  ange- 
stachelt,  dass  auch  er  sein  Verwickelungskunststück  zumbesten 


1)  jAh  liviana!  [Ah  vil  villano! 
jAh  Manfredo  mal  nacido! 

2)  Man  fr.      Si  la  haces  tu  creer 

Que  no  es  Fulgencia  mi  hermana, 

Sino  que  en  nombre  fingido 

De  hermana,  es  mi  dulce  amiga. 

3)  [Oh  mi  amigo  verdadero, 
De  mi  vida  la  midad 

De  mis  gustos  fiel  tercero  etc.  etc. 


Verwickelte  Eifersuchts-Zwickmühle.  633 

geben  muss,  mit  dem,  Manfredo's  Doppelfinte  überbietenden  Kniff, 
in  Menandra's  Gegenwart  mit  seiner  Doppelvermeinten  und  des 
Königs  einfachen  Schwester  Fulgencia  so  schön  zu  thun,  wie 
möglich,  um  Menandra's  Eifersucht  auf  die  Höhe  der  Ver- 
wickelungsfinte —  welche  zugleich  die  äusserste  Spitze  der  Ver- 
wickelungskunst des  spanischen  Drama's  überhaupt  sein  dürfte  — 
zu  treiben,  und  nun,  in  dieser  allerhöchsten  Doppelspitze  den 
glänzenden  Spitzpunkt  seines  überraschend  gelungenen  Experi- 
mentes erblickend,  sich  selbst  am  Hochgenüsse  von  Menandra's 
aus  reiner,  dogmatisch-abstracter  Gattinnen-Ehre  und  Ehetreue 
für  den  vermeinten,  nichtgeliebten  Gatten,  pflichtschuldigst  ge- 
hegten Eifersucht  zu  laben  und  zu  weiden.  .  Aus  solchem  Ver- 
wickelungs-Mechanismus geht  nun  eine  Doppelscene  als  Triumph 
der  spanischen  Parallelgestaltung  hervor,  von  zwei  Gruppen  ge- 
bildet; auf  der  einen  Seite  i)  Manfredo  mit  Fulgencia,  mit 
der  er,  des  Königs  Sigismundo,  ihrers  Bruders  Anordnung  buch- 
stäblich befolgend,  wie  in  einem  tete-ä-tete  scharmutzirt.  Auf 
der  andern  Seite  die  darüber,  dem  ehelichen  Ehrendogma  zulieb, 
sich  grün  und  gelb  vor  Eifersucht  ärgernde  Menandra  mit  dem 
falschen  Manfredo  und  ächten,  über  diese  probate,  sein  Expe- 
riment in  allen  Punkten  bestätigende  Eifersucht  sich  bis  in  den 
vierten  spanischen  Himmel  hineinkitzelnden  Sigismundo.  Ein 
zugespitzteres,  gelungeneres  Aufschraubestellen  des  Situationsme- 
chanismus aufkosten  des  natürlichen  Gefühls  und  einer  psycho- 
logisch gesunden  Motivirung  ist  kaum  denkbar.  Menandra, 
das  Opfer  dieser,  man  möchte  sagen,  inquisitorischen  Folterda- 
menschraube und  Pseudo  „spanischen  Stiefel"  als  dramatischen 
Schnürschuh  oder  Stiefel  der  Intrigue  —  Menandra  wankt, 
auf  Fulgencia  gestützt,  aus  dieser  Doppelscene  davon,  wie  eine 
peinlich  Inquirirte  aus  der  Folterkammer  des  heiligen  Gerichts: 
„Weh  mir!  wie  das  Herz  mir  bricht  vor  Schmerz !"  2)  Vor  Folter- 
schmerz, Du  Aermste!    „Lass  nur  gehen"  —  sagt  sie  ächzend 


1)  Nach  der  Theater-Anweisung:    (Aqui  se  apartan  Sigismundo  y  Me- 
nandra a  una  parte,  y  Manfredo  y  Fulgencia  ä  otro.) 

2)  Menandra  (ap.) 

;Ay  da  mi!  que  el  corazon 
Me  revienta  de  dolor! 


634  I^^s  spanische  Drama. 

ZU  Pulgencia  —  „denn  ein  tyrannischer  Schmerz  wird  meinem 
Leben  ein  Ende  machen,  wenn  es  meine  Hand  nicht  thut."^) 
Alles  in;  majorem  gloriam  des  Frauenehren-Dogma's ;  wie  in 
der  Folterkammer  des  heiligen  Gerichts  die  wirkliche  Marter- 
schraube und  der  wirkliche  spanische  Stiefel  in  majorem  gloriam 
des  spanisch-katholischen  Qlaubensdogma's  ihr  Spiel  treiben.  Und 
ein  spanischer  König  und  Grossinquisitor  könnten  ihre  gegensei- 
tige Befriedigung  nach  dem  Auto-da-fe  nicht  wärmer  und  mit 
gefühlteren  Worten  zu  erkennen  geben,  als  unser  KönigtSigis- 
mundo  und  sein  Substitut  Manfrede  einander  beglückwün- 
schen 2),  mit  herzensbrüderlichem  Händedruck  die  zweite  Jor- 
nada schliessend. 

und  f Jornada  tercerea  vollendet  das  peinliche  Unter- 
suchungs-  und  Verhörspiel  mit  Menandra  im  Styl  des  heiligen 
Officiums.  Gleich  im  Beginn  des  dritten  Tags  sieht  man  Me- 
nandra in  ihrer  Verzweiflung  einen  Dolch  zücken,  um  sich  zu 
tödten,  diesen  Selbstmord,  den  Pseudo-Manfredo  verhindert, 
als.  einen  christlichen  bezeichnend. 3)  Pseudo-Manfredo 
(Sigismundo),  der  sie  auf  das  christliche  Gesetz  verwies  ^),  schlägt 
ihr  als  bestes  Eachemittel  vor,  die  Fulgencia  zu  ermorden, 
und  erbietet  ihr,  für  den  Lohn  ihrer  Gunstgewährung,  das  von 
ihm  bereitete  Gift  an.  ^)  Weiss  auch  der  Zuschauer,  was  er  von 
diesem  Anerbieten  zu  halten  hat,  so  bleibt  für  ihn  Menandra's 


1)  Vamos,  que  un  dolor  tirano 
Ha  de  acabarme  la  vida, 

Si  no  la  acaba  mi  vida. 

2)  Sigism.         Digo  que  es  tan  ä  mi  gusto 

Querido  amigo  Manfredo 
Que  del  placer  de  este  susto 
Darte  las  gzacias  no  puedo  . 

3)  Y  ha  de  dejar  darme  muerte 
Siquiera  por  cristiandad. 


Antes  soy  cristiana  fiel 

—  dando  muerte  ä  mis  celos.. 

4)  Que  desdice  tu  crueldad 
De  la  ley  cristiana. 

5)  Pues  yo  el  veneno  aprestado 
Te  dare. 


Ueberspamiter  Intriguen-Bogen.  635 

Lage  und  Stimmung  doch  peinlich  und  grausam.  Zu  der  vom 
falschen  Manfrede  als  Lohnesdank  für  Gift  geforderten  Gunst- 
gewährung will  sich  die  ehrendogmensteife  Menandra  nur  un- 
ter der  Einschränkung  verstehen,  dass  diese  Gunst  die  Grenzen 
der  Freundschaft  nicht  überschreite  ^),  unbeschadet  der  namen- 
losen Freude,  die  sie  über  den  Vergiftungsvorschlag  empfindet.  2) 
Sigismundo  bereitet  das  vermeinte  Giftgetränk,  Menandra 
holt  es  der  Fulgencia  als  köstlichen  Labetrank.  Fulgencia 
setzt  den  Becher  an  die  Lippen,  Manfrede  hält  sie  vom  Trin- 
ken zurück,  und  besteht  darauf,  dass  „dieses  eifersüchtige  Weib"  ^) 
zuerst  davon  trinke.  Menandra  in  der  grössten  Angstklemme.*) 
Sigismundo  zieht  gegen  sie ,  als  Vergifterin,  den  Degen,  ruft  die 
Wache  herbei  und  entfernt  sich  mit  Fulgencia  und  Man- 
frede, die  unglückliche  Menandra  ihrer  Seelenqual  überlas- 
send, die  sie  in  einem  Sonett  aushaucht.  Sie  wird  als  Gefangene 
in  ihr  Zimmer  verwiesen,  wo  sie  von  ihrem  Hofmeister  Conrado 
erfährt,  dass  sie  zum  Tode  verurtheilt  sey.  Er  rathet  ihr,  auf  Du- 
que-Hampelmanns,  Norandino,  Fregatte  nach  Sicilien  zu  fliehen. 
Menandra,  als  todesmuthiges  Ehrenweib  von  Pseudo-GattLn, 
weist  selbstverständlich  die  Rettung  zurück.  Mag  der  König 
thun,  was  er  nicht  lassen  kann:  sie  will  sterben  und  am  liebsten 
von  seiner  Hand  sterben.  ^)  Ein  Capitan  kommt,  ihr  das  To- 
desurtheil  verkünden.  Sie  schenkt  ihm  dafür  eine  goldene 
Kette  mit  der  Erklärung,  sie  sterbe  mit  demuthvoUer  Ergebung 
in  die  gerechte  Verurtheilung  ihres  hohen  Herrn,  des  Königs. '^ 
Nun  aber  die  Entwickelung!  Der  bis  auf's  Aeusserste  gespannte 
Bogen  der  Doppelgänger- Verwickelung  zerbricht  in  der  Hand  der 
Katastrophe.    Statt  einer  der  Schürzung  entsprechenden  Knoten- 


1)  Men.  A'dar  favores  iiie  Obligo 

Con  amistad  sin  deshonra. 

2)  Divino  engaiio,: 

Que  adorar  Menandra  debe. 

3)  esta  celosa  miijer. 

4)  Men.  jQue  terrible  confusion! 

5)  Haga  el  Rey,  su  acuerdo  siga; 
Muera,  y  muera  de  su  mano. 

6)  Y  dile  al  Rey,  mi  senor, 
Que  procede  como  justo. 


636  I^as  spanische  Drama. 

lösung  erhalten  wir  eine,  wie  beim  verzauberten  Nestel- 
knüpfen, durch  Besprechung,  kraft  Hexenspruch,  bewirkte  Ent- 
knüpfung.  Fulgencia  stattet  nämlich  der  zur  Hinrichtung  sich 
bereithaltenden  Menandra  einen  Besuch  ab,  um  ihr  das  Sachver- 
hältniss  zu  erzählen:  „Dieser  Manfrede  ist  ein  verstellter  Si- 
gismundo"  u.  s.  w.  Tulgencia's  Aufschluss  soll  ein  Geheimniss 
seyn,  was  zur  Folge  hat;,  dass  Menandra  der  Auseinander- 
setzung gegenüber,  die  ihr  in  der  letzten  Scene  Manfrede  noch 
als  König  Sigismundo  [über  die  Gründe  ihrer  Hinrichtung  hält, 
und  den  zwei  von  ihm  gestellten  Bedingungen  gegenüber,  an 
deren  Annahme  er  ihre  Begnadigung  knüpft:  dass  sie  nämlich 
dem  Manfrede  (Sigismundo)  ihre  Hand  gebe,  und  ihn  von  der 
Verlobung  mit  ihr  losspreche,  damit  er  sich  mit  Fulgencia 
vermählen  könne  —  dass  Menandra,  diesen  schliesslichen  Erör- 
terungen gegenüber,  sich  in  der  Lage  jenes  geheuchelten  In- 
cognitohahnes  befindet,  der  des  Malers  Unterschrift;  das  ist 
keine  Gans  oder  Ente,  sondern  ein  Hahn,  stillschweigend  accep- 
tirt.  Und  nicht  blos  Menandra  —  jede  der  zuletzt  noch  am 
Aufschluss  sich  betheiligenden  Personen,  stellt  einen  solchen  durch 
seine  Unterschrift  sich  legitimirenden  Hahn  vor!  König  Sigis- 
mundo mit  seinen  Aufschlussgebern  als  Haupthahn,  kraft  seiner 
Namentunterschrift,  an  der  Spitze  ein  für  die  Komödie  schlimme- 
rer Hahnrei,  als  die,  gegen  welche  König  Sigismundo  sich 
mit  seinem  Experiment  sicher  gestellt  zu  haben  vermeint. 

Guillem  de  Castro.  0 

El  Amor  Constante 

Die  standhafte  Liebe. 

Nicht  des  Königs  —-  namen-  und   geschichtslosen  Königs 
—  Liebe  zur  Nisida,  der  Königin  Kammerfräulein  —  Fräu- 


1)  In  seinen  handschriftlich  gebliebenen  ^Efemerides'  berichtet 
der  aragonische  Comthur  Don  Diego  Vieh:  „Castro  starb  in  Madrid, 
am  Montag  des  Jahres  1621,  im  Alter  von  62  Jahren.  Ein  hochberühmter 
Dichter.  Er  starb  so  arm,  dass  man  ihn  von  Almosengeldern  im  Spital 
der  Krone   von  Aragon  begraben  musste.*'*)    Gleichwohl  hatten  wenige 


*)  „Murio  Castro  en  Madrid,  lünes  el  de  1621,  de  edad  de  sesanta 
y  dos  anos;  poeta  famoso;  murio  tan  pobre,  quo  de  limosna  le  enterraron 


Guillem  de  Castro.  637 

lein  vor  der  Welt,  Kammerfrau  vor  Gott  und  ihrem  Gewissen 
und  ihrem  heimlichen  Gatten  —  nicht  des  Königs  Liebe  be- 


spanische  Dichter  sich  so  reichlicher  Jahresrenten  und  Einkünfte,  dank  der 
freigebigen  Gunst  hoher  Gönner,  zu  [erfreuen,  wie  Guillem  de  Castro  y 
Bellois,  der,  aus  alterlauchter  Familie,  zu  Valencia  1569  geboren,  inbezug 
auf  Anlage,  Leichtigkeit  und  Erfindung,  unter  den  valencianischen  Büh- 
nendichtern die  Stellung  etwa  einnehmen  möchte,  die  Lope  de  Vega  unter 
den  castilischen  Dramatikern  behauptet.  Die  uns  schon  bekannten  valen- 
cianischen Biographen  Foster,  Rodriguez,  Ximeno  wissen  aus  Guillem 
de  Castro's  Jugendzeiten  so  wenig  zu  berichten,  wie  Nicol.  Antonio,  so 
wenig,  als  hätte  ihr  Landsmann,  der  Koryphäe  der  ältesten  und  gefeier- 
testen der  spanischen  Bühne,  der  valencianischen,  —  gar  keine  Jugendzeit 
gehabt,  und  hätte  sich  mit  Einem  Sprung  von  der  Wiege  auf  den  Rücken 
seines  Dienstpferdes,  das  er  als  Hauptmann  einer  Küstenwächter-Cavallerie- 
Compagnie  ritt,  und  sich  im  Hui  wieder  aus  dem  Reitsattel  mit  Einem 
Voltigierwurf  nach  Neapel  hinüber  in  die  Gunst  der  Grafen  von  Bena- 
vente  geschwungen,  die  ihn,  wie  die  Raketten  den  Federball,  mit  ihrem 
Gönnerschläger  der  Glücksgöttin  als  Statthalter  von  Segano  in  den  Schooss 
warfen,  woraus  ihn  diese  wieder  flugs  mit  ihrer  Schürze  nach  Madrid  und 
gradenwegs  in  das  von  silberumsponnenen  Darmsaiten  gestrickte  Schlagnetz 
der  Herzoge  von  Osuna  und  Olivarez  schnellte.  Vor  lauter  Glücks- 
würfen kam  der  Dichter-Federball  so  weit,  dass  er  die  auf  seinen  zwan- 
zigjährigen Ikarusflügen  verzettelten  Federn  zusammenklauben  musste,  um, 
zur  Fristung  seines  und  seiner  Gattin  Leben,  Theaterstücke  zu  schreiben. 
Dass  es  Ikarusflüge  gewesen,  erfahren  wir  aus  der  einstimmigen  Beschul- 
digung seiner  Biographen,  die  ihm  jenen  schwunghaft  hochfliegerischen 
Schwindelgeist,  jenen  ritterlich-phantastischen  Abenteuergeist  eines  spa- 
nischen Dichter-Don  Quijote  zur  Last  legen,  der  [ja  auch  den  Sohn  des 
Kunstmeisters  Dädalos,  den  jugendlichen  Don  Quijote  der  Lüfte,  in's  Blaue 
durch  den  Aether  jagte,  und  schliesslich  in  das  nach  ihm  benannte  Ikari- 
sche  Meer  stürzte,  das  nicht  stürmischer  und  klippenvoller,  als  das  Büh- 
nen-Meer, worauf  so  viele  Planken  gescheiterter  Stücke  als  schwankend 
schlüpfrige  Bretter  treiben,  welche  dieses  Meer  bedeuten. 

Der  genannte  aragonische  Comthur,  Don  Diego  Vieh,  schenkte  Guillem 
de  Castro's  von  dem  berühmten  Ribalta  gemaltes  Bildniss,  wie  auch 
die  Portraits  anderer  Kunst -,  Zeit-  und  Landschaftsgenossen  Castro's,  des 
Komödiendichters  Tarrega  z.B.,  des  Caspar  Aguilar,  deren  dramatische 
Conterfeye  wir  ebenfalls  in  unsere  Geschichtsgallerie  aufnahmen  —  und 
anderer  valencianischen  Theaterdichter  Bildnisse,  dem  Kloster  de  la  Marta 
in  der  Stadt  Alcira,   wohin  sich  G.  de  Castro   zurückgezogen  hatte  und 


en  el  hospidal  de  la  Corona  de  Aragon."    (Vom  valencianischen  Biographen 
Ximeno  mitgetheilt.) 


638  öas  spanische  Drama. 

steht  die  Standhaftigkeitsprobe ;  diese  Liebe  ist,  aus  unüberwind- 
licher Leidenschaft,  blos  toll,  spanisch-fartalistisch-brunsttoU,  und 


wo  er  starb.  Diese  Portraits  befinden  sich  gegenwärtig  in  der  Akademie 
San  Carlos  zu  Valencia, 

Zwischen  G.  de  Castro  und  Lope  de  Vega  bestand  eine  edle  kunstge- 
nössische  Freundschaft.  Der  grösste  castilianische ,  in  der  Valencianer 
Schule  gebildete  Dramatiker  widmete  unter  andern  seiner  Komödien,  die 
*Las  Almenas  de  Toro'  (Die  Zinnen  von  Toro)  betitelte  dem  grössten 
Valencianischen  Bühnendichter,  unserem  G.  de  Castro,  welcher  als  Gegen- 
ehrengeschenk mehrere  von  seinen  Comedias  Lope's  natürlicher  Tochter, 
Marcela,  die  auch  wir  in  gutem  Angedenken  behalten,  dedicirte. 

Alle  Zeitgenossen,  die  seiner  gedenken,  stimmen  im  Lobpreis  überein. 
Cervantes  zeichnet  ihn  ehrend  aus  in  seinem  Viaje.  Im  prologo  zu  sei- 
nen Comedias  rühmt  er  „die  Lieblichkeit  und  Süsse  des  Castro.''*)  Der 
grosse  Lope  ruft  ihn  in  seinem  ^Laurel  de  Apolo'  an  als  lebensvolles  Ge- 
nie, Lichtstrahl,  Feuergeist.**)  Drei  Jahre  vor  seinem  Tode  erhielt  G.  de 
Castro  die  Investitur  eines  Ritters  vom  Santiago  -  Orden.  Er  war  auch 
Mitglied  der  Academie  de  los  Nocturnes***)  in  Valencia. 

Als  lyrischen  Mitkämpfer  beim  San  Isidorfeste  kennen  wir  be- 
reits unsern  G.  de  Castro.  Dergleichen  Festgedichte  zur  Feier  von  Hei- 
ligen sind  von  ihm  in  reicher  Anzahl  gedruckt  in  mancherlei  Büchern 
jener  Zeit,  und  handschriftlich  in  den  Archiven  der  Academie  de  los  Noc- 
turnes und  Bibliotheken  vorhanden.  G.  de  Castro's  Comedias  sind  in 
zwei  Theilen  erschienen: 

Primera  parte  de  las  Comedias  de  Don  Guillem  de  Castro 
—  Valencia,  por  Felipe  Mey  1618.  4o.    Und  bei  demselben  1621.  4». 


*)  „Estimense  —  la  suavidad  y  dulzara  de  don  Guillem  de  Castro." 
**)  El  vivo  ingenio,  el  rogo, 

El  espirita  ardiente 
De  don  Guillem  de  Castro. 
***)  Die  „Academie  der  Nächtlichen"  wurde  am  4.  Oct.  1591  ge- 
stiftet und  bestand  bis  zum  15.  April  1593.  Die  Mitglieder  versammelten 
sich  jeden  Mittwoch  zur  Nachtzeit  (daher  der  Name)  im  Hause  ihres  Prä- 
sidenten Don  Bernardo  Cathalan  de  Valerie  la.  In  jeder  Sitzung 
wurde  eine  Rede  in  Prosa  verlesen  und  poetische  Productionen  vorgetragen. 
Der  nächtlichen  Zusammenkunft  entsprachen  die  akademischen  Namen  der 
Mitglieder:  Stillschweigen  (Silencio),  Schatten  (Sombra),  Finster- 
niss  (Tinieblas),  Ruhe  (Riposo)  u.  s.  w.  Guillem  de  Castro  hiess  So- 
or eto  (Geheimniss);  Gaspar  de  Aguilar  'Sombra',  Carlos  Boil  'Re- 
celo'   (Besorgniss) ,  Miguel  Bencito  'Sosiego*  (Ruhe).  — 


Guillem  de  Castro's  Leben  und  Dramen.  639 

bleibt  es  bis  tief  in  die  Katastrophe  hinein;  aber  nicht  darüber 
hinaus.    Diese,  die  Katastrophe  überdauernde  Liebesstandhaftig- 


Dieser  erste  Band  enthält  folgende  Comedias: 

Don  Quijote  de  la  Mancha. 

El  curioso  impertinente. 

El  perfecto  Caballero. 

El  Conde  Alarcos, 

Las  mocedades  del  Cid,  primera  parte. 

Las  hazanas  del  Cid,  segunda  parte. 

La  humildad  soberbia, 

El  desenganado  dichoso. 

El  Conde  de  Irlos. 

Los  mal  casados  de  Valencia. 

El  nacimiento  de  Montesinos.  (El  conde  Grimaldos). 

Progne  y  Filomena. 

Parte  segunda  de  las  Comedias  de  don  Guillem  de  Castro, 
dirigidas  a  Dona  Maria  Ana  de  Figuerola  y  Castro.*)  Ano  1625.  Valencia 
por  Miguel  SoroUa.  4^\ 

Enthält: 

Enganarse  enganando. 

El  mejor  esposo  San  Jose.    (El  transito  de  San  Jose), 

Los  enemigos  hermanos. 

Quanto  se  estima  el  honor. 

El  Narciso  en  su  opinion. 

La  verdad  averiguada,  y  enganoso  casamiento. 

La  justicia  en  la  piedad. 

Pretender  con  pobreza. 

La  fuerza  de  la  costumbre. 

El  vicio  en  los  extremes.    , 

La  fuerza  de  la  sangre. 

Dido  y  Eneas.  (Los  am  eres  de  Dido  y  Eneas). 
Und  andere  Comedias  in  verschiedenen  Sammlungen  oder  als  'sueltas' 
gedruckt,  und  handschriftlich  (in  der  Bibl.  des  Duque  Osuiia  namentlich, 
diesem  Manuscripten-Luxor  voll  handschriftlicher  Komödien -Mumien). 
Mit  Mira  de  Mescua  zusammen  schrieb  G.  de  Castro  das  mythologische 
Schauspiel:  La  manzana  de  la  discordia  y  robo  de  Elena  (Apfel 
der  Zwietracht  oder  Raub  der  Helena). 

Ein  Lieblingsthema  für  GuiUem  de  Castro,  im  Unterschiede  von  an- 
dern spanischen  Bühnendichtern  seiner  Zeit,  ist  der  Ehebruch.  Schick- 
licher und  glücklicher  als  solches  Argument  ist  die  Wahl  historischer  Ro- 

*)  Guillem' s  Cousine. 


640  I^äs  spanische  Drama. 

keit  verbeispielt  das  geheimeheliche  Liebespaar:  Celauro,  des 
Königs  Bruder,  und  Nisida,   das  Hoffräulein  vor  dem  ganzen 


manzenstoife ,  die  G.  de  Castro  mit  Vorliebe  und  grossem  Talent  behan- 
delt. Das  Capa  y  espada  genannte  Genre  der  Sitten  -  Komödie  (Com. 
de  Costumbre),  hat  G.  de  Castro  zuerst  mit  theatralischer  Kunstfertigkeit 
zur  Geltung  gebracht.  Zu  den  vorzüglichsten  dieses  Schlages  rechnet  die 
spanische  Dramaturgie  die  Comedia  El  Narciso  en  su  opinion  (Der 
Narciss  in  seiner  Einbildung,  Vorbild  für  Moreto's  Comedia  de  Costumbre: 
El  lindo  Don  Diego),  ferner  die  schon  durch  den  Titel  die  Gattung 
kennzeichnende  Comedia:  La  Fuerza  del  Costumbre  (Die  Macht  der 
Sitte  oder  Gewohnheit),  von  welcher  Lorenzo  Gracian  in  seiner  Schrift 
'Arte  de  ingenio'  sagt:  ,,dass  sie  durch  Schmuck  und  Schönheit  des  Verses 
wie  durch  Erfindung  den  unsterblichen  Lorbeer  verdiene.^'*)  In  der  Sit- 
ten- und  Charakterkomödie  El  perfecto  Caballero,  zeichnet  de  Castro 
in  der  Person  des  Don  Martin  Centellas  ein  Muster  ritterlicher  Voll- 
kommenheiten und  Tugenden,  im  seltsamsten  Abstich  gegen  das  Hauptmo- 
tiv der  Handlung,  das  die  doppelte  und  kreuzweis  verflochtene  ehebreche- 
rische Liebe  des  Königs  von  Neapel  für  Briseida,  Cousine  und  Hof- 
dame seiner  Gemahlin,  der  Königin,  und  parallel  zu  dieser  die  Liebe  glei- 
cher Natur,  die  Briscida's  Bruder  für  die  Königin  hegt,  zum  Gegenstande 
hat.  Castro's  Kunstmänier  in  Behandlung  solcher  Motive  kann  unser  Le- 
ser aus  de  Castro' s  von  uns  besprochener  Comedia  'El  amor  Constante' 
entnehmen,  die  sich  um  einen  ähnlichen  Zapfen  dreht,  und  auch  darin 
mit  dem  'Perfecto  Caballero'  übereinstimmt,  dass  in  letzterer  die  vom 
Könige  geliebte  Briseida  dessen  verbrecherische  Liebe  zurückweist,  in  rei- 
ner Liebe  glühend  für  den  spanischen  Caballero  Don  Miguel  de  Cen- 
tellas, wie  in  der  Com.  'El  const.  Amor'  Dona  Ines  für  ihren  heimlich 
mit  ihr  vermählten  Gatten  Don  Celauro,  des  Königs  Bruder.  Weicht 
aber  zu  ihrem  ünglimpf  und  Nachtheil  von  unserer  Castro-Comedia  in 
dem  überaus  anstössigen  Motive  ab,  dass  dieselbe  Briseida  die  Liebe 
ihres  Bruders  Ludovico  zu  der  Königin  begünstigt,  und  seinen  nächt- 
lichen Besuch  bei  dieser  fördert,  die  ihn  für  den  König  hält,  den  sie, 
die  Königin,  als  vermeinte  Briseida  erwartet.  Um  das  Maass  von  Scan- 
dal  und  frechverbrecherischer  Sittenschändung  voll  zu  machen,  lässt  diese 
„Sitten^-Comedia  Ludovico's  Nachtbesuch  im  Schlafgemach  der  Königin 
vom  Könige  überraschen,  und  diesen  vom  Ehebrecher  ermorden.  Ein 
französischer  Tragiker  aus  Victor  Hugo's  gräulromantischer  Unzuchtschule 
konnte  G.  de  Castro's  Perfecto  Caballero  mit  demselben  Glück  und  ange- 
massten  Ruhme  auf  die  französische  Bühne  verpflanzen,  mit  welchem  der 


*)  „por  la  bizarria  del  verso  y  por  la  invencion  merece  el  inmortal 
laurel."    (Vgl.  Mesonero  Apuntos  a.  a.  0.  p.  XXIX). 


Die  heimliche  Ehe.  Stehender  Artikel  der  span.  Comedia.        641 

Theaterpersonal,  mit  alleiniger  Ausnahme  des  Celauro,  den  der 
König,  sein  Bruder,  fünfzehn  Jahre  lang  in  finsterer  Haft  i)  ge- 
halten, während  welcher  fünfzehnjährigen  Strohwittwer-  und  Stroh- 
wittwen-Zeit  2),  sein  Söhnlein  ^3,  aus  heimlicher  Ehe  mit  Nisida, 
zum  Jüngling  und  Vater-  und  Mutter-Rächer  erwachsen,  unbe- 
wusst  der  Eltern,  die  den  Knaben  als  verschollen  beweinen 
mussten,  seitdem  ihn  die  Mutter,  gleich  nach  der  Geburt,  einer 
Hirtin  durch's  Fenster,  in  einem  Weidenkörbchen  eingeschlossen, 
übergeben  hatte,  um  nichts  mehr  über  das  Schicksal  des  Klei- 
nen zu  erfahren.  4)  Diese  zum  Verständniss  der  Fabel  wissens- 
werthen  vorgeschichtlichen  Ereignisse  theilt  sie  ihrem  heimlichen 
Gatten  Celauro  mit,  den  der  grausame  Bruder,  der  anonyme 
König,  aus  der  fünfzehnjährigen  Kerkerhaft  probehalber  ent- 
lassen, um  nämlich  seinen  Verdacht,  Celauro's  Verhältniss  zu 
Nisida  betreffend,  auf  die  rechte  Fährte  zu  bringen.  ^)   Die  funf- 


grosse  Corneille  sich  Castro's  Cid-Drama  angeeignet  hat  und  noch  immer 
als  der  Vervollkommner  und  eigenthche  poetisch -dramatische  Schöpfer 
des  ,,Cid''  von  den  französischen  Dramaturgen  gepriesen  wird,  und,  ihrer 
Ueberzeugung  nach,  mit  demselben  Kechte,  wie  G.  de  Castro  in  seiner  Co- 
media 'El  curioso  impertinente'  (Der  lästige  Neugierige)  Lope  de 
Vega  als  den  Schöpfer  der  spanisch-romantischen  Comedia,  im  Gegensatz 
zur  classischen,  in  die  Wolken  erhebt.*) 

1)  En  tinieblas  de  quince  afios. 

2)  De  un  nino  recien  nacido 
Con  lagrimas  despedime. 

3)  Quede  sin  padre  y  sin  hijo. 

4)  Saber  de  —  el 
Jamas  ha  sido  posible. 

5)  Key  (ap.)       Darele  la  libertad, 

Que  nunca  le  hubiera  dado, 
Yo  asi  la  suspecha  mia 
Hare  segura  certeza 
Si  descubro  en  su  tristeza 
Efetos  de  su  alegria. 


*)        Camila.     ,jComo  no  es  mucho  que  asombre 
Con  las  comedias  de  un  hombre, 
Monstruo  de  Naturaleza? 
Duque.      ^Es  Lope? 
Camila.     En  el  has  caido  etc. 
X.  41 


642  I^^s  spanische  Drama. 

zehujährige  Einsperrungszeit  benutzte  der  König  zu  unerhörten 
Liebesverfolgungen  \),  unerhört  insbesondere  vonseiten  Nisida's, 
an  deren  heimlicher  Liebestreue  und  Standhaftigkeit  des  Königs 
fünfzehnjähriges  Sturmlaufen  abprallte,  keinesweges  aber  erlahmte, 
sondern  so  unausgesetzt  und  so  unermüdlich,  dass  er  gleich  in  der 
ersten  Scene  der  ersten  Jornada  im  Sturmanlauf  auf  Nisida's 
Standhaftigkeit  die  Königin,  seine  Gemahlin,  über  den  Haufen 
rennt  mit  den  Worten ;  „Ha,  Ehestand ,  die  beschwerlichste  aller 
Gefangenschaften!"-)  in  der  Tanzstunde,  die  Nisida  mit  der 
Infanta  zusammen  nimmt,  gebärdet  sich  der  königliche  Beren- 
ner  von  heimlichen  Strohwittwern  so  wonnetoll,  dass  Aristophanes 
in  ihm  einen  seiner  vor  Entzücken  coram  populo  sich  besch — en- 
den K — kerlinge  ei'kennen  würde.  ^^)  In  diesen  Zustand  versetzt 
sich  der  König  coram  Regina.  ^)  Bald  nachher  findet  der  gekrönte 
Mauerbrecher  die  von  einer  in  Celauro's  Armen  vor  Liebesleid 
und  Lust  überstandenen  Ohnmacht  sich  erholende  Nisida, 
riecht  Lunte,  jagt  den  um  sie  beschäftigten  Bruder  Celauro, 
mit  der  Aufforderung,  seiner  Liebe  zu  entsagen,  hinaus,  und  nun 
up!  like  a  german  boar,  wie  Shakspeare's  Pothumus  sich  derb,  aber 
bezeichnend  ausdrückt.  König -boar's  up!  brunzgrunzt  spanisch; 
in  deutscher  Wildschwein-Üebersetzung:  „Nisida,  halt's  Maul! 
denn  ich  sterbe  vor  Liebe  und  Eifersucht"^),  und  up't  die  noch 
halb  Ohnmächtige  blutrünstig  oder  brünstig  mit  der  scharfen 
Kante  ihres  Diamantrings.  ^)  Das  Blut  macht  den  Eber  zum 
blutleckenden  Tiger,  coram  Eegina  wieder,  die  dazu  kommt. 
König  bekennt  sich  zum  Liebeseber  und  Königstiger,  die  grie- 


1) 

Que  nie  agravia  y  me  persigue. 

2) 

iah  matrimonio 

Cautiveiio  el  inas  pesado! 

3) 

Dance  mientras  niuero  yo 

iOh,  si  me  acabära  yo  ! 

Ciian  dichoso  hubiera  sido. 

4) 

jQue  esto  pase  en  ml  presencia! 

So  was  passirt,  mir  vor  der  Nase. 

5) 

Nisida,  cierra  los  labios, 

Qae  muero  de  amor  y  celos. 

6) 

Herido  te  ha  tu  sortija, 

Sangre  te  pudo  sacar. 

Die  Liebe  eines  spanischen  Königs.  643 

chische  Mythologie,  die  den  Amor  darstellt,  als  Löwenbändiger 
und  Bezähmer  bestialer  Leidenschaften,  an  seinem  Beispiel  Lügen 
strafend,  das,  der  spanischen  ars  amandi  nachlebend,  einen  König 
zur  Schau  stellt,  den  die  Liebesbrunst  zum  Vieh  bestialisirt,  und 
zum  schäumenden  Eber  raset.  ^)  Die  um  ihre  Gebühren  geprellte 
Königin  ist  so  nachsichtig,  dass  sie,  weit  entfernt  ihr  coram, 
das  ihr  die  Komödie  einmal  anweist,  in  der  Verbalforni  zu  ge- 
brauchen, ihren  königlichen  Gemahl  nämlich  und  Wildschweinigel 
zu  coramisiren,  ihm  noch  gute  Worte  giebt,  und  die  Nisida  er- 
sucht, ihre  Abwehr  zu  massigen.^)  Was  ist  die  Folge?  König 
schlägt  um  sich  mit  Händen  und  Füssen  und  stürzt  ab  mit  dem 
unerschütterlichen  Vorsatz:  „Ich  will  nicht  König  heissen,  oder 
muss  der  Tarquinius  dieser  Lucrecia  seyn^'^*^)  —  stürzt  davon, 
aber  wie  ein  gehetzter  Keuler,  der  mit  rasselnden  Borsten  gleich 
wieder  umkehrt,  die  gewetzten  Hauer  ansetzt  auf  Jäger  und 
Rüden. 

Wem  wischt  nun  unser,  wie  Mars  vor  Eifersucht  und  Lie- 
besbrunst rasender  König-Eber  mit  dem  Hauer  Eins  aus?  Dem 
würdigen  Duque,  Nisida's  grauehrwürdigem  Vater,  der  mit  ge- 
zogenem Schwert  die  Frauenehre  der  Tochter  gegen  den  Wuth- 
brünstigen  zu  schützen  sucht.  Flaps!  hat  Duque  Eins  über  den 
Schädel  mit  dem  vom  König  einem  Diener  entrissenen  Schwerte. 
Jetzt  stürzt  auch  Celauro  herbei  und,  gleichfalls  mit  blankem 
Schwert,  um  den  geheimen  Schwiegervater  und  die  heimliche 
Gattin  vor  dem  Viehkerl  sicher  zu  stellen,  schwenkt  aber  selbst, 
nach  einigem  auf  die  Lakeyen  einzudringen  Miene  machenden  Ge- 
fuchtel mit  der  Klinge,  mit  der  seinem  brunsttollen  königlichen 
Bruder  zugeschnaubten  Drohung  ab,  bei  einer  günstigeren  Gele- 


1)  proeedo  como  loco 


Rabio  y  muero  en  sus  desdenes. 

2)  Reina  (zum  König): 

Como  tanto  pena  tienes 
Por  eso  tanta  me  dos. 
(zu  Nisida): 

Nisida,  el  desden  reporta. 

3)  Dejame,  que  yo  he  de  ser 
Tarquinio  desta  Lucrecia. 

4r 


644*  I^äs  spanische  Drama. 

genheit  wiederzukehren  mit  einer  fürchterlichen ,  von  dem  und 
dem  Potentaten  geborgten  See-  und  Landmacht  ^),  und  stellt  dem 
Wütherich  ein  Sengen  und  Brennen  und  Metzeln  und  Würgen 
in  Aussicht,  das  den  vor  Eifersucht,  Liebestollwuth  und  Wuth 
schlechthin  schnaufenden  König  keineswegs  abhält,  den  alten  bra- 
ven Duque  in's  Loch  schmeissen  zu  lassen  2) —  des  Ebers  letzter 
Hauerhieb  beim  Schluss  der  ersten  Jornada. 

Der  zweite  „Tag"  geht  über  den  eigentlichen  Held  der  Ko- 
mödie, Leonido,  den  geheimen  Sohn  des  Crj^to-Ehepaars,  Ce- 
lauro  und  Nisida,  auf  und  zeigt  ihn,  eingeschlafen  mit  dem  von 
der  Bäuerin  Kosela  ihm  eingehändigten  Portrait  seiner  ihm 
annoch  unbekannten  Mutter,  Nisida,  in  der  Hand.  Nach  einem 
Weilchen  aber  erwacht  er  aus  dem  Schlummer  im  Walde,  mit 
einem  andern  Portrait  in  der  Hand,  das  ihm  von  der  blutjujigen, 
ein  lustiges  Jagen  eben  abhaltenden  Infanta,  anstelle  von  Nisi- 
da's  Bildniss  hingelegt  worden,  mit  dem  Bemerken,  dass  sie  an 
dem  hübschen  Schläfer  Wohlgefallen  gefunden.  3)  Der  erwachte 
Schläfer  weiss  beim  Erblicken  des  verwandelten  Portraits  nun  sei- 
nerseits nicht,  ob  er  schläft  oder  wacht.  Doch  glaubt  er  mit  vol- 
lem Bewusstseyn  versichern  zu  können,  dass  er  das  Bildniss  in 
erster  Gestalt  uneigennütziger,  zärtlicher,  nach  dessen  Verwand- 
lung aber  leidenschaftlicher  liebe,  mit  Interesse  für  den  Ge- 
schmack und  mit  Folterqual  für  die  Seele.  ^)  Die  auf  Portraits 
und  junge  Waldschläfer  Jagd  machende  Infanta  ist  mit  ihrem 
Gefolge  zurückgekehrt.  Ein  Jagdcavalier  versucht  an  Leonido's 
Backe,  wie  eine  Maulschelle  im  Walde  widerhalle.  Infanta 
bedauert,  dass  der  hübsche  Junge  kein  Echo  ist,   der  den  Schall 


1)  —  Veras  de  naves  y  galeras 
Cubierto  el  mar. 

2)  Llevad  el  Duque  preso. 

3)  Que  yo  no  puedo  negar 
Que  me  ha  parecido  bien. 

4)  Tuve  un  tierno  sentimiento 
Sin  interes  ni  disgusto; 
Pero  ya  en  el  pecho  siento 
El  interes  para  el  gusto, 

Y  para  el  alma  el  tormento. 


Sprünge  über  die  Klinge  im  grünen  Walde.  645 

zurückgiebt.  ^)  Leonido  erwidert  den  Backenschlag  fürserste 
mit  dem  Erbieten,  den  Herrn  Jagdjunkern  einige  überraschende 
Kunststücke  zu  zeigen,  wozu  sie  ihm  einen  Degen  borgen  möch- 
ten. Aeusserst  neugierig  auf  das  Kunststück ,  leiht  ihm  Einer 
sein  Schwert.  Leonido's  Kunststück  übertrifft  noch  die  Er- 
wartung und  belustigt  die  Cavaliere  dermassen,  dass  sie  vor  Ver- 
gnügen Luftsprünge  ausführen,  bis  über  die  „grünen  Beeme"  gehen, 
wie  der  Berliner  sagt,  so  lustig  lässt  sie  Leonido,  zum  Er- 
götzen der  Infanta,  über  die  Klinge  springen.  Ein  Löwe, 
der  sich  das  Kunststück  auch  mitansehen  kommt,  weiss  sich  vor 
Vergnügen  nicht  zu  lassen,  und  springt,  alle  Andern  davonjagend, 
dem  Leonido  über  das  Schwert  hinüber  und  herüber,  wie  ein 
Pudel  über  den  Stock  2),  bis  ihn  Leonido  zu  den  davongelaufenen 
Cavalieren  fortjagt  3),  und  nun  selbst  vor  der  Infanta  über  das 
Wortspiel  mit  Leon  und  Leonido  hin  und  zurück  über'n  Stock 
springt  4),  und  so  dass  er  bei  jedem  Sprung  über  den  Wortspiel- 
Stock  vor  der  Infanta  zu  knieen  kommt.  Die  Infanta  ist 
darüber  so  ausser  sich  vor  Entzücken,  dass  sie  mitspringt, 
das  Wortspiel  wie  einen  Hasen  todthetzend  ^) ,  und  im  Springen 
des  Löwenbezwingers  Löwennamensvetter  an  ihr  gleichfalls 
mitspringendes  Herz  emporreissen  möchte  zu  ihrer  Sprunghöhe, 
wenn  dies  möglich  wäre.  ^)  Aus  dem  Ton  unserer  Inhaltserör- 
terung wird  der  Leser  den  Charakter  und  Werth  dieser  Scenen 


1) 

Mal  empleada  hermosura. 

2) 

(sale  un  leon) 

Caballero  3o. 

AI  leon,  guarda  el  leon. 

3) 

(enträse  el  leon,  y  leonido  tras  el). 

4) 

Porque  veas  que  soy  hombre 

Que  de  leon  tengo  el  ser. 

5) 

No  leon  ido  (leonido)  seräs 

Sin  venido  ä  matarme. 

Du  wirst  kein  davongegangener  Löwe  seyn, 
Sondern  ein  mich  zu  tödten  gekommener  Löwe. 
Dass    der  Dichter  der   'Mocedades   del  Cid'   zu    solchen  abgeschmackten 
necedades  herunterkommen  muss! 

6)  Quien  levantarte  pudiera, 

Hasta  igualarte  conmigo! 


646  ^^s  spanische  Drama. 

richtiger,  als  aus  einer  ernsthaften  Zergliederung  derselben  beur- 
theilen.  Ohne  tödtliche  Langweile  für  den  Leser  und  ohne  den 
peinlichsten  ästhetischen  Missmuth  lassen  sich  dergleichen  dramati- 
sche Verzwicktheiten  nur  parodistisch  tractiren,  wodurch  diese, 
weil  sie  selbst  nur  eine  Parodie  kunstgerechter  scenischer  Erfin- 
dung vorstellen,  wie  mittelst  eines  Umkehrspiegels,  gewissermassen 
wieder  in  die  Richte  kommen.  Für  die  Selbstaufopferung,  dass 
wir  die  Langeweile  und  den  Missmuth  auf  unser  Haupt  neh- 
men, wird  der  Leser  auch  unsere  Capricio's,  zu  deutsch  Bocks- 
sprünge, zu  den  geschilderten  Sprüngen  der  dramatischen  Figuren 
in  diesen  Scenen  mit  in  den  Kauf  nehmen.  Die  Geissei  des 
Momus  besteht  aus  drei  Eiemen,  die  der  Gott  der  Aesthetik, 
Poetik  und  Dramaturgie,  die  Phoibos-ApoUon  aus  der  Haut  des 
Marsyas  geschnitten. 

Leider  muss  jene  Geissei  Schlag  auf  Schlag  auf  die  weitern 
Scenen  dieser  Komödie  fallen,  der  Komödie  eines  bei  der  deut- 
schen dramaturgischen  Kritik  durch  den  Cid,  den  Peter  Corneille 
aus  de  Castro's  apollinischer  Haut  geschnitten,  so  gut  angeschrie- 
benen spanischen  Bühnendichters,  wie  unser  Guillem  de  Castro. 
Die  Nachtscene  z.  ß.  zwischen  Celauro,  der  inzwischen  mit 
seiner  Hülfsflottenexpedition  gegen  seinen  Bruder,  den  Eifer- 
suchts-  und  Liebeswütherich,  den  sogenannten  König,  schimpf- 
lich gescheitert  ist  und  Nisida,  die  da  wimmernd,  wehklagend 
und  bangmüthelnd  daherschleicht  über  die  bösen  Vorbedeutun- 
gen %  die  sie  erlebt,  über  den  Spiegel ,  der  ihr  unter  der  Hand 
gebrochen,  und  über  den  Diamanten,  der  aus  ihrem  Trauring 
gesprungen.  König  überfällt  Celauro  mit  Dienergefolge,  Sce- 
nen, die  er  längst  hinter  sich  hat,  wiederkäuend,  indem  er  aber- 
mals auf  Celauro  seine  Schergen  h^tzt,  diesmal  freilich  mit 
Leonido  als  Zugabe,  der  nun  den  König  und  dessen  Mord- 
knechte und  Hofbüttel  ähnliche  Sprünge  über  seine  Klinge  aus- 
führen lässt,  wie  in  den  Scenen  mit  den  Hof-  und  Jagdjunkern 
der  Infanta.  Leonido  im  Begriff,  dem  beim  Sprung  über  seine 
Klinge  hingestürzten  König  den  Rest  zu  geben,   wird  von  Ce- 


1)  ;0h  agueros!  no  puedo  veros; 

Que  sempre  sois  verdaderos,     * 
Cuando  un  humbre  es  desdichado. 


Lähmende  Wirkung  des  blossen  Wortes  *König\  647 

lauro  daran  verhindert,  wegen  der  sacrosancten  ünverletzlich- 
keit  des  Königscharakters,  mag  dieser  Charakter  auch  der  eines 
Buben  seyn  und  nicht  eines  Königs.  Im  Kartenspiel  sticht 
Trumpf bube  den  König,  im  spanischen  Schauspiel  ist  der  König 
Trumpf  und  sticht  alles  um  sich  herum,  den  Dichter  selbst  zu- 
letzt nieder,  der  ihm  doch  wenigstens,  wie  dem  blinden  Oedipus, 
den  Staar  stechen  sollte.  Demzufolge  würde  ein  Kartenspiel  phi- 
losophischer seyn,  als  ein  spanisches  Schauspiel.  Gelauro  thut 
noch  ein  üebriges  und  stürzt  dem  stichfesten  König  huldigend 
zu  Füssen,  Leonido  mit  dem  Zuruf:  „Er  ist  der  König, 
Schlingel!"  niederreissend  auf  den  Boden,  um,  mit  ihm  gemein- 
schaftlich, den  König  Baal  anzubeten.  ')  Wie  nimmt  der  vom 
Wuthteufel  nun  einmal  besessene  Rey  '^)  die  knieende  Huldigung  auf? 
Er  entreisst  dem  Ce lauro  das  Schwert  und  übergiebt  es  dem 
Leonido,  um  den  Celauro  (Leonido's  noch  verkappten  Vater) 
zu  ermorden.  Das  geht  denn  doch  selbst  einem  spanischen  Kö- 
niggötzendiener über  den  Spass.  Leonido  sagt  dem  König  — 
quand  meme  den  Gehorsam  auf.  ^)  „Gut!  Sehr  gut!  —  Du  willst 
nicht  mein  Leibhenkor  seyn,  so  werde  ich  Deiner  seyn!"  Und 
sticht  drauf  los,  vorläufig  auf  Leonido,  um  sich  dann  über 
Celauro  herzumachen.*)  Nun  steigt  auch  dem  Celauro  der 
verdugo  in  die  Krone,  erwischt  das  Schwert,  und  schwingt  es 
über  den  ßey  tirano,  aber  mit  zwei  spanischen  Fragezeichen,  zur 
rechten  und  zur  linken:  ^ Bring'  ich  den  König- Wütherich  um, 
oder  lass'  ich's  lieber  bleiben?^)  „Bleiben  lassen!"  fährt  dem 
Celauro  jetzt  wieder  Leonido  in  die  Parade.  Deine  Schuld! 
Warum  fragst  Du  nicht  einfach,  ob  Du  den  „Tyrannen"  todt- 
stechen  sollst,   und  plagt  Dich  der  Teufel,   dass  Du  „König" 


1) 

Gel. 

El  Rey  es. 

Leonido 

^El  Rey?  Perdona, 
A  tus  pies  estoy  rendido. 

2) 

La  rabia  no  me  quita. 

3) 

Que  ä  injusto  rey  no  obedezco. 

4) 

Si  el  officio  no  te  plugo 
De  verdugo,  y  soy  verdugo 
Tuyo  el  suyo  lo  he  de  ser. 

5) 

^Matare  ä  este  rey  tirano? 

648  I^^s  spanische  Drama. 

tirano  sagen  musst.  Der  Name  König  wirft  Dir  das  Schwert 
aus  der  Hand,  und  deckt  wie  ein  Schild  den  tirano.  i)  Der 
Name  König  macht  den  thatsächlichen  Tyrannen  unverletzlich, 
unvergleichliche  spanische  Poetik !  Herrlicher  Königsspiegel  in  der 
Hand  der  dramatischen  poetischen  Gerechtigkeit!  Sacrosancter 
Basilisk,  dessen  blosser  Name  den  Spiegel  in  Scherben  blickt, 
nicht,  dass  der  Spiegel  dem  Basilisken  durch  Vorhalten  seines 
Bildes  ein  Haar  krümme!  Im  Namen  des  Königs  wird  Mel- 
pomene's  Dolch  ausschliesslich  aufs  Spinatstechen  angewiesen; 
weh'  ihm  aber,  wenn  er  einer  Zwiebel  zu  Leibe  geht,  die  unter 
der  Namensägide  des  Zwiebelkönigs  steht,  welcher  deshalb  auch 
von  den  alten  Aegyptern  in  jeder  Zwiebel  abgöttisch  verehrt  wor- 
den. Leonido  heisst  den  König  ruhig  sein  Koss  besteigen  und 
seiner  Wege  ziehen,  und  giebt  ihm  als  Schutz-  und  Geleitengel 
den  Namen  König  mit  auf  den  Weg^),  nicht  als  atra  cura  post 
equitem,  sondern  als  Eselsschatten,  der  sich  zum  Esel  verhält, 
wie  der  Name  zu  seinem  Träger,  und  den  die  Abderiten  als 
Ding  an  sich  anbeten.  Schattengötzendiener,  wie  die  alten  Perser 
Lichtdiener  waren.  Celauro  umarmt  in  Leonido  den  Vor- 
schatten seines  verkappten  Sohnes,  entwirft  ihm  eine  anderthalb 
Foliocolumne  lange  Schilderung  von  seiner  am  Vorgebirge  der 
gescheiterten  Hoffnung  zugrundegegangenen  Flotte^  mit  welcher 
die  Schilderung  selbst  für  uns  begraben  liegen  mag  im  Meeres- 
schlamm der  Vergessenheit;  hält  mit  Leonido  vorNisida's 
und  der  Inf  anta  gemeinschaftlichem  Balcon  eine  spanisch  dop- 
pelte Julia-Komeo-Balconscene,  und  theilt  dem  unbewussten  Sohn 
an  der  Ausgangsschwelle  des  zweiten  Tages  vor  Tagesanbruch  ^) 
die  Sensationsnachricht  mit,  dass  der  König  mit  drei  Carossen, 
sechs  Sänften,  unberittener  und  berittener  Mannschaft  auf  ihn 
fahnden  lasse  ^),  den  hoffnungsvollen  Sohn  der  Zukunft  dringlichst 


1)    Leon.  Tu  con  el  nombre  le  amparas 


Nunca  yo  le  defendieta, 
Si  nunca  tu  le  nombraras. 

2)  Säle  en  el  caballo  y  pica. 

3)  Gel.  Ahora  amanece  el  dia. 

4)  Gente  de  ä  pie  y  de  ä  caballo, 


Apokalyptische  Bestialität.  649 

ersuchend,  seinem  obschon  zurzeit  für  ihn  noch  geheimen  Vater, 
dem  er,  als  sein  Vater,  das  Leben  gerettet,  nun  auch  in  dieser 
schwierigen  Angelegenheit  unbekannterweise  guten  Eath  zu  ge- 
ben 0?  und  begiebt  sich  mit  ihm  zu  dem  Behuf,  Arm  in  Arm, 
in  das  Sprechzimmer  der  dritten  Jornada,  die  uns  den  Kö- 
nig in  der  ganzen  Glorie  der  apokalyptischen  Bestialität  eines 
rey  neto  zeigt.  Er  kündet  den  Granden  seinen  durch  Beispiele 
aus  der  heiligen  Schrift  gerechtfertigten  Entschluss  an,  seine  Ge- 
mahlin sammt  der  Infanta  zu  Verstössen,  und  Nisida  zu  hei- 
rathen.  Die  Königin  ergiebt  sich  lammfromm  in  ihr  Geschick 
und  bittet  nur  um  Gnade  für  die  Infanta,  ihren  gemeinschaft- 
lichen Engel  von  Tochter.  2)  Nisida  und  ihr  Vater,  der  Duque, 
beten  den  Ehegeier,  Rabenvater  und  Braut -Nachtraben  zu 
allen  Teufeln,  und  huldigen  knieend  der  Königin.  In's  Loch  mit 
Beiden!  Vater  und  Tochter!  schnaubt  er,  und  geht  selbst  die 
Folterwerkzeuge  holen.  3)  Inzwischen  erfährt  Leonido  von  ei- 
nem alten  Hirten,  seinem  Pflegevater,  dass  er  ein  Findling  und 
allen  Anzeichen  nach  von  hoher  Geburt  sey.  Eine  schauerliche 
Kerkerscene  thut  sich  auf,  mit  zwei  Schüsseln;  in  der  einen  ein 
Dolch,  in  der  andern  ein  Giftbecher;  der  Dolch  für  den  Duque; 
der  Giftbecher  für  Nisida.  Ein  blosser  Dolch  scheint  dem  Kö- 
nig, der  das  Henkeramt  allerhöchst  selbst  versieht,  nachgerade 
ein  viel  zu  gelindes  Todeswerkzeug  für  einen  alten  Herzog,  und 
sprüht  ihm  geistigere,  langsam  bohrende  Herzensdolche  zu:  Kum- 


Tres  carrozas,  seis  literas 
Llegaron  en  este  punto; 
De  aquel  enemigo  airado 
El  mayor  dano  barrunto. 

1)  Pues  que  la  vida  me  has  dado, 
Ven  y  me  daräs  consejo. 

2)  Que  tu  rigor  se  corrija 
Pues  ninguno  merecia 
Este  angel  desta  hija. 

Que  es  tan  tuya  como  mia. 

3)  Con  tormentos  destruiUos ; 
Que  luego  pienso  seguUlos 
Parä  conseguir  mi  gusto. 


650  I^2,s  spanische  Drama. 

mer  und  Gram^),  ein  psychologischer  Seelenhenker,  wie  Franz 
Moor.  Inbetreff  Nisida's  bescheidet  er  sich  bei  dem  Gifte, 
aber  potenzirt  durch  seinen  Hauch  2),  der  es  infernalisch  würzt. 
Sejan,  Tiber,  die  Brinvillier,  Franz  Moor  und  die  Pest  als  Extra- 
beilage, stecken  in  der  Pandorabüchse  dieser  Königsbrust.  Gift 
nehmen  oder  ihn  nehmen!  kredenzt  er  der  Nisida.  Sie  wählt 
natürlich  das  kleinere  Uebel,  das  Gift,  wie  Serafina  in  Tärrega's 
'Duquesa  coustante'.  Nur  fackelt  diese  nicht  so  lang  zwischen 
Nehmen  und  Nichtnehmen,  wie  Nisida,  die  sich  erst  nach  weit- 
läufigen Zweifelsagonien,  ob  sie  für  Celauro  leben  oder  für  ihre 
und  seine  Ehre  sterben;  ob  sie  den  Zureden  ihres  Vaters,  des 
Duque,  das  Gift  zu  trinken,  oder  dem  Anliegen  des  Key,  in 
ihn  lieber,  den  sauren  Apfel,  zu  beissen,  Gehör  schenken  soll, 
bis  sie  endlich  den  Giftbecher  ansetzt.  Da  fangt  König  erst 
recht  an  Gift  und  Galle  zu  speien 3)  gegen  seinen  Bruder  Ce- 
lauro, und  befiehlt  heimlich  seinen  Dienern,  denselben  zu  er- 
morden, dem  Duque  aber  die  Fesseln  abzunehmen,  um  es  die- 
sem zum  Selbstmorde  so  bequem  zu  machen  wie  möglich.  "*) 

Allein  mit  dem  Vater  im  Kerker,  holt  Nisida  mit  dem 
Trank  im  Leibe  die  Todesklage  nach,  inform  einer  Selbstanklage, 
die  sie  wieder  in  ihre  dem  Vater  mitgetheilte  Liebesgeschichte, 
nebst  Verirrung,  Keue  und  Busse  einkleidet.  In  dieser  posthu- 
men  Erzählung  in  letzten  Zügen  werden  einige  ergreifende  und 
des  Dichters  würdige  Töne  angeschlagen,  die  nur  leider  wie  Fun- 
ken in's  Wasser  fallen,  wenn  auch  in  Thränenwasser,  das  der 
hinzutretende  Celauro  vollends  zu  Güssen  strudeln  macht,  zau- 
berlehrlingsmässig.  Nisida  liegt  endlich  als  todt  da,  man  weiss 
nicht,  ob  infolge  des  Giftes  oder  vor  Erschöpfung  durch  Liebe- 


1)  Key.  Pero  no,  dejalde  estar; 

Que  pues  mata  con  pesas 
Ha  de  morir  con  pesares. 

2)  Con  mi  aliento  te  lo  doy, 
Porque  te  mate  mas  presto; 

(Dale  el  veneno,  y  alientole). 

3)  Peno,  rabio,  estoy  de  modo, 
Que  de  mi  mismo  no  se. 

4)  —  quitaide  las  cadenas, 
Para  que  se  mate  el  mismo. 


Der  König  lässt  den  Bruder  hinterrücks  ermorden.  651 

Lebensschilderung  und  Todesklagen,  deren  Erbschaft  Celauro 
und  Duque  nun  antreten,  worin  wieder  Züge  von  Empfindungs- 
ausdruck, die  mit  einigen  in  Arviragus'  und  Quiderius'  Todten- 
klage  um  Imogen  in  rührender  Schönheit  wetteifern  dürfen.  Nichts 
überrascht  mehr  bei  diesen  spanischen  Dramatikern,  als  das  Miss- 
verhältniss  von  kunstfertiger  und  hinreissender  Sprechweise,  und 
von  verkehrter,  widersinniger,  nicht  selten  widerwärtiger  Pathos- 
Motivirung.  Celauro  will  mit  dem  Schwert  seinen  Wehklagen 
ein  erwünschtes  Ende  machen,  Duque  aber  das  Geschäft  fort- 
setzen mit  ungeschwächten  Kräften.  Die  Folge  ist,  dass  des 
Königs  Henkerknechte,  die  den  Celauro  auf  Schritt  und  Tritt 
verfolgen,  ihm  hinterrücks  den  Schwertstreich  versetzen,  den  sich 
vorne  zu  versetzen  sein  Schwiegervater,  der  Duque,  mit  klage- 
eifriger Zunge  parirt  hatte.  Verblutend,  am  Boden  liegend,  findet 
nun  Leonido  den  Celauro,  seinen  cryptogamen  Vai^er.  Ce- 
lauro verlangt  nach  einem  Crucifix.  Leonido  reicht  ihm  das 
in  seinem  Wickelzeug  gefundene,  mit  Edelsteinen  besetzte  Kreuz. 
Es  wickelt  sich  ein  Erkennungszeichen  nach  dem  andern  aus  den 
Findlings-Tüchern  hervor,  bis  ein  Zettel  von  Nisida's  Hand  über 
das  noch  etwaige  im  Kückstand  befindliche  Dunkel  das  hellste  Licht 
verbreitet  und  Leonido  aus  den  von  seinen  Windeln  gelieferten 
Beweisstücken  die  Gewissheit  schöpft,  dass  er  seiner  Eltern  Sohn  ist, 
die  so  lange  verborgene  Frucht  von  Celauro's  und  Nisida's  heimli- 
cher Ehe.  Zum  üeberfluss  greift  Celauro  in  seines  schwertdurch- 
bohrten Busens  Herzblut  und  stellt  dem  Leonido  in  Blutschrift 
das  Zeugniss  seiner  Vaterschaft  aus,  als  dem  legitimen  Reichs- 
Erben  nach  seinem  Tode.  Aus  Celauro's  letztwilligen  Bestim- 
mungen, worunter  die  wichtigste,  dass  man  ihn  neben  seiner  Ni- 
sida  begrabe,  erfahren  wir  nebenbei  zuerst  den  Schauplatz  un- 
serer mit  dem  tragischen  Tode  ihres  Liebesheldenpaares  endigen- 
den Comedia.  Der  Schauplatz  der  Handlung  ist  nicht  Spanien, 
sondern  Ungarn^),  und  der  König  kein  spanischer  Key  neto, 
sondern  ein  magyarischer,  kurz,  Handlung,  Personen,  Situationen 


1)       Gel.  Mas  ya  imagino  y  confio 

Que  todo  el  mundo  y  Hungria 
En  viendo  una  firma  mia 
Te  tendran  por  hijo  mio, 


652  Das  spanische  Drama. 

und  was  dran  und  drum  hängt,  transleithanisch.  Der  König, 
faul  wie  der  faule  Wenzel,  liess  eher  vermuthen,  dass  die  Ko- 
mödie in  Böhmen  spiele,  dem  Czechenlande.  Zumal  die  Komö- 
die mit  einem  czechenhaften  Ausgleich  schliesst,  wo  der  Kö- 
nig, wie  das  Ministerium  Hohenwart,  abdankt  und  mit  der  hohen 
Ausgleichs-Erwartung  zusammen  in  die  Pilze  geht.  Das  uner- 
wartet Ueberraschendste  sind 'die  Gewissensbisse^),  die  dem 
Könige  so  zusetzen,  wie  gewisse  andere  Bisse,  die  als  dritte  Pha- 
raoplage Könige  und  Wütheriche  seines  Schlages  heimsuchen, 
wie  den  König  Herodes,  wie  das  „lausige  ungeheuer"  Sulla,  wie 
die  Wasserpolaken  überhaupt,  als  eine  national  slawische  Phtheiria- 
sis,  Königs-  und  Herrsch wuthskrankheit,  wie  das  Wort  „Zecke", 
das  eine  Schafl—  oder  Hundel —  bedeutet,  etymologisch  ausser 
allen  Zweifel  stellt.  Tritt  doch  Leonido  als  Schafhirt  vor  den 
König,  einen  Vorhang  wegziehend,  hinter  welchem  das  Leichenpaar 
Celauro's  und  Nisida's  sichtbar  wird,  und  sein  Grossvater 
mütterlicherseits,  der  Duque,  an  der  Ermordeten  Seiten.  Leo- 
nido schlägt  den  Oheim  mit  dem  Schwert  zu  Boden,  und  weist 
sich  durch  Celauro's  Blutschrift,  Nisida's  Kreuz  und  seines  Pflege- 
vaters, des  alten  Schäfers,  Schafpelz  als  rechtmässigen  Thronerben 
aus,  als  welcher  Leonido  nun  von  den  Granden  anerkannt  wird 
und  die  Huldigung  und  die  ungarische  Krone  des  heiligen 
Stephan,  des  ersten  christlichen  Magyarenkönigs,  empfängt.  ^)  Zu 
allerletzt  erscheint  auch  die  Königin  und  die  Infanta,  wel- 
cher der  im  Bauernkleide  als  üngarnkönig  gekrönte  Leonido 
die  von  seinem  Haupt  abgenommene  Krone  aufsetzt.    Aus  diplo- 


1)  iAy  alma  injusta  y  fiera, 
De  algun  demonio!*) 

2)  Grande  4^. 

Eeciba  pues  tu  persona 

Deste  reino  este  corona  .  .  . 

Que  otorgö  su  santidad 

Del  pontifice  romano, 

En  aquel  dichoso  dia 

A  Esteban,  que  fae  en  Hungria 

El  primero  rey  cristiano. 


*)  Dem  Herrn  der  Ratten  und  Mäuse,  Wanzen  etc. 


G.  de  Castro's  Cid-Drama.  653 

matischen  Rücksichten  enthielten  wir  uns,  die  Ausgleichs-Schluss- 
Parallele  von  Guillem  de  Castro's  Dreileichen-Komödie  mit  der 
politischen  weltläufigen,  oben  nur  berührten  Ausgleichsfrage  un- 
serer Zeit  durchzuführen. 


Las  Mocedades  del  Cid 
(Die  Jugendthaten  des  Cid). 

Unter  den  Comedias  famosas  die  vorzugsweis  famose,  durch 
den  famosen  vom  grossen  Corneille,  in  seiner  Tragödie  'Le 
Cid',  an  ihr  begangenen  Raub.  Guillem  de  Castro's  Cid- 
Schauspiel  verdankt  Ruhm  und  Nachruhm  seinen  eigenen,  vom 
grossen  Corneille  ihm,  nicht  sieghaft  abgekämpften,  nein,  geraub- 
ten spoliis  opimis.  Der  Lehnsherr  empfing  knieend  vom  Lehns- 
mann sein  Obereigenthum  als  Afterlehn  zurück,  wo  es  nicht  gar 
dem  Guillem  de  Castro  und  seinem  Cid  mit  dem  grossen  Cor- 
neille ähnlich  wie  jenen  zwei  Juden  mit  dem  Cid  selber  erging, 
welche  für  die  vom  Campeador  bei  ihnen  gegen  Verpfändung  von 
zwei  Kisten  voll  Gold  und  Silbergeräthe,  eröffnete  grosse  Anleihe, 
in  den  verpfändeten  Kisten,  statt  Gold  und  Silber,  Feld-  und 
Ziegelsteine  fanden.  Der  Fund  ist  von  der  vergleichenden  Kritik 
vielfach  illustrirt  worden  i),  mit  dem  merkwürdigen  Ergebniss, 
dass  nicht  nur  die  französische  2),  bei  der  sich  dies  von  selbst 


1)  Um  von  alten  Literarhistorikern  wieBatteux,  LaHarpe,  Sis- 
mondi,  Bonterwek  u.  A.  zu  schweigen,  und  Neuere  und  Neueste  zu 
erwähnen:  Ticknor  a.  a.  0.  L  657  f.  deutsche  Uebers.  v.  Schack  n. 
S.  437  f.  0.  G ollmann:  *The  french  „Cid"  and  his  spanish  Prototype', 
Programm  der  königl.  Realschule  zu  Meseritz  1868.  eh.  VII.  worin  der 
Gegenstand  nach  allen  Seiten  hin  des  Weitläufigsten  erörtert  wird,  ohne 
eben  etwas  Neues  und  Eigenes  zu  bieten,  und  ohne  Würzung  und  kriti- 
sche Sichtung  früherer  Vergleichungsversuche.  —  2)  Unter  den  Neueren: 
Villemain,  Puibusque,  Phil.  Chasles :  der  einzige  uns  bekannte  Franzose,  der 
ein  fulminantes  Verdammungsurtheil  gegen  Corneille's  *  Tragicomedie  le 
Cid'  schleuderte,  war  der  spätere  Akademiker  Scudery,  der  in  seiner 
Diatribe,  'Observations  sur  le  Cid',  mehr  Libell  als  Kritik,  mit  brei- 
ter Bramarbas-Plempe  Corneille's  Tragicomedie  in  die  Pfanne  hieb,  haupt- 
sächlich als  ein  Scandalproduct  voller  Sünden  gegen  die  aristotelisch- 
orthodoxe Poetik  der  damaligen  französischen  Bühne,  womit  zugleich  über 
den  Cid  als  Theaterstück  überhaupt,  mithin  auch  über  de  Castro's  'Moce- 


654  I^as  spanische  Drama. 

versteht,  sondern  auch  die  spanische  Kritik  ^  —  freilieh  eine  Fi- 
liale eben  nur  der  französischen  —  die  Steine  in  Corneille's  fünf 
Cid-Kisten  vermöge  der  Zauberkraft  der  Verjährung  oder  Passung 
in  Edelsteine  verwandelt  erkannten,  und  dafür  erklärten,  wonach 
Guillem  de  Castro  ein  glänzendes  Geschäft  gemacht  hätte. 

Bringen  auch  wir  denn  noch  einmal  die  beiden  Cid,  des 
Spaniers  und  des  grössten  französischen  Tragikers  dem  Spanier 
entlehnten  Cid  in  den  Schmelztiegel  unserer  vergleichenden  Ana- 
lysen, behufs  metallurgisch-dramaturgischer  Prüfung,  auf  welcher 
Seite  das  gediegene  Gold  und  auf  welcher  das  taube  Gestein  zu 
suchen,  ob  jenseits  oder  diesseits  der  Pyrenäen.  Vielleicht  ge- 
lingt es  uns  doch,  aus  den  Steinen  des  französischen  Cid  ein  und 
anderes  Goldkörnchen  oder  Goldäderchen,  als  nothdürftige  Ent- 
schädigung  für    Guillem   de    Castro's    dem    Cid   des   Corneille 


dades  del  Cid'  der  Stab  gebrochen  wird,  die  Scudery  indess  nur  den 
Namen  nach  gekannt  zu  haben  scheint.  Seine  „Observations*'  leitet 
er  mit  nachstehendem,  Corneille's  'Cid'  verwerfendem  Sündenregister  ein : 

„Que  le  sujet  n'en  vaut  rien  du  tout; 

Qu'il  choque  les  principales  regles  du  poeme  dramatique; 

Qu'il  manque  de  jugement  en  sa  conduite; 

Qu'il  a  beaucoup  de  mechants  vers; 

Qae  presque  tout  ce  qu'il  a  de  beautes  sont  derobees; 

Et  qu'ainsi  l'estime  qu'on  en  fait  est  injuste; 

0  n'y  voit  aucune  diversite,  aucune  intrigue,  aucun  noeud.*' 
Letztern  Vorwurf  widerlegt  die  Äcademie  fran9aise  in  ihrer  insbesondere 
gegen  Scudery's  „Observations'*  gerichteten,  in  akademisch  gestrenger, 
aber  maassvoUer  Coiporations Würdigkeit  gehaltenen  Kritik*)  des  Cor- 
neille'schen  Cid.  Scudery's  von  Missgunst,  Widerspruchsgeist  undüeber- 
treibung  strotzender  Angriff  enthält  doch  viel  Richtiges  und  Treffendes,  so 
dass  eine  unbefangene  internationale  Äcademie  Europeenne  der  Gegenwart 
Scudery's  Verwerfungsurtheile,  nicht  die  der  Lobpreiser  von  Corneille's  hoch- 
bewunderter Vezballhorung  des  spanischen  Cid,  unterschreiben  würde. 

1)  „Pues  entre  las  confusas  escenas  de  Guillen  de  Castro  hallo  Corneille 
la  verdadera  tragedia  cläsica."  „So  hat  denn  unter  den  verworrenen  Sce- 
nen  des  G.  de  Castro  Corneille  die  wahre  classische  Tragödie  gefunden." 
Lista  a.  a.  0.  p.  224.  Aehnlich  urtheilen  Martinez  de  la  Kosa,  Du- 
ran  und  Gil  y  Zarate. 


*)  Les  Sentimens  de  TAcademie  fran9aise  sur  la  Tragi-Comedie  du 
Cid.  Paris  1638.  1636  hatte  die  erste  Vorstellung  von  Corneille's  'Cid' 
stattgefunden. 


Grossartiges  Exposition s-Tableau.  655 

in  geprägter   baarer  Müuze   vorgeschossenes    Darlelin  herauszu- 
schmelzen. 

Guillem  de  Castro's  'Las  Mocedades  del  Cid'  bildete  eine 
Dilogie  von  zwei  parallelen  Stücken,  wovon  das  erste  (Primera 
Parte)  die  frühesten  Jünglingsthaten  des  gefeiertsten  spanischen 
Volkshelden,  als  dramatisirter  jene  Jugendepoche  umfassender  ßo- 
manzen-CykluS;  vorführt,  mit  Rodrigo's  von  König  Fernando 
empfangenem  Ritterschläge  beginnend,  und  schliessend  mit  seiner 
und  Jimena's  Vermählung.  Die  ßomanzenfolge  erscheint  hier  nur 
gleichsam  in  scenischer  Fassung,  die  Scenen  aber  an  sich  tragen 
das  Gepräge  einer  grossartigen  dramatischen  Behandlung.  Scenen 
und  Acte,  in  opischer  Weise  gegliedert,  eine  Folge  von  Ereig- 
nissen und  Thateu,  die  des  dramatischen  Mittelpunkts  entbehren, 
eine  Reihe  von  Unternehmungen,  die  sich  zu  keiner  einheitlichen 
Handlung  zusammenschliessen ,  und  trotzalledem  eine  bewäl- 
tigende Bühnenwirkung,  theatralisch  bewegtes  Pathos,  geschicht- 
lich prägnante,  in  dramatischen  Conflict  gesetzte  Charaktere  und, 
dem  angemessen,  eine  kunstgerecht  aus  dem  epischen  Romanzen- 
in  den  dialogischen  Schauspielton  übertragene  Gesprächsführung. 
Das  epische  und  dramatische  Element,  mithin  auch  hier  nicht 
ineinander  verschmolzen ,  sondern  beide  Stylarten  nebeneinander 
waltend,  und  dennoch  zu  bedeutsamen  scenischen  Nationalbildern 
zusammenwirkend.  Wie  imposant  stellt  sich  nicht  gleich  das 
Eingangs-Tableau!  Der  feierliche  vom  greisen  Könige  Fernando, 
in  Gegenwart  des  hochbejahrten,  altergebeugten  Diego  Lainez, 
des  Vaters  von  Rodrigo,  und  dessen  zwei  Brüdern,  in  Gegen- 
wart der  ganzen  königlichen  Familie,  der  Königin,  des  Prinzen 
Don  Sancho,  der  Infanta  Dona  ürraca,  des  Conde  Lo- 
zano  und  seiner  Tochter  Jimena,  dem  jungen  Recken  ertheilte 
Ritterschlag.  Und  kein  blosses  scenisches  Gemälde  entfaltet  sich 
vor  uns:  Die  Verwickelungs-  und  Conflictsmotive  kündigen  sich 
vorweg  in  feinen  Tonschattirungen  an.  Die  beiden  für  den  Hel- 
denjüngling in  der  Knospe  von  geheimer  Liebe  glühenden  Frauen, 
Infanta  ürraca  und  Jimena  Gomez,  verrathen  mit  den 
ersten,  wie  lose  Tastfäden  sich  befühlenden  Worten  ihre  Her- 
zensstimmungen i)   für   den    kampffeurigen   Ritter- Jüngling,   das 


1)    D.  ürraca.   iQ^ne  te  parece,  Jimena, 


656  I^^s  spanische  Drama. 

vorbestimmte  Volksheldenideal,  zum  Liebling  der  Eomanze,  zur 
Unbesiegbarkeit  im  Einzel-  und  Schlachtenkampfe,  vom  König 
mit  dem  Schwert  umgürtet;  von  Prinzessin  ürraca  durch  An- 
legen der  Sporen  geweiht  zum  alsbaldigen  Provinzeneroberer, 
Stadtbezwinger,  Mohrentilger  in  den  Plegeljahren.  Von  den  Spo- 
ren, womit  Prinzessin  ürraca  den  Holden  schmückt,  fühlt  Ji- 
mena  sich  in's  Herz  gestochen,  i)  Aber  auch  die  widerstrebenden 
Conflicte  beginnen  sich  zu  regen.  Jimena's  Vater,  Conde 
Lozano,  erbebt  hochfahrend,  stolzen  ünmuths,  bei  des  Knaben 
Eodrigo  Selbstüberhebung:  das  vom  Könige  ihm  umgegürtete 
Schwert  nicht  abzulegen  als  bis  er  in  fünf  Schlachten  gesiegt. 
Conde  Lozano's  stählernes  Herz  schwillt  und  schlägt  gegen 
den  Panzer  in  einem  unwilligen  Aparte:  „Vermessenes  Erkühnen'/* 2) 
Und  sein  Vetter  Peranzüles  schüttelt  sich  in  seinem  Aparte, 
ob  der  übermässigen  dem  jungen  Fant  erwiesenen  Ehren,  ^) 

Nach  der  Eitterweihe  berathet  sich  König  Fernando  mit 
Conde  Lozano,  Diego  Lainez,  Arias  Gonzalo  und  Pe- 
ranzüles über  die,  in  Betracht  des  ungestümen  unbändigen  Na- 
turells des  Eeichserben,  des  streitbaren  Don  Sancho,  höchst 
schwierige  Wahl  eines  für  ihn  geeigneten  Erziehers.  Der  König 
entschiiesst  sich  für  den  ebenso  treugesinnten  als  weisen,  im 
Eathe  wie  im  Kriege  gleich  erfahrenen  Diego  Lainez,  Eodrigo's 
greisen  Vater,  dessen  ehrwürdige  Sanftheit  am  wirksamsten  das 
wilde,  zügellose  Gemüth  des  Prinzen  in  Schranken  halten  würde.  ^) 


De  Eodrigo? 
Jimena  Que  es  galan. 

(Ap.)  Y  que  sus  ojos  le  dan 
AI  alma  sabrosa  pena. 

1)  Con  la  espuela  que  le  ha  puesto, 
El  corazon  me  ha  picado. 

2)  ;  Ofrecimiento  atrevido! 

3)  Ya  estas  honras  son  extremas. 

4)  Y  siendo  de  condicion 

Tan  indomable  y  tan  bravo, 
Que  tiene  asombrado  el  mundo 
Con  sus  prodigios  extranos, 
Un  vasallo  ha  menester, 
Que  tan  leal  como  sabio, 
Enfrene  sus  apetitos. 


Eine  heroische  Maulschelle.  ß57 

Darüber  entbrennt  ein  Wortstreit  zwischen  dem  gewaltthätigen, 
hochfahrenden  Conde  Lozano  und  dem  unter  der  Last  seiner 
Jahre  und  seiner  Thaten  ruhmgebeugten  Diego  Lainez,  in 
Gegenwart  des  Königs;  ein  Wortwechsel,  der  blitzartig  hin  und 
her  fliegt,  bis  er  sich  in  den  verhängnissvollen  Schlag  auf  Diego 
Lainez'  ehrwürdige  Backe  entladet,  der  in  Komanze  und  Drama  tau- 
sendfältig widerhallte;  in  jene  Sagenreiche  Ohrfeige  entladet, 
die  heroische  Ahnmutter  aller  seitdem  auf  der  Bühne  verabreich- 
ten, tragischen,  Schicksal  vollen  Maulschellen.  Der  Schlag  fällt 
angesichts  des  Königs,  als  Echo  mithin  gewissermaassen  auch 
auf  des  Königs  Angesicht,  das  die  Möglichkeit  eines  solchen  Er- 
frechens  von  selten  eines  Vasallen,  im  Beiseyn  der  Majestät,  nicht 
unverschuldet  büsst.  Schreitet  doch  der  verwegene  Majestätsbe- 
leidiger mitten  durch  die  Aufregung  der  Anwesenden,  durch  die 
entrüsteten  Machtworte  des  Königs,  ihn  festzunehmen,  die  Zer- 
malmungslaute  des  entehrten,  das  von  Schlag  und  Schmach  ge- 
röthete  Antlitz  mit  runzlig  zitternden  Händen  bedeckenden  Grei- 
ses —  schreitet  doch  durch  diese  von  dramatischer  Bewegtheit 
in  allen  Fasern  zuckende  Scene  der  freche,  dem  König  selbst 
mit  einem  mindestens  rückschlägigen  Backenstreich  in's  Gesicht 
schlagende  Oberhofmaulschellenaustheiler  —  schreitet  er  doch, 
gross,  unnahbar  gTOss,  in  aller  Herrlichkeit  gleichsam  seiner 
Majestätsbeschimpfung,  als  ein  Gott,  ein  Donnergott  der  Maul- 
schellen-Keile, hochgetragnen  Hauptes 0  davon!  Und  wankt  doch 
Diego  Lainez,  im  zerschmetternden  Gefühle  solchen,  den  König 
selbst  in  ihm  entehrenden  Schimpfes,  seinem  Schänder  nach, 
ächzend:  „üebel  nimmt  sich  ein  Beschimpfter  aus  in  seines  Kö- 
nigs Gegenwart."  2)  Das  Zugegenseyn  des  Königs  ist  aber  aus 
Kunstgründen  gefordert.  Einmal  als  Signum  .temporis,  als  kenn- 
zeichnender Charakterzug  der  Zeit,  deren  Farbe  ein  Romanzen- 
Drama,  ein  Volkssagen-Schauspiel  nicht  verwischen  darf,  den  viel- 
mehr alle  dramatischen  Factoren  und  Momente,  Personen,  Pathos, 
Conflicte  bekennen  müssen,  um  so  unerlässlicher ,  als  unsere  Di- 


1)  altivo  y  gallardo,  knirscht  vergeltungsohiimächtig  der  Silbergreis 
mit  der  kupferrothen  Dachtel  auf  der  Backe. 

2)  Mal  parece  un  afrentado 
Ell  preseiicia  de  su  rey. 

X.  42 


658  I)as  spanische  Drama. 

logie  das  'Vasallenverhältniss  zum  Königthum,  im  Sagenschau- 
spiel mithin  zugleich  ein  hochwi:chtiges  historisches  Entwickelungs- 
moment  des  spanischen  Geschichtslebens  zur  Anschauung  und 
zum  Austrage  bringt.  Ein  Allotrion  für  die  kahlmäuserische  ab- 
stracte  Aesthetik,  die  denn  auch  mit  Corneille's  Cid  an  Einem 
Strange  zieht.  Aus  Kunstgründen  ist  ferner  des  Königs  Gegen-^ 
wart  bei  Diego  Lainez'  Entehrung  geboten,  weil  des  Monarchen 
Machtlosigkeit,  den  Schimpf  zu  rächen,  Kodrigo's  Selbstrache  be- 
rechtigt, und  ihr  den  Stempel  tragischer  Nothwendigkeit  auf- 
drückt. In  wie  ganz  anderem  Lichte,  wie  ungleich  heroischer 
erscheint  nun  sein  Liebesverhältniss  zu  Jimena,  und  wie  ungleich 
tragischer  der  Conflict  von  unausweichlicher,  durch  die  Sachlage, 
durch  die  Natur  der  Verhältnisse,  durch  Fügung  und  Schicksal 
folglich,  auferlegter  Eache-  und  Ehrenpflicht  mit  der  Liebes  Ver- 
pflichtung und  dem  Liebesgebot,  von  dem  Bühneneffect  zu  schwei- 
gen, den  der  durch  des  Königs  Gegenwart  und  Aufregung  mit- 
erregte Gemüthsaufruhr  aller  Anwesenden  hervorruft!  Ein  Blick 
auf  Corneille's  entsprechende,  all  dieser  Momente  baare  Scene 
wird  uns  vorweg  zeigen,  welche  Dürre,  Vertrockniss  und  Ver- 
kommenheit die  Verpflanzung  des  spanischen  Nationalschauspieles, 
des  Cid  der  Komanze,  in  den  Gartenkübel  der  Versailler  Hofeti- 
kettentragik über  Guillem  de  Castro's  'Mocedades'  verhängte. 

Nun  der  greise,  in  seiner  Menschenwürde  und  Familienehre 
vernichtete,  wie  sein,  dess  als  Zeichen,  geknickter  Stab,  im  In- 
nersten zerbrochne  Vater  vor  seinen  drei  Söhnen  in  seinem  ge- 
schändeten Hause!  Erst  das  bangnissvoUe  Niederkämpfen  und 
Verschweigen  des  Schimpfes.  Hierauf  allein  mit  seinen  ruhm- 
reichen um  ihn  her  hangenden  Waffen,  dem  Mudarra-Schwert, 
das  die  sieben  Lara-Söhne  gerächt,  und  nun  noch  seine  Ehre 
rächen  solP),  und  das   dann  auch  Rodrigo  in  einem  Monolog, 


1)  En  ti,  en  ti,  espada  Valien te 

Ha  de  fundarse  nii  honor: 
De  Mudarra  el  vengador 
Eres,  tu  acero  afamölo 
Desde  el  uno  al  otro  polo; 
Pues  vengaron  tus  heridas 
La  muerte  de  siete  vidas 
Venga  en  mi  un  agravio  solo. 


Der  Zweikampf.  659 

racaebeflügelt,  schwingt^),  nach  erfolgter,  vom  alten  Vater  an 
den  drei  Söhnen,  allzu  getreu  der  Romanze  und  bühnenunzulässig 
angestellter,  nur  von  Rodrigo  bestandener  Kraftprobe  durch 
Händequetschuug  und  Riss  in  den  Daumen.  Die  hochbewegte 
Schlussscene  des  ersten  Actes  endlich,  wo  der  Knabe  Ro- 
drigo den  furchtbaren  Conde  Lozano  Orgaz  zum  Zweikampfe 
herausfordert  in  Gegenwart  der  beiden  für  ihn  heimlich  glühen- 
den Frauen,  Jimena's  und  der  Infanta  ürraca  —  Reide  des 
Vorgefallenen  unkundig.  Nun  das  Aufeinanderplatzen  der  stürmisch 
entbrannten  Zweikampfsgeister,  des  Geliebten  mit  dem  Vater, 
nach  einer  vorhergegangenen  Scene  zwischen  Jimena  und  Ro- 
drigo, voll  heissen  Seelenkampfes  vonseiten  Rodrigo's,  der  in 
Aparte's  sein  von  heiliger  Ehrenrache  und  Liebesw^h  zerrissenes 
Herz  ausseufzt 2);  während  Jimena  ob  seiner  unerklärlichen 
Retrübniss  verzagt.  Wie  herrlich,  wie  erschütternd  schön  siegt 
in  dem  Innern,  dem  Duell  mit  dem  Vater  der  Geliebten  vor- 
ausgehenden Seelenzweikampfe  die  heroische  Kindes-  und  Ehren- 
pflicht über  den  Liebesschmerz! 3)  Siegt  unter  den  Augen  der  mit 
jammervollem  Herzen  um  den  Vater  und  den  Seelenhelden  zit- 
ternden Geliebten!  Ein  Weilchen  darauf  hört  sie  schon  den  Vater 
rufen:  „Ich  bin  des  Todes"^);  stürzt  schon  Rodrigo  fechtend 
mit  des  Conde  Leuten  herein,  die  er  sämmtlich  in  die  Flucht 
schlägt,  mit  so  glücklichem  Erfolge,  dass  die  Infanta  ürraca 
den  ersten  Act  mit  dem  Zuruf  schliessen  kann:  0  tapferer 
Castillaner!^)  und  wir  unsern  Zuruf  dem  Act  in's  Geleite  geben 


1) 

Llevare  esta  espada  vieja 

De  Mudarra  el  castellano, 

Aunque  estä  bota  y  mohosa 

Por  la  muerte  de  su  amo. 

2)    Cid  (ap). 

^Que  he  de  verter 

Saiigre  del  alma?   jAy  Jimena! 

jOh  rigor 

De  Fortuna!    Oh  suerte  avara! 

3) 

Perdonad,  Senora; 

Que  soy  hijo  de  mr  honor.  — 

Seguidme  Conde. 

4) 

Muerto  soy. 

5) 

;0h  valiente  CasteUano! 

42^ 


660  ^as  spanische  Drama. 

können:  Oh  valiente  acto  primero!  Von  leidenschaftlichen  T^^at- 
momenten,  wie  von  Sturmgeläute,  durchhallter  und  durchbrauster 
Erster  katastrophenschwangerer  Act! 

Wird  uns  des  grossen  Corneille  erster  und  zweiter,  de  Castro's 
erstem  entsprechender  Act  einen  ähnlichen  Nachruf  abringen? 
Das  hinge  von  den  leidenschaftlichen,  katastrophenschwangeren 
Thatmomenten  ab,  die  auch  er  aufböte.  Vorläufig  glänzen  die 
beiden  ersten  Scenen  von  Corneille's  erstem  Cid-Act  nur  durch 
die  Abwesenheit  solcher  Momente,  indem  sie  nicht  blos  die  Ein- 
gangsfeier der  pomphaft  scenischen  Eitterweihe  im  spanischen 
Cid,  und  die  Stellung  aller  Hauptfiguren  und  Gruppen  zur  Hand- 
lung ausscheiden,  sonder-n  alle  und  jede  Zeit-  und  Localfarbe, 
allen  und  jeden  geschichtlichen  und  nationalen  Zug  verwischen 
und  von  vornherein  das  specifische,  eigenschwere  Cid-Drama  in 
die  gewöhnliche  schablonenhafte  Cabinets-  und  Antichambre- 
Tragik  Verblasen.  Wenn  Corneille's  erste  zwei  Cid-Scenen  doch 
mindestens  diese  Herzensintrigue  in  eine  wahrhaft  dramatische 
Bewegung  zu  setzen  verstünden!  Statt  dessen  wird  uns  dasselbe 
Schaukelspiel  von  Contrasteffecten  zumbesten  gegeben,  das  uns 
in  Corneille's  „Horace"  äffte  ^j,  und  das  wir  vom  Patriarchen  der 

1)  s.  oben  S.  319  ff.  Voltaire  giebt  uns  eine  wichtige  Thatsache  mit 
folgender  Bemerkung  an  die  Hand.  ,,0n  ne  connaissait  point  encore 
ävant  le  Cid  de  Corneille  le  combat  des  passions  qui  dechire  le  coeur, 
et  devant  lequel  toutes  les  autres  beautes  de  l'art  ne  sont  que  des  beautes 
inanimees."*)  Ein  sprechender  Beleg  dafür,  dass  dieser,  nachgewiesener- 
maassen,  falsche  Grundsatz  eines,  behufs  tragischer  Wirkung,  gebotenen 
dualistischen  Pathos,  Pflichtenstreites^  oder  Leiden  Schaftskampfes  —  dass 
dieser  Widerstreit  der  Affecte,  diese  combats  du  coeur,  von  Corneille  zu- 
erst als  der  zum  französischen  Antagonismus  der  Affecte  appretirte 
spanische  Parallelismus  auf  die  französische  Bühne  eingeschmuggelt 
worden.  Wir  werden  einen  Zusammenhang  mit  jener  spanischen  Doppel- 
gestaltung vielleicht  bis  tief  hinein  in  die  Zweiseitigkeit  der  Haupt-  und 
Nebenhandlung,  der  Plots  und  Underplots  der  englischen  Stücke,  in  kunst- 
vollster Verschmelzung  bei  Shakspeare  —  zu  verfolgen,  und  vielleicht  wohl 
gar  in  jenem  spanischen  Paralleltypus  den  Vater  oder  doch  den  Keim, 
die  Primitivfäden  gleichsam,  auch  dieser  durch  Shakspeare  erst  zu  höchster 
Kunstgültigkeit  ausgeprägten  Doppelgestaltung  zu  erkennen  haben. 


*)  Theätre  de  Corneille  avec  les  Cummentaires  de  Voltaire.  T.  III,  Paris 
1796.  Prachtausg.  p.  114, 


Das  tragische  Pathos  kein  Widerstreit.  ßß] 

fraiizösischen  Tragik  dadurch  zustande  bringen  sahen,  dass  er  den 
parallelen  Dualismus  im  spanischen  Drama,  als  Contra  st- Dua- 
lismus, die  parallele  Synthese,  —  wenn  die  Bezeichnung  gestattet 
ist  —  als  Antithese  wirken  lässt,  und  die  lineare  Symmetrie  in 
der  spanischen  Composition  zu  einer  Mechanik  und  Statik  ver- 
knüpft; zu  einem  psychologisch-pathischen  Hebel-  oder  Wage- 
balkensystem combinirt,  nicht  in  lebensvoll  schöpferischer  Weise, 
sondern  im  Wege  einer  abstracten  Verstandesoperation  angewandt 
auf  ein  gegensätzliches  Kräftespiel  der  Leidenschaften,  deren  dra- 
matisch-tragische Wirkung,  dargethanermaassen,  vielmehr  in  einer 
allesbeherrschenden ,  das  Gemüth  in.  Sturm  und  wie  fatahsti- 
schem  Dahinrasen  bewältigenden  Entschiedenheit  bestellt. 
Sophokles'  Antigene  kämpft  nicht  erst  einen  Pflichtenstreit  aus 
Hamlet's  Pathos  verschlingt  miteins  alle  seine  frühern  Affecte 
und  löscht  sie  von  der  Tafel  seines  Gedächtnisses,  und  reisst  mit 
Einem  selbstmörderischen  Griff  alle  andern  Herzblätter  aus 
seinem  verstörten  Herzen  aus.  Corneille's  tragische  Figuren  da- 
gegen lassen  ihre  beiden,  wie  zwei,  an  Alexandrinern  als  Schnü- 
ren schwebende,  von  Contrastaffecten ,  als  Gewicht  und  Last, 
beschwerte  Wagschalen,  sich  schaukelnden  Herzhälften  auf  und 
niederschwanken,  und  das  darüber  im  selben  Khythmus  spielende 
Zünglein  Grad  und  Maass  gleichsam  erklärend  messen  und  be- 
zeichnen. Corneille's  tragische  Figur  spricht  unaufhörlich  über 
das  'Combats  du  coeur'  genannte  Contrastspiel  ihres  Herzens, 
raisonirt  darüber  i),  hält  Vorträge  über  pathologische  Hydrostatik, 
dem  Mitspielenden  in  Wechselgesprächen,  und  dem  Publicum  in 
Monologen;  und  in  der  Kegel  mehr  im  spitzfindig  schwülstigen 
Kedepathos  der  Romane  des  Scudery  oder  d'ürfe,  als  im  Charakter 
und  Styl  der  classischen  Tragödie,  als  deren  Gesetzgeber  und 
Erzvater  der  französische  Grosstragiker  auftritt.  Seine  tragischen 
Helden  und  Heldinnen  erörtern,  discutiren  ihr  Doppelpathos,  wäh- 
rend sie  selbst  mit  ihren  Personen  aus  dem  Spiele  und  an 
der  Handlung  unbetheiligt  bleiben,  wie  Krämer  hinter  den  schwan- 
kenden Wagschaalen. 

So  spielt  denn  gleich  das  Eröffnungsgespräch  der  ersten  Cid- 


1)  s.  ob.  a.  a.  0. 


6ß2  ^^^  spanische  Drama. 

Scene  zwischen  Chimene  und  ihrer  Vertrauten  oder  Gouver- 
nante, El  vir  e  —  schon  das  Gegenüberstellen  zweier  Figuren,  worin 
sich  die  eine,  die  Vertraute,  hors  du  combat  du  Coeur  befindet, 
macht  diese  zum  blossen  Stützpunkt  und  Widerhall  des  Affec- 
tenspiels  der  Heroine  —  so  spielt  denn  gleich  die  Eröffnungsscene 
hin  und  her  inmitten  von  Chimene's  zwiespaltiger  Besorgniss: 
ob  die  Gouvernante  nicht  auch  um  ein  Wörtchen  zu  viel,  um 
einen  Ton  zu  stark,  gegen  Chimene's  Vater  die  grössere  Hin- 
neigung ihres  Herzens  für  Eodrigue  als  für  dessen  Mitfreier 
und  Nebenbuhler,  Don  Sanche,  verrathen  habe.  Nebenbei 
lässt  die  Gouvernante  ein  Wörtchen  von  der  Erzieherstelle  beim 
Thronfolger  fallen,  die  kein  anderer  als  Don  Gomez,  Chimene's 
Vater,  erhalten  könne,  der  seine  Tochter  dem  wackern  Jüngling, 
Eodrigue,  zu  lieben  gern  gestatte,  obgleich  beide  Bewerber  auf 
der  'Wage  des  Verdienstes  sich  das  Gleichgewicht  halten. ') 

Gleich  hinterher  führt  die  zweite  Scene  das  Parallelpaar  zu 
dem  der  ersten  in  der  Infant  in  von  Castilien,  ^Doila  ürraque', 
und  ihrer  Gouvernante,  Leonor,  herbei.  Der  Infantin  Contrast- 
pathos  ist  Liebe  für  Eodrigue  einerseits,  und  Infantinnen-Ehre 
und  Tugend  andererseits.  Letztere  giebt  den  Ausschlag  mit  so 
viel  Uebergewicht  an  grossmüthiger  Tugend,  dass  sie  den  Ge- 
liebten ihres  Herzens,  den  Eodrigue,  ihrer  Nebenbuhlerin,  Chi- 
mene, zuwägt.  2)  Das  Convenienz-Pathos,  die  Geburts- und  Stan- 
desehre schleudert  den  Natureffect,  das  Liebespathos  aus  der  Prin- 


1)  Chimene. 

N'as  tu  point  trop  fait  voir  quelle  inegalite 
Entre  les  deux  amants  me  penche  d'un  cöte? 
„Me  penche  d'un  cote"  —  die  unverholene  Wagschale. 
Elvire. 

Non:  j'ai  peint  votre  coeur  dans  une  indifference 
Qui  n'enfle  d'aucun  d'eux  ni  n'abat  Tesperance. 
Vollkommenes  Gleichgewicht  der  beiden  Schalen. 

Auch   glaube  sie   nicht,  dass  des   Vaters  Wahl  zwischen  beiden  Liebha- 
bern sehr  balancire: 

que  sa  pensee 
Entre  vos  deux  amants  n'est  par  fort  balancee. 

2)  tous  deux  sont  dignes  d'elle. 

Cet  amant  que  je  donne, 


Examen  du  Cid.  663 

zessin  ürraca  Schale  in  die  solcher  Liebe  ebenbürtigere  Wag- 
schale der  Grafentochter  Chimene.  Die  Infantin  fühlt  ihren  Geist 
in  zwei  Theile  gespalten:  Wenn  der  Muth  ihres  Entsagungsstolzes 
hoch  schwebt,  so  ist  ihr  Herz,  contrastgemäss,  entbrannt.  ^)  Wun- 
dersam kommt  der  Klang  und  Tonfall  des  Alexandriners  solchem 
Affecten-Contrastspiel  zu  statten,  dessen  metrisches  Abbild  er 
scheint.  Die  Gouvernante  tröstet  sie  mit  dem  Aequilibrium  der 
Affectwage,  die  ihre  Tugend  in  Euhe  bringen  und  bewirken  wird, 
dass  sich  ihre  schwankenden  Geister  die  Wage  halten.'^)  Chi- 
mene wird  angemeldet.  Die  Infantin  ersucht  die  Gouvernante, 
die  Besuchende  einstweilen  zu  unterhalten,  bis  sie  ihr  Gesicht  ein 
wenig  mit  Müsse  in  Ordnung  gebracht  hat.^)  Welche  Arm- 
seligkeit! Welcher  tragische  Styl!  Welcher  Ersatz  für  des  Spa- 
niers erste  Scene !  Worin  doch  nur  die  noch  jetzt  gefeierte  Grösse 
des  grossen  Corneille  bestehen  mag!  Worin  die  grande  Nation 
selber  besteht:  in  der  Phrase  und  in  den  Stelzen.  Nachdem  die 
Infantin  ihr  Gefühl  zum  Empfang  der  Chimene  zürecht  gemacht 
hat,  macht  Don  Gomez,  Comte  de  Gormaz,  das  Gesicht  des 
alten  Don  Diegue  mit  der  Ohrfeige  zuschanden.  Wo?  an  wel- 
chem Orte  das  vor  sich  geht,  darüber  giebt  Corneille's  Intelligenz- 
Comtoir,  sein  'Examen  du  Cid',  Auskunft,  der  sich  mit  den  drei 
Einheiten  herumschlägt,  und,  inbetreff  der  Ortseinheit  und  des 
Schauplatzes  der  Ohrfeige,  es  dem  Leser  und  Zuschauer  frei- 
stellt, ob  sie,  vermöge  einer  Theaterfiction ,  sich  denken  wollen^ 
dass  Don  Diegue,  und  der  Comte,  wie  sie  aus  dem  könig- 
lichen Palaste  getreten,  ihren  Gang  unter  Zank  und  Streit  fort- 
setzen, bis  sie  vor  Don  Diegue 's  Haus  gekommen,  wo  dieser 


Je  Faiine  -^ ~ 

Je  mis,  au  Heu  de  moi,  Chimene  en  ces  Kens 
Et  j'alluiuai  leur  feux  pour  eteindre  les  mieus. 

1)  Je  sens  en  deux  partis  mon  esprit  divise: 

Si  mon  courage  est  haut,  mon  coeur  est  enibrase. 

2)  Elle  (votre  vertu)  rendra  le  calme  ä  vos  esprits  flottans. 

3)  —  allez,  Fentretenir  — 


—  je  veux  seulement  — 

Remettre  mon  visage  un  peu  plus  ä  loisir. 


(364  ^^s  spanische  Drama. 

die  obligate  Ohrfeige  empfängt,  die  ihn  nöthigt,  in  sein  Haus  zu 
gehen,  um  Hülfe  daselbst  zu  suchen.  „Befriedigt  Euch"  —  Leser 
und  Zuschauer  nämlich  —  „diese  poetische  Fiction  nicht,  ei 
denn,  so  lassen  wir  den  guten  Don  Diego  mit  seiner  Ohrfeige 
auf  offener  Strasse  ruhig  stehen,  und  sagen  wir  uns,  dass  der 
Zusammenlauf  des  Volks,  die  Diensleistungs- Anerbietungen,  die 
ihm  die  zuerst  an  ihn  herangetretenen  Freunde  machen,  Umstände 
sind,  welche  wohl  der  Koman  nicht  vergessen  darf,  die  aber  für 
die  Bühne  völlig  gleichgültig  sind".  ^)  Gleichgültig,  grosser  Cor- 
neille! für  den  dramatischen  Dichter,  der  überhaupt  mit  der 
Ortseinheit  keine  Umstände  hat.  Keineswegs  aber  gleichgültig 
für  den  Bearbeiter  von  Guillem  de  Castro's  Meisterdrama,  das 
er  rechts  und  links  ohrfeigt,  um  nur  nicht  gegen  die  Convenienz 
der  Ortseinheit  zu  Verstössen,  und  ein  weitläufiges  Examen 
pro  domo  zugunsten  dieser,  trotz  seinem  beredten  Plaidoyer, 
alle  Nasenlang  geohrfeigten  Einheit^)  anstellt.  Bei  einem 
Dramatiker  par  la  grace  der  absoluten  Drameneinheiten  ist  die  ge- 
ringste Verletzung  derselben  ein  crimen  laesae,  ein  der  classisch- 
französischen  Melpomene  versetzter  Schlag  in's  Gesicht,  eine  ihr 
gegebene  Don  Diegue-Ohrfeige. 

Wenn  nur  —  den  Ort  dahingestellt  —  die  Ohrfeige  über- 
haupt am  Ort  wäre!  Wir  unterstehen  uns,  die  Meinung  zu  hegen, 
dass  nach  Beschaffenheit  von  Corneille's  Cid-Drama,  in  anbetracht 


1)  „Ainsi,  par  une  fiction  de  theätre,  on  peut  s'imaginer  que  don  Diegue 
et  le  Comte,  sortant  du  palais  du  roi ,  avancent  toujours  en  se  querellant, 
et  sont  arrives  devant  la  maison  de  ce  premier,  lorsque  il  re^oit  le  soufflet 
qui  Toblige  ä  y  entrer  pour  y  chercher  du  secours.  Si  cette  fiction  poeti- 
que  ne  vous  satisfait  point,  laissous  le  dans  la  place  publique,  et  disons 
que  le  concours  du  peuple  autour  de  lui  apres  cette. off ense  et  les  offres 
de  Service  que  lui  fönt  les  premier s  amis  qui  s*y  rencontrent \  sont  des 
circonstances  que  le  roman  ne  doit  pas  oublier,  mais  que  ces  memes  actions 
ne  servent  de  rien  ä  la  principale,  il  n'est  pas  besoin  que  le  poete  s'en 
embarrasse  sur  la  scene/'  Welche  Misere  von  dramaturgischen  Betrach- 
tungen, welche  Mesquinerien !  Die  Poetik  des  grossen  Corneille  steht  ganz 
auf  der  Höhe  seiner  Tragik. 

2)  Le  lieu  particulier  change  de  scene  en  scene;  et  tantöt  c'est  le 
palais  du  roi,  tantöt  Tappartement  de  Tinfante,  tantöt  la  maison  de  Chi- 
mene,  et  tantöt  une  rue  ou  place  publique. 


Hüifähige  Ohrfeige.  565 

des  Tons,  Styls,  Charakters  desselben,  der  schematisch-conventio- 
nellen  Figuren,  dieses  Versailleshofritterthums,  dieses  servilen  Schran- 
zen-Adels, vor  Allem  in  anbetracht  des  zahmen,  höfisch  geschmei- 
digen ,  ceremoniös-officiösen  Scherwenzel- Wortwechsels  zwischen 
Don  Diegue  und  Gerate,  eine  Ohrfeige  gar  nicht  zustande  kommen 
konnte,  oder  doch  nur  eine  hoffähige,  keine  katastrophenschwangere 
Ohrfeige.  In  dieser  von  spiessbürgerlich-antichambrehaften  Aus- 
dünstungen erfüllten  Atmosphäre  ist  nicht  so  viel  Cid-Elektricität, 
nicht  so  viel  dramatisch-elektrischer  Ohrfeigenstoff  vorhanden,  um 
einen  Backenschlag  von  solcher  pathosvollen  Stärke  und  Trag- 
weite zu  erzeugen.  Doch  steht  es  einmal  da,  in  Klammern  mit 
Italique  verzeichnet:  (il  lui  donne  un  soufflet),  so  hab'  er  ihn 
denn,  und  behalte  ihn  unangefochten,  den  Soufflet-Abklatsch,  diese 
Pseudo-Dachtel,  den  vom  Spanier  dem  Franzosen  soufflirten  Soufflet 
dieses  Ohrfeigen-Echo,  das  von  des  spanischen  Heldengreises  und 
Cid- Vaters  faltenreicher  Wange  so  schwächlich  auf  die  des  alten 
Versailler  Valet  de  Chambre  und  gentilhomme  du  Roi  herüberhallt 
—  sie  bleibe  ihm  unbenommen,  die  maulheldenthümliche  Maul- 
schelle —  was  aber  weiter?  Welche  irgendwie  mit  der  ureigen 
angestammt  spanischen  Original-Cid-Maulschelle  vergleichbare 
Folgen  wird  die  vom  grossen  Corneille  auf  den  französischen  Cid 
übertragene  aufweisen  können?  Wir  sorgen  und  sorgen,  dass  alles 
Weitere  sich  eben  auch  nur  wie  des  Comte  d'Orgas  Seidenhand- 
schuh-Soufflet  zu  des  Conde  Lozano  Eisenfaustschlag  als  schwäch- 
licher Naclihall  zu  den  Folgeentwickelungen  im  spanischen  Cid 
verhalten  wird.  So  z.  B.  des  Don  Diegue  Monolog  nach  erlittenem. 
Schimpfe,  verglichen  mit  dem  oben  bezeigten  Monolog  des  Diego 
Lainez.  So  auch  ferner  des  französischen  Cid- Vaters  an  seinen 
Sohn  ßodrigue  gerichteter  Aufruf  zur  Rache,  der  mit  der  Frage 
beginnt:  Rodrigue,  as-tu  du  coeur?  und  mit  dem  banalen 
„geh,  lauf,  flieg  und  räche  uns"^)  endet.  So  endlich  auch  des 
Rodrigue  Schlussmonolog  zum  ersten  xlct,  dessen  metrischer 
Strophenbau  sogar  ein  schwindsüchtiger,  von  ganzen  und  halben 
Alexandrinern,  als  Windfängen,  in  antithesische  Doppelechos  hin 
und  her  geworfener  Widerhall  ist  von  Rodrigo's  mit  Mudarra's 


1)  —  va,  cours,  vole  et  nous  venge. 


566  ^^^  spanische  Drama 

Schwert  den  Racheblitz  schwingendem,  und  von  „Thatensturm" 
durchtobtem  Monolog,  dem  allsogleich  die  Kachethat  auch  auf 
dem  Fusse  folgt,  wie  dem  Blitzstrahl  der  Donner,  wozu  der 
französische  Rodrigue  noch  über  einen  halben  Act  braucht,  der 
diesen  Donnerschlag  in  die  Sylben  von  Fiescos  zerstücktem  Don- 
ner zerlegt,  mit  dessen  Echo  man  Kinder  in  den  Schlaf  wiegt. 
„Tout  couvert  de  lauriers  craignez  öncore  la  foudre",  sagt. Don 
Arias  zu  Chimene's  Vater  Act  II.  1.  Für  die  foudres  in  Cor- 
neille's  Cid  bedarf  es  keiner  Lorbeerkrone  als  Blitzableiter;  diese 
Foudres  sind,  wie  alles  üebrige,  blosse  Paraphrasen  der  spani- 
schen Blitzschläge,  was  Corneille,  freilich  nur  bezüglich  Einer 
Stelle,  und  im  grossen  Bewusstseyn,  dass  sein  Cid  den  des  Spa- 
niers erst  zu  regelrecht  dramatischen  Ehren  gebracht,  selbst 
gesteht.  ^) 

Was  hat  nun  der  grosse  Corneille  und  noch  grössere  Para- 
phraseur  mit  der  Paraphrase  von  Guillem  de  Castro's  erstem 
Act  zu  1 3/4  Acten,  was  besonders  mit  der  Paraphrase  jener  einen 
Scene  im  ersten  Act  des  spanischen  Cid  gross  gewonnen,  wo  die 
in  Gegenwart  der  beiden  Huldinnen  Rodrigo's,  Jimena  und  ür- 
raca,  erfolgte  Herausforderung  der  gewaltigen  Actionsschläge  und 
die  allseits  in  Einen  Brennpunkt  zusammenwirkenden  Affecte 
einen  so  mächtigen  dramatisch-sturmvollen  ersten  Actschluss 
herbeiführen?  Sieben  bauschige,  von  emphatischen  Redensarten 
strotzende,  mit  nachschleppendem  Liebezwiespalts-Pathos  wech- 
selnde Füllselscenen  hat  er  gewonnen,  die  den  hingehaltnen  Zwei- 
kampf, dessen  verhängnissvolle  Bedeutung  und  tragische  Wirkung 
nur  schwächend,  wie  Wollsäcke  Kugeln  und  Bomben  lahm  legen. 
II.  Sc.  1.,  ein  nackter  Abklatsch  vonConde  Lozano's  und  Feran- 
zuelo's  farbenreicher  Alteration  über  des  Conde  verwegenen,  der 
Familie  Lainez  zugefügten  Schimpf,  erscheint  noch  mattherziger 
und  stumpf ej  durch  die  schematische  Figur  des  Don  Arias, 
der  nichts  als  ein  Höflingshörrohr,  während  Feranzuelo  als  Ver- 
wandter und  Parteigänger  des  Conde  Lozano  seinen  Bedenken 
und  Vorstellungen  ein  ganz  anderes  Gewicht  giebt.  Wie  leer, 
gemeinörtlich  und  schablonenhaft  die  darauf  folgende  Herausfor- 
derungsscene   unter  vier  Augen,  im  Vergleich  mit  de  Castro's 


1)  —  je  n'ai  fait  que  la  paraphrase  de  Fespagnol. 


Chimene  und  die  Infantin.  667 

angesichts  der  Tochter,  zugleich  Geliebten,  ist  schon  berührt  wor- 
den. Diese  schnöde  Entmannung  der  spanischen  Scene  zeugt  für  den 
Stumpfsinn  des  grössten  französischen  |Tragikers,  und  stempelt  ihn 
zum  tragischen  Eunuchen,  zum  verzweifelten  Selbstcastraten(Gallus) 
mittelst  des  Dreieinheitsmessers,  i)  Die  blosse  Gegenwart  der 
spanischen  Jimena  bei  der  Provocation  und  die  kurzen  ihrer  See- 
lenschreckniss  entrungenen  dazwischengeworfenen  Schlagworte,  sie 
schlagen  die  nun  hinterher  angestückte  Scene  (II,  3.)  der  franzö- 
sischen Chimene  mit  der  Infantin  platt  und  matt,  wo  diese 
der  Chimene  zu  dem  Familienzerwürfniss  glückwünscht,  aus  wel- 
chem ihr  „Hymen"  mit  ßodrigue  sich  glänzend  entpuppen 
werde 2)  —  wie  so?  will  uns  so  wenig  ein,  wie  der  Chimene. 
Prinzessin  ürraca  irrt  das  aber  nicht,  die  eifrige  Heirathsagentin 
fortzuspielen,  um  nur  den  von  ihr  geliebten  Eodrigue  sich  selber 
abspenstig  zu  machen,  und  die  Möglichkeit,  mit  ihm  eine  mesail- 
lance  einzugehen,  ein  für  allemal  sich  selber  über  den  Kopf  weg- 
zunehmen, wess  behufs  sie  der  Chimene  als  geeignetstes  Mittel 
vorschlägt,  den  gemeinschaftlichen  Liebhaber,  „diesen  voUkommnen 
Amant",  bei  sich  unter  Schloss  und  Eiegel  in  Verwahrsam  zu 
halten,  bis  die  Versöhnung  zwischen  dem  Ohrfeiger  und  Geohr- 
feigten erfolgt  seyn  werde.  Oder  sollte  —  resumirt  die  Infantin 
schelmisch  —  Chimene's  verliebter  Geist  einen  Eifersuchtsverdacht 
deshalb    hegen   können? 3)    Und   kaum    hat   sie    von   der    Her- 


1)  Welches  Armuthszeugniss  über  dramatisches  Verständniss  sich  der 
spanische  Kritiker  in  unsern  Augen  ausstellt,  wenn  er  diese  Verküm- 
merung von  Castro's  herrlicher  Herausforderungsscene  zu  einer  nüchternen 
tete-ä-tete-Bravade  als  eine  Verbesserung  vonseiten  Corneille's  belob- 
preist*) überlassen  wir  dem  Leser  zur  Begutachtung. 

2)  L'Infante. 

Et  nous  verrons  bientöt  votre  amour  le  plus  fort, 
Par  un  heureux  hymen  etouffer  ce  discord. 
Chimene. 

Je  le  souhaite  ainsi,  plus  que  je  ne  Tespere. 

3)  Mais  si,  jusques  un  jour  de  Tacommodement, 


*)  La  (escena)  del  desafio  del  Conde,  que  imito  Corneille  mejorän- 
dola  .  .  .  Esta  escena  esta  mejorada  por  Corneille,  porque  pasa  entre 
los  dos  solos.    Listä  a.  O/.  0.  225.  226. 


668  Das  spanische  Drama. 

ausfordemng  Wind  bekommen,  dreht  sich  der  Wetterhahn  ihres 
Herzens  um  und  Chimene's  Heirathsagentin  schlägt  aus  dem 
Duell  für  sich  selber  Heirathscapital.  Den  Sieger  ebenbürtigt 
der  Zweikampf.  Auf  Rodrigue's  aus  diesem  Zweikampf  und,  in- 
folge dessen,  aus  anderweitigen  Kämpfen  mit  Mohren,  Aragonesen 
und  Portuesen  ihm  entspriessendem  Ruhmeslorbeer  wird  sie  stan- 
desgemäss  ausruhen  und  mit  dem  blossen  einfachen  Hildago  Bei- 
iager  halten  dürfend)  Flugs  packt  sie  die  combats  du  coeur,  die 
Schnellwage  und  Kraftmesser  der  sich  gegenseitig  balancirenden 
Leidenschaften  und  Bedenken  zusammen  und  den  ganzen  pathe- 
tischen Kram  in  die  Tasche.  Jetzt  ist  Liebesflamme  Trumpf 
und  der  Tugend  werden  die  Wagschalen  um  die  Ohren  geschla- 
gen. 2)  Der  Erste,  der  an  dieser  überzähligen  unnützen  und 
lästigen  Infantin  Anstoss  nahm,  war  Cardinal  Richelieu;  der 
Erste  überhaupt,  dessen  klarer  Verstand  und  grosser  Sinn  die 
Gebrechen  des  Stückes  herausfühlte  und  angab.  3)    Für  Guillem 


Je  fais  mon  prisonnier  de  ce  parfait  amant, 
Et  qae  j'empeche  ainsi  TeiFet  de  son  courage, 
Ton  esprit  amourenx  n'aura-t-il  pomt  d'ombrage? 

1)  Si  Rodrigue  une  fois  sort  vainquenr  du  combat, 
Si  dessons  sa  valeur  ce  grand  guerrier  s'abat, 
Je  puis  en  faire  cas,  je  puis  Taimer  sans  honte. 

2)  Leonor. 

Cette  haute  vertu  qui  regne  dans  votre  äme 
Se  rend  eile  sitöt  ä  cette  lache  flamme. 
L'Infante. 

Ne  la  nomme  point  lache,  ä  present  que  chez  moi 
Pompeuse  et  triomphante  eile  me  fait  la  loi  .  .  . 
Ma  vertu  la  combat,  mais  malgre  moi  j 'esper e. 

3)  Je  crois,  sagt  Voltaire  (a.  a.  0.  p.  115),  que  le  cardinal  de  Ri- 
chelieu avait  raison  en  ne  considerant  que  les  irregularites  de  la  piece, 
rinutilite  et  Tinconvenance  du  röle  de  l'infante,  le  röle  faible  du  roi,  le 
röle  encore  plus  faible  de  don  Sanche.  Son  grand  sens  lui  faisait  voire 
clairement  toutes  ces  fautes,  et  c'est  en  quoi  il  me  parait  plus  qu'excusable. 
Gleich viTohl  rühmt  derselbe  Voltaire  in  Einem  Athem  von  Corneille:  II 
sut  faire  du  Cid  espagnol  une  piece  moins  irreguliere  et  non  moins 
touchante.  Wie  der  Teufel  im  Volksbuch,  der  dem  edlen  Finkenritter 
den  Weg  vorn  mit  Bratwürsten  pflastert,  und  sie  hinter  ihm  alle  wieder 
auifrisst.  Corneille,  beiläufig  bemerkt,  war  der  Jüngste  unter  den  fünf 
Autoren,   die  an  Richelieu's  Stücken  arbeiteten.^ Rot rou,  L'Etoile,  Col^ 


Die  span.  Kritiker  lobpreisen  Corneille's  Cid  als  eine  Verbesserung.      ß69 

de  Castro  ist  die  Infaiita  Urraca  wegen  seines  zweiten  Theils 
seiner  „Mocedades"  eine  unentbehrliche  Figur.^  Unser  grand  Cor- 
neille aber  hat  frischweg  auch  die  Urraca  mit  als  gute  Prise  auf- 
gegriffen und  als  Wagemeisterin  in  seinem  „Cid''  angestellt,  wo 
sie,  ähnlich  wie  die  'Sibylle'  in  seinem  'Horace',  ihre  und  anderer 
Leidenspäckchen  auf  Skrupel  und  Quentchen  darwiegt. 

Doch  sehen  wir  wieder  nach  Guillem  de  Castro's  trefflichen 
„Mocedades",  dem  die  spanischen  Dramaturgen,  ihr  eigenes  poe- 
tisch-dramatisches Phönix-Nest  beschmutzend,  den  bösen  Leu- 
mund anhängen,  die  grosse  französische  Krähe  habe  ihn  dadurch 
verbessert,  dass  sie  des  von  ihm  bemausten  Phönix  golden 
sonniges  Gefieder  in  ihren  aschgrauen  Krähenpelz  eingemausert. 
Klappt  das  nicht  wunderschön,  wenn  der  Zweite  Act  des  Spa- 
niers mit  Feranzuelo's  Nachricht  an  König  Fernando  von 
Conde  Lozano's  Tödtung  im  Zweikampf  durch  Rodrigo  be- 
ginnt?^) Und  mit  Arias  Gonzalo's  Entgegnung,  auf  des  Königs 
Frage,  ob  man  den  Mörder  ergriffen:  dass  Rodrigo,  ein  Hektor 
an  Kraft  der  Arme,  an  schnellfüssigen  Beinen  ein  Achilles,  sich 
auf  letztern  aus  dem  Staube  gemacht.-)  Und  mit  wie  ergreifen- 
den, vollen  Accorden  fällt  nun  Jimena's  und  Diego 's  Erschei- 
nen in  die  Situation,  wie  in  eine  Trauer-Symphonie !  Jimena  mit 
dem  von  ihres  Vaters  Blut  gefärbten  Taschentuch  in  der  Hand; 
Diego  die  von  der  Ohrfeige  noch  brennende  Wange,  geröthet 
von  des  Erschlagenen  Blut,  rachefroh!  Die  Röthe  der  Schmach 
überpurpurt  mit  des  Beschimpfers  vom  Sohne  vergossenen  Herz- 
blut, wie  man  Brandwunden  mit  Feuer  löscht!  Beide  knieend 
vor  dem  König.  Die  Tochter  Gerechtigkeit  fordernd;  der  Vater 
Gnade  für  den  durch  Ehre  und  Kindespflicht  zur  Rache  der  grössten 

letet,  Boisrobert,  Corneille.  1635,  ein  Jahr  vor  Aufführung^des  „Cid** 
hatte  Richelieu  seine  'Comedie  des  Tuileries'  im  Palais  Royal  (Palais 
Eichelieu)  spielen  lassen.  Corneille  hatte  Einiges  im  3.  Act  geändert, 
was  angeblich  der  Cardinal  dem  *Cid'  sollte  haben  entgelten  lassen.  Sey 
dem  wie  ihm  wolle,  gegen  die  von  Richelieu  bezeichneten  Schwächen  des 
Cid  lässt  sich  nur  einwenden,  dass  sie  nicht  die  schwächsten  sind. 

1)  Ha  muerte  al  conde  de  Orgaz. 

2)  Fuese,  y  la  espada  en  la  mano, 
Llevando  ä  compas  los  pies  ... 
Parececio  un  flechar  troyano. 


670  ^^'S  spanische  Drama. 

Schmach  aufgerufenen  Sohnes.  0  l^er  Gegensatz  an  sich  schon 
das  Herz  in  seinen  Tiefen,  in  seinen  Wurzeln  erfassend,  auch 
ohne  von  den  Lippen  der  verwaisten  Tochter  sprühende  Worte, 
jedes  ein  heisser  Blutstropfen;  auch  ohne  Thränen,  vergossen  von 
der  Tochter  Rache  strahlenden  Augen;  jede  Thräne  ein  Dolch, 
zielend  nach  des  Mörders  Herz;  der  Blitz  eines  ßacheschwertes, 
zückend  auf  des  Mörders  Haupt.  2)  Daneben  des  heroischen  Rä- 
cher-Jünglings Vater  sein  Haupt  als  Sühne  darbietend  der  vater- 
beraubten Tochter.  3)  Da  ist  nichts  von  Streit  und  Widerstreit, 
von  Gewicht  und  Gegengewicht,  von  Balancierstange  und  Tanz- 
seil der  Affecte.  Der  Seelenkampf  in  Jimena's  Busen,  der  Zwei- 
kampf von  Liebe  und  Blutrache  darf  in  dieser  Situation  und 
Stimmung  nicht  zur  Sprache  kommen.  Des  Vaters  Manensühne 
verzehrt  in  diesem  Augenblick  die  Liebe  zu  dem  Mörder,  und 
erglüht  nur  stärker,  durchloht  von  der  Liebesflamme.  Die  Rache 
steht  da  gewappnet  im  Rüstzeug  der  Liebe,  das  im  Liebesfeuer 
gehärtete  Racheschwert  sprüht  das  Feuer  aus  als  Rachefunken. 
Jimena's  einziges  Aparte  in  dieser  Scene,  worin  der  Doppel- 
affect  sich  verrathen  könnte,  schärft  ihn  zu  dem  Einen  doppel- 
schneidigen der  Racheverfolgung  aus.^)  Ja,  Liebe  und  Rache 
zieht  sie  nur  als  zweischneidiges  Racheschwert  aus  dem  Busen. 
Und  selbst  ihr  Abgangs- Ausruf  entladet  sich,  als  doppelläufiges 
Pistol,  auf  Rodrigo's,  und  dann  auf  ihre  Brust.  ^) 


1)  -  jSenor,  matole  mi  hijo! 

Fue  obligacion  sin  malicia. 

2)  Jimena.         A  tus  ojos  poner  quiero 

Letras  que  en  mi  alma  est  an, 
Y  en  los  njios,  como  iman, 
Säcan  lägrimas  de  acero  ... 
Costar  tiene  una  cabeza 
Cada  gota  de  esta  sangre. 

3)  Diego.  Con  mi  cabeza  cortada 

Quede  Jiraana  contenta. 

4)  Jimena  (aparte). 

jAy  Kodrigo!  pues  me  obligas, 
Si  te  persigo  veräs. 

5)  jAy  Eodrigo,  que  me  has  muerto! 


Coriieille's  Mohren  und  die  drei  Einheiten.  ßl] 

Was  thut  Corneille?  Er  flickt  nicht  blos  diese  Scene  unmit- 
bar  der  Herausforderungsscene  an,  womit  Guillem  de  Castro's 
erster  Act  schliesst;  Corneille  flickt  auch  noch,  vor  der  Meldung 
von  des  Conde  Tod,  mit  allerluiud  Flicken  und  Lappen  an  dem 
König  herum,  um  ihn  aus  einem  Lumpenkönig  zu  einem  majestä- 
tischen Stelzenkönig  zurechtzuflicken,  welcher  sich  selbst  mit 
grossartigen  sentenzenhaffcen  Stopfphrasen  am  Zeuge  flickt,  und 
aus  der  angemaassten  Löwenhaut  Pfundleder  zu  Sohlen  und  Ab- 
sätzen für  seinen  schiefgetretnen  Kothurn  schneidet  ^).  Und 
Flicken  auf  Flicken!  „N'en  parlons  plus".  Ein  neuer  Lappen 
aufgesetzt!  Die  Mohren  sind  gelandet !  Jetzt,  wo  Alles  auf  den 
Zweikampf  gespannt  ist?  und  wo  gelandet?  In  seiner  Residenz- 
stadt seit  zehn  Jahren,  in  Sevilla'^),  das  erst  zweihundert  Jahre 
nach  ihm  den  Mauren  von  den  Spaniern  entrissen  worden.  Man 
hat  sich  weidlich  über  diesen  Anachronismus  des  classisch  ge- 
lehrten Tragikers  lustig  gemacht.^)   Zehn  solcher  Anachronismen 


1)  Et  quoiqu^on  veuille  dire,  et  qiioiqa'il  ose  croire 
Le  Comte  ä  m'obeir  ne  peut  perdre  sa  gloire  .  .  . 

S 'attaquer  ä  mon  choix,  c'est  se  prendre  a  moi-meme 
Et  faire  un  attentat  sur  le  pouvoir  supreme. 
„S'attaquer  ä  mon   choix!"    Mit  einer  Ohrfeige,  die  er,  König  Fernand, 
eingesteckt   hat,    maassen   er   den  Austheiler   nicht  unschädlich  machen 
konnte,  und  ihm  noch  freie  Hand  zum  Duell  Hess! 

2)  C'est  l'unique  raison  qui  m'a  fait  dans  Seville 
Depuis  dix  ans  fixer  le  tröne  de  Gastille. 

3)  „Durch  einen  ihm  (dem  Corneille)  zur  Last  fallenden  Irrthum  der 
Zeitrechnung  lässt  er  auch  den  spanischen  Hof  in  Sevilla  zwei  Jahrhun- 
derte früher  gehalten  werden,  als  diese  Stadt  den  Mauren  entrissen 
wurde."  Ticknor  a.  a.  0.  S.  657.  Dass  Ticknor  selbst  irrthümlich  dem 
französischen  Tragiker  den  Anachronismus  als  Irrthum  aufmutzt,  wird 
man  gleich  sehen.  Danach  ist  auch  die  gleichlautende,  nur  noch  schärfer 
betonte  Rüge  Herrn  v.  Schack's  in  seiner  so  treffenden  Vergleichung  des 
französischen  mit  dem  spanischen  Cid  zu  berichtigen:  —  ,,bei  ihm  (Cor- 
neille) haben  wir  einen  baaren  handgreiflichen  Irrthum,  gegründet  auf  eine 
Unkenntniss  der  Geschichte,  wie  sie  nicht  grösser  gedacht  werden  kann. 
Und  seltsam!  Die  scharfsichtigen  Kritiker,  welche  die  unbedeutendsten 
Verletzungen  der  örtlichen  und  zeitlichen  Wahrheit  in  Shakspeare  so 
streng  getadelt  haben,  gedenken  dieses  Verstosses  mit  keiner  Sylbe.** 
(II.  S.  439).  Das  Lustige  ist,  dass  Corneille  selber  den  Anachronismus 
sich  aufmutzt,  aber  als  eine  verdienstliche  That! 


672  ^2,s  spanische  Drama. 

und  zehnmal  gröbere,  geben  wir  dem  Dichter  drein,  wenn  er 
damit  einen ,  sey  es  noch  so  geringen  Compositionsvortheil  er- 
kauft. Zum  Schimpf  und  ünglimpf  gereicht  dem  Dichter  nur 
dies,  dass  sein  grober  Anachronismus  in  diese  Scene,  in  diese 
Situation  passt,  wie  die  Faust  auf's  Auge,  wie  der  Balken  im 
Auge,  wie  der  Lederfleck  eines  Kurrierstiefels  auf  einen  Tanz- 
schuh, wie  das  Kameel  in's  Nadelöhr.  Und  schimpft  den  Dra- 
matiker noch  mehr,  und  macht  den  Plickbehelf  noch  lächerlicher 
und  absurder  durch  den  Umstand,  dass  der  Anachronismus  wis- 
sentlich und  absichtlich  vom  Dichter  der  Scene  aufgeflickt 
worden,  von  wegen  der  Dreieinheiten,  um  in  Sevilla  die  Mohren 
gleich  an  Ort  und  Stelle  zu  haben,  damit  sie  Kodrigue  unmit- 
telbar nach  Tödtung  des  Comte  de  Gormas  bekämpfen,  besiegen^) 
und  dann  frisch  von  der  Faust  weg  die  Chimene  heirathen 
könne.  Alles  im  Verlauf  der  Theaterzeit  von  24  Stunden  auf  den 
Glockenschlag,  unbekümmert  um  die  Anstössigkeit,  die  innere 
und  äussere  Unmöglichkeit,  unbekümmert  um  den  der  Chimene 
angehefteten  Schandfleck,  dass  sie  an  demselben  Tage,  wo  ihr 
Vater  ermordet  worden  und  vor  seinem  noch  blutenden  Leichnam 
sich,  wenn  auch  nicht  vom  Fleck  weg  mit  dem  Mörder  vermählt.'^) 
Chimene's  Erscheinen  yor  dem  König  mit  dem  Anruf  um  Ge- 
rechtigkeit —  fast  in  allen  Punkten,  wo  diese  Scene  bei  Corneille 
von  der  Castro's  sich  entfernt,  weicht  sie  aus  dem  Lothe  der  Si- 
tuation und  des  ihr  gemässen  Pathos,  das  in  die  declamatorische 
Emphase   umschlägt   und    den   tragischen   Schmerz    als   Stachel 


1)  ,,J'ai  place  (le  lieu)  dans  Seville,  bien  que  Fernand  n'en  ait  ja* 
mais  ete  le  maitre,  et  j'ai  ete  oblige  ä  cette  falsification ,  pour  former 
quelque  vraisemblance  ä  la  descente  des  Maures,  dont  Tarmee  ne  pouvait 
venir  si  vite  par  terre  que  par  eau.''  Examen.  Ein  stattlicher  .Gala-  und 
Paraderitt  auf  dem  fahlen  Pferd!  —  2)  Wie  die  „Sentimens"  der  Academ. 
fran9.  aufstechen,  immerhin  aber  doch  dem  Cid  die  Hand  zur  Versöhnung 
als  Handschlag  auf  demnächstige  Eheschiiessung  reicht,  pour  sauver  ]es 
appavences,  eine  heuchlerische  Abfindung  also  mit  der  Etiquette;  für  ei- 
nen dramatischen  Helden  ein  poetischer  Schandfleck  noch  in  den  Kauf,  da 
sie  nicht  das  Herz,  den  Muth  ihrer  Leidenschaft  hat,  und  sich  nach  bei- 
den Seiten  hin  decken  zu  können  glaubt,  wenn  sie  am  Tage  der  Ermor- 
dung ihres  .Vaters  den  Mörder  auf  ihr  Jawort  vertröstet  und  den  Hoch- 
zeittag nur  aufschiebt. 


G.  de  Castro's  und  Corneille's  Liebespaar.  573 

braucht,  um  staatsredneriscti  dem  Könige  das  Gewissen  zu  schärfen.  ^) 
Iramolez,  dis-je,  sire,  au  bien  de  tout  Tetat.  Tout  ce  qu'enor- 
gueillit  un  si  grand  attentat.  —  Eichelieu  hätte  in  einem  Expose 
an  Louis  XIII.  sich  betreffs  der  Duelle  nicht  staatsmännischer 
auf  die  Raison  d'etat  berufen  können. 

Mit  dem  Blute  von  Jimena's  Vater  bespritzt,  erscheint  de 
Castro's  Rodrigo  in  ihrem  Zimmer,  wo  er  nur  die  Vertraute, 
Elvira,  findet.  Den  Tod  komme  er  bei  Jimena  zu  suchen,  ster- 
ben will  er  von  ihren  Händen.'^)  Elvira  hört  die  Gebieterin 
nahen.*  Sie  verbirgt  den  Unglücklichen  hinter  einer  Teppichthür. 
Jimena  schmerzvergessen,  spricht  ihr  Innerstes  aus.  „Sterbend 
muss  ich  tqdten.  Verfolgen  werde  ich  ihn,  bis  ich  gerächt  bin. 3) 
Rodrigo  stürzt  vor,  kniet  hin,  reicht  ihr  den  Dolch,  um  ihn  in 
sein  Herz  zu  stossen:  „In  so  grossem  Missgeschick  kämpften 
feindselig  in  meiner  Brust  meine  Sclimach  mit  Deiner  Schönheit, 
und  Du  hättest  gesiegt,  Herrhi,  wenn  ich  nicht  bedacht,  dass  den 
Ehrlosen  Du  verabscheuen  musstest,  den  Du  nur  als  Ehrenhaften 
lieben    konntest.''^)     Ein  tiefes  aus  der   verhängnissvollen   Ver- 


1)  Sire,  ne  souffrez  pas  que  sous  votre  puissance 
Regne  devant  vos  yeux  ime  teile  licence, 
Que  les  plus  valeureux  avec  impunite 
Soient  exposes  anx  coups  de  la  temerite, 
Qu'un  jeune  audacieux  triomphe  de  leur  gioire, 
Se  baigne  dans  leur  sang,  et  brave  leur  memoire 
Enfin,  mon  pere  mort,  j'en  demande  vengeance, 
Plus  pour  votre  interet  que  ponr  mon  aUegeance. 

2)  Rod.  Yo  busco  la  rauerte 

En  SU  casa  .  .  . 

Vengo  ä  niorir  en  sus  manos. 

3)  ~  -  habre  de  matar  muriendo 
Seguirele  hasta  vengarme. 

4)  Rod.  Mas  en  tan  gran  desventura 

Luchäran,  ä  mi  despecho 
Contrapuestos  en  mi  peclio 
Mi  afrenta  con  tu  hermosura. 
Y  tu,  Senora,  vencieras, 
A  no  haber  imaginado 
Que,  afrentado, 
X.  43 


(374  ^^s  spanische  Drama. 

Wickelung  der  Lage  strömendes  Wort,  darauf  hindeutend,  dass 
aus  der  Liebe  selbst  das  Pflicht-  und  Ehrengebot  entspringe,  wo- 
durch es  eben  tragisch  wird,  nicht  wie  es  der  Franzose  missver- 
ständlich anbringt,  zu  einem  als  Gegensätze  sich  wiegenden  Lie- 
bes- und  Pflichtenstreit.  Vielleicht  beruht  auf  dieser  falschge- 
deuteten Stelle  die  ganze  Pseudotragik  des  Corneille  und  seiner 
Nachfolger,  betreffs  der  combats  du  coeur.  Ohne  jeglichen  Kampf 
und  Gegenkampf  enthüllt  eTimena  ihre  ganze  Seele;  ist  jeder 
ihrer  Hauche  von  Liebes-  und  Trauerweh  durchglüht:  Mit  ihrem 
Tode  werde  sie  büssen,  dass  sie  ihm  nicht  den  Tod  gegeben. 
Ihn  zu  verfolgen,  sey  über  sie  verhängt,  nicht  ihm  das  Leben  zu 
nehmen."  1)  Diese  tragische  Sühne  liegt  denn  auch  im  Conflict, 
den  leider  Romanze  und  Comedia  mit  einer  Lustspielheirath  zu 
lösen  sich  gemüssiget  fanden. 

„Verabscheust  Du  mich?"  fragt  Rodrigo. 
Jim.      Ich  vermag  es  nicht; 

Du  beherrschest  meinen  Stern  .  .  . 

Geh'  und  lass  mich  meinem  Schmerze 
Rod.     Bleib  denn,  ich  geh  in  den  Tod.^J 

Corneille's  dritter  Act  ist  wieder  nur  die  Paraphrase  der  so 
tief  schmerzlichen,  als  Abschiedsseuf^er  getauschten  Seelenergüsse 
der  beiden  Liebenden;  Paraphrasen,  ausgerenkt  auf  dem  Pro- 
krustesbette der  Antithese  und  ihres  metrischen  Abbildes  des 
Alexandriners.    Und   auf  die   langgestreckte   Paraphrase  wieder 


Por  infame  aborrecieras 
Quien  quisiste  por  honrado. 
1)     Jim.  Tal  soy 

Que  habre  de  emplear  en  mi 
La  muerte  que  no  te  doy  .  .  , 


Mas  soy  parte 
Para  sola  perseguirte, 
Pero  no  para  matarte. 
2)    Cid.  ^,Me  aborreces? 

Jim.  No  es  posible 

Que  predominas  mi  estrella. 
Vete,  y  dejame  penando. 

Cid.  Quedote,  iremc  muriendo. 


Gorneillc's  Chimene  und  de  Castro's  Jiiiieiia.  ß75 

Flickwerk  gedöbelt,  wie  das  improvisirte ;  an  Chimene  vonseiten 
der  matten  Stechfliege,  des  Don  Sanche,  gestellte  Anerbieten, 
sie  möchte  von  seiner  Liebe  Gebrauch  machen,  er  sey  bereit,  sie 
an  dem  Frevler  mit  seiner  tapfern  Klinge  zu  rächen.^)  Chimene 
behält  sich  seine  Klinge  für  den  äussersten  Nothfall  vor-)  und 
empfiehlt  sich  ihm  bis  auf  Weiteres.  Ihre  darauf  folgende  Scene 
mit  Elvire  ist  an  combats  du  coeur  die  Schachtel  voll  kämpfen- 
der und  gegenseitig  sich  vertilgender  Spinnen,  oder  gleicht  jenem 
mit  Strohhalmen  als  Lanzen  und  Schwertern  von  Flöhen  ausge- 
fochtenen  Berserkerkampfe ,  durch  das  Vergrösserungsglas  be- 
trachtet.^) Corneille's  Chimene  liefert  nur  den  Commentar  in 
Alexandrinern  zu  der  Seelenerregung  der  spanischen  Jimena.  Ein 
frischer  Thautropfen,  von  einer  eben  aufgebrochnen  Blume  aufge- 
fangen und  in  künstlichem  Wege  zu  einem  Faul  wassertropfen  getrübt, 
der  nun  im  Sonnenlicht  das  Getümmel  und  Gewimmel  einer  In- 
fusorienschlacht  zur  Schau  gäbe.  —  Dieser  Unterschied  der  beiden 
Tropfen  würde  allenfalls  ein  ungefähres  Bild  des  Contrastes  bie- 
ten, der  zwischen  Guillem  de  Castro's  poetischen  Aurorathränen 
rosig  glühender  Liebeslust  und  Liebeleides,  und  zwischen  den  von 
Corneille's  Chimene  vergossenen  Alexandrinerthränen  waltet,  wir- 
belnd und  wabbelnd  von  infusorischen  Antithesenkämpfen,  die 
ihr  winzig  ungeheuerliches  Spiel  am  tumultuarischsten  in  der 
Schlussscene  des  dritten  Acts  treiben,  wo  Corneille's  Cid  aus 
dem  Verstecke  vortritt,  um  mit  Chimene  Guillem  de  Castro's 
Abschiedsweh  des  Liebespaares,  von  Liebesleide]ischaft,  Ehren- 
pflicht und  kindlichem  Liebesgebot  in  sechs  Seiten  langen  Wech- 


1)  Employez  mon  epee  ä  puiiir  le  coupable, 
Employez  mon  anionr  ä  venger  cette  mort, 

2)  0/est  le  dernier  remede. 

3)  Chim. 

C'est  peu  de  dire  aimer,  Elvire,  je  Fadore, 
Ma  passion  s'oppose  ä  mon  ressentiment, 
Dedans  mon  ennemi  je  trouve  mon  amant, 
Et  je  sens  qu'en  depit  de  tonte  ma  colere 
Kodrigue  dans  mon  coeur  combat  encor  mon  pere, 
II  Fattaque,  il  le  presse,  il  cede,  il  se  defend, 
Tan  tot  fort,  tantot  foible,  et  tantot  triompliaut  .  , 

43* 


ß76  ^^^  spanische  Drama. 

seireden  paraphraseologisch  zu  parodiren.^)  und  welche  combats 
d'antitheses  declamatoires!  Welcher  Schwall  von  dialogischen  mit 
falschem  Pathos  aufgestutzten  Streitreden  über  längst  bekannte, 
abgethane  Vorgänge!  Einen  Trommelwettkampf  zweier  Tambour- 
major's  glaubt  man  in  Alexandrinern  wirbeln  zu  hören.  2)  Die 
flehentlich  inbrünstige  Bitte  des  spanischen  Cid,  dass  ihn  eTimena 
mit  seinem  ihr  dargereichten  Schwerte  tödte  —  wie  breit  wird 
dieses  schöne,  rührende  und  naturgemässe  Motiv  von  Corneille's 
Eodrigue,  wie  unleidlich  breit  getreten!  Noch  am  Schlüsse  des 
declamatorisch-galanten  Streitgesprächs  setzt  er  diesen  selbstmör- 
derischen Dolch  der  Chimene  abermals  auf  die  Brust,  „Thu'  mir 
den   einzigen  Gefallen   und  stoss'  ihn  mir  in's  Herz!    Kann  ich 


1)  Rod. 

Tu  sais  comme  im  soufflet  touche  un  homme  de  coeur. 
Dieser  eine  Alexandriner  reicht  hin,  um  die  ganze  Scene  in  travestirende 
Lächerlichkeit  zu  begraben. 

2)  Rod. 

J'avais  part  ä  Fatfront,  j'en.ai  cherche  Fauteur, 

Je  Fai  vu,  j'ai  venge  mon  honneur  et  nion  pere, 

Je  le  ferais  encor,  si  j'avais  a  le  faire. 

Ce  n'est  pas  qu'en  effet  contre  mon  pere  et  moi 

Ma  flamme  assez  long-temps  n'ait  combattu  pour  toi, 

Juge  de  son  pouvoir  dans  une  teile  offense, 

J'ai  pu  douter  encor,  si  j'en  prendrais  vengeance  .  .  . 


Chim. 

Je  sais  ce  que  Fhonneur,  apres  un  tel  outrage, 
Demandoit  a  Fardeur  d'un  genereux  courage: 
Tu  n'a  fait  le  devoir  que  d'un  homme  de  bien; 
Mais  aussi,  le  faisant,  tu  m'as  appris  le  mien, 
Ta  funeste  valeur  m'instruit  par  ta  victoire: 
Elle  a  venge  ton  pere,  et  soutenu  ta  gloire  .  .  . 
Ist  das  eine  thränenvoUe  Aifectsprache  oder  das  Alexandrinerkettengeras- 
sel zweier  verwunschenen  Theatergespenster?    Sind  das  die  von  Schmerz 
und  Liebe  glänzenden  Zähren  des  spanischen  Cid  und  der  spanischen  Ji- 
mena,  oder  sind  es  die  Würmer,  die  sich  jenes  graue  Grabgespenst  aus 
den  Augen  wischt?    Nur  dass  Corneille's  Schemen  sich   diese  Würmer  in 
Gestalt  von  trivial  emphatischen  Alexandrinern  gegenseitig  aus   der  Nase 
ziehen. 


Corneille's  als  Corapositioiiöküiistler.  (377 

nicht  einmal  diese  Gefälligkeit  von  dir  erlangen?'")  Des  spani- 
schen Cid  verzagungsvolle,  zitternde  Frage  an  die  Geliebte :  „Ver- 
abscheust du  mich?"'^)  dreht  ihm  der  französische  im  Munde  um, 
und  ruft  gebieterisch  der  Chimene  zu:  aber  du  sollst  mich  hassen!^) 
Und  setzt  ihr  breit  und  umständlich  die  Gründe  auseinander, 
weshalb  sie  ihn  hassen  soll  und  muss,  überall  die  feinsten  see- 
lenvollsten Herzensbedrängnisse  des  spanischen  Liebespaares  auf 
die  äussersten  Spitzen  eines  unnatürlich  abstracten  Combinations- 
spiels  von  Antithesen  treibend,  wie  sie  nur  ein  im  Innersten  pro- 
saischer und  unfruchtbarer,  zwischen  der  Tabulatur  seiner  Schablo- 
nentragik, wie  zwischen  Brettern  eingeengter,  vernagelter  Grosskopf 
ausklügeln  kann ;  überall  die  poetischen  Kosenbüsche  des  Spaniers, 
wie  der  Hirschkäfer  mit  hörnerlangen  Fressspitzen  Blüthenreiser 
abkahlt,  mit  seinen  Antithesen  zu  nackten  Dornhecken  schrotend, 
woraus  denn  auch  Chimene  ihren  Rodrigue  als  Liebesandenken 
ein  recht  stattliches  Dornenruthenbüschel  voll  Antithesenstacheln 
liicht.^)  Und  wie  geschickt  versteht  es  die  Compositionskunst, 
die  Art  dramatique  des  grossen  Corneille,  unbeirrt  von  seiner 
tragikomischen,  im  Hesperidengarten  des  Spaniers  angerichteten  Ver- 
wüstung, doch  immer  wieder,  wo  es  ihm  zupasse  kommt,  die 
vollsten  Rosenzweige  des  spanischen  Cid  durch  sein  Dorngesträuch 
zu  winden  oder  des  Spaniers  duftige  Blumen  ohne  weiteres  drüber 
zu  streuen,  als  Futter  für  seinen  grauen  Pegasus,  der,  ein  Anti- 
thesen-Maulthier  von  Grund  aus,  broute  egalement  le  chardon  et 
la  rose.  So  bindet  er  hier  auch  den  Schluss  der  spanischen  Tren- 
nungsscene  der  französischen  ohne  weiteres  als  Blumenbouquet  dem  , 
fahlen  Pferde  unter  den  Schwanzriemen.  Eine  Prüfung  der  Com- 
positionskunst des  grossen  Corneille  würde  ein  noch  trübse- 
ligeres  Resultat    ergeben,    als   die    seines    poetisch -tragischen, 


1)  —  quoique  je  fasse, 
Ne  pourrai-je  a  la  fin  obtenir  cette  graceV 

2)  ^irie  aborreces? 

3)  Chirn.  Va,  je  ne  te  hais  point. 

D.  ßod.  Tu  le  dois. 

4)  Malgre  des  feux  si  beaux  qui  troublent  ma  colere, 
Je  ferai  mon  possible  ä  bien  venger  mon  pere: 
Mais,  malgre  la  rigueur  d'un  si  cruel  devoir, 

Mon  unique  souhait  est  de  ne  rien  ponvoir. 


(578  ^^^  spanisclie  Drama. 

schöpferischen  Genies.  Au  diesem  Orte  können  wir  nur  beiläufige 
Streiflichter  zwischendurch  werfen,  und  müssen  es  dem  Mr. 
Ernest  Desjardin's  anheimgeben,  in  einer  besondern  Schrift 
den  in  seiner  Abhandlung  über  den  „grossen  Corneille  als  Histo- 
riker" noch  nicht  gelieferten  Beweis  nachzuholen,  dass  nämlich 
der  grosse  Corneille  eben  so  gross  als  Künstler  wie  als 
Dichter  sey:  den  Ergänzungsbeweis  zu  seinem  so  überzeugend 
in  der  beregten  Abhandlung  durchgeführten  Beweise:  „dass  Cor- 
neille ein  ebenso  grosser  Historiker  wie  grosser  Poet  ist."^)  Wir 
unserntheils  treten  imvoraus  dem  noch  zu  liefernden  Ergänzungs- 
beweise bei,  wie  wir  mit  dem  Ergebniss  von  Mr.  Desjardins  Ab- 
handlung über  den  „Historiker-'  Corneille  uns  in  vollem  Einver- 
ständnisse befinden,  vorweg  überzeugt,  und  mit  beiden  Händen 
zugebend,  „dass  der  grosse  Corneille  ein  ebenso  grosser  Historiker, 
wie  Poet,  und  ein  ebenso  grosser  Künstler  in  der  dramatischen 
Composition  wie  grosser  Historiker  und  grosser  Poet  ist,  mit  der 
einzigen  Beschränkung  unsrerseits,  dass  uns  gestattet  sey,  das 
Maass  von  des  grossen  Corneille  poetischer  Grösse  anders  als 
Mr.  Desjardins  zu  bestimmen,  es  nämlich  so  niedrig  zu  stellen, 
als  hoch  es  Mr.  Dejardins  anschlägt. 

Den  abschliessenden  Füllstein  zu  Corneille's  drittem  Cid-Act 
bildet  die  Paraphrase  der  Scene  zwischen  Diego  Lainez  und 
seinem  Sohne  ßodrigo,  welche  im  spanischen  Cid  unmittelbar 
auf  obige  zwischen  Eodrigo  und  Jimena  folgt,  und  die  mit 
patriotisch-romanzenhaftem  Colorit  des  greisen  vom  Sohne  in 
seine  Ritter-  und  Mannes -Ehre  wieder  eingesetzten  Vaters 
Aufruf  an  den  jungen  Helden  schildert:  in  offner  Feldschlacht 
gegen  die  Feinde  des  Vaterlandes,  die  Saracenen,  nunmehr  aucli 
die  Lanze  so  ruhmvoll  zu  führen,  wie  er  im  Zweikampf  das 
Schwert  erprobt  hat.^)  Die  pflichtschuldige  Stelzengängerei  drein- 
gegeben,  darf  die  Paraphrase  dieser  Scene  nach  dem  spanischen 
Original  als  die  gelungenste  im  französischen  Cid  gerühmt,  und 
des  alten  Di egue  Aufforderung:  Kodrigue  möchte  auf  die  von 

1)  ,,J'ai  vonlu  montrer  que  Corneille  est  aussi  grand  historien  que 
grand  poete.''  Le  Grand  Corneille  Historien  par  Ernest  Desjardins. 
Paris  1861.    Preface. 

2)  Diego.   Sal  en  campana  ä  ejercitar  los  brios  .  .  . 
Pruebe  la  lanza,  quien  prob 61a  espada. 


Coriieille's  negative  Grösse.  679 

ihm  entsühnte  Ohrfeigenstelle  einen  kindlichen  Abschiedskuss 
drücken,  leicht  als  das  wohlklingendste,  beziehungsweis  anspre- 
chendste Alexandrinerreimpaar  ^)  in  der  Cid-Tragedie  gepriesen 
werden. 

Nicht  so  hoch  rechnen  wir  dem  französischen  Tragiker  das 
negative,  spottwohlfeile  Verdienst  an,  die  nun  folgenden  Scenen 
nicht  paraphrasirt  und  demgemäss  nicht  travestirt  zu  haben, 
welche  den  zweiten  Act  der  spanischen  Cid-Tragicomedia  zum 
Abschluss  bringen,  und  worin  Rodrigo's  Ausmarsch  in's  Feld, 
sein  Abschied  von  der  am  Fenster  erschienenen  Infantin  ürraca, 
die  ersten  Kriegstliaten  des  jungen  Compeador;  die  Gefangen- 
nehmung von  vier  Mohrenkönigen  auf  einmal  in  Handlung  treten, 
und  als  folgerechter  Anschluss  hieran  die  des  Infanten  Don 
Sancho,  Kodrigo's  kronprinzlichen  Gönners  und  Schützers,  betref- 
fenden Scenen,  die  des  Thronfolgers  Abneigung  gegen  seine 
Geschwister  auf  Grund  einer  astrologischen  Prophezeihung  mo- 
tiviren,  dahin  lautend,  dass  er  von  einem  der  Geschwister 
mit  dem  Wurfspeer  würde  getödtet  werden,  woran  er  zurstelle 
das  bestätigende  Vorspiel  in  einem  dahersausenden  Jagdspiess  zu 
erblicken  vermeint,  den  die  mit  ihrem  Vater,  dem  König,  im 
nahen  Walde  jagende  Infanta  ürraca  auf  ein  Schwarzwild  ge- 
schleudert hatte,  und  der  über  den  Prinzen  Sancho  hinflog.  Der 
hinzugetretenen,  ob  Don  Sanclio's  Zornausbruch  betroffenen  In- 
fantin erklärt  des  Prinzen  greiser  Hofmeister,  Don  Diego  Lai- 
nez,  das  bestürzende  Verhalten  desselben  mit  der  astrologischen, 
von  ihm  als  thöricht  bezeichneten  Prophezeihung.^)  So  schön, 
und  von  so  hoher  theatralischer  Wirkung  die  Scene  auch  seyn 
mag?,  worin  Kodrigo  dem  Könige  Fernando  die  vier  kriegs- 
gefangenen  Mohrenkönige  vorstellt,  so  durfte  doch  der  französische 
Tragiker  diese  unparaphrasirt  und,  in  anbetracht  ihres  ureigenen 
Nationalcharakters  und  ihrer  blos  für  ein  spanisches  Publicum 
hochwichtigen  historischen   Bedeutung,    nur    erzählungsweise   in 


1)  Viens  baiser  cette  joue,  et  recoiinais  la  place 

Qu  tut  empreint  Taffroiit  qiie  ton  courage  efface. 

2)  Diego.  Una  necia  astrologia 

Le  causa  nielancholia. 
Y  tu  la  creciste  ahora. 


680  Das  spanische  Drama. 

einer  späteren  Scene')  berühren  lassen.  Wir  meinen  die  Scene, 
in  welcher  die  erste  Begrüssung  des  grössten  spanischen  Volks- 
hel^en  als  „Cid'^  durch  den  gefangenen  Mohrenkönig  widerklingt: 
Mohrenkönig:  „Grosser  Rodrigo!  -  Rodrigo.  Ha  Almanzor! 
Mohrenkönig.  Gieb  mir  die  Hand,  mein  Cide!  —  Don 
Sancho.  „Mein  Cid"  —  nannte  er  ihn.  —  Mohrenkönig. 
In  meiner  Sprache  heisst  das:  „mein  Gebieter."^)  Wie  eine 
Adlerfeder,  dem  römischen  Antiquar  zufolge,  alle  anderen  Federn 
verzehrt,  so  verschlingt  diese  Cid-Scene  in  den  Augen  des  Spa- 
niers alle  übrigen  Scenen  seiner  Tragikomödie,  die  Rodrigo- Ji- 
mena-Scene  nicht  ausgenommen,  für  den  spanischen  Dichter 
blosse  episodische,  um  das  historische  Grundmotiv  sich  grup- 
pirende  Momente,  die  für  den  französischen  Tragiker  dagegen, 
dem  das  Liebesverhältniss,  der  combat  du  coeur  zwischen  Galan- 
terie und  Ehrenetikette,  das  Hauptinteresse  bildet  und  ausschliess- 
lich bühnen-  und  tragödienwürdig  erscheint,  losgelöst  von  aller 
ausserfranzösischen  Nationalität  und  historischen  Wurzel  —  un- 
beschadet des  von  Mr.  Ernest  Desjardins  dem  grössten  französi- 
schen Tragiker  vindicirten,  gleichberechtigten  Anspruchs  auf  den 
grossen  Historiker,  wie  auf  den  grossen  Dichter. 

Selbst  der,  für  den  Ausfall  der  Kampfscene,  von  Corneille's 
Rodrigue  dem  Könige  abgestattete  Schlachtenbericht  und  seine 
von  ihm  geschilderten  Kämpfe  zu  Land  und  Wasser  mit  den 
Mauren,  mögen  dem  französischen  Tragiker  zugut  kommen,  ja, 
von  seinem  Standpunkt  aus,  als  ein  dramatisches  Verdienst  an- 
gerechnet werden,  der  alten  Kunstanweisung  gemäss,  multaque 
tolles  Ex  oculis  quae  mox  narret  facundia  praesens,  —  Schlach- 
ten- und  Kampfscenen  zumal,  dem  epischen  Gedichte  wesentlich, 

1)  IV.  3. 

2)  Key  Moro. 

jGran  Rodrigo! 
Rod.  jOh  Abnanzor! 

R.  Moro. 

Dame  la  raano  il  mio  Cide! 
D.  Sancho. 

El  mio  Cid  le  ha  llamado. 
R.  Moro. 

En  mi  lingua  es  mi  Senor. 


Was  bei  Corneille  Alles  in  24  Stunden  passirt.  681 

vom  Drama  aber  entschieden  abgelehnt ,  vom  spanischen  freilich 
nicht,  das,  in  seiner  durchgängigen  Duplicität,  das  epische  auf- 
nimmt und  neben  sich  schalten  und  walten  lässt.  Ob  indess  die 
„facundia  praesens''  des  französischen  Cid  in  den  Schilderungen 
„vom  Kriegsschauplatz'^  nicht  ein  üebriges  thut,  und  von  dem 
mustergültigen  Brauche  der  oft  meisterhaften  Botenberichte  in 
der  attischen  Tragödie  nicht  eine  zu  weitschweifige,  durch  keinerlei 
Gehaltsinteresse  den  achtzig  Alexandriner  schweren  Kriegsbericht 
rechtfertigende  Nutzanwendung  macht,  das  bleibe  dahingestellt, 
desgleichen  die  Zulässigkeit  solchen  in  der  antiken  Tragödie 
meist  durch  Tritagonisten  erledigten  Berichtes  aus  dem  Munde 
des  Kampfeshelden  selbst.  Wichtiger  möchten  Einwände  gegen 
die  nun  folgende  Paraphrase  von  Jimena's  wiederholter  An- 
klagescene  scheinen,  worin  sie  zum  zweitenmal  mit  ihrer  Ge~ 
rechtigkeitsforderung  vor  den  König  tritt.  Guillem  de  Castro's 
Jimena  begründet  gleich  mit  dem  ersten  Vers  das  Zeitgemässe 
und  dramatisch  Wahrscheinliche  ihrer  wiederholten  Bittbeschwer: 
„Herr"  —  so  spricht  sie  den  König  an  —  „heute  sind  es  drei 
Monate,  dass  mein  Vater  von  den  Händen  eines  Jünglings 
fiel."  ^)  Welchen  psychologisch-dramatischen  Wahrscheinlichkeits- 
grund kann  Corneille's  Chimene  für  ihre,  innerhalb  derselben  vier- 
undzwanzig Stunden,  wo  des  Vaters  Ermordung  vorfiel,  wieder- 
holte Aufforderung  an  den  König  geltend  machen?  Sie  müsste 
denn  diesen  ihrem  ersten  Anruf  um  Gerechtigkeit  und  Rache  auf 
dem  Eusse  folgenden  Strafantrag  beim  König  der  Fülle  von  Er- 
eignissen mit  in  Rechnung  stellen,  die  binnen  derselben  Tages- 
frist sich  in  den  vier  Acten  so  dicht  zusammendrängen,  dass  dem 
knappen  Zeitraum  von  der  Masse  der  inzwischen  vorgefallenen 
Begebenheiten  alle  Nähte  platzen,  und  dass  die  Cid-Tragedie  das 
schreckliche  Schicksal  jenes  Unglücklichen  erfährt,  dem  Einer  von 
Prof.  Stahr's  Lieblingen,  einer  der  Kaiserlich  römischen  ehren- 
werthen  Scheusale,  allerhand  Flüssigkeiten  und  Getränke  so  lange 
gewaltsam  eintrichtern  Hess,  bis  dem  schaudervoll  Aufgeschwell- 
ten sämmtliche  uropoetischen  Organe,  die  ganze  Blase,  wie  man 


1)    Jim.  Senor,  hoy  hace  tres  meses 

Qua  murio  mi  padre  a  manos 
De  un  rapaz  .  .  . 


682  Das  spanische  Drama. 

in  Berlin  sagt^  platzte.  ^)  Etwas  Aehnliches  leistete  die  unter  dem 
Namen  „der  schwedische  Trank''  im  dreissigjährigen  Kriege  an 
eingefangenen  Bauern  vorgenommene,  über  den  Durst  gewährte 
Tränkung:  Den  feindlichen  Landleuten  gössen  die  schwedischen 
Soldaten  faules  Wasser  scheffelweis  in  den  Schlund,  und  stampf- 
ten es  nachher  aus  den  geschwollenen  Leibern  mit  Fusstritten 
wieder  heraus. ^j  Wie  muss  nicht  erst  so  einer  armen  Tragedie 
aus  allen  Poren  das  faule  Wasser  sickern^  der  die  Fusstritte 
mit  tragischen  Stelzen  oder  mit  dem  französischen  Kothurn  das 
üebermaass  von  eingegossenen,  durch  den  Trichter  der  Zeiteinheit 
in  den  Hals  geschütteten,  während  vierundzwanzig  Stunden  ge- 
schehenen und  vollendeten  Thatsachen  aus  dem  Leibe  stampfen! 
Insonders  wo  die  Paraphrase  von  Jim e na 's  zweitem  Eacheschrei 
nach  Gerechtigkeit  sich  nicht,  wie  bei  dieser,  durch  die  Ventile 
der  Aparte's,  die  den  Innern  Kampf  ihres  Liebeschmerzes  mit 
ihrer  Tochterpfficht  ausströmen,  Luft  machen^);  wo  vielmehr 
Chimene's  Paraphrase  nur  eine  monoton  -  weitläufige  Umschrei- 
bung der  an  den  König  zum  zweitenmal  gestellten  Eache- 
forderung  ist,  deren  aufbegehrendes  Pathos  die  angeblichen  com- 
bats  du  coeur  zu  einer  schwungvollen,  dem  Könige  über  Stan- 
desrecht und  Herrscherpflicht  gehaltenen  „Pauke"  trommelt ;  ander- 
weitiger, auch  hier  wiederum  ein-  und  angeflickter  Motive  zu  ge- 

1)  Siiet.  Tib.  c.  LXII. 

2)  Rose,  Herzog  Bernhard  IL  S.  189. 

3)  Jimena.        Rey,  Rey  justo,  en  tu  presoiicia 

Advierte  bien  como  ostamos 

El  ofensor,  yo  ofendido, 

Yo  gimiendo,  y  el  triunfandu  .  .  . 

El  riendo  y  yo  llorando. 
(ap.) 

jAy  Rodrigo!    ;Ay  honra!    [Ay  ojos! 

jAdonde  os  lleva  el  cuidado! 
Und  am  Schluss  der  Scene:  (ap.) 

^Que  la  opiuion  queda  tanto, 

Qiie  persigo  lo  que  adoro? 
Dass  der  Ruf*)  sa  Schweres  fordert 
Zu  verfolgen,  was  man  liebt! 


*)  Die  öffentliche  Meinung. 


Chimeue  hält  einen  Vortrag  über  Staatsrecht.  (383 

schweigen,  wie  z.  B.  das  spätere,  dem  dritten  spanischen  Act  und 
der  Jimena  über  den  Kopf  weg-  und  in  diese  Scene  herüber- 
genommene Katastrophenmotiv,  den  im  letzten  Act  der  spanischen 
Tragicomedia  von  Jimena,  und  im  vierten  der  französischen 
Cid-Tragedie  von  Chimene  vorgeschlagenen  Austragszweikampf 
betreffend,  mit  der  Verpflichtung  ihrerseits,  ßodrigue's  Besieger 
ihre  Hand  zu  reichen.^)  Worin  verräth  sich  hier  der  stehende 
Trumpf  der  französischen  Tragik:  die  combats  du  coeur?  Nicht 
mit  Einem  Hauch !  Die  pure  pure  Rache-Heroine  toute  pure  trumpft 
dem  Könige  von  Anfang  bis  Ende  auf.-^) 

Aus  dem  Munde  von  Guillem  de  Castro's  Dona  ürraca 
vernehmen  wir  in  der  ersten  Scene  seines  dritten,  letzten  Acts, 
das  gegen  Arias  Gonzalo  geäusserte  Geständniss  ihrer  Liebe 
für  den  Cid,  mit  dem  sie  sich  zu  vermählen  gedacht  hatte,  wenn 
sein  Liebesverhältniss  mit  Jimena  nicht  im  Wege  stände,  das 
nach  ihres  Vaters  Tödtung  im  Duell  durch  Cid  sich  bis  zu  ge- 
genseitiger Vergötterung  zwischen  dem  Liebespaar  gesteigert 
habe.^)  Je  heftiger  Jimena  den  Geliebten  gerichtlich  verfolge, 
desto  mehr  bete  sie  ihn  an.  *)  An  Stelle  dieser  allerdings  müssigen 
Eingangsscene    zu    Castro's    Entscheidungsact,    tritt    Corneille's 


1)  A  tous  vos  Chevaliers  je  demande  sa  tete; 

Oui,  qu'un  d'eux  me  Tapporte,  et  je  suis  sa  conquete. 

2)  Das  Votum  der  von  EicheHeu  -  fast  möchte  man  sagen,  behufs 
der  Cid -Kritik  eingesetzten  —  Academie  über  diese  Schlussscene  des 
111.  Acts  lautet:  ,,Noas  tenons  cette  scene  principalement  reprehensible 
en  ce  que  Chimene  y  veut  deguiser  au  roi  la  passiou  qu'elle  a  pour  Ro- 
drigue".  Bemerkens werth  in  gedachter  Scene  (111.  5)  möchte  auch  das 
Cerherus-Honigklöscben  seyn,  das  Corneille's  König  Ferdinand,  zur  Be- 
schwichtigung des  gewaltigen  Staatsminister-Cardinais,  wegen  des  Duell- 
punktes hinwirft: 

D.  Ferd. 

Mais,  de  peur  qu'en  exemple  un  tel  combat  ne  passe, 
Pour  temoigner  ä  tous  qu'a  regret  je  permets 
Un  sanglant  procede  qui  ne  me  plut  jamäis, 
De  moi  ni  de  la  cour  il  n'aura  la  presence  .  .  . 

3)  Y  despues  del  Conde  muerto 
Se  adoran. 

4)  Cuanto  mas  justicia  sigue, 
Es  cierto  que  mas  le  adora. 


684  Das  spanische  Drama. 

fünfter  Act  vor  dem  vom  König  anberaumten  Zweikampf  des 
Don  Eodrigue  und  seines  schattenhaften  Nebenbuhlers  Don 
San  che  mit  einer  Eröffnungsscene  zwischen  Chimene  und 
Rodrigue  in  die  Schranken^  deren  combat  de  langue  mit  zwei 
schweren  dramatischen  üebelständen  sich  herumschlägt:  Erstens 
mit  dem  wiederholten  Motiv  von  Scene  4,  Act  II,  wo  Rodrigue 
sein  vom  Blute  des  Comte  Gormaz  gefärbtes  Schwert  der  Chimene 
anbot,  um  es  ihm  brevi  manu  in  die  Brust  zu  stossen,  und  wel- 
ches Motiv  hier,  Scene  1 ,  Act  V ,  sich  nun  abermals  aufdrängt, 
mit  dem  modificirten  Anerbeiten,  im  bevorstehenden  Zweikampf 
mit  DonSanche,  dem  Schwerte  desselben  seinen  „entblössten 
Magen"  als  Stichblatt  preiszugeben,  in  Don  Sanche's  Hand  die 
ihrige  anbetend,  die  ihn,  Rodrigue,  zu  G-runde  richtet.^)  Der 
zweite  noch  schwerere  üebelstand,  womit  die  erste  Scene  in  Cor- 
neille's  fünftem  Act,  den  combats  du  coeur  oder  de  langue  zu 
Diensten,  sich  herumschlägt,  ist  das  Product  aus  dem  gerügten 
üebelstande,  der  Wiederholung  des  Motives,  und  der  Steigerung 
desselben  bis  zum  Verstoss  gegen  Sitte  und  Anstand,  den  auch 
Chimene  bei  seinem  Erscheinen  ihm  als  erste  Begrüssung  vor- 
hält^),  aber  nur  um  den  rücksichtslosen  Anstoss,  als  ihr  Vor- 
recht, im  Verlauf  der  Scene  noch  dadurch  zu  überbieten,  dass 
sie  mit  einem  schonungslosen  Schlag  in's  Gesicht  ihrer  Mädchen- 
ehre und  Tochterpflicht,  ihrer  Liebeserklärung  die  Zügel  schiessen 
lässt  und  mit  einem  unendlichen  Antithesenschwall  ihn  himmel- 
hoch beschwört,  sein  Vorhaben,  mit  entblösstem  Magen  zu  fech- 
ten, aufzugeben,  und  ihrem  von  ihm  erschlagenen  Vater  niclit 
den  Unglimpf  anzuthun,  nachdem  er  ihn  getödtet,  „einen  Sieger 
zu  dulden''.^)   Da  aber  Rodrigue,  um  seinem  Antheil  beim  Habnen- 


1)  -Je  vais  lui  presenter  mon  estomac  ouvert 

Adorant  en  sa  maiu  la  vötre  qui  me  perd. 

2)  Chim, 

Quoi  i  Rodrigue  eu  plein  jourl 

D'oü  te  vient  cette  audace? 
Va,  tu  me  perds  d'honneur;  retire  toi,  de  grace, 

3)  Chim. 

Si  d'uii  triste  devoir  la  juste  violence 

Qui  me  fait,  malgre  moi,  poursuiver  ta  vaillance 

Prescrit  ä  ton  amour  une  si  forte  loi 


Chimene  vergisst  über  CicVs  'estomac  ouvert'  ilire  Ehre  n.  Tochterpflicht.  085 

kämpfe  des  combat  de  langue,  welcher  das  Herz  des  combat  du 
coem-  auf  der  Zunge  trägt,  nicht  das  Geringste  zu  vergeben,  — 
da  der  ebenso  tapfere  Duellant  im  Herzenszweikampf,  wie  im 
Duell  überhaupt,  auf  seinem  ^estomac  ouvert'  unabbringbar  be- 
steht: so  bleibt  der  Chimene  in  diesem  hitzigen,  vier  Acte  hin- 
durch so  tapfer  zwischen  Liebesleidenschaft  und  Tochterehren- 
pflicht gefochtenen  Zweikampfe  nichts  übrig,  als  ihre  Zunge  mit 
ihrem  Herzen  durchgehen  zu  lassen,  und  den  geliebten  Vater- 
mörder inbrünstiglich  zu  beschwören,  um  ihrer  Liebe  willen^  sich 
und  seinen  estomac  zu  schonen,  und  als  Sieger  aus  einem  Kampfe 
hervorzugehen,  dessen  Preis  Chimene  istJ)  Diesen  schamver- 
gessenen Sieg  der  Leidenschaft  über  weibliche  und  kindliche  Pflicht 
und  Ehre  erklärt  Richelieu's  Academie  für  den  tadelnswürdigsten 
Fehler  im  ganzen  Stück 2),  und  eine  Chimene's  Tugend  noch 
preisgebendere  Blosse,  als  Eodrigue's  entblösster,  sein  Leben  in 
die  Schanze  schlagender  estomac.  In  welchen  Paroxysmus  von" 
sittlicher  Entrüstung  geräth  nicht  erst  Scudery  über  Chimene's 
ihre  Ehrenpreisgebung  mit  der  Schminke  selbstgeständlicher  Scham- 
röthe  beschönigenden  letzten  Alexandriner,  den  sich  der  vorletzte*) 


Qu'il  te  rend  sans  defense*)  a  qiii  combat  pour  moi, 
En  cet  aveiiglement  ne  perds  pas  de  memoire 
Qu'ainsi  que  de  ta  vie  il  y  va  de  ta  gloire 


Quoi!  n'es-tu  genereux  que  pour  me  faire  outrage? 
S'il  me  faut  m'offenser  n'ai-tu  point  de  courage? 
Et  traites-tu  mon  pere  avec  tant  de  rigueur, 
Qu'apres  Tavoir  vaincu  tu  souffres  mi  vainqueur? 

1)  Si  jamais  je  t'aimai,  eher  Rodrigue,  en  revanche, 
Defends-toi  maintenant,  pour  m'oter  a  don  Sanche  .  .  . 
Et  si  tu  sens  pour  moi  ton  coeur  encore  epris 

Sors  vainqueur  d'un  combat  dont  Chimene  est  le  prix. 

2)  —  „decouvre  tellement  l'avantage  que  sa  passion  a  pris  sur  eile  que 
nous  n'estimons  pas  qu'il  y  ait  guere  de  chose  plus  blamable  en  toute  la 
piece." 

3)  Adieu.    Ce  mot  lache. 

4)  Sors  vainqueur  d'un  combat  dont  Chimene  est  le  prix. 

*)  Bezieht  sich  auf  Rodrigue's  Vorsatz: 

Je  vais  lui  presenter  mon  estomac  ouvert. 


ß^ß  Das  spanische  Drama. 

wie  einen  Schürzenzipfel  vorhält!  'Zornerglüht  über  den  Schürzen- ^ 
Zipfel,  womit  Chimene  ihre  Schamröthe  bedeckt,  ruft  Scuderj^: 
Wohl  hat  sie  alle  Ursache  zu  erröthen  und  sich  zu  verbergen 
nach  einer  Handlung,  die  sie  mit  Schmach  bedeckt  und  unwürdig 
macht,  das  Tageslicht  zu  schauen,  i)  Chimene  denkt  sich,  wenn 
es  mich  nur  würdig  macht,  das  Lampenlicht  zu  schauen,  und 
wie  siegreich  würdig!  so  siegreich,  dass  gerade  dieser  Alexandriner 
von  Hof  und  Publicum-)  mit  donnerndem  Beifall  überschüttet  ward, 
und  den  Triumph  des  ganzen  fünften  Actes  entschied;  so  sieg- 
reich, dass  Richelieu's  zum  Verfluchen  commandirte  Academie 
ihren  an  sich  mehr  liebkosenden,  als  verletzenden  Tadel  noch  mit 
einem  Bileams-Segenspruche  zu  versüssen  sich  bewogen  fand, 
der  die  Behandlung  der  Leidenschaft,  Führung  und  Ausdrucks- 
weise in  dieser  Scene,  für  sich  betrachtet  und  ohne  Rücksicht 
auf  den  Gegenstand,  des  höchsten  Lobes  würdig  erklärt.^)  Kann 
sie  nun  nicht  hinter  ihrem  Schürzenzipfel  kichern,  die  Chimene, 
und  den  Scudery  mit  seiner  moralisch  gascognischen  Zornwuth 
auslachen?  Kann?  Mochte  sie  ihrer  Zeit  gekonnt  haben,  da  noch 
die  Rosen  ihrer  Theater-Schamrothe  und  —  wie  es,  dem  neu- 
griechischen Lied  zufolge,  bei  reizenden  Jungfrauen  geschieht  — 
auch  der  Chimene  noch  beim  Lachen  die  Rosen  in  die  Schürze 
fielen.^)  Wer  aber  zuletzt  lacht,  das  steht  auf  einem  andern 
Blatte,  auf  dem  Blatte,  das  man  nicht  mehr  vor  den  Mund  zu 
nehmen  braucht,  um  in  Scudery's  Hohnlachen  mit  dem  unbe- 
fangensten heitersten  Zustimmungsgelächter  einzustimmen,  unbe- 
schadet der  üeberzeugung,  dass  Scudery's  selbeigene  Stücke,  sein 
'Annibar,  'Ligdamar',  'Cesaf  und  wie  sie  alle  heissen  —  dass  sein 


1)  Elle  a  bien  raison  de  rougir  et  de  se  cacher  apres  une  aetion  qui 
la  couvre  d'infamie  et  qui  la  rend  indigne  de  voir  la  lumiere.  Observations 
a.  a.  0.  p.  303.  —  2)  Ne  vous  etes-vous  pas  souvenu"  ~  ruft  Corneille, 
in  seinem  apologetischen  Antwortschreiben  auf  Scudery 's  'Observations', 
herzfrohlockend  in  die  Seele  seiner  Chimene,  dem  Gegner  zu  —  ,,Ne  vous 
etes-vous  pas  souvenu  que  la  reine,  les  princesses  et  les  plus  vertueuses 
dames  de  la  cour  et  de  Paris  l'ont  re9ue  (die  Chimene)  et  caressee  en 
fille  d'honneur?"  ~  3)  ,,mais  en  la  (la  scene)  considerant  ä  part  et  de- 
täcliee  du  sujet,  la  passion  qu'elle  contient  nous  semble  fort  bien  touchee 
et  fort  bien  conduite,  et  les  expressions  dignes  de  beaucoup  de  lou- 
anges/'  —  4)  J.  Grimm,  D.  Myth.  S.  620. 


G.  de  Castro's  und  Corneille's  Knotenlösung.  ßgT 

und  seiner  Genossen  Stücke  mit  den  schäbigsten  Federn,  die,  bei 
der  Mauser,  die  Corneille-Krähe,  als  sie  mit  Guillem  de  Castro's 
Pfauenfedern  ihre  Blosse  drappirte^),  fallen  Hess,  noch  Staat 
machen  und  sich  aufs  schmuckeste  herausputzen  könnten. 

Unmittelbar  vor  Jimena's  drittem  Racheaufruf  an  König 
Fernando,  im  Beginn  des  letzten  Acts,  da  erst  lässt  de  Castro 
seinen  König  durch  AriasGonzalo  eine  und  auch  von  diesem, 
der  es  durch  Urraca  erfahren,  nur  vermuthungsweise  insinuirte  An- 
deutung über  Jimena's  Liebesverhältniss  mit  ßodrigo  em- 
pfangen. Arias  Gonzalo  giebt  dem  Könige  zu  verstehen,  Ji- 
mena  dürfte  vielleicht  nur  aus  Kücksicht  auf  ihren  Ruf  und  die 
öffentliche  Meinung  gegen  Rodrigo  so  entschieden  vorgehen,  im 
Herzen  aber,  unter  dem  Schein  einer  Rechtsforderung  einen  ihre 
stillen  Wünsche  befriedigenden  Ausgang  herbeiführen  wollen,  und 
in  der  Vermählung  mit  Rodrigo  Erleichterung  für  ihre  Trauer 
ünden.2)  Der  König  fragt:  Lieben  sie  sich  denn  wirklich? 
Arias:  Sonder  Zweifel.  König:  Weisst  du  es  gewiss?  Arias: 
Ich  vermuth'  es,  —  und  bittet  den  König,  dass  er  Jimena  auf 
die  Probe  stellen  dürfe. 3)  Jimena  bringt  nun  ihren  drittmaligen 

1)  In  einem  versificirten  Pamphlet  des  Tages  apostropMrt  Guillem  de 
Castro  seinen  Plünderer  Corneille  wie  foigt: 

Donc  fier  de  mon  plmnage  en  Corneille  d'Horace*), 
Ne  pretends  plus  voler  plus  haut  que  le  Parnasse, 
Ingrat,  rends-moi  mon  Cid  jusqu'au  dernier  mot. 
Apres  tu  connaitras,  Corneille  deplumee, 
Que  Tesprit  le  plus  vain  est  souvent  le  plus  sot, 
Et  qu'enfin  tu  me  dois  tonte  ta  renommee. 

2)  Pero  asi  de  la  malicia 
Defendera  la  opinion 
0  quizä  satisfaccion 
Pide,  pidiendo  justicia 

Y  el  tratar  el  casamiento 
De  Eodrigo  con  Jimena 
Sera  olivio  de  su  pena. 

3)  Rey.  ^Quieren  se  bien? 

Arias.  No  hay  dudar. 

*)         Ne  si  forte  suas  repetitum  venerit  olim 

Grex  avium  plumas  moveat  Cornicula  risum; 

Furtivis  nudata  coloribus.  Hör.  Ep.  III.  1.  187. 


688  ^^s  spanische  Drama. 

Anruf  um  Gerechtigkeit  vor,  underhält  auf  Gonzalo's  heimliches 
Anstiften  Kunde  von  einer  dem  König  überbrachten  Botschaft, 
dass  Eodrigo  an  vierzehn  tödtlichen  Wunden  in  einem  mit 
zwanzig  Keisig'en  gegen  fünfhundert  Mohren  bestandenen  Kampfe 
erlegen.  Jimena  wandelt  eine  Ohnmacht  an.  Arias  Gon- 
zalo's  Probemittel  hat  sich  glänzend  bewährt,  und  nun  kann 
auch  der  König,  ohne  Gewaltact  und  mit  der  vollen  Wahrung 
seiner  Austragswürde  und  Majestät,  sanft  und  versöhnend  den 
Knoten  lösen  und  dem  mächtigsten  aller  Herrscher  in  und  ausser- 
halb der  Komödie,  Gott  Amor,  gewonnen  Spiel  geben. i)  Ji- 
mena's  Finte,  behufs  nothdürftiger  Ehrenrettung  ihres  in  den 
letzten  Zügen  liegenden  Widerstandes:  man  kann  auch  vor  Freu- 
den über  des  Feindes  Tod  ohnmächtig  werden  2),  und  zum  Be- 
weise biete  sie  ihre  Hand  Demjenigen  an,  der  ihr  das  Haupt  des 
Rodrigo  de  Vivar  überi'eichen  würde  —  diese  letzte  ihrem  bhiten- 
den  Herzen  abgerungene  Finte  hält  doch  nur  noch  für  eine  letzte 
Erschütterung  vor,  die  der  spanische  Dichter  wirkungsvoll  aus 
der  Verflechtung  mit  seinem  geschichtlich-nationalen  Grundgewebe 
entspringen  lä^st.  Die  von  Aragoniern  in  Anspruch  genommene 
Grenzstadt  Calahorra  ist  König  Fernando  entschlossen,  durch 
Cid  für  Castilien  in  Besitz  nehmen  und  behaupten  zu  lassen. 
Durcli  üebereinkunft  wird  die  Entscheidung  einem  Zweikampf  an- 
heimgestellt, zwischen  Cid  und  dem  Aragonesen  Don  Martin 


Rey. 

^Tu  lo  sabes? 

Arias. 

Lo  sospecho. 

Key. 

(iDe  que  manera  podre 
Averiguarlo  en  su  pecho? 

Arias. 

Dejandome  el  cargo  ä  mi 
Hare  uua  prueba  bastante. 

1) 

Eey. 

Vivo  es  Rodrigo,  Senora, 
Que  yo  he  querido  probar 
Si  es  que  dice  vuestra  boca 
Lo  que  en  vuestro  pecho  estä, 
Ya  os  he  visto  el  corazon; 
Reportadle,  sosegad. 

2) 

Que  con  gusto  y  con  piedad 
Tanto  atribula  un  placer 
Como  congoja  un  placer. 

Der  Goliath  von  Aragon.  689 

Gonzales,  einem  Goliath,  Rodomont,  Milon  an  Körperwucht 
und  Stärke  ^),  und  Grossmaul,  die  drei  in  Einer  Person.  „Deinen 
Kopf  der  Jimena,  und  Calahorra  meinem  Könige-),  bramarbarsirt 
gegen  den  jugendlichen  castilischen  David,  den  Cid-Jüngling  von 
Al-ciden,  der  dreimäulige  aus  Goliath,  Rodomont  und  Milon  zu- 
sammengewachsene Geryon. 

Mit  glücklichem  Compositions-Verständniss  lässt  gleich  nach 
obiger,  vor  dem  König  zwischen  den  Zweikämpfern  gewechselten 
Herausforderung  Guillem  de  Castro  seine  Jimena  ihre  wahre 
Herzensmeinung  in  Elvira's  Busen  ausschütten:  „Verwirrt  und 
beschämt  habe  sie  mit  dem  Munde  vor  dem  König  das  Begehren 
gestellt,  worüber  ihre  Seele  nun  sich  gräme  und  härme.  3)  Diesen 
Aragonier,  Don  Martin  Gonzalez,  den  Elvira  als  einen  Popanz 
und  Allerweltschrecken  abmalt  —  mag  Jimena  gar  nicht  nennen 
hören. '^)  Nun  muss  ihr  gar  noch  ein  zärtliches  Brief chen  vom 
Aragonesischen  Kinderschreck  Rodrigo's  Kopf  in  sichere  Aussicht 
stellen!  und  sie  auffordern,  Hochzeitskleider  anzulegen,  und  sich 
als  seine  Braut  herauszuputzen.^)  Jimena  zerfliesst  in  Verzweif- 
lungsthränen :  „Ach  Rodrigo!  Ich  tödte  und  beweine  dich!"^)  Wie 


1)  Es  Don  Martin  un  gigante 
En  fuerza  y  en  proporcion, 
ün  Rodomonte,  nn  Milon. 

2)  A  Jimena  tu  cabeza, 

Y  ä  mi  rey  ä  Calahorra. 

3)  Jim.  Delante  del  Rey  corrida 

Y  de  corrida,  turbada, 

Y  ofreciome  un  pensamiento 
Para  excusa  de  mi  mengua; 
Dijo  aquello  con  la  lengua, 

Y  con  el  alma  lo  siento. 

4)  Elv.  Que  es  espanto  de  los  horabres 

Y  do  los  ninos  el  coco. 
Jim.               Y  es  la  muerte  para  mi: 

No  me  le  nombres,  Elvira. 

5)  Ponte  vestidas  de  bodas  .  ,  . 
De  Rodrigo  la  cabeza 

Te  promete  mi  valor. 

6)  jAy  Rodrigo! 

Yo  te  mato  y  yo  te  Uoro, 
X.  44 


690  l^as  spanisclie  Drama. 

unendlich  rührender  ergreift  bei  dieser  standhaften  Durchführung 
ihrer  Ehren-  und  Kachepflicht  Jimena's  heimlicher  Liebesklage- 
schmerz, die  ihre  stillen  Seufzer  und  Thränen  auch  vor  dem 
Könige  nicht  verbergen  kann  und  aus  ihrem  Schrei  nach  Gerechtigkeit 
und  Bache  hervorbrechen  lässt' — wie  ungleich  rührender  als  Cbi- 
mene's  ähnliche  Ergüsse,  die  doch  nur  als  Jimena's  zwölf-  und 
dreizehnsylbiges  Alexandriner  -  Echo  widerhallen.  Und  darum  er- 
greifender, rührender  als  Corneille's  Heroine,  weil  diese  in  ihren 
wiederholten  ßacheforderungen  eben  nur  die  Ehrenracheheldin 
hervorstellt,  nachdem  sie  ihre  Liebe  zu  Hause,  unter  Obhut  der 
Elvira  gelassen,  wo  sie  mitsamt  der  hydrostatischen  Wage  der 
combats  du  coeur  bis  auf  weiteres  am  Nagel  hängt. 

Die  Herzensangelegenheiten  durchschlingt  der  Spanier,  seiner 
Aufgabe  gemäss,  mit  den  grossen  nationalgeschichtlichen  In- 
teressen und  Thaten  jener  Zeit.  Für  den  Cid  ist  die  Ehren-  und 
Familiensühne  durch  Tödtung  des  Vaters  der  Geliebten,  ist  tra- 
gisches Liebesgeschick  selber  nur  eine  von  seinen  Mocedades. 
Er  wäre  der  Cid  nicht,  und  Guillem  de  Castro  nicht  der  drama- 
tische Verherrlicher  des  Cid  und  dessen  Jugendthaten,  wenn  der 
jugendliche  Nationalheld  in  seiner  Liebesleidenschaft  selbstsüchtig 
aufginge,  und  nicht  vielmehr  die  Entsühnung  seiner  durch  Blut- 
rache befleckten  Liebe  aus  der  Alles  läuternden  Quelle  ruhmvoller 
Wagethaten  für  sein  Vaterland  schöpfte;  ja  inkraft  dieser  Blut- 
sühne und  Wiederherstellung  des  Begriffs  der  Familien-  und 
Mannesehre,  der  unbedingten  Sohnespflicht  in  seiner  Heiligkeit 
und  Würde,  sich  selbst  erst  zum  Liebeshelden  läuterte,  des  höchsten 
Kampfpreises,  Jimena's  trauer-  und  thränenvoUer  Liebeshuld, 
würdig;  Jimena's,  die  ja  auch  mit  noch  gleicher  Familiensühne 
ringt,  mit  der  zugunsten  von  ßodrigo's  Blutrache  entscheidenden 
Maassgabe,  dass  sein  Vater  der  Beschimpfte  ist,  die  von  ihm  er- 
langte Genugthuung  mithin  die  unab weisliche  war,  eine  heilige 
Pflicht,  deren  Verabsäumung  ihn  und  sein  Haus  entehrt,  des  be- 
glückendsten  Ehrendankes ,  folglich  der  Frauenhuld,  des  edelsten 
Ehrenrechtes  gleichsam,  verlustig  gemacht  hätte.  Als  Eächer 
des  staatenerhaltenden  Famiiienehrenbegriffs,  aufkosten  seiner 
Liebesleidenschaft,  als  ßacheheld  unbedingter  Sohnespietät,  hat 
Kodrigo  seine  tragische  Ehrenschuld  gleichsam  abgetragen,  und 
dadurch  zugleich  der  Geliebten,  die  ihrer  Liebe  dieselbe  Sühne 


Das  Cid-Drama  ohne  tragischen  Ausgang.  691 

abkämpft,  der  Idee  nach,  Genugthuung  gegeben.  Jimena's  Ver- 
geltungssühne trägt  schon  mehr  den  Charakter  der  Privatrache, 
ja  der  Verfolgung  um  gekränkter  Liebe  willen,  deren  Maske 
nur  die  Blutrachepflicht,  die  sie  Scheines-  und  ehrenhalber  vor- 
nimmt. Jimena  kann  daher,  wenn  sie  der  öffentlichen  Meinung 
genug  gethan,  wenn  sie  die  Verfolgung  durch  alle  Stadien  bis 
aufs  äusserste  getrieben,  sie  kann,  vom  Könige,  von  der  gesühn- 
ten öffentlichen  Meinung  selber  dazu  gedrängt,  ihrer  Muthung  die 
letzte  Consequenz  nachsehen  und  vergeben,  kann  von  ihrer  Ver- 
folgung mit  Ehren  abstehen,  in  Eücksicht  auf  einen  Liebeshelden, 
der  seine  Herzensleidenschaft  einer  höheren  allgemeinen  Idee  zum 
Opfer  brachte,  der  sonach  ihre  Liebe,  weit  entfernt  sie  zu  kränken, 
in  der  Aufopferung  tragisch  weihte,  den  Liebeshelden  im  tragi- 
schen Helden  verklärte.  Zu  einem  solchen  tragischen  Ausgangs- 
schicksal ist  Jimena's,  wenn  man  so  sagen  darf,  nur  privatrecht- 
liche persönliche  Eacheverpflichtung  nicht  angethan,  nicht  berufen. 
Der  mit  ihrem  Tode  besiegelte  Triumph  ihrer  Tochterrache  über 
ihre  Liebe  erschiene  immerdar  von  einem  Schatten  des  Verdachtes 
befleckt:  ihr  Tod  sey  nur  die  Sühne  beleidigter  Liebe,  und  ihre 
Selbstaufopferung  nur  ein  dem  Leumund  gebrachtes  Sühnopfer. 
Dieser  tragische  Ausgang  war  in  einem  ausschliesslich  um  Liebes- 
confiicte  sich  bewegenden  Schauspiel  geboten,  und  für  eine  Lie- 
besheroine verpflichtend,  welche  eben  nur  die  im  Sinne  eines  solchen 
Drama's  an  und  von  der  Liebe  begangene  Schuld  zu  tilgen,  als 
Eächerin  der  Liebesidee  sich  zu  opfern  hatte.  Ein  Drama  dieses 
Schlages  mit  nothwendigem  tragischen  Ausgang  ist  eben  das  Cid- 
Drama  nicht,  wo  der  effectvollste  Schwerpunkt  in  den  Volkshel- 
den des  Nationalruhmes,  nicht  in  den  Liebeshelden  fällt,  und 
worin  die  in  einen  verhängnissvollen  Herzenskampf  verstrickte 
Liebesheldin  ihre  Ehrenrache  durch  die  vom  Geliebten,  im  Na^ 
men  des  Familien-  und" des  Volksgeistes,  erkämpfte  und  durch  zahl- 
reiche das  Vaterland  erhöhende  und  verherrlichende  Waffenthaten 
glorwürdige  Genugthuung  gesühnt  und  befriedigt  empfinden  muss. 
In  dem  Maasse  als  der  Liebeseffect  das  Pathos  der  Nationalsache 
überwiegt,  und  Cid's  Verfolgerin  nur  die  Genugthuung  ihrer  von 
des  Vaters  Mörder  rücksichtlos  gekränkten  Liebe  zu  erstreben 
scheinen  könnte;  tritt  auch  die  Forderung  an  das  Drama  heran, 
die  individuelle,  persönliche  Leidenschaft,  die  selbstische  Herzens- 

44* 


692  I)as  spanische  Drama. 

Sache  durch  einen  tragischen  Ausgang  poetisch  zu  erhöhen  und 
zu  veredeln;  mit  dem  Tode  der  Liebesheroine  und  im  Siege  der 
Tochterpflicht  und  Ehre  über  ihre  Privatrache,  über  die  Befrie- 
digung eigensüchtiger  Liebesrache,  die  Ehrenrettung  der  dramati- 
schen Idee,  die  Sühne  des  allgemeinen  Pflichtengebotes,  zu  voll- 
ziehen. Corneille's  als  „Tragedie"  angekündigtes  Drama  musste, 
als  wesentliches  durch  Situation  und  Conflicte  tragisch  angelegtes 
Liebesdrama,  auch  tragisch  enden.  Um  so  entschiedener,  als 
Corneille's  Chimene  die  Liebesher o in e^  die  Bekampferin  ihrer 
Leidenschaft,  die  Athletin  im  Eingkampf  ihrer  Ehrenrache  mit 
ihrer  Liebe,  aufs  schärfste  betont  und  hervorstellt;  als  sie,  stark- 
muthig  bis  zum  Trotz,  vor  dem  tim  Verfolgung  des  Vatermörders 
bestürmten  König  ihre  Liebe  verleugnet,  die  daher  nur  durch 
einen  tragischen  Tod  den  Glauben  an  einen  wirklich  in  ihrem 
Innern  ausgefochtenen  Seelenkampf  retten  konnte;  nicht  dass  sie 
zuletzt  zwischen  einem  geziert  frostigen  Anstandsbekenntnisse  vor 
dem  König:  dass  sie  den  Rodrigue  eben  nicht  hasse  und  auch 
seine  Verdienste  zu  schätzen  wisse,  sich  hin  und  her  drehe  in 
geschraubten  Etiquettenwindungen,  als  gäbe  sie  es  bloss  aus  Ge- 
horsam gegen  den  König  ab^),  aber  gleich  auch  wieder  diesen 
Gehorsam  und  diese  ehrfürchtige  Ergebung  in  des  Königs  Willen 
umwindend  mit  Verwahrungen,  Vorbehalten  und  unbestimmten 
Zusagen  für  eine  ferne  Zukunft.  Man  sieht  sie  förmlich  die  in 
ihrer  Busen-Falte  verborgene  Wage  der  combats  du  coeur  zu- 
guterletzt  noch  einmal  hervorziehen  und,  angesichts  des  Königs 
und  seines  Hofes,  die  Combats  scrupelweise  vorwiegen  mit  einer 
so  gleichmässigen  Vertheilung  von  Last  und  Gewicht,  dass  die 
Wagschale  am  Schlüsse  genau  wieder  in  der  Schwebe  bleibt, 
wie  zu  Anfang,  und  das  Tragische  des  Ausgangs  darin  besteht, 
dass  die  Tragedie  mit  ihren  Combats  in  einen  unentschiedenen 
Kampf,  und  in  eine  desto  entschiedenere  Ausgangslosigkeit  ge- 
linde ausschwankt. 

Vor  allen  diesen  Fehlschlagen  und  üebelständen  sicherte  den 
spanischen  'Cid'  die  patriotisch-heroische  Glorification  des  Liebes- 
helden, die  seine  ßuhmesthaten  vor  Augen  stellt;  die  ihn  sogar 


1)  Roderigue  a  des  vertus  que  je  ne  puis  hair, 

Et  quand  un  roi  commande,  on  lui  doit  obeir. 


Chimene's  Vermählung  und  die  Staatsraison.  693 

mit  einem  Heiligenschein  zu  umgeben  für  angemessen  erachtete, 
durch  Einflechtung  der  Legende,  des  Romanzenmotivs  vom  Aus- 
sätzigen, mit  dem  der  Cid,  während  sein  Gefolge  sich  von  dem- 
selben voll  Ekel  und  Abscheu  fernhält,  allein  verkehrt,  aus  Einer 
Schüssel  isst,  unter  Einer  Decke  schläft,  und  der  sich  als  der 
h  eilige  Lazarus  selber  dem  jungen  Helden  zu  erkennen  giebt^), 
ihn  zu  Gross-  und  ßuhmesthaten  ermuthigend,  und  unausbleib- 
liche Siege  durch  seinen,  des  Schutzpatrons  von  Spanien,  Beistand 
ihm  verheissend.^) 

Im  Strahlenglanze  eines  solchen  himmlischen  und  irdischen 
Theater-Glorienscheins  musste  da  nicht  der  dünne  Eispanzer  von 
Jimena's  Verfolgungseifer  schmelzen?  Bei  dem  zugleich  von  innen 
heraus  fortwirkendem  Feuer  ihrer  Liebesleidenschaft  zumal,  das 
wir  unter  dem,  wie  ein  Eisflor  durchsichtigen  Gorgo-Harnisch, 
unter  ihrem  mehr  vor  Liebeserzitterung  als  vor  ßacheschauder 
zur  morschen  Eis-Aegide  erstarrten  Herzblatt,  unausgesetzt 
wühlen  und  lodern  sehen.  Die  Bemerkung  im  Gutachten  der 
Academie  franpaise^):  die  Vermählung  der  Chimene  mit  dem  Cid 
sey  dramatisch  nur  zulässig,  wenn  das  Staatswohl  die  Verbindung 
erheischen  würde,  findet  Voltaire  fein  und  treffend,  meint  aber, 
dass  alsdann  Plan  und  Bau  des  Drama's  ganz  umgeändert  werden 
müssten.  Nur  so  weit,  will  uns  bedünken,  umgeändert  werden 
müssten,  dass  jenes  von  Guillem  de  Castro  in  dem  ersten  Theil 
seiner  'Mocedades'  allerdings  berücksichtigte  und  nahezu  durch- 
geführte Motiv  einer  von  der  Volksmeinung  zu  des  Staates  Bestem 
gewünschten  und  begehrten  Verbindung  der  Jimena  mit  dem 
Nationalhelden,  dass  dieses  Motiv  nur  dramatisch  kunstreicher 
entwickelt  worden  wäre,  als  Guillem  de  Castro  es  vermochte,  der 
in  den  epischen  Momenten  und  in  der  DarstellungSAveise  der  Cid- 
Romanze,  vor  allem  in  dem  schematischen  Parallelismus  der  Com- 


1)  Gel  San  Lazaro  so}^,  Rodrigo 

2)  Emprende  cualquier  hazana, 
SoHcito  cualquier  gloria 
Pues  te  ofrece  la  victoria 
El  tanto  patron  de  Espana. 

3)  Richelieu's  Akademiker,  die  Corneille's  'Cid'  zu  prüfen  hatten, 
waren  die  Herren  Desmarets,  Boisrobert,  nebenbei  Richelieu's  Instiger 
Rath,  Balthasar  Baro,  Sirmond,  Bourzey,  Cerizy,  Gombauld. 


694  ^^s  spanische  Drama 

Position  auch  in  diesem  vorzüglichen  Nationaldrama  befangen 
blieb.  Dieser  spanisch-dualistische  Parallelismus  ist  dem  Thema, 
dem  Stoffmotive  der  Cid-Jimena-Legende  schon  so  in  Fleisch  und 
Blut  gewachsen,  dass  derselbe  in  Mariana's  geschichtlichem  Be- 
richte darüber  blank  und  nackt  zutage  liegt.  „Jimena,  heisst  es 
daselbst,  verlangte  vom  Könige,  dass  er  ihr  den  Cid  zum  Gatten 
gebe,  oder  ihn,  nach  den  Gesetzen,  als  den  Mörder  ihres  Vaters, 
mit  dem  Tode  bestrafe."  i)  In  keinem  andern  als  in  dem  Herzen 
einer  Spanierin  können  die  Extreme  einer  Alternative  so  schroff 
und  schneidend,  und  zugleich  so  friedlich  und  freundnachbarlich 
nebeneinander  hausen.  In  der  einen  Herzkammer,  die  Brautkam- 
mer mit  dem  geliebten  Gatten;  in  der  andern  Herzhälfte  derselbe 
Gatte  als  blutiger  Eumpf,  und  neben  ihm  das  abgeschlagene 
Haupt.  Dieses  Zerblättern  der  dramatischen  Composition  in  schich- 
tenweise Lagen  galt  es,  völlig  umzugestalten  und  zu  einer  kunst- 
gemässen  Concentration  umzugliedern.  Was  aber  keineswegs  durch 
ein  blosses  negatives  Verfahren  ä  la  Corneille  erreicht  wird,  durch 
blosses  Ausscheiden  der  episodisch-epischeii  Bestandtheile,  und 
noch  weniger  dadurch  zu  erreichen  steht,  dass  der  steife  Paral- 
lelismus selber  in  einen  dramatischen  Zwiespalt  versetzt,  in  einen 
nicht  minder  schematischen  Contrastirungszweikampf  verwickelt 
wird,  wobei  zuletzt,  wie  bei  jenem  Löwenkampf,  doch  wieder  in 
den  zwei  von  dem  Gegensatz  aufgefressenen  Löwen  unversehrt 
zurückgelassenen  Schweifen  der  alte  Dualismus  bestehen  bleibt. 
Uebermeistert  doch  der  Spanier,  dessen  Bruchsilber  der  grosse 
Corneille  nicht  einmal  umzuschmelzen  verstanden,  übermeistert 
doch  die  spanische  Tragikomödie  seinen  pseudotragischen  Plün- 
derer, wie  an  poetischer  Kraft,  Bühnenwirkung,  psychologischer 
Wahrheit  und  Charaktergestaltung,  so  auch  in  der  Kunst  der  Ab- 
rundung  seines  ob  noch  so  gefächerten  Scenengefüges.  Guillem 
de  Castro's  Abschluss  des  ersten  Theils  seiner  'Mocedades'  ist  ein 
wirklicher  Schlussstein,  um  so  verdienstlicher,  als  dessen  Schluss- 
stein zugleich  den  Grundstein  zum  zweiten  Theil  der  Dilogie 
bildet,  während,  vorbemerktermassen,    Corneille's  Cid-Schluss  in 


1)  EUa  (Jimena)  requirio  al  rey  que  se  le  diesse  por  marido  —  o  le 
castigasse,  conforme  a  las  leyes,  por  muerte  que  dio  a  su  padre.  Mariana 
Hiöt.  de  Esp.  L.  IV,  c.  50. 


Beglückende  Täuschung.  695 

Chimene's  Unschlüssigkeit  sich  verirrt  und  die  combats  du  coenr 
blos  zu  vertagen  droht,  um  sie  gelegentlich  wieder  aufzunehmen. 
Mit  dem  Tod  im  Herzen  erscheint  die  spanische  Jimena  vor 
dem  König  im  festlichen  Brautgewande,  um,  ihrem  Gelöbniss 
gemäss,  sich  dem  Sieger  im  eben  auszufechtenden  Zweikampfe  zu 
vermählen  ij,  der  nur  zugunsten  des  verabscheuten  aragonischen 
Goliath  ausfallen  kann.  Die  Meldung  eines  Boten,  dass  ein  Ca- 
vallero  aus  Aragon  des  Kodrigo  Kopf  überbringe  —  welcher  Schlag 
für  Jimena's  Herz,  womit  verglichen  die  von  Corneille's  Don 
Sanche  der  Chimene  überreichte,  von  Rodrigue's  Blut,  wie  sie  zu 
glauben  sich  anstellt,  noch  triefende  Klinge  als  eine  Spiegelfech- 
terei und  ein  schaler  Spass  erscheint.  Des  Boten  Kunde  schau- 
dert aus  Jimena's  Herzen  das  Geständniss,  dass  sie  immer  Eo- 
drigo's  Tugenden  angebetet  und  dass  nun  dasselbe  Schwert  mit 
seinem  Haupte  zugleich  ihren  Lebensfaden  abgeschnitten.  2)  Ihre 
letzte  Seelenbitte  an  den  König  ist,  dass  sie  nicht  die  grässliche 
Hand  des  abscheulichen  Aragonesen  anzunehmen  gezwungen 
werde.  Er  möge  sich  an  ihrem  Hab  und  Gut  genügen  lassen. 
Was  ihre  Person  betreffe,  so  sey  sie  entschlossen,  wenn  sie  der 
Himmel  nicht  zu  sich  nehme,  in  einem  Kloster  ihr  Leben  hin- 
zubringen.^)   Das  klingt   anders,   als   die   auf  Stelzen  getanzte 


1)  Jim.  (ap.) 

Muerto  traigo  el  corazon 
iCieloI  ^si  podre  fingir? 

2)  Jim.  De  Eodrigo  de  Vivar 

Adore  siempre  las  prendas, 
Y  por  cumplir  con  las  leyos 
Que  nunca  el  mundo  tuviera, 
Procure  la  muerte  suya 
Tan  a  costa  de  mis  penas, 
Que  ahora  la  misma  espada 
Que  lia  cortado  su  cabeza 
Corto  el  hilo  de  mi  vida. 

3)  Mas  pues  soy  tan  desdichada, 
Tan  Majestad  no  consienta 
Que  ese  Don  Martin  Gonzales, 
Esa  mano  injusta  y  fiera, 
Quiera  darmela  de  esposo; 
Contentese  con  mi  hacienda; 


696  I^a,s  spanische  Drama. 

Auskehr-Menuett,  die  des  französischen  Zieraffen,  der  Chimene, 
Ja  und  Nein  einander  gegenüber  auf-  und  abwärts,  in  entgegen- 
gesetzter Richtung  knicken  und  schleifen.  Jimena's  Seufzer,  mit 
dem  Tode  im  Herzen ,  werden  als  Todesseufzer  empfunden  und 
wirken  inGuillem's  Tragikomödie  tragisch;  die  seufzerlose  Hoch- 
tönigkeit  von  Chimene's  gespreizter  Tiraden-Pruderie  wirkt  in 
Corneille's  Tragödie  komisch. 

In  erfreulichstem  Abstich  zu  Jimena's  tragischer  Stimmung 
ergänzt  Guillem  de  Castro's  Cid  den  ersten  Theil  des  Drama's 
seiner  „Mocedades"  durch  den  heitersten  Schluss  zur  Tragico- 
media.  Sein  plötzliches  Erscheinen  wandelt  miteins  die  tiefste 
Trauer  in  die  höchste  beglückendste  Lust.  Die  Herzen  aller  An- 
wesenden fliegen  dem  jungen,  sein  Haupt  unversehrt  auf  den 
Schultern  dahertragenden  Kämpen  entgegen :  Das  Herz  des  Prin- 
zen Sancho,  dessen  Herzzipfel  der  junge  Volksheld  im  ersten 
Theil  der  Dilogie  noch  ist;  das  Herz  des  alten  Diego,  der  Ji- 
mena's  gegen  den  Sohn  gerichtete  Verfolgungs-Anklagen  mit 
seiner  väterlich  gegnerischen  Anwaltschaft  stetig  parallel  begleitete, 
und  nun  beim  angemeldeten  rumpflosen  Haupte  seines  Sohnes 
von  Neuem  auf  seiner  Wange  den  verhängnissvollen  Backenstreich 
glühen  fühlt 0,  die  ihn  in's  Gesicht,  und  zuletzt  nun  gar,  durch 
Rückschlag,  seines  kindlich  heldenhaften  Ehrenrächers  Gesicht 
selber  vom  Rumpfe  schlug;  das  Herz  der  Infanta  ürraca,  die 
in  rührender  Entsagungsliebe  sich  als  Parallelbild  zu  Jimena's 
kampfvoller  Resignation  aus  freien  Stücken  darbietet.  2)  —  Und 
ach!  ihr,  Jimena's  Herz!  Wir  haben  es  in  seine  zwei  Hälften 
zerreissen  sehen:  von  Trauerschmerz  über  Rodrigo's  ihr  zuge- 
sandtes Haupt,  und  vom  Schauder  ob  des  Aragonischen  Goliath 
blutiger,  ihr  zur  Vermählung  dargereichter  Siegerhand,  und  im 
Handumdrehen  alle  diese  Herzen  aus  tiefstem  Gram,  Schrecken  und 


Que  mi  persona,  seiior, 

Si  no  es  que  el  cielo  la  Ueva, 

Llevarela  ä  un  monasterio. 

1)  ^ Vencio  Don  Martin?  !Yo  muero! 

2)  Dona  ürraca  (zu  Jimena). 

Como  he  sabido  tu  pena 
He  venido  (ap.  Y  como  mia, 
Hartas  lagrimas  me  cuesta.) 


Rodrigo  mit  zwei  Köpfen.  697 

Kummer  umgeschnellt  zu  seligster  Freude,  wie  die  doppelten 
Ausrufungszeichen,  von  denen  immer  eines  dem  anderen  parallel 
gegenüber  auf  dem  Kopfe  steht,  plötzlich  bei  Kodrigo's  unver- 
sehenem  Anblick  aus  Wehklagelauten  in  Entzückungsrufe  um- 
schlagen, das  Unterste  zu  Oberst,  und  das  Oberste  zu  Unterst 
kehrend.  ^) 

König  Fernando  drappirt  seine  freudigen  Ausrufungszeichen 
majestätisch  mit  den  doppelten  Fragezeichen  würdeoller  Neugier 
auf  den  Urheber  solcher  Neuigkeits-Lügen.  -)  In  schwankhaft 
anmuthiger  Entgegnung  erfährt  der  Cid  die  Wahrheit  der  Bot- 
schaft: „Kommt  er  denn  nicht  wirklich;  Kodrigo's  Haupt  der  Ji- 
mena  darbieten?"  Und  mit  seinem  Kopf  auf  gut  castilisch,  zu- 
gleich auch  des  Aragonesischen  Goliath  Parallelkopf,  der  draussen 
auf  seiner  Lanzenspitze  steckt  !'0  Da  er  nun  als  Sieger  sein  eignes 
Haupt  der  Jimena  zustelle,  so  fordere  er  auch  den  in  ihrem  öffent- 
lichen Aufruf  verheissenen  Siegerpreis:   Jimena' s  Hand.^)    Ist 

1)  Diego.  iHijo  Rodrigo! 
Jimena.  jAy  de  mi! 

^Si  son  sonadas  quimeras? 
Sancho.        j  Rodrigo! 
Dona  Urraca. 

Vivo  le  quiero,  aunque  ingrato. 
,,Lebt  er  nur,  liebt  er  mich  auch  nicht!" 
Edles  anspruchsloses  Infanta-Herz !  das  bei  seiner  Freadenäusserung  selbst 
auf  die  Ausrufungszeichen  entsagungsvoll  verzichtet!    Lauf  denn  so  mit, 
liebt  man  Dich  auch  nicht! 

2)  De  tan  mentirosas  nuevas 
^Donde  estä  quien  fue  el  autor? 

3)  Cid.  Antes    fueron  verdaderas 

Que  si  bien,  lo  adviertes,  yo 
No  mande  decir  en  ellas 
Sino  solo  que  venia 
A  presentarle  ä  Jimena 
La  cabeza  de  Rodrigo  .  .  . 
De  Aragon  uu  caballero; 

Y  esto  es,  Senor,  cosa  cierta, 
Pues  yo  vengo  de  Aragon 

Y  la  de  Martin  Gonzales 

Estä  en  mi  lanza  alli  fuera  .  .  , 

4)  pues  le  doy 


698  ^^^  spanische  Drama. 

das  nicht  ein  Spass,  Geschwisterkind  mit  dem  des  Herakles  in 
Euripides'  Satyrspiel:  Älkeste?  ein  genuiner  Herculesspass?  Der 
die  Familientrauer,  wie  dort,  in  Festlust  und  Hochzeitfreude  um- 
wandelt? Der  die  Tragödie  zur  Komödie  durch  Zweikampf  aus- 
führt: dort  durch  Duell  mit  dem  Tode  selber  in  leibhafter  Ge- 
stalt; hier:  mit  einem  Goliath,  verhasst  wie  der  Tod?  Und  solchen 
prächtigen  Herculesspass  sollte  Jimena  dem  Könige  verderben?  0 
Dem  Prinzen  Sancho  verderben,  der  sie  mit  gefalteten  Händen 
bittet:  „thu's  doch,  mir  zu  Liebe !'^ 2)  Sollte  Jimena  ihren  Al- 
Ciden  und,  was  die  Hauptsache,  sich  selber  verderben  ?  Ein  holdes, 
süsses  Erröthen,^)  —  immerhin  unverwehrt!  Ein  Erröthen,  das 
die  letzte  Spur  von  der  väterlichen  Ohrfeige  auf  Diego's  Backe 
tilgt.  Ein  Schamerröthen,  das  die  spanische  Cid-Heldin  mit  einem 
Glorienschein  umglänzt,  und  der  französischen  die  tragische  An- 
stands-Schminke^)  von  der  Wange  sengt.  —  „Des  Himmels  Wille 
geschehe!"^)  Welcher  Himmel  für  den  spanischen,  und  welche 
Hölle  für  den  französischen  Cid,  der  am  Schluss  des  fünften  Actes 
zwischen  Himmel  und  Hölle  schweben  bleibt,  zwischen  Hangen 
und  Bangen !  Des  Himmels  „Schluss"  —  der  befriedigendste 
Schluss  für  die  spanische  Cid-Tragicomödia,  —  ist  für  die  schluss- 
lose, französische  Cid-Tragedie  eine  Verurtheilung  in  contumaciam. 
Das  wesentlich  vaterländische  Nationalinteresse,  das  Guillem 


De  Eodrigo  la  cabeza, 
Ya  me  debe  el  ser  mi 

1)  Eey.  Yo  pronuncio  la  seiitencia 

En  SU  favor. 

2)  Sancho.        Jimena,  hacedlo  por  mi. 

3)  Jimenn.        ;Ay  de  mi! 

Impideme  la  verguenza. 

4)  „Was  haben  sie**  (die  französischen  Tragödien  des  Corneille  und 
seiner  Schule)  „sonst  noch  viel  Gutes;  —  'Anständigkeit',  wird  man  sa- 
gen. —  Nun  ja,  Anständigkeit.  'Alle  ihre  Verwickelungen  sind  anständi- 
ger und  einfacher*  (als  die  der  Spanier);  alle  ihre  Theaterstreiche  an- 
ständiger und  abgedroschener;  aUe  ihre  Situationen  anständiger  und  ge- 
zwungener. Das  kömmt  von  der  Anständigkeit!"  Hamb.  Dramt.  St.  68. 
Corneille's  Melpomene  ist  eben  eine  Anstandsdame,  mit  dem  einen  Bein 
in  Spaniens  Kothurn,  mit  dem  andern  im  Halbstiefel  der  spanischen  Tragi- 
Komödie  daherstelzend.- 

5)  Jim.  Hare  lo  que  el  cielo  ordena. 


Anderweitige  Dramatiker  aus  Lope's  Schule.  699 

de  Castro's  zweiten,  aus  den  Cid-Legenden  und  Romanzen,  wie 
eine  Nelkenblume  aus  der  andern,  hervorgewachsene  Theil,  die 
„Segunda  Parte",  der  'Moeedades  del  Cid',  trägt,  dieses  spanische 
Nationalinteresse  entfremdet  gewissermassen  das  für's  castilische 
Königsthum  katastrophenreiche  Ergänzungs-Drama  zur  Cid-Dio- 
logie  einer  allgemeinen,  rein  literarischen  Mitbetheiligung.  Wir 
dürfen  uns  daher  auf  eine  nur  andeutende  Inhaltsskizze  beschrän- 
ken, die  uns  glücklicherweise  bereits  in  so  verlockender,  von  einem 
Virtuosen  in  der  Kunst,  das  Wesentlichste  mit  kräftigen  Strichen 
unter  Hauptgesichtspunkte  zusammenzudrängen,  dargebotener  Form 
vorliegt,  dass  wir,  im  Nutzen  unserer  Leser,  den  Auszugs- Abriss 
am  zweckmässigsten  einfach  wiedergeben  und,  wie  die  Wichtel- 
männchen beim  Auswandern,  die  aus  Keller  und  Speisekammer 
mitgenommene  ßeisezehrung,  so  auch  wir  unsere  Beute  auf  „Gänse- 
füssen*'  in  Sicherheit  bringen,  i) 


Andere  Trabanten,  Monde  und  Nebenmonde,  die  sich  noch 
um  Lope  de  Vega  als  zeitgenössische  Dramatiker  seiner  Schule 
oder  seines  Styls  gruppiren,  wollen  wir  in  unsere  Tafeln  eintragen, 
ohne  sie  weiter  mit  dem  analytischen  Tubus  zu  verfolgen.  Als 
einen  der  namhaften  dieser  Trabanten  verzeichnen  wir  den  Ri- 
cardo del  Turia,  einen  Mond,  der  von  Lope  de  Vega  sein 


„Der  zweite  Theil  der  ^Mocedades',  der  die  fernereu  Jugenderleb- 
nisse des  Cid  und  die  damit  zusammenliängenden  Begebenheiten,  die  Er- 
mordung des  Königs  Sancho  von  Zamora  u.  s.  w.  behandelt,  steht  dem 
ersten  in  Bezug  auf  Einheit  des  Interesses  nach,  nicht  aber  an  poetischen 
Schönheiten  im  Einzelnen.  Besonders  glücklich  sind  in  diesem  ächten  Na- 
tionalschauspiel Geist  und  Ton  des  spanischen  Mittelalters  getroffen.  Der 
Cid  trägt  hier  mehr  als  in  dem  ersten  Theile  jenen  hochfahrenden  und 
trotzigen  Charakter,  der  ihm  von  den  Komanzen  geliehen  wird;  überhaupt 
sind  die  Volkslieder  und  Chroniken  noch  fleissiger  benutzt.  Vorzüglich 
glänzt  im  dritten  Act  die  bewundernswerthe  Scene  von  dem  Kampfe  der 
drei  Söhne  des  Arias  Gonzalo.  Der  König  Sancho  ist  vor  Zamora,  in  wel- 
cher Stadt  er  seine  Schwester  belagert  hielt,  ermordet  worden.  Ein  Ritter 
aus  dem  königlichen  Lager,  Diego  de  Lara,  hat  die  Bewohner  von  Zamora 
der  Mitwissenschaft  um  den  Mord  angeklagt  und  sie  aufgefordert,  vier 
Kämpfer  zu  stellen,  gegen  welche  er  seine  Aussage  mit  dem  Schwerte 
erhärten  wolle.  Der  Greis  Arias  Gonzalo,  Befehlshaber  der  belagerten 
Stadt,  erscheint  mit  seinen  vier  Söhnen,  um  die  Ehre  von  Zamora  zu  ver- 


700  Das  spanische  Drama. 

ihn  sichtbar  machendes  Licht  in  dem  glänzenden  Lobpreis  empfing, 
den  Lope's  oftgenannte  Dichtungen,   SFilomena'  und  'Laurel  de 


theidigen.  *)  Trotz  seines  Alters  will  er  der  erste  in  der  Kampfbahn  seyn 
und  nur  mit  Mühe  kann  Sancho's  Schwester**),  deren  einzige  Stütze  er 
ist,  ihn  bestimmen,  zuerst  seine  Söhne  kämpfen  zu  lassen.  Die  Infantin, 
in  tiefer  Trauer,  steigt  auf  ein  Gerüst,  von  wo  sie  dem  Kampfe  zusehen 
will;  Arias  Gonzalo,  das  Herz  voll  trüber  Vorahnungen,  sitzt  neben  ihr. 
Gegenüber  auf  einem  andern  Gerüste  erblickt  man  den  Cid  als  Kampf- 
richter***) und  um  ihn  'her  die  vorzüglichsten  Ritter  des  castilianischen 
Heeres.  Der  Ankläger,  Diego  de  Lara,  tritt  hervor  und  gleich  darauf 
stellt  sich  auch  der  älteste  Sohn  des  Arias  ein,  beugt  sich  vor  der  Infan- 
tin, bittet  um  den  Segen  des  Vaters  und  beginnt  den  Zweikampf.  Nicht 
lange,  und  der  Jüngling  sinkt  tödtlich  getroffen  zu  Boden.  Der  Vater 
verbirgt  seinen  Schmerz  und  ruft  den  zweiten  Sohn  herbei. 

„Mein  Sohn,  der  Tod  Deines  Bruders  muss  Dir  noch  mehr  Muth  ver- 
leihen !  Er  ist  als  wackerer  Krieger  gestorben ;  räche  ihn  und  dank  ihm  so 


*)  Das  Motiv  der  für  den  Vater  durch  Zweikampf  vollzogenen 
Ehrenrache  im  ersten  Theil  der  Moced.  erscheint  im  zweiten  erweitert  und 
erhöht  zur  Ehrensühne  für  die  Vaterstadtf),  durch  einen  Vierkampf 
vollbracht. 

**)  Dona  Urraca. 

Cid.  A  mi  me  ha  tocado  el  ser 

Fiel  del  Campo, 
***)  Cid,  der  Thatenheld  reift,  auf  den  Lorbeeren  des  ersten  Theils 
der  Mocedades  im  zweiten  als  Kampfwärtel  ausruhend,  dem  Leidenshelden 
der  Verbannung  entgegen,  als  welcher  schliesslich  der  greise  Cid,  ,,auf 
hohem  Balcon'S  dem  für  seine  und  seiner  Töchter  Ehrenrettung  und  Til- 
gung seiner  Vaterschmach  ausgefochtenen  Zweikampf  zuschaut.  (Vgl.  Gesch. 
d.  Dram.  VIII.  S.  350  f.)  Der  betrübsamen  Entgegenreifung,  ach,  eines 
Actionshelden  zum  Passionshelden,  der  das  Zusehen  hat,  schier  so  betrüb- 
sam,  wie  das  ihrer  Reife  Entgegenfaulen  der  auf  ihren  Lorbeern  aus- 
ruhenden Mispel,  nämlich  auf  Stroh.  Ein  Drittstück,  worin  die  Moceda- 
des und  der  Cid  diesen  Ausgang  nähmen,  hätte  die  tragikomische  Dilogie 
zu  einer  tragischen  Trilogie  abgerundet,  die  aber,  dank  der  dilogisch -pa- 
rallelen Gestaltungsform  der  spanischen  Dramatiker,  sich  nur  im  Cid-Epos 
vollzieht. 


t)    Arias  Gonzalo. 

El  verte  traidora 

Libre  ami  patria  Zamora 

Me  ha  servido  de  consuelo. 


Der  zweite  Theil  von  G.  de  Castro's  Cid-Dilogie.  701 

Apolo',  auf  den  Valeiicianer  warfen,  und  das  dieser,  wie  Moses 
die  Lichthörner  verhüllte,   hinter  der  Larve   eines  Versedrania's 

für  das  Beispiel,  das  er  Dir  gegeben  hat!''*)  Der  Jüngling  legt  die  Lanze 
ein ;  die  Drommete  erschallt  von  Neuem,  die  Infantin  schaudert,  und  bald 
sieht  Arias  auch  das  zweite  seiner  geliebten  Kinder  todt  zur  Erde 
fallen.**) 

Diego  de  Lara.  Den  dritten  Sohn,  Don  Arias!  mit  diesem  hier  ist 
es  zu  Ende. 

Rodrigo  Arias.    Da  bin  ich!    Da  bin  ich! 

Arias.  Mein  Sohn,  ich  halte  mich  nicht  mehr;  ich  will  mit  Dir  in 
die  Kampfbahn  hinabsteigen;  bin  ich  in  Deiner  Nähe,  so  kann  ich  Dir 
eher  Anleitung  geben;  mein  Athem,  meine  Stimme  werden  Dich  er- 
muthigen. 

Rodrigo  Arias.  Du  scheinst  an  mir  zu  zweifeln,  mein  Vater.  Habe 
ich  nicht  seit  lange  gezeigt,  dass  ich  zu  siegen  und  zu  tödten  weiss?  Es 
schmerzt  mich,  dass  gerade  Du  mich  verkennen  kannst !  Wollte  Gott  ich 
hätte  die  Kampfbahn  vor  meinen  Brüdern  besteigen  dürfen !  ***) 


*)    Arias  Gonzalo. 

Con  la  muerte  de  tu  hermano 

Das  mas  fuerza  ä  tu  razon. 

Como  caballero  honrado 

Hizo  eterna  su  alabanza; 

Ve  ä  pagarle  en  la  venganza 

El  ejemplo  que  te  ha  dado. 
**)  Diese  Scenen  athmen  in  Wahrheit  das  heroische  Pathos  der  anti- 
ken Tragödie.  Hier  ist  Arias  Gonzalo,  der  Vater,  in  Lage  und  Seelen- 
stimmung der  Niobe,  die  ein  Kind  nach  dem  andern  stürzen  sieht.  Die 
Infantin  Urraca  wirft  zu  Arias  Gonzales'  Niobe-Situation  und  Niobe- 
schmerz  den  Parallel-Schatten.  Diesem  Paare  gegenüber,  läuft  ein  zweites 
immer  zwischendurch  nach  je  einem  gefallenen  Sohne  des  Arias  heran- 
schreitentes  Paar  parallel:  Kampfrichter  Cid,  und  der  Sieger  im  Zwei- 
kampf mit  Gonzalo's  nach  einander  den  Kampf  aufnehmenden  vier  Söhnen, 
Don  Diego  Ordoiiez  de  Lara. 
***)    D.  D.  Ord. 

Don  Arias,  envia  el  tercero: 

Que  el  segundo  he  despachado. 


D.  ßodr. 


Va  va,  Don  Diego,  ya  va. 

Padre,  ya  tengo  abrasada 
Toda  el  alma  por  salir. 


702  I^as  spanische  Drama. 

verbarg.  DerEicardo  del  Turia  ist  der  Pseudonym  eines  vor- 
nehmen Staatsbeamten  des  Don  Ferrer  de  Cardina,  Gouver- 


Die  Lanzen  werden  eingelegt;  Diego  de  Lara  zerschmettert  den  Helm 
des  Kodrigo  Arias,  dieser  aber  spaltet  mit  letzter  Kraft  dem  Pferde  sei- 
nes Gegners  den  Kopf;  das  sterbende  Steitross  trägt  seinen  Herrn,  der  es 
nicht  mehr  bemeistern  kann,  über  die  Schranken  hinaus.  Eodrigo  Arias, 
durch  den  Streich,  der  seinen  Helm  getroffen  hat,  selbst  tödtlich  verwun- 
det, sinkt  sterbend  in  die  Arme  seines  Vaters  und  denkt  selbst  im  letzten 
Augenblick  nur  daran,  zu  fragen,  wer  Sieger  sey.  Diego  de  Lara  will 
den  Kampf  von  Neuem  beginnen,  um  den  Sieg  zu  vollenden,  aber  man 
ruft  ihm  zu,  er  sey  besiegt,  weil  er  die  Schranken  überschritten  habe.  Es 
entsteht  ein  lebhafter  Streit,  der  zuletzt  dahin  beigelegt  wird,  dass  man 
erklärt,  Zamora  sey  von  dem  Verdacht  der  Theilnahme  an  Sancho's  Er- 
mordung gereinigt,  dem  Rodrigo  Arias  aber  müsse  der  Ruhm  des  Siegers 
zuerkannt  werden."  (v.  Schack,  II.  S.  442  ff.) 

Der  eigentliche  Schluss  —  ohne  „Gänsefüsse"  bemerkt!  —  schürzt  aber 
noch  den  Knoten  zu  dem,  uns  wissentlich,  weder  von  Guillem  de  Castro 
noch  von  einem  andern  spanischen  Bühnendichter  dramatisirten  Drittstück 
einer  Cid-Trilogie :  indem  König  Alonso,  der  Cid-Legende  und  der  Cid-Ro- 


Ar.  Gonz.  No 

Hay  mas  pacieneia,  Rodrigo  j 
Yo  quiero  salir  contigo 
A  ser  tu  padrino  yo, 

Y  asi,  en  el  trance  feroz, 
Mas  cercano,  mas  violento, 
Alcanzaräte  mi  aliento  .  .  . 

D.  Rodr. 

Ya  eso  parece  dudar 
En  lo  que  tengo  de  hacer 
^No  sabes  que  se  vencer? 
(iNo  sabes  que  se  matar?  ,  .  . 
Vamos,  que  corrido  estoy 
Que  en  mi  valor  dudaste  .  .  . 

Y  ojala  que  saliera 
Primero  que  mis  hermanos. 

Das  ausschliesslich  unter  dem  Geschoss  der  Gottheiten  leidsame,  wi- 
derstandslose Pathos  der  Niobe  und  ihrer  Kinder  erhöht  den  tragischen 
Druck  durch  das  Gefühl  der  Unausweichlichkeit  der  Götterahndung.  Das 
Widerstandsmoment  gegen  des  Schicksals  zermalmende  Gewalt  ist  ein  epi- 
sches, von  dem  germanisch  kriegerischen  Freiheitsgeiste  und  Ehr-  und 
Tapferkeitspathos  in  das  Drama  geworfenes  Ferment.  (Vgl.  Gesch.  d. 
Drama's  I.  S.  108  f.  II.  S.  301.) 


Bicardo  del  Turia.  703 

neurs  von  Valencia,  Regenten  der  Statthalterschaft  und  des  Ge- 
neral-Capitanats,  der  1641  starb;  und  dem  der  erste  Theil  der  schon 


raanze  gemäss,  den  ihm  vom  Cid  als  Bedingung  seiner  zu  leistenden  Va- 
salleuhuldigung  vorgesprochenen  Eeinigungseid  wegen  des  Verdachtes,  dass 
er,  König  Alonso  von  Leon,  irgendwie  bei  dem  Meuchelmorde  des  Kö- 
nigs Sancho  von  Castilien  seines  Bruders  betheiligt  gewesen,  zornentbrannt 
nachspricht  mit  den  Schwurfingern  an  dem  vom  Cid  ihm  vorgehaltenen 
Crucifixe.  König  Alfonso  schwört,  aber  Zornesfunken  dem  Cid  in's  Antlitz 
sprühend,  ob  dessen  Verwegenheit,  anstatt  huldigend  das  Knie  zu  beu- 
gen, seinem  Lehnsherrn  und  Könige  vorgesprochene  Eidesfluchformeln  ab- 
zuzwingen. Ein  Wortwechsel  entzündet  sich  wie  zwischen  Funken  und 
Pulver,  Zungen  treffen  aufeinander  wie  zwei  Schlachtschwerter.  Ein  Zungen- 
Zweikampf  von  gefahrvolleren  Folgen ,  als  der  grosse  Campeador  der  Zwei- 
kämpfe bisher  ausgefochten.  Entrüstet  reisst  sich  der  Held  vom  Könige 
los,  um  ein  glorreiches  Exil  anzutreten.  Unmuthsvoll  versinkt  der  König 
in  seinen  Löwengroll.  Da  erscheint  Dona  ürraca  als  versöhnende  Mitt- 
lerin; versöhnend  noch  zwischen  düsterem  tragischen  und  tragi-komischem, 
in's  Heitere  sich  aufhellenden  Ausgang.  An  ihrer  Hand  kehrt  Cid  wieder 
ein,  und  König  Alfonso  —  heimlich  von  Arias  Gonzalo  bedeutet,  der 
König  möchte  den  zu  Fürchtenden  bis  nach  der  Krönung  zurückhalten  — 
Don  Alfonso  giebt  dem  Helden  gute  Worte,  aus  dessen  Hand  er  die 
Krone  empfange.  Der  Volksheld,  königsgläubig,  wie  das  Volk  selber,  ist 
der  erste,  der  Vasallentreue  und  Gehorsam  dem  Oberlehnsherrn  angelobt, 
sorglos  wegen  des  Vernichtungsstrahls,  den  ein  persönlich  verletzter  König 
unversöhnlich  im  Busen  birgt  und  hegt,  um  ihn  zu  gelegener  Zeit  unver- 
sehens zu  schleudern.*) 

Zum  fröhlichsten  Ausgang  für  den  König  heitert  ihn  die  schöne  Sa- 
rac^nin,  Zaida**),  sein  Liebchen,  die  zweite  katastrophenreiche  Hälfte  der 
Cid-Dilogie  durch  die  Erklärung  auf,   dass  sie,  nach  empfangener  Taufe, 


*)    Ar.  Gonz.  (al  oido). 

Mira,  Senor,  que  te  importa 
Ahora  desenojarlo, 
Hasta  teuer  la  Corona, 
D.  Alonso. 

Vuelve,  Cid;  que  de  tu  mano 
Quiero  la  corona  yo. 
Cid.  Ya  de  servirte  me  incargo. 

**)  Als  Gefangene  der  Mauren  zu  Toledo  hatte  sie  dem  Könige 
Alonso  das  Leben  gerettet  (Act  H.)  Die  Belagerung  von  Zamora  und 
seiner  darin  eingeschlossenen  Schwester  TJrraca,  durch  König  Sancho 
von  Castilien,  und  dessen  Ermordung  durch  Bellido  de  Olfos  nimmt  den 
ersten  Act  ein  und  den  Anfang  des  zweiten. 


704  ^^^  spaiiisclie  Drama. 

erwähnten  Sammlung  der  vier  Valencianischen  Schriftsteller  ge- 
widmet ist.  Die  vier  Theaterstücke  des  Pseudonymen  Statthal- 
ters stehen  im  zweiten  Bande  der  zu  Valencia  von  Aurelio 
Mey  1616  unter  dem  Titel:  'Norte  de  la  poesia  espanol' 
(Wegweiser  der  spanischen  Poesie)  veröffentlichten,  gleichfalls  schon 
berührten  Komödiensammlung.  Pseudo-Turia's  vier  Comedias  liefern 
das  Widerspiel  zu  ihrem  Verfasser:  An  ihnen  ist  der  Name  acht  und 
das  Innere  ein  Pseudo-Gehalt.  Die  vier  genauen  Komödientitel 
lauten:  La  burladora  burlada  (Die  verspottete  Spötterin), 
die  unter  der  Larve  einer  verworrenen  Intrigue  und  stylistischer 
Nachlässigkeiten  doch  noch  eine  Art  von  dramatischer  •  Absicht 
und  einige  beziehungsweis  schätzenswerthe  Partien  birgt.  Wir 
sprechen  dieses  ürtheil  dem  reisigen  spanischen  Kritiker  und 
Herausgeber  von  Lope's  Dramaticos  Contemporaneos,  dem  Don 
Romanen  de  Mesonero  Romanos  auf  Treu  und  Glauben  nach, 
und  lassen  die  Comedia  aus  Rücksicht  ungelesen ,  damit  nicht 
unsere  Nachprüfung  unser  unbedingtes  Vertrauen  in  die  Einsicht 
und  Fähigkeit  des  Urtheils  eines  so  bewährten  spanischen  Dra- 
maturgen verdächtige,  auf  die  Gefahr  noch  obenein,  dasselbe  nur 
seiner  ersten  Hälfte  nach  zn  bestätigen.  Eine  Nachprüfung  der 
übrigen  drei  Stücke  aber  des  hinter  dem  Pseudo-Dichter  verbor- 
genen Statthalters  —  vermöge  der  Stellvertreterschaft 
(lugartenencia)  eigentlich  nur  eine  Art  Pseudonymen  Staatsamtes 
—  des  Ricardo  del  Turia  drei  andere  Comedias:  La  beli- 
gera  Espaiiola  (Die  kriegerische  Spanierin);  La  fe  pagada 
(Die  vergoltene  Treue);  Vida  y  martirio  de  San  Vicente 
(Leben  und  Märtyrerthum  des  heiligen  Vicente)  -  diese  drei  noch 
nachträglich  lesen,  welche  Romanos  selber  in  der  erste  Hälfte 
seines  über  die  burladora  burlada  gefällten  Urtheils  ausschliesslich 


nicht  mehr  Zaida,  sondern  Maria  heisse.  „Und  schon'^  —  versetzt  der 
vermählungslustige  König  —  „harrte  Dein  die  Hälfte  meiner  Krone.  Nimm 
hin  des  Gatten  Hand.    Zaida,  Deine  glückselige  Gattin  bin  ich."*) 

*)     Zaida.  Ya,  de  Zaida,  soy  Maria. 

D.  Alonso. 

Y  ya  te  estaba  esperando 

La  mitad  de  mi  corona; 

Toma  de  esposo  la  mano. 
Zaida.  Tu  dichosa  esposa  soy. 


Der  Licenciado  Juan  Gräjales.  705 

und  mit  Vorenthalt  der  zweiten  Hälfte  verwickelt  0:  Das  wäre 
die  unverzeihlichste  Oel-  und  Müheverschwendung,  da  unsere  Nach- 
prüfung im  günstigsten  Falle  und  beim  besten  Willen  auch  nicht 
mehr  zu  leisten  vermöchte. 

Ueber  den  dramatischen  Dichter,  El  Licenciado  Juan 
Gräjales,  Zeitgenossen  von  Lope  de  Vega,  ist  kaum  die  Iden- 
tität der  Persönlichkeit  festgestellt.  Theils  zweifeln,  theils  be- 
zweifeln die  Gelehrten,  ob  der  von  Eoxas  in  seiner  'Loa  de  la 
Comedia'  erwähnte  Komödiant  Gräjales^)  unser  Licentiat  sey. 

In  die  Tercera  parte  de  las  Comedias  de  Lope  de 
Vega  y  otros  autores.  Barcel.  1612.  Madr.  1613.  Barcel.  16!  4. 
sind  zwei  Stücke^  vom  Licenc.  Juan  de  Gräjales  aufgenommen, 
die  eine  Dilogie  bilden.  Die  Primera  parte  führt  den  Titel:  La 
prospera  fortuna  del  Caballero  'del  Espiritu  Santo: 
Die  glücklichen  Umstände  des  Caballero  vom  heiligen  Geiste; 
und  die  Segunda  Parte,  La  adversa  fortuna  del  caballero  del 
Espiritu  Santo:  „Die  unglücklichen  Umstände  des"  u.  s.  w.  Beide 
Stücke  behandeln  die  Erfolge  und  Abenteuer  des  römischen  Tri- 
buns Cola  di  ßienzi  (Nicola  Eenzi)  mit  sehr  geringem  Er- 


1)  „aquel  embroUo  incomprensible  y  menguado  desalino  snben  de 
todo  punto  en  su  fe  pagada,  en  su  beligera  espanola  (especie  de 
episodio  de  la  guerra  de  Arauco,  cantada  por  Ercilla)  y  en  La  vida  del 
Märtir  San  Vicente.  Als  Gegenprobe  gewissermaassen  zu  den  vier 
missglückten  Komödien  des  valencianischen  Pseudonymen dramatikers,  Ri- 
cardo deTuria,  führt  Romaneros  dessen  apologetische  Abhandlung  über 
Lope  de  Vega's  Komödienschule  (*Apologetico  de  las  Comedias 
Espanolas'),  welcher  Apologetico  den  zweiten  Band  der  angegeben  Val. 
Komödiensammlung  einleitet,  in  extenso  ein,  um  zu  zeigen,  ,,in  welcher 
sophistischen  Weise"  die  Mit-  und  Nacheiferer  jenes  grossen  Genius  des- 
sen Compositionsprincipien  vertheidigten.  *) 

2)  De  los  farsantes  que  han  hecho 
Farsas,  loas,  baites,  letras, 
Son  Alonso  de  Moral  es 
Gräjales,  Zarita,  Mesa. 


*)  —  documento  tan  curioso  como  poco  conocido,  que  me  parece  del 
caso  reproducir,  siquiera  no  sen  mas  que  para  hacer  ver  la  manera  so- 
fistica  con  que  se  defendian  por  entonces  las  condescendencias  del  gran 
genio.  a.  a.  0.  p.  XXIV. 

X.  ^  45 


706  Öas  spanische  Drama. 

folge  vonseiten'  des  Dichters.  ^)  Weit  schärfer  lautet  noch  das 
über  Gräjales'  Renzi  vom  Verfasser  der  Geschichte  der  drama- 
tischen Kunst  in  Spanien  ausgesprochene  Verdammungsurtheil.'^) 
Die  einzige  im  Kreise  der  von  Lope's  Zeitgenossen  gedichteten 
Dramen  nennenswerthe  Comedia  des  Licentiaten  Gräjales  ist: 
El  Bastarde  de  Ceuta.^) 
Die  Exposition  hat  an  Sonderbarkeit  vielleicht  nicht  ihres- 
gleichen. Eine  Mutter  spricht  im  Schlaf  und  klagt,  in  Gegen- 
wart ihrer  Tochter,  sich  des  Ehebruchs  an,  mit  dem  wie  an  ihren 
Gatten  gerichteten  Bekenntniss,  dass  ihr  Sohn  ein  Bastard.^)  In 
krampfhafter  Umarmung  der  Tochter,  als  sey  es  der  Gatte,  der 
sie  ermorden  wolle,  erwacht  sie.  Damit  nicht  ^enug,  erzählt  sie 
der  Tochter  den  Traum:  In  Abwesenheit  ihres  Gatten,  Capitan 
Melendez,  hätte  sie  dessen  Pähndrich,  Gomez  de  Melo, 
im  Schlafe  bewältigt.  Die  verzweifelten  Klagen  ihrer  Mutter  über 
den  Traum  beschwichtigt  die  Tochter,  Petxonila,  zwischen- 
durch mit  dem  Tröste:  es  war  ja  nur' ein  Traum. ^)  „Ich  ward 
von  ihm  schwanger."  —  „Besinne  dich  doch  nur,  Mutter,  du 
träumtest  nur  das  Alles.'^^j  „Ja,  aber  der  Traum  ging  in  Er- 
füllung.'^') Der  Bastard  ßodrigo  nennt  seinen  vermeinten  Vater, 
den  Capitan  Melendez,  'Senor'  und  'Capitan',  nicht  Vater. 
Die  Mutter  fragt  nach  dem  Grund,  da  der  Capitan  doch  sein 
Vater  sey.*)  Bastard  Rodrigo  bringt  lauter  halbschlächtige 
Bastardgründe  vor,  und  weiös  nur,  dass  die  Mutter,  so  oft  sie 


1)  „con  bien  escaso  merito."  Meson.  Eoiii.  a.  a.  0.  XXXIV.  —  2)  „In 
diesen  Stücken  sind  Anlage  und  Ausführung  gleich  roh,  die.Scenen  nur 
wie  durch  Zufall  zusammengewürfelt,  und  von  Berechnung  und  Gliederung 
des  Planes,  von  einer  poetischen  Intention,  die  das  Ganze  durchdränge, 
ist  nicht  ,die  Eede."  IL  S.  405.  —  3)  Flor  de  las  Comedias  de  Es- 
pana de  diferentes  Autores.  Quintaparte,  Madrid.  —  Alcala  1615.  Barcel. 
1616. 

4)  Elena.  Digo  pues  que  no  es  su  hijo. 

5)  Considera  que  fue  sueiio. 

6)  Elena.  Hiceme  prena  del. 
Petronila.    En  tu  entendimiente  vuelve; 

Que  lo  sanabas  diräs. 

7)  Esto  sone  y  es  verdad. 

8)  Elena.  Porque  no  le  Hamas  padre, 

Siendolo  ? 


Gräjales'  Com.  El  Bastavdo  de  Ceuta.  707 

ihn  erblickt ,  die  Augen  mit  einem  Thränenschleier  verhängt.  ^) 
Ist  es  denkbar,  dass  bei  einer  solchen  Lage  von  Mutter  und 
Sohn,  ein  Publicum,  das  kein  spanisches  ist,  einen  Pähndrich, 
wie  den  Gomez  de  Melo,  auf  der  Bühne  dulden  könne?  Und 
diesen  Fähndrich,  seinen  Traum- Vater,  kommt  der  Incubations- 
Bastard,  der  von  den  Göttern  seiner  Mutter  im  Schlaf  bescheerte 
Ehebrüchling ,  kommt  Eodrigo,  im  Auftrag  seines  Pseudo- Va- 
ters, des  Gap  it  an  Molen  de  z,  als  eingeladenen  Tischgast,  der 
Mutter  melden.  Und  um  diesen  Pähndrich  Gomez  muss  Elena 
von  ihrem  Gatten,  dem  Gapitan,  noch  Vorwürfe  darüber  hinneh- 
men, dass  sie  gegen  den  Freund  des  Mannes  einen  Widerwillen 
empfinde!  Gomez  erscheint  wirklich  zu  Tische,  mit  Aparte's 
über  Elena's  von  Schamgefühl  und  Thränen  gepeinigtes  Wesen 
und  Gebahren!  Und  ein  spanisches  Publicum  liess  sich  eine 
solche  Situation  gefallen,  ohne  die  schlafschänderische  Familie 
unter  faulen  Aepfeln  zu  begraben! 

Das  hierzu  parallele  Bastard-Gegenstück  bleibt  uns  nicht  ge- 
schenkt. Im  Kriege  mit  den  Mauren  in  Africa  hat  Gapitan 
M  elend  ez  von  einer  schönen  Mohrin,  Fatima,  gleichfalls  einen 
Bastarde  erzielt,  aber  nicht  im  magnetischen  Traumschlaf,  wie 
sein  Fähndrich,  sondern  in  vollkommen  wachem  Zustande  eines 
hellsehenden  Bankertvaters,  der  da  weiss,  was  er  macht,  nämlich 
einen  Parallel-Bastardo  von  Calpe  zu  dem  Bastarde  de  Genta. 
In  einem  harten  Kampf  auf  afrikanischem  Boden  ruft  Gapitan 
Molen dez  seinen,  aus  der  Kraft  der  Lenden  seines  Fähndrichs 
im  Schlaf  entsprossenen  Sohn  Kodrigo  zu  seiner  Befreiung  herbei 
gegen  die  üebermacht  der  Mauren.  Der  Schlaferzeugte  zieht 
aber  die  Schlafmütze  der  Bastardenfühllosigkeit  und  Feigheit  über 
die  Ohren,  thut,  als  höre  und  sehe  er  nichts  und  schleicht  da- 
von. 2)  Nun  kommt  des  Gapitan  maurischer  Bastarde,  Gel  in,  der 
Ghristenschlächter,  herangestürmt,  und  haut  seinen  natürlichen, 
aber  ihm  zugleich  unbekannten,  und  auch  ihn,   den  Sohn,  nicht 


1)  Sin  suda  el  verme  os  da  pena, 
Pues  jamas,  madre,  me  veis, 
Que  ä  mis  ojos  no  lloreis. 

2)  Kodrigo.       Quiero  hacer  qne  no  le  veo. 
Capitan.       (^Asi  hujes  y  me  dejas? 

45^ 


708  ^as  spanische  Drama. 

kennenden  Vater,  mit  seinem  an  der  Stimme  der  Natur  geschlif- 
fenen Kruramsäbel,  zum  Skandal  aller  Mohren,  ans  dem  Schar- 
mützel heraus.^)  Der  natürliche  Sohn,  Celin,  erstaunt  unbe- 
kannterweise über  den  unnatürlichen  Sohn  Rodrigo,  als  er  vom 
Capitan  vernimmt,  dass  ihn  derselbe  im  Stich  gelassen.  Von 
Wirkung,  von  unfehlbarer  Wirkung  ist  aber  diese  Schlussscene 
des  ersten  Actes,  trotzalledem. 

Im  zweiten  Act  trifft  Capitan  Melendez  mit  Celin, 
in  Ceuta,  zu  seiner  namenlosen  Freude  zusammen,  und  führt  ihn 
in  seine  Häuslichkeit  ein,  und  stellt  seinen  ihm  unbewussten 
Bastarde  seiner  im  Schlaf  aber  mit  einem  bewussten  Bastardo 
gesegneten  Gattin,  Elena,  als  seinen  tapfern  Lebensretter  vor. 
Celin  verliebt  sich  in  seine  natürliche  Stiefschwester  Petronila, 
aus  Elena's  erster  Ehe,  verbittet  sich  aber  die  Freundschaft  des 
Eodrigo,  der  seinen,  des  ßodrigo,  vermeinten,  und  seinen, 
des  Celin,  unbewussten  Vater,  den  feindlichen  Schwertern,  aus 
Bastard -Instinct,  überlassen.  Dieser  Instinct  erreicht  in  der 
Scene  des  zweiten  Acts,  wo  der  mütterlicherseits  bewusste 
Bastardo  ßodrigo,  seiner  Halbschwester,  Petronila,  den  letzten 
Ring,  den  ihr  seine  Spielsucht  gelassen,  mit  gezücktem  Dolche 
zu  entreissen  droht,  eine  solche  Stärke,  dass  sich  derselbe  gegen 
die  Vaterautorität  des  Capitan,  der  die  Stieftochter  vor  dem 
Raubmörder  schützt,  offen  auflehnt,  in  Gegenwart  der  Mutter,  und 
der  instinctive  Naturschrei:  „Du  bist  nicht  mein  Vater!"  den  Ca- 
pitan versteinert  vor  Entsetzen.  2)  Mit  einer  wüthenden,  dem 
Ex-Vater  mit  negativer  Naturstimme  zugeschleuderten  Heraus- 
forderung zum  Zweikampf  stürzt  der  Teufelssprösslin:;  davon.  Die 
unselige  Mutter  erklärt  das  nur  ihr  Erklärliche,  in  einem  Aparte, 
durch  Ahnungen,  deren  düstere  Schatten  über  die  Seele  wie  im 
Traume  hinfliegen.  ^)  'El  adulterio  es  sueno'.    Gleiche  Ahnungen 


1) 

Celin. 

No  podre 
Jurar  que  te  vi  en  mi  vida. 

Capit. 

Cosa  extrana  y  rninca  oida. 

2) 

Elena. 

^A  tu  padre? 

ßodrigo. 

No  es  mi  padre. 

3) 

Elena 

(ap.) 

Estas  son  sombras  de!  alraa. 

Angeträumte  Hörner.  709 

steigen  aparte  auch  in  der  Seele  des  Capitan  auf.  i)  Gewal- 
tiger Seelenkampf  im  stürmenden  Busen,  da  er  seines  Weibes 
Tugend  und  Treue,  heilige  Sittsamkeit  und  Keuschheit  erprobt 
hat.  Wie  lässt  sich  das  vereinbaren?  2)  Man  denke  Desdemona 
in  dieser  Lage,  der  Aehnliches  von  des  Mohren  Fähndrich,  Jago, 
hätte  passiren  können!  Wie  Othello  ruft  Capitan  Melendez:  „Ich 
kann's  nicht  glauben!" 2)  Elena.  „Schuldlos  fürchte  ich  die 
Strafe.  Welcher  Schmerz  ist  dem  vergleichbar!"  ...  Capitan. 
„Welcher  fürchterliche  Widersinn!  Welche  wahnsinnige  Einbil- 
dung!"*) Welche  musterhafte  Schlussscene  des  zweiten  Acts 
einer  durch  das  Schuldmotiv  verdammlichen  —  schlimmer!  — - 
einer  widerwärtigen,  abstossenden,  abscheulichen  Komödie! 

Das  parallele  Gegenbild  dazu  liefert  die  erste  Scene  des  drit- 
te n  Acts.  Aus  heissem  Kampfe  zwischen  Mauren  und  Christen 
stürzt  Colin  unverwundet  seiner  Mutter,  Fatima,  in  die  Arme. 
Ein  Medaillonbildniss  des  Heilands,  das  ihm  Petronila  gab,  und 
Colin  auf  der  Brust  trägt,  stumpfte  die  Spitzen  der  christlichen 
Schwerter.  Beim  Erblicken  des  Bildes  geräth  Fatima  in  fana- 
tische Wuth,  und  verlangt  vom  Sohne  die  Ermordung  des  Pedro 


1)    Capit.  (ap.) 

Si  me  hizo  traicion  Elena, 
Si  ha  faltado  de  la  fe 


Fuego  por  viento  suspiro 
Mi  mujer  me  hizo  traicion 
No  es  mi  hijo. 

2)  Capitan  (mirala). 

Pero  tanta  santitad 
En  tan  grande  compostura, 
Modestia,  amor,  hermosura, 
Virtud,  valor  y  humildad, 
Bondad,  respeto,  vergnenza, 
Modo  y  traza  de  vivir, 
<jComo  se  pudo  imprimir? 

3)  No  hay  razon  que  me  convenza. 

4)  Elena.  Sin  culpa  temo  la  pena; 

iQue  dolor  ä  este  se  igiiala?  .  . 
Capitan.      jQue  terrible  disparate! 

Que  imaginacion  tan  loca! 


710  l^as  spanische  Drama. 

Melendez,  in  dessen  Hause  Celin  dasBildniss  gefunden  haben 
will,  soll  sie  ihn  anders  für  ihren  Sohn  und  keinen  Christenhund 
halten.  „Was  Melendez  ihr  zuleide  gethan?"  Den  unauslösch- 
lichsten Schimpf.  Mehreres  darf  sie  nicht  über  die  Lippen  brin- 
gen. Der  Sohn  schwört  bei  Allah,  die  Mutter  zu  rächen  und  ihren 
Kränker  zu  tödten.  ^)  Ist  das  nun  nicht  wieder  eine  bewältigende 
Scene,  wo  Celin  im  Zweikampf  mit  Melendez,  zu  dem  ihn 
sein  Herz  unwiderstehlich  hinzieht,  aus  dessen  Andeutungen  auf 
Celin's  Frage,  ob  er  eine  Maurin  Fatima  Lela  kenne,  die 
Entehrung  seiner  Mutter  entnimmt,  und  zugleich  dass  sein  und 
seiner  Mutter  Entehrer  sein  Vater?  2)  Wie  die  Säule  von  paral- 
lelen Zink-  und  Kupferplatten  mit  elektrischen  Funken  einen 
chemischen  Process  erregt,  so  entladen  die  parallelen  Lagen  gleich- 
sam der  spanischen  Motivirung  und  scenischen  Incidenzen  die 
glänzendsten  Situationen,  aber  auch  mit  dem  gleichen  Zwiespalt 
des  dramatischen  Products,  wie  dort,  beim  chemischen,  zersetzt 
der  Process  die  Stoffe,  und  wirft  die  zwiespaltigen  Producte  nach 
entgegengesetzten  Enden,  dem  Zink-  und  Kupferpol. 

Capitan  Melendez  findet  die  Gattin,  nach  einer  aufge- 
regten Erörterung  mit  dem  Sohne,  der  abermals  der  Mutter  in's 
Gesicht  die  Vaterschaft  des  Capitan,  nach  der  Philosophie  des 
ünbewussten,  verläugnete,  eingeschlummert.  Pedro  Melendez 
setzt  sich  neben  die  Eingeschlafene.  Nicht  lange,  und  sie  be- 
ginnt laut  zu  träumen.  Eine  Scene  gestaltet  sich,  das  Kehrbild 
zu  der  von  Kleist's  Grafen  Strahl  mit  dem  im  magnetischen 
Traumschlaf  herzinnig  kosenden  Käthchen,  bis  auf  Käthchens 
magnetisch -mystisch -hyperromantische  Naivetät  und  Unschuld. 
Melendez'  Gattin,  Elena,  giebt  im  natürlichen  gesunden  Traum- 
schlaf ihrem  Manne  unumwunden  ünbewussten  Aufschluss  über 
Eodrigo's  Ursprung,  durch  eine  ebenso  vonseiten  der  Traumschlä- 
ferin  unbewusste  vom  Fähndrich  Gomez  de  Melo  bewerk- 
stelligte Incubation  —  mithin  eine  vonseiten  der  Schläferin  un- 


1)  Matarele,  por  Alä, 

2)  Celin.  Aguarda,  enemiga  madre; 

Que  el  espejo  de  mi  espada 
Veras  la  venganza  honrada 
de  la  ofensa  de  mi  padre  (vase). 


Situations-Scliraube.  711 

befleckte  Empfängniss.  Wie  Graf  Wetter  von  Strahl  lockt  unser 
Capitaii  der  Traumsprecherin  durch  Lauschfragen,  die  aber  zu- 
nächst selbstgesprächlich  gemeint  sind,  Geständnisse  ab.  „Sollte 
es  wahr  seyn,  was  Colin  sagte,  dass  dieser  Mensch  (ßodrigo) 
nicht  mein  Sohn?"  —  Elena  (im  Schlafe).  „Er  ist  nicht  Dein 
Sohn."  0  Die  bündige  Erklärung  genügt  ihm  nicht:  er  will  sie 
von  der  Erwachten  bestätigt  haben,  mit  Todesandrohung.  -)  Die 
unglückliche  legt  nun  die  General-,  richtiger:  ihre  Fähndrichs- 
Beichte  ab.  Selbst  nachdem  sie  in  jener  Beschlafungsnacht  er- 
wacht war,  hielt  sie,  noch  schlaftrunken,  den  Fähndrich  für  den 
Capitan,  zu  dem  er  sich  selbst,  aus  dem  Stegreif,  für  selbige 
Nacht  avancirt  hatte.  Nun  weiss  Melendez  genug.  Elena's 
breite  ßechtfertigungs-Casuistik,  begründet  in  dem  Thatbestand 
einer  halb  im  Schlafe,  halb  im  Wachen  erlittenen  Vergewal- 
tigung, verfängt  nicht  beim  Capitan.  Er  argumeutirt  ihre  uner- 
weisbare  Unschuld  zu  einer  thatsächlichen  Schuldbefleckung,  tobt 
und  schnaubt  Mord.  3)  Elena  flieht  nicht  den  Tod,  nur  die 
Schande.  ^) 

Der  tragische  Conflict  schwebt  in  dieser  Scene  auf  der  höch- 
sten Spitze.  Die  üeberbietung  durch  die  sich  anschliessende 
Scene,  wo  Gomez  de  Melo  den  Eodrigo  als  reuige  Abbitte 
leistenden  Sohn  'seinem  verläugnenden  Vater  zuführt -^j,   vermag 


1) 

Cap. 

^Si,  como  Cehn  me  dijo, 

No  es  aqueste  hombre  ml  'hijo? 

Elena. 

(Entre  suenos) 
No  es  tu  hijo. 

2) 

Capit. 

(Asela  de  un  brazo  y  despierta.) 

Elen 

Espera,  deten  la  mano; 
Yo  dire  la  verdad. 

Cap. 

Dila  pues,  6  vive  el  cielo 
Que  te  ha  de  costar  la  vida. 

3) 

Capit. 

jAh  mujer,  ah  Circe,  ah  fiera! 
iQue  bien  el  alma  me  dijo! 

Enganame  tu  humildad. 

4) 

Elen. 

No  el  morir,  mi  infamia  huyo. 

5) 

Goniez. 

Rodrigo  de  lo  que  ha  hecho 
Estä  —  arrepentido  .  .  . 

Sefior  ßodrigo,  y  besad 
A  vuestro  padre  la  mano. 


712  I^^s  spanische  Drama. 

nur  die  aufs  Aeusserste  gespannten  Federn  zu  lockern  und  zu 
erschlaffen.  Der  immerwiederkehrende  Uebelstand  in  den  spani- 
schen, von  Hause  aus  situationssüchtigen  und  auf  Theaterstreiche 
losarbeitenden  Dramen  tritt  auch  in  dieser  Folgescene  hervor: 
Das  ü eberschrauben  der  parallelen  Contrastwirkung,  das  va-banque 
Spielen  mit  dem  Situationsspiel.  Und  doch  kommt  dieser  Geistes- 
richtung eine  so  schlagfertige  Virtuosität  selbst  noch  in  Be- 
nutzung solcher  excentrischen  Situationswirkungen  zustatten,  dass 
die  überkünstelte  Steigerung  eine  gebotene  kunstreich  erfundene 
erscheinen  kann.  Aus  der  Zuführung  des  ßodrigo  durch  den 
wirklichen,  von  Elena's  eben  abgelegtem  Geständnisse  nichts 
ahnenden  Vater-Fähnrich,  lässt  der  Dichter  den  von  der  Bastard- 
schaft dieses  Sohnes  nunmehr  vollkommen  überzeugten  Pseudo- 
vater  die  Katastrophe  dadurch  entwickeln,  dass  dieser  den  vom 
Fähnrich  als  Nachtalp  erzeugten  Ehebruchssprössling  mit  allem 
Aufgebot  eines  beschimpften  Vatergefühls  zum  Rächer  seiner 
Entehrung  aufruft^);  und  dass  der  Bastard  dieses  Rächeramt 
eifrig  übernimmt,  und  war'  es  selbst  gegen  seinen  wirklichen 
Vater!-)  Im  flagrantesten  Widerspruch  mit  seinen  durchgängig 
kundgegebenen  Gesinnungen  gegen  den  von  seiner  —  wenn  wir 
den  Ausdruck  wiederholen  dürfen  —  negativen  Naturstimme  ver- 
leugneten Scheinvater,  die  jetzt  plötzlich,  offenbar  der  übersinn- 
reichen Katastrophenzuspitzung  und  dem  spanisch  Alles  über- 
spitzenden Ehrbegriff  zulieb,  erstickt  wird.  Nun  an  diese  Scene 
wieder  unmittelbar  die  Parallelcontrastscene  von  schroffster  Ge- 
genbildlichkeit angenestelt,  in  welcher  Colin,  der  Bastard  von 
Ceuta,  auf  seine  Mutter,  Fatima,  mit  gezücktem  Dolche  ein- 
dringt, weil  ein  Christ  ihn  zu  dem  gemacht  hat,  was  er  ist. 
„Ist  dieser  Christ''  —  schwingt  Colin  den  Dolch  —  „der  Ca- 
pitan  Melendez?"  Fatima.  „Wer  sagte  es  Dir?"  Celin. 
„Meine  Liebe;  die  Stimme  der  Natur." ^)  .  .  .    Und   als  er  der 

1)  Porque  el  padre  es  como  espejo, 
Adonde  reverberando 

El  sol  del  amor,  y  dando, 
Alcanza  el  Hjo  el  reflejo; 
Yo  soy,  Eodrigo,  afrentado. 

2)  Rod.  Sea  quien  fuera,  sea  mi  padre. 

3)  Celin,  ^Es  el  capitan  Melendez? 


Der  unbewusste  Vatermörder.  713 

Mutter  mit  der  Dolchspitze  an  der  Kehle  das  Geständniss  ent- 
rissen, dass  Capitan  Melendez  sein  wirtlicher  Vater,  durch- 
strömt auch  gleich  wieder  die  warme  Kindesliebe  für  die  Mutter 
sein  Herz,  die  ihn  als  Bastard  de  Ceuta  von  einem  ihm  so  theu- 
ren  Vater  auf  die  V^elt  gesetzt,  und  vergiebt  ihr  den  Schmach- 
flecken seiner  Geburt  ^) ,  den  er  im  Wasser  der  Taufe  rein  zu 
waschen  mit  der  Mutter  zusammen  nach  Ceuta  eilt.  -)  Die 
Taufe:  zu  der  Situationsgipfelspitze  des  Ehrenhochpunkts, 
die  sie  noch  überragende  Parallelspitze!  Konnte  nun  eine  aus- 
geklügeltere Katastrophenscene  folgen,  als  die,  wo  Rodrigo,  den 
ihm  vom  Pseudovater,  dem  Capitan ,  als  seinen  Ehrenkränker  be- 
zeichneten, aus  der  Spielstube,  bei  stockfinsterer  Nacht  eben  da- 
herkommenden Fähndrich  Gomez  deMelo  mit  Dolchstössen 
ermordet,  ohne  ihn  zu  erkennen.  „Er  sterbe"  —  stürzt  rachebe- 
friedigt Capitan  Melendez  davon.  —  „Er  sterbe,  der  mit  seinem 
Blut  den  Altar  des  Gottes  der  Ehre  sühnt!" ^;  Rodrigo 
bleibt  noch  bei  dem  Sterbenden  zurück,  für  den  seine  negative 
Naturstimme  keinen  kindlichen  Laut  hat  und  stumm  bleibt,  bis 
der  unter  des  Sohnes  Dolch  verblutende  Vater  sich  ihm  als  sol- 
chen zu  erkennen  giebt.  „Ich  kannte  Dich  nicht,  vergieb!"'*) 
sagt  dieser  im  Finstern  erzeugte  und  im  Finstern  den  Erzeuger, 


Fatima. 

iQuien  te  lo  dejo? 

Celin. 

Mi  amor, 
Naturaleza  .  .  . 

1) 

Fatima. 

Melendez,  Celin  amado, 
Es  tu  padre  natural. 

Celin. 

Es  tan  ä  mi  gusto  igual 
El  padre  que  me  habeis  dado, 
Que  enmudezco,  y  os  perdouo 
El  agravio  que  me  hicistes. 

2) 

Fatima. 

Yo  estoy  resuelta  ä  pasarme 
A  Ceuta  a  volverme  ä  Cristo. 

Celin. 

El  corazon  me  habeis  vesto; 
Con  Yos  he  de  bantizarme. 

3) 

Capit, 

Muera  quien  con  sacrificios 
De  sangre,  ä  sü  altar  propicios 
Sc  aplaca  el  dios  del  bonor. 

(Entrase.) 

4) 

No  te  conoci,  perdona. 

714  I^8,s  »panische  Drama. 

wie  in  Traumesdusel  ^) ,  erdolchende  Sohn.  Weder  Lope  noch 
Calderou,  oder  sonst  Einer  von  den  Kunstmeistern  der  spanischen 
Bühne  haben  das  in  parallelen  Situations-Gegensätzen  sich  zu 
den  luftigsten  Situationskatastrophenspitzen  emporschwindelnde 
Komödien-Schema  mit  grösserer  Kunstfertigkeit,  durchdachterer 
Steigerung  und  mit  tieferer  psychologischer  Berechnung  zu  Ehren 
gebracht,  als  dieser  Licenciad9  Juan  Gräjales,  über  dessen 
Persönlichkeitsidentität  die  spanischen  Biographen  und  dramatur- 
gischen Literaturgeschichtschreiber  im  Zweifel  sind  und  sie  mit 
Sicherheit  festzustellen  nicht  vermögen.  Was  den  Vergeltungs- 
begriff, die  tragische  Sühne,  anbetrifft,  so  ist  uns  kein  spanisches 
Drama  bekannt,  das  diese  Sühne  so  streng  und  furchtbar,  und 
so  aus  der  Tiefe  des  Schuldcharakters  entwickelt,  wie  dieses. 

Was  noch  folgt,  ist  ein  Aufräumen  mit  den  „Restern":  Ro- 
drigo's  Verhaftung  und  Verbannung,  ausgesprochen  durch  den 
Commissar  der  poetischen  Gerechtigkeit,  den  Austragsvollstrecker, 
Marques  de  Villareal;  ferner  Elena's  Rückzug  in  ein  Klo- 
ster; Celin's  und  Fatima's  Erklärung  zu  des  Capitan 
Füssen,  dass  er,  Pedro  Molen dez,  der  Vater  des  heldenhaften 
Mohrenjünglings,  und  dass  Sohn  und  Mutter  nach  der  heiligen 
Taufe  lechzen,  und  der  Sohn  nebenbei  nach  der  Hand  von  Melendez' 
Stieftochter,  Petronila  —  und  letzten  Endes  noch  als  Schluss- 
motiv und  historischer  Ausblick  in  eine  für  Portugal  verhängniss- 
volle Fernentiefe:  König  Sebastian's  Ankunft  mit  der  Flotte 
im  Hafen  von  Ceuta  auf  seiner  mit  der  grossen  Nationaltragödie 
schwangern  Expedition  nach  Africa,  deren  unheilvollen  Ausgang 
der  Maure  Colin  vorhersagt.'^)  Dem  üblichen,  hier  von  Mar- 
ques de  Villareal  an  das  verehrungswürdige  Publicum  ge- 
richteten Abschiedsgrusse  fügen  wir  den  unsrigen  an  den  Senado 
de  los  Criticos  Sonores  y  Dramaturgos,  in  Form  unseres  wieder- 
holten Ausspruchs  hinzu,  der  dahin  lautet,  dass  der  'Bastardo 
de  Ceuta'  des  verschollenen  Licenciado  Juan  Gräjales  zu 


1)  Rodr,  Ya  de  mi  sueno  despierto. 

2)  Celin.  Mucho,  padr^  mio,  temo 

Que  tu  rey  venga  a  buscar 
En  el  Africa  su  entierro, 
Pale,  padre,  por  perdido. 


Doctor  Godinez.  7I5 

den,  in  psychologischer  Beziehung,  merkwürdigsten,  in  ethischer 
Hinsicht,  unerträglichsten  Dramen  des  spanischen  Theaters  zählt. 

Doctor  Felipe  Godinez. 

Ausser  zwei  Empfehlungszeugnissen  über  Doctor  Godinez' 
poetische  Verdienste  um  die  Komödie,  das  eine  ausgestellt  von  Cer- 
vantes im  'Viage  al  Parnaso'^),  das  zweite  von  Montalvan, 
der  dem  Godinez  in  seinem  Tara-Todos'  testirt,  dass  derselbe 
eine  ungewöhnlich  grosse  Leichtigkeit,  Kenntniss  und  Geistesfein- 
heit für  diese  Art  von  Poesie,  für  Bühnenspiele  und  vornehmlich 
für  geistliche  Komödie  besass'^),  wissen  wir  von  dem  Besitzer 
dieser  gerühmten  Eigenschaft,  von  seiner  Persönlichkeit  und  seinen 
Lebensumständen  so  gar  nichts,  als  hätten  jene  ausgezeichneten 
Qualitäten  an  gar  keinem  Individuum  gehaftet,  und  als  sey  dieses 
nicht  mehr  denn  ein  unpersönliches  Fürwort  gewesen.  Ohne  die 
Aufschrift  über  Godinez'  in  einem  bändereichen  Schmökerwerk  zu- 
fällig entdecktem  Sonett,  wüsste  man  auch  dies  nicht,  dass  Se- 
villa sein  Geburtsort  war.  üeber  seinen  Geburts-  und  Todestag 
vollends  schwebt  ewiges  Grabesschweigen.  Und  doch  wird  ein 
halbes  Schock  mindestens  heiliger  und  weltlicher  Theaterstücke 
aufgezählt^),  die  mit  besonderem  Beifall  gespielt  worden.  Die 
Person  des  Dichters  löst  sich  in  Stücke  auf,  wie  in  Würmer. 

In  gedruckten  Sammlungen  finden  sich  von  Godinez'  geist- 
lichen Komödien  u.  a.  Los  trabajos  de  Job  (Hiobs  Leiden). 
La  Virgen  de  Guadelupe,  Aman  y  Mardaqueo  ö  la 
Eeina  Ester,  das  bekannteste  seiner  geistlichen  Dramen,  unter 
den  weltlichen  Komödien  zeichnet  sich  durch  „Gewandtheit  und 


1)  Este  que  tiene,  como  mes  de  mayo, 
Florido  ingenio,  y  que  comienza  ahora 
A  hacer  de  sus  comedias  nuevo  ensayo 
Godinez  es  .  .  . 

2)  ,,que  tiene  grandisima  facilidad,  conocimiento  y  sutileza  para  este 
genero  de  poesia,  particularmente  en  las  comedias  divinas.  —  3)  Parnassus 
t.  XXXIV.  fol.  231.  —  Unter  den  geistlichen  Spielen  werden  als  au- 
tographe  Manuscripte  genannt:  'El  divino  Isaac'  (Auto  sacra- 
mental  autografo),  San  Mateo  en  Etiopia.  El  soldado  del  Oielo 
San  Sebastian.    (Manuscript  von  1613). 


716  J^as  spanische  Drama. 

Eigenthümlichkeit  der  Intrigue,  Entschlossenheit  der  Handlung, 
Schönheit  der  Charaktere,  und  Correctheit  des  Styls"^)  aus;  Die 
Comedia  famosa 

Aun  de  noche  alumbra  el  sol. 
(Auch  bei  Nacht  scheint  die  Sonne.) 
Dona  Sol  Abarca  nämlich,  die  im  Auftrage  des  Königs 
Sancho  von  Navarra,  welcher  den  in  sie  verliebten  Kronprinzen, 
Don  Carlos  mit  der  Thronerbin  von  Aragon  zu  vermählen 
wünscht,  vo.n  ihrem  durch  Missverständniss  eifersüchtigen,  heim- 
lichen Gatten,  Don  Juan  de  Zuniga,  ermordet  werden  soll, 
und  die  der  König  zuletzt  in  Don  Juan 's  Armen  findet,  bei 
plötzlicher  das  Nachtdunkel  erhellender  Beleuchtung,  die  des 
Königs  Fackelträger  verbreiten.  Zugleich  betrifft  König  Sancho 
den  Kronprinzen,  Don  Carlos,  in  den  Armen  einer  andern 
Dame,  Doiia  Costanza,  die  der  Prinz  für  Dona  Sol  hält. 
Da  nun  der  glücklich  geschlungene  Knoten  sich  durch  die  Situa- 
tion selbst  löst,  und  Doiia  Sol  ohne  weitere  Aufklärungen  Licht 
über  die  Verwickelung  ertheilt,  so  steht  der  Titel  der  Komödie: 
„Auch  bei  Nacht  scheint  die  Sonne",  gleichfalls  im  schönsten 
Lichte  gerechtfertigt  da. 2)  Der  Knoten  schürzt  sich  ungefähr  so: 
Der  in  Dona  Sol  verliebte  Kronprinz  giebt  dem  Don  Jaime, 
dem  Freunde  des  Don  Juan,  Befehl,  diesen  aus  dem  Wege  zu 
räumen.  Don  Jaime  benachrichtigt  den  Freund  von  des  Prin- 
zen Anschlagt)  und  bestimmt  ihn,  im  Verein  mit  Doiia  SoP), 


1)  „por  la  facilidad  y  propiedad  de  la  hitriga,  la  economia  de  la  ac- 
cion  — -  la  beUezza  de  los  caracteres  y  correccion  del  stilo.  Kam.  Meson. 
Eomanos  a.  a.  0.  IL  Apunt.  biogr.  p.  XVIII. 

2)  Don  Juan.  Sol  es  aqui 

Que  desengana;  y  asi 

Lo  que  engaiia,  desengana. 

3)  Su  alteza  manda  que  os  mate. 

4)  Nachdem  sie  ihren  Entschluss  erklärt,  Don  Juan's,  ihres  Gatten, 
Schicksal  zu  theilen: 

Que  quiere  que  nos  conduzca 

A  un  fin  una  misma  vida. 
Nur  Don  Juan's   Besorgniss,   wegen   der  Gefahren,    die  seine  und  Dona 
SoFs  Ehre,  wenn  er  die  Gattin  allein  zurückliesse;  bedrohe,  ermuthigt  sie, 


Godiiiez'  Oom.  Aun  de  noche  etc.  7 17 

sich  durch  die  Flucht  zu  retten.  Don  Juan  hält  sich  in  der 
Nähe  von  Pampelona  einige  Tage  verborgen.  Mit  der  Trennung 
schliesst  der  erste  Act,  dem  nur  eine  einfachere  Ausdrucksweise 
und  minder  breitselige  Weitschweifigkeit  im  Dialog  zu  wünschen 
wäre.  Des  Herausgebers  Mesonero  Romano's  Lob,  bezüglich  der 
„Correctheit  des  Styls'S  bewahrheitet  der  erste  Act  demnach  nicht, 
wenn  anders  diese  „Correctheit"  keinerlei  Luxuriren  und  üeber- 
ladungen  der  Sprechweise  bedingt.  Sollte  die  „Eigenthümlich- 
keit  der  Intrigue"  auch  ihr  Häkchen  haben?  Die  Intrigue  knüpft 
zwar  eben  auch  nur  das  stehende  Motiv  und  die  obligate  Ver- 
wicklungsfigur der  spanischen  Komödie,  die  zur  Primadonna 
amorosa  zweite  Primadonna,  die  zu  jener  parallele  Eifersucht- 
Dame,  hier  Dona  Costanza,  welche  den  Don  Juan,  Dona 
SoFs  heimlichen  Gemahl,  liebt.  Doch  möchte  sich  das  Motiv 
ihres  Intriguenplanes  darin  von  ähnlichen  unterscheiden,  dass  sie 
durch  Liebesbriefe,  die  Dona  SoPs  Namen  tragen,  und  nächt- 
liche Zusammenkünfte  im  Garten  den  Prinzen  Don  Carlos 
täuscht,  um  den  Geliebten  vor  des  Prinzen  Eifersucht  und  Ver- 
folgungen zu  schützen.*)  Eine  Intrigue  also  in  edelster  Absicht, 
und  eine  schöne  Seele  mehr  im  Stücke.    Eine  Eifersuchts-Intri- 


zurückzubleiben,  um  dem  Gatten  einen  Beweis  ihrer  unerschrockenen  Ehr- 
barkeit zu  geben: 

Vete,  y  veräs  cuan  segura 
Armadas  huestes  desprecia  .  .  . 
Yo  quedo  conmigo  misma  .  .  . 
D.  Juan.       Yo  ire  donde 

Por  unos  dias  me  encubra. 
1)  Dona  Costanza  erklärt  sich  darüber  gegen   die  Kammerjungfer 
Ines: 

Y  como  para  aplicar 

AI  principe  el  medio  era 
Que  Sol  le  hablara  y  quisiera 

Y  ella,  enfin,  no  le  ha  de  hablar, 
Porque  el  piense,  aunque  engafiado, 
Que  tiene  ä  Sol  reducida, 

Y  asi  Don  Juan  tenga  vida, 
Que  este  solo  es  mi  cuidado, 
Hurtändole  ä  Sol  el  nombre 
A  hablarle  de  noche  vengo 
AI  3 ardin. 


718  I)as  spanische  Drama. 

gantiii  als  schöne  Seele  —  ist  allerdings  keine  gewöhnliche  Er- 
scheinung in  der  spanischen  Comedia,  so  wenig,  wie  ein  treuer 
Freund  und  Hüter  anvertrauter  heimlicher  Gattinnen,  gleich  dem 
Don  Jaime,  darin  so  leicht  zu  finden  wäre.  In  demselben 
Garten  hält  aber  auch  Don  Juan  mit  der  heimlichen  Gattin  dem- 
gemässe  Zusammenkünfte  unter  den  vielfältigsten  Schleiern;  dem 
Schleier  der  Nacht,  der  heimlichen  Rückkehr  aus  seinem  Ver- 
steck, den  Schleiern  seiner  ehelichen  Heimlichkeit.  Von  der 
treuen  und  schönen  Freundschaftsseele,  Don  Jaime,  erfährt 
König  Sancho,  der  Dona  Sol  standhafte  Abwehr  gegen  die 
Liebesbewerbungen  des  Prinzen.  Dadurch  spielt  die  Situation 
zwischen  König  und  Prinzen  in  jenem  Farbenwechsel,  ähnlich 
dem  Schillertafft,  der  Leibfarbe  der  spanischen  Komödie,  nur  dass 
die  Täuschungen  solchen  Changeant's,  solchen  Farbenwechselspiels, 
schon  in  dem  von  schönen  Seelen  gesponnenen  Fadengewebe  zu 
einer  edlen  Intrigue  liegen.  Das  Farbenspiel  ist  acht,  und  schil- 
lert nicht  blos  in  der  Sonne,  die  Sonne  selbst  (Sol)  taucht  sie 
in  ihre  genuine  Farbe.  Sie  strahlt  in  dieser  Farbe  sonnenächt  im 
nächtlichen  Gartendunkel;  in  einer  trefflich  geschlungenen  In- 
triguenscene,  woDonJuan,  unbemerkt,  den  herangeschlichenen 
Prinzen  sich  bei  Doiia  Sol  entschuldigen  hört,  dass  er,  gegen 
ihren  brieflichen  Wink^,  sich  diesmal  nicht  zu  einer  Zusammen- 
kunft einzufinden,  von  seiner  Liebe  bewältigt,  die  Weisung  nicht 
beachte.  Die  sonnenreine,  reiner  als  die  wirkliche  Sonne,  die  be- 
kanntlich nicht  fleckenlos,  unsere  Dona  Sonne,  wirft  des  Prin- 
zen, wie  sie  denken  muss,  unverschämte  und  verläumderische  In- 
sinuation mit  dem  Flammenschild  ihrer  Tugend  und  Liebestreue 
zurück.  Welcher  Schillertaö't ,  welcher  Changeant  in  des  hinter 
der  Kammerthür  lauschenden  Don  Juan  wallender  Seele  und 
seinen  farbenwechselnden  Aparte's!^)  Principe,  dessen  Täuschungen 


1)  Constanza^s  'Dona  Sol  Abarca'    gezeichnetes  Billet   hatte  Bon 
Juan's  Diener  Nebli  dem  Prinzen  zugestellt. 

2)  Don  Juan  (ap.) 

Confiada  ha  respondido; 
0  es  conocida  inocencia, 
0  es  que  me  parece  que  es 
Lo  que  me  holgära  que  fuera. 


Freuiidscliafts-Märtyrer.  7  [9 

durcli  Dorla  Costanza's  Pseudo-Sonneiijungfrauschaft  doch  eben- 
falls acht  in  der  Intriguen- Wolle  gefärbt  sind,  kann  sich  Dona 
SoTs  sittliche  Entrüstung  nur  mit  der  Verrauthung  erklären, 
dass  sie  von  einem  Lauscher  sich  behorcht  wissen  müsse,  und 
fordert  sie  auf,  ihm  in  ihr  Zimmer  zu  folgen.  Don  Juan's 
Aparte's  spielen  natürlich  in  allen  Farben  eines  ergrimmten  Cha- 
mäleon. Und  nun  das  Chromatrop  von  unzähligen  durcheinander- 
hüpfenden Intriguen-Farbenspielen,  das  Don  Jaime's  Dazwi- 
schenkunft  aufwirbelt!  Ein  Chromatrop,  dass  DonaSol  selber 
in  allen  diesen  Farben  zu  blitzen  scheint.  Ueberrascht  von  des 
Prinzen  Gegenwart,  giebt  Freundestreue  Don  Jaime's  schöner 
Seele  die  ächtgefärbte  Lüge  ein:  Er  bringe  Soldaten  mit,  um, 
des  Prinzen  Befehle  gemäss,  den  hier  irgendwo  verborgenen  Don 
Juan  zu  ermorden,  von  dem  aber  Don  Jaime's  Aparte,  in  treu- 
seliger Freundschaft  tröstlichem  Bewusstseyn,  sogleich  erklärt, 
dass  er  dort,  im  nahen  Dorfe  bei  Pampelona,  den  Freund  wohl 
geborgen  wisse  ^),  während  ihm  hier  die  Beschimpfung  seiner 
Ehre  erspart  werde.  Don  Jaime's  Aparte  hört  Don  Juan 
natürlich  nicht,  und  muss  sich  von  so  vielerlei  Verrath  seitens 
der  Geliebten  und  des  Freundes  bedroht  glauben,  als  das  Chro- 
matrop seines  Innern  Funken  der  verschiedensten  Farben  wirft. 
Dem  Principe,  noch  immer  sturmlaufend  auf  Dona  Sol's  Zimmer, 
um  den  Lauscher  daselbst  in  der  Mitternachtsstunde  an's  Son- 
nenlicht zu  ziehen,  schloss  Sol  die  Zimmerthür  vor  der  schnop- 
pernden  Nase  zu,  vor  welcher  aber  schon  im  selben  Wurf  der 
wieder  aufgesprengten  Thür  Don  Juan  steht,  mit  dem  kühnen 
Zuruf  der  prinzlichen  Nase  in's  Gesicht:  „Don  Juan  de  Zuniga 
bin  ich!"^)  Bis  auf  den  Principe,  lauter  treuschöne  Seelen, 
die,  nach  Maassgabe  ihrer  Aechtgefärbtheit,  im  falschen  Sonnen- 
licht erscheinen,  den  Prinzen  nicht  ausgenommen,  der  in  dem 
Verblendungsscheine  des  ihm  von  Dona  Costanza  gespielten  Truges 
doch  mindestens  bona  fide  strahlt.    Demzufolge  befiehlt  er  dem 


i)  D.  Jaime  (ap.) 

Buen  amigo  soy,  que  mientras 
Don  Juan  estä  allä  seguro, 
Yo  le  excuso  acä  su  afrenta 

2)  Don  Juan  de  Zaniga  soy. 


720  I^as  spanische  Drama. 

Don  Jaime  augenblicklich  mit  acht  von  seiner  Mannschaft 
den  Don  Juan  zu  greifen,  und  zwei  Mann  zur  Bewachung  der 
Dona  Sol  zurückzulassen,  damit  sie,  die  heldenthümlich  als 
Don  Juan's  angetraute  Gattin  dem  Prinzen  entgegentritt,  dem 
Könige,  wie  sie  gedroht,  keine  Anzeige  machen  könne.  Der 
Schluss  des  zweiten  Actes  lässt  jeden  der  Betheiligten  noch  ein- 
mal im  Schillertafft  der  kunstreich  gewebten  Intriguen-Situation 
mit  vierfachem  „Ay!",  jedes  mit  zweifachen  Ausrufungszeichen 
flankirt,  doppelfarbig  spielen.^) 

Wie  all  diese  *Ay's'  mitsammt  ihren  doppelten  Interjections- 
zeichen  als  Qlorienstrahlen  in  Dona  SoTAbarca's  Sonnen- 
antlitz aufleuchten,  ist  eingangs  unserer  Besprechung  dieser  vor- 
züglichen Komödie  —  des  Phönix-Nestes  zum  Sonnenvogel  durch 
sittliche  Schönheit  der  Charaktere  —  schon  angedeutet  worden,  und 
ist  nur  ergänzend  noch  hinzuzufügen,  dass  der  gefangen  gehaltene 
Don  Juan  von  seinem  treuen  Freunde,  Don  Jaime,  Aufklä- 
rung über  Alles  erhält,  nachdem  er  ihm,  im  Auftrage  des  Königs, 
die  Freiheit  angekündigt  und  ihn  in  einer  leider  nur  wieder  zu 
redseligen  und  wortreichen  Scene  zum  Monarchen  beschieden.  Was 
Don  Juan's  Diener  Nebli  (Weihe)  von  sich  sagt,  kann  jede 
der  Personen  in  Doctor  Godinez'  Komödie  von  sich  sagen: 
„Ich  bin  ein  grosser  Vielwortemacher.  "^)  Dies  sagt  Nebli  in  der 
Scene,  wo  der  Prinz  von  ihm  erfährt,  dass  Costanza  die  Zu- 


1)  Dona  Sol. 

jAy,  que  amor  tan  desdichadol 

Principe. 

jAy,  que  ingratitnd  tan  bella! 

Don  Jaime. 

jAy,  qnien  es  raosträra  el  alma! 

Don  Juan. 

;Ay,  que  ä  un  tiempo  me  hacen  guerra. 
Un  rey  que  de  nada  cura*) 
Un  principe  que  gubierna, 
Una  mujer  que  me  agravia, 
Y  un  amigo  que  me  niega! 

2)  Yo  soy  un  gran  hablador. 


*)  Dieser  Don  Sancho  König  von  Navarra  führt,  wegen  seiner  Sorglo- 
sigkeit im  Regieren,  den  Beinamen  'El  Encerrado  Don  Sancho',  „der  ein- 
geschlossene Don  Sancho'*,  der  sich  um  nichts  kümmert. 


Sonnenaufgang.  721 

senderin  des  ihm  durch  Nebli  überbrachten  Briefchens.  Die  Ent- 
täuschung des  Prinzen  hält  Costanza  nun  selber  noch  hin, 
indem  sie  ihn  zu  einem  angeblichen  Stelldichein  mit  Sol  in  deren 
Namen  auffordert.  Principe  flattert  auf  den  Flügeln  eines  Licht- 
falters, um,  galt  es,  sich  an  der  Sonne  zu  verbrennen. ^)  Dieses, 
wie  uns  dünkt,  nicht  eben  glückliche,  behufs  Hinhaltung  einer 
zuletzt  noch  einmal  aufgewundenen  Verwickelung,  hineinge- 
flochtene Incidens  bringt  Sol  abermals  in  Gefahr,  von  Don 
Juan,  und  noch  obenein  im  xluftrage  des  Königs,  ermordet  zu 
werden.^)  Schon  schwebt  Don  Juan's  Dolch  über  Dona  Sol  im 
Finstern,  als  der  Prinz  mit  Dona  Costanza  eintritt,  die  er  als 
Sol  anspricht.  Nun  erst  klärt  sich  Alles  mit  Hülfe  von  König 
Sancho's  leuchtenden  Fackelträgern  auf,  doch  durfte  schon  vor 
der  Erscheinung  des  Königs  mit  Windlichtern  im  Dunkel  des  Ge- 
maches, wo  sich  die  beiden  Paare  zusammenfinden,  Dona  Sol 
triumphirend  rufen:  „Sieh,  trotz  der  Finsterniss,  leuchtet  die 
Sonne  auch  bei  Nacht  l""^)  um  ihr  Haupt  mit  dem  Titel  des 
Stückes,  wie  mit  einem  Paradiesvogel,  oder  gar  wie  mit  dem 
Vogel  Phönix  ihre  wieder  hell  und  glänzend  aufstrahlende  Ehre 
schmücken.  Der  Prinz  ist  bereit,  die  Thronerbin  von  Aragon 
heimzuführen,  und  ersucht  den  Don  Jaime,  um  sich  vor  Co- 
stanza's  Ansprüchen  sicher  zu  stellen,  dieser  die  Hand  zu  rei- 
chen, wobei  Don  Jaime,  der  Costanza  liebt,  nur  gewinnen 
kann,  wie  er  sagt.^) 

Das  Verdienst  der  einzigen  Comedia  des  Valencianers  Mi- 
guel Beneyto,  der  als  Mitglied  der  mehrbezielten  „Academia 
de  los  Nocturnes''  seit  1591  darin  das  Amt  eines  Thürhüters 
(portero)  unter  deto  Namen  *Sosiego'  (Ruhe)  verwaltete,  ist,  un- 
serem zuverlässigen  Währmann,  Mesonero  zufolge,  so  gering, 
dass  er  diese  einzige,  *E1  hijo  obe diente'  benamsete  Comedia 


1) 

Quiero,  aunque  muera  abrasado, 

Ser  mariposa  del  Sol. 

2) 

Yo  puedo  seguramente 

Matarte;  que  el  rey  lo  manda. 

3) 

Vea,  a  pesar  de  la  sombra 

Que  Ann  de  noclie  alumbra  el  sol. 

4) 

Yo  soy  quien  gano. 

X. 

46 

722  I^as  spanische  Drama, 

in  seine  Sammlung:  'Dramaticos  Contemporaneos  de  Lope  de 
Vega'  aufzunehmen  Bedenken  trug.^)  Und  wir  sollten  auf  den 
einzigen  Sammelband,  wo  Beneyto's  einzige  Comedia  ein  un- 
terkommen fand,  Jagd  anstellen,  um  über  sie  in  unseren  Samm- 
lungen Worte  zu  machen,  welche  nicht  blos  die  mit  Lope  de 
Vega  zeitverwandten  dramaticos,  sondern  auch  die  dramaticos  vor 
und  nach  Lope  zu  umfassen  haben?  So  muss  denn  schon  die 
einzige  Komödie  des  Thürstehers  der  „Akademie  der  Nächtlichen" 
im  schattigen  Dunkel  der  zwölf  Comedias^),  deren  Dutzend  sie 
voll  macht,  bis  zum  jüngsten  Tage  begraben  bleiben,  wo  ihr  der 
Richter  über  die  Todten  und  Lebendigen  eine  selige  Urständ 
schenken  möge. 

Denselben  frommen  Wunsch  schicken  wir  auch  der  einzigen 
Tragedia  des  Licenciado  Mexia  de  la  Gerda  in  die  Ewig- 
keit nach,  und  um  so  berechtigter  zu  diesem  Wunsche,  da  Mexia 
de  la  Cerda's  einzige  Tragedia  Doiia  Ines  de  Castro  heisst, 
mithin  als  Ines  de  Castro-Tragedia  der  Gruppe  zufällt,  deren  Er- 
örterung wir  bis  zur  Besprechung  der  Aeltermutter  aller  Ines- 
Tragödien,  der  Ines  de  Castro-Tragödie  des  Portugiesen  Antonio 
Ferreira,  verschieben  zu  wollen  und  zu  sollen  feierlich  ange- 
lobt, gelegentlich  der  ältesten  spanischen  Ines-Tragedia,  der  'Ines 
lastimosa'  des  B ermüde  z,  die  eben  nichts  als  eine  üebertragung 
jener  portugiesischen  ist.^)  Muss  sich  doch  das  Musterstück  in 
der  Gruppe  der  Ines-Tragödie:   Luis  Velez  de  Guevara's^) 


1)  Su  merito,  ä  mi  juicio,  es  tan  escaso,  que  no  la  he  juzgado  digna 
de  colocarla  entre  las  de  aquellos.  —  2)  Doce  Comedias  de  cuatro 
poetas  naturales  de  la  insigne  y  coronada  cindad  Valencia.  —  Valencia 
por  Anrelio  Mey,  1608.  ~  3)  Gesch.  d.  Dram.  IX.  S.  192. 

4)  Auf  diesen  möglichen  Fall  hin,  dass  Luis  Velez  de  Guevara  mit 
seinem  Drama  ein  Judicium  exspectans  in  alle  Ewigkeit  für  unsere  Ge- 
schichte bliehe,  wollen  wir  nur  rasch,  gleich  an  dieser  Stelle,  einige  Worte 
über  den  immerhin  namhaften,  schon  um  seinen  weltläufigen  satirischen 
Roman  'El  diablo  cojuelo'  (Der  hinkende  Teufel),  rühmenswerthen  Zeitge- 
nossen Lope  de  Vega's,  eine  Hand  voll  Erdschollen  oder  Blumen,  ihm  auf 
den  versenkten  Sarg  nachwerfen* 

Luis  Velez  de  Guevara,  zu  Ecija  in  Andalusien  um  1570  geb.^  studirte 
auf  der  Hochschule  in  Sevilla,  kam  früh  nach  Madrid,  wo  er  als  Advocat 
und  Schriftsteller  sich  bald  Euf  und  Stellung  eroberte.  Beide  Beschäf- 
tigungen wirkten  in  seinem  Geiste  so  einträchtiglich,  dass  er  einmal  durch 


Don  Luis  Velez  Guevara.  723 

'Reina  despues  de    morir':  „Eine  Königin  nach  dem  Tode",  bis 
zu  der  in  Aussicht  gestellten  Gesammtbesprechung  der  Ines-Dra- 


ein  munteres  in  seine  pathetische  Vertheidigungsrede  eingeschaltetes  Volks- 
liedchen in  dem  Gerichtssaal  die  heiterste  Stimmung  hervorrief,  die  für 
den  Wahrspruch  zugunsten  seines  Clienten  den  entscheidenden  Ausschlag 
gab  und  diesen  vom  Tode  rettete.  Infolge  der  Appellation  des  Staatsan- 
walts oder  Fiscals  wurde  freilich  der  Inculpat  in  zweiter  Instanz  zur  ge- 
setzlichen Strafe,  zum  Tode  verurtheilt.  Als  König  Philipp  IV.  von  dem 
sonderbaren  Fall  Kunde  erhielt,  liess  er  den  wunderlichen  Advocaten,  der 
seine  Clienten  mit  Gassenhauern  vertheidigt  und  die  Eichter  mit  chacaras 
besticht  und  umstimmt,  vor  sich  kommen.  Der  Bänkelsänger  auf  der  Ad- 
vocatenbank  trug  dem  Könige  den  Fall  in  so  ergötzlicher  und  lustiger 
Weise  vor,  dass  der  König  nicht  nur  dem  Advocaten  die  in  höherer  Instanz 
ihm  auferlegte  Geldstrafe  erliess,  sondern  auch  den  zum  Tode  Verurtheilten 
zu  einfacher  Festungsstrafe  begnadigte.  Den  lustigen  Gesellen  liess  König 
Philipp  nicht  wieder  los.  Er  nahm  ihn  in  seinen  Dienst,  als  Komödiendich- 
ter für  sein  Hoftheater  zu  Buenretiro ,  für  welches  Philipp's  IV.  geübtes 
Auge  in  Guevara  bald  eine  vorzügliche  Begabung  entdeckt  hatte,  die  des 
Königs  eigenen  Theaterstücken  zustatten  kamen,  an  die  Guevara  die  letzte 
Hand  zu  legen  hatte,  mitunter  auch  die  erste.  So  warm  and  wohlig 
hatte  sich  der  heitere  Gast  gebettet,  dass  er  neben  der  Gunst  des  Königs 
bald  auch  die  des  höchsten  Mäcenatenadels  in  Madrid  und  die  allerhöchste, 
die  Gunst  des  Theaterpublicums  genoss;  die  allerköstlichste  und  süsseste, 
die  des  schönen  Geschlechtes,  ungerechnet,  um  die  er  sich  eifriger,  als 
um  die  Auszeichnungen  aller  andern  Gönner  bewarb,  eifriger  als  seiner 
Gesundheit  und  seinem  Alter  frommen  mochte,  so  eifrig,  dass  die  Bewerbung 
um  jene  allerbeglückendste  Huld  mit  dem  Alter  und  der  Zerrüttung  sei- 
ner Gesundheit,  mit  der  Nichtberechtigung  folglich  seiner  Ansprüche,  zu- 
nahm, bis  der  Tod  das  umgekehrte  Verhältniss  durch  Umkehren  seines 
Stundenglases  im  November  1644  zum  Stillstand  brachte.  Pellicer,  in 
seinen  „Avisos  historicos",  giebt  folgenden  kurzen  Tagesbericht  über 
das  Ereigniss:  ,, Madrid,  15.  Nov.  1644.  Vergangenen  Donnerstag  starb 
Luis  Velez  de  Guevara,  gebürtig  aus  Ecija,  Kammerdiener  seiner  Maje- 
stät (ugier  de  cämar  de  sua  majestad),  berühmt  als  Verfasser  von  mehr  denn 
400  Komödien,  hochberühmt  durch  sein  grosses  Genie,  seine  treffenden  in  Aller 
Munde  lebenden  Einfälle  und  Witz  werte,  und  als  einer  der  besten  Hofcavaliere 
Spaniens.  Er  starb  im  Alter  von  74  Jahren.  Seine  Testamentsvollstrecker 
waren  die  Grafen  von  Demos  und  Herzog  von  Veraguas,  in  dessen  Diensten 
sein  Sohn,  Don  Juan  Velez,  steht.  Bestattet  wurde  er  im  Kloster  von 
Dona  Maria  de  Aragon,  in  der  Grabcapelle  der  Ferren  Herzoge  von  Ve- 
raguas, eine  seinen  Verdiensten  gezollte  Ehrenauszeichnung.  Gestern  fan- 
den   die   Bestattungsfeierlichkeiten    in   derselben  Kirche    statt   mit    aller 

46* 


724  I^äs  spanische  Drama. 

men  vertrösten  lassen!  Ja  Guevara's,   eines   der  wohlberufen- 
sten Kunstmeister  neben  Lope  de  Vega,  anderweitige  nicht  un- 


Pracht, als  gälten  sie  einem  vom  höchsten  Rang  und  Adel,  da  an  der 
Feier  die  vornehmsten  Herren  und  Caballeros  der  Residenz  theilnahmen.*^ 
Hohes  Lob  spendet  Cervantes  dem  Luis  Velez  Guevara  in  seinem 
*Viage'*),  Lope  de  Vega  im  'Laurel  de  Apolo',  vom  „Lorbeerwalde**, 
wo  an  jedem  Baume  ein  Dutzend  Dichter  ersten  Ranges  in  effigie  hangen 
und  prangen,  und  jeder  mit  der  Lorbeer  kröne  als  seines  Hauptes  Privat- 
lorbeerkrone. Luis  Velez  de  Guevara  ist  gar  Ecija's  „nuevo  Apolo"  selber.**) 
Lope  de  Vega's  Posaunenengel,  Montalvan,  nimmt  nicht  weniger  beim 
Lobespsalm  des  Guevara  die  Backen  voll  in  seinem  *Para-todos\  Der 
treffliche  Montalvan  war  eben  ein  Posaunenengel  para  todos.  Demzufolge 
sind  Guevara's  400  Comedias  eben  so  viele  unvergleichliche  Meisterstücke, 
was  vielleicht  die  ^/s  verloren  gegangenen  gewesen  seyn  mochten.  Das 
von  ihnen  noch  vorhandene  Vs  i^^g  etwa  drei  bis  vier  Comedias  enthalten, 
die  zu  den  bessern  der  spanischen  Bühne,  keinesweges  zu  den  besten,  am 
wenigsten  zu  den  Meisterwerken  ersten  Ranges  zählen.  Als  jene  bessern 
und  Guevara's  beste  sind  zu  preisen:  Das  historische  von  unserer  Ge- 
schichte schon  belobte  und  in  den  Hauptumrissen  gezeichnete  Drama***), 
*Mas  pesa  el  Rey  que  la  sangre'  (Mehr  wiegt  der  König  als  das 
Blut).  Ein  Blut-König  besonders,  wie  der  in  diesem  Geschichtsdrama: 
König  Sancho  el  Bravo.  Zu  den  nicht  an  sich,  wohl  aber  zu  Guevara's 
besten  Stücken  gehört  ferner  seine  gleichfalls  mehrfach  schon  belobpreiste 
Ines-de  Castro-Tragödie  (Reinar  despues  de  morir),  die  Mustertragödie  der 
Gattung.  Als  Guevara's  Allerbestes  dürfte  endlich  die  Comedia  *La  Luna 
de  la  Sierra' t)  zu  rühmen  seyn,  deren  höchster  Werth  und  Ruhm  darin 
liegt,  dass  sie  zu  Franc,  de  Rojas'  Meisterwerk,  ^Garcia  del  Castanar', 
Modell  gestanden;  wie  Guevara's  schätzbarer  Comedia,  'La  Nina  de  Go- 
mez  Arias',  der  vom  grossen  Calderon  an  ihr  begangene  Prometheus- 
Raub  zur  höchsten  Ehre  gereicht.  Den  schönsten  Glanz  verleiht  dem  klei- 
nen Lichte  der  Diebstahl,  den  das  grössere  oder  gar  ein  grösstes  an  ihn 
begeht,  wie  ja  die  Sonne  selbst  eigentlich  erst  nach  Prometheus'  an  ihr 


*)  Es  poeta  gigante,  en  quien  alabo 

El  verso  numeroso,  el  peregrino 
Ingenio. 
**)  Ni  en  Ecija  dejara 

El  florido  Luis  Velez  de  Guevara 
De  ser  su  nuevo  Apolo  .  .  . 
Asi  sus  versos  de  oro 
Con  blande  estilo  la  materia  esmaltan. 
***)  VUI.  S.  485.  —  t)  Von   Mesonero  abgedruckt   aus   *  Flor  de  los 
doce  mejores  Comedias'.    Madr.  1652. 


Alberto  Lista  und  Guevara.  725 

bedeutsame  Dramen  können  eine  Aufnahme  in  unsere  von  dra- 
matischen Schattenseelen  übervolle  Charon-Barke  dieses  Bandes 


verübtem  Plagiat  berühmt  geworden.  An  dem  ephemeren  klebrichten  Schleim- 
licht eines  Johanniskäferchens  zündet  kein  Calderon  und  Shakspeare  seine 
Fackel  an:  ein  auf  literarischen  Blättern,  dank  dem  Dunkel  seiner 
Leistungen  und  dem  Verwesungsphosphor,  glänzender  Leuchtwurm  ist  vor 
solchem  Plagiat  sicher. 

Am  unglimpflichsten  beurtheilt  Alberto  Listä  unsern  Velez  de  Gue- 
vara. Seinem  Zeitgenossen,  Lope  de  Vega,  reicht,  Listä  zufolge,  Luis  Guevara 
nicht  an's  Knie.  *)  Einem  Riesen  wie  Lope  nicht  an's  Knie  reichen  —  da- 
bei kann  ein  Dichter  wie  Guevara  seinen  Kritiker  immer  noch  um  Kopfes- 
länge überragen.  „In  komischem  Salz  und  in  Charakterzeichnung  steht 
Guevara  tief  *  unter  Tirso  de  Molina;  in  der  Versification  darf  er  sich  dem 
Mira  de  Mescua,  in  der  Kunst  eine  Fabel  zu  führen,  dem  Montalvan  nicht 
vergleichen,  wiewohl  er  diesem  vielleicht  in  SchAvulst  der  Phrase  und  in 
der  Uebertreibung  der  AfTecte  gleichkommen  mag.  Fast  alle  seine  drama- 
tischen Fabeln  sind  Geschichtsfiguren  oder  geben  sich  dafür  aus.  Ta- 
merlan**),  Skanderbegh***),  König  Desideriusf),  Atilaft)  — 
diese  geschichtlichen  Personen  entstellt  Guevara  durch  die  Eisenfresser- 
sprache und  Raufboldsitten,  die  er  ihnen  zutheilt.  Guevara  findet,  wie  Virues, 
an  Theatergetümmel  und  Spectakel  Geschmack,  und  führt,  wie  dieser, 
allegorische  Figuren  ein.  ftt)  Seine  Versification  ist  im  Allgemeinen  ent- 
weder niedrig  oder  gongorinisch ;  sein  Styl  schwach  und  nervlos  .  .  . 
Selten  lassen  sich  bei  ihm  poetische  Absichten  erkennen,  und  noch  seltner 
tiefe  Combination.  Seine  dramatischen  Hülfsmittel  sind  insgemein  äusserst 
beschränkt.  Dessungeachtet  muss  man  ihm  eine  Art  von  Verdienst  zuer- 
kennen, welches  darin  besteht,  dass  er  die  Handlung  nicht  ihres  Werthes 
entkleidet,  wenn  sie  an  sich  so  beschaffen  ist',  dass  sie  allgemein  mensch- 
liche Empfindungen  und  ein  eigenthümliches  Interesse  erregt;  diesem  Ver- 
dienste, und  diesem  allein,  verdankte  Velez  den  Ruf  seiner  Komödie, 
und  hat  er  die  Erhaltung  und  vielfachen  Wiederholungen  seiner  Ines  de 
Castro  auf  unsern  Theatern  bis  auf  den  heutigen  Tag  zu  danken.  Der 
.  müsste  jeglichen  Urtheils  baar  seyn,  der  von  dem  Charakter  der  unglück- 
lichen Ines  de  Castro  nicht  gerührt  werden  könnte.    Velez,  ob  sein  Ge- 


*)  muy  inferior  en  la  sal  comica  y  en  la  descripcion  de  caracteres.  — 
**)  La  nueva  era  de  Dios  y  Tamorlan  de  Persia.  —  ***)  El 
Principe  esclavo,  6  Escanderbech.  —  f)  El  cerco  de  Roma  por 
el  Rey  Desiderio.  -  ff)  Atila,  azote  dö  Dios.  —  ftt)  Gusta  mucho 
de  la  bambolla  y  del  aparato  teatral,  como  Virues,  y  entroduce,  como  el, 
personages  alegoricos. 


726  I^as  spanische  Drama. 

nicht  mehr  beanspruchen,  wenn  sie  überhaupt  noch  eine  üeber- 
fahrt  und  Gestellung  vor  das  kritische  Todtengericht  möchten 
zu  gewärtigen  haben. 


sclimack  gleich  äusserst  schlecht  war,  war  doch  nicht  von  allem  Talent 
enthlösst."*) 

Dergleichen  harte  Strafurtelverlesung  hält  in  der  Eegel  das  aus  dem 
kritischen  Tintenfass  emportauchende  schwarze  Gespenst,  triefend  von 
Galläpfelsäure,  Kupfervitriol  und  Schimmel,  das  entweder  von  grünspan- 
farhenem  Misswollen,  oder  von  der  oberflächlichen  Kenntniss  des  Gegen- 
standes, aus  dem  Bodensatz  des  Tintenhorns  vom  Kritiker  heraufbeschwo- 
ren wird.  Listä  gesteht  selbst,  dass  er  nur  einige  wenige  von  Velez  Gue- 
vara's  Stücken  kennt,  und  diese,  muss  man  glauben,  nur  obenhin.  Das 
ist  so  eine  specifische  Feindseligkeit  kritischer  back-biters:  unbekannte  oder 
nur  oberflächlich  gekannte  Geistesproducte  mit  Zelotenwuth  zu  verfol- 
gen, solche  gerade  am  gehässigsten  hinter  ihrem  Rücken  zu  verlästern 
und  zu  verleumden,  und  die  Gewissensbisse,  dass  man  sie  doch  nur  von 
Weitem,  par  distance,  oder  gar  nicht  kennt,  durch  Schlangenbisse  in  die 
Ferse  zu  beschwichtigen,  die  das  Gegentheil  eben,  eine  intime  Bekannt- 
schaft nämlich  mit  dem  Gebissenen,  beweisen  sollen.  So  fällt  der  Ver- 
fasser der  *Ensayos'  über  ein  aus  Guevara's  Komödienliste  herausgegriffe- 
nes Drama  'Los  celos  hasta  los  cielos,  y  desdichada  Estefania' 
her,  die  nicht  von  Guevara  ist,  sondern  allem  Anschein  nach  von  Lope  de 
Vega,  in  dessen  Werken  (t.  XII.)  sie  steht.  Ferran  Ruiz  de  Castro 
ermordet  aus  Eifersucht  seine  Gattin  Estefania,  Tochter  König  Alfon- 
so's  VII.  (El  Emperador),  deren  Unschuld,  nachdem  er  sie  im  Bette  er- 
stochen, zutage  kommt,  wie  Desdemona's,  nachdem  sie  der  Mohr  in  den 
Bettpolstern  erwürgt  und  erstickt  hat.**)  Listä  sticht  noch  anderweiti- 
gen Comedias  famosas  unter  Guevara's  Firma'  in  die  Ferse,  wie  La  Ro- 
mer a  de  Santiago,  die  offenkundig  den  Tirso  de  Molina  zum  Verfasser 
hat,  unter  dessen  gesammelten  Komödien  sich  dieselbe  befindet.***)  Fer- 
ner La  duquesa  de  Sajonia  (Cumplir  dos  Obligaciones  y  Duquesa  de 
Sajonia),  ein  muthmassliches  Product  des  jungen  Guevara,  Don  Juan  de 
Guevara,  wovon  gleichfalls  eine  Inhaltsangabe  bei  Herrn  v.  Schack  sich 
findet,  der  sie  dem  alten  Guevara  zuschreibt.  Der  von  seinen  Landsleuten 
so  hochgehaltene  spanische  Kritiker,  Alberto  Listä,  verbeisst  sich  demnach 


*)  Velez,  si  bien  su  gusto  era  pesimo,  no  estaba  desprovisto  de 
talento.  Ensayos  literar.  y  criticos.  Sev.  1844.  40.  t.  II.  p.  144  ff.  — 
**)  Herr.v.  Schack  giebt  den  Inhaltsauszug.  IL  S.  486  f.  —  ***)  ,,que  es 
notariamente  de  Tirso  de  Molina"  sagt  Mesonero,  im  Widerspruch  gegen 
Schack,  der  in  dem  Drama  Guevara's  Eigenthümlichkeit  erkennen  will, 
und  einen  Fabelauszug  mittheilt  a.  a.  0. 


Verschiedene  Theaterstücke  verschiedener  Herrera's.  727 

Die  Theaterstücke  der  verschiedenen  Herrera's,  deren  Cer- 
vantes in  seinem  'Viaje  al  Parnaso'  gedenkt  —  Eodrigo,  Pedro, 
Don  Juan,  Don  Jacinto  und  anderer  Herrera's  —  diean- 
dalusischen  Herrera's,  worunter  Fernando  de  Herrer a,  als 
lyrischer  Dichter  der  berühmteste  i) ,  ganz  beiseite  gestellt  — 
drängen  sich  an  uns  mit  keinem  anderen  Erfolge,  als  dem,  dass 
wir  ihnen  in  corpore  den  Laufpass  geben  und  sie  in  Pausch  und 
Bogen  morboviam,  d.  h.  den  Weg  alles  Fleisches  gehen  heissen.^) 

Fast  sämmtliche  Comedias  des  Salas  Barbadillo  (geb.  zu 
Madrid  um  1586,  gest.  1630)  stehen  in  seinen  Novo  las,  wovon 


obenein  in  zweifelhafte,  fragliche  Stücke,  in  Afterstücke  von  Guevara,  die  er, 
der  Kritiker,  mit  dem  Eücken  angesehen,  während  er  die  genuinen ,  die  aner- 
kannt trefflichsten  des  Luis  Velez  Guevara,  wie  schon  berührt,  nicht  ein- 
mal mit  dem  Eücken  ansah.  Die  beiden  Cerkopen  oder  Aft'endämonen, 
die  Herkules  in  einem  Schulterstock  über  seinen  Rücken  herunterhängend 
heimtrug,  und  die  bei  dieser  Gelegenheit  des  Helden  kolossales  schwarzes 
Hintertheil  (Melampygos)  zerkratzten,  müssen  zwei  Kritiker  gewesen  seyn, 
ein  Paar  Recensenten  oder  Essayisten. 

1)  Einige  Notizen  über  diesen  Herrera  enthält  die  von  der  Akademie 
von  Sevilla  gekrönte  Preisschrift:  Historia  y  juicio  critico  de  la 
Escula  Poetica  Sevillana  en  los  siglos  XVI.  y  XVII.  Memoria  escrita 
por  D.  Angel  Lasso  de  la  Vega  y  Argüelles  etc.  y  precedida  de 
una  carta  del  lUim.  Sr.  D.  Jose  Amador  de  los  Rios.  Madr.  1871.  — 
2)  kws  den  von  Baena  erwähnten*)  und  andern  von  Don  Rodrigo  de  Her- 
rera, Si  Yago-Ritter,  verfassten  Comedias**),  hat  Mesonero  die  letzte: 
Del  Cielo  vien  el  buen  Rey  (Vom  Himmel  kommt  der  gute  König), 
für  den  IL  Band  seiner  Dram.  Comtemp.  de  L.  de  Vega  (BibL  Aut.  Esp. 
t.  45),  ausgewählt.  Aus  den  Comedias  des  Don  Jacinto  de  Herrera 
y  Sotomayor  (Bibliothekar  im  Dienste  des  Cardinal -Infanten  Fernando 
de  Austria,  den  er  nach  Brüssel  begleitete  (f)  1647):  die  „hübsche"  Co- 
media  'Duelo  de  honor  y  amistad'  (Kampf  zwischen  Ehre  und  Freund- 
schaft). Wenn  sie  wirklich  die  ,, hübsche"  (linda)  Comedia  ist,  als  welche 
sie  Mesonero  rühmt,  so  wird  sie  auch  ohne  uns  ihr  Fortkommen  finden 
und  bei  dieser  Gelegenheit  hübsch  unterwegs  bleiben. 


*)  Biografias  Matritenses  (Hijos  ilustres  de  Madrid  1789).  Buena  führt 
folgende  Dramen  des  R.  Herrera  an:  El  voto  de  Santiago  y  batalla 
de  Clavijo.  El  primer  templo  de  Espana  y  El  segundo  Obispo  de 
Avila.  —  **)  Gastigar  por  defender  (nebst  der  Com.  burlesca  gleichen 
Titels);  El  major  triunfo  de  Julio  Cesar;  La  fe  no  ha  menester 
armas  o  venida  delingles  äCadiz;  Del  cielo  viene  el  buen  rey. 


728  ^^^  spanische  Drama. 

Nie.  Anton,  und  Baena  eine  lange  Liste  angefertigt.  Dia  Come- 
dias  sind  niemals  in  besonderem  Abdruck  erschienen.  Die  beste 
darunter:  Galan,  tramposo  y  pobre  (Liebhaber,  falscher  Spie- 
ler und  armer  Schlucker)  nahm  Mesonero  in  seine  Sammlung  auf. 
Wir  lassen  sie  [ruhig  in  |den  Morpheus- Armen  der  Novelas  fort- 
schlummern. Lope  de  Vega's,  Montalvan's  und  Nicolas  Antonio's 
überschwengliche,  diesem  Barbadillo  gespendete  Lobeserhebungen 
sind  für  uns  die  Schlummerlieder  dazu,  oder  die  in  den  ewigen 
Schlaf  sie  feierlich  singenden  Grabgesänge. 

Wie  Salas  Barbadillo,  ist  auch  Don  Alonso  del  Castillo 
Solorzano  mehr  durch  seine  Novelas^)  als  seine  Dramen  ge- 
kannter Zeitgenosse  Lope  de  Vega's.  Und  gleiclk  dem  Barba- 
dillo, schaltete  Solorzano  in  seine  Novellenbücher  dramatische 
Spiele  ein,  wie:  'La  torre  de  Florisbella';  'La  fantasma 
de  Valencia;  El  majorozgo  Figura;  El  marques  de  Ci- 
garral,  letztere  beiden  von  Mesonero  seiner  Sammlung  einver- 
leibt. Den  Marquis  de  Cigarral  hat  Scarron,  der  hinkende  Ehe- 
teufel der  Maintenon,  dem  Ludwig  XIV.  seine  Kukuksteufels- 
eier  in's  Nest  geheckt,  unter  dem  Titel  'Don  Japhet  d'Armenie, 
übersetzt.  Wie  Scarron  die  spanische  Komödie  zu  seiner 
Maitresse  kebste,  so  übersetzte  Louis  XIV.  die  Maintenon  aus 
dem  Scarron'schen  in's  Concubinische.  In  unseren  an  Dramen- 
Analysen  reichsten  aller  Serail-Harems  kann  Solorzano's  vom 
spanischen  Herausgeber  zu  den  besten  'figuron'-Stücken  ge- 
zählten Cigarral-Comedia  nur  eben  flguriren,  ohne  sich  auf  das 
zugeworfene  Favoriten-Schnupftuch  spitzen  zu  dürfen. 

Von  den  Lebensumständen  des  Novellen-Dramatikers  Solor- 
zano weiss  man  nur,  dass  er  Secretär  beim  Vicekönig  von  Va- 
lencia, Don  Pedro  Fajardo,  gewesen.  Für  sein  Ansehen  in  der 
Zeitliteratm-  spricht  Lope  de  Vega's  Laurel,  der  auch  ihn  über 
die  grünen  Bäume  seines  Lorbeerwaldes  rühmt  und  auch  dem 
„prodigioso  ingenio",  der  „copia  de  su  fertil  genio"  nicht  genug 
Lorbeerkränze  flechten  kann.  Die  Dramaticos  Contemparo- 
neos  des  Lope  de  Vega  sind  nun  einmal  die  Planeten,  die 


1)  'La  Garduna  de  Sevilla',  'Las  liestas  del  jardin',  'Las  noches  del 
placer  honesto',  und  mehr  dergleichen  aus  dem  Bereich  der  Lesewelt  und 
selbst  der  Literatur  verschwundene  Novellen. 


Diego  Ximenes  Enciso.  729 

sich  um  ihn,  als  ihre  Sonne,  bewegen,  und  die  denn  auch  diese 
nicht  anders  als  mit  den  Strahlen  ihrer  Lobesspenden  vergolden 
kann. 

Unter  den  Dutzend  Dramen  des  Don  Diego  Jimenes 
Enciso  ragt  seine  Comedia  famosa:  'Los  Medicis  de  Flo- 
re ncia'  so  hoch  empor,  wie  der  Dichter  selbst  sich  über  die 
Dramatiker  seiner  Geburtsstadt  Sevilla  erhebt,  die,  Stapelplatz  und 
Emporiumdes  spanischen  Welthandels  im  16.  und  17.  Jahrhundert, 
der  lyrischen  Poesie  günstiger  als  der  dramatischen  sich  erwies  i), 
den  arabischen  Geistescharakter  bewahrend.  Als  bedeutendsten 
der  Sevillanischen  Bühnendichter  kennzeichnet  den  Jimenes 
Enciso,  nächst  dem  genannten  novellistisch -geschichtlichen 
Drama  'Los  Medicis'^),  das  Dramenpaar:  ^El  principe  D. 
Carlos'  und  'La  major  hazana  de  Carlos  V.'  („Die  grösste 
That  Carls  V.",  die  Abdankung  nämlich).  Von  beiden  giebt  G. 
V.  Schack  eine  Inhaltsandeutung,  auf  die  wir  verweisen.^)  Don 
Carlos,  in  den  Grundstrichen  vielleicht  geschichtlicher,  als  Schil- 
ler's,  gehalten,  ist  trotzdem  eben  so  ungeschichtlich,  da  kein  spa- 
nischer Dichter  aus  Philipps  IL  noch  warmer  Asche  die  gefähr- 
lichen Funken  historischer  Wahrheit  zu  blasen  wagte.  Unzweifel- 
haft aber  steht  Enciso's  Don  Carlos  dem  Schiller'schen  an  poe- 
tischer Wahrheit  nach,  da  der  Spanier  alles  Licht  auf  den  vä- 
terlich so  milden  und  hochherzigen  Philipp  IL  wirft  und  alle 
Schatten  auf  den  halb  wilden  und  halb  verrückten  Prinzen,  an- 


1)  —  que  los  grandes  poetas  de  la  escuela  sevinaiia ,  ä  pesar  de 
sü  numeu  brillante  e  imaginacion  vivisima  solo  aprosechavan  estas  dotes 
en  la  poesia  Urica.  Angel  Lasso  de  a  Vega,  a.  a.  0.  p.  151.  ~  2)  Mon- 
talvan  führt  sie  in  seinem  Para-todos  an,  als  „Vorbild  und  Kegel  für  alle 
grosse  Komödien'*  (pauta  y  ejemplar  para  todas  las  Comedias.  Und  Can- 
damo  schreibt  dem  Enciso,  aufgrund  dieses  Drama's,  die  Erfindung  der 
Capa  y  espada  Comedia  zu,  wahrscheinlich  wegen  der  vielen,  dieser  spa- 
nischen Komödiengattung  eigenthümlichen  Verwickelungen,  herbeigeführt 
durch  das  Grundmotiv  der  alten  Familienfeindschaft  der  Pazzi  und  Me- 
dici,  die  um  die  Heldin  des  Drama^s,  Isabela,  aus  der  Familie  de'  Pazzi, 
und  die  drei  Medicis,  Cosme,  Duque  Alejandro  und  Laurencio  spie- 
len, von  denen  Cosme  der  einzige  edle  und  biedergesinnte  sich  bekundet, 
während  sie  die  beiden  andern  mit  Trug  und  Eänken  zu  umgarnen  stre- 
ben. —  3)  a.  a.  0.  n.  S.  527  f. 


730  öas  spanische  Drama. 

statt  für  solche  Entartung  und  solchen  ingrimmigen  Eigenwillen 
die  Hyänennatur  des  Vaters  zu  tragischer  Verantwortung  zu  ziehen, 
dessen  Schatten,  wie  der  Hyäne  ihrer,  vergiftend  und  verzehrend 
wirkte.  Dieser  Mangel  an  poetischer  Charakterwahrheit  und  Ge- 
rechtigkeit muss,  in  unseren  Augen,  Enciso's  Drama,  *E1  Principe 
Don  Carlos',  im  Vergleich  zu  Schiller's,  als  das  dem  Geiste  und 
der  inneren  Wahrheit  nach,  ungeschichtlichere  kennzeichnen.  Von 
einer  Königin  Elisabeth  ist  natürlich  hei  Enciso  nicht  die  allerleiseste 
Andeutung  zu  finden.  Don  Carlos  liebt  eine  Dame  Violante 
mit  der  Liebeswuth  eines  brünstigen  Tollhäuslers  und  trachtet 
auch  einzig  dahin,  den  Namen  der  Violante  etymologisch  zu  be- 
gründen, stolpert  aber,  wie  so  mancher  mit  einem  conatu  violento 
oder  violante  an  einem  Worte  sich  versündigender  Philolog  — 
stolpert,  im  Dunklen  nach  der  Violante  herumtappend,  über  die 
Leiche  seines  Vertrauten,  Mens  de  Monbeni,  (St.  EeaPs  und 
Schiller's  Marquis  Posa),  mit  dem  Enciso's  Don  Carlos  ganz 
Flandern  zu  revolutioniren  und  zu  violantiren  sich  verschworen,  und 
den  er  nun  beim  Lichte  gleichzeitig  herbeigebrachter  Fackeln 
erdrosselt  vor  sich  liegen  sieht,  —  beim  Fackellicht  besehen,  ein 
Theaterstreich  vom  reinsten  Wasser,  „aber"  —  wie  unsere  Auto- 
rität von  der  zuverlässlichsten  Gewährschaft  versichert  —  „ein  The- 
aterstreich, doch  unbestreitbar  von  eminentem  Effect".  Der  Effect, 
der  Erfolg  entscheidet  auf  der  Weltbühne,  mithin  auch  auf  der 
Bühnenwelt  Alles.  Wie  der  Erfolg  auf  jener  einen  schlechten 
Streich  rechtfertigt  und  mit  dem  schönsten  Glanz  umgiebt,  so 
verherrlicht  der  Effect  und  der  Erfolg  auf  dieser  jeden  noch  so 
crassen  Theaterstreich. 

üeber  Diego  Jimenes  Enciso's  Lebensverhältnisse  er- 
fährt man  erst  aus  Biographen  neuerer  Zeit  einige  Data:  Dass 
er  1585  zu  Sevilla  geboren,  in  der  Kirche  Santa  Cruz  daselbst 
getauft  ward,  und  in  seiner  Vaterstadt  das  Amt  eines  Veinto- 
cuatro  (Mitglied  eines  SchöffencoUegiums  von  24  Käthen)  und  die 
ihm  von  seinen  Gönner  dem  Conde-Duque  de  Olivarez  übertragene 
Stelle  eines  Oberaufsehers  der  königlichen  Schlösser  zu  Sevilla 
(tenencia  de  Alcaldia  de  los  alcäzares  reales  de  Sevilla)  versah, 
und  1623  das  Ordenskleid  von  Santiago  anlegte.  Ausser  den  ge- 
nannten Stücken  schrieb  Enciso  noch  folgende:  Jupiter  veu- 
gado  (Der  gerächte  Jupiter),  ein  grosses  Spectakelstück,  1632  im 


Antonio  Coello  und  seine  Com.  El  Conde  de  Sex.  731 

königlichen  Palast  zu  Madrid  zur  Huldigungsfeier  des  Principe 
Don  Balthasar  Carlos  in  Gegenwart  des  Königspaares  aufgeführt. 

—  'El  valiente  Sevillano'  (Der  tapfere  Sevillaner),  Pedro 
Lobon)  eine  Dilogie.  —  'Juan  Latino'.  —  'Santa  Margarita'. 

—  'El  encubierto'  (Der  Verhüllte).—  'Quien  calla  otorga' 
(Wer  schweigt,  gewährt).  Das  unserem  Jimenes  Enciso  Lope  de 
Vega's  Lorbeerwald  die  rauschendsten  Lobeserhebungen  zubrausete ; 
dass  ihm  Lope  de  Vega's  'Filomena'  die  schmelzendsten  Lobes- 
triller an  die  Ohren  schlug ;  und  dass  alle  neun  Musen  von  Cer- 
vantes' 'Viage  del  Parnaso'  dem  Enciso  durch  alle  sieben  oder 
neun  Himmel  lobjauchzten,  ist  so  selbstverständlich,  wie  dass  die 
Sonne  vorne  auf-  und  hinten  untergeht! 

Die  Comedia,  El  Conde  de  Sex  (Graf  Essex),  dem  An- 
tonio Coello^)  von  Mesonero  aufs  entschiedenste  beigelegt^ 
dürfen  wir  schon  Lessing's  wegen  nicht  unerwähnt  lassen,  der  sie 
zuerst  in  einer  ausführlichen  Analyse  (Hamb.  Dramat.  St.  60 — 68.) 
den  Deutschen  mitgetheilt.  Lessing  fand  das  Stück  in  der  von 
Joseph  Pedrino  zu  Sevilla  gedruckten  Sammlung,  worin  es  das 
zweite  ist.  Der  Titel,  den  Lessing  angiebt,  lautet:  'Dar  la 
vida  por  su  Dama,  el  Conde  de  Sex:  de  un  ingenio  de  esta 
Corte.  „Wenn  er"  (dieser  spanische  Essex)  „verfertigt  worden, 
weiss  ich  nicht;  ich  sehe  auch  nichts,  woraus  es  sich  ungefähr 
abnehmen  liesse."  Mesonero  bezeichnet  als  erste  Ausgabe  der- 
selben, blos  mit  dem  Einen  Titel:  El  conde  Sex,  und  ohne  Ver- 
fassernamen, die  coleccion  primitiva  de  varios,  betitelt  'la  anti- 
gua  6  de  afuera'  (Die  alte  oder  die  von  ausserhalb),  um  sie  von 
der  andern  zu  Madrid  1652-  1704  veröffentlichten  Sammlung  zu 
unterscheiden.  Die  Conde  Sex-Comedia  steht  im  XXXL  Theil 
der  'Antigua-Coleccion'.  In  dem  'Mejor  de  los  mejores'  genannten 
Bande,  dem  VL  Theil  der  Madrider  Ausgabe  (1653),  findet  sich 
der  'Conde  Sex'  mit  dem  Namen  des  Coello  als  Verfasser.  Trotz- 


1)  Don  x^ntonio  Coello,  geb.  zu  Madrid.  Seine  Eltern  gehörten 
zu  der  Hausdienerschaft  des  Duque  de  Albuquerque,,  unter  dessen  Be- 
fehlen Coello  als  Infanterie-Hauptmann  diente.  König  Philipp  IV.  zeichnete 
ihn  durch  die  Santiago  Ordensritterwürde  aus  und  ernannte  ihn  zum 
Ministro  der  königlichen  Junta  de  la  Casa  Aposento.  Coello  starb  zu 
Madrid  im  Hause  des  genannten  Duque  20.  Oct.  1652. 


732  I^as  spanische  Drama. 

dem  wurde  der  'Conde  de  Sex'  von  Jovellanos,  Garcia  Parra, 
Huerta,  Oclioa  und  selbst  von  Ticknor  dem  Könige  Don  Fe- 
lipe IV.  zugeschrieben,  aufgrund  der  Tradition,  die  ihren  wahr- 
scheinlichen Ursprung  in  dem  Umstände  hat,  dass  dieser  König 
als  anonymer  ingenio  seiner  eigenen  Corte  in  Gemeinschaft  mit 
berufenen,  namhaften  und  wirklichen  ingeniös  de  Corte  von  gutem 
Klang  noch  andere  Stücke  schrieb.  Sothaner  4ngenio  de  esta 
Corte'  war  ein  Hof-  und  Hausgeist,  ein  Spiritus  familiaris,  der 
Eingebungen  empfing,  nicht  einblies,  und  mit  den  Haus- 
geistern oder  Wichtelmännchen  auch  die  Eigenschaft  gemein 
hatte,  dass  er  die  Sahne  von  anderer  Leute  Milchtöpfen  naschte. 
So  mochte  denn  auch  in  Gemeinschaft  mit  Coello  die  Comedia 
'El  Conde  de  Sex'  entsanden  seyn,  die  aber,  wie  schon  bemerkt, 
von  dem  jüngsten  Abdrucker  derselben,  Mesonero^)  dem  Coello 
ausschliesslich  beigelegt  wird,  und  zwar  aufgrund  einer  sorg- 
fältigen Vergleichung  des  Styls  und  der  Manier,  in  'Conde  de 
Sex'  mit  Coello's  Schreibart  und  Eigenthümlichkeit  in  anderen 
von  ihm  gemeinschaftlich  mitEojas,  Guevara  und  Cal deren 
verfassten  Stücken.-) 

Wir  werden  nicht  so  thöricht  seyn  und  unser  analytisches 
Kleinholz  in  Lessiug's  Wald  tragen.  Seine  Analyse  des  'Conde 
de  Sex'  ist,  unseres  Wissens,  die  erste  nicht  blos  eines  spanischen 
Stückes,  die  erste  dieses  Schlages  überhaupt,  die  Schritt  für  Schritt 
bis  in's  kleinste  Detail ,  Handlung  und  Verlauf,  Scene  und  Situa- 
tion begleitet,  die  Nestor-Analyse,  die  leider  nur  unser  lebhaftes 
Verlangen  nach  einer  Kritik  des  Stückes,  wie  sie  Lessing  allein 


l)  Dramat.  Contemp.  de  Lope  de  Vega  (Bibl.  Rivid.  II.  t.  45.)  Vol. 
IL  p.  403  —  21.  —  2)  Z.  B.  El  privilegio  de  las  mujeres,  El  Cata- 
lan  Serrallogan  und  La  Baltasara,  Vereinsarbeiten  von  ßojas,  Co- 
ello und  Guevara,  ferner  *E1  pastor  fido',  ein  Callaboratorstück 
von  Calderon,  Solls  und  Coello.  Als  Widerspiel  zu  solcher  genossen- 
schaftlichen Stückarbeit  wird  dem  Könige  Felipe  IV.,  dem  ingenio  de  esta 
Corte  von  Gottesgnaden,  die  Comedia:  *Don  Enrique  el  Doliente  aus- 
schliesslich zugeschrieben,  obgleich  sie,  laut  Manuscripts  in  der  Osuna-Bibl. 
sechs  ingeniös  zu  Verfassern  hat :  Zabaleta,  Martinez,  Rosete,  Vil- 
laviciosa,  Cancer  und  Moreto.  Ein  gleiches  Sechstel  konnte  der  ge- 
krönte ingenio  de  Corte  in  der  Sex- Comedia  (Conde  de  Sex)  par  excel- 
lence  mit  gleichem  Fug  in  Anspruch  nehmen, 


Lessing  und  der  Conde  de  Sex.  733 

geben  konnte,  unbefriedigt  lässt.  Keines  Kunstrichters  kritische 
Ruthe  war,  wie  Lessing's,  zugleich  Wünschelruthe ,  die  auf  ver- 
borgene lebendige  Quellen  und  auf  die  reichsten  Schätze  einschlug; 
war,  wie  Lessing's,  zugleich  ein  Runenstab,  den  er,  wie  ein  nor- 
discher Gott,  weissagend  schüttelte,  die  Zukunftsgeschicke  und 
Entwickelungen  der  Literatur  prophetisch  deutend. 

Nur  einen  kleinen  Beitrag  zu  den  Textcitaten  in  des  grössten 
Dramaturgen  erschöpfender  Inhaltszergliederung  nachzuliefern,  sey 
uns  verstattet ;  die  Stelle  nämlich,  wo  der  Dichter  des  spanischen 
Essex  eine  entschiedene  Parteinahme  für  Maria  Stuart  gegen 
Elisabeth  kund  giebt,  gleich  in  der  ersten  Jornada  und*' in 
Blanca's  erster  Unterredung  mit  dem  Conde  de  Sex.  ^)  Die  zweite 
Stelle,  auf  die  wir  hinweisen,  betrifft  Lessing  selber.  Geg^n  Ende 
der  2.  Jornada  stösst  Königin  Isabela,  in  Staatspapieren  le- 
send, auf  einen  ^Conde  Felix^  und  zuckt  über  den  "Conde"  zu- 
sammen, der  ihr  den  Conde  ihres  Herzens,  den  Conde  de  Sex  in 
Erinnerung  ruft.^)  Lessing  rühmt  diesen  Zug  als  vortrefflich, 
und  hat  ihn  vielleicht  seinem  Prinzen  in  'Emilia  Galotti'  als 
erstes  Wort  in  den  Mund  gelegt:  „Emilia!  eine  Emilia"  .  .  . 


1)  Bianca.         Prendio  (Isabela)  ä  Maria  Astuarda 

Reina  de  Escocia,  y  arcliivo 

De  virtudes,  y  belleza 

Por  unos  falsos  endicios. 

En  fin,  Conde;  en  fin  senor 

(jCon  que  lastima  lo  digo!) 

Temen do  en  sangre  la  Reina 

Aqael  infame  cuchillo, 

Noble  victima,  inocente 

Fue  de  injusto  sacrificio  .  .  . 
(^Tragedia  mas  lastimosa  de  Amor,  titulada  El  Conde  de  Sex,  6  dar  la 
vida  por- SU  Daraa,  de  Don  Antonio  Coello  (Atribuida  al  rey  Don  Fe- 
lipe IV.}.  So  klingt  die  pomphafte  üeberschrift  in  Mesonero's  Coleccion 
(Rivad.)  Lessing  spricht  davon  (S.  61),  ohne  das  Motiv  sonderlich  zu 
betonen.  Blanca's  Auslassung  über  Maria  Stuart  ist  insofern  wichtig,  weil 
ihre  Umtriebe  und  Verschwörungen  gegen  Königin  Elisabeth  dadurch 
näher  motivirt  und  ihre  Schuld  am  tragischen  Ausgang  für  Essex  gemil- 
dert wird. 

2)  Aqui  dice  el  Conde  Felix, 
Conde  huvo  de  ser  por  fuer9a 
Con  el  primero  que  encuentre. 


Leipzig, 

Druck  von  Hundertstund  &  Pries. 


UNIVERSITYO    MICHIGAN 


3   9015   03084   0469 


BOUND 

ÜAf  203941 


UNl\     Oi^  MICH. 


K64 
V.    10 


Kiel  n^„A*_L.„ 


Geschichte  des   span- 


i sei; 911  Drama»  s 


Q3<?445 


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