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Boston

Medical Library

8 The Fenway.

HYPERAMIE

ALS

HEILMITTEL

Von

Professor Dr. August Bier

in Bonn

Fünfte umgearbeitete Auflage

Mit 39 Abbildungen

Leipzig Verlag von F. C. W. Vogel

1907

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' DEC 14 1916

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Published the ist of March, 1907 Privilege of Copyright in the United States reserved mider the Act approved March 3, 1905 by F. C. W. Vogel, Leipzig.

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J-J-^ß. 137.

Seinem hochverehrten Lehrer

Exzellenz Friedrich von Esmarch

in Dankbarkeit gewidmet vom Verfasser.

Digitized by the Internet Archive

in 2011 with funding from

Open Knowledge Commons and Harvard Medical School

http://www.archive.org/details/hypermiealsheilmOObier

Vorwort zur 5. Auflage.

Veränderungen und Erweiterungen hat besonders der Ab- schnitt dieses Buches erfahren, der über die Behandlung akuter Entzündungen und Eiterungen mit Stauungshyperämie handelt. Auf diesem Gebiete ist in der letzten Zeit eine sehr reichliche Literatur erschienen. Meine Beobachtungen sind mit ganz ge- ringen Ausnahmen im großen und ganzen bestätigt, und der hohe Wert der Stauungshyperämie zur Behandlung dieser Krank- heiten ist fast allgemein anerkannt. Nur ganz vereinzelte Gegner halten die Stauungshyperämie bei akuten Entzündungen für überflüssig oder gar für gefährlich und schädlich. Alle diese fremden Beobachtungen mußten berücksichtigt und besonders die Einwände der Gegner ausführlich erörtert werden.

Neu hinzugekommen sind die Kapitel über Behandlung der Keloide, der Tendovaginitis crepitans, der Hautkrankheiten. Ich habe diese Kapitel möglichst kurz gehalten, um nicht den Umfang des Buches noch weiter zu vermehren. Neu hinzu- gekommen ist schließlich ein Inhaltsverzeichnis.

Inhaltsverzeichnis.

S eite

Einleitung 1

Allgemeiner Teil 13

Bei allen wichtigen Lebenserscheinungen ist Hyperämie vorhanden . l'S

Künstliche Erzeugung von Hyperämie 15

Erzeugung aktiver Hyperämie IG

Apparate für die Heissl uftbehandlung 32

Örtlicher und allgemeiner Einfluss der Heissluftbäder auf den Körper 49

Erzeugung passiver Hyperämie 55

Passive Hyperämie der Glieder durch eine Stauungsbinde 60

Hyperämie durch trockene Schröpf köpfe 81

Hyperämie durch grosse Saugapparate 89

Andere Hyperämiemittel, insbesondere chemische „Derivantien" ... 111

Beeinflussung des Lymphstromes durch hyperämisierende Mittel . . 128

Allgemeine Wirkungen der Hyperämie 134

Schmerzstillende Wirkung der Hyperämie 134

Bakterientötende oder abschwächende Wirkung der Hyperämie . . . 139

Resorbierende Wirkung der Hyperämie 164

Auflösende Wirkung der Hyperämie 179

Ernährende Wirkung der Hyperämie 188

Anhang. Die Beeinflussung des Gesamtblutes zu Heilzwecken . . . 238

Spezieller Teil 248

Behandlung verschiedener Ivrankheiten mit Hyperämie. Vorbemerkungen 248

Behandlung lokaler Infektionskrankheiten mit Hyperämie 250

Behandlung der Tuberkulose 251

Behandlung akuter Entzündungen und akuter Eiterungen- an den

Gliedern mit der Stauungsbinde 293

Technik der Bindenstauung bei akuten Entzündungen und Eiterungen 294

Unterdrückung beginnender Eiterungen durch Stauungshyperämie 301

Verwandlvmg heisser Abscesse in kalte 305

Verschwinden von Abscessen unter Stauungshyperämie 306

Verhalten der akuten Eiterung unter Stauungshyperämie .... 309 Chirurgische Behandlung der akuten Eiterung unter Stauungs- hyperämie 310

Beeinflussung der Temperatursteigerung dvu-ch Stauungshyperämie 312 Behandlung akut und subakut entzündeter Gelenke mit der

Stauungsbinde 315

Behandlung vereiterter grosser Gelenke mit der Stauimgsbinde . 320

Behandlung der Sehnenscheidenphlegmonen mit Stauungshyperämie 330

Akute Osteomyelitis 341

Rezidivierende Osteomyelitis 349

Behandlung anderer akuter Entzündungen und Eiterungen an den

Gliedern 351

Behandlung des Erysipels 353

Prophylaktische Behandlung frischer infektionsverdächtiger Wunden

mit hyperämisierenden Mitteln 354

VIII Inlialtsverzeichnis.

Seite

Behandlung akuter Entzündungen und akuter Eiterungen am Kopfe

mit einer um den Hals gelegten Stauungsbinde 358

Akute Eiterungen des Mittelohres und ihre Komplikationen . . 361

Augenkrankheiten 378

Akute Cerebrospinal-Meningitis 382

Akute Parotitis " 383

Akute Lymphadenitis 384

Parulis 385

Behandlung von Schleimhauterkrankungen des Mundes und der

oberen Liiftwege 387

Kann die Stauungshyperämie bei akuten Entzündungen und Eiterungen

gefährlich werden? Kontraindikationen 389

Streptokokkeninfektionen 396

Diabetes 400

Blutungen 400

Abscesse und Decubitus an der Stelle, wo die Binde gelegen . . 400

Venenthrombose 401

Todesfälle, die wir bei I&anken erlebten, bei denen Stauungs- hyperämie angewandt wurde 402

Behandlung akuter Entzündungen imd Eiterungen mit Schröpfköpfen

und ähnlichen Saugapparaten 408

Kurzer Rückblick nach meinen und anderer Ärzte Erfahrungen bei

akuten Eiterungen 419

Behandlung nicht infektiöser Krankheiten mit Hyperämie 425

Behandlung der chronischen Versteifungen, insbesondere der Gelenk- versteifungen 427

Chronischer Gelenkrheumatismus 427

Arthritis deformans 432

Traumatisch versteifte Gelenke 433

Gonorrhoische Gelenkversteifungen 436

Behandlung der Skoliose 436

Behandlung frischer subkutaner Verletzungen 437

Hyperämie als resorbierendes Mittel 440

Behandlung der Ödeme 440

Behandlung von Gelenkergüssen 441

Behandhmg der Elephantiasis 442

Behandlung der Keloide 443

Behandlung der Tendovaginitis crepitans 444

Behandlung von Hautkrankheiten 445

Behandlung von Neuralgien und sonstigen Schmerzen durch Hyperämie 445 Hyperämisierende Behandlung von Krankheiten des Zentralnerven- systems, insbesondere des Gehirns 447

Anwendung heisser Luft bei Gefässkrankheiten 454

Behandlung der Varicen und ihrer Folgezustände 454

Beliandlung drohender seniler und diabetischer Gangrän .... 455

Behandlung der Erfrierungen 458

Schluss 460

Register 462

Einleitung.

Die Zeit liegt nicht so sehr fern, wo nicht nur die Theologen und ein grosser Teil der Philosophen und Naturforscher, sondern auch viele Ärzte teleologisch dachten: bei allen Vorgängen, die sie beim Menschen in gesunden und kranken Tagen beobachteten, fragten sie sich, warum treten dieselben ein und zu welchem Zwecke dienen sie dem Organismus? Diese teleologische Auffassung sogar der Krankheitserscheinungen hat auch zu allen Zeiten tief im Volks - bewusstsein gesteckt. Die uralte Vorstellung, dass die Krankheit ein Kampf des Körpers mit einem eingedrungenen Feinde ist, der, jenachdem der eine oder der andere siegt, mit Genesung oder Tod endet, die auch heute noch unter den Laien weitverbreitete Ansicht, dass Fieber, Entzündung, Eiterung, Schwitzen, Auswurf und Durch- fall dazu dienen, ,,schädhche und unreine Stoffe" aus dem Körper zu entfernen, beweisen dies.

Ich werde gleich zu entwickeln versuchen, dass ein teleologischer Standpunkt nicht nur gesund und berechtigt, sondern notwendig bei der Betrachtung der Dinge in der lebendigen Natur ist. Aber jene Teleologen schössen weit über das Ziel hinaus. Einmal begingen sie den Fehler, dass sie die sogenannte anthropocentrische Teleologie verfochten. Der Mensch stellte sich in den Mittelpunkt der Welt; nur für sein persönhches Wohl war alles geschaffen; nur für ihn schien die Sonne und fiel der Regen, nur um ihn zu ernähren, waren Tiere und Pflanzen vorhanden, und nur um ihn zu ergötzen, die Natur so schön und so herrlich gebildet. Mit Recht verfiel diese Art der Teleologie, die soweit ging, das Reifen der Kirschen im Sommer dadurch zu erklären: ,, damit der Mensch in der heissen Jahreszeit seine Erfrischung habe", der Lächerhchkeit. Schon die ältere Philo- sophie hat sie heftig bekämpft. Vor allem aber war es die Dar- win'sehe Lehre, welche ihr den Todesstoss gab. Denn diese hob den Menschen nicht aus der übrigen Natur heraus und setzte ihn über dieselbe, sondern liess ihn mitten darin, liess ihn selbst nur eine

Bier, Hyperämie als Heilmittel. 1

2 Einleitung.

der unzähligen Naturerscheinungen sein, von dem man nicht ein- mal wisse, ob er nicht im Laufe gewaltiger Zeiträume durch etwas Besseres und Vollkommeneres ersetzt werde.

Den zweiten Fehler begingen diese älteren Teleologen damit, dass sie die Zweckmässigkeit in der Natur nicht als eine einfache Erfahrungsthatsache, sondern geradezu als Erklärung für alle mög- lichen Erscheinungen hinstellten. Man gab sich gar keine Mühe, den tieferen Ursachen der Dinge nachzuforschen, sondern man sagte einfach: das ist so und nicht anders, das wird so und nicht anders, weil es so zweckmässig ist. Natürlich ist dies Verfahren höchst fehlerhaft und geeignet, jeden wissenschafthchen Fortschritt zu verhindern. Es ist deshalb auch nicht zu verwundern, dass mit der Übertragung exakter naturwissenschaftlicher Forschung auf das Ge- biet der Medizin diese Lehren sehr in Verruf kamen. Und nun ging es, wie es immer zu gehen pflegt, wenn der Rückschlag auf zusammenbrechende grundsätzhche Anschauungen erfolgt : mit den Schwächen der Lehre hess man auch ihren guten Kern fallen, und noch heutigen Tages ist der auf praktischen Gebieten arbeitende Arzt, welcher sich zu teleologischen Anschauungen in dem gleich zu entwickelnden Sinne bekennt, in Gefahr, gerade von solchen Fachgenossen, welche sich für exakte und wissenschaf thche Forscher halten, mindestens stark rückständig genannt zu werden.

Würden sich diese Leute allerdings einmal auf dem Gebiete der Biologie genauer umsehen, in der die praktische Medizin, wenn anders sie den Anspruch erhebt, ihrerseits eine Wissenschaft zu sein, wurzeln muss, so würden sie finden, dass sie selbst die in der That Rückständigen sind. Zwar lässt diese vollständig die grosse Grund- frage, die, solange es denkende Menschen giebt, die Geister be- wegt und bewegen wird, ob die Welt und ob der Mensch einen Zweck habe, aus dem Spiel, und überlässt diese Frage, die wohl nie gelöst werden wird, den Philosophen und Theologen. Zwar war es gerade die heute die Biologie beherrschende Darwin'sche Lehre, welche am wirksamsten die naive anthropocentrische Teleologie beseitigte, und gerade eine grosse Anzahl von Darwinisten^) haben anfangs

1) Sachs (Vorlesungen über Pflanzenphysiologie. Leipzig 1882. S. 14) sagt diesen folgende auch für lonsere medizinischen Antiteleologen sehr beher- zigenswerten Worte: „Noch über einen Punkt möchte ich mich vorläufig aus- sprechen: er betrifft den Gebrauch des Wortes Zweckmässigkeit, eines Wortes, welches manche Fanatiker der Descendenztheorie womöglich ganz aus der Sprache verbannen möchten. Allein, dass man früher die Zweckmässigkeit in der Ein-

Einleitung. o

jede teleologische Auffassung abgelehnt, aber sie haben sich sehr schnell bekehrt und das Unlogische dieser Ablehnung eingesehen, weil es eigentlich im Wesen ihrer Lehre hegt, dass ihre Anhänger, was den einzelnen Organismus und die einzelne Art anlangt, über- zeugte Teleologen sein müssen, selbst diejenigen unter ihnen, die sonst Zwecke in der Natur leugnen, und alle Naturerscheinungen, den Menschen mit eingeschlossen, Folge ganz bestimmter Natur- kräfte sein lassen. Denn nur ein nach allen Richtungen hin zweck- mässiger, den äusseren Bedingungen angepasster Organismus kann im Kampfe ums Dasein bestehen, während alles Unzweckmässige die Natur selbst beseitigt.

Eine ganze Reihe der strengsten Anhänger Darwin's hat sich in diesem Sinne geäussert und sich als überzeugte Teleologen bekannt. Einige haben sogar über das Ziel schiessend behauptet i), dass erst Darwin's Lehre diese Beschränkung der Zweckmässigkeit auf die lebendigen Naturerscheinungen ans Licht gezogen und verständHch gemacht habe. Und doch haben lange vorher Naturforscher und Philosophen völlig anderer Richtung ganz ähnlich gedacht. So betont Kant in seiner Kritik der teleologischen Urteilskraft unter scharfer Bekämpfung der anthropocentrischen und der ,, äusseren" Teleologie

richtung der Organismen auf andere Ursachen zurückführte, als jetzt, ist kein Grund, unsere Sprache eines prägnanten Ausdruckes zu berauben. Im Grunde versteht man unter dem Ausdruck, es sei diese oder jene Einrichtung an einem Organismus zweckmässig, weiter nichts, als dass dieselbe mit zur Existenzfähigkeit desselben beiträgt. Nun leuchtet aber ohne weiteres ein, dass notwendig alle Eigenschaften eines Organismus so geartet sein müssen, dass sie die Existenz desselben wenigstens unter den ihm natürlichen Lebensbedingungen nicht in Frage stellen. Zweckmässig heisst also im allgemeinen soviel als existenzfähig, imd es wäre eine Thorheit, auch nur ein Wort darüber zu verlieren, ob man das Wort in diesem Sinne anwenden dürfe oder nicht. Zugleich ist damit aber auch gesagt, dass dixrchaus kein wissenschaftliches Verdienst darin liegt, von irgend einer organischen Einrichtung zu behaupten, sie sei überhaupt zweckmässig oder trage zur Existenzfähigkeit das ihrige bei; denn das versteht sich von selbst. Da- gegen ist es unter Umständen sehr wichtig und verdienstlich nachzuweisen, in- wiefern und unter welchen Modalitäten irgend eine Einrichtung am Organismus zweckmässig ist; in welcher Weise dieselbe in Verbindung mit anderen Einrich- tungen zur Existenzfähigkeit eines bestimmten Organismus beiträgt ; und im Grunde hat es die gesamte Physiologie wesentlich mit solchen Nachweisen zu thun."

In der zweiten Auflage fehlen diese Worte wohl deshalb, weil sie inzwischen für jeden Botaniker selbstverständlich und deshalb überflüssig geworden waren.

1) Vergleiche Sprengel, Zweckmässigkeit Lind Anpassung. Akad. Rede. Giessen 1898, und Ziegler, Über den derzeitigen Stand der Darwin' sehen Lehre. Jena 1902.

1*

^ Einleitung.

die „innere" Zweckmässigkeit der Organismen und sagt, dass es „mit den empirischen Gesetzen der Naturzwecke von organisierten Wesen nicht allein erlaubt, sondern auch unvermeidlich ist, die teleo- logische Beurteilungsart zum Prinzip der Naturlehre in Anschauung einer eigenen Klasse ihrer Gegenstände zu gebrauchen". Seine Teleologie ist, wie die Darwin' sehe, frei von jedem Übersinnhchen, denn ,,die mechanische Erklärungsart wird nicht durch die teleolo- gische, als ob sie einander widersprächen, ausgeschlossen".

Auch unter den Medizinern erkennen die reinen Naturforscher, Anatomen und Physiologen, die ,, innere Zweckmässigkeit" Kant's und der Darwinisten beim Menschen bewusst oder unbewusst un- beschränkt an. Jeder Anatom fragt sich, wenn er irgend einen neuen Bestandteil, jeder Physiologe, wenn er eine neue Thätigkeit im Körper entdeckt : warum ist es da und zu welchem Zwecke dient es dem Organismus? Und mit Recht würde man denjenigen, welcher anders dächte, für einen wunderhchen Kauz halten. Die wenigen entwicklungsgeschichthchen Überbleibsel des normalen Menschen, welche sich nicht in diesen Rahmen der Zweckmässigkeit fügen, besagen nichts gegen die allgemeine Giltigkeit der Regel.

Scheinbar ganz anders und viel verwickelter hegen die Dinge in der praktischen Medizin, welche sich mit dem kranken Körper und seiner Heilung beschäftigt. Eigenthch hätte allerdings schon die eine Thatsache, dass der Körper zwar sehr häufig erkrankt, dass er aber die übergrosse Mehrzahl der Krankheiten ohne Arzt und ohne künsthche Mittel ganz allein und aus eigener Kraft mehr oder weniger vollkommen auszuheilen vermag, immer den Arzt vom Vorhandensein zweckmässiger natürhcher Heilungsvorgänge überzeugen müssen. Denn offenbar kann dieses Vermögen, da es eben zur Heilung der Krankheit führt und dem Menschen zum Wohle dient, nur den Charakter der inneren Zweckmässigkeit tragen.

Dass bei vielen schädhchen Einflüssen der Körper sofort die zweckmässigsten Mittel ergreift, um sie zu beseitigen, ist für jeden Menschen klar. Niemand wird daran zweifeln, dass der heftige Hustenanfall, der einen in den Kehlkopf eingedrungenen Fremd- körper herauswirft, das stürmische Erbrechen, welches aus Versehen verschluckte ätzende Säuren und Laugen entleert, der heftige Thränenstrom und der lebhafte Lidschlag, durch den in das Auge gelangte reizende Dinge entfernt werden, höchst zweckmässige Einrichtungen darstellen. Und doch sind solche Rettungsmittel, wie sie ein heftiger Hustenanfall und fürchterhches Erbrechen dar-

Einleitung. 5

stellen, für den geschädigten Menschen so unangenehm und sehen so bedrohlich aus, dass der naive Beobachter zweifellos, bUebe ihm der eingedrungene Schädling verborgen, sie für das Übel selbst ansehen würde, während sie doch in Wirkhchkeit die Abwehr des Übels bedeuten.

Während die grosse und leicht sinnlich wahrzunehmende Grob- heit der Schädigung bei jenen Fällen vor diesem verhängnisvollen Fehlschluss schützt, so ist das nicht der Fall gewesen, wenn der Schädling so klein und verborgen war, dass er gar nicht oder nur durch das Mikroskop wahrgenommen werden konnte, wie das vor allen Dingen bei den Infektionskrankheiten der Fall ist. Noch heute sieht die Mehrzahl der praktischen Ärzte das Fieber und die Ent- zündung, die nach gewissen Infektionen mit derselben Gesetz- mässigkeit auftreten, wie der Hustenanfall dem Eindringen des Fremdkörpers in den Kehlkopf folgt, als etwas Schädliches und etwas zu Bekämpfendes an, und die Zeit liegt noch nicht fern, wo sie bis auf einzelne Ausnahmen alle so dachten.

Es ist in der That eine sonderbare Erscheinung, dass gerade unsere Zeit, die soviel Scharfsinn und Mühe darauf verwandt hat, die Krankheit aufzulösen in die eigentliche Schädigung und in Lebens Vorgänge, mit denen der Körper auf die Schädigung ant- wortet, so spät anfängt, die logische Folgerung aus dem Erkannten zu ziehen. Die moderne Forschung hat mit grossem Erfolge die Pathologie unter die biologischen Wissenschaften eingereiht, sie hat gelehrt, dass ein bedeutender Teil der sogenannten Krankheits- symptome Lebenserscheinungen sind, die in jedem einzelnen Falle mit der Regelmässigkeit eines Naturgesetzes sich einstellen, mit andern Worten, dass Kranksein ein den veränderten Umständen angepasstes Leben ist. Lag da nicht die Frage nahe, sollte der Körper, in dessen Lebenserscheinungen wir bei gesunden Zeiten die erstaunlichste Zweckmässigkeit zu beobachten gewohnt sind, in der Krankheit unzweckmässig arbeiten? Wir müssen gestehen, dass wir hier trotz aller neugewonnenen Kenntnisse Rückschritte gemacht haben, denn ein natürlicher Instinkt führte hier ältere Ärzte, ohne dass sie im Besitze der grossen naturwissenschaftlichen Erfahrungen und Hilfsmittel waren, die wir jetzt unser eigen nennen, auf den Weg, den wir heute wieder als im allgemeinen richtig anerkennen müssen. Wer wüsste nicht, dass man seit uralten Zeiten das Fieber als ein natürliches, den Körper reini- gendes Heilmittel angesehen hätte? Und was für Mühe hat es ge-

ß Einleitung.

kostet, dieser Anschauung in einer unseren heutigen Begriffen angepassten Form wieder Anhänger zu erwerben! Wer sich davon überzeugen will, der lese die gewaltig angeschwollene Literatur über das Fieber, mit welcher uns das letzte halbe Jahrhundert beschenkt hat.

Ein ganz ähnliches Schicksal wie das Fieber hat die Entzündung gehabt. Nachdem schon ältere Ärzte die Entzündung als einen nützlichen Vorgang aufgefasst, war ein sehr eifriger Verfechter dieser Ansicht in J. Hunteri), einem überhaupt sehr überzeugten Teleologen, erstanden. Ausser an andern Stellen betont er dies in einem Kapitel, welches ,,von dem Nutzen und dem Zweck der adhäsiven Entzündung" handelt: ,,es liegen hier weise Absichten zugrunde und man sieht, wie die Natur auch hier den Körper mit zweckmässigen Mitteln zu seiner Selbstverteidigung versehen hat."

Nach Neumann^) hat S. W. Sachs im Anfang des 19. Jahr- hunderts die damalige Ansicht von der Entzündung mit den Wor- ten zusammengefasst, dass sie ,,eine Reaktion des Organismus zur Wiederherstellung und Behauptung seiner Integrität mitvermehrter Kraftanstrengung aller Systeme" darsteUe.

Dass die Lehre von der Zweckmässigkeit der Entzündung ge- rade in den letzten Jahrzehnten vollständig verlassen worden ist, bedarf wohl keiner näheren Ausführung, denn fast alle Praktiker, die jetzt in ihrem Fache das Wort führen, sind noch als ,,Anti- phlogisten", die den schädlichen Entzündungsvorgang bekämpfen sollen, erzogen worden, und die übergrosse Mehrzahl lebt noch in diesen Begriffen.

In neuerer Zeit aber macht sich hier ein sehr grosser Umschwung in den Anschauungen bemerkbar. Von vielen Seiten wird von neuem die Nützlichkeit des Entzündungsvorganges betont. Ein besonderes Verdienst, diese Lehre wieder zur Anerkennung gebracht und mit wissenschaftlichen Gründen ge- stützt zu haben, gebührt Leber 3), Neu mann*), Marchand^),

1) Hunt er, Versuche über das Blut, die Entzündung und die Schuss- wunden. Deutsch von Hebenstreit. Leipzig 1797. II. Band. 1. Abteilung, Kap. 14.

2) Neumann, Über den Entzündungsbegriff. Zieglers Beiträge zur patho- logischen Anatomie und zur allgemeinen Pathologie. 5. Band. S. 348.

3) Leber, Die Entstehung der Entzündung. Leipzig 1891.

4) Neunaann, 1. c.

5) Marchand, XiTber den Wechsel der Anschauungen in der Pathologie. Antrittsrede in Giessen. Stuttgart 1882. Über die natürlichen Schutzmittel des Organismus. Leipzig 1900.

Einleitung. 7

Buchneri), Metschnikoff 2), Schrakamp^) und Ribbert*), und man dürfte wohl kein falscher Prophet sein, wenn man voraus- sagt, dass sie, wenigstens in der theoretischen Medizin, bald die Herr- schaft erlangen wird, obwohl jetzt noch die Mehrzahl der Pathologen sich nach Marchand ,,von der Auffassung der Entzündung als einer an sich deletären Erscheinung noch nicht freigemacht hat".

Viel rascher und allgemeiner als die oben abgehandelten Lebens- erscheinungen des kranken Körpers, Fieber und Entzündung, hat sich eine dritte, die angeborene und die erworbene Immunität gegen Infektionskrankheiten, als eine hervorragend nützhche Schutz- einrichtung des Körpers die fast uneingeschränkte Anerkennung erworben. Es würde thöricht sein, in einer knappen Einleitung sich über diese Dinge näher zu verbreiten, die ebenso wie ihre Entdecker jedem Arzt bekannt sind und jetzt weit über die Kreise der Ärzte hinaus allgemeines Interesse erregen. Mögen auch die Theorien über Antikörper, Alexine u. s. w. noch anfechtbar und unbefriedigend sein, mag man mit Recht sagen können, dass wir von einem wirklichen Verständnis dieser natürlichen Heilungsvorgänge noch himmelweit entfernt sind, die Thatsachen stehen fest. Und was jedem einleuchtet, das ist ihre wirklich erstaunhche Zweck- mässigkeit: dieselben Infektionserreger, welche den Körper ver- giften und zersetzen, machen andererseits die Kampfmittel des Körpers mobil, durch welche ihre Gifte unschädlich gemacht und sie selbst getötet werden.

So sehen wir auch bei all den Reaktionsvorgängen, welche der Körper bei Infektionskrankheiten zeigt, das Wort Pflüger's^) zur Wahrheit werden: ,,Die Schädigung ist die Ursache der Entfernung der Schädigung", welches dieser geistvolle Mann in anderer Fassung seines ,, teleologischen Kausalgesetzes" : ,,Die Ursache jeden Bedürf- nisses eines lebendigen Wesens ist zugleich die Ursache der Be- friedigung des Bedürfnisses," ausgesprochen hat.

1) Buchner, Eine neue Theorie über Erzielung von Immunität. Fort- schritte der Medizin. 1883. Nr. 6. Natürliche Schutzeinrichtungen des Organis- mus. Münchner med. Wochenschrift 1899. Nr. 39 u. 40.

2) Metschnikoff, Legons sur la pathologie comparee de l'inflammation. Paris 1892.

3) Schrakamp, Über die Entzündiong, Leipziger Inauguraldissertation. 1892. Einige Fragen an Physiologen und Pathologen. Schönberg 1903. Ein Gutachten über die Entzündung, Fortschritte der Medizin. 1904. Nr. 30.

4) Ribbert, Die Bedeutung der Entzündiing. Bonn 1905.

5) Pflüger, Die teleologische Mechanik der lebendigen Natur. Bonn 1877.

g Einleitung.

Verwandte Anschauungen kehren inEhrlich's viel anerkannter und viel befeindeter „Seitenkettentheorie" über die Entstehung der Antikörper wieder. Mag man auch über diese Theorie denken wie man will, so wird man doch ihren Grundgedanken, dass Giftwirkung und Schutzwirkung grundsätzlich dasselbe sind, als geistreich und fruchtbar anerkennen müssen.

So sind es gerade die Infektionskrankheiten gewesen, die uns wieder das Bewusstsein erweckt haben, dass der Körper selbst die zweckmässigsten Heilmittel besitzt, und dies wird auch am häufigsten zugegeben. Aber das nur für eine Gruppe von Erkrankungen zu- zugestehen, ist eine grosse Einseitigkeit, denn ein offenbar all- gemeiner Grundsatz in der Natur gilt nicht nur für eine Art von Übeln. Die Infektionskrankheiten stehen jetzt überhaupt so im Vordergrunde des Interesses, dass jemand, der die neuere Lite- ratur über allgemeine Pathologie verfolgt, auf den Gedanken kommen könnte, dass die übrigen Krankheiten und Gebrechen gegen jene ganz zurücktreten, während sie doch in Wahrheit nur einen allerdings sehr grossen Teil der Krankheiten darstellen.

Und so sehen wir denn auch bei den anderen Krankheiten, wie der Körper erhttene Schädigungen auf das vollkommenste ausmerzt, ersetzt oder wenigstens ausbessert. Ich brauche nur daran zu erinnern, was wir Chirurgen hier von der Natur verlangen. Denn selbstverständ- hch ist die Chirurgie nach vielen Richtungen hin eine verstümmelnde Kunst. Wir zerstören durch die sogenannte Resection den schönen und kunstreichen Bau eines Gelenkes und erwarten, dass sich aus den zurückbleibenden Knochenstümpfen und der Weichteilhöhle ein, wenn auch unvollkommenes, neues und leistungsfähiges Gelenk bil- det ; wir unterbinden die Hauptader eines Gliedes in der Voraussicht, dass das findige Blut sich solange die verschlungensten Nebenwege in das notleidende Gebiet sucht, bis in überraschend kurzer Zeit ein unbedeutender Nebenast zur neuen Hauptader heranwächst.

Diese Beispiele Hessen sich ins Ungemessene häufen, und ich glaube kaum, dass es irgend ein Gebiet giebt, auf dem man den in die Darwin' sehe Lehre übernommenen La mar ck' sehen Grund- satz der Anpassung am Menschen besser studieren könnte, als gerade die Chirurgie. Denn bei den meisten unserer Operationen müssen wir diese Anpassung erwarten, und zwar eine Anpassung im zweckmässigen Sinne, sonst stände es sehr schlecht um unsere Kunst.

Natürlich hat, wie alles, auch die zweckmässige Art, auf die der Körper seine Gebrechen heilt, ihre Grenzen. Einerseits sind

Einleitung. f)

diese gegeben in der hohen und verwickelten Organisation des menschhchen Körpers. Niemand wird erwarten, dass uns ab- geschnittene Beine wieder wachsen, wie den tiefstehenden Molchen und Salamandern, und daraus der Natur den Vorwurf der Unzweck- mässigkeit und des Rückschrittes bei der Entwicklung höher orga- nisierter Wesen machen.

Andrerseits aber wissen wir, dass die Einzelwesen einer Art variieren nach der guten wie der schlechten Seite hin, und ein grosser Teil der Menschen, welche krank werden und, sich selbst überlassen, der Krankheit erliegen, gehören zu der letzteren Art von Variationen. Denn gerade die Krankheit ist häufig nur mög- hch durch ein Versagen oder eine mangelhafte Entwicklung der natürlichen Schutzeinrichtungen, und der Tod an der Krankheit beweist, dass die Abwehrmittel, über welche der Körper verfügen sollte, nicht genügen oder gar nicht vorhanden sind. Gerade hier hat dann die Thätigkeit des kundigen Arztes einzusetzen, denn er hat es häufig in der Hand, die mangelhaften natürlichen Schutz- einrichtungen zu verstärken und zu verbessern, und von altersher hat man den als den wahren Arzt gepriesen, der der Natur ihre Geheimnisse in der Heilung der Krankheit, ablauscht, sie unter- stützt, wo sie durch eigene Kraft nicht zum Ziele gelangt, sie er- setzt, wo sie gänzlich versagt, und sie einschränkt, wo ihre Mass- regeln zu überwuchern drohen.

So liegen die Dinge theoretisch. Aber Theorie und Praxis decken sich nicht immer, und nirgends ist das leichter zu beweisen, als auf unserm Gebiete. Gewiss ist der Husten in dem Sinne, wie ich das oben dargelegt habe, eine nützliche Abwehrvorrichtung. Und doch kann er so über das Ziel schiessen und am unrichtigen Orte auftreten, dass er in Wirklichkeit das eigentliche Übel darstellt, das den Menschen aufs tiefste schädigt. Ebenso kamen wir, wie oben auseinandergesetzt wurde, zu der Überzeugung, dass die Entzündung an sich ein nützlicher Vorgang ist, und dennoch sind wir häufig ge- zwungen, sämtliche oder einzelne der Erscheinungen, welche wir mit dem Sammelnamen der Entzündung belegen, zu bekämpfen, und die Erfahrung beweist, dass dies häufig vom grössten Nutzen ist.

Genau so verhält es sich beim Fieber.

Es ist demnach nichts thörichter, als unter allen Umständen bei der Behandlung der Krankheiten Naturvorgänge sklavisch und kritiklos nachahmen zu wollen, umsomehr, als wir nie aus dem Auge verheren dürfen, dass häufig die Natur des bestorganisierten Wesens

^ Q Einleitung.

unvollkommen ist und die Kunst oft viel mehr leistet, als die Natur. Einen treffKchen Beweis hierfür hefert die Wundheilung. Der Arzt heilt durch die Naht eine fusslange tiefe Wunde in 8- 10 Tagen ohne wesentliche Gefahr für den Verletzten und stellt die Leistungs- fähigkeit der getrennten Gewebe in der Regel in der vollkommensten Weise wieder her. Das kann die Natur nie, sie braucht dazu min- destens Monate, führt häufig zu sehr mangelhafter Wiederherstellung der verletzten Gewebe, und während der ganzen Zeit der Heilung ist der Verletzte grossen Gefahren und Unbequemlichkeiten aus- gesetzt. Die Natur kennt also bei grösseren Wunden das Ideal der Wundheilung nicht, schon aus dem einfachen Grunde, weil die durchtrennten elastischen Gewebe sich auseinanderziehen und die Hauptbedingung für die gute Wundheilung der prima intentio, das Aneinanderliegen der Wundränder, fehlt.

Gewiss hatten unsere Altvordern recht, wenn sie die Eiterung der Wunden für etwas Nützliches hielten, und deshalb von Pus bonum et laudabile sprachen. Die Kunst hatte sie eben noch nicht gelehrt, von ihren Wunden die Infektion fernzuhalten ; für ihre ver- unreinigten Wunden war die Eiterung die natürüche und nützUche Reaktion, für unsere jetzigen ist sie eine üble Beigabe.

Beschränkte Köpfe könnten also sicherlich in der Nachahmung von Natur vorgängen bei der Behandlung der Krankheiten dasgrösste Unheil anrichten, aber wo thäten sie das nicht auch auf anderm Gebiete? Wer gegen alle Krankheiten nichts als ein Arzneimittel- chen zur Hand hat, wer als Chirurg nur das Messer als Heilmittel kennt, ist ebenso gefährhch, und ich wiU es dahingestellt sein lassen, wer der grösste Pfuscher ist, der Natursimpel, der Arznei verschreiber oder der Messerheld.

Indessen beweist das aUes nichts gegen den grossen durch- gehenden Grundsatz der Zweckmässigkeit der natürlichen Heilungs- vorgänge und gegen unsere Verpfhchtung, dieselben im grossen und ganzen wenigstens da nachzuahmen, wo sie mit der Sicherheit und Regelmässigkeit eines Naturgesetzes immer und immer wieder bei Schädigung des Körpers in die Erscheinung treten. Ich glaube, in diesem Sinne ist es nicht nur berechtigt, sondern notwendig für den Arzt, sich als Teleologen zu bekennen. Wir vertreten dabei keinen übersinnlichen Standpunkt, sondern rechnen mit einer einfachen Erfahrungsthatsache. Die Erfahrung hat uns gelehrt, dass die Lebenserscheinungen im ganzen höchst zweckmässiger Art sind. Wir wissen, dass viele der sogenannten Krankheitssymptome Lebens-

Einleitung. j^]^

erscheinungen des Körpers sind, wir wissen ferner, dass einzelne der Symptome, welche wir zu der Schädlichkeit selbst gezählt haben, in Wirklichkeit Abwehrmittel gegen diese Schädlichkeit sind. Da ist es nur logisch, wenn wir alle sogenannten Reaktionen des Körpers ich will beileibe nicht sagen ohne weiteres zu den nütz- lichen Einrichtungen zählen, aber sie wenigstens auch einmal unter diesem Gesichtspunkte betrachten, und da, wo wir sie als nützliche Abwehrmittel erkannt haben, praktischen Gebrauch davonmachen.

Und warum sollte dieser teleologische Standpunkt unwissen- schaftlich sein? Etwa deshalb, weil wir ihn nicht genau erklären könnten? Aber wo kommen wir denn hin, wenn wir in unserem Fache für Erfahrungsthatsachen Erklärungen verlangen! Füssen doch die exaktesten unter unseren Biologen auf genau -gleichen Erfahrungsthatsachen: wir alle gebrauchen die so ausserordenthch populär gewordenen, jedem gebildeten Laien bekannten Begriffe des Darwinismus, Variation, Vererbung, Anpassung. Niemand bezweifelt, dass diese Dinge in der Natur wirksam sind, aber keiner hat sie erklärt, es sind reine Erfahrungsthatsachen.

Manchem mag diese Einleitung zu den folgenden Erörterungen etwas weit hergeholt erscheinen. Aber ich halte sie für sehr nützlich. Denn ich werde im weiteren Verlaufe der Arbeit häufig auf die hier entwickelten Gedanken zurückkommen, und ältere Erfahrungen haben mich belehrt, dass man in der Äusserung teleologischer An- sichten sehr vorsichtig sein muss, wenn man nicht Anstoss erregen will. Bin ich doch wegen solcher Anschauungen, die ich in früheren Jahren in einer Arbeit über den CoUateralkreislauf geäussert habe, in einem Teile der Literatur als Mystiker und Vitalist behandelt! Viele Ärzte werden eben nervös i), wenn man überhaupt von Lebens- erscheinungen und ihrer Zweckmässigkeit spricht, selbst wenn man vorher erklärt, dass man unter solchen Lebenserscheinungen bisher noch gänzlich unverstandene physikalische und chemische Vorgänge versteht, während ihnen die plumpste und unwahrscheinlichste grob- mechanische Erklärung gut genug ist. Es ist eben so ungemein

1) Vergleiche Liebermeister, Handbuch der Pathologie und Therapie des Fiebers. Leipzig 1875. S. 400.

„Man muss sich vergegenwärtigen, wie verbreitet unter den Ärzten die schwächliche Furcht ist vor allen Ansichten, bei denen man irgend etwas von Teleologie zu wittern glaubt, luad wie systematisch wir von der vorhergegangenen Generation, die freilich Veranlassung genug hatte, gegen eine unberechtigte und unwissenschaftliche Teleologie anzukämpfen, in dieser Furcht erzogen wor- den sind."

^ 2 Einleitung.

leicht, sich beispielsweise den Blutkreislauf wie eine Wasserleitung vorzustellen, und man gewinnt so ungeheuer bequem ein faden- scheiniges wissenschafthches Mäntelchen für alle möglichen Dinge, es ist aber leider falsch. Und so scheuen sich sehr viele Ärzte, wenn sie die Zweckmässigkeit von Reaktionserscheinungen des Körpers betonen müssen, dies offen und ungeschminkt einzugestehen. Sprechen sie von Zweckmässigkeit dabei, so wird das Wort in An- führungsstriche gesetzt, oder sie glauben sich für das Zugeständnis, um ihre Wissenschaftlichkeit zu retten, entschuldigen zu müssen. Andere lassen sie gelten, sprechen ihr aber nur den Wert einer ,, heuristischen Hypothese" zu.

Ich sagte schon oben, dass dies eine Rückständigkeit ist. Denn in der wissenschafthchen Biologie erörtert man die Frage, ob die Organismen und ihre Lebenserscheinungen in ihrer Art zweck- mässig sind oder nicht, gar nicht mehr, man rechnet mit ihrer Zweckmässigkeit als einer selbstverständlichen Thatsache. Der Streit dreht sich ledighch darum, wie die erfahrungsmässig festgestellte Zweckmässigkeit der Lebewesen zu erklären sei. Die Darwinisten lassen sie durch Auslese entstehen im Sinne des oft von ihnen aus- gesprochenen Satzes: ,, Zweckmässigkeit ist gleich Existenzfähig- keit." Die Vitahsten haben bestritten, dass diese Erklärung genüge, und führen die zweckmässigen Formen und Einrichtungen der Or- ganismen auf eine noch unbekannte geheimnisvolle Kraft zurück, mögen sie diese nun, wie die alten Vitalisten, Lebenskraft nennen, oder Umschreibungen dafür wählen, wie sie von unseren Neovita- hsten gebraucht werden.

Ich glaube, dass für die Entstehung, die Vermeidung und die •Heilung der Krankheiten, die uns hier ledighch interessieren, immer noch die Darwin'sche Lehre zur Zeit das beste Verständnis ge- währt: alle mit guten Schutz- und Abwehrvorrichtungen versehenen Menschen vermeiden oder überstehen die Krankheiten, welchen die in dieser Beziehung Minderbegabten erliegen. Jede Variation in der Richtung einer Verbesserung jener Schutzmassregeln schliesst eine grosse Bevorzugung der betreffenden Einzelwesen in sich, denn sie haben die Aussicht, länger zu leben und ihre Art fortzupflanzen. Jede Variation in der Richtung der Verschlechterung dagegen führt bei der gewaltigen Verbreitung der Krankheitsgelegenheiten zu einer schnellen Ausmerzung der weniger Widerstandsfähigen. Die fort- gesetzte Auslese lässt dann schliessKch die zweckmässigen Eigen- schaften durch Vererbung zu einem sichern Besitz der Art werden.

Allgemeiner Teil.

Bei allen wichtigen Lebenserscheinungen ist Hyperämie vorhanden.

Jedes Organ, welches arbeitet, ist während seiner Thätigkeit hjrperämisch.

Bei jedem Wachstum und jeder Regeneration ist örthche Hy- perämie vorhanden, und zwar umsomehr, je schneller und ener- gischer das Wachstum ist. Die Geweihbildung der Hirsche und die Mauser der Vögel bieten die besten Beispiele dafür.

Jede Zeugung und Fortpflanzung geht mit der stärksten Hyper- ämie, der Brunft- und weiterhin der Schwangerschaftshyperämie einher.

Bei keinen Reaktionen auf fremdartige Stoffe im allerweitesten Sinne fehlt die Hjrperämie, möge jener Stoff nun ein grober Fremd- körper oder winzige, mit unseren stärksten Vergrösserungen nicht mehr nachweisbare Bakterien, die schärfsten chemischen Gifte oder abgestorbene Teile des eignen Leibes (z. B. in die Gewebe er- gossenes Blut) sein.

Ich glaube deshalb behaupten zu können: es giebt keinen ein- zigen Krankheitsherd, welchen der Körper selbst zu beseitigen oder unschädHch zu machen sucht und vermag, der Anämie erzeugt, er ist stets von Hyperämie durchsetzt oder umgeben.

Fassen wir deshalb die Reaktionen des Körpers als nützliche Heilbestrebungen der Natur auf, so müssen wir sagen, dass Hyper- ämie das verbreitetste Selbstheilmittel von allen ist.

Die Anschauung, dass das Blut und die ,, Säfte" die Krank- heiten heilen, und dass ,, schlechtes Blut und schlechte Säfte" der Entstehung und Weiterverbreitung von Krankheiten förderhch sind, lebt tief im Volksbewusstsein. Auch die wissenschafthche Medizin hat sich die Auffassung gebildet, dass der Blutgehalt eines Körper- teiles von der grössten Wichtigkeit für sein Wohlbefinden ist.

■[4 Allgemeiner Teil.

Aber ich gedenke im weiteren Verlaufe dieser Arbeit zu zeigen, dass sie sehr einseitig vorgegangen ist. Sie spricht nur von Verbesserung der Cirkulation, Beseitigung von schädlichen Blutstockungen, Ver- besserung der Ernährung durch vermehrtes Durchströmtwerden der Teile mit Blut, und handelt danach. Sehen wir uns aber an, wie die Natur arbeitet, so bemerken wir, dass sie wohl bei allen wichtigen Vorgängen im Körper in den betreffenden Teilen örtliche Hyperämie schafft, dass dieselbe aber wohl ebenso häufig mit einer Verlang- samung, wie mit einer Beschleunigung des Blutstroms verbunden ist.

Wir werden noch auseinandersetzen, dass das letztere haupt- sächlich der Fall ist bei der die Thätigkeit der Organe begleiten- den funktionellen Hyperämie, das erstere aber überall, wo es sich um Beseitigungen von Schädhchkeiten und schnellen Aufbau von neuem Gewebe handelt.

Wollen wir deshalb die heilende Thätigkeit des Körpers durch Verstärkung der nützlichen H3rperämie unterstützen, so müssen wir, wenn wir in der That Naturvorgänge nachahmen wollen, in den einen Fällen den Blutstrom beschleunigen, in den andern ihn verlangsamen. Handeln wir anders, so laufen wir Gefahr, nicht zu nützen, sondern im Gegenteil zweckmässige Heilvorgänge zu stören und dadurch zu schaden. Wir werden deshalb das Ver- fahren des Körpers bei den einzelnen Krankheiten studieren und es uns zum Vorbild unserer Handlungen nehmen müssen. Denn wohl haben in vielen Fällen die verschiedenen Formen der Hyper- ämie dieselbe Wirkung, in andern aber sind Hyperämie und Hyper- ämie ganz verschiedene Dinge. Zwischen dem schnellf liessenden Strome arteriellen und dem trägen, mehr venösen Blutes bestehen nicht nur die tiefgreifendsten physikahschen, sondern auch chemi- schen Unterschiede. Obwohl unsere Kenntnisse über das Blut noch höchst mangelhaft sind, so wissen wir doch, dass jenes reich an Sauerstoff, arm an Kohlensäure und freiem Alkali ist, dieses die umgekehrten Verhältnisse zeigt, jenes eine verhältnismässig leicht bewegliche, dieses eine zähe klebrige Flüssigkeit darstellt. Wir wissen, dass der schnellfliessende Blutstrom seine Flüssigkeit und seine geformten Teile behält und mit sich fortführt, der langsam dahinschleichende sie in die Gewebe hinausschickt, wo sie ihre Thätigkeit entfalten können. Und gewiss giebt es noch sehr zahl- reiche Unterschiede, die wir nicht wissen.

Wir müssen deshalb im Auge behalten, dass die Erzeugung von Hjrperämieen verschiedener Art einen Sammelbegriff für

Künstliche Erzeugung von Hyperämie. ]^5

alle möglichen physikalischen und chemischen Veränderungen darstellt.

Es kommt hinzu, dass man die verschiedenen Arten der Hyper- ämie gar nicht streng auseinander halten kann, da sie unmerkhch ineinander übergehen, zumal wir noch sehen werden, dass der Kör- per es versteht, den ursprünglich schnellfliessenden Blutstrom durch in ihrem Wesen unbekannte Reize, vor allen Dingen den Entzün- dungsreiz, in einen langsamen zu verwandeln. Aber trotzdem ziehe ich es vor, den Begriff Hyperämie festzuhalten als, auf im Grunde genommen unbewiesenen Theorien fussend, ganz bestimmten ein- zelnen Bestandteilen des Blutes die nützlichen und heilenden Eigenschaften zuzusprechen.

Künstliche Erzeugung von Hyperämie.

Ich habe vor sechszehn Jahren angefangen, bewusst Krankheits- herde zu hyperämisieren, um sie dadurch zu heilen, und habe meine anfangs auf die Tuberkulose beschränkten Versuche bald mehr und mehr ausgedehnt, so dass ich im Laufe dieser Zeit eine sehr reich- liche Erfahrung über die Wirkung der Hyperämie auf physiologische und pathologische Vorgänge bekommen habe, welche ich im folgen- den schildern will.

Bei allen unseren folgenden Darlegungen ist nur von örthchen Hyperämieen die Rede. Um Missverständnisse zu vermeiden, erwähne ich, dass ich, dem üblichen Sprachgebrauche folgend, einen Körper- teil aktiv hyperämisch nenne, wenn in sein Gefässnetz mehr Blut einströmt und er von einer grösseren Menge Blut durchflutet wird; passiv hyperämisch, wenn sein Gefässnetz durch Verminderung des venösen Abflusses stärker gefüllt wird (Stauungshyperämie). Im grossen und ganzen deckt sich aktive mit arterieller und passive mit venöser Hyperämie. Doch giebt es hier Ausnahmen. Bei Herz- fehlern besteht passive Hyperämie der Lungen, und doch ist diese arteriell (mit Rücksicht auf die Blutart : arteriell = Sauerstoff reich und kohlensäurearm). Denn dem in den Lungenkapillaren gestauten Blute wird durch die Atmung Sauerstoff zugeführt und Kohlen- säure entzogen. Eine venöse Hyperämie ist hier nur denkbar, wenn die Kompensationsstörungen so hochgradig sind, dass das Leben in höchster Gefahr schwebt. Diese meine Erklärung der arteriellen H3^erämie der Stauungslunge ist von Köster^) bestätigt, sonst

1 ) Vortrag in der Niederrheinischen Gesellschaft für Natur und Heilkvmde 1 904.

2 g Allgemeiner Teil.

aber von verschiedenen Seiten bestritten worden. Ich bedauere, diese Einwände nicht anerkennen zu können. Die allgemeine Auf- fassung von einer venösen Hyperämie der Stauungslunge war meiner Ansicht nach nur durch einen Mangel an Überlegung möghch. Auf alle Fälle ist selbst bei hochgradigen Kompensationsstörungen das Blut in den Lungenkapillaren arterieller, als an irgend einer Stelle in den Kapillaren des grossen Kreislaufes.

Immerhin sind dies Erwägungen, die nur in Betracht kommen, wo wir von der Erklärung der Wirkung der einen oder der andern Blutart sprechen. Wo wir praktische Zwecke verfolgen, können wir im allgemeinen aktive = arterielle und passive = venöse Hyperämie setzen, eine Freiheit, von der wir im Verlaufe dieser Arbeit auch verschiedentlich Gebrauch machen werden.

Erzeugung aktiver Hyperämie.

Aktive Hyperämie kann man auf sehr verschiedene Weise her- vorrufen. Bekanntlich bedienen sich die Physiologen dazu in aus- gedehntem Masse der Durchschneidung gefässerweiternder Nerven (besonders der Sympathicusdurchschneidung). Eigentlich sind diese Versuche nicht rein. Denn neben der Hyperämie setzt die Nerven- durchschneidung eine ganze Menge von Schädlichkeiten, wahr- scheinlich noch zahlreichere, als wir wahrnehmen, da vieles dabei sich unserer Beurteilung entziehen dürfte. Ganz abgesehen davon kann aber diese Art von Hyperämie zu Heilzwecken natürhch nie- mals in Betracht kommen.

Eine sehr starke aktive Hyperämie entsteht nach Anwendung der V. E s m ar c h' sehen künstlichen Blutleere als sogenannte reaktive Hjrperämie, wie überhaupt nach jeder beliebigen vorübergehenden Aufhebung oder auch nur hochgradigen Verlangsamung des Blut- stromesi). Sie ist auch für unsern Zweck nicht zu gebrauchen. Denn einmal ist das Verfahren zu schmerzhaft, und dann dauert die so erzeugte Hyperämie nur kurze Zeit, die für die Behandlung der meisten durch H3^erämie zu beeinflussenden Krankheiten nicht in Betracht kommt.

Starke aktive Hj^erämie macht die gesteigerte Thätigkeit von Körperteilen, insbesondere der Muskeln, jede Art von Reibung, die

i) B i e r , Entstehiong des Collateralkreislaiaf es. Virchow's Archiv. 147. Band. S. 256.

Erzeugung aktiver Hyperämie. 27

Anwendung der Massage und der Elektrizität. Wahrscheinlich be- ruht ein guter Teil dieser sehr wirksamen Heilmittel eben auf der Erzeugung dieser Hyperämie.

Eine grosse Zahl chemischer Mittel all' die hautrötenden stehen uns zur Verfügung, Hyperämie hervorzurufen. Beim ersten Anblick dieser Rötungen scheint kein Zweifel obzuwalten, dass es sich hier um arterielle H3rperämien handelt, im Einklang mit der alten ärzthchen Regel: ,,Ubi Stimulus, ibi affluxus", und doch scheint mir dies keineswegs bewiesen zu sein. Denn alle diese Mittel erregen lebhafte Entzündungen, und wir wissen, dass bei diesen nach vorübergehender Beschleunigung eine Verlang- samung des Blutstroms eintritt. Ich werde auf diesen Punkt später noch ausführhch zurückkommen.

Das praktisch brauchbarste Mittel, um eine örtUche aktive Hyperämie hervorzurufen, ist die Wärme. Sie wird seit Jahr- tausenden in der Heilkunde angewandt, ohne dass man sich indessen bewusst wurde, dass die dadurch hervorgerufene aktive Hyperämie die vornehmste und häufig wohl die einzige heilende Eigenschaft dieses Mittels darstellte. Der Körper schützt sich vor übermässig hohen Wärmegraden durch zwei Mittel, dürchlebhafte Schweissver- dunstung und durch eine massenhafte Durchflutung des erwärmten Körperteiles mit einem schnellf liessenden arteriellen Blut. Das letztere wirkt also wie ein Kühlstrom. Diesen lebhaften Blutstrom wünschen wir in erster Linie, denn er ist nach meiner Ansicht bei den meisten Krankheiten, auf welche die Wärme günstig einwirkt, das eigenthche Heilmittel. Indessen liegt es mir fern, die Wichtig- keit des Schwitzens als Heilmittel zu unterschätzen. Nur glaube ich, dass es für die in diesem Buche behandelten Krankheiten nicht wesentlich in Betracht kommt.

Man kann die Wärme in der verschiedensten Weise auf den kranken Körperteil anwenden, z. B. als heisse Umschläge von Brei, Moor, Schlamm, als strahlende Wärme, als heissen Sand, in Form besonders hergestellter Thermophore, oder schliesshch als heisse Luft. Die weitaus höchsten Hitzegrade werden bei Anwendung der letzteren vertragen i), aus dem einfachen und natürlichen Grunde,

1) Die Höhe der Temperatur der heissen Luft, welche von der Haut des Körpers noch vertragen wird, ist in der Literatur sehr verschieden angegeben. Ich benutzte ursprünglich Luft von höchstens 100° und fand, dass diese von einzelnen Leuten kaum noch vertragen wurde. Ich verwandte damals grosse Kästen, welche einen sehr weiten Luftraum einschlössen, und das Thermometer Bier, Hyperämie als Heilmittel. 2

2 g Allgemeiner Teil.

weil die Luft ein sehr schlechter Wärmeleiter ist, eine sehr ge- ringe Wärmekapazität besitzt und. die starke Schweissverdunstung die betreffenden Körperteile vor der Verbrennung schützt. Soweit ist die Sache vollständig klar, und es ist laienhaft, darüber zu staunen, dass so hohe Hitzegrade, wie wir sie mit erhitzter Luft ohne Schaden für den Körper anwenden können, vertragen werden. Dagegen ist weniger verständlich, dass die heisse Luft, wie die Betrachtung des stark und gleichmässig hell geröteten Gliedes und die bedeutendere Heilwirkung beweist, entschieden grössere arterielle Hyperämien macht, als die anderen genannten Mittel. Ist die arterielle Hyperämie wirklich, wie ich das annehme, der natürhche Schutz- und Reaktions Vorgang gegen die schädliche Einwirkung hoher Hitzegrade, so sollte man glauben, dass bei jeder Form der Hitzeanwendung, vorausgesetzt, dass dieselbe bis zur Grenze des Erträghchen getrieben wird, auch gleichstarke Hyperämie ein- treten sollte.

Dabei aber dürfen wir nicht vergessen, dass der menschliche Körper mit seinen sogenannten Reaktionsvorgängen in erster Linie auf die natürlichen Verhältnisse, die ihn umgeben, eingestellt und eingeübt ist. Nun muss unser Körper sich den ausgedehntesten Temperaturschwankungen der Luft fortwährend anpassen, während er verhältnismässig sehr selten den Wärmeschwankungen anderer mit ihm in Berührung kommender Gegenstände ausgesetzt ist. Bei allen Packungen mit schwereren heissen Massen (Schlamm, Brei,

war in einer Ecke angebracht. Später wurden bei Verwendung kleinerer Kästen mit dem Thermometer oben im Deckel über der Heizcjuelle anscheinend viel grössere Temperaturgrade vertragen. Es liegt dies offenbar daran, dass das Ther- mometer die auf die Haut einwirkende Temperatvir nicht richtig angiebt. Die Luft ist in den verschiedenen Teilen des Apparates sehr verschieden heiss. Darauf hat besonders Schreiber, auf dessen Arbeit ich noch zurückkommen werde, hingewiesen. Nicht nur verschiedene Menschen, sondern auch verschiedene Körperteile desselben Menschen sind gegen die Hitze verschieden empfindlich. Ich vertrage an Hand und Vorderarm für längere Zeit höchstens 100° (gemessen mit Thermometern zu beiden Seiten und in gleicher Höhe wie das Glied an- gebracht). Rautenberg (Zeitschrift für physik. u. diät. Therapie 8. Band S. 335) stellte als Maximiim der erträglichen Temperatur 100°, 110°, 115° fest.

Am empfindlichsten gegen die Hitze sind die dünnen Finger xmd Zehen. Man muss sie deshalb, wenn man auf Hand und Fuss einwirken will, und sie nicht selbst mit erkrankt sind, mit Watte einwickeln, um sie vor Verbrennung zu schützen.

(Über die Fähigkeit des Körpers, höhere Lufttemperatur zu ertragen, s. Liebermeister, Handbuch derPathologie u. Therapie des Fiebers. Leipzig 1875. V. Kapitel.)

Erzeugung aktiver Hyperämie. |9

Thermophoren) dürfte der Druck derselben auf die kleineren Ge- fässe der Geschwindigkeit des Blutstroms Einhalt thun. Das heisse Wasser habe ich im Verdacht, dass es nicht rein aktiv hjrperämi- sierend wird, sondern dass es zu den ganz schwach entzündungs- erregenden Mitteln gehört, die die kleinen Gefässe und ihren Inhalt in einen uns noch gänzlich unbekannten Zustand versetzen, welcher trotz Erweiterung der kleinen Gefässe keine oder keine so hohe Beschleunigung des Blutstroms hervorbringt, als wir nach den uns bekannten physikalischen Gesetzen erwarten sollten. Deshalb kann ich es auch nicht anerkennen, wenn man gewöhnliche körper- warme Bäder als indifferent bezeichnet.

Dass wirklich die starken Hyperämien, die sowohl heisses Wässer wie heisse Luft hervorbringen, sehr verschieden sind, zeigt folgender einfache Versuch: Ich bringe meinen rechten Vorderarm in mög- hchst heisse Luft (105°), meinen linken in möglichst heisses Wasser (443/4°), lasse sie gleichlange darin und halte beide Glieder, nach- dem ich sie herausgezogen, nebeneinander. Der rote linke Vorder- arm zeigt einen deutlichen Stich ins Bläuliche, der rechte ist viel heller rot und hat einen Stich ins Gelbliche. Der Unterschied ist so klar, dass ihn jeder Beobachter sofort angeben kann. Im übrigen erscheint die an der Haut sichtbare Hyperämie des heissen Wassers eher stärker, als die der heissen Luft. Die letztere ruft also augen- scheinlich eine viel grössere Beschleunigung des Blutstroms hervor und verleiht deshalb dem Gliede die höhere arterielle Röte. Es ist wahrscheinhch, dass die Quellung der Haut durch das Wasser eine chemische Änderung des Gewebes und somit einen schwachen Entzündungsring darstellt, deshalb habe ich häufiger statt des Wassers heisse physiologische Kochsalzlösung verwandt, ohne dass dies im Erfolge etwas geändert hätte.

Immerhin sind das theoretische Betrachtungen, und wir sind schliesshch hier wie überall auf die praktische Erfahrung ange- wiesen. Und diese scheint mir zu beweisen, dass von aUen Wärmemitteln die heisse Luft das weitaus brauchbarste ist, um eine starke arterielle Hyperämie hervorzurufen. Ihr am nächsten in der Wirkung dürfte das heisse Sandbad kommen. Da sich meine Erfahrungen über aktive Hyperämie fast ledig- lich auf die durch heisse Luft erzeugte beziehen und diese An- wendung der Wärme auch im allgemeinen die praktischste und wirksamste sein dürfte, so will ich mich auf sie im wesentlichen beschränken.

2*

20 Allgemeiner Teil.

In letzter Zeit hat die heisse Luft denn auch eine sehr aus- gedehnte Verwendung zu Heilzwecken gefunden. Freilich, dass die durch sie erzeugte Hyperämie das Wesentliche sei, das hat man bis in die neueste Zeit gänzlich vernachlässigt oder meist gar das Gegenteil behauptet. So ist in den ausgedehnten Erörterungen über die Behandlung des chronischen Gelenkrheumatismus auf dem 15. Kongresse für innere Medizin im Jahre 1897 mit keinem Wort die Rede davon, dass die dort zur Behandlung empfohlene Wärme durch Hyperämie wirke, obwohl ich das schon lange vorher be- hauptet hatte. Ebensowenig wird auf demselben Kongresse im folgenden Jahre, wo der Taller man' sehe Heissluftapparat gezeigt wurde, und Mendelsohn sich ausführlich über ihn verbreitete, meine Erklärung von der Wirkung der Heissluftbehandlung vom Vortragenden erwähnt (er bezeichnet sie im Gegenteil als ,,dekon- gestionierendes" Mittel), und doch hatte ich^) im Jahre vorher noch- mals in einer Arbeit darauf hingewiesen. Nur Bäum 1er führt auf diesem Kongresse in der Diskussion kurz meine Erklärung an.

Von altersher wird die äussere Wärmeanwendung in der Heil- kunde zu den Mitteln gerechnet, welche das Blut von der Tiefe zur Oberfläche leiten. Man beobachtete die danach auftretende lebhafte Rötung der Haut und schloss daraus, dass die Erweiterung der oberflächlich gelegenen Gefässe die tiefen mit Blut überfüllten Teile, wie man sagte, ,,decongestioniere". Frangois Franck^) hat in einer vielgenannten Arbeit über die ,,Revulsion" dieser Mei- nung eine wissenschaftliche Unterlage zu geben versucht, und die Wasserheilkunde im weitesten Sinne gebraucht , die sich ja in hervorragender Weise mit der Anwendung von Kälte- und Wärmereizen befasst, hat sich seine Ansicht uneingeschränkt zu eigen gemacht und seine Ansichten auf die Temperaturreize über- tragen, wenn auch Franck nur von ,, stimulierenden Einreibungen, Sinapismen, Schröpfköpfen, Ignipunktur und Vesikantien" spricht.

Franck wies nach , dass nach Hautreizen eine Zusammenziehung der Gefässe der Eingeweide und eine Erweiterung derer der ober- flächlichen Teile einträte, und zwar auf reflektorischem Wege. Der

1) Bier, Heilwirkung der Hyperämie. Münchner med. Wochenschrift 1897 Nr. 32.

2) Über die wichtigsten örtlichen und Allgemeinwirkixngen der kutanen Revulsion auf die Zirkulation von Fran^ois Franck. Aus der Gazette hebdoma- daire ins Deutsche übertragen von T. Fodor, Blätter für klinische Hydro- therapie II. Jahrgang. Nr. 11. 1892.

Erzeugung aktiver Hyperämie. 21

Hautreiz soll eine Reizung der gefässverengernden Nerven der ersteren und gleichzeitig der gef ässerweiternden der letzteren hervor- rufen. Auf diese Weise erklären sich nach Franck die Wirkungen der Revulsion, sie haben „dekongestionierenden" Einfluss und ziehen das Blut, welches in kranken Eingeweiden stockt, nach der Ober- fläche. Er gab somit anscheinend die unbestreitbare wissenschaft- liche Erklärung nicht nur für die Wirkung zahlreicher chemischer Hautreizmittel, welche seit uralter Zeit in Gebrauch sind, sondern auch für viele Formen der thermischen Einflüsse auf die Haut, welche in tiefen Teilen wirken sollen.

Diese Erklärung interessiert uns hier weniger, da wir mit solchen ausgedehnten Fernwirkungen von der Haut bis in die Tiefe der Eingeweide weniger zu thun haben. Sie erscheint auf den ersten Blick sehr einleuchtend, denn, wie wir aus der Physiologie lange wissen, ist eine ausgedehnte Hyperämie der äusseren Teile nur möglich, wenn die Eingeweide das Blut dazu hergeben, und umgekehrt. Aber beweisend sind Franck 's Versuche keineswegs. Zum Messen der Schwankungen der Blutmenge hat er die Niere in einen volumetrischen Apparat gebracht. Legt man aber Bauch- eingeweide frei, so verhalten sich ihre Gefässe, wie ich aus reich- licher eigener Erfahrung versichern kann, und auch aus anderen Untersuchungen^) hervorgeht, ganz anders als normal und man kommt zu ganz verkehrten Schlüssen. Um wieviel mehr wird dies der Fall sein, wenn man eine ganze Niere in Verbindung mit ihren Gefässen in einen Apparat hineinbringt. Es scheint mir deshalb sehr gewagt, aus solchen groben, den natürlichen Verhältnissen nicht Rechnung tragenden Versuchen so weitgehende Schlüsse zu ziehen.

Immerhin wollen wir einmal die Richtigkeit dieser Wechsel- wirkung zwischen Haut und Eingeweiden, welche auch schon ältere physiologische Arbeiten darthun, annehmen. Bedenklich und gänz- lich falsch aber ist es, diese Anschauungen auch auf nahe beiein- ander liegende Teile zu übertragen. So hat man denn Franck 's Versuche auch zum Beweise für die alte Ansicht angeführt, dass eine Rötung der Haut eines Gliedes die tieferen Teile, z. B. Mus- keln und Gelenke, von einer schädhchen Hyperämie befreie. Dies ist ein fundamentaler Irrtum, der zu den verkehrtesten Anschau- ungen Veranlassung gegeben hat. Die hautrötenden Mittel wirken

1) Vergl. Braam Houckgeest. Pflüger 's Archiv Bd. 6.

22 Allgemeiner Teil.

bis in grosse Tiefen hinein hyperämisierend, das werden wir in einem späteren Kapitel noch ausführhch auseinandersetzen. Ich habe deshalb stets angenommen, dass die Hyperämie, welche die Hitze erzeugt, sich nicht auf die Haut beschränkt und die tieferen Teile entlastet, sondern im Gegenteil die sämtlichen Gewebe durch die ganze Dicke eines Gliedes, welches ihr ausgesetzt ist, hyper- ämisiert, vorausgesetzt, dass sie nur stark genug angewandt wird.

Mein Assistent Prof . Klapp i) hat sogar bewiesen, dass sich die Hyper- ämie auch von der Oberfläche auf die Eingeweide fortpflanzt : brachte er den Bauch eines Kaninchens in einen Heissluftapparat, setzte ihn längere Zeit einer sehr starken Hitze aus und eröffnete dann sehr schnell dem leben- den aus dem Kasten entnommenen Tiere die Bauchhöhle, so fand er regelmässig eine Hyperämie der ganzen Bauchwand, der Serosa des Darms und des Centrum tendineum des Zwerchfelles.

Plethysmographische Untersuchungen beweisen, dass Wärme den Inhalt der in den Apparat eingeschlossenen Glieder vergrössert, Kälte ihn verkleinert 2). Offenbar ist an diesen Unterschieden nur der wechselnde Blutgehalt schuld. Leider aber geben diese Ver- suche gar keinen Aufschluss darüber, ob die Hyperämie, welche die erwärmten Gheder anschwellen lässt, sich nur auf die oberfläch- lichen Teile erstreckt oder auch in die Tiefe geht. So hält Sarah A mit in trotz der durch Wärme erzeugten Volum Vermehrung eine entlastende Entleerung tiefer Gefässe durch dieses Mittel für möglich.

Der wichtigste und entscheidende Beweis dafür, dass die Hitze durch Hyperämie und nicht durch die sogenannte ,,Dekongestion" auf die kranken tiefen Teile günstig einwirkt, ist die von mir ge- fundene Thatsache, die ich in dieser Arbeit noch genauer ent- wickeln werde, dass im Gegenteil eine Stauungshyperämie, deren Beseitigung man gerade für wesentlich hielt, vielfach dieselben Wirkungen zeigt, wie die für ein Derivans oder Revulsivum ge- haltene Hitze. Hier hat man sich also grundfalsche Vorstellungen gemacht.

Die Wasserärzte lassen thermische Reize einen sehr grossen Einfluss auf die reflektorische Verteilung des Blutes ausüben. Ich erwähnte schon die Versuche Frangois Franck's. Ausserdem aber berufen sie sich auf gewiss sehr interessante Beobachtungen

1) Klapp, Über die Behandlung von Gelenkergüssen mit heisser Liift. Münchner med. W. 1900. Nr. 23.

2) Sarah Amitin, Über den Tonus der Blutgefässe bei EinwirkLuig der Wärme und Kälte. Zeitschrift für Biologie. 35. Bd. Neue Folge. 17. Band. S. 13.

Erzeugung aktiver Hyperämie. 23

von Brown-Sequard, Schüller, Samuel, Winternitz und anderen. Sie haben sogar behauptet, von bestimmten Hautstellen aus auf den Blutkreislauf in ganz bestimmten inneren Körperteilen einwirken zu können. Leichtenstern in seiner Balneotherapie und Matthes in seinem Lehrbuch der klinischen Hydrotherapie haben teils der Richtigkeit dieser Versuche, teils der Berechtigung, sie auf praktische Zwecke anzuwenden, scharf widersprochen. Und in der That, jeder, welcher ähnliche physiologische Versuche, wie sie hier in Betracht kommen, ausgeführt hat, wird Matthes recht geben, wenn er der grossen Mehrzahl derselben jede Beweiskraft abspricht. Es herrscht auf diesem Gebiete eine grosse Willkür in der Anstellung und Deutung physiologischer Versuche. Wir wollen uns aber damit nur so weit befassen, als sie uns hier inter- essieren, nämlich, als man auch die Erscheinungen, welche die heisse Luft örtlich an den Körperteilen, die man ihr aussetzt, hervorbringt, unter jene Gesichtspunkte gebracht hat. Ob wirk- lich bei der dadurch erzeugten örthchen Hyperämie reflektorische Einflüsse im Spiele sind, weiss niemand. Sicher aber ist, dass man die Hyperämie in ihrem ganzen Umfange erzeugen kann ohne jede Vermittelung des Nervensystems. Das beweist folgender Versuch :

Einem weissen Ferkel i), welches sich in tiefer Äthernarkose befindet, präpariere ich Arteria und Vena fenioralis des einen Hinterbeines rein aus ilirer Scheide. Darauf durchschneide ich sämtliche übrigen Weichteile bis auf den I^ochen, indem ich alle blutenden Gefässe unterbinde. Das Glied ist also nur noch durch den Knochen mid die beiden Hauptadern mit dem übrigen Körper in Verbindung, und insbesondere sind alle Nerven durch- schnitten. Jetzt bringe ich das Glied in einen Heissluftkasten tmd sehe, dass die Hyperämie in genati derselben Form auftritt, wie an dem nicht abge- schnittenen Beine. Gerade so schnell verschwindet die Hyperämie auch wieder, vorausgesetzt, dass man eine Verbrennung vermieden hat.

Auch alle drei Grade der Verbrennung lassen sich an diesem Gliede her- vorrufen.

Lewaschew^) durchströmte abgeschnittene Glieder mit defi- briniertem Blut und stellte fest, dass Wärme Erweiterung, Kälte Verengerung der Gefässe machte, und demgemäss die Ausfluss-

1) Das Seh wein ist für alle Untersuchungen über die Blutverteilung das beste Versuchstier. An der rein weissen Haut des Ferkels erkennt man jede Änderung der Blutfülle und Blutart mit Leichtigkeit.

2) Lewaschew, Über das Verhalten der peripherischen vasomotorischen Centren zur Temperatur. Pflüger's Archiv. 26. Bd. S. 60.

24 Allgemeiner Teil.

geschwindigkeit beeinflusst wurde. Ich kann leider diese Versuche nicht als beweiskräftig anerkennen. Ich habe schon in einer früheren Arbeit auseinandergesetzt!), dass die Durchströmung abgeschnit- tener Körperteile unter konstantem Druck und mit faserstofffreiem Blute zu ganz verkehrten Ergebnissen führt, und dass diese Ver- suche deshalb nicht zu verwerten sind.

Pietrowski^) fand bei plethysmographischen Untersuchungen , dass auch an entnervten Körperteilen die Reizbarkeit der Gefässe noch erhalten geblieben war. Dasselbe wurde von verschiedenen anderen Seiten festgestellt.

Ich selbst habe nachgewiesen, dass die sogenannte reaktive Hyperämie, die nach künstlicher Blutleere auftritt, gänzlich unab- hängig vom Centralnervensystem ist. 3)

Am grossartigsten zeigten Goltz und Ewald'*) tue Unab- hängigkeit der Gefässinnervation vom Centralnervensystem. Die Gefässe des Hundes, welchem stückweise der grösste Teil des Rückenmarkes entfernt wurde, behalten die Fähigkeit, sich auf äussere Reize je nach deren Natur zu verengern oder zu er- weitern.

Es steht also fest, dass eine Hyperämie durch Hitze eintreten kann allein durch örtliche Einwirkung auf die Gefässe ohne alle Vermittelungen des Centralnervensystems und der Nervenstämme. Ob es sich dabei um unvermittelte Reizung der Gefässwand han- delt, oder ob man mit Goltz Gefässganglien annehmen will (die bisher noch nicht entdeckt sind), wollen wir dahingestellt sein lassen.

Schliesslich ist es nicht einmal unbestritten, dass die Hitze eine aktive Hyperämie hervorruft, betrachten doch Winternitz^)

1) Bier, Virchow's Archiv. 147. Band. S. 270.

2) Pietrowski, Studien über den peripheren Gefässmechanismus. Pflüger's Archiv. 55. Bd. S. 240.

3) Bier, Über die während und nach der künstlichen Blutleere auftre- tenden Gefässveränderxongen und ilire physiologische Erkläriuig. Deutsche med. Wochenschr. 1899. Nr. 31.

4) Goltz u. Ewald, Der Hund mit verkürztem Rückenmark. Pflüger's Archiv. 63. Bd. S. 362.

5) Vergl. für diese Frage die Arbeiten von Matthes: Lehrbuch der klini- schen Hydrotherapie. IL Auflage. Jena 1903; und: Über den heutigen Stand der Lehre von der Reaktion im hydriatischen Sinne. Zentralblatt für physikalische Therapie und Unfallheilkunde 1904.

Erzeugung aktiver Hyperämie. 25

und seine Schüler dieselbe als passive Hyperämie! Nun scheint mir, dass ein Blick auf die Haut eines Gliedes von irgend einem weissen Geschöpfe (Mensch oder Schwein), welches man z. B. einige Zeit einer sehr heissen Luft ausgesetzt hat, gar keinen Zweifel darüber obwalten lässt, dass es sich hier um nichts anderes als eine hocharterielle Hyperämie handeln kann; denn die Röte, die danach entsteht, ist womöglich noch höher und lebhafter, als die, welche nach künstlicher Blutleere auftritt, und von dieser wissen wir, dass es eine arterielle Hyperämie mit ausserordentlicher Be- schleunigung des Blutstroms ist. Indessen habe ich diese An- schauung noch durch einige Versuche zu stützen gesucht:

Ich bringe ein Bein eines Hundes, welcher sich in tiefer Äthernarkose befindet, 1/2 Stunde lang in einen Heissltiftkasten und hyperäniisiere das Glied sehr stark. Bei Eröffnung der vorher präparierten Vena femoralis konnxit Blut unter lebhaften Pulsationen aus der Vene. Es ist dies eine Wiederholung eines bekannten physiologischen Versuches, um die starke Beschleunigung des arteriellen Blutstroms zu beweisen. Eigentlich sollte das Venenblut noch durch seine Hellröte dem des andern Beines gegenüber auffallen. Dies konnte ich in zwei Versuchen nicht feststellen. Trotz der Äthernarkose war das Blut beider Venen hellrot. Aber in dem nichthyper- ämisierten Beine fehlte vollständig das Ausfliessen des Blutes unter Pulsation.

Folgende Versuche werden sehr deutlich zeigen, dass in der That zum Ertragen hoher Hitzegrade ein sehr schneller Blutstrom nötig ist, der die Rolle eines Kühlstroms für das erwähnte Glied spielt :

Ich bringe meinen Arm in einen Heissluftkasten und wärme ihn lang- sam an. Als das Thermometer 114° C.i) zeigt, wird die Hitze gerade noch gut ertragen, bei 115° tritt ein unangenehmes Brennen unter den Nägeln auf. Die Temperatur von 114 115° wird dagegen längere Zeit ohne Be- schwerden ertragen. Das Glied schwitzt dabei mäßig.

Pick: Über den Einfluss mechanischer u. thermischer Einwirkungen auf Blutstrom und Gefässtonus. Zeitschrift für Heilkunde 1903. H. IL

Lommel, Über den Tonus der grossen Gefässe. Deutsches Archiv f. klinische Medizin. Bd. LXXVIII, und: Über die Viscosität des menschlichen Blutes bei Schwitzprozeduren. Ebenda. Bd. LXXX.

Martin: Beiträge zm- Lehre über den Einfluss thermischer Anwendungen auf das Blutgefässsystem. Zeitschrift für diätetische u. physik. Therapie. 7. Band. 8. H.

1) Die Temperatur, welche das Thermometer an der Decke des Apparates anzeigt, braucht nicht derjenigen gleich zu sein, welche auf das Glied einwirkt. Bei sonst gleichen Verhältnissen liefert aber das Thermometer vollständig ge- nügende relative Masse.

26 Allgemeiner Teil.

Nun wird dasselbe Glied mit einer Gummibinde am Oberarm, welche eine sehr massige Stauungshyperämie hervorbringt, in genau derselben Lage in denselben Kasten gebracht, ■welcher wiederum langsam angeheizt wird. Bei 98° tritt ein sehr lebhaftes Brennen unter den Nägeln auf. Etwas unter 98 ° wird die Hitze gerade noch dauernd gut ertragen. Auch hier ist der Arm feucht von Schweiss.

Erzeuge ich an demselben Gliede eine starke Stauungshyperänaie, wobei allerdings der Radialpuls noch deutlich zu fülilen ist, und bringe es unter den gleichen Bedingungen in den Heissluftkasten, so bin ich schon bei 78° an der Grenze des Erträglichen angelangt.

Da nun ein venös hyperämisches Glied, wie viele Erfahrungen zeigen, eher vermehrte als verminderte Schweissabsonderung zeigt, so kann nur die verzögerte Strömungsgeschwindigkeit des Blutes die Ursache der grösseren Empfindlichkeit gegen die Hitze sein; wir haben hier eben den Kühlstrom, welcher neben dem Schwitzen das Glied vor der Verbrennung schützt, verlangsamt.

Des Überflusses halber habe ich auch die Gegenprobe gemacht :

Ich mache meinen Arm 16 Minuten lang durch Abschnürung blutleer. Beim Lösen des Gurtes tritt die gewaltige reaktive Hyperämie, die wir Chirurgen als sehr große Beschleunigung des Blatstromes zur Genüge kennen, ein. Das Glied wird jetzt unter denselben Bedingimgen in denselben Heiss- luftkasten wie vorliin gesteckt, der vorher auf eine gleichmässige Tem- peratur von 145° gebracht ist. Das Glied verträgt diese Hitze sehr gut und schwitzt lebhaft. Ich entferne den Arm aus dem Kasten, warte ab, bis er gänzlich abgeblasst ist, imd bringe ihn dann wieder liinein, während das Thermometer immer noch 145° zeigt. Die Hitze Avird jetzt nur wenige SekTxnden ertragen, dann muß das Glied wegen unerträglichen Brennens zurückgezogen werden.

Hierher gehören auch folgende Beobachtungen:

In einen Heissluftkasten setzte ich mein Becken einer Hitze aus, welche gerade noch gut ertragen wird. Mache ich jetzt diorch Anhalten des Atems und starkes exspiratorisches Pressen bei geschlossener Nase und Mund eine Rückstauung des Blutes im ganzen Körper, so wird die Hitze unerträglich, beim Beginn der Atmung dagegen schwindet das brennende Gefühl.

Mache ich denselben Versuch mit meinem Arm, so fühle ich folgendes:

Bei Beginn des Fressens wird die Hitze sehr deutlich weniger empfunden, allmählich macht diese Erleichterung einem stärkeren Gefühl des Brennens Platz. Unmittelbar nach dem Wiederbeginn der Atmung tritt ein sehr lebhaftes verstärktes Brenngefühl atif, welches schnell wieder ver- schwindet.

Erzeugmag aktiver Hyperämie.' 97

Alle diese Versuche sind von einem meiner Assistenten an seinem Arm nachgeprüft mit genau gleichem Erfolge.

Dass der schnelle Blutstrom ein Schutzmittel gegen Ver- brennung ist, zeigt sehr schön folgender Versuch:

Ich bringe meinen Arm, an welchem dm^ch eine Gummibinde eine leichte Stauungshyperämie hervorgerufen ist, 1 Stunde lang in lieisse Luft, welche gerade noch gut vertragen wird. Nach Abblassen der hyperämischen Haut bleibt ein zierliches Netz roter Streifen zurück, welches, wie man ohne weiteres erkennt, dem Geäder der kleinen oberflächlichen Hautvenen ent- spricht. Die größeren subkutanen Venen haben ihren Verlatif nicht aufge- zeichnet. Die roten Streifen verschwinden nach etwa 12 Stunden wieder.

Hier ist es also zu einer leichten Verbrennung ganz genau" im Verlauf der kleinen Hautvenen gekommen, in denen durch die un- bedeutende Stauung der Blutstrom verlangsamt wurde. Einen besseren Beweis für die Richtigkeit meiner Ansicht, dass der Blutstrom einen Kühlstrom darstellt, kann man wohl kaum ver- langen. Ich habe deshalb von schwierigen physiologischen Unter- suchungsmethoden abgesehen, deren Ergebnisse trotzdem dann noch meist unsicher und nicht eindeutig sind. Hierher gehörige Versuche hat Balli^) vermittels des v. Kriess'schen Flammen- tachygrammes angestellt. Er mass damit die Stromgeschwindigkeit des Blutes im menschlichen Arm, welchen er in einen Plethys- mographen mit verschieden hoch erwärmtem Wasser brachte. Er fand, dass durch Wärme die Strompulse erheblich vergrössert, durch Kälte verkleinert wurden.

Ich bemerke noch, dass Tiere, welche überhaupt nicht sichtbar schwitzen^), sondern nur unbedeutend durch die Haut dünsten, und ihre Wärmeregulation durch die mehr oder minder beschleunigte Atmung beziehungsweise Fächelung der Zunge und der Mundschleim- haut besorgen, wie der Hund, mindestens dieselben Hitzegrade vertragen, wie der Mensch, worüber mich Versuche zweifellos be-

1) Ettore Balli, Über den Einfluss lokaler und allgemeiner Erwärmung und Abkühlung der Haut auf das menschliche Flammentachygramm. Inaugural- Dissertation. Bern 1896.

2) Die allgemeine Ansicht geht dahin, dass Hunde unter normalen Verhält- nissen nicht schwitzen. Um so auffallender war mir die Angabe von Goltz u. Ewald, die einzig dasteht, dass Htmde, denen das Halsmark dm-chschnitten war, an der Haut des ganzen Körpers mit Ausnahme des Kopfteils stark schwitzten. Jedenfalls fühlen sich die Glieder von Hunden, welche man sehr heisser Luft ausgesetzt hat, völlig trocken an.

28 ' Allgemeiner Teil.

lehrt haben. Ich brachte GHeder von Hunden in den Heissluft- apparat. Sie bheben trocken, wurden aber sehr stark hyperämisch. Ich habe bei früheren Versuchen bemerkt, dass bei Hunden mit dunkler Haut die starke reaktive Hyperämie nach künstlicher Blut- leere nicht zu erkennen ist. Setzte ich aber diese dunkelgefärbten Gheder einer sehr heissen Luft aus, so konnte ich über die ge- waltige Hyperämie gar nicht im Zweifel sein. Dieselbe ist wohl deshalb bei diesen Tieren so grossartig, weil der abkühlende Blut- strom den fehlenden Schweiss ersetzen muss.

Eine grosse Heilwirkung hat man bei der Anwendung auch von lokaler Hitze dem bedeutenden Schweiss Verluste zugeschrieben. Hat man doch bei vielen der Krankheiten, welche meiner Ansicht nach durch die reaktive Hyperämie der Hitze gewaltig beeinflusst werden, allgemeine Schwitzkuren von altersher eingeleitet, so z. B. bei den Gelenkversteifungen des chronischen Rheumatismus und der Arthritis deformans, vor allem aber bei Wasserergüssen in die Gelenke. Hier ging man geradezu von dem Gedanken aus, durch Wasserverarmung des ganzen Körpers den Erguss zur Resorption zu bringen.

Ich bin nicht so einseitig, leugnen zu wollen, dass Schweiss- verlust für Resorptionen im Körper eine grosse Rolle spielen dürfte, ich will auch nicht einmal behaupten, dass das bei den erwähnten Krankheiten nicht nützlich sein könnte. Aber dem Schweissverluste kommt gerade bei den Krankheiten, welche uns hier interessieren, und welche wir mit rein örtlich angewandter Wärme behandeln, sicherlich nur eine ganz untergeordnete Bedeutung zu. Ich habe das dadurch bewiesen, dass ich einzelne versteifte Finger, bei deren Erwärmung von einem wesentlichen Schweissverluste gar keine Rede sein kann, durch Heissluftapparate besserte. Ferner müsste alsdann am weitaus wirksamsten die allgemeine Anwendung der Wärme sein. Beim allgemeinen heissen Sandbade hat man Ge- wichtsverluste bis zu 3 kg beschrieben, während Mendelsohni) bei einem heissen Luftbade von 120°, welches er II/2 Stunden lang auf seinen Arm einwirken liess, nur einen Gewichtsverlust von 750 g, Krause^) bei einer Kranken, bei welcher er je eine Stunde

1) Mendelsohn, Über die therapeutische Verwendttng sehr hoher Tem- peraturen. Verh. d. 16. Kongresses für innere Med. 1898.

2) Krause, Erfahrungen über therapeutische Verwendung überhitzter Luft. Verh. d. deutschen Gesellschaft für Chirurgie 1899, 18. Kongress IL S. 230.

Erzeugung aktiver Hyperämie. 29

einen Heissluftapparat verwandte, in 7 Tagen voi. 270 500 g täglich erzielte. Die Erfahrung zeigt aber, dass bei den oben- genannten Krankheiten gerade die örtliche Anwendung der Hitze das weitaus wirksamste ist. Nun kann man doch unmöglich an- nehmen, dass gerade örtliche Schweiss Verluste resorbierbare schäd- liche Stoffe aus ihrer unmittelbaren Nähe herausbefördern in dem Sinne, wie sich die alten Ärzte die Entfernung der Materia peccans durch das Derivans dachten.

Von Wichtigkeit erscheinen mir hier noch folgende Aus- führungen Schreiber'si): Die Schweisssekretion wird schon bei geringeren Hitzegraden (45 50°) angeregt, bei 60 70° vermehrt, darüber hinaus nimmt sie häufig ab und verschwindet zuweilen bei 80 90° so sehr, dass sich die Haut glatt und trocken anfühlt. Schreiber ist der Ansicht, dass diese Trockenheit nicht nur eine Folge der reichlichen Verdunstung ist, sondern dass infolge von Überreizung und Ermüdung der Schweissdrüsennerven wirkhch weniger Schweiss abgesondert werde. Dagegen giebt er zu, dass bei zunehmender Hitze auch stets die Hjrperämie wächst, um bei den höchsten Hitzegraden ihren Höhepunkt zu erreichen . Schreiber ist der Meinung, dass zum reichlichen Schweisserzeugen geringere Temperaturgrade genügen, und bezweifelt, ob es überhaupt nötig ist, die stärkste Hyperämie zu erzielen.

Zwei Schüler Schreiber's, Rautenberg'^) und Hoffheinz^), konnten dessen Ansichten experimentell bestätigen. Sie kommen auf Grund von Versuchen zu folgenden Schlussfolgerungen:

,,1) Bei Einwirkung heisser Luft auf die Haut haben Schweiss- sekretion und aktive Hyperämie ein Temperaturoptimum.

2) Für die Schweisssekretion liegt dieses Optimum bei 50 60°. Bei höherer Temperatur (80° und darüber) ist die Schweisspro- duktion geringer und nicht höher als z. B. bei 40°. Bei längerer Einwirkung heisser Luft nimmt die Schweisssekretion stark ab, es tritt eine ,, Ermüdung" ein.

1) Schreiber, Über Heissluftapparate und Heissl uftbehandJung. Zeit- schrift für diätetische und physikalische Therapie. V. Band. 2. Heft.

2) Rautenberg, Experimentelle Untersuchungen über aktive Hyperämie und Schweisssekretion. Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie. 8 Bd. 1905. S. 333.

3) Hoffheinz, Über das Verhältnis von Hyperämie und Hyperhidrosis bei lokaler Applikation überhitzter trockner Luft. Inauguraldissertation Königs- berg 1903.

30 Allgemeiner Teil.

ffT 3) Aktive Hyperämie tritt bei Temperaturen von 80 120° auf. Die Toleranzgrenze für diese Temperaturen liegt individuell ver- schieden hoch."

Wenn ich hiermit meine eigenen Erfahrungen in Vergleich bringe, so muss ich bemerken, dass es auch mir scheint, dass die grösste Schweissabsonderung nicht bei den höchsten Hitzegraden erfolgt; indessen ist es mir nicht erinnerlich, die von Schreiber beschriebenen trockenen und geröteten Gheder nach Einwirkung hoher Temperaturen gesehen zu haben. Nun weist die überein- stimmende Erfahrung dahin, dass man zur Erzielung gewisser Wirkungen gerade hohe Temperaturen nötig hat, und mit ihnen noch gute Erfolge erzielt, wo niedere Grade oder Wärmewirkungen, die in gleicher Weise schweisstreibend, aber nicht so stark hyper- ämisierend wirken, versagen. Da also von den beiden Reaktions- vorgängen, Schwitzen und erhöhter Blutzufuhr, nur die letztere mit der höheren Temperatur gewachsen ist, so kann auch das nur die bessere Wirkung hervorgebracht haben. Ich stimme deshalb auch nicht mit Schreiber überein, wenn er meint, dass die sehr hochgradige Hyperämisierung nicht notwendig sei. Aller- dings darf man die Hitze nicht bis zur Verbrennung steigern, denn wahrscheinlich wird diese der aktiven Hjrperämie Ab- bruch thun. Sie führt eben zu entzündlichen Zuständen in der Haut, welche eine Verlangsamung des Blutstroms zur Folge haben dürften.

Gegen die Ansicht, dass die Hjrperämie die entscheidende Heilwir- kung bei den meisten der Heissluftbehandlung unterworfenen Leiden ausübt, scheint nun die von verschiedenen Seiten gemachte Beobach- tung zu sprechen, dass z. B. bei chronischen Gelenkversteifungen Gelenke, welche gar nicht der Hitze ausgesetzt waren, sich mit den behandelten gleichzeitig bessern. Auf den ersten Blick scheint das für eine Allgemeinwirkung der örtlich angewandten Hitze auf den ganzen Körper zu sprechen. Dieser Schluss ist am schärfsten von Walshi) (,,honorary medical officer to the Tallerman free Insti- tute" in London) gezogen. Derselbe sah ein altes chronisches Ekzem beider Hände, welches allen möglichen Behandlungsmethoden ge- trotzt hatte, sich bessern, obwohl nur die rechte im T aller man'schen Heissluftapparat behandelt wurde. Er glaubt sogar, man könne

1) Walsh, Hot-air treatment of eczematous, gouty rheuniatic and other affections. The Lancet 1900. S. 481.

Erzeugung aktiver Hyperämie. 32

einen steifen Ellbogen bessern oder heilen bei örtlicher Heissluft- behandlung eines Beines, und schreibt das der Allgemeinwirkung des örtlichen Heissluftbades, welches sich in Schwitzen, Erhöhung der Pulszahl und der Körpertemperatur äussert, zu. Ich bezweifle sehr, dass diese Ansicht richtig ist, und wenn ich selbst, wie die meisten andern, welche diese Behandlungsmethode verwenden, schon gesehen habe, dass einzelne Gelenke, die gar nicht mitbehandelt wurden, sich auch besserten, so war doch die Wirkung niemals so hochgradig, wie bei den behandelten Gelenken, und sehr häufig fehlte sie ganz. Immerhin bleibt die Thatsache bestehen, aber sie erklärt sich viel ungezwungener auf andere Weise: Wir wissen, dass jede starke Hitzeeinwirkung auf äussere Körperteile das Blut aus den Eingeweiden in diese Teile hineinzieht. Es nehmen also bei starker Einwirkung der heissen Luft auf einen Körperteil alle andern Glieder und oberflächlich liegenden Teile an der ver- mehrten Blutdurchströmung teil. Ferner wissen wir, dass bei viel- fachen Krankheitsherden sich die übrigen bessern können, wenn man einen von ihnen aus dem Körper fortschafft. Wir Chirurgen kennen das von der Tuberkulose, und ein jeder von uns hat wohl einmal einen Menschen mit schwerer Lungenschwindsucht über Erwarten aufblühen sehen, wenn er ihm z.B. ein Bein, welches mit fortgeschrittener Kniegelenkstuberkulose behaftet war, fortschnitt. So habe ich denn auch häufig gesehen, dass bei chronischen Ge- lenkversteifungen gar nicht behandelte Gelenke sich mitbesserten, wenn ich die schlimmsten unter ihnen mit Stauungshj^erämie be- handelte. Gerade diese Erfahrung dürfte am besten beweisen, dass es sich dort nicht um rätselhafte Allgemeinwirkungen einer örtlich angewandten Hitze handelt, sondern dass wir es in dem einen wie in dem andern Falle mit Hyperämiewirkungen zu thun haben.

Auch die von Walsh angeführte Beobachtung Chretien's, welcher bei Gicht nach örthcher Heissluftbehandlung eines gichti- schen Gelenkes eine stark vermehrte Ausscheidung von Harnsäure durch die Nieren sah, spricht nicht, wie Walsh annimmt, für eine Fernwirkung auf diese, sondern erst recht für Hyperämie Wirkung, Denn ich werde bald auseinandersetzen, dass die aktive Hj^per- ämie, welche die Hitze erzeugt, im hohen Masse resorbierend wirkt. Wie alle möglichen anderen krankhaften Stoffe kann dieselbe auch die in den Gelenken abgelagerten Harnsalze wegschwemmen und zur Ausscheidung durch die Nieren bringen.

32 Allgemeiner Teil.

Der entscheidende Beweis dafür, dass wirklich die Hyperämie und nicht die übrigen Begleiterscheinungen, welche die Anwendung der Wärme mit sich bringt, das Wirksame ist, geht wieder daraus hervor, dass auch alle möghchen auf andere Weise erzeugten Hyperämien, die gar nicht zu Allgemeinwirkungen führen, ähnhch wirken.

Ich will schon hier bemerken, dass es mir scheint, als habe man die Einwirkung der Wärme auf den ganzen Körper und auf einzelne Teile nicht genügend auseinandergehalten. Es ist offen- bar etwas anderes, ob ich den ganzen Menschen bis an den Hals in ein Heissluft- oder Sandbad stecke, oder nur einen Arm. Im ersteren Fall wird eine ungeheure Masse Blut in die Haut gezogen, das natürhch tiefere Teile hergeben müssen, im letzteren ist aber Blut genug vorhanden, um das Glied in seiner ganzen Dicke zu hyperämisieren.

Apparate für die Heissluftbehandlung.

Meines Wissens bin ich^) der erste gewesen, welcher brauch- bare Heissluftapparate zur Behandlung örthcher Krankheiten her- gestellt hat, und zwar in der ausgesprochenen Absicht, damit ar- terielle Hyperämie zu erzeugen. Ich benutze diese Apparate seit dem Jahre 1891. Zwar hat, wie ich später aus der Literatur ersah, schon kurz vorher Clado einen Heissluftapparat hergestellt, derselbe ist aber so umständlich und unsicher in seiner Wirkung, dass er keinen Nachahmer finden dürfte. Clado 2) baute einen Ofen aus heissen Ziegelsteinen, in den er tuberkulös erkrankte Gelenke hineinbrachte, in der Absicht, die Tuberkelbazillen durch Hitze abzutöten. Die Luft in dem Ofen mass 130°, unter der Watteschicht 110°.

1) Bier, v. Esmarch's Festschrift S. 63. Kiel land. Leipzig 1893. Münch- ner med. Wochenschrift 1899 Nr. 48 und 49. Therapie der Gegenwart. Februar 1902.

2) Clado, Bericht des französischen Chirurgenkongresses vom Jahre 1891.

Apparate für die Heissluftbehandlung. 33

Ich hatte von diesen Versuchen Clado's keine Kenntnis, als ich meine Heissluftapparate herstellte, denn die Veröffenthchungen jenes Arztes waren zu dieser Zeit noch nicht erschienen. Meine Apparate!) zeichnen sich durch grosse Einfachheit aus. Sie sind im Prinzip dem Quincke'schen für den ganzen Körper hergestell- ten Schwitzbette nachgebildet.

Die Heizquelle für meine Apparate ist der Quincke'sche Schornstein, welchen ich so modifiziert habe, dass er an einem Gestell mit schwerem Fusse, ähnlich wie es die Chemiker be- nutzen, verschiebbar befestigt ist und daran in jeder beliebigen Höhe durch eine Schraube festgestellt werden kann. Unten hat der Schornstein einen Teller für die Lampe, welcher ebenfalls ver- schiebüch ist.

Am besten heizt man den Apparat mit Gas an, indem man einen einfachen, mit Regulierhahn versehenen Bunsenbrenner unter den Schornstein stellt. Man kann alsdann durch Stellung des Hahnes sehr genau die Hitze im Apparate je nach Bedarf steigern oder vermindern.

Die Gasflamme muss angezündet werden, bevor der Schorn- stein in den Kasten eingefügt wird. Sonst kann es vorkommen, dass Gas in den Kasten einströmt, beim Anzünden explodiert und das eingeschlossene Glied versengt.

Im Hausgebrauche wird man häufig kein Gas zur Verfügung haben, sondern ist auf den Spiritus als Heizquelle angewiesen. Nach verschiedenen vergeblichen Versuchen mit Spiritusgasflammen bin ich immer wieder auf die einfachste Form der Spirituslampe, einen grossen Behälter mit sehr breitem Docht zurückgekommen. Die Hitze wird teils durch Vor- und Zurückschieben des Dochtes, teils durch Auf- und Abstellen der Lampe geregelt. Den Docht lasse ich mit einer Pinzette bedienen, da Schraubapparate sich als unpraktisch erwiesen haben.

Von den Heissluftkästen beschreibe ich zunächst die ein- fachste Form:

Ein Holzkasten wird, um ihn vor dem Zerspringen durch Hitze und vor Feuersgefahr zu schützen, mit Wasserglas getränkt und mit Packleinen, das ebenfalls in Wasserglas getränkt ist, bekleidet. Er enthält je nach dem Sitz der Krankheit einen oder zwei Aus- schnitte, um das erkrankte Glied in den Kasten eintreten, bezw.

1) Sie werden von der Firma Eschbaum in Bonn geliefert. Bier, Hyperämie als Heilmittel. 3

34 Allgemeiner Teil.

ein- und austreten zu lassen. Sobald das Glied hineingesteckt ist, werden der resp. die Ausschnitte mit feuersicherer Asbestwatte abgedichtet. Oben besitzt der Kasten ein oder mehrere Zuglöcher, welche man nach Bedarf grösser oder kleiner herstellen kann, und trägt ein Thermometer.

Besser für die Handhabung und für das kranke Glied ist es, den Kasten zum Aufklappen herzustellen und seine Ausschnitte mit Halbschalen aus Holz, die mit Filz bekleidet sind, zu versehen, auf denen das Ghed sehr bequem ruht. Das ist von der grössten Be- deutung, da eine einstündige unbequeme Lagerung eines versteiften und schmerzhaften Ghedes ganz unerträghch und schädlich ist. Ich glaube, dass sich in dieser Beziehung meine Apparate vor allen anderen auszeichnen. Man kann auch, um Watte zu sparen, eine länger gespaltene Filzmanschette an den Ausschnitten anbringen, welche auf das Ghed festgebunden wird. Fig. 1 zeigt einen solchen Kasten für das Kniegelenk seithch aufgeschnitten, um einen Ein- blick in das Innere zu gestatten, Fig. 2 einen für das Fussgelenk. Für bemittelte Kranke lasse ich jeden einzelnen Kasten vom Tischler anmessen, damit die Ausschnitte möglichst genau auf das Ghed passen. Der Abschluss muss dicht sein, weil sonst die heisse Luft aus dem Spalt zwischen Glied und Kasten mit grosser Schnelhgkeit durchzieht und leicht Verbrennungen verursacht. Für Krankenhäuser muss man Ausschnitte von grösserer Weite herstellen lassen, die dann nach Bedarf mit Watte abgedichtet werden.

Um die Kästen für jedes Glied brauchbar zu machen, kann man auch die Abdichtung durch eine zusammenschnürbare Stoff- manschette bewerkstelhgen, wie sie der T aller man'sche Apparat hat. Ich habe dazu nach Krause's Vorgang Mosettigbattist ver- wandt, welcher sich, abgesehen von seiner geringen Haltbarkeit, gut bewährt hat. Will man wirklich dauerhafte Apparate haben, so bleibe man heber bei den oben beschriebenen.

Zweckmässig ist die Stoffmanschette nur bei dem Apparat für die Schulter, welcher in Fig. 3 abgebildet ist. Er wird am besten an die Wand gehangen und trägt an seinem Boden ein Loch, wel- ches zum Durchstecken des kranken Armes dient ; über die Schulter wird die Stoffmanschette gezogen, die an einem gut gepolsterten biegsamen Metallring befestigt ist. Dieser Ring -v^ird nach Hinein- führen der Schulter dem Körper überaU gut angepasst und mit zwei Bindezügehi, die in der gesunden Achselhöhle geknüpft

Apparate für die Heissluftbehandlung.

35

Fig. 1.

werden, oder einem festzuschnallenden Gurte daran befestigt. Aberun- entbehrlich ist die Stoff manschette auch bei diesem Apparat nicht ; man kann ihn ebenfalls in Form eines einfachen Kastens herstellen, der freiHch einen genau pas- senden Ausschnitt für die

Schultergelenksgegend tragen muss.

Es ist die Frage, ob man den im Kasten ein- geschlossenen Körperteil mit Watte oder besser mit leichten Zeugstoffen einhüllen soll oder nicht. Ich sehe von der Ein- hüllung ab, andere ma- chen sie grundsätzlich. Es ist nicht zu leugnen, dass sie die Gefahr der Hautverbrennung herab- setzt und vielleicht eine gleichmässigere Vertei- lung der Wärme auf alle GHedab schnitte ver- bürgt. Aber der ein-

3*

Fig. 2.

36

Allgemeiner Teil.

hüllende Stoff tränkt sich andererseits rasch mit Schweiss, so dass man auf diese Weise eine feuchtere Hitze auf das Ghed ein-

Fis. 3.

Fig. 4.

wirken lässt und der erwünschten starken arteriellen Hyperämie dadurch Abbruch getan wird.

Apparate für die Heissluftbehandlung. 37

- Fig. 4 zeigt den Apparat für die Hüfte und das Becken. Er ist unten offen, hat Ausschnitte für Rumpf und Beine und wird über den liegenden Kranken gestülpt. Dieser liegt dabei am besten auf dem Bauche. Er wird durch untergeschobene Kissen und Rollen so unterstützt, dass er sehr bequem liegt. Ich empfehle diesen Apparat auch für die einseitige Erkrankung der Hüfte. Ich habe ursprünglich ganz ähnliche Apparate für eine Hüfte, wie sie in neuerer Zeit von verschiedenen Seiten verfertigt worden sind, gebraucht, wende sie aber nur noch ausnahmsweise an, da der abgebildete Apparat viel kräftiger und gleichmässiger die Hitze einwirken lässt. Einer näheren Beschreibung bedarf der Apparat wohl nicht, ich verweise auf die Abbildung. Natürlich kann jeder Tischler auch Apparate für jeden anderen Körperteil nach Mass herstellen. So habe ich mehrmals Apparate für die ganze rheu- matisch erkrankte Wirbelsäule herstellen lassen

Einen viel bequemeren Heissluftapparat für das Becken (Hüft- gelenkserkrankung, Ischias, Lumbago) und den Rücken als den in Fig. 4 abgebildeten hat mir neulich C. Eschbaum ange- fertigt. Der Apparat hat die Form eines Stuhles, seine Rücken- lehne wird vom Heizkasten gebildet, dem man die verschie- denste Form für den jeweilig zu behandelnden Körperteil geben kann. Der Kasten hat einen passenden Ausschnitt mit Filz- polsterung zur bequemen Aufnahme des Rückens. Am oberen Ende ist eine stellbare Kopfstütze angebracht. Eine Charnierver- bindung des Stuhlsitzes gestattet jede beliebige Lage des Rückens bis zur Horizontalen. Eine Zahnstange steht Kasten und Sitz gegeneinander fest. Ein breiter gepolsterter Quergurt verhindert, dass der Kranke zu tief in den Kasten hineinrutscht. Der Heiz- körper ist in einem Gehänge mit Exzenter beweglich eingeschaltet, so dass er jeder veränderten Lage des Kastens folgt. Dieser Apparat hat vor meinen alten Becken- und Rückenkästen den wesenthchen Vorteil, dass auch fettleibige und unbeholfene Kranke sehr bequem darin sitzen und dass er leichter anzuheizen ist.

Auch für mehrere Personen kann man ein und denselben Kasten benutzen, wenn man ihn mit verschiedenen verschliessbaren Ausschnitten versieht. Solche Apparate haben wir zeitweihg in der Polikhnik im Gebrauch gehabt, um 3 4 Leute zu gleicher Zeit in einem Kasten behandeln zu können.

Alle Kästen sind mit einem kurzen eisernen Rohr versehen, welches die erwärmte Luft des Schornsteins eintreten lässt. Dasselbe

38 Allgemeiner Teil.

muss an einer tiefen Stelle des Kastens eintreten, weil sonst der untere Luftraum nicht genügend erwärmt wird. Selbstverständlich wird man die Rohre aller Kästen von gleichem Kaliber verfertigen, damit man ein und denselben Schornstein für alle verwenden kann. Durch mehr oder weniger weite Einführung des Schornsteins in das eiserne Rohr des Kastens lässt sich die Hitze regulieren. Auch wenn man den Schornstein ein beträchtliches Stück vom Kasten- rohr abzieht, geht die heisse Luft wegen des Zuges im Kasten noch durch diesen hindurch. Damit sie nicht unvermittelt den kranken Körperteil trifft und denselben versengt, ist am Eintritt des Eisenrohrs ein ebenfalls mit Wasserglas getränktes Schutzbrett, um welches sie erst herumstreichen muss, im Innern des Kastens angebracht (siehe Fig. 1).

Eine Zeitlang haben wir die Luft auch von unten in den Apparat eintreten lassen. In diesem Fall wird ein sehr breites gewölbtes Schutzbrett, dessen Enden von den Seitenwänden des Kastens nur wenige Zentimeter entfernt sind, über der Öffnung des weit in den Apparat eingeführten Heizrohres, welche die Form eines seithchen Schlitzes hat, angebracht. In letzter Zeit aber bin ich wieder zur alten Anordnung zurückgekehrt.

Zur Bedienung der Kästen gehört eine zweite Person. Ich habe früher an den Apparaten Reguliervorrichtungen für die Hitze gehabt, die der Kranke selbst bediente, habe dieselben aber als unzuverlässig und komphziert aufgegeben.

Meine Heissluftkästen haben von verschiedenen Seiten Nach- ahmungen und Modifikationen, aber ich glaube nicht immer Ver- besserungen erfahren. Am bekanntesten sind die K r au se' sehen i) Apparate geworden. Sie bestehen aus einem Drahtnetz, welches mit Asbestfilz bekleidet ist. Von der Decke herab hängt ein Gurt, in welchem das Ghed gelagert wird. Zum Abdichten des Asbestzylinders dient eine Stoffmanschette aus Mosettigbattist, die auf dem eingeführten Glied festgebunden wird. Sonst unter- scheiden sich die Apparate in nichts Wesen thchem von meinen. Da die Krause'schen Apparate gefälliger und leichter sind als die meinigen, habe ich sie eine Zeitlang in ausgedehnter Weise angewandt, bin aber vollständig davon zurückgekommen, weil sie

1) Krause, Die örtliche Anwendting überhitzter Lioft. Münchner med. Wochenschrift 1898. Nr. 18 vmd Erfahrungen über die therapeutische Verwen- d\ing überhitzter Luft. Verh. der deutschen Ges. für Chirurgie. 18. Kongress. IL Bd. S. 225. 1899.

Apparate für die Heissluftbehandlung. 39

nicht nur weniger haltbar, sondern auch weniger brauchbar als die meinigen sind. Sie leiden vor allen Dingen an dem Fehler, dass der Luftraum zu klein ist, und dadurch die Hitze das nahe an der Eingangsöffnung des Heizrohres gelegene Glied zu unvermittelt trifft; so wird ein Teil des Ghedes einer übermässigen, andere Teile einer viel zu geringen Hitze ausgesetzt. Dies macht sich auch besonders in der häufig ganz einseitigen Rötung des Ghedes bemerkbar. Die sehr ungleiche Temperatur im Innern der Krause'- schen Apparate wurde auch, wie schon erwähnt, von Schreiber durch Messungen festgestellt. Dieser Fehler hesse sich wahr- scheinMch durch Vergrösserung der Asbestapparate leicht abstellen. Indessen scheint mir die Leichtigkeit der Verarbeitung von Holz, und damit die Möglichkeit, alle Formen der Apparate für jeden Teil des Körpers leicht und bilhg herzustellen, ein nicht zu unter- schätzender Vorteil zu sein. Um unnötigen Wärmeverlust zu ver- meiden, müssen die Wände der Holzkästen recht dick sein, so wie das an dem aufgeklappten Apparate in Fig. 2 sichtbar ist.

Der Schornstein der Kraus e'schen Apparate ist unpraktisch, weil er drei verstellbare Füsse hat.

Wilson!) beschreibt meinen und den Kr ans e'schen Apparaten ganz ähnliche ,,Öfen". Als Neuerung an ihnen ist zu erwähnen, dass er eine Salzmasse innen in dem ,,Ofen" anbringt, welche den abgesonderten Schweiss begierig aufnimmt und so den Innenraum trocken erhält.

Die gleiche Vorrichtung ist in den Apparaten Reitler's^) ge- troffen. Derselbe verwendet eine flache Tasse mit pulverisiertem wasserfreien Chlorcalcium zum Absorbieren des verdunsteten Schweisses in seinen Apparaten, welche sich sonst von den Kr aus e'- schen kaum unterscheiden.

Roth 3) hat einen Heissluftkasten beschrieben, welcher mehrere Nachteile der angeführten Apparate vermeiden soll. Roth schiebt in einen Krause' sehen Apparat noch einen Asbestzylinder ein, so dass ein Heizkanal entsteht, in welchen die erwärmte Luft eingeführt wird. Das kranke Glied hegt in dem inneren Asbest- zylinder und wird von der zugeführten heissen Luft, welche nur

1) Wilson, Hot air in joint-diseases. Annais of surgery 1899. S. 155.

2) R eitler, Die Trocken-Heisshiftbehandlung. Baden bei Wien 1900. Verlag von A. Dittrich.

3) Roth, Eine neue Heissluftapparat-Konstruktion. Zeitschrift für diäte- tische und physikalische Therapie. 6. Band. 3. Heft. 1902.

^Q Allgemeiner Teil.

durch den Kanal streicht, überhaupt nicht getroffen. Dieser er- wärmt vielmehr nur die Wände des Asbestzyhnders, welcher die Wärme wieder dem Innenluf träume, der das Glied enthält, mitteilt. Durch ein Ventil lässt sich der Luftstrom im Heizkanal und damit die Wärme der Luft im Innern Zylinder regulieren. Letzterer besitzt eine mit einem Ventil versehene Röhre, welche den Heiz- kanal durchsetzt und dem verdunstenden Schweisse Abzug nach aussen gewährt, und enthält ein ebenfalls durch den Heizkanal durchgeleitetes Thermometer, welches die Temperatur des Innen- raumes angibt.

Roth empfiehlt besonders einen ,,Polytherm" genannten Apparat für die verschiedensten Gliedabschnitte geeignet, welcher dem früher von miri) beschriebenen, von Klapp hergestellten Universalkasten sehr ähnlich ist.

Der Erfinder schreibt seinem Apparate vor allem folgende Vorzüge zu: die Verbrennungsgefahr ist gänzhch vermieden; die den Innenraum überall gleichmässig umkreisende Luft bringt eine gleichmässige Erwärmung desselben und des eingelagerten Güedes hervor ; die Hitze steigt langsam im Innenraum, etwa 5 ° C in der Minute; das langsame Steigen der Temperatur und das Ventil des Innenraumes soll es ermöglichen, dass der abgesonderte Schweiss nicht lästig empfunden wird; die Temperaturanzeigen entsprechen den wirklichen Verhältnissen; die WärmereguUerung ist vöUig zu- verlässig.

In neuerer Zeit sind eine ganze Reihe neuer Heissluftapparate hergestellt worden, die prinzipiell nichts Neues bieten und im grossen und ganzen nichts als Veränderungen meiner Modelle darstellen. Ein solcher von Frau Kiefer -Kornfeld in den Handel gebrachter amerikanischer Apparat von Betz hat, wie es scheint, grössere Verbreitung gefunden und ist von mehreren Seiten empfohlen worden. Ich habe ihn längere Zeit gebraucht und genau geprüft, kann ihm aber keine Vorzüge zuerkennen. Insbesondere war die Temperaturverteilung in seinem Innern sehr ungleichmässig. Der Apparat soll für aUe möglichen Körperteile brauchbar sein. Meines Erachtens können derartige Universalapparate niemals überall ihren Zweck erfüllen. Mein Assistent Prof. Klapp hat schon früher solche konstruiert, aber ich bin wieder davon zurückgekom- men. Sicherhch sind, wenigstens für grössere Betriebe, besondere

1) Bier, Über praktische Anwendung künstlich erzeugter Hyperämie. Therapie der Gegenwart. Februar 1902.

Apparate für die Heissluftbehandlung. 4.j[

den einzelnen Körperteilen angepasste Apparate viel zweckmässiger, weil sie die Beschränkung der Behandlung auf umschriebene Kör- perteile und richtiges Individualisieren gestatten.

Schreibe r's schon mehrfach erwähnte Beobachtung von der ungleichmässigen Verteilung der Wärme in den gebräuchUchsten Heissluftapparaten hat zu vielfachen Versuchen geführt, diesem Mangel abzuhelfen.

Schreiber!) selbst sucht eine gleichmässige Temperatur da- durch zu erreichen, dass er vermittelst einer einfachen Vorrichtung die Luft aus einer untern Öffnung des Schornsteines ausströmen lässt. Sie bekommt dadurch zunächst die Richtung nach unten, um später im Bogen wieder nach oben zu steigen. In der Tat dürfte dadurch eine gleichmässige Verteilung der Wärme gewähr- leistet sein. Die Heissluftkästen ersetzt Schreiber durch einen einfachen Bogen aus starker Pappe und deckt die freien Enden mit Wolldecken ab, aus deren beliebig anzubringenden Spalten die heisse Luft entweicht. Er bekommt so einen ganz ähnlichen Apparat, wie ich ihn schon zeitweilig benutzt 2), aber wieder aufgegeben habe. Ich stülpte eine Reifenbahre über den zu behandelnden Körperabschnitt und deckte alles mit Wolldecken zu.

In einfacher und praktischer Weise leitet Schreiber die heisse Luft aus dem Schornstein gegen bestimmte Rumpf teile, indem er sie mit einem schleppenartigen Mantel umgibt, unter diesem Dach, das über dem zu behandelnden Körperteil ausgespannt ist, die heisse Luft fängt und so damit an die Stellen lenkt, wo er sie hinhaben will.

Marcuse^) rühmt dem Hilzinger'schen verstellbaren Heiss- luftapparat, der Luftbäder sowohl für den ganzen Körper als für einzelne Teile abgibt, nach, dass er eine sehr gleichmässige Tem- peratur liefere.

Ich veranlasste unter dem Eindruck der Untersuchungen Schreiber's C. Eschbaum, meine Heissluftkästen im Sinne einer gleichmässigen Wärme Verteilung umzuändern. Eschbaum führte

1) Rautenberg, Beiträge zur Kenntnis der Heissluftbehandlung. Zeit- schrift für diätetische land physikalische Therapie. VI. Band. 9. u. 10. Heft.

2) Bier, Die Behandlung des chronischen Gelenkrhetmiatismus etc. Münch. med. W. 1898. Nr. 31.

3) Marcuse, Beiträge zur Heisslufttherapie. Zeitschrift für diät, und phys. Therapie. VII. Band. S. 323 vmd Heissluftapparate iind Heissluft- behandlung. Urban und Schwarzenberg. Berlin u. Wien 1905.

4-2 Allgemeiner Teil.

mit vieler Mühe die heisse Luft so verschlungene Wege, dass an verschiedenen Teilen des Kastens, unter anderem auch am Boden eingelegte Maximalthermometer annähernd die gleiche Temperatur zeigten, wie das am Deckel angebrachte. Der höchste Unterschied betrug nur wenige Grad, aber wir machten mit diesen Apparaten eine sonderbare Erfahrung. Mehrere inteUigente Privatkranke er- klärten ganz übereinstimmend, dass sie bei weitem nicht so gut wirkten, als die alten. Ich glaube, dass jenen der kräftige Zug und damit der schnelle Luftstrom fehlt, der diese auszeichnet, und dass also zwischen diesen beiden Formen ein ähnhcher Unterschied besteht, wie, um einen Vergleich aus der Wasseranwendung zu machen, zwischen einem Bad in stehendem Wasser und in einem schnell strömenden Flusse. Später hat Eschbaum in diesen Apparaten mit gleichmässiger Temperatur durch Schornsteine einen schnellen Luftzug herbeigeführt. Aber auch so haben sie sich nicht bewährt. Mir scheint auch die Herstellung von Appa- raten mit gleichmässiger Temperatur gar nicht so wichtig zu sein. Will man z. B. auf ein Fussgelenk möglichst stark ein- wirken, so soll man stets die Zehen und den Vorderfuss mit Watte umhüllen und diese mit einer Binde, die in Wasserglas getaucht ist (Schutz gegen Feuersgefahr!), einwickeln. Das Wasserglas trocknet und man gewinnt so einen festen Halbschuh, welchen man den Kranken vor jeder Sitzung überstülpt. Statt dessen kann man auch einen Überzug aus dickem weichen Filz her- stellen. Genau so verfährt man mit den dünnen und deshalb gegen Hitze sehr empfindlichen Fingern, wenn sie nicht selbst miterkrankt sind. Dann kann man möglichst hohe Hitzegrade auf das Fuss- gelenk einwirken lassen, ohne befürchten zu müssen, dass die in dem oberen, heisseren Teile des Kastens steckenden Zehen ver- brennen. Dem Kranken selbst schärft man ein, dass die Temperatur möghchst hoch, aber niemals unangenehm sein darf, und richtet sich nach seinen Angaben.

Sehr viele der im Handel befindlichen Heissluftapparate haben den grossen Nachteil, dass ihr Luftraum zu klein ist und die Hitze einseitig und zu unvermittelt das GUed trifft. Ich beob- achtete dies bei einem Kollegen, welcher sehr ungehalten war über die massigen Erfolge, welche er mit der Heissluftbehandlung er- zielt hatte. Als ich seine Apparate und ein darin behandeltes, nur ganz einseitig gerötetes Ghed sah, verstand ich die Miss- erfolge.

Apparate für die Heissluftbehandlung. 4;J

Einen Heissluftapparat zur Behandlung fixierter Skoliosen, der in der hiesigen Klinik gebraucht wird, konstruierte Klapp. Der Apparat besteht aus fünf kreisförmig angeordneten Holzkästen, deren Heizung von je einer Bunsenfiamme besorgt wird. Jeder dieser Kästen besitzt an seiner Aussenseite eine Öffnung für den Rücken eines skoliotischen Menschen. Die Öffnungen sind ver- schieden gross, um den Grössenverhältnissen der einzelnen Kranken Rechnung zu tragen. Die Ränder der Öffnungen haben dicke bewegliche Polster von einem filzartigen Tuch, die die genaue Abdichtung besorgen. Jeder Kasten kann für sich geheizt werden. Vor jeder Öffnung steht ein gepolstertes Stühlchen, auf dem der am Oberkörper entkleidete Kranke Platz nimmt. Er schmiegt dann den blossen Rücken in die gepolsterte Öffnung und bietet ihn der Einwirkung der heissen Luft dar.

Die Wirkung des Kastens wird in einem späteren Kapitel über die Behandlung der Gelenksteifigkeiten durch Hyperämie beschrieben.

Am meisten Aufsehen von allen Heissluftapparaten machte der Taller man' sehe, und die Erfolge, welche mit demselben er- zielt wurden, sind es zweifellos gewesen, welche erst die Auf- merksamkeit weiterer Kreise auf die in Rede stehende Behandlung gelenkt haben i). So wurden denn auch meine Apparate und ihre Nachahmungen zuerst fast durchweg, wenn sie überhaupt in der Literatur erwähnt wurden, als Nachbildungen oder als Verein- fachungen des Taller man' sehen bezeichnet; dies ist erst langsam anders geworden, seitdem ich mich zu verschiedenen Malen dagegen gewehrt habe. In Wirklichkeit sind meine Heissluftkästen viel älter. Ich benutze sie seit dem Jahre 1891 und habe sie zum ersten- mal in der am 9. Januar 1893 erschienenen Festschrift für Fr. V. Esmarch^) beschrieben, also zu einer Zeit, wo ein Taller- man'scher Apparat überhaupt noch nicht existierte, und bin später noch mehrmals darauf zurückgekommen 3).

1) Die ersten Erfolge wurden mitgeteilt von Sarjeant, The Lancet 1895. S. 112 und Knoxley Sibley, The Lancet 1896. S. 593. Vgl. ausserdem die Verhandlungen der deutschen Kongresse für innere Medizin vom Jahre 1897 u. 1898.

2) V. Esmarchs Festschrift S. 63. Kiel und Leipzig 1893.

3) Bier, Über verschiedene Methoden, künstliche Hyperämie zu Heil- zwecken hervorzurufen. Münchn. med. W. 1899. Nr. 48 und 49 und „Therapie der Gegenwart". Februar 1902.

4-4 Allgemeiner Teil.

Der Taller man'sche Apparat besteht aus zwei kupfernen Be- hältern, von denen der eine für die Ghedmassen, der andere für den Rumpf und das Becken bestimmt ist. Die Behälter haben etwa die Form von Dampfkesseln, welche auf einem fahrbaren Eisengestelle ruhen. Der Behälter für die Ghedmassen ist an dem einen Ende geschlossen, während sich an dem andern eine wasser- und luftdichte Stoffvorrichtung befindet, welche eine Öffnung in der Mitte besitzt und durch eine Schnürvorrichtung auf das ein- geführte Ghed festgebunden werden kann. Damit das Glied sich nicht an den gut leitenden Metallwänden des Apparates ver- brennt, liegt auf dem Boden desselben eine viereckige Asbest- platte und die Seitenwände sind mit Asbestfilz überzogen. Lose Asbestsäckchen und Kissen kann man nach Bedarf ein- schieben, um das Glied vor der Berührung mit den Metallplatten zu schützen.

Eine Reihe von Gasflammen, welche unter dem geschlossenen Kessel angebracht sind, besorgen die Erhitzung der Luft. Diese Heizvorrichtung unterscheidet sich also grundsätzlich von der an meinen und ähnlichen Apparaten angebrachten dadurch, dass die Verbrennungsgase nicht in den Apparat strömen. Um einen Luft- wechsel im Apparat zu erhalten, welcher die Verdunstung des massenhaft abgesonderten Schweisses besorgt, sind mehrere Öffnungen angebracht, eine untere, welche die Luft eintreten, und mehrere obere, welche sie ausströmen lassen. Die letzteren sind nach Bedarf durch Hähne zu öffnen oder zu schliessen; dadurch wird die Temperatur im Innern des Apparates reguhert.

Tallerman hat besonders Wert darauf gelegt, dass trockene Luft in seinem Apparate zur Anwendung kommt, weil aus leicht begreifhchen Gründen feuchte Luft ähnhch wie Dampf wirkt und lange nicht in so hohem Grade vertragen wird. Er hat deshalb die beschriebene Ventilvorrichtung an seinem Apparate angebracht, die einen fortwährenden Luftstrom unterhält. Das gleiche ist aber auch bei meinen und ähnlichen Apparaten der Fall, wo ein lebhafter Luftstrom fortwährend durchzieht, die Verdunstung unter- hält und das verdunstete Wasser mitnimmt. Freiüch ganz trockene Luft wird man natürlich niemals bekommen, und gar nicht selten sieht man den Boden eines Heissluftapparates gänzHch feucht von herabgetropftem Schweiss. Meine und die ihnen nachgebildeten Apparate, bei denen die Verbrennungsgase direkt die behandelten Körperteile treffen, haben ausserdem den Nachteil, dass das bei

Apparate für die Heisslizftbehandlvmg. 45

der Verbrennung gebildete Wasser mit in den Apparat einströmt, was die Luft feucht macht. In einer lesenswerten Abhandlung hat Lambergeri) ausgerechnet , dass die Menge des bei der Verbrennung erzeugten Wassers sehr erheblich ist. Nach ihm hefern 200 g Spiritus mehr als 211 g Wasser, die in Gasform in den Apparat einströmen. Es erscheint mir aber zweifelhaft, ob eine sehr hochgradige Trocken- heit der Luft überhaupt nötig ist und nicht die Reaktion, welche man in den Kästen ohne besondere künstliche Einrichtung zur Trockenhaltung der Luft erzielt, vollständig genügt.

Was meinen Kästen wohl stets ihren Platz in der Behand- lung mit heisser Luft sichern wird, ist ihre grosse Einfachheit. Jeder Tischler und Schlosser kann dieselben nach einem Modell leicht herstellen. Es ist dies bei Leiden, welche sehr chronisch sind und deshalb es nötig machen, dass der Kranke selbst einen Apparat in die Hand bekommt, nicht zu unterschätzen. Es kommt hinzu, dass Holz so ausserordentlich leicht zu bearbeiten ist, dass man den Apparaten jede Form geben und alle Bequem- lichkeiten für das kranke Glied mit Leichtigkeit daran anbringen kann, was für schmerzhafte und verkrümmte Gheder sehr nötig ist. Denn eine durchaus bequeme Lagerung ist die Vorbedingung für eine erfolgreiche Behandlung solcher Gheder. Auch soU man nie die Sitzung beginnen, ehe nicht der Kranke überhaupt durchaus bequem gesetzt oder gelagert ist. Genügen die geschilderten Holz- schalen, auf denen das Glied gelagert wird, nicht, so kann man mit Leichtigkeit durch Bindenzügel, die durch Bohrlöcher am Deckel des Kastens gezogen werden, das Glied noch weiter unterstützen.

Es ist mir deshalb unwahrscheinlich, dass meine einfachen Kästen durch den Taller man'schen Apparat in ihrer Wirksam- keit übertroffen oder durch irgend eine der obengenannten Modi- fikationen wesenthch verbessert sind.

Scheinbar sehr bequem und zweckmässig sind die von mehreren Seiten hergestellten elektrischen Heissluftapparate. Freihch haben sie den grossen Nachteil, dass sie sehr teuer, schwer beweghch und nicht überall zu brauchen sind, wodurch ihrer Verwendung stets enge Grenzen gezogen sind.

Lindemann^) erfand einen elektrischen Apparat, welchen er

1) Lamberger, Über lokale Heissluftbehandlung, Wiener med. Presse 1905. Nr. 1 u. 2.

2) Vorgeführt aui der 70. Versammliing deutscher Naturforscher u. Ärzte in Düsseldorf 1898 und Münchner med. Wochenschr. 1898. Nr. 46.

46 Allgemeiner Teil.

,,Elektrotherm" nannte. Er besteht aus einem massiven Kasten, an dessen Grunde sich ein elektrischer Erhitzer befindet. Durch einen Rheostaten lässt sich die Temperatur im Innern des Kastens auf das Genaueste reguheren. Über dem Erhitzer Hegt das zu behandekide Ghed in einer gepolsterten Mulde. Durch ein Fenster im Deckel des Kastens, welcher sich innen elektrisch erleuchten lässt, kann man dasselbe während der Behandlung beobachten.

Der Apparat hat den Nachteil, dass er nur für die Glied- massen und auch hier nicht einmal für Hüfte und Schulter zu ge- brauchen ist. Für die letztere Hesse er sich ohne Zweifel leicht durch die bei meinen Schulterkästen vorgesehene Einrichtung be- reichern, für die Hüfte dürfte dies schon schwieriger sein.

Kellogi) hat nach Angabe mehrerer Schriftsteller sein be- kanntes elektrisches Lichtbad für örtliche Behandlung einzelner Körperteile so hergerichtet, dass es als Heissluftapparat dienen kann. Diese und ähnliche Vorrichtungen haben eine grosse Ver- breitung gefunden. Ich selbst habe nur wenig Erfahrung darüber. Aber intelHgente Privatkranke, die anderweitig mit derartigen Apparaten behandelt waren, haben mir mehrfach sehr bestimmt erklärt, dass sie weit weniger wirksam seien als meine einfachen Kästen. Das ist auch leicht verständlich, denn auch in diesen Apparaten fehlt der Zug und es bildet sich um das Glied eine stagnierende Luftschicht, und die gleichzeitig dabei in Betracht kommende strahlende Wärme wirkt möglicherweise wenig günstig.

Immerhin gebe ich Lamberger Recht, wenn er alle unsere bisherigen Apparate, auch die elektrischen, noch für unvollkommen und ihre elektrische Heizung für die der Zukunft erklärt. Er glaubt die Schwierigkeiten, die ihrer zweckmässigen Konstruktion bisher im Wege standen, beseitigt zu haben und verspricht, in der Folgezeit darüber zu berichten. Allerdings werden sie die alten Apparate aus leicht begreifHchen Gründen aus der allgemeinen ärztlichen Praxis wohl niemals dauernd verdrängen.

Ein zweckmässiger Apparat ist die von Frey 2) hergestellte

1) Nach Angaben von Pi'ibram, Chronischer Gelenkrheumatismus usw. in Nothnagels spezieller Pathologie u. Therapie. Wien 1902.

2) Mehrere Abhandlungen über denselben Gegenstand: Frey, Vortrag auf der 21. Versammlung der Balneol. Ges. zu FranMurt. März 1900. Deutsche Medizinalzeitung 1900. Nr. 35. Über Behandliing mit der Luft- dusche. Therapeutische Monatshefte. Juni 1900. Über die Behandlung von Neuralgien mit der Heissluftdusche. Archiv für Psychiatrie. 33. Bd. 2. Heft.

Apparate für die Heissluftbehandlung. 4.7

Luftdusche. Ein Elektromotor, welcher ein Turbinengebläse treibt, führt einen starken Luftstrom in zwei Rohrleitungen. Die eine von diesen geht durch einen elektrischen Heizkörper, in welchem die durchgetriebene Luft bis auf + 200° C. erwärmt, die andere durch einen mit Eis und Kochsalz gefüllten Kühlapparat, in welchem die Luft auf 10° abgekühlt werden kann. Durch eine einfache Vorrichtung kann man die Temperatur beider Luftstrahlen regulieren und gleichmässig erhalten. Frey braucht den heissen Luftstrahl besonders bei Neuralgien, spastischen Zuständen und chronischen Gelenkerkrankungen mit Versteifungen, also bei Zu- ständen, wo die heisse Luft schon seit längerer Zeit angewandt wird. Der Apparat bietet demnach insofern nichts grundsätzlich Neues, nur dürfte er vor anderen den Vorzug haben, dass die heisse Luft sich sehr bequem und leicht an jedem Körperteil mit dem beweglichen Schlauche anwenden lässt, und man überall mit diesem einen Apparat auskommt. Neu an dem Apparat ist die Kaltluft- dusche, welche sowohl für sich als abwechselnd mit dem Heiss- luftstrahl angewandt werden kann, nach Art der aus der Wasser- heilkunde bekannten schottischen Wechseldusche, und vielleicht dürfte der Apparat in dieser Form bei mannigfachen Krankheits- zuständen gute Dienste leisten.

Frey hat auch mit seiner Heissluftdusche gleichzeitig Massage verbunden, nach dem Vorbild der in Aix-les-Bains unter der warmen Thermaldusche ausgeübten Massage. Ich kann bestätigen, dass die Verbindung dieser beiden Mittel für viele Fälle sehr zweckmässig ist.

Als blosse Heissluftdusche ist wesentlich bequemer und bilKger ein Motor von Ingenieur Conrad Hahn in Braunschweig, den ich seit etwa zwei Jahren in Gebrauch habe. Er ist noch kürz- lich beschrieben und abgebildet von Beringt). Der Apparat hat den Vorteil, dass er schon nach sehr kurzer Zeit (2 3 Minuten) hinreichend warme Luft liefert und klein und handhch ist. Ich kann den Apparat für Krankenhäuser als praktisch und wirksam sehr empfehlen.

Einen der Frey'schen Luftdusche ähnlichen, aber offenbar sehr komplizierten Apparat (Elektrothermogen genannt) erfand

Die Massage unter der heissen Luftdusche. Deutsche med. Wochen- schrift 1900. Nr. 5. Archiv für physikahsch-diätetische Therapie in der ärzt- lichen Praxis 1904. H. 10.

1) Bering, Ein neuer Heissluftmotor. Medizinische Klinik. 1905. Nr. 18.

48

Allgemeiner Teil.

Taylor!) 2um Zwecke der Heilung von Neuralgien. Ein durch ein Uhrwerk getriebener Fächer treibt die Luft durch ein Glas- rohr, in welchem sich eine Drahtspirale befindet. Diese wird durch einen leicht zu regulierenden elektrischen Strom erhitzt und er- wärmt den vorbeistreichenden Luftstrom, welcher aus einer ver- schieden weit stellbaren Öffnung gegen den kranken Körperteil ge- leitet wird.

Übrigens benutze ich schon seit langer Zeit gegen Trigeminus- neuralgien als Heissluftdusche einfach den Schornstein meiner

Fig. 5.

Fig. 6.

Apparate. Damit man das Mundstück des Rohres fassen und lenken konnte, versah ich es vorn mit einem Trichter aus Filz oder Holz, der natürhch nur eine geringe BewegHchkeit gestattete. Der Kranke war gezwungen, sein Gesicht vor dem Trichter hin und her zu bewegen. Diesen Apparat hat C. Eschbaum in folgender Weise verbessert: Der Schornstein endet in einem Hohlkugel- gelenk. In dieses ist ein Metallrohr gelenkig eingeführt, das vorn ein Mundstück aus Holz trägt, um dem Kranken das Angreifen zu ermögHchen. Das bewegliche Rohr, dem die heisse Luft ent- strömt, führt man vor der kranken Stelle hin und her und kann

1) Taylor, On the treatment of neuralgia and rheumatism by currents o hot air, with some account of the apparatvis employed. The Laneet. Nov. 1898.

örtlicher und allgemeiner Einfluss der Heissluftbäder auf den Körper. 49

nach Frey's Vorgang auch gleichzeitig Massage anwenden. Die ausströmende Luft lässt sich durch eine Gas- oder Spiritusflamme bequem und schnell auf 200° erhitzen. Der einfache Apparat bietet dasselbe wie die elektrischen Heissluftduschen. Eine Un- bequemlichkeit besteht darin, dass bei Anwendung am Gesichte der Kranke Verbrennungsgase einatmet. (Fig. 5 zeigt das alte, Fig. 6 das neue Modell des Apparates.)

Örtlicher und allgemeiner Einfluss der Heissluftbäder auf den Körper.

Ich will hier nicht von den eigentlichen Heilwirkungen des Heissluftbades sprechen, sondern diese später im Zusammenhange mit anderen hjrperämisierenden Methoden, die teils gänzhch gleich- artig, teils, weil sie andere Formen von Hyperämie darstellen, auch hier und da gerade entgegengesetzt wirken, schildern. Hier kommt es mir nur darauf an, die Veränderungen, welche der behandelte Körperteil und der ganze Körper während der Einwirkung der heissen Luft durchmachen, auseinanderzusetzen.

Das in einen der oben beschriebenen Apparate hineingebrachte Glied 1) fängt in der Regel bei einer Temperatur von etwa 50° an sich feucht anzufühlen. Bei 60 70° beginnt dasselbe lebhafter zu, schwitzen. Setzt man das Glied längere Zeit einer Temperatur von 100° aus, so erfolgt ein sehr lebhafter Schweissausbruch, so dass das Wasser in Tropfen von dem Ghede trieft. Bei noch höherer Hitzeeinwirkung, die man bis zur Grenze des Erträghchen steigert (114°), scheint die Schweissabsonderung in Übereinstimmung mit den Untersuchungen Schreiber's^) etwas geringer zu sein.

1) Ich beschreibe hier die Erscheinungen an meinem eigenen Vorderarm. Die Angaben passen also nur für mich, da verschiedene Menschen natürlich etwas verschieden auf die Hitze reagieren.

Die im folgenden angeführten Temperaturen sind als relative zu betrachten. Es handelt sich hier um einen Apparat, in dem die Hitze in tieferen und höheren Teilen nicht ganz gleichmässig verteilt war. Da das Thermometer an der Decke des Kastens nicht weit vom Zugloch angebracht war, so sind die auf das Glied wirkenden Temperaturen in Wirklichkeit etwas niedriger, als die Zahlen angeben.

2) 1. c.

Bier, Hyperämie als Heilmittel. 4

50

Allgemeiner Teil.

Mein Arm rötet sich bei längerer Einwirkung mit Luft von etwa 70 ° nur in geringem Grade und nicht gleichmässig, bei längerem Verweilen in Luft von 80 100° schon sehr erheblich, und, wenn ich die Luft bis zur Grenze des ErträgHchen erhitze, ganz gewaltig und völlig gleichmässig. Man kann wohl als Regel aufstellen, dass jedenfalls die Hyperämie mit der Höhe der Temperatur und der Länge der Anwendung (vorausgesetzt, dass eine Stunde nicht über- schritten wird) stetig wächst.

Vermeidet man Verbrennungen, so ist der ganze Vorgang durchaus nicht unangenehm, im Gegenteil, die Wärme wirkt wohl- tuend auf das Glied ein.

Entfernt man das hochrote schwitzende Glied aus dem Kasten, trocknet es ab und bekleidet es, so bleibt das wohltuende Gefühl noch eine Zeitlang bestehen und unter Umständen hat man das Gefühl einer höheren Wärme noch stundenlang in dem behandelten Ghede. Die Messung mit dem Hautthermometer ergibt denn auch objektiv eine sehr erhebliche Nachwirkung.

Man kann regelmässig nachweisen, dass der Körperteil, welcher der heissen Luft ausgesetzt gewesen ist, noch 1 Stunde und länger nach Entfernung aus dem Apparat höhere Hauttemperatur zeigt als vorher. Selbstverständlich muss man an genau gleichen Stellen und unter ganz gleichen Bedingungen die Messungen vornehmen. Ich führe folgende Fälle als Beispiele an:

Körperteil und Krankheit

Temperat. vor d. Be- iiandlung

Unmittel- bar nach d. Behand- lung

^2 Stunde später

1 Stunde IM2 Stun- später den später

Becken u. Lendengegend (Lumbago)

Zweite Messung

Knie (Hydrops genu) . .

Zweite Messung

Unterschenkel (Ödem) . .

Becken u. Lendengegend (Ischias scoliotica) . . .

Zweite Messung

Dritte Messung

Vierte Messung . . . . .

34,8°

36,2°

34,9°

36,0°

34,6°

35,8°

34,5°

35,6°

34,2°

35,9°

34,9°

36,1°

34,6°

34,8°

34,8°

36,2°

35,9° 35,8° 35,5° 35,5° 35,0°

35,6° 35,5° 35,6° 35,8°

35,2° 35,4° 35,1° 35,0°

34,8°

35,4° 35,4° 35,4° 35,6°

34,8° 34,8° 34,9° 34,4° 34,1°

34,8° 34,7°

örtlicher und allgemeiner Einfluss der Heissluftbäder auf den Körper. 5^

In allen diesen Fällen war der kranke Körperteil je eine Stunde lang einer Luft ausgesetzt gewesen, die so heiss war, wie sie ohne Beschwerden ertragen wurde.

Neben diesen örtlichen treten offenbar allgemeine Wirkungen auf den Körper des Behandelten ein. Sie sind bei den Krank- heiten, die mit örtlicher Hyperämie behandelt werden, und die wir hier ausschliesslich im Auge haben, natürlich nicht wünschenswert, lassen sich aber leider nicht ganz vermeiden. Im allgemeinen pflegt der Mensch im Heissluftbade, selbst wenn beispielsweise nur ein Vorderarm der Hitze ausgesetzt war, zu schwitzen, der eine mehr, der andere weniger. Bei mir selbst schwitzt bei Erwärmung eines Vorderarmes der übrige Körper nur höchst unbedeutend, während das bei anderen, besonders bei fettleibigen oder schwäch- lichen Personen in sehr hohem Masse der Fall ist. Im übrigen sind bei sonst gesunden Menschen die Allgemeinerscheinungen ver- hältnismässig gering, geringer als bei anderen hochgradigen Wärme- einwirkungen, was die einstimmige Beobachtung ergeben hat. So fand Krause die Körpertemperatur um ^, höchstens um 1°, den Puls um 8—15 Schläge, Reitler die Atemzüge um 3 5, den Puls um 10 20, Mendelsohn trotz 2 Stunden lang auf den Vorderarm einwirkender Luft von 140° (?) die Körpertemperatur durchschnitt- lich um 0,4 0,6°, den Puls um höchstens 4 8 Schläge gesteigert. Von anderen Beobachtern wird ähnliches berichtet. Meine eigenen Untersuchungen, welche ich, was das Verhalten der Körpertempe- ratur anlangt, schon im Jahre 1891 bei einer Temperatur von 105° angestellt habe, stimmen damit im wesentlichen überein. In- dessen habe ich bei Erwärmung grösserer Körperteile (Becken) häufig eine sehr starke Beschleunigung des Pulses nachweisen können.

Dass aber bei einzelnen Menschen der Eingriff für den Körper nicht so ganz harmlos ist, das werden wir gleich sehen, wenn wir zur Erörterung der schädlichen und unangenehmen Folgen, welche das Verfahren haben kann, übergehen.

Nicht selten kommen leichte Verbrennungen 1. und 2. Grades vor, ohne dass der Behandelte es merkt. Es rührt dies wohl daher, dass die starke Hyperämie, wie ich später noch ausführen werde, die Empfindung so bedeutend herabsetzt, dass der Wärmeschmerz nicht bemerkt wird. Diese Verbrennungen sind meist unbedeutend und heilen schnell wieder. Verbrennungen sollen nach Krause auch entstehen, wenn der Kranke mit seiner Haut das Thermo -

4*

52 Allgemeiner Teil.

meter berührt. Ich habe in einigen Fällen unangenehme Verbren- nungen erlebt, als ich noch Kästen aus harzhaltigem Holze be- nutzte, denn das Harz wird infolge der Wärme flüssig, tropft herab und versengt natürhch, wenn es das Ghed trifft. Deshalb sollen die Heissluftkästen aus harzfreien Holzarten, Erle, Pappel oder Weide, hergestellt sein.

Nur ganz ausnahmsweise habe ich stärkere Verbrennungen ge- sehen, die längere Zeit zur Heilung brauchten. Es handelte sich um Leute, die ihren Ehrgeiz darin suchten, mögHchst hohe Tem- peraturen zu vertragen. Deshalb ermahne ich immer die Kranken, dass die Hitze niemals ein schmerzhaftes oder unangenehm brennendes Gefühl hervorrufen, sondern dass sie nur gerade so hoch steigen soll, wie sie ohne besondere Unannehmhchkeiten ver- tragen wird.

Ganz regelmässig sieht man nach längerer Anwendung der heissen Luft schmutzig-braune Verfärbungen der Haut in Form von Flecken und Netzwerk auftreten. Offenbar ist dies zersetzter Blut- farbstoff, welcher von unbedeutenden Verbrennungen herrührt. Be- kanntlich führen ja letztere, wie wir aus den Untersuchungen von Lesser'si) und anderer wissen, zu Zerfall von roten Blutkörper- chen. Häufig folgen die Verfärbungen völhg dem Verlauf der kleinen Hautvenen, in denen das Blut wegen der langsameren Strömung vor allem dem Einfluss der Wärme ausgesetzt ist. Offen- bar sind die roten Blutscheiben bei einzelnen Leuten hinfälHger; denn während die einen die Flecke überhaupt nicht bekommen, treten sie bei anderen, ohne dass Verbrennungen in unserem klini- schen Sinne zustande kommen, in einer ungeheuren Ausdehnung auf, so dass die Haut des behandelten GHedes vollständig marmoriert wird. Dies sieht sehr hässlich aus, man kann aber dem betreffen- den Menschen die trösthche Versicherung geben, dass die Ver- färbungen zwar langsam, aber sicher mit der Zeit von selbst wieder verschwinden.

WirkUch schädliche Folgen von einer grösseren Blutzersetzung durch Hitze, welche ja theoretisch denkbar wäre, habe ich nie gesehen.

Ein Nachteil, von welchem man die Heissluftbehandlung nicht freisprechen kann, ist, dass sie an den Kräftezustand der Kranken

1) von Lesser, Über die Todesursachen nach Verbrennungen. Virchows Archiv. 79. Bd. S. 248.

örtlicher und allgemeiner Einfluss der Heissluftbäder auf den Körper. 53

grosse Anforderungen stellt, besonders wenn ausgedehnte Flächen der heissen Luft ausgesetzt werden. Vor allem bei blutarmen Personen stellen sich danach Kopfschmerzen, Müdigkeit und Ab- gespanntheit ein. Nicht selten beobachtete ich Herzklopfen. Von verschiedenen Seiten sind sogar Ohnmächten darnach beschrieben. Ich selbst beobachtete das einmal bei einer Frau, die wegen Trigeminusneuralgie mit der Heissluftdusche behandelt wurde. Mehrmals traten nach längerer Dauer des Verfahrens ausge- sprochene Schwächezustände ein, die zum Aufgeben der Behandlung zwangen. Immerhin sind diese unangenehmen Nebenwirkungen nicht gerade häufig. Man vermindert oder vermeidet sie, wenn man solchen Leuten, wie das bei Dampfkasten- und Sandbädern üblich ist, während der Behandlung eine kalte Kompresse vor den Kopf legt, die Erhitzung übermässig grosser Flächen vermeidet, mit kurzer Sitzungsdauer beginnt und sie allmählich steigert, und vor und nach der Behandlung die Leute ruhen lässt. Auch die Wahl der Tageszeit ist nicht ohne Einfluss, was man in jedem einzelnen Falle ausprobieren muss.

Dauern trotz dieser Vorsichtsmassregeln die üblen Erschei- nungen fort, so empfiehlt es sich, die Höissluftbehandlung aufzu- geben und sie mit einem der später zu beschreibenden ähnlich wirkenden, aber weniger eingreifenden hyperämisierenden Verfahren zu vertauschen. Jedenfalls zeigen diese üblen Erfahrungen, dass man wirklich die Hitze möglichst lokal anwenden soll, um solche unangenehmen Allgemeinerscheinungen zu verhüten, ein Grund mehr gegen die Universalapparate, die oft unnötig grosse Körper- abschnitte der Hitze aussetzen.

Vor kurzem hat Lamberger darauf hingewiesen, dass ein Teil der Beschwerden, über welche die Kranken klagen, offenbar so- wohl durch die Zunahme der Zimmertemperaturen als besonders durch die Einatmung der Kohlensäure, mehr aber noch von giftigen Verbrennungsprodukten des denaturierten Spiritus (Pyridinbasen) und des Leuchtgases hervorgerufen werden. Dieser Hinweis ist sehr beachtenswert. Man soll deshalb die Heissluftbehandlung möghchst in grossen Zimmern und bei guter Lüftung ausüben. Ich lasse dabei möglichst die Fenster offen stehen.

NatürHch soll man auch Erkältungen verhüten. Wie schon erwähnt, schwitzen manche Menschen sehr statk am ganzen Kör- per, auch wenn nur ein kleiner GHedabschnitt der heissen Luft ausgesetzt wird. Diese Leute lässt man trocken reiben und während

54 Allgemeiner Teil.

der kalten Jahreszeit noch ^^ 1 Stunde in einem gut gewärmten Zimmer sich aufhalten, am besten ausruhen. Sind sie gezwungen, schneller ins Freie zu gehen, so sollen sie sich wenigstens aus- giebige Körperbewegung machen. Das sind übrigens allgemein be- kannte Regeln von der Wasserheilkunde her. Vor allem sollen die Kranken während der Heissluftbehandlung sehr leicht gekleidet sein und sich nach der Sitzung nach Möglichkeit umziehen.

Man soll die heisse Luft nicht zu lange Zeit am Tage an- wenden. In der grossen Mehrzahl der Fälle beschränken wir uns auf 1 Stunde, andere Ärzte sogar auf I/2 Stunde täglich. Nur in Ausnahmefällen, bei hartnäckigen Gelenkergüssen, lassen wir unter Umständen zweimal täglich 1 Stunde das Mittel anwenden. In der ersten Zeit habe ich die heisse Luft in übertriebener Weise viele Stunden täglich bei tuberkulösen Gliedern angewandt. Sie führt dann schüesslich zur Hyperämie, welche auch in den Pausen nicht verschwindet, und sogar zu Ödemen. Granulationen vertrock- nen oberflächlich, werden aber unter der trockenen Decke so stark hyperämisch, dass starke Blutungen daraus eintreten können. So behandelte ich im Jahre 1891 ein grosses tuberkulöses Geschwür 8 10 Stunden lang täglich mit Luft von 100°. Es kam dabei zweimal aus den stark hjrperämisch gewordenen Granulationen zu so mächtiger Blutung, dass ich sie nur mit Mühe durch Druckver- band und Hochlagerung stillen konnte.

Überhaupt wirkt das Verfahren auch bei lokaler Anwendung mächtig auf den ganzen Blutkreislauf, wie mich folgende Beob- achtungen lehrten: Mehrere Frauen berichteten mir, dass sie während ihrer Menses darnach ausserordentlich starken Blutverlust bekämen, andere, dass die Menses zu früh und zu oft einträten. Ein 11 jähriges Mädchen bekam sie zu ihrem Schrecken zum ersten Male, als ihr Knie in einem Universalkasten behandelt wurde. Sie traten später, als die Behandlung ausgesetzt wurde, nicht wieder auf. Eine Frau, die sich bereits in der Menopause befand, be- kam noch einmal Menses. Zwei andere Frauen bekamen nach jeder Sitzung Nasenbluten, Ich mache deshalb bei Frauen in der Regel während der Menses eine Pause in der Behandlung.

Schüesslich will ich noch erwähnen, dass die Heissluftbäder, wie das bei einem so eingreifenden Verfahren ja verständhch ist, häufig auf Appetit und Nahrungsaufnahme einwirken. Viele Menschen werden überhaupt nicht beeinflusst. Andere klagen über Appetitmangel; bei diesen soll man das Verfahren niemals dicht

Erzeugung jjassiver Hyperämie. 55

vor oder nach einer Mahlzeit einleiten. Wieder andere bekommen einen grossen Appetit und starkes Nahrungsbedürfnis. So be- handelte ich einen Herrn mit dem beschriebenen Beckenheissluft- kasten, welcher eine gewaltige Hyperämie und starken Schweiss- verlust bekam. Dieser war höchst erstaunt über den starken Appetit, welcher sich nach der Behandlung einstellte. Dagegen ist das Flüssigkeitsbedürfnis geringer, als man erwarten sollte, eine Erscheinung, welche wir übrigens auch von anderen Wärme- anwendungen, die zum Schwitzen führen, kennen.

Erzeugung passiver Hyperämie.

Ich hatte eine lange Erörterung nötig, um darzutun, dass die Anwendung der Wärme in der beschriebenen Form das beste Mittel ist, um aktive Hyperämie hervorzurufen, und es bedurfte einer eingehenden Beweisführung, dass bei den uns hier interes- sierenden Krankheiten wirklich die Hyperämie das Wirksame dar- stellt, weil man sich vor meinen Untersuchungen von jeher den Einfluss dieses uralten Mittels ganz anders gedacht hatte. Bei den gleich zu beschreibenden Massnahmen wird dagegen wohl niemand im Zweifel sein, dass sie in der Tat ledigHch durch Hyperämie wirken, und dass es im allgemeinen eine passive Hyperämie ist, welche wir hervorrufen. Dagegen kann es aller- dings bei einigen dieser Mittel (Schröpfköpfen und Saugapparaten) ungewiss sein, ob sie venöse oder arterielle Hyperämie erzeugen. Überhaupt ist es manchmal Ansichtssache, ob man eine Hyperämie arteriell oder venös nennen will, da beide Formen ja unmerklich ineinander übergehen. In der grossen Mehrzahl der Fälle kann man allerdings in dieser Beziehung über die Art der Hjrperämie nicht im Zweifel sein.

Auch die passive Hyperämie ist, genau wie die aktive, schon in der alten Ärzte- und Laienmedizin verwandt worden. Schröpf - köpfe und Saugapparate gehören ja zum alten, jetzt sehr in den Hintergrund getretenen und fast vergessenen Rüstzeug des Arztes, welches er allerdings in ganz anderem Sinne anwandte, als ich es tue. Die Stauungshyperämie an den Gliedern durch eine Binde

5 g Allgemeiner Teil.

ist ebenfalls ein uraltes für den Aderlass und gegen Lungen- blutungen (sogenanntes Binden der Glieder i)) als Blutstillungsmittel angewandtes Verfahren 2). Auch in neuerer Zeit ist die passive Hyperämie schon von mir angewandt zu Ernährungsversuchen und zur Heilung von Knochenbrüchen, die sich nicht festigen wollten, und wenn man unter dem. sehr verbreiteten Ausdruck: ,,Bier'sche Stauung" versteht, dass ich die Technik der Stauungshyperämie eingeführt habe, und sogar bei der Behandlung von Knochen- brüchen diesen Namen gebraucht, wie dies häufig geschieht, so muss ich das ablehnen. Viel eher kann ich die Heissluftapparate für mich in Anspruch nehmen, die meist nach Tallerman genannt werden, weil die meinigen lange vor dessen Apparat vorhanden waren, ausserdem für die allgemeine Anwendung viel brauchbarer und wichtiger sind und deshalb auch in ihrer ursprünglichen Form oder in einer ihrer zahlreichen Modifikationen allgemeine Ver- breitung gefunden haben.

Aber ausser bei Knochenbrüchen und zu Ernährungsversuchen hat niemand vor mir die Stauungshyperämie verwandt, ja man hat sogar dringend davor gewarnt, bei den Krankheiten, bei welchen ich sie hauptsächhch empfohlen habe, überhaupt Blutstauungen eintreten zu lassen, und hat die Hauptaufgabe des Arztes darin gesehen, durch die sogenannte Antiphlogose die entzündliche Stauungshyperämie zu bekämpfen und zu beseitigen. Diese An- schauung ist in dem Bewusstsein der heutigen Ärzte so tief ein- gewurzelt, dass sehr viele auch heute noch ein grosses Widerstreben gegen die Anwendung dieses Mittels haben. Aber ich bin überzeugt, dass es eine grosse Zukunft hat, und dass die Zeit nicht fern hegt, wo man einsehen wird, dass die Anwendung auch dieser Form der Hyperämie bei sehr zahlreichen Krankheiten nicht nur er- fahrungsgemäss nützlich, sondern auch logisch und wissenschaftlich sehr gut begründet ist. Und das muss ich allerdings für mich in Anspruch nehmen, hier der Heilkunde eine gänzKch neue Bahn gewiesen und überhaupt die Lehre von der zielbewussten An- wendung der Hjrperämie, von der früher nicht die Rede war, ob-

1) Vergl. Plaskuda, Untersuchiingen über das „Binden der Glieder" etc. Deutsches Archiv für klinische Medizin, Band 80.

2) Es ist höchst interessant, dass die Erfahrung zu diesem durchaus logischen Mittel führte, lange bevor man den Blutkreislauf kannte. Über die physiologische Wirkung der Stauungsbinde konnte man sich also unmöglich eine klare Vorstellung machen.

Erzeugung passiver Hyperämie. 57

wohl man sie vielfach unbewusst brauchte, erst geschaffen zu haben.

Der erste, welcher den Gedanken fasste, künstliche Stauungs- hyperämie bei ungenügender Kallusbildung zu verwerten, scheint Ambroise Pare^) gewesen zu sein. Im 30. Kapitel des 13. Buches seiner Werke bespricht er zunächst die Mittel, welche es gibt, um einen zu grossen Kallus zu verkleinern. Dieselben bestehen in verringernden, zerteilenden und adstringierenden Stoffen. ,,Ist aber der Kallus zu klein und unausgebildet infolge von zu fester Ein- wickelung mit der Binde, oder weil das Glied zu lange in Ruhe und ohne Übung war, oder die Ernährung des Kranken ungenügend war, so muss man die Binde abwickeln und ganz vom Knochen- bruch herunternehmen. Statt dessen legt man eine andere Art von Verband an, welcher an der Wurzel der Gefässe beginnen soll, am Bein dicht an der Leistengegend und Arm nahe der Schulter, und bis nahe an die Bruchstelle heranreicht. Denn durch dieses Mittel drückt man das Blut heraus und zwingt es, zur verletzten Stelle hinzufliessen." Natürlich konnte sich auch Pare, ebenso wie die alten Ärzte, die das Binden der Glieder anwandten, nur eine un- klare Vorstellung von der physiologischen Wirkung der Stauungs- binde machen, da er vor Harvey lebte. Dies drückt sich auch in der Beschreibung des Verfahrens deutlich aus.

Es ist mir nicht bekannt, ob Pare's Gedanke, durch eine künsthche Stauungshjrperämie kallusbildend und ernährend zu wir- ken, Nachfolger gefunden hat. Wahrscheinlich ist er, was bei der Kürze und Unklarheit der Mitteilung verständhch ist, vollständig in Vergessenheit geraten ,bisNicoladoni2)im Jahre 1875v.Dum- reicher's Verfahren beschrieb, welches er, ohne Pare's Versuche zu kennen, gegen drohende Pseudarthrosen empfahl, v. Dum- reicher's Gedankengang war, um die Worte Nicoladoni's zu ge- brauchen: Vielleicht wird es gelingen, zum Ziele zu gelangen, ,,wenn wir imstande sind, eine grössere Menge von Ernährungsmaterial auf die gefährdete Stelle hinzuleiten. Vermögen wir die Gefässe reichlicher zu füllen, sind die Gewebe in einem Zustande, in wel- chem sie zur Aufnahme des im Überfluss gebotenen Materials taugücher sind, so wird eine künstlich erzeugte und in Permanenz

1) Oeuvres completes d' Ambroise Pare. Ausgabe von Malgaigne. II. Bd. LXIII. Ch. XXX.

2) Nicoladoni, v. Dmxireicher's Methode zur Behandlung drohender Pseudarthrosen. Wiener med. Wochenschr. 1875. Nr. 5, 6 u. 7.

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erhaltene Hyperämie an und für sich einen mächtigen Reiz ausüben auf die bei der Kallusbildung beteiligten Gewebe und Gewebs- elemente nach dem einem jeden von uns geläufigen Zusammenhange zwischen Nahrungszufuhr und Funktion. Eine Methode aber, die solches zum erreichbaren Ziele hat, erfüllt noch eine weitere In- dikation, nämlich die, dass die einmal angeregte Produktion ein fortwährend reichhch zufhessendes Material finde, um den Bau des Kallus bis zu seinem Ende hin fest auszuführen."

Die Hyperämie erzeugte Nicoladoni im Prinzip genau so, wie wir sie heute noch ausüben, nämhch nach dem Muster der Ader- lassbinde in Form eines locker oberhalb der Bruchstelle angelegten Gummischlauches, während der abwärts von dem Knochenbruche gelegene Ghedabschnitt mit einer Flanellbinde eingewickelt wurde. Er hält aber die ursprünghche Methode v. Dumreicher's für wirk- samer, welche in folgender Weise ausgeführt wird: Der unterhalb des Knochenbruches gelegene Gliedabschnitt wird mit einer Flanell- binde fest eingewickelt, in der Absicht, dem arteriellen Blutstrom einen Damm entgegenzusetzen, ihn von dem eingewickelten Glied- abschnitt ab - und der Bruchstelle zuzulenken. Die Stauungshyperämie an dieser selbst erzeugen oberhalb und unterhalb aufgelegte keil- förmige Kompressen (Nicoladoni spricht nur von Brüchen des Schienbeines), welche ihre breiten Enden dem Knochenbruch zu- kehren. Durch eine überbrückende Holzschiene werden diese Keile fest gegen den Knochen gedrückt und durch eine fest angezogene Rollbinde angedrückt erhalten. Sie rufen eine sehr starke Hyper- ämie an der vom Druck freigelassenen zwischenliegenden Bruch- stelle hervor, die, wie Nicoladoni nachwies, sich durch den ganzen Knochen hindurch bis auf das Mark erstreckt.

Ausser bei drohenden Pseudarthrosen wurde dieses Verfahren auch mit gutem Erfolge angewandt, um Knochenhöhlen zur schnelleren Ausfüllung zu bringen.

An verschiedenen Stellen weist Nicoladoni auf die Ähnhch- keit der durch dieses Verfahren hervorgerufenen Erscheinungen mit einer akuten Entzündung hin, welche sich nicht auf das Ent- stehen eines blossen Ödems beschränkt, sondern auch durch die Härte der Anschwellung an weitere Gewebsveränderungen, welche die Entzündung mit sich bringt, erinnert.

Obwohl so Nicoladoni ausführlich die Wirkung der Stauungs- hyperämie auf die Kallusentwickelung und Knochenneubildung bei Knochenhöhlen dargetan hatte, so scheint man doch die Nützhch-

Erzeugung passiver Hy^Derämie. 59

keit des Verfahrens nicht anerkannt und es ziemHch vernachlässigt zu haben. Denn Brunsi) zählt in seiner Lehre von den Knochen- brüchen im Jahre 1886 nur 5 Fälle auf, wo die v. Dumreicher'sche Methode zur Anwendung gekommen war.

Noch in demselben Jahre aber erschien eine ausführliche Mit- teilung über die Wirkung der Stauungshyperämie auf Knochen- brüche mit verzögerter Kallusbildung von Thomas 2). Er teilt 14 Fälle mit, in denen er das Verfahren angewandt hatte. In den ersten Fällen legte er einfach ein Turniket oberhalb der Bruch- stelle an und liess es nur 14 Stunde täghch hegen. Später aber benutzte er die Hyperämie dauernd und suchte dieselbe dadurch besonders auf die Bruchstelle zu beschränken, dass er ein Gummi- band ober- und unterhalb der Bruchstelle so fest anlegte, dass eine Stauung im Gebiete derselben entstand. Er macht das Ver- fahren, welches er für weit wirksamer hält, durch eine beigefügte Abbildung verständlich. Um die Hyperämie zu verstärken, liess Thomas das behandelte Glied herabhängen.

Von den 1 4 Fällen behandelte Thomas nur 4 rein mit Stauungs- hjrperämie. Bei den übrigen 10 Fällen verwandte er ausserdem sein älteres Verfahren der Perkussion, d. h. er beklopfte die Bruch - enden in Zwischenräumen von einigen Tagen bis Monaten kräftig mit einem Hammer, welcher mit Gummi überzogen war, während er die Haut mit einer Filzlage vor Verwundung schützte. Durch dieses Beklopfen beabsichtigte er eine entzündliche Reizung der Bruchenden herbeizuführen, und aus den Krankengeschichten geht hervor, dass ihm dies sehr gut gelang. Er erzeugte dadurch Schwellung und häufig blutige Verfärbung in der Gegend der Bruchstelle, und dass er dabei sehr energisch vorging, erfährt man daraus, dass er zur Vornahme dieser Operation häufig die Äther- narkose einleitete. Die ausgezeichneten Erfolge, welche Thomas in mehreren sehr schweren und verzweifelten Fällen noch erzielte, lassen die Verbindung dieser beiden Mittel als sehr nützlich er- scheinen.

Auch in zwei Fällen von frischem Kniescheibenbruch und einem Falle von Abriss der Quadricepssehne verwandte Thomas

1) Bruns, Die Lehre von den Eöiochenbrüchen. Deutsche Chirurgie. Lieferung 27. 1886. S. 597.

2) Thomas, Contributions to siorgery and medicine Part VI. The prin- ciples of the treatment of fractures and dislocations. London 1886.

ßQ Allgemeiner Teil.

die Stauungshyperämie, welche er ,,Damming" nennt, mit gutem Erfolge.

Thomas erwähnt nichts von v. Dumreicher und Nicola- doni und hält sich, wie er an mehreren Stellen ausspricht, mit Unrecht für den ersten Erfinder der Methode.

Im folgenden Jahre empfahl Helferichi) aufs neue die Stau- ungshjrperämie zur Verstärkung mangelhafter Kallusbildung und überhaupt zur Anregung von Knochenneubildung und Knochen- wachstum. Er erzeugt die Hyperämie in der von Nicoladoni als weniger wirksam empfohlenen Art, dass er oberhalb der kranken Stelle des Knochens einen Gummischlauch locker, doch fest genug anlegt, um abwärts davon eine kräftige venöse Hyperämie zu er- zeugen. Um die Stauung auf den kranken Gliedabschnitt zu be- schränken, wird bis an diesen heran eine Binde angelegt. Damit eine kräftige Hj^erämie auftritt, lässt auch Helferich das Glied womöglich herabhängen. Mit Recht weist Helferich darauf hin, dass dieses Verfahren einfacher ist, als das gewiss sehr umständ- liche von Dumreicher's, und dass das periphere von den beiden Gummibändern, welches Thomas anlegt, mindestens überflüssig ist.

Helferich berichtet über 8 Fälle von verzögerter Kallusbildung, bei denen er mit Erfolg Stauungshyperämie allein angewandt, und über 3 weitere Fälle, bei denen er die Nagelung der Bruchenden vorausgeschickt hatte. Auf seine Versuche, durch dasselbe Mittel das Knochenwachstum anzuregen, werden wir später ausführlich zurückkommen .

Passive Hyperämie der Glieder durch eine Stauungsbinde.

Dies ist das vor der Hand praktisch am meisten erprobte und im allgemeinen auch früher schon beim Aderlass, beim ,, Binden der Glieder" und zur Heilung von Pseudarthrosen gebrauchte Ver- fahren.

Man legt oberhalb der Stelle, welche man hjrperämisieren will, eine Gummibinde in mehreren sich deckenden Gängen so fest an, dass nur die schwachwandigen Venen zusammengedrückt werden,

1) Helferich, Über künstliche Vermehrung der Knochenbildung. Ver- handl. d. deutschen Ges. für Chirurgie. 1887. II. Bd. S. 249 vmd Archiv für klinische Chirurgie. 1887. 36. Bd. S. 873.

Passive Hyperämie der Glieder durch eine Stauiongsbinde. Ql

während die starkwandigen Arterien gar nicht oder nur im geringen Grade verengt werden. Durch mehr oder weniger festes Anziehen der Binde kann man alle Grade der Stauungshyperämie, von der leichtesten bis zur schwersten, hervorrufen. Die Veränderungen, welche dabei an den der Stauung unterworfenen Gliedern sich ab- spielen, glaube ich am besten an einigen Selbstversuchen schildern zu können.

Ich lege mir am linken Oberarm eine Stauungsbinde so an, dass eine leichte passive Hyperämie entsteht. Die Binde ist nur so stark angezogen, dass sie keinerlei Unbequemhchkeiten macht, und man sie, wenn man seiner gewohnten Beschäftigung nachgeht, förmlich vergisst.

Zuerst schwellen die subkutanen Venen des Handrückens an, dann die grossen subkutanen Venen an der Beugeseite des Vorder- armes. Die Haut des Armes färbt sich allmähUch bläulich, nur der Handteller und die Streckseite des Ellbogens bekommen eine rosige Farbe. Ebenso sind Handrücken und Finger im allgemeinen hellrot. In der Haut des Handtellers bemerkt man zahlreiche umschriebene weisse Flecke von Hirsekorn- bis Linsengrösse. In spärhcher An- zahl finden sich dieselben auch auf dem Handrücken. Beim ge- nauen Zusehen bemerkt man das zierhche, sonst unsichtbare Venen- netz der Cutis sehr deutlich hervortreten.

Nach drei Stunden ist die Haut des Vorderarmes gleichmässig blaurot. Finger, Gegend des Ellbogens und Handrücken sind heUrot, letzterer um die grösseren Venenstämme herum blaurot gefärbt. Die weissen Flecke an der Haut des Handtellers sind verwaschen und kaum noch zu sehen. Die grossen subkutanen Venen treten weit weniger deutlich vor, ebenso fängt das oberflächhche kutane Venennetz an zu verschwinden. Länger dauernder starker Finger- druck auf den Handrücken weist beginnendes Ödem nach. Der Puls ist voll und kräftig, eher stärker als schwächer wie am andern Arm. In der Kälte friert das gestaute Ghed mehr als das andere. Auf Fingerdruck erblasst die Haut überall, um sich sofort wieder mit venösem Blute zu füllen. Auch an den blau verfärbten Stehen kann man durch Reiben überall die lebhafteste arterielle Hellrote an der Haut hervorrufen, die geraume Zeit bestehen bleibt.

Nachdem die Binde 10 Stunden unverändert gelegen, fällt be- sonders das zunehmende Ödem auf. Der grösste Umfang des linken Vorderarmes beträgt 2 cm mehr, als er vor der Einleitung_der Stauung betrug. Der Fingerdruck bleibt überall stehen.

g2 Allgemeiner Teil.

Nach 20 Stunden sind Arm und Handrücken gleichmässig öde- matös geschwollen, der grösste Umfang des Vorderarmes misst jetzt 2y^ cm mehr als vor der Stauung. Die Haut der Finger des Hand- tellers, der Rückseite des Ellbogens- und des Handgelenkes sind immer noch hellrot, die übrige Haut blaurot. Die subkutanen Venen sind nur noch in geringem Grade sichtbar, nicht mehr als am nicht gestauten anderen Arm. Und zwar sind sie nicht bloss durch das ödem verdeckt, sondern sind objektiv klein und nicht mehr als prall gespannte Stränge durchzufühlen, wie im Anfange. Kräftiges Reiben einer blaugefärbten Hautstelle bringt auch jetzt noch eine sehr lebhafte helle arterielle Röte hervor.

Dass kein gröberes Hindernis für den venösen Rückstrom vor- liegt, geht daraus hervor, dass, wenn ich mich ,, recke und strecke" (der bekannte Versuch für das Fortbewegen des Venenblutes nach dem Brustkorb hin), der Arm sofort fast vollständig abblasst.

Unmittelbar nach dem Entkleiden fühlen sich beide Glieder gleich warm an. Nach längerem Nacktsein erscheint das gestaute etwas kälter. Bei längerem Aufenthalte in der Kälte ( + C mit Wind) treten am unbekleideten Handrücken des gestauten Gliedes zinnoberrote Flecken auf, welche bei Fingerdruck verschwinden, um sofort wiederzukehren.

Bei diesem Grade der Stauung wird an einem gesunden Arm die Hauttemperatur nicht oder nur unbedeutend herabgesetzt. So betrug sie in einem Versuche an meinem Arme

vor der Stauung 31,8°

10 Minuten nach Einleitung der Stauung 31,0°

nach einer Stunde 31,9°

nach etwa l^/g. Stunden 32,5°

unmittelbar nach der Abnahme der Binde nach 1 y^ Stunden 32,2°

Wird die Gummibinde ebenso fest an einem entzündeten Ghede angelegt, so treten je nach der Heftigkeit der Entzündung im all- gemeinen viel stärkere Folgezustände ein. Alle entzündeten GUeder sind bekanntlich an der kranken Stelle wärmer. Selbst bei chro- nischen tuberkulösen Entzündungen ist diese Temperaturerhöhung sehr beträchthch. Die Unterschiede betragen hier der gleichen Stelle des gesunden Ghedes gegenüber 1^ C und mehr zu- gunsten des kranken Teiles. Ich bemerke, dass man die ver- gleichenden Messungen an genau symmetrischen Stellen und unter genau gleichen Verhältnissen vornehmen muss. Das letztere ist

Passive Hyperämie der Glieder durch eine Stauungsbinde. (J3

selbstverständlich. Man darf nicht etwa beide Glieder unbekleidet nebeneinander legen und zuerst die Hauttemperatur des einen und dann die des anderen messen, weil das letztere sich natürHch in- zwischen abgekühlt hätte. Aber auch das erstere ist sehr wichtig, weil die verschiedenen Stellen des gleichen Ghedabschnittes nor- malerweise verschiedene Temperaturen haben. So ist aus leicht begreiflichen Gründen die Haut der Hohlhand stets wärmer als die des Handrückens.

Zum Unterschiede von dieser massigen, praktisch am meisten verwandten Stauungshyperämie schildere ich j etz t die Erscheinungen , welche eine sehr straff angelegte Binde hervorbringt. Dieselben sind schon im Jahre 1874 sehr genau und vortrefflich von Auspitz^) geschildert worden. Meine an meinem eigenen und eines meiner Assistenten Arme gemachten Beobachtungen decken sich fast voll- ständig mit denen Au spitz'. Nur in der Erklärung der Erschei- nungen weiche ich in vielen Punkten von ihm ab.

Ich lege an meinem linken Oberarm eine Gummibinde so fest an, dass eine möglichst starke venöse Stauung entsteht. Unter der Binde fühle ich das pulsatorische Klopfen der Arterie. Schon nach 2 Minuten schwellen die subkutanen Venen sehr stark an und die Haut verfärbt sich; ihr Grundton ist blau- bis graurot. In der Hohlliand sieht man einige hellrote Flecken, an der Rückseite des Ellbogengelenks, auf dem Handrücken und an der radialen Seite des Vorderarmes unterhalb der Stauungsbinde treten zinnoberrote und gelbe Flecken auf. Die zinnoberroten Flecke vermehren und vergrössern sich und fliessen ineinander über, so dass nach 7 Minuten der grösste Teil der Haut zinnoberrot ist. Die Blauröte hält sich am längsten in der Mitte der Beugeseite des Vorderarmes und auf dem Handrücken. Bei Druck auf die zinnoberrote Haut entsteht ein weisser Fleck, welcher sich sofort nach Aufhören des Druckes wieder verfärbt. Auf der Beugeseite bilden sich unterhalb der Stauungsbinde zahlreiche karminrote Punkte (kleine Blutungen). Im Arme stellen sich ein Gefühl von Schwere, Müdigkeit, Prickeln und abwechselnd Kälte- und Wärmegefühl ein. Die Finger fühlen sich kalt an.

Nach 20 Minuten ist die Haut fast des ganzen abgeschnürten Gliedabschnittes zinnoberrot, die blaugefärbten Stellen sind noch

1) Auspitz, Über venöse Stauung in der Haut. Vierteljahrsschrift für Dermatologie u. Syphihs. 1874. I. S. 275.

64 Allgemeiner Teil.

mehr zurückgetreten. Durch Reibung kann man auf dem Hand- rücken eine lebhafte hellere Hyperämie hervorrufen, doch wird die Haut dabei nicht einfach rosarot, sondern hat einen deuthchen Stich teils ins Gelbhche, teils in Kupferfarbene. Die punktförmigen Blutungen nehmen zu. Die früher prall gespannten subkutanen Venen sind weniger sieht- und fühlbar. An den Fingerspitzen und in der Hohlhand bilden sich weissgelbe Flecken. Das Glied schläft und fühlt sich kalt an, doch hat man subjektiv das Gefühl der Wärme im Arme.

Im weiteren Verlaufe der Stauung wird die Haut der Hohl- hand aschgrau mit zinnoberroten und ganz weissen Flecken da- zwischen. Die zinnoberroten Stellen werden auf Fingerdruck weiss, man sieht dann an der Stelle zahlreiche punktförmige Blutungen. Nach Aufhören des Druckes stellt sich schnell die zinnoberrote Farbe wieder her.

Nach 40 Minuten verursacht die starke Stauung ein unerträg- hches Schmerzgefühl, so dass die Binde gelöst werden muss. Sofort verspüre ich ein lebhaftes Kältegefühl im Arme und habe die Emp- findung, als ob derselbe faradisiert würde. Am stärksten sind diese Gefühle in den Fingerspitzen. Die Haut des abgeschnürt gewesenen Ghedabschnittes fängt an, sich rosarot zu färben, etwa in dem Grade, wie man es nach einer künsthchen Blutleere beob- achtet, welche 3 4 Minuten angelegt gewesen ist. Nur die Finger bleiben noch eine Weile totenblass, ähnhch, wie man es bei ein- zelnen Personen nach kalten Bädern eintreten sieht. 1% Minuten später werden sie lebhaft hellrot, und im ganzen Gliede stellt sich ein Gefühl von Wärme ein. Noch % Stunden lang nach Abnehmen der Binde habe ich das Gefühl von Muskelsteifigkeit und Ermüdung im Arme. In der Haut sieht man sehr zahlreiche karminrote punktförmige Blutungen.

Nach 24 Stunden sind diese Blutpunkte bereits verwaschen und sehen hell- bis gelbrot aus. Die Haut des abgeschnürt gewesenen Ghedteiles zeigt eine deutliche gelbbraune Färbung, und zwar am stärksten in der Ellenbeuge und unterhalb derselben. Sie ist da am ausgesprochensten, wo auch die punktförmigen Blutungen am dichtesten stehen. Die Verfärbung schneidet scharf mit der Stelle ab, wo der untere Rand der Stauungsbinde gesessen hat. Nach 2 Tagen ist die Gelbfärbung des Armes bedeutend zurückgegangen. Die Blutpunkte sind nur noch bei deutlichem Zusehen als gelblich - braune Flecke zu erkennen.

Passive Hyperämie der Glieder durch eine Stauungsbinde. ßfj

Nach 4 Tagen ist alles verschwunden, die Haut sieht wieder normal aus.

Während des Versuches ist die Hauttemperatur schnell ge- fallen. Vorher betrug sie in der Hohlhand 32,2°, 5 Minuten nach Einleitung der Stauung 30,9°, nach 15 Minuten 30,0°, nach 30 Minuten 29,0°.

Das Glied schwillt schnell an; schon 10 Minuten nach Ein- treten der Stauung ist der Umfang des Armes um 2 cm grösser. Odem aber ist nach 30 40 Minuten langer Dauer der Stauung nur in geringem Grade vorhanden.

In der Deutung der Erscheinungen weiche ich in wesentlichen Punkten von Auspitz ab. Zunächst glaubt dieser Arzt, dass sich selbst diese starke Stauung wesentlich auf die Haut beschränke und die tieferen Venen gar nicht oder nur unbedeutend zusammen- gedrückt werden. Das ist ein Irrtum. Nicht nur diese starke, sondern auch schon die oben beschriebene massige Stauung wirkt auf die tiefsten Venen (wahrscheinlich hauptsächlich durch Ver- mittelung des gedrückten Hauptstammes) ein. Davon kann man sich leicht überzeugen, wenn man bei tiefen Operationswunden eine leichtstauende Binde oberhalb anlegt. Noch viel mehr sehen wir häufig, dass eine starke Stauungshyperämie sich bis in die grösste Tiefe der Glieder fortpflanzt, wenn einmal bei Operationen eine falsch angelegte künstliche Blutleere nachgibt, und wir so dieselben Erscheinungen bekommen, welche ich soeben unter der starken Stauung beschrieben habe. Sogar bis auf den Knochen erstreckt sich diese Hyperämie, denn man sieht unter diesen Um- ständen einen starken Ausfluss von Venenblut aus der Markhöhle des durchsägten oder aufgemeisselten Knochens.

Ich habe schon früher beschrieben i), dass bei vollständiger Behinderung des Rückflusses des Venenblutes ein Teil des ge- stauten Blutes sogar durch den Knochen zurückgeht, dessen Ge- fässe natürHch, soweit sie im Knochen selbst verlaufen, vom Druck des abschnürenden Gegenstandes nicht betroffen werden. Es ge- lingt also auch, den Knochen bis in das Mark hinein durch eine stauende Binde zu hyperämisieren.

Auspitz nimmt an, dass die zinnoberroten Flecke, welche unter der starken Stauung auftreten, durch Blutfarbstoff entstehen, welcher in das Gewebe austritt, und dass dieser eine grosse Rolle

1) Virchows Archiv 153. Bd. S. 311 u. 312. Bier, Hyperämie als Heilmittel.

QQ Allgemeiner Teil.

dabei spielt, halte ich für wahrscheinlich. Wir wissen durch Stricker und Cohnheim, dass durch so hochgradige Stauungen Blutungen per diapedesin eintreten, und wir sehen punktförmige Blutungen und, was wichtiger ist, gelbhche Verfärbungen der ganzen von der Hyperämie betroffenen Haut eintreten, die nur durch Blut- farbstoff entstehen können. Ob dies aber der einzige Grund für das Auftreten der Zinnoberröte ist, bleibt mir zweifelhaft, denn wir sehen dieselben Flecke auch an der Haut entstehen durch Kälte, welche nur kurze Zeit eingewirkt hat und zwar zu erheblicher Stase des Blutes, aber nicht zu Verfärbungen der Haut führt. Auch konnte ich mich nicht von der Angabe Au spitz' überzeugen, dass Fingerdruck die Zinnoberröte nicht verschwinden lässt; bei mir entstand stets bei Druck auf eine solche Stelle ein weisser Fleck, der sich schnell wieder rötete. Ich will deshalb die Ursache der Entstehung dieser zinnoberroten Flecken dahingestellt sein lassen und nur feststellen, dass sie, wenn sie in grösserer Zahl und Ausdehnung auftreten, der sichtbare Ausdruck einer sehr starken und übertriebenen Stauung sind.

Zur Erklärung für die weissen Flecke führt Auspitz teils mechanische Gründe, teils die Samuel'sche ,,Itio in partes" an. Ich erkläre dieselben anders. Ich habe schon früher dargetan, dass Arterien und besonders Kapillaren äusserer Körperteile sich gegen venöses Blut wehren, welches sich in ihnen staut, und das- selbe durch Eigenbewegungen in der Richtung nach den Venen hin weiterbefördern.

Die V. Esmarch'sche ,, Blutleere", wie sie gewöhnlich angelegt wird Abschnüren bei erhobenem Ghede ■, ist nämhch gar keine wirkliche Blutleere, denn sie lässt das Blut, welches sich gerade im Gliede befand, darin. Trotzdem sieht das Glied nachher leichenblass aus. Schnürt man aber einen Arm mit dem v. Esmarch'schen Gurt in horizontaler Lage ohne grosse Eile ab, so dürfte mindestens der normale Blutgehalt in ihm verbleiben, weil die ersten Gänge der Binde die Venen vor den Arterien zusammen- drücken. Beobachtet man dieses Ghed alsdann, so bemerkt man, dass die subkutanen Venen, die vorher klein waren, stark anschwellen, und die übrige Haut blass wird; dies geschieht selbst dann, wenn man das Glied herabhängen lässt, und in Narkose, wo Muskelbewegungen als Triebkraft für das Blut aus- geschlossen sind. Es haben also die Arterien und Kapillaren das venös gewordene Blut ausgequetscht und in die Venen getrieben.

Passive Hyperämie der Glieder durch eine Staüungsbinde. 57

Dieselben weissen Flecke, welche wir oben bei der starken Stauung beobachteten, kann man in viel höherem Masse und in grösserer Anzahl bei folgendem Versuche hervorrufen: bei einem Menschen mit sehr weisser Haut bringe ich durch einige Gänge einer Gummibinde, welche ich am Oberarm anlege, eine massige Stauungshyperämie hervor, bis die Farbe der Haut gleichmässig bläulich ist. Durch weiteres Umwickeln der Binde sperre ich mit den folgenden fest angezogenen Gängen auch den arteriellen Zu- fluss vollständig ab, und lasse das Glied herabhängen. Es ist ur- sprünglich blau, dann wird es scheckig. In den blauen Teilen treten sehr lebhafte weisse Flecke auf. Nach 15 Minuten über- wiegen am Oberarm die weissen, am Unterarm die blauen Flecken. Aber die ersteren fehlen trotz abhängiger Lage auch in den äussersten Fingerspitzen nicht. Meines Erachtens genügt es nicht, hier eine blosse Zusammenziehung der kleinsten Arterien durch den Reiz des venösen Blutes anzunehmen, bei der vollständigen Weisse der Flecken müssen sich auch die Kapillaren daran be- teihgt haben. Wer sich für weitere Beweise hierfür interessiert, den verweise ich auf meine mehrfach erwähnte Arbeit über die Entstehung des Kollateralkreislaufes. Wir sehen aber schon aus dem letzten Versuche, dass Arterien und Kapillaren durch Eigen- bewegungen das venöse Blut fortbefördern können, und dies um so mehr tun, je grösser die Venosität des Blutes ist. Ich will nur beiläufig bemerken, dass diese Eigenschaft natürlich eine ausser- ordentliche Unterstützung der Blutbewegung in notleidenden Körperteilen darstellt.

Von Interesse ist schhesslich noch die Beobachtung, auf die mich Ritter aufmerksam machte, dass man an Gliedern, welche sich unter massiger Stauungshyperämie befinden und dabei stark venös hyperämisch sind, durch Reibung die deutlichste arterielle Hj^perämie hervorrufen kann, und dass diese selbst bei starker Stauung nicht ganz ausbleibt. Auch diese Beobachtungen weisen wieder auf eine selbständige Tätigkeit der Gefässe hin, die uns schon mehrmals in dieser Arbeit begegnet ist.

Die lebhafte helle Röte, welche nach Lösung der Binde bei der starken Stauungshyperämie auftritt, ist genau die gleiche Er- scheinung, die wir als sogenannte reaktive Hyperämie nach künst- licher Blutleere beobachten, und welch letztere lange Zeit als Drucklähmung der vasomotorischen Nerven gegolten hat. Ich habe früher ausführlich und überzeugend bewiesen, dass sie etwas ganz

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Allgeixieiner Teil.

anderes bedeutet, und dass sie nach jeder beliebigen Unterbrechung, und sogar nach Beschränkung des arteriellen Blutstroms auftritt. Diese lebhafte arterielle Hyperämie ist der Ausdruck des Sauer- stoffhungers der eine Zeitlang gar nicht oder ungenügend mit arte- riellem Blut gespeisten Körperteile, also ein nützlicher Reaktions- vorgang. Dass sie auch nach dieser schweren Stauungshyperämie auftritt, ist der beste Beweis dafür, dass hier eine sehr starke Sauerstoff Verarmung in dem abgeschnürten Ghede eingetreten ist. Die starke Stauung stellt also längere Zeit unterhalten einen höchst gefährlichen und schädHchen Eingriff für das be- treffende Glied dar. Weil sie zu bedeutender Herabsetzung der Tem- peratur desselben führt, habe ich sie auch die kalte Stauung genannt. Ich habe sie deshalb praktisch niemals angewandt. Es ist ja immerhin möghch, dass sie sich, ganz kurze Zeit angewandt, zu Heilzwecken ge- brauchen liesse. Dass sie aber, längere Zeit benutzt, schädlich und gefährlich sein würde, be- darf wohl keiner Auseinander- setzung. Wohl aber machen wir, wie ich noch beschreiben werde, für kürzere Zeit am

Fig. 7.

Tage von einer Stauungshyperämie Gebrauch, welche zwischen dieser und der erstbeschriebenen massigen Stauung steht.

In der grossen Mehrzahl der Fälle habe ich die Stauungs- hyperämie in folgender Weise angewandt : Oberhalb der erkrankten Stelle eines Ghedes legt man eine Martin' sehe oder gewebte Gummibinde in mehreren Gängen so fest an, dass die anfangs dieses Kapitels unter „massiger Stauung" beschriebene Hyperämie eintritt. Da Gummibinden nach dem Gewichte verkauft werden, ist die im Handel gangbare dicke Mar tin'sche Gummibinde zu teuer. Ich empfehle für Arme und dünne Beine eine sehr schmieg- same, dünne und billige Binde i) von 6 cm Breite. Nur für dickere Oberschenkel nimmt man besser die gewöhnliche dicke Mar tin'sche Binde, weil dort die dünnen Binden sich umroUen und dann strickartig einschnüren. Das Ende der Binde wird mit einer Sicher-

1) Geliefert von Eschbaum, Bonn.

Passive Hyperämie der Glieder durch eine Stauungsbinde.

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heitsnadel festgesteckt. Damit die Binde nicht drückt, wird sie mit einer Mullbinde unterfüttert. Aus demselben Grunde wechselt man den Ort der Abschnürung (Fig. 7). Wenn die Binde bei dauernder Stauung des Morgens bei ah gesessen hat, so wird sie des Abends nach cd gesetzt, um am andern Morgen wieder nach a h zurückverlegt zu werden. Auch wenn man nur kürzere Zeit täglich die Stauungshyperämie anwendet, tut man gut, nicht immer denselben Ort zur Abschnürung zu wählen. Will man die Blutstauung ganz auf den kranken Körperteil be- schränken, so wickelt man den peripher gelegenen Gliedabschnitt doppelt oder dreifach mit einer Leinen- oder Flanellbinde ein.

Diese Form der Stauung habe ich in den ersten Jahren in der grossen Mehr- zahl der Fälle, welche ich behandelt habe, dauernd mit nur kurzen Unter- brechungen, oder wenigstens - im Anfang dauernd und -i-^"' später mit grösseren Unter- -*,-«— brechungen angewandt. Da- bei soll man sein Augenmerk ängstlich darauf richten, dass stets die oben beschriebene heisse Stauung unterhalten wird, dass sich das gestaute Glied nie- mals kalt anfühlt, oder gar die geschilderten zinnoberroten Flecken aufweist. Ferner soll diese Form der Stauung niemals Unbequem- lichkeiten oder gar Schmerzen oder Parästhesien in dem behandelten Gliede hervorrufen. Der Mensch, welcher die Binde trägt, soll so wenig Beschwerden davon haben, dass er sie bei seiner gewöhn- lichen Beschäftigung völlig vergisst. Trotzdem gelingt es, beson- ders an entzündeten Körperteilen, damit eine sehr kräftige Hyper- ämie mit Ödem hervorzurufen.

In neuerer Zeit benutze ich diese Form der Stauung kaum noch. Vielmehr lege ich die stauende Binde, wie Fig. 8 zeigt, so an, dass sich die Bindengänge nicht vollständig decken, sondern

^^»'^'

Fig;. 8.

70 Allgemeiner Teil.

einen grösseren Teil des Gliedes umfassen. Nur wenn die Er- krankung sehr hoch an das Schulter- oder Hüftgelenk hinaufgeht, müssen die einzelnen Bindengänge sich vollständig decken. Vor allem wickele ich fast nie mehr den peripheren Gliedabschnitt ein, so dass das ganze Verfahren möglichst einfach ist, und bloss im Umlegen einer Gummibinde (nach Art der Aderlassbinde) ober- halb des Krankheitsherdes besteht. Fig. 8 stellt also das Normal- verfahren für die Bindenstauung dar.

Die langdauernde, über 20 22 Stunden täglich sich erstreckende Stauungshyperämie, die ich bei akuten Entzündungen und auch bei einzelnen chronischen Gelenkkrankheiten, wie im weiteren Ver- lauf der Arbeit noch geschildert wird, gewöhnlich anwende, habe ich jetzt bei der Behandlung der Tuberkulose gänzlich verlassen. Denn sie bedarf bei dieser Krankheit der fortwährenden und ängstlichen Beaufsichtigung, damit auch wirklich die heisse Stauung unterhalten wird. Ferner führt es, wie ich später noch ausein- andersetzen werde, zweifellos zuweilen zur Verschhmmerung der Tuberkulose, wenn sich dabei ein chronisches Ödem einstellt, welches längere Zeit künstlich unterhalten wird.

Ich will hier noch eine Beobachtung mitteilen, welche ich nach viele Monate lang angewandter dauernder Stauung nicht selten gemacht habe : Setzt man schliesslich das Mittel aus, so sind die früher hyperämischen Glieder auffallend blass, wenn sie nicht durch kleine Blutaustritte einen gelbhchen Ton erhalten haben. Wir sehen hier eine ähnliche Reaktion auf langdauernde und häufige venöse H3rperämien eintreten, wie wir dies von der arteriellen seit langem wissen. Bekanntlich sind Leute, deren Haut durch Hitzeeinwirkung viel und häufig hyperämisiert wird, Bäcker, Maschinenheizer, Glasbläser, ausserhalb ihrer Arbeit sehr blass. Ich will mich des Erklärungsversuches dafür enthalten und nur auf die Tatsache hinweisen.

In letzter Zeit wende ich nur 1 2 Stunden täglich bei tuber- kulösen Gelenken eine allerdings kräftige Hyperämie an, deren Verlauf ich kurz schildern will : Die Binde wird so straff angezogen, dass eine recht erhebliche Stauungshyperämie entsteht. Die sub- kutanen Venen schwellen sehr stark an, die Haut wird gleich- massig blaurot, gegen das Ende der Stunde tritt zuweilen leichtes Prickeln im Gliede ein. Wirkliche erhebliche Beschwerden oder gar Schmerzen sollen dagegen nicht vorkommen. Der periphere GUedabschnitt wird wie beschrieben nicht eingewickelt. Das Ver-

Passive Hyperämie der Glieder durch eine Stauungsbinde.

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fahren hat den Vorteil der grossen Sicherheit und Einfachheit. Selbst wenn man hier einen technischen Fehler macht, kann man niemals Unheil anrichten, da sogar nach sehr starker einstündiger Stauungshyperämie dauernde Schädigungen nicht eintreten dürften.

Man treibt diese Form der Stauung nicht so weit, dass die beschriebenen zinnoberroten Flecken auftreten. Auch nachweis- bares Ödem zeigt sich bei der kurzen Dauer der Anwendung in der Regel nicht. Entsteht es ausnahmsweise, so wird es vor der neuen Stauung durch Hochlagerung möghchst besei- tigt. Es ist ziemlich gleichgültig, wo man die stauende Binde anlegt, man soll nur nicht zu nahe an das kranke Gelenk mit ihr kommen. So kann man z. B. die Stauungsbinde bei einer Er- krankung des Handgelenkes am Ober- arm anlegen.

Das Hüftgelenk mittels elastischer Abschnürung unter Stauungshyperämie zu setzen, ist mir bis jetzt nicht in be- friedigender Weise gelungen, wohl aber lässt sich das Verfahren sehr gut beim Schultergelenk in Anwendung bringen, so dass man, abgesehen von der Hüft- gegend, jeden beliebigen Teil der GKed- massen mit dem Mittel behandeln kann. Ich beschreibe die Technik der Schulter- gelenkstauung (Fig. 9): Um den Hals wird lose ein kravattenförmig zusam- mengelegtes Tuch gebunden. Von der Achselhöhle aus legt man einen dicken

Gummischlauch um die Schulter, führt das eine Ende durch die Schleife des Halstuches, das andere aussen davon herum, und zieht ihn so fest an, dass eine starke venöse Stauung im Gliede entsteht. Der Schlauch wird oberhalb des Tuches mit einer Klemme ge- schlossen, welche den Schlauch gleichzeitig am Abgleiten hindert. Damit er nicht drückt, wird er mit einem Streifen weichen Filzes oder mit Watte unterpolstert. (Die Unterpolsterung fehlt in der Figur.) Um das Schultergelenk auch wirklich in seinem ganzen

Fig. 9.

72

Allgemeiner Teil.

Umfange unter Hyperämie zu setzen, erhält der Schlauch nach vorn und hinten je einen Bindenzügel. Diese werden unter Zug in der gesunden Achselhöhle geknüpft und ziehen so den Schlauch bis über das Schultergelenk hinaus (s. Fig. 9). Bei Frauen ist es zweckmässig, an der gesunden Seite einen Ring ans Korsett an- zubringen und daran die Bindenzügel zu befestigen. Die letzteren

sind notwendig, weil ohne sie der Schlauch nicht genügend über das Schultergelenk hinweggreift. In der Regel verzichte ich auch hier auf die Einwicklung des gesunden Teiles des Armes, die in der Fig. noch ab- gebildet ist. Einfacher und bequemer erzeugt man die Schulterstauung auf folgende Weise: Man fertigt aus Stücken fingerdicken, weichen Gummischlauches Ringe von ver- schiedener Weite, indem man das eine Ende zuspitzt, in das andere es hineinschiebt und beide Enden fest vernäht. Der Schlauch wird bis auf ein etwa 2 cm breites Stück mit weichem Filz benäht. Das freiblei- bende Stück gestattet dem Gummi- schlauch, sich beliebig auszudehnen. Man wählt sich einen Ring aus, der sich unter erheblicher Spannung über das Schultergelenk schieben lässt. Damit er weit über das zu hyper- ämisierende Gelenk hinübergreift, er- hält er an der Vorder- und Hinter - Seite je ein breites Gurtband, die man unter Zug über der Brust zusammenschnallt. Fig. 10 zeigt dieses Verfahren.

Länger als höchstens 12 Stunden täglich darf in keinem Falle diese Stauung der Schulter angewandt werden, und auch dann noch muss man mehrmals täglich Pausen dazwischen setzen, weil sonst der Schlauch, dessen Platz man an der Schulter natürlich nicht wechseln kann, schädlichen Druck hervorrufen würde.

An den oberen Gliedmassen lässt sich im allgemeinen die

Passive Hyperäiiiiü der Gliodci' ilnrcli cim- Stauungsbinde. 73

Stauungshyperämie viel leichter hervorrufen als an den unteren. Hier sind es besonders die Beine sehr fetter Frauen, bei welchen die Hyperämisierung zuweilen auf Schwierigkeiten stösst. Aber auch sonst trifft man dies, allerdings selten, an. Häufig kann man dadurch eine ungenügende Stauungshyperämie sehr kräftig machen, dass man erst die Gummibinde so stark umwickelt, dass eine völlige Blutleere entsteht, welche man 4 5 Minuten bestehen lässt. Jetzt lockert man die Binde so weit, dass die starke reaktive Hyperämie entsteht, und benutzt nun dieselbe Binde als Stauungs- mittel, welche das reichliche Blut zurückhält. Oder besser, man pinselt die kranke Stelle so lange mit Jodtinktur, bis eine heftige Entzündung der Haut entsteht. Die Stauungsbinde ruft dann im Bereiche der Entzündung eine sehr starke Hyperämie hervor.

Einer besonderen Beschreibung bedarf die Kopf- und Hoden - Stauung. Die Kopfstauung ist sehr leicht hervorzurufen durch ein Baumwollgummiband, das in jedem Baumwolladen für billiges Geld zu kaufen ist. Bei Erwachsenen haben wir es 3, bei Kindern 2 cm breit gebraucht. Man schneidet ein Stück von der Länge ab, dass es beinahe an den Umfang des Halses heranreicht. Das Band trägt auf der einen Seite einen Haken, a'uf der anderen eine Reihe hintereinander stehender Ösen, so dass es verschieden weit gestellt werden kann. Man merkt sich, in welche Ose eingehakt werden muss. Da die Binden sehr schnell ihre Elastizität ein- büssen, werden sie etwa alle 4 8 Tage durch neue ersetzt. Das Band wird hinten am Halse geschlossen, wo die Haut widerstands- fähiger ist. Damit der Verschlussapparat dort nicht drückt, wird ein Stück Filz untergelegt. Bei zarter Haut wird das Band mit einer Lage Mullbinde unterfüttert. In aufrechter Körperhaltung wird es aus leicht begreiflichen Gründen etwas stärker angezogen vertragen als im Liegen. Es muss leichte Blaufärbung des Ge- sichts und bei akuten Entzündungen deutliches Ödem hervorrufen, darf aber niemals ernstliche Unannehmlichkeiten machen.

Die Kopfstauung macht geringere Beschwerden als man denkt, selbst wenn man sie 20 22 Stunden täglich unterhält. Ehe ich sie bei Kranken anwandte, habe ich sie bei mir selbst geprüft. Ich trug 5 Nächte hintereinander die Stauungsbinde am Halse so fest, dass eine deutliche Schwellung und Blaufärbung des Gesichts auftrat i).

1) Vergl. Bier, Über d. Einfluss künstlich erzeugter Hyperämie des Ge- hirns u. künstUch erhöhten Hirndrucks auf Epilepsie, Chorea u. gewisse Formen von Kopfschmerzen. Mitteil, aus den Grenzgebieten. 1900. VII. Band. 2. u. 3. Heft.

74 Allgemeiner Teil.

Die erste Nacht machte die Binde Unannehmhchkeiten und den folgenden Tag über hatte ich Kopfschmerzen. Diese Beschwerden fielfen nach dem ersten Tage fort. Ich schhef gut, tat des Tages über meine gewohnte Arbeit ohne Beschwerden und hatte keine Kopfschmerzen .

Um die Folgen sehr hochgradiger Stauung, welche ich niemals in dieser Stärke bei einem kranken Menschen hervorzurufen wagen würde, kennen zu lernen, und vor Überraschungen sicher zu sein, trug ich eine Nacht hindurch eine Stauungsbinde, welche ich bis zur Grenze des Erträghchen anzog. Sie kostete mich eine fast schlaflose Nacht, rief Sausen in den Ohren, pulsatorisches Klopfen im Schädel und Stirnkopfschmerz hervor. Vorübergehend musste ich die Binde lockern. Nach Abnahme der Binde am anderen Morgen waren kurze Zeit nachher auch die Augenlider geschwollen, die Bindehaut der Augen gerötet, und bis gegen Mittag hatte ich Stirnkopfschmerz. Sonstige Unannehmlichkeiten bemerkte ich nicht.

NatürHch wird man die Kopfstauung bei arteriosklerotischen Leuten nicht oder nur mit grosser Vorsicht anwenden. Im übrigen habe ich sie in den letzten Jahren sehr ausgiebig bei allen mög- lichen akuten Entzündungen am Kopfe, besonders bei akuter Mittelohreiterung mit Mastoiditis, schwerer Parulis, akuter Dacryo- cystitis etc. gebraucht, wovon später noch ausführlich die Rede sein soll. Auch bei Chorea und bei anämischen Kopfschmerzen hat sie mir gute Dienste getan.

Um Stauungshyperämie am Hoden i) hervorzurufen, zieht man den oder die erkrankten Hoden stark herab und legt um die Wurzel des Hodensackes einen gut unterfütterten Gummischlauch. Seine Enden werden durch einen Schieber geschlossen. Häufig ist es gut, bei einseitiger Erkrankung auch den gesunden Hoden gleich- zeitig der Hyperämie zu unterwerfen, weil so der Schlauch besser sitzt. Da man die Schnürstelle nicht wechseln kann, darf der Schlauch, um Druck zu vermeiden, höchstens 12 Stunden täglich getragen werden. Die Hodenstauung ist sehr leicht auszuführen. Ich habe sie vielfach benutzt gegen Tuberkulose und gegen Fisteln und Verhärtungen, die nach Epididymitis gonorrhoica zurückge- bheben waren. Neuerdings ist sie von anderer Seite auch mit gutem Erfolge gegen die frische Epididymitis gonorrhoica angewandt.

1) Bier, Behandlung chirurgischer Tuberkulose etc.: v. Esmarchs Fest- schrift, Kiel und Leipzig 1893. S. 28, und Behandlung der Gelenktuberkulose mit Hyperämie, Berliner Klinik. Heft 89. 1895.

Passive Hyperämie der Glieder durch eine Stauvmgsbinde. 75

Der Kranke trägt, wenn er aufsteht, gleichzeitig ein weites, mit Watte gut gepolstertes Suspensorium.

Mit der Blutstauung ist stets auch eine Lymphstauung ver- bunden. Selten beobachtet man nun eine Form der Stauung, welche ich als ,, weisse" bezeichnet habe. Dabei besteht beträchthches Ödem, während die Hyperämie nur unbedeutend ist. Das GHed sieht dann ödematös, glänzend und weiss aus. Ich habe das als vorwiegende Lymphstauung erklärt. Ich kann darüber kurz hin- weggehen, weil diese Erscheinung sehr selten ist, und will nur erwähnen, dass sie nach meinen allerdings sehr spärlichen Be- obachtungen unwirksam ist.

Man hat gegen die Anwendung der Stauungshyperämie ein- geworfen: sie sei besonders bei Entzündungen unbequem, schmerz- haft und gefährlich. Soll das Verfahren jemals Eingang in die Praxis finden, so muss es von diesen Vorwürfen gereinigt werden. Zunächst betone ich, wie schon so oft, dass jede Stauungsbinde, welche wirkhch grössere Unbequemlichkeiten oder gar Schmerzen hervorruft, falsch angelegt ist. Im Gegenteil, wir werden noch hören, dass die schmerzlindernde Wirkung dieses Mittels eine ihrer hervorragendsten Wirkungen ist. Ich wiederhole deshalb : Wer mit der Stauungshyperämie Schmerzen erzeugt, statt sie zu lindern, weiss noch nicht damit umzugehen. Ganz ausnahmsweise kommen Fälle vor, wo man erwarten sollte, dass nach Lage der Sache das Mittel günstig wirken würde, wo es aber in Wirkhchkeit vorhandene Schmerzen und Beschwerden vermehrt. Selbst da aber kommt man durch geschicktes Individualisieren fast immer noch zum Ziel. Stösst man auf dauernde Schwierigkeiten, so soll man lieber ein anderes Mittel wählen.

Hauptsächlich hat man gefürchtet, dass die stauende Gummi- binde zu Dekubitus an der Schnürstelle, oder gar zu Brand des ganzen abgeschnürten Gliedabschnittes führen könne. Das erstere habe ich wohl in der allerersten Zeit erlebt, als ich noch zur Er- zeugung der Hyperämie mich des Gummischlauches bediente. Seit- dem ich eine weiche, breite Gummibinde benutze und ängsthch darauf sehe, dass sofort bei Reizung der Haut an der SchnürsteUe eine Pause gemacht wird, bis sie wieder ganz gesund ist, habe ich dies nur noch einmal bei der schwierig durchzuführenden Schulter- stauung gesehen.

Wenn man nur annähernd die Regeln befolgt, die ich für die Anwendung der Stauungshjrperämie angegeben habe, so ist Brand

7g Allgemeiner Teil.

von gestauten Gliedabschnitten völlig ausgeschlossen. Ich pflege hier Assistenten, Personal und Kranken einzuschärfen, dass eine Stauungsbinde, welche länger liegt, niemals Schmerzen oder Parästhesien in dem Gliede hervorrufen darf, sonst muss sie sofort gelockert werden. Den Assistenten gegenüber betone ich auch immer, dass nur der Kranke selbst weiss, ob er Schmerzen hat, und sie sich niemals verleiten lassen sollen, ihm zu entgegnen: ,,Sie sind weichlich, das müssen Sie aushalten, die Binde liegt nicht zu fest."

Ich kann deshalb behaupten, dass jene Gefahren eingebildet und nur bei der gröbsten Unkenntnis der Technik vorhanden sind. Wenn man aber Mittel anwendet, welche man nicht kennt und nicht beherrscht, so sind sie fast alle gefährlich.

Lässt man eine stauende Binde sehr lange an einer Stelle liegen und benutzt man immer dieselbe Höhe des Gliedes zum Abschnüren, so tritt natürlich Atrophie, in erster Linie der Muskeln auf. Des- halb soll man häufig die Schnürstelle wechseln. Trotzdem ist bei jahrelanger Anwendung des Mittels die Atrophie nicht ganz zu ver- meiden, bleibt aber bei genügend häufigem Wechsel der Schnürstelle unbedeutend und verschwindet nach Aussetzen des Mittels von selbst .

Ich selbst musste früher der Stauungshyperämie zum Vorwurf machen, dass sie zuweilen bei offenen Tuberkulosen zu heissen Vereiterungen und zu Erysipel führe. Ich habe früher mehrere üble Fälle dieser Art mitgeteilt. Ich kann jetzt versichern, dass sie sämtlich die Folge einer damals verkehrt angewandten Technik waren. Ich benutzte damals noch eine zu starke und zu langan- dauernde Stauungshyperämie, welche zu chronischem Odem führte. Das letztere aber begünstigt, wie wir aus vielfachen Erfahrungen wissen, den Ausbruch akuter Entzündungen. Inzwischen haben wir die Technik der Stauungshjrperämie so ausgebildet, dass diese Gefahr gänzlich vermieden wird. Im Gegenteil, ich werde noch schildern, dass die jetzt von uns geübte Form der Stauung auf den Verlauf der akuten Entzündungen sehr günstig einwirkt. So habe ich denn auch seit meiner ausführlichen Mitteilung über diese Gefahr im Jahre 1894i) nur ein einziges Mal noch das Hinzutreten einer schweren akuten Entzündung zu einer aufgebrochenen Tuber- kulose, die auf die Behandlung zurückgeführt werden musste, erlebt, und zwar in einer Zeit, wo wir wiederum mit der Einführung einer

1) Bier, Weitere Mitteilungen über die Behandlung chirurgischer Tuber- kulose mit Stauungshyperämie. Verhandl. d. deutschen Ges. f. ChirLtrgie. 1894. II. S. 114.

Passive Hyperäinio der Glieder durcli eine Stauungsbinde. 77

neuen Technik (Saugapparate zur Erzeugung von Hyperämie bei Tu- berkulose) beschäftigt waren und aus Misserfolgen erst lernen mussten . Ich werde den betreffenden Fall in dieser Arbeit noch mitteilen.

Ahnlich steht es mit der anderen von mir beschriebenen un günstigen Beobachtung, dem Auftreten von Stauungsgeschwüren unter dem Einfluss der Hjrperämie; auch diese sind lediglich auf eine verkehrte Technik zurückzuführen.

Es ist mir deshalb erfreulich, versichern zu können, dass die einzige Gefahr der Stauungshyperämie, welche ich früher als vor- handen anerkennen musste, und ich selbst zuerst beobachtet und beschrieben habe, lediglich ein Fehler der Technik war, welcher sich leicht vermeiden lässt.

Ferner habe ich trotz monate- und jahrelang angewandter Stauungshyperämie niemals gesehen, dass Varicen peripher von der Schnürstelle aufgetreten sind. Es ist dies wohl der beste Beweis für die auch anderweitig schon mehrfach geäusserte Ansicht, dass Varicen nicht einfach durch Stauung entstehen, sondern dass noch eine Erkrankung der Venenwand daneben da sein muss.

Hierher gehört auch die auf Seite 62 und 64 beschriebene Beobachtung, dass die durch eine Stauungsbinde anfangs sehr stark gedehnten subkutanen Venen nach einigen Stunden anfangen, sich zusammenzuziehen, so dass sie kaum erweitert erscheinen.

Henlei) weist mit Recht darauf hin, dass das Anlegen der Stauungsbinde eine sehr genaue und sorgfältige Technik erfordere, weil wir bei der Bemessung des anzuwendenden Zuges nur auf unser eigenes und das Gefühl des Kranken angewiesen sind. Um diesen Übelstand zu vermeiden, hat er einen Hohlschlauch kon- struiert, der um das zu behandelnde Glied herumgelegt, mit einer Klemme geschlossen und nach dem Vorbilde des Riva-Rocci'schen Blutdruckmessers mit Luft aufgeblasen wird. Die notwendige Druckhöhe wird für jeden einzelnen Fall durch genaue Versuche festgestellt und vermittels eines Quecksilbermanometers gemessen. Man braucht dann nur einmal den richtigen Grad der Stauung genau auszuprobieren und kann ihn dann jedesmal mit Hilfe des Quecksilbermanometers leicht wiederherstellen.

Ich habe den He nie' sehen Apparat in schwierigen Fällen mit Nutzen gebraucht.

1) Henle, Ziir Technik der Anwendung venöser Hyperämie. Centralblatt für Chirurgie 1904. Nr. 13, und zur Technik der venösen Hyperämie. Verhand- lungen der deutschen Gesellsch. flir Chirurgie 1904. I. S. 227.

78 Allgemeiner Teil.

V. Leyden und Lazarus^) empfehlen statt der Stauungsbinde auch für die Gheder ähnliche Gummibinden, wie wir sie für die Kopfstauung gebrauchen, die durch Ösen oder Knöpfe verstellbar sind; Guth^) einfache Heftpflasterstreifen, die er fest anzieht.

Kozlowski^) und Tomaschewski*) haben Apparate an- gegeben, um den Druck der Binde zu regeln. Mir fehlen Er- fahrungen über die Wirkung dieser Hilfsmittel.

Übrigens bewirken He s sing 'sehe und ähnliche portative Appa- rate, wie ich mich oft überzeugt habe, in den kranken Gelenken, wegen deren sie getragen werden, eine manchmal sehr erhebliche Stauungshyperämie .

Bei theoretischer Betrachtung kommt man leicht auf den Ge- danken, dass bei langer Dauer der Stauungshyperämie, welche auf grössere Gebiete des Körpers sich erstreckt, eine Blutzersetzung eintreten und diese üble Folgen haben könnte. Denn bei Stauungs- hyperämie gehen nicht nur zahlreiche rote Blutscheiben, welche in die Gewebe austreten, sondern vielleicht auch solche in den Gefässen selbst zugrunde, und es finden tiefgreifende chemische Veränderungen des gestauten Blutes statt.

Landois^) sagt in seinem Lehrbuche der Physiologie, dass sich am leichtesten die roten Blutscheiben des Kohlensäureblutes lösen, bemerkt aber in seiner Transfusion des Blutes ß), dass Kohlen- säureblut sich zwar am leichtesten löse, aber entschieden der Ein- wand von der Hand zu weisen sei, als wäre vielleicht das kohlen - säurehaltige Blut zum Teil bereits in Auflösung begriffen. Denn arteriahsiert man Erstickungsblut von Versuchstieren, so wird es wieder schwerer löslich.

E. Grawitz'^) erwähnt, dass in dem hochkonzentrierten Stau- ungsblut bei Herzfehlern im Zustande der Kompensationsstörung das Hämoglobin abnorm lose an das Stroma gebunden sei, und hält es für wahrscheinlich, dass in derartigen Fällen ein stärkerer Zerfall der roten Blutkörperchen in der Leber stattfinde.

1) V. Leyden u. Lazarus, Über die Behandlung der Gelenkentzündungen mit der Bier'schen Stauungshyperämie, v. Leuthold-Gedenksclirift. I. Band.

2) Guth, Die Behandlung entzündlicher Erkrankungen mit Stauiongs- binden und Saugapparaten in der Praxis. Prager med. W. 31. Bd. Nr. 3. 1906.

3) Kozlowski, Centralblatt für Chirurgie. 1906. S. 83.

4) Tomasche wski, Centralblatt für Chirurgie. 1906. S. 756.

5) Landois, Lehrbuch der Physiologie. 10. Aufl. 1899. S. 26 u. 27.

6) Landois, Die Transfusion des Blutes. Leipzig 1875.

7) E. Grawitz, Klinische Pathologie des Blutes. S. 211.

Passive Hyperämie der Glieder durch eine Stauungsbinde. 79

Chvosteki) fand das Serum von Stauungsblut, das er nach der Abschnürung eines Fingers welche allerdings nur 10 Minuten dauerte entnommen hatte, frei von Hämoglobin.

Dass es bei der Stauungshyperämie, welche wir zu Heilzwecken benutzen, häufig zu Blutzersetzungen kommt, beweist die ganz leichte Gelbfärbung der Haut nach längerer Anwendung des Mit- tels. Diese fehlen häufig auch dann nicht, wenn die Stauung nur kurze Zeit täglich und in massigem Grade angewendet wurde, und tritt besonders an entzündeten Körperteilen auf. Da wir nun im allgemeinen wohl stärkere und länger dauernde Stauungen unter- halten, als die oben erwähnten Untersucher im Auge hatten, so ist es doch zweifelhaft, ob wir nicht zuweilen grössere Blutzersetzungen hervorrufen. Wäre dies der Fall aber, so müssten wir sie leicht nachweisen können. Denn wir wissen aus Erfahrungen, welche wir bei Transfusion von fremdartigem Blut und bei einer Reihe von Krankheiten, welche mit massenhaftem Zerfall roter Blutkörper- chen einhergehen, gemacht haben, dass in solchen Fällen Leber und Milz nicht genügen, um das zersetzte Blut zu verarbeiten, sondern dass alsdann Eiweiss und bei .hochgradiger Zersetzung sogar Hämoglobin im Harne auftritt. Ferner verlaufen diese Fälle mit Fieber, welches meist mit einem Schüttelfroste einsetzt.

Unter der sehr grossen Anzahl von Fällen, welche wir mit Stauungshyperämie behandelten, haben wir aber etwas derartiges nur ein einziges Mal beobachtet. Es handelte sich um einen schwächlichen kleinen Knaben, welcher im Anschluss an Stauungs- hyperämie die durch eine am Oberschenkel angelegte Binde hervor- gerufen war, jedesmal hohes Fieber und leichte Albuminurie bei ungestörtem Allgemeinbefinden bekam. Beides trat regelmässig bald nach Anlegung der Stauungsbinde ein, und verschwand schnell, sobald sie entfernt wurde.

Übrigens haben ihm diese Erscheinungen nicht das Geringste geschadet.

WahrscheinHch handelte es sich bei diesem Kranken um eine ähnliche Hinfälligkeit der roten Blutscheiben, oder vielleicht auch anderer Blutbestandteile, wie sie bei der rätselhaften Krankheit vorkommt, welche in der inneren Medizin unter dem Namen der paroxysmalen Hämoglobinurie geht, bei der durch geringfügige äussere Anlässe, besonders durch Kälte, eine hochgradige Blut-

1) Chvosteck, Über das Wesen der paroxysmalen Hämoglobinurie. Ver- lag von Deutieke 1894.

gQ Allgemeiner Teil.

Zersetzung eintritt, die geradezu unter dem Bilde einer Malaria verlaufen kann. Konnte doch Chvostek nachweisen, dass in sol- chen Fällen durch Stauungshyperämie der Anfall hervorgerufen werden kann.

Bekanntlich hat man auch nach kalten Bädern i) Eiweiss und Hämoglobin vorübergehend im Harn gefunden.

Reineboth^) und Reineboth und Kohlhardt^) fanden, dass bei Kaninchen regelmässig nach Erkältung (Eintauchen in Eiswasser für 5 Minuten) Hämoglobin an das Serum abgegeben wird, ohne dass dasselbe in den Harn übergeht. Es soll vielmehr in Leber und Milz verarbeitet werden. Die Richtigkeit dieser Ver- suche wird allerdings von E. Grawitz"*) bestritten.

Dass im allgemeinen eine ausgedehnte Stauungshyperämie keine so hochgradige Blutzersetzung hervorrufen dürfte, dass sie von irgend einer Bedeutung wäre, und sich durch Fieber und Hämo- globin- oder Eiweissbefund im Harne nachweisen liesse, dürfte fol- gender Versuch beweisen, den ich mehrere Tage hintereinander mit gleichem Erfolg an mir angestellt habe: Ich legte mir hoch an beiden Oberschenkeln je eine Stauungsbinde so fest an, dass die oben beschriebene Stauungshyperämie eintrat, d. h. dass die Hautvenen stark hervortraten, das ganze Glied blaurot wurde mit zahlreichen zinnoberroten Flecken, und anschwoll. Es gelingt dies bei mir ausgezeichnet. Nach kurzer Zeit tritt ein Gefühl von Kribbeln, Einschlafen und Müdigkeit in den Beinen und schliess- lich Schmerz ein, so dass es der Aufbietung aller Willenskraft be- darf, um diese ausgedehnte Stauung länger als ^ Stunde auszu- halten. Sehr deutlich macht sich dabei die Erscheinung bemerkbar, dass dem übrigen Körper viel Blut entzogen ist; der Puls wird klein, steigt von 68 auf 88, die Atmung wird vertieft, man hat das Gefühl des Blutmangels im Kopf und ist unvermögend zu denken. Nach 45 Minuten werden die Stauungsbinden gelöst, und alle diese

1) Johnson, Temporary albuminurie, the result of cold bathing. Brit. med. Joiirn. 1875. Winternitz, Die Hydrotherapie. II. Aufl. Wien u. Leip- zig 1890. S. 83.

2) Reineboth, Experimentelle Untersuchungen über den Entstehungs- modus der Sugillationen der Pleura infolge von Abkühlung usw. Deutsches Archiv f. klin. Med. 62. Bd. S. 63 und Centralblatt f. innere Medizin. 1900. Nr. 3.

3) Reineboth und Kohlhardt, Blutveränderungen infolge von Ab- kühlung. Ebenda 65. Bd. S. 192.

4) Grawitz, Centralbl. f. innere Medizin. 1899. Nr. 46 und 1900 Nr. 3.

Hyperämie durch trockene Schröpfköpfe. gj

Erscheinungen verschwinden sofort. In der Haut fanden sich die oben beschriebenen karminroten Blutpunkte. Ich konnte niemals nach diesem Versuche Eiweiss oder Hämoglobin in meinem Harn, ebensowenig einen regelmässigen Einfluss auf die Temperatur nach- weisen. Auch das Allgemeinbefinden wurde durch diese so gewal- tige Stauung, wie man sie ja zu Heilzwecken niemals herbeiführen wird, nicht im geringsten gestört, obwohl ich den Versuch an sechs aufeinander folgenden Tagen wiederholte.

Trotzdem ist vielleicht ein erheblicher Untergang von roten Blutscheiben damit verbunden. Aber eine nicht allzu grosse Zer- setzung von solchen führt, wie ich nach meinen Erfahrungen mit Transfusion fremdartigen Blutes Reineboth und Kohlhardt zu- stimmen muss, zum Auftreten weder von Blutrot noch von Eiweiss im Harn.

Hyperämie durch trockene Schröpfköpfe.

Fast ebensolange, wie ich Hyperämie überhaupt gegen Krank- heiten anwende, habe ich mich zu ihrer Erzeugung auch des trockenen Schröpf köpf es bedient i). Ich habe von ihm ausgedehnten Gebrauch gemacht, liess ihn, um ihn zum Haften zu bringen, der Form un- ebener Körperteile anpassen, und liess mir für grössere Körper- stellen Riesenapparate herstellen. Eine Zeitlang habe ich den Schröpfkopf dann als hyperämisierendes Mittel vernachlässigt, bis mein Assistent und erfolgreichster Mitarbeiter Klappt) in neuerer Zeit ihn wieder in ausgedehnter Weise verwendet, und die Methodik für die verschiedensten Krankheiten in vortreffhcher Weise aus- gebildet hat. Seitdem gehört der Schröpfkopf bei uns zu den vor- nehmsten hyperämisierenden Mitteln.

Dass der Schröpfkopf zu den allerältesten Heilmitteln ge- hört, ist bekannt. Aber, als ich in letzter Zeit, leider viel zu spät, die Literatur über ihn nachsah, war ich doch nicht wenig erstaunt zu erfahren, in welcher Ausdehnung und Viel- seitigkeit dies ehrwürdige Instrument, solange es eine Geschichte gibt, von sämtlichen Völkern der Welt, den niedrigsten Natur-

1) Vergl. Bier: Weitere Mitteilungen über die Behandlung cliirurgischer Tuberkulose mit Stauiingshyperämie. Verhandl. d. deutschen Gesellschaft für Chirurgie 1894. S. 94, und Bier: Über verschiedene Methoden, künstliche Hyperämie zu Heilzwecken hervorzurufen. Münch. med. W. 1899. Nr. 48/49.

2) Klapp, Über die Behandlixng entzündlicher Erkrankungen mittels Saugapparaten. Münchner med. W. 1905. Nr. 16.

Bier, Hyperämie als Heilmittel. 6

g2 Allgemeiner Teil.

und den höchsten Kulturvölkern bis auf unsere Tage gebraucht ist. Hätte ich zur rechten Zeit die Literatur studiert, so wäre uns manche Arbeit erspart geblieben, denn ich erfuhr daraus, dass zahl- reiche Schwierigkeiten, deren Beseitigung uns viele Mühe gemacht hat, längst gelöst waren. Ferner erfuhr ich daraus, dass man die sehr wesentliche Idee, von der ich glaubte, dass sie von mir zuerst gefasst sei, mit dem Schröpfkopfe Eiter anzusaugen, schon in den ältesten Zeiten zur Ausführung gebracht und, wenn auch vereinzelt, zu den verschiedenen Zeiten immer wieder praktisch geübt hat. Noch heute bedienen sich einzelne Ohrenärzte des Verfahrens, durch verdünnte Luft Eiter anzusaugen. Zuletzt hat Sondermanni) es sehr empfohlen; er folgt gleichzeitig meinem Beispiel und benutzt sein schröpfkopfähnliches Instrument neben dem Aussaugen des Eiters zum Hyperämisieren. Ebenso verfährt er bei eitrigen Er- krankungen der Nase und ihrer Nebenhöhlen 2).

Ihm folgt Spiess^), der seinen schröpfkopf ähnlichen Apparat zum Ansaugen der Sekrete und zum Hyperämisieren der Nase, ihrer Nebenhöhlen und des Rachens durch eine Luftpumpe be- dient, die von einem Elektromotor in Betrieb gesetzt wird.

Einen einfachen und, wie mir scheint, sehr brauchbaren der- artigen Apparat für die Nase und ihre Nebenhöhlen hat Dr. Muck*) in Essen hergestellt. Er besteht aus einer gläsernen Saugflasche (Fig. 11 i). Der kurze Schenkel a dient zum Ansätze des Saugballes, die bauchige Erweiterung ß zum Auffangen der an- gesaugten Flüssigkeit, der Hals der Flasche "( wird luftdicht in ein Nasenloch eingeführt. Am Halse der Flasche befindet sich ein kleines Loch, welches beim Saugen mit dem Zeigefinger ge- schlossen wird. Es hat den Zweck, nötigenfalls, z. B. beim Auf- treten von Schmerz, sofort Luft eintreten zu lassen.

Der Apparat wird in folgender Weise verwandt: Man drückt den Saugball zusammen, führt den Hals der Flasche tief in ein

1) Sondermann, Saugtherapie bei Ohrerkrankungen. Archiv für Ohren- heilkunde. 64. Band. 1. Heft. 1904.

2) Sondermann, Eine neue Methode, Diagnose und Therapie der Nasen- erkrankungen. Münchner med. W. 1905. Nr. 1 luad: Zur Saugtherapie bei Nasen- erkrankungen. Münchner med. W. 1906. Nr. 45.

3) Spiess, Die therapeutische Verwendung des negativen Drucks (Saug- wirkung) bei der Behandlung der trockenen atrophischen Katarrhe der Nase und des Rachens. Archiv für Laryngologie u. Rhinologie. 17. Band. 2. Heft 1905.

4) Muck, Über eine Vorrichtimg zum Ansaugen von Sekreten usw. Münchner med. Wochenschr. 1905. Nr. 42.

Hyperämie durch trockene Schröpf köpfe. g3

Nasenloch ein, während man das Loch mit dem Zeigefinger schhesst, lässt den Kranken mit einem Finger das andere Nasenloch zu- drücken und fordert ihn auf, eine Mundstellung einzunehmen, als ob er ein K anlauten wollte, und den Atem anzuhalten. Lässt man den Saugball los, so entfaltet er sich und verdünnt die Luft in der Nase und ihren Nebenhöhlen.

Der Apparat scheint mir, soweit ich es beurteilen kann, zweckmässig zu sein. Er hat auch den Vorteil, dass er sich nach jedem Gebrauche auskochen lässt. Einen sehr praktischen und noch wesentlich einfacheren Saugapparat für die Nase hat neuer- dings Carl Eschbaum für die hiesige Ohrenklinik gearbeitet, Er ist von Leu wer 1) beschrieben worden.

Perthes^) hat einen sehr bekannt gewordenen sinnreichen Apparat hergestellt, um beim Pleuraempyem durch verdünnte Luft dauernd den Eiter abzusaugen, und die Lunge zur Entfaltung zu bringen.

In ähnlicher Weise ist der Schröpfkopf seit den ältesten Zeiten ausgiebig benutzt, um durch den Biss giftiger Tiere und toller Hunde vergiftete Wunden auszusaugen, ähnlich wie man das ja auch von jeher mit dem Munde getan hat. Wir werden aber in einem späteren Kapitel über die Beeinflussung der Resorp- tion durch Hjrperämie sehen, dass daneben sicherlich auch die durch die kräftige vom Schröpfkopf erzeugte Stauungshyperämie ver- ursachte Verlangsamung oder Aufhebung der Resorption einen sehr wohltätigen Einfluss übt.

Freilich, den naheliegenden Gedanken, den Schröpfkopf, den man doch zu allen möglichen, selbst den unwahrscheinlichsten Dingen benutzte, auch einmal als h5rperämisierendes Mittel zu ge- brauchen, scheint niemand gefasst zu haben. Auch er wurde ledig- lich als Derivans angewandt, der das Blut ,, ableiten" sollte, ebenso wie die Wärme und noch andere ausgesprochene Hjrperämiemittel, von denen in den nächsten Kapiteln die Rede sein soll. Und doch glaube ich, dass gerade die Erzeugung der Hj^erämie seine wich- tigste und erfolgreichste Aufgabe ist, woneben allerdings auch die Aussaugung des Eiters aus Abszessen und Fisteln eine sehr wesent- liche Rolle spielt. Sicherlich hat man aber unbewusst sehr häufig mit dem Schröpfkopfe in Wirkhchkeit hyperämisiert, wo man im

1) Leuwer , Ein neuer Nasensauger. Deutsche med. Wochensehr. 1906. Nr. 10.

2) Perthes, Erfahrungen bei der Behandlimg des Empyems der Pleura. Mitteil, aus den Grenzgebieten der Medizin und Chirurgie. 7. Band. 4. u. 5. Heft. 1901.

6*

g^ Allgemeiner Teil.

Gegenteil ableiten wollte, wenn man auch die Vorschrift gab, das Instrument nicht direkt auf entzündete Körperteile zu setzen. Diese Lehre war aber, wie wir noch sehen werden, sehr unrichtig, denn nirgends wirkt der Schröpfkopf heilkräftiger, als wenn er gerade auf solche Stellen gesetzt wird und die dort an und für sich schon vorhandene Hjrperämie noch vermehrt.

Die Naturvölker, ebenso wie die älteren Kulturvölker, benutzten als Schröpf köpfe in erster Linie Tierhörner, dann ausgehöhlte Kürbisse und Bambusstäbe, an denen jedesmal der Knoten den oberen Abschluss besorgte, und ähnhche Gegenstände. Am Ende des Instruments war ein feines Loch angebracht, auf das der Schröpfer seinen Mund aufsetzte, um durch Saugen die Luft zu ver- dünnen. Nachdem dies geschehen, schloss er es auf sehr geschickte Weise durch ein Stückchen Wachs oder ein anderes Verstopf ungs- mittel, das er meist im Munde hatte und mit der Zunge einpresste.

Auch schon in den ältesten Zeiten besorgte man die Luft- verdünnung durch Hitze. Man hielt den Schröpf köpf über eine Flamme, oder zündete irgend einen leicht brennbaren Stoff in ihm an, und setzte ihn mit rascher Handbewegung auf. Oder man brachte auf die durch eine kleine Platte oder ein Stück Karten- blatt geschützte Haut des Kranken einen brennenden Gegenstand und stülpte den Schröpfkopf darüber. Diese Formen des Schröpfens sind heute noch in unserer Volksmedizin am verbreitetsten.

Viel zweckmässiger verdünnte man die Luft im Schröpfkopfe durch eine Saugspritze, die man durch ein Rohr mit ihm in Ver- bindung brachte. Auch dieses Verfahren ist durchaus nicht etwa neu, sondern reicht schon sehr weit zurück. In Eulenburg's Realenzyklopädie wird die Einführung der Saugspritze Weiss zu- geschrieben, der sie im Anfang des 1 9. Jahrhunderts eingeführt haben soU. InWirkhchkeit ist sie viel älter. So schreibt Benjamin Belli) im Jahre 1804, dass das Auspumpen der Schröpf köpf e mit dem Munde bald durch die Saugspritze ersetzt, dass aber auch dieses Verfahren durch das Erhitzen der Luft verdrängt sei, weil die Spritze schwer luftdicht zu halten und ihre Handhabung sehr unbequem sei.

Die Saugspritze wird an Zweckmässigkeit und Handhchkeit in vielen Fällen noch übertroffen durch die Luftverdünnung mittels Kautschukballons, die Blatin^) einführte. Der Ballon befindet

1) Benjamin Bell, Lehrbegriff der Wundarzneikunst. Deutsche Über- setzung. Leipzig 1804. Bd. 1.

2) Eulenburgs Realenzyklopädie. Artikel: Schröpfen.

Hyperämie durch trockene Schröpfköpfe. 35

sich am oberen Ende des Schröpf köpf es. Dieser wird aufgesetzt, während man den Ball mit dem Daumen zusammendrückt. Lässt man los, so wirkt die Elastizität des Kautschuks als saugende Kraft.

Ebenfalls schon im Altertume setzte man an Stelle der oben beschriebenen primitiven Instrumente Schröpfköpfe aus Metall und Glas. Ihre Form (Glocken- oder Birnform) war im allgemeinen schon dieselbe, wie wir sie heute noch benutzen. Auch hatte man für besondere Zwecke ganz eigene Konstruktionen, die sich eben- falls im Laufe der Jahrtausende im Prinizp nicht geändert haben, z. B. seitliche Ausbuchtungen für die Aufnahme von angesogenen Flüssigkeiten, wie sie heute noch üblich sind und besonders an unsern Milchsaugern sich noch erhalten habend).

Damit der Schröpfkopf an unebenen Körperstellen gut haftet, bestreichen wir seinen Rand dick mit Fett. Aus demselben Grunde kann man ihn den verschiedenen Körperstellen sich anpassend arbeiten lassen, so setzt man an stark gerundete Ghedabschnitte (z. B. ulnaren und radialen Rand des Vorderarmes oberhalb des Handgelenkes) Schröpfköpfe mit der Form dieser Teile entsprechend ausgeschweiftem Rande (s. Fig. lle). Aber auch noch viel unebeneren Stellen kann man durch entsprechendes Ausschneiden des Randes für jeden einzelnen Fall das Instrument anpassen.

Wir benutzen zur Luftverdünnung lediglich die Saugspritze 2) und den Gummiballon. Die Handhabung dieser Instrumente be- darf keiner näheren Beschreibung. Wohl aber muss ich einige Worte über das Reinhalten des ganzen Apparates sagen. Denn da wir ihn sehr häufig bei Eiterungen brauchen, so müssen wir ge- bieterisch verlangen, dass er auskochbar ist und nach jedem Ge- brauche ausgekocht wird. Wir benutzten ursprünglich Schröpfköpfe, bei denen der Gummiballon direkt oben auf dem Glase sass. Der ganze Apparat wurde nach jedesmaligem Gebrauche gekocht, was natürlich dem Gummi auf die Dauer schadete.

Deshalb hat Klapp den Schröpf köpf mit einem Gummischlauch versehen, der ständig an ihm sitzen bleibt, während der Ballon, der ein Metallrohr trägt, das in den Schlauch passt, nach jedem Gebrauch abgenommen wird (Fig. 11c). Da der Ballon nicht mehr

1) über die Geschichte des Schröpf köpf es vergl. : Hube, Studie über die Geschichte u. d. Mechanik der Schröpfapparate. Inauguraldissertation Bonn. 1905, lind Gurlt, Geschichte der Chirurgie. Berlin 1898. III. Band. S. 561.

2) Eine ausgezeichnete und sehr empfehlenswerte Saugspritze hat Carl Esch- baum konstruiert. Sie ist mit einem selbsttätig wirkenden Spiralfeder zug versehen.

Allgemeiner Teil.

durch Eiter und Blut verunreinigt wird, brauchen nunmehr nur noch die Gläser gekocht zu werden. Sie werden nach dem Kochen bis zum Gebrauch in Schalen aufbewahrt, die mit SubKmat gefüllt sind. Der Ballon wird nur ausgekocht, wenn er ausnahmsweise einmal beschmutzt sein sollte, sonst nur mechanisch mit Wasser durch Ansaugen und Ausspritzen gereinigt.

Um den Eiter aufzufangen, ist ähnhch wie bei dem Milch- sauger seithch eine Ausbuchtung am Glase angebracht. Wir be- nutzen als die praktischste besonders die von C Eschbaum her- gestellte Schuhform (Fig. lld)i).

Damit der Schröpfkopf nicht die Haut drückt, kann man seinen Rand umlegen. Doch sitzen solche mit scharfem Rand fester auf der Haut.

Der Unterdrück in den mit Gummiballon versehenen saugenden Schröpf köpf chen ist grösser als man denkt. Rübe berechnete ihn bei stark zusammengedrücktem Gummiball auf 200- 400 mm Quecksilber.

Die Anwendung des Schröpfkopfes bei den verschiedenen Krankheiten wird im speziellen Teile dieses Buches auseinander- gesetzt werden.

Ich glaube, dass der Schröpf köpf, ähnlich wie die Wärme und die noch zu erörternden chemischen Derivantien, weit in die Tiefe hjrperämisierend wirkt, und dass die Heilwirkungen, die man ihm als ableitendem Mittel zuschrieb, zum sehr grossen Teile dem Gegen- teil davon, der Hyperämisierung zukommen. Den strengen Beweis kann ich allerdings nicht hefern, er ist hier noch viel schwerer zu erbringen als bei den anderen Mitteln, da die Blut- und Saft- strömung beim lebenden Organismus ausserordentlich schwer zu verfolgen ist, und die Blut Verteilung an der Leiche, wie ich im Kapitel über die chemischen Derivantien auseinandersetzen werde, gar nichts beweist. Auch hier hat man den Fehler gemacht, darauf Ge- wicht zu legen ; so glaubt Unverricht, den Beweis für die ableitende Wirkung des Schröpfkopfes darin zu erbhcken, dass er bei Pleuritis nach Anwendung von Schröpfköpfen die Pleura blutarm fand.

Der Schröpfkopf macht zweifellos eine Stauungshyperämie, die bei starker Luftverdünnung die höchsten Grade bis zum vöUigen Stocken des Blutkreislaufes erreicht. Dies beweisen neben der dunklen blauen Farbe der Hyperämie besonders die noch zu er-

1) Damit beim Saugen der Eiter nicht in den Schlauch fliegst, liess ich für die Fälle, in denen ein schuhförmiges Glas nicht herzustellen ist, Sauggläser mit S-förmig gebogenen gläsernen Ansatzstücken durch Eschbaum anfertigen.

Hyperämie durch trockene Schröpfköpfe. Fig. 11.

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Fig. IIa Fig. IIb

Fig. 11c

Fig. 11 e

Fig. 11 d

Fig. 11 f

Fig. 11g

'.^1

Fig. 11h

Fig. 11 i

gg Allgemeiner Teil.

wähnenden Versuche, die die Verhinderung der Resorption aus ver- gifteten Wunden, denen man einen Schröpfkopf aufsetzte, dartun. Nichtsdestoweniger verursacht er bei massiger Luftverdünnung auf gesunde Haut aufgesetzt, der hochroten Farbe nach zu urteilen, offenbar eine arterielle Hyperämie. Interessant ist es, dass bei der- selben Luftverdünnung an einer entzündeten, z. B. einer tuberku- lösen Hautstelle diese Hyperämie viel dunkler ausfällt. Die Er- klärung dafür werde ich später geben.

Aus diesen Gründen habe ich den Schröpfkopf früher zu den Mitteln gezählt, die eine gemischte Hyperämie hervorrufen.

In Figur 11 sind verschiedene Formen der bei uns gebräuch- lichen Schröpf köpfe abgebildet i):

a und b Schröpfköpfe mit fest aufsitzenden, c Schröpfkopf mit abnehmbarem Ball, d schubförmiger Schröpfkopf zur Aufnahme von Eiter, ebenfalls mit abnehmbarem Ball, e Schröpfkopf mit aus- geschnittenem Rande für einen runden Körperteil, f Schröpfkopf für kleine Gesichtsfurunkel, g und h schröpfkopfartige Saugglocken mit Glasknie und Dreiwegehahn für Saugspritzen-Betrieb, i die Saugflasche von Muck für die Nase und ihre Nebenhöhlen.

Neuerdings habe ich alte Versuche von mir wieder aufge- nommen, die jahrelang geruht haben, insbesondere die Behandlung der schmerzhaften Spondylitis, der Lungentuberkulose und der Coxitis mit grossen, der Form der in Betracht kommenden Körper- teile angepassten schröpfkopfähnhchen Saugapparaten. Der schmerzstillende Einfluss dieser Apparate auf die schmerzhafte Spondylitis ist sehr in die Augen springend, er beweist meine schon früher vielfach ausgesprochene Überzeugung, dass der Schröpfkopf bis in grosse Tiefen hyperämisierend wirkt.

Auch von anderer Seite sind neuerdings nach unserem Prinzip gearbeitete schröpfkopfähnliche Saugapparate angegeben worden, so von Prym^) und Raudnitz^) für die Tonsillen, von Rudolph'*) und von Eversmann^) für die Portio usw. Muck^) verwendet

1) Die Schröpf köpfe werden von der Firma Eschbaum in Bonn geliefert.

2) Prym, Über die Behandlung der entzündlichen Erkrankungen der Ton- sillen mittels Saugapparaten. Münchner med. Wochenschr. 1905. S. 2318.

3) Raudnitz, Zwei neue Saugapparate. Prager med. W. 1906. Nr. 34.

4) Rudolph, Die Bier'sche Stauung in der gynäkologischen Praxis. Centralblatt für Gynäkologie 1905. S. 1185.

5) Eversmann, Die Bier'sche Stauung in der G^Tiäkologie. Centralblatt für Gynäkologie 1905. S. 1467.

6) Muck, Ein einfacher tmd praktischer Apparat für die Bier'sche Stauung. Münchner med. W. 1906. Nr. 32.

Hyperämie durch grosse Saugappurato. g9

statt der Gummibälle Glaskugeln, die er vorher mit einer Saug- spritze luftleer gemacht hat. Kuhn lässt durch die Firma Evens & Pistor Saugglocken herstellen, die sich durch Drehung eines leicht abnehmbaren und auskochbaren Verschlusskörpers luftdicht abschliessen lassen. Der Gummiball kann dann abgenommen und auf einer anderen Glocke angebracht werden, so dass man mit einem Ball für alle Apparate auskommt. Über beide Sorten von Apparaten fehlt mir die eigene Erfahrung.

Hyperämie durch grosse Saugapparate.

Die grossartigste und ausgedehnteste H5rperämie lässt sich in den Gliedmassen mittels des Jun od' sehen Stiefels oder diesem nachgebildeter Apparate erreichen. Junod's grosse Ventousen und Schröpfstiefel haben ihrer Zeit in der medizinischen Welt grosses Aufsehen erregt, sind aber jetzt fast vollkommen in Vergessenheit geraten, so dass die Mehrzahl der heutigen Ärzte von ihrem Vor- handensein wohl überhaupt keine Kenntnis .hat. Es dürfte sich deshalb empfehlen, diese höchst eigenartigen Apparate, die meiner Ansicht nach in der Medizin bald wieder eine Rolle spielen werden, wenn auch in ganz anderer Weise, als ihr Erfinder und seine Nach- ahmer beabsichtigten, etwas genauer zu beschreiben. Im Jahre 1834 legte Junodi) seine Erfahrungen und Untersuchungen über die Anwendung der verdünnten und verdichteten Luft auf den ganzen Körper und einzelne Teile desselben der französischen Akademie der Wissenschaften vor. Im Jahre 1838 beschrieb er 2) in einer zweiten Abhandlung Verbesserungen seiner Apparate und machte im Jahre 1841 der Akademie eine neue Mitteilung, welche haupt- sächlich in der Erzählung einiger mit seinen Apparaten be- handelter Fälle besteht^). Von anderer Seite wurden Junod's Apparate in ausgiebiger Weise gebraucht, und es folgen bald

1) Jun od, Recherches physiologiques et therapeutiques sur les effets de la compression et de la rarefaction de l'air, tant sur le corps que sur les mem- bres isoles. Revue med. frang. et etrang. 1834. Tome III. S. 350 und Bericht der Akademie ebenda. S. 460.

2) Junod, Note sur un nouvel appareil dit gxande ventouse propre ä faire le vide sixr la moitie inferieure du corps etc. Gaz. medic. de Paris 1838. T. VI. Nr. 25. S. 388.

3) Junod, Nouvelles observations sur l'emploi des appareils hemospasiques et des bains d'air comprime, lues ä l'aeademie des sciences. Paris 1843.

QQ Allgemeiner Teil.

mehrere Mitteilungen über die Wirkung derselben, von denen das Buch Ficinus'i) „Die Hämospasie" die vollständigste und eingehendste ist. Ich werde mich deshalb in den nachfolgenden Beschreibungen auch hauptsächUch an die Ausführungen dieses Arztes halten.

Da uns die grossen Apparate Junod's, welche auf den ganzen Körper wirken, und ebenso die für die Gliedmassen bestimmten Einrichtungen, welche verdichtete Luft in den Stiefel treiben, we- niger interessieren, so will ich mich auf die Beschreibung des Saug- apparates, des früher sehr bekannten ,,Junod'schen Stiefels", be- schränken.

Junod verfertigte zuerst vier gläserne und kupferne Büchsen für die vier Ghedmassen. Damit diese an die Glieder von ver- schiedener Dicke sich luftdicht anpassten, hatte jede Büchse für ihr offenes Ende vier Ansatzstücke von verschiedener Weite und Form. Ausserdem diente zum Abschluss der Luft ein breiter Ring von Kautschuk, welcher an dem Schlussstück befestigt war, und mit einer Binde an das Glied festgewickelt wurde.

Die Büchsen für die Beine hatten die Form eines Stiefels, die für die Arme die Form eines Zylinders. Sie trugen ein Mano- meter und ein Thermometer. Das letztere diente dazu, um die Temperatur von warmen Dämpfen, welche Junod zum Hervor- rufen von stärkerer Hyperämie zuweilen in seine Apparate einliess, zu messen. Die Luft im Innern der Apparate wurde durch eine kleine Saugspritze verdünnt.

Junod hat die Wirkung seiner Apparate kurz beschrieben: ,, Vermindert man den atmosphärischen Druck über den Extremi- täten, so schwillt die Haut und rötet sich, das Ghed nimmt bald an Umfang zu. Das zuströmende Blut verbreitet eine ungewöhn- liche Wärme in demselben, die Hauttätigkeit wird sehr vermehrt, eine reichliche Transpiration tritt ein, die ausgeschiedenen Feuchtig- keiten verdunsten rasch und schlagen sich an den Wänden der Büchse nieder. Die Operation lässt für kurze Zeit ein Gefühl von Steifheit und Taubheit zurück, was sich bald verhert. Wendet man zugleich warme Dämpfe an, so fallen die Wirkungen der Luft- verdünnung noch stärker aus.

Als allgemeine Erscheinungen beobachtet man dabei ein Leich- terwerden des Kopfes, das Gesicht wird blass, der Puls der Schläfen- arterie wird langsamer, klein und verliert sich wohl auch ganz. Es

1) Ficinus, Die Hämospasie. Geschichte, Beschreibiing und Wirkungen der grossen Ventousen Junod's oder des Schröpfstiefels, Leipzig 1848.

Hyperämie dixrch grosse Saugapparate. 9J

tritt Neigung zur Ohnmacht ein. Dabei wird die Respiration leichter, die Tätigkeit des Darms geringer, es entstehen Übelkeiten. Endhch wird die Transpiration über die ganze Haut verbreitet."

Die Beschreibung dieser Allgemeinerscheinungen zeigt, dass Junod seinen Apparat sehr energisch anwandte, so dass dem Kreis - laufe ein grosser Teil des Blutes entzogen wurde.

Später beschrieb Junod einige Verbesserungen seiner Apparate, die sich im wesentlichen auf den vollkommenen und bequemen luftdichten Abschluss beziehen. Er liess die vier Ansatzstücke fallen und brachte statt dessen am Schlussstücke der Apparate Streifen von starkem baumwollenen Zeuge an, die, in wechselnder Anzahl nach innen umgeschlagen, die Anpassung des Apparates an das Glied ermöglichen ; darüber kam eine Manschette aus Kautschuk, welche über das Glied gezogen wurde und bei der Luftverdünnung im Innern des Apparates sich luftdicht an das Glied anschloss.

Im Jahre 1843 erscheint wieder eine Abhandlung Junod'si), welche von dem Werte der Hämospasie (der Name Hämospasie wurde nach ricinus von Bonnard eingeführt aiij-a Blut und ö-aoj ich sauge) handelt. Er behauptet, dass die ableitende und revulsive Heilmethode durch seine Apparate zu einer ungeahnten Wirksamkeit gekommen sei. Es gibt kaum eine Krankheit, gegen welche er die Hämospasie nicht für angezeigt und nützlich er- achtet. Was man alles mit diesem für unübertreffhch gehaltenen Revulsivum behandelte, geht auch aus den Schriften von Ficinus^) und Jourdan^) hervor.

Schon früher hatte Junod auch über den Wert der Ohnmacht, welche man mit seinen Apparaten durch Wegziehen des Blutes in die Gliedmassen hervorrufen kann, gesprochen. Er gibt an, dass er schon von Chirurgen zu Rate gezogen sei, um künstlich Ohn- mächten hervorzurufen. Während derselben soUten Operationen schmerzlos vorzunehmen und die Einrichtung verrenkter Glieder infolge der Muskelerschlaffung leicht auszuführen sein. Auch glaubte er, dass vielleicht eine künstliche Ohnmacht bei gewissen Krankheiten vorteilhaft wirken könne.

Natürlich lässt bei Luftverdünnung im Innern des Apparates der äussere Luftdruck diesen an dem Gliede in die Höhe wandern

1) Junod, Methode hemospasique. Paris G. Bailliere. 1843.

2) Ficinus, 1. c.

3) Jourdan, Beiträge zur Wirkung der Hämospasie, Inauguralabhandlimg der med. Fakultät zu Giessen. Mainz 1848.

02 Allgemeiner Teil.

oder presst das Glied stärker hinein. Um dies zu vermeiden, brachte Junod im Innern seiner Apparate Querwände und Gurte an, gegen die sich der Fuss oder die Hand stützen konnten.

Erwähnenswert ist noch, dass Junod an verschiedenen Stellen die völlige UnschädHchkeit seiner Apparate betont und ausdrück- lich angibt, dass sein Stiefel selbst bei Krampfadern sich verwenden lasse, denn der Apparat erweitere nur die Kapillaren, und die Hautvenen seien nach seiner Fortnahme nicht erweitert, sondern im Gegenteil verengt.

Junod's Apparate wurden bald von verschiedenen Seiten an- gewandt und empfohlen. Im Jahre 1838 beschrieb Erpenbecki) einen dem Junod'schen Stiefel fast gleichen Apparat. Derselbe war nur aus Weissblech gefertigt, der Abschluss am GKede wurde entweder durch eine gefettete Lederstulpe oder durch verschieden grosse Halsteile hervorgebracht, welche sich dem Stiefel aufsetzen Hessen. Etwas wesentlich Neues bietet dieser Apparat nicht. Auch Erpenbeck denkt sich ihn lediglich als Revulsions- und Derivationsmittel. Dass Junod schon die gleichen Apparate zu gleichen Zwecken angewandt hatte, verschweigt er. In einer zweiten Abhandlung beschreibt er 2) die Erfahrungen, welche er mit seinem Apparate gemacht hatte, und teilt als Verbesserung mit, dass er den luftdichten Abschluss am Bein durch eine Ochsenblase hervor- bringt, welche er sowohl um das Bein als um das Schlussstück -'es Apparates festbindet. Ferner gibt er eine sehr abenteuerliche Beschreibung davon, wie er sich die Einrichtung eines verrenkten Oberschenkels mit seinem Apparate denkt.

Die Luft wird, genau wie in den primitiven Schröpfköpfen der Naturvölker, durch Aussaugen mit dem Munde verdünnt. Erpenbeck behauptet, damit alle die Erscheinungen, wie sie oben in Junod's Beschreibung angegeben sind, bis zur Blässe des Ge- sichts und zur Ohnmacht hervorgerufen zu haben. Diese ,, Neuerung" dürfte kaum ein Vorteil sein.

Weitere Veränderungen der Junod'schen Apparate führte Ficinus ein. Er verfertigte sie, ebenso wie Erpenbeck, der

1) Erpenbeck, Vorschlag eines neuen Mittels zur Regulierung des Blut- laufs zur Tilgung und Bewirkung von Kongestionen, sowie zur Ergiebigkeit des Aderlasses. Caspars Wochenschrift für die gesamte Heilkunde 1838. S. 373.

2) Erpenbeck, Die künstliche Luftverdünnung als Heil- u. Hilfsmittel bei mancherlei inneren und äusseren Krankheiten. Holscher's Hannoversche Annalen. 4. Bd. 3. Heft.

Hyperämie durch grosse Saugapparate. 93

Billigkeit halber aus Weissblech und verwandte eine lange Gummi - Stulpe zur Abdichtung, welche er mit gewirkten Kautschukbinden an das Glied anwickelte. Die übrigen Änderungen betreffen Saug- pumpe und Manometer. Da wir für unsere Apparate ein Mano- meter nicht brauchen und eine neue und viel bessere Pumpe ver- wenden, können wir sie übergehen. Auch von Ficinus' Apparaten kann man behaupten, dass sie Verbesserungen der Junod'schen wohl kaum darstellen.

Im Sinne der damaligen Vorstellungen wurden Junod's Appa- rate und ihre Nachahmungen ledighch gebraucht als Revulsiva und Derivantia, d. h. man beabsichtigte, das angeblich im Über- mass an den kranken Stellen angehäufte Blut von diesen auf ge- sunde Teile abzuleiten. Die Apparate waren als Ersatz gedacht für das seit Hippocrates' Zeiten vor allem gegen innere Blutungen (bes. Lungenblutungen) als Revulsivum gebrauchte ,, Binden der Glieder". Dieses Verfahren bestand in einer sehr hochgradigen künstlichen Stauungshyperämie der Gliedmassen, die durch eine abschnürende Binde hervorgerufen wurde. Diese Absicht Junod's geht klar aus den Worten Magendie's,, des Berichterstatters der französischen Akademie, über Junod's Apparate hervor, der sagt, dass jeder Arzt diese Erfindung als eine grosse Wohltat schätzen müsse, da sie uns in den Stand setze, den Andrang des Blutes nach den edlen Teilen oder seinen Austritt in das Gewebe zu be- kämpfen und nach den Gliedmassen hin abzuleiten, ohne dass das Blut deshalb dauernd dem Körper entzogen werde. Junod selbst hatte dies als den Zweck seiner Apparate angegeben, und alle, welche sie gebrauchten, gingen von den gleichen Anschauungen aus.

Deshalb war man denn in der Benutzung der Apparate auch durchaus nicht blöde, und wandte sie, wie aus den Beschreibungen hervorgeht, in der allerenergischsten Weise an. Man konnte dies wagen, weil man stets das Blut nach gesunden Körperteilen hinzog. Junod selbst spricht nur von einer Rötung der Haut und einer Anschwellung des Gliedes, welches in seinem Apparat behandelt wird, gibt aber dabei zu, dass diese Anschwellung, welche sich fest und derb anfühlt, bestehen bleibt. Die Abbildungen, welche er und Ficinus von so behandelten Gliedern geben, beweisen, dass dieselben in der Tat recht erhebHch waren. Die gespannte Schwel- lung bleibt mehrere Tage bestehen und verschwindet allmählich, währenddessen sich die Haut des Gliedes grünlichgelb und grün färbt, d. h. also, man wandte den Apparat so kräftig an, dass er zu

Q;^ Allgemeiner Teil.

ausgedehnten Blutungen führte. Ferner wird beschrieben, dass zahlreiche punktförmige Blutungen besonders an den Haarbälgen und rote, blaue, grüne und gelbe Striemen in der Haut eintraten.

Auch aus folgenden Mitteilungen geht hervor, wie weit man die Hämospasie trieb: Ficinus sagt, dass in seinen Apparaten der Fuss ,,mit Gewalt gegen den Boden gedrückt wird, auf welchen er wie angeleimt steht. Manche fürchten, der Unterschenkel möchte unter der Last der Atmosphäre brechen". Als fernere Folgen führt er an : Gefühl des Einschlafens, Stechen und Prickeln wie von Floh- stichen, starke Spannung der Haut besonders in der oberen Hälfte des im Stiefel steckenden Gliedes. Ist das letztere ein Arm ge- wesen, so bleibt in der Hand ein Gefühl von Schwäche und Ab- spannung der Muskeln am folgenden Tage noch zurück. Einmal sah er, dass eine grosse Zehe 14 Tage lang ein Gefühl wie von einer erlittenen Quetschung behielt. Die Luftverdünnung, die zur Er- reichung dieser Wirkung nötig war, betrug V?— % einer Atmosphäre.

Ich habe die Junod'schen Apparate nachgeahmt und abge- ändert, um mit ihnen in kranken Teilen Hjrperämie hervorzurufen. Mit dieser Absicht ist es selbstverständlich untrennbar verbunden, dass wir die oben beschriebene mächtige Wirkung niemals er- reichen dürfen. Wir wollen nur hjrperämisieren, aber keine Blutungen hervorrufen, wir wollen eine Anschwellung der behandelten Teile haben, welche nach Absetzen des Apparates sehr schnell wieder verschwindet und nicht tagelang bestehen bleibt. Ich gebe zu- nächst eine Beschreibung der von mir jetzt gebrauchten Apparate.

Ich verwende zum reinen Hyperämisieren ausschHesslich Glas- apparate. Sie haben den grossen Vorteil, dass man die Farbe und Anschwellung der Glieder genau dadurch beobachten kann, dass sie leicht zu reinigen und ausserdem billig sind. Ich habe alle möghchen Formen und Grössen der Apparate anfertigen lassen. Um das Ghed völHg luftdicht abzuschhessen, ist dem Halse des Gefässes eine Stulpe aus Gummi angefügt.

Hat man das Glied in das Gefäss gesteckt, so wird die Stulpe, wenn sie nicht schon von selbst gut schliesst, noch mit einer Gummibinde an das Ghed festgewickelt, aber nicht so stark, dass die Binde an sich schon eine erhebliche Stauungshyperämie des eingeschlossenen Gliedteiles hervorbringt. Man lernt es bald, trotzdem einen luftdichten Abschluss hervorzubringen.

Dann wird mittels einer Saugpumpe die Luft im Apparate ver- dünnt. Man kann dazu die kleine von Junod hergestellte Pumpe

Hyperämie durch grosse Saugapparate.

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benutzen, doch ziehe ich die grössere stehende Pumpe vor, welche die Fahrradhändler zum Aufblasen der Gummireifen benutzen, nur mit der umgekehrten Ventilstellung, so dass aus der Druckpumpe eine Saugpumpe wird (siehe Fig. 12. Fig. 12 und 13 stellen ver- altete Modelle dar, sie dienen nur zur Veranschaulichung des Prinzips).

Wie die Figur zeigt, ist die Pumpe durch einen Schlauch mit dem Glasgefässe verbunden. Die Verbindung wird hergestellt durch

Fig. 12.

einen Gummistöpsel, welcher luftdicht in die Auslassöffnung des Gefässes passt. Der Stöpsel wird durch einen Stellhahn, den man nach Belieben öffnen und schliessen kann, durchbohrt.

Die Behandlung des kranken Gliedes gestaltet sich folgender- massen; man verdünnt die Luft so weit, wie es von dem Kranken ohne sonderliche Beschwerden vertragen wird. Ausserdem beob- achtet man durch das Glasgefäss genau den Grad der erzielten Hyperämie. Hat man diese in der gewünschten Stärke erreicht, so erhält man sie einige Minuten auf ihrer Höhe, dadurch, dass man den Hahn schliesst, oder, wenn der Abschluss, wie das vor- kommt, nicht ganz dicht ist, langsam weiterpumpt. Dann öffnet man den Hahn, lässt die Luft zuströmen und macht eine Pause

96 Allgemeiner Teil.

von 20 Sekunden bis 3 Minuten, um dann durch neues Auspumpen die Hyperämie wieder zu erzeugen, und fährt in demselben Tempo 20 Minuten bis 14 Stunde lang fort.

Infolge des äusseren Luftdruckes stülpt sich die Gummi- manschette wie ein geblähtes Segel in den Apparat hinein und gleichzeitig wird das Glied stark in das Gefäss hineingepresst. Wünschen wir wegen der Art der Erkrankung ein Anpressen gegen die Wände des Gefässes zu vermeiden, so muss der Kranke durch starken Gegenzug bei gleichzeitigem Festhalten des Apparates das Glied zurückzuziehen suchen.

Ich verwende die beschriebenen Gefässe für Bein und Arm bis in die Nähe von Hüft- und Schultergelenk. Für diese beiden Gelenke haben wir Saugapparate noch nicht herstellen lassen. Doch dürfte das nicht auf unüberwindliche Schwierigkeiten stossen. Jeder Teil von der Mitte des Oberschenkels und Oberarmes bis zu den Spitzen von Fingern und Zehen kann in jenen Gefässen der Hyperämisierung unterworfen werden. Allerdings setzt man ja, wenn man beispielsweise ein Kniegelenk behandeln will, den ganzen Unterschenkel und den Fuss der Hyperämie mit aus, welche deren gar nicht bedürfen, aber bei der kurzen Dauer und der massigen Stärke der Hyperämie schadet das nichts; Ohnmächten oder sonstige Unbequemlichkeiten verursacht man dadurch nicht. Will man die Hjrperämie beschränken, so kann man den peripheren Gliedabschnitt fest mit einer Binde einwickeln. Dabei darf man die Luftverdünnung allerdings nicht soweit treiben, dass die Ränder der Binde in die Haut einschneiden und Blutunterlaufungen her- vorrufen. Diese starke Luft Verdünnung kommt aber für unsere Zwecke nicht in Betracht. Übrigens ist die Bindeneinwickelung wohl nur ganz ausnahmsweise angezeigt.

Um beschränktere Gliedabschnitte unter Hyperämie zu setzen, habe ich an beiden Seiten offene Glasgefässe herstellen lassen, die an ihren beiden Enden mit je einer Gummistulpe versehen sind. Einen solchen, aus der Abbildung ohne weiteres verständlichen Apparat für das Knie zeigt Fig. 13 1). Bei der Luftverdünnung werden die Gelenke dadurch, dass sie von oben und unten in das Gefäss hineingepresst werden, in diesen Apparaten krumm gezogen.

In ähnlicher Weise lassen sich solche Sauggefässe für jeden einzelnen Gliedabschnitt unterhalb von Hüft- und Schultergelenk

1) In der Figur ist nur die obere Gummistulpe durch eine Gummibinde festgewickelt. Die untere ist noch lose, um sie besser zu zeigen.

Hyperämie durch grosse Saugapparate. gy

herstellen. Im allgemeinen sind sie zum Zwecke der blossen Hyperämisierung zu entbehren, weil sie den ganzen Apparat zu sehr komphzieren und der doppelte luftdichte Abschluss schwerer zu erzielen ist. Dagegen sind sie für orthopädische Zwecke, wie ich noch erwähnen werde, gut zu brauchen.

Durch das Glas lassen sich die Veränderungen an dem be- handelten Ghedabschnitte sehr schön beobachten, wenn man die Innenwände vorher mit Seifenpulver abreibt. Sonst beschlagen sie durch das aus dem Gliede verdunstete Wasser, was die Beobachtung erschwert. In der Regel erzielt man in den ersten Sitzungen nicht

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Fig. 13.

gleich die hohen Grade der Hyperämie, welche man nach mehr- facher Anwendung des Apparates mit Leichtigkeit hervorbringt.

Vorausgesetzt, dass man die den luftdichten Abschluss er- zeugende um die Gummistulpe gewickelte Kautschukbinde nicht so fest angelegt hat, dass sie allein schon eine Stauungshyperämie hervorruft, hat das in den Apparat gebrachte Ghed vor der Luft- verdünnung seine normale Farbe. Bei den ersten Pumpenzügen fängt es an leicht zu schwellen und wird immer lebhafter rot. Häufig sieht man beim jedesmaligen Aussaugen der Luft vom Gliede einen feuchten Nebel ausgehen, der in andern Fällen wieder vermisst wird. Meist beschlägt das Gefäss innen mit Feuchtigkeit, zuweilen so stark, dass sich Wassertropfen bilden und das Glas so undurchsichtig wird, dass man das behandelte Glied nicht weiter beobachten kann.

Bier, Hyperämie als Heilmittel. 7

gg Allgemeiner Teil.

Bei weiterer Luftverdünnung treten in der lebhaft geröteten Haut blaue Streifen auf, oder die ganze Haut verfärbt sich bläu- lich mit zahlreichen zinnoberroten Flecken dazwischen, welche wir oben bereits bei der starken Bindenstauung kennen lernten.

Je öfter man den Apparat anwendet, um so grossartiger wird die Hjrperämie. Besonders heftig tritt sie an tuberkulösen Ghedern auf, welche manchmal infolge von umschriebenen Anschwellungen ganz andere Formen annehmen. Die Volumzunahme der Glieder kann so stark werden, dass man sie aus Gefässen mit engem Halse, in welche sie' durch den äusseren Luftdruck stark hineingepresst sind, nur mit Mühe wieder herausziehen kann. Bei stärkerer Luft- verdünnung werden die Haarbälge herausgesogen, so dass das GHed eine ,, Gänsehaut" bekommt. Wie die Luftverdünnung auf offene Geschwüre und Fisteln einwirkt, werden wir später bei der Be- schreibung der Wirkung der Apparate auf aufgebrochene Tuber- kulose auseinandersetzen.

Bei sehr hochgradiger Luftverdünnung entstehen punktförmige Blutungen auch in die normale Haut und sehr zahlreiche zinnober- rote Flecke.

Der behandelte Mensch gibt an, dass sich dabei die Haut stark spannt, zuweilen sehr hochgradig, dass er fürchtet, die Haut könne platzen. Im Gliede kribbelt und prickelt es, ,,als ob man elektri- siert würde." Bei hochgradiger Luft Verdünnung fangen die Gelenke besonders das Handgelenk an zu schmerzen, und man hat das Gefühl, als ob die Gelenkenden durch einen starken Zug von- einander entfernt würden.

Im hyperämischen Gliede entsteht ein Gefühl erhöhter Wärme, welches oft noch stundenlang nach der Behandlung andauert. Ob- jektiv lässt sich eine Vermehrung der Hauttemperatur nachweisen.

Leute, welche an chronischem Rheumatismus leiden, geben an, dass die kranken Gelenke, in welchem sie sonst immer das Gefühl der Kälte hatten, warm werden und auch in den Pausen warm bleiben. Bedeutende Steigerung der Hauttemperatur bemerkt man besonders bei tuberkulösen Gelenken, welche der Behandlung unter- zogen wurden.

Man sieht also, dass die Erweiterung der Gefässe noch sehr geraume Zeit nachwirkt.

Die stärksten Grade der Hyperämisierung dürfen wir, wie oben erwähnt, an unseren kranken Gliedabschnitten, wenn es sich nicht um alte Versteifungen handelt, deren veranlassende Krankheit

Hyperämie durch grosse Saugapparate. 99

bereits geschwunden ist, niemals mit dem Saugapparat hervorrufen, weil man dadurch eher schaden als nützen würde. Zu vermeiden ist das Auftreten von Blutungen in die Gewebe und von zu zahlreichen zinnoberroten Flecken, welche immer das Zeichen einer sehr erheb- lichen Zirkulationsstörung sind. Einzelne dieser Flecken wird man aber wohl bei stärkerer Anwendung der Apparate regelmässig sehen.

Von Wichtigkeit ist zu entscheiden, welche Form von Hyper- ämie wir eigentlich durch diese Saugapparate hervorbringen. Zweifel- los wirkt die Luftverdünnung in erster Linie erweiternd auf die Kapillaren, weil sie die nachgiebigste Wandung haben, in zweiter Linie auf die Venen. Die starkwandigen, elastischen Arterien werden dadurch aller Wahrscheinlichkeit nach nur unbedeutend be- einflusst werden. Nimmt man dies als richtig an, so sollte man auf den ersten Blick vermuten, dass eine Erweiterung des Strom- bettes bei gleichbleibendem Zufluss eine sehr starke Verlangsamung des Stromes herbeiführen müsste. Ich habe schon in meiner mehrfach erwähnten Arbeit über die Entstehung des Kollateralkreislaufes auseinandergesetzt, dass dieser anscheinend physikalisch so klare und naheliegende Schluss für die Verhältnisse des lebenden Körpers ein Trugschluss ist. Die Erfahrung zeigt uns, dass eine Erweite- rung einer gewissen Kapillarprovinz im Gegenteil in der Regel mit einer bedeutenden Vermehrung der Strömungsgeschwindigkeit des Blutes in dem betreffenden Gebiete verbunden ist. Die Herab- setzung der Widerstände für den Blutumlauf, welche mit der Er- weiterung verbunden ist, ist eben so gewaltig, dass die verlang- samende Wirkung des erweiternden Strombettes dabei gar nicht in Betracht kommt. Im allgemeinen kann man also sagen: örtliche Erweiterung eines gewissen Kapillargebietes ist, gleichbleibende Herzkraft vorausgesetzt, mit einer erheblichen Beschleunigung des Blutstromes verbunden, eine Thatsache, welche, beiläufig be- merkt, eine ganze Reihe theoretisch aufgebauter Spekulationen mancher Hydrotherapeuten über den Haufen wirft.

Trotzdem aber besteht kein Zweifel, dass der Saugapparat, auch in der beschriebenen milden Form gebraucht, in der Mehrzahl der Fälle eine Stauungshyperämie verursacht, wie aus den oben an- geführten Beschreibungen hervorgeht ; der Grund für diese gewöhn- lich beobachtete Stauungshyperämie hegt in einer Behinderung des venösen Rückflusses. Sobald man die Luft im Innern des Apparates verdünnt, presst der äussere Atmosphärendruck die abschliessende Stulpe mit grosser Gewalt gegen das Glied an. Dies wird noch

\Q0 Allgemeiner Teil.

vermehrt, wenn die Stulpe mit einer Gummibinde festgewickelt wird. Beides wirkt alsdann genau wie eine stauende Gummibinde. Aus der ganzen Beschreibung, welche wir oben von der Wirkung des Junod'schen Apparates gegeben haben, geht hervor, dass jene alten Ärzte Stauungshyperämie stärksten Grades mit den Appa- raten hervorgerufen haben.

Dass man dagegen mit denselben Apparaten bei gewissen Grade der Luft Verdünnung zweifellos arterielle Hyperämie erzeugen kann, welche als Folge der Verringerung der Widerstände in den Kapil- laren anzusehen ist, beweist folgender, an mir selbst angestellter Versuch: Ich bringe meinen Arm in einen gläsernen Saugapparat und befestige die abschliessende Manschette mit einer Gummibinde. Es zeigt sich, dass dadurch allein schon eine leichte Stauungs- hyperämie im Gliede auftritt. Bei starker Verdünnung der Luft erscheint eine dunkle Hyperämie der Haut, die Hautvenen schwellen an, und gleichzeitig tritt Prickeln und Kribbeln im Gliede ein. Allmählich treten in der blauen Grundfarbe der Haut die uns von der Bindenstauung her bekannten zinnoberroten Flecke auf. Bei stärkerer Luft Verdünnung vermehren sich alle diese Erscheinungen. Das Ghed schwillt an und ,, schwitzt" stark^). Es macht den Ein- druck, als ob das Blut fast völlig in dem geschwollenen Gliede stocke. Dass dies in der Tat der Fall ist, beweist die starke, reaktive arterielle Hyperämie des Gliedes, welche eintritt, nachdem dieses nach etwa 20 Minuten dem Apparate entnommen ist. Denn diese reaktive Hjrperämie ist in Stärke und Dauer der empfindhchste Gradmesser für die Sauerstoffverarmung eines äusseren Körperteiles, wie ich das in früheren Arbeiten bereits ausführlich auseinander- gesetzt habe.

Jetzt bringe ich den immer noch arteriell geröteten Arm wieder in den Apparat, wickele die Stulpe weniger stramm mit der Gummi- binde fest und mache nur eine geringe Luftverdünnung. Es tritt eine ganz gewaltige hellrote Hyperämie auf, im Gliede verspüre ich das Gefühl einer starken Wärme. Der Arm ,, schwitzt" sehr stark, so dass die Wände des Glasapparates dick mit Wasser beschlagen sind und man das Gefühl hat, sich mit dem Gliede in einer feucht - warmen Atmosphäre zu befinden. Die offenbar hocharterielle

1) Ich benutzte den Ausdruck ,, schwitzen" bei den Saugapparaten der Kürze halber für die starke Flüssigkeitsverdunstung und will dahingestellt sein lassen, ob es sich dabei wirklich um Schwitzen oder um vermehrte Transpira- tion handelt.

Hjrperämie durch grosse Saugapparate. ]^Q]^

Hyperämie lässt sich bequem 20 Minuten lang unterhalten, dann wird der Versuch abgebrochen.

Weil man so, je nachdem, mit den Saugapparaten aktive oder passive Hyperämie erzeugen kann, so habe ich die mit ihnen er- zeugte Hyperämie früher als gemischte bezeichnet: Der Ausdruck ist, wie ich zugebe, nicht besonders glücklich gewählt.

Diese Apparate sind bei vielen Leiden, welche der Hyperämie- behandlung zugänglich sind, zu verwerten. Ich werde im klinischen Teile ihre Anwendung bei den einzelnen Erkrankungen schildern.

Ich benutze diese Saugapparate zum Hyperämisieren bereits seit reichlich elf Jahren, konnte sie bisher aber leider zum all- gemeinen Gebrauche noch nicht empfehlen, weil ihnen noch grosse Mängel anhafteten, die die in Kiel und Greifswald mir zur Ver- fügung stehenden technischen Kräfte trotz vielfacher Bemühungen nicht abzustellen vermochten. Erst bei meiner Übersiedlung nach Bonn traf ich in Carl Eschbaum einen Techniker, der die Appa- rate so vervollkommnete, dass sie gut und solide arbeiten.

Eine weitere Bedeutung haben die Saugapparate dadurch gewonnen, dass ich den Luftdruck benutze, um versteifte Gelenke zu biegen und zu strecken. Ich glaube durch diese Verwendung des Luftdruckes ein fruchtbares Prinzip in die Orthopädie ein- geführt zu haben, das sich mit Vorteil noch nach verschiedenen Seiten hin ausbauen lässt. Diese Apparate, die die Gewalt der At- mosphäre auszuhalten haben, erfordern eine sehr solide Konstruktion, starke Glaswände und starke Gummistulpen, die für die grösseren Apparate eine Wandstärke von 4 6 mm haben müssen. Die Stulpe besteht aus 3 Teilen, dem Verschlussteil, der sie luftdicht an den Apparat anfügt, der Manschette, die sich den einzelnen Gliedern anschmiegt, und ihrem Umfange etwa entsprechend gearbeitet wird, und dem zwischen beiden liegenden Zugtrichter, der an Material sehr ausgiebig gehalten sein muss, um dem Luftdruck folgen zu können. An den neuesten Apparaten sind die Gummistulpen so eingerichtet, dass sie durch ein paar einfache Handgriffe sich ab- nehmen und wieder ansetzen lassen, um das Innere leicht reinigen und geeignete Hilfsapparate einsetzen zu können.

Bringt man ein GHed, z. B. einen Arm, in einen solchen Saug- apparat und verdünnt die Luft darin, so presst der äussere Luft- druck die Hand mit immer wachsender Kraft in das Glasgefäss hinein und schliesslich mit unwiderstehlicher Gewalt gegen den Boden an. Diese gewaltige Kraft benutzen wir zum Mobilisieren

202 Allgemeiner Teil.

versteifter Glieder. Am besten wird das Verfahren die Beschreibung des Handapparates, des praktisch wichtigsten und technisch am besten ausgebildeten, klar machen i).

I. Beugung des Handgelenks: In den Apparat wird ein 5 cm dickes, in Fig. 14 sichtbares Polster von festvernähtem Pferde- filz, der in Ledertuch eingeschlossen ist, eingeführt. Damit es festliegt, wird es in eine Halbrinne aus Blech gebracht, die eben- falls mit Ledertuch überzogen ist. Der Kranke schiebt die Rinne gegen den Boden des Gefässes mit der eingeführten kranken Hand und legt das Polster hinein. Ist die Hand zu arg versteift, so tut dies der Arzt.

Die Manschette wird in der oben beschriebenen Weise am Vorderarm befestigt. Während die Finger möglichst zur Faust eingeschlagen sind, stemmt der Kranke die volle Rückseite der ersten FingergHeder und die Metakarpophalangealgelenke gegen das Polster und beugt das Handgelenk, soweit die Versteifung es zulässt. Der Hahn wird geschlossen und die Luft im Apparat stark verdünnt. Mit grosser Gewalt drängt der Luftdruck das GHed in den Apparat und beugt das Handgelenk. Bei starker Luftverdünnung ist der Kranke ausserstande, trotz aller An- strengung, die Hand vom Polster zu entfernen oder das Hand- gelenk zu strecken, mit so gewaltiger Kraft wird das Glied gegen das am Boden des Gefässes liegende Polster getrieben.

IL Beugung der Phalangometakarpalgelenke der 4 letzten Finger (Fig. 14 zeigt dies). Das Handgelenk wird in Mittelstellung gebracht, die ersten Phalangen werden soviel als möghch gebeugt, ihre untere Hälfte wird gegen das Polster ge- stemmt, während der Daumen in Streckstellung über das Polster hinwegragt. Durch Verdünnen der Luft werden die Gelenke so stark gebeugt, wie es der Kranke ohne erhebhche Beschwerden aushält.

III. Beugung des Daumens im Phalangometakarpal- gelenk: Die 4 letzten Finger greifen über das Polster hinweg, der Daumen wird, soweit die Versteifung es zulässt, in die Hohl- hand eingeschlagen, gegen das Polster gestemmt und nunmehr durch Luftverdünnung die Beugung vorgenommen. Die Beugung

1) Die genauere Beschreibung meiner Apparate findet man in Bier, Über einige Verbesserungen hyperämisierender Apparate. Münchner med. W. 1904. Nr. 6.

Hyperämie durch grosse Saugapparate.

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der übrigen kleinen Fingergelenke bedarf keiner Beschreibung; sie ergibt sich von selbst, wenn man einmal den Versuch an der eigenen Hand ausgeführt hat. Ich bemerke noch, dass die Beugung des 2. und 3. Fingerghedes am ausgiebigsten sich gestalten lässt, wenn man das Handgelenk möglichst streckt.

Fiff. 14.

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Fig. 15.

Natürlich kann man auch jeden einzelnen Finger und jedes einzelne versteifte Gelenk erfolgreich im Apparate beugen.

IV. Streckung des Handgelenkes (dargestellt in Eig. 15): Eine Metallplatte, von der ungefähren Grösse des Glasbodens, trägt, damit sie gegen diesen gelegt nicht umfällt, 4 Seitenstützen, die gegen die Öffnung des Gefässes sehen. Die beiden oberen Stützen haben Ausschnitte, welche zur Aufnahme eines bequemen hölzernen

10^ Allgemeiner Teil.

Handgriffes dienen. Der Kranke fasst den Handgriff in die Faust, setzt seine Achsen in die beschriebenen Lager der oberen Stützen, drängt das Ganze gegen den Boden des Gefässes und streckt das Handgelenk, soweit die Versteif ung es zulässt. Die weitere Streckung besorgt die Luftverdünnung.

Ein Bhck auf die Figuren 14 und 15 wird die Anwendung des Apparates klar machen.

Statt des Polsters und der Krücke zum Gegenstemmen der Hand benutze ich meist ein aus ganz weichem Gummi bestehendes aufblasbares Luftkissen, das jene vollständig ersetzt und für empfindliche Finger und Hände viel schonender ist.

Alle diese passiven Bewegungen soll der Kranke nach Mög- hchkeit aktiv unterstützen. Vor aUem darf er nicht beim Versuch, ein Gelenk zu biegen, durch aktive Streckung krampfhaft dagegen arbeiten.

Der Arzt, welcher Saugapparate verwendet, sollte alles erst einmal an seinen eigenen GHedern probieren. Es ist ja leicht, für jeden einzelnen Apparat die Kraft des Atmosphärendrucks auszu- rechnen, mit welchem das Ghed in den Apparat hineingetrieben wird. Bei x4.nbringung eines Manometers am Glasgefässe kann man sie auch für jeden behebigen Grad der Luftverdünnung bestimmen. Besser als solche Rechnungen aber überzeugt ein Versuch am eigenen Ghede, welch gewaltige orthopädische Kraft uns hier zur Verfügung steht. Und, was das Merkwürdigste ist, die schmerz- haften versteiften Gelenke vertragen diese bedeutende Gewalt im allgemenien recht gut. Das hegt zum grossen Teil daran, dass die gleichzeitig oder besser schon vorher angewandte Hyperämie Schmerzempfindung und Kontrakturen mildert und durch Quellung und seröse Durchtränkung bindegewebiger Teile diese geschmeidiger und nachgiebiger macht. Deshalb hyperämisiere ich regelmässig vorher durch Luftverdünnung die Hand, ehe ich Bewegungen und Streckungen an ihr ausführe. Auch nach den gewaltsamen Strek- kungen und Beugungen wird wieder hyperämisiert, während der Kranke fortwährend aktive Bewegungen ausführt. Dann aber wirkt keine Gewalt so gleichmässig und sanft, wie dies der Luft- druck tut. Und zwar können wir sie nach jeder Richtung hin dosieren.

Da wir durch Sudeck wissen, dass auch bei Versteifungen der Gelenke nach Verletzungen und Entzündungen eine bedeutende Atrophie und Erweichung der Knochen auftritt, habe ich anfangs

Hyperämie durch grosse Saugapparate. 10b

gefürchtet, dass selbst bei traumatisch und rheumatisch erkrankten Gelenken die starke Gewalt der Luftverdünnung zu Zerstörungen der Knochen führen könnte. Ich habe aber trotz häufiger An- wendung bei versteiften Hand- und Fingergelenken nie einen Schaden gesehen. Offenbar hält doch das eigentümhche Gefüge dieser weichen Knochen im lebendigen Zustande viel mehr aus, als man ihm zutraut.

Niemals allerdings darf man dieser Behandlung ein noch auf der Höhe der Krankheit stehendes tuberkulöses Gelenk unter- werfen. Der Druck ist bei erheblicher Luftverdünnung so gewaltig, dass man zweifellos die erweichten Handwurzelknochen damit zer- quetschen und zertrümmern könnte. Diese orthopädische Behand- lung benutze ich deshalb fast lediglich für traumatisch und rheumatisch versteifte Gelenke. Nur ausgeheilte tuberkulöse Gelenke werden zuweilen zur Hebung zurückgebliebener Verstei- fungen ebenso behandelt. Eine Ausnahme machen in Beugestellung stehende tuberkulöse Kniegelenke. Diese haben wir, auch wenn sie noch krank waren, in sehr schonender Weise mit dem in Fig. 17 dargestellten von Klapp konstruierten Streckapparate behandelt.

Der Saugapparat verbindet zw-ei sehr mächtige Heilmittel mit- einander. Er macht H3^erämie, die, wie ich noch auseinander- setzen werde, ein vortreff Hohes Lösungsmittel für Versteifungen ist, und ersetzt oder vielmehr übertrifft, besonders bei der Hand, unsere medikomechanischen Apparate; denn mit ihm können wir viel grössere Gewalten weit schonender ausüben, und gerade für die Fingergelenke fehlte uns bisher ein einwandfreies Instrument. Denn die üblichen Pendel- und ähnlichen Apparate vermögen die kleinen Fingerglieder gar nicht zu fassen.

So haben mir denn auch mehrere urteilsfähige Leute, deren Hände hintereinander zuerst im Pendel-, dann im Saugapparate behandelt wurden, versichert, dass der letztere nicht nur weit wirk- samer, sondern auch viel schonender und angenehmer sei.

Der Handapparat hatte noch den Übelstand, dass Pro- und Supination sich in ihm nicht vornehmen Hessen. Dies hat Fränkeli) dadurch beseitigt, dass die durch den Luftdruck in das

1) Fränkel, Eine Verbesserung der Bier'schen Saugapparate, Vortrag, gehalten in der freien Vereinigung der Chirurgen. Berlin am 8. Mai 1905, und: Zur Behandlung von Hand Versteifungen mit dem Bier'schen Saugapparat. Zeit- schrift für diätet. u. physikalische Therapie. 9. Band. 10. Heft.

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Allgeniemer Teil.

Gefäss getriebene Hand so befestigt wird, dass sie einer spiral- förmigen, in den Apparat eingeschobenen Ebene folgen muss, die sowohl für Supinations- wie Pronationsbewegung eingestellt werden kann.

Auch für die übrigen Bewegungen machte Fränkel den Apparat brauchbarer, indem er den Gelenken der Hand durch ge- eignete Fixierung ihre Bewegungen, die sie durch den Druck der Atmosphäre ausführen mussten, genau vorschrieb.

Sehr einfach und sinnreich erzielte Klapp die Pro- und Supination. Er Hess durch C. Eschbaum einen HohlzyHnder für das Saugglas anfertigen, der mit Zügen nach Art der Büchsen- läufe versehen ist. An dem einen Ende verlaufen diese Züge von rechts nach links für die Pronation, an dem anderen Ende umge-

Fig. 16.

kehrt für die Supination. Als Angriff für die Hand dient ein be- liebig in die Züge zu setzender Handgriff. Der Luftdruck, der die Hand in den Saugapparat hineintreibt, bewirkt so je nach der Art der Einstellung die Pronation oder Supination.

Um das versteifte Fussgelenk zu hyperämisieren und gleich- zeitig beweghch zu machen, bediene ich mich eines starken glä- sernen Stiefels mit sehr geräumigem Fussstücke. Gegen den Boden des Stiefels wird ein sohlenartiges, mit Leder oder Ledertuch bezogenes Eisenblech gelegt, welches an seinem Fersenstück eine Halbrinne trägt, um ein kurzes, aber hohes und sehr steifes Polster aufzunehmen. Das Polster kann durch einen Knopf auch am Zehenstück der Sohle befestigt werden.

Will man den Fuss strecken, so stemmt man ihn mit dem Zehenballen gegen das oben am Fussblech aufgehängte Polster, will man ihn beugen, so wird der hintere Teil des Hackens auf das

Hyperämie durch grosse Saugapparate. ]^Q7

in der Hohlrinne des Fussbleches liegende Polster aufgesetzt, und nunmehr die Luft verdünnt. Besonders die Streckung des Fusses erfolgt, wenn man unter Verwendung der beschriebenen starken Gummistulpe die Luft im Apparat sehr verdünnt, wegen des langen Hebelarmes, den der Vorderfuss liefert, ijiit einer ganz enormen Grewalt. Bei Versuchen an meinem eigenen Fusse hatte ich das Gefühl, dass die Fascia plantaris bis zum Platzen gedehnt und das Fussge wölbe gänzlich abgeplattet wurde. Trotz des kurzen Hebels des Hinterfusses kann man aber auch im Sinne der Beugung eine grosse Gewalt ausüben.

Zur Beugung von Knie- und Ellbogengelenken brauche ich nach dem in Fig. 16 abgebildeten Typus hergestellte Apparate.

Ich bringe das in annähernd gestreckter Stellung versteifte Knie in eine weite, 31 cm lange, an beiden Enden offene, fass- förmige Glasröhre, deren Vorderfläche, um dem Gliede Spielraum zu gewähren, so gebuckelt ist, dass die Mitte des Buckels während der Tätigkeit des Apparates gerade über dem Kniegelenkspalt hegt. Die Röhre trägt um das obere Stück für den Oberschenkel eine weite, um das untere für den Unterschenkel eine enge starke Gummistulpe. Um den Apparat anzuziehen, steckt der Kranke den Fuss durch die obere weite Manschette, der Arzt kommt ihm mit der Hand von unten her entgegen, fasst den gestreckten Fuss an den Zehen und zieht ihn, während der Kranke sich die obere Gummimanschette über den Oberschenkel streift, durch die untere hindurch. Die letztere wird am Unterschenkel mit einer Gummi- binde befestigt, die erstere pflegt von selbst zu sitzen. Die Luft- verdünnung beugt, da der Luftdruck von beiden Seiten her an- greift, mit grosser Kraft das Kniegelenk.

Bei kräftiger Wirkung des Apparates drückt die untere Man- schette zuweilen sehr stark gegen das Schienbein und ruft heftige Schmerzen hervor. Dies lässt sich leicht dadurch vermeiden, dass man die Manschette umkrempelt und einen etwa 10 cm breiten weichen Filzstreifen so rund um das Glied legt, dass er beim Zu- rückstreifen der Manschette zu drei Vierteln unter diese zu hegen kommt und zu einem Viertel unter ihr heraussieht. Dies letzte vorstehende Stück und das Verschlussstück der Manschette werden dann mit einer Gummibinde auf das GHed festgewickelt.

In folgender Weise wird der Apparat nach dem Gebrauche ausgezogen: Die Kranke greift mit beiden Händen unter die obere Manschette und lüftet diese, während eine zweite Person das Glas-

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Allgemeiner Teil.

gefäss fasst und wie einen Stiefel auszieht, wobei sich die untere Manschette nach innen umstülpt und von selbst folgt.

Der in Fig. 16 abgebildete Apparat ist nur für allmähliche Beugung ganz versteifter Kniee bestimmt. Will man bereits aus- giebiger bewegHche Kniegelenke weiter beugen, so liefert dieser Apparat nicht Spielraum genug. Er wird durch einen anderen von spitzwinkehger Form ersetzt, in dem das eingeführte Bein die möghchst grosse Beugung schon beim Beginn der Saugwirkung einnehmen muss. Diese spitzwinkeligen Beugeapparate bestehen aus Metall. Damit man das behandelte Glied darin beobachten kann, ist an beiden Seiten je ein Fensterchen angebracht.

Fig. 17.

Ich habe selbst meine Apparate in meiner ersten Veröffent- lichung noch für sehr unvollkommen erklärt. Sie sollten damals im wesentlichen nur das Prinzip der Verbindung der mobihsierenden mit der hyperämisierenden Wirkung darstellen. So waren sie z. B. nicht zum Strecken in Beugestellung und zum Beugen in gerader Streckstellung vollkommen versteifter GHeder zu gebrauchen. Ich weiss auch, dass es einer grossen Technik und sinnreicher Ein- richtungen bedürfen wird, um sie für alle Bewegungen dienstbar zu machen. Aber ich zweifle nicht, dass es schhesshch gehngen wird, und recht erhebhche Fortschritte sind schon von anderer Seite auf diesem Gebiete gemacht. Vor aUem hat Klappt) mehrere Unvollkommenheiten beseitigt. Die Beschreibung zweier seiner Apparate wird das Prinzip derselben klar machen.

1) Klapp, Mobilisierung versteifter vmd Streckizng kontrakturierter Ge- lenke durch Saugapparate. Münchner med. W. 1905. Nr. 17.

Hyperämie durch grosse Saugapparate.

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In dem grossen, in Fig. 17 dargestellten, zum Strecken eines verkrümmten Knies bestimmten Blechkasten, der wie in meinen Apparaten mit einer Gummistulpe zum Abdichten und Fassen des Oberschenkels versehen wird, ist oben gerade über der Stelle, an der das verkrümmte Gelenk zu hegen kommt, ein sehr geräumiger Ausschnitt angebracht. In ihm ist ein weiter Gummi- sack (g) luftdicht eingelassen. Wird die Luft im Blechkasten ver- dünnt, so muss sich das Knie unter dem Drucke des Gummisackes strecken. Gleichzeitig zieht sich auch die abschliessende Stulpe ein, aber diese Kraft ist bei der in diesem Apparate erforderhchen Luftverdünnung zu gering, als dass sie die Reibung des schweren Kastens auf der Unter- lage einerseits und des sitzenden Körpers des Kranken andererseits überwinden könnte.

Der Kasten muss lang sein, damit der Fuss nicht gegen den Boden anstösst, da der Fuss naturgemäss bei der Streckung des Knies vorwärts gleiten muss. Um ihm dies zu er- möglichen, ist unter der Ferse ein gepolstertes Rollwägelchen angebracht. Da die drückende Kraft dem Flächeninhalt des Gummisackes proportional ist, so streckt man bei der grossen Ausdehnung desselben mit ungeheurer Gewalt.

Nach dem gleichen Prinzipe macht Klapp ein in vollkommen gerader Stellung versteiftes Handgelenk soweit beweglich, bis der gewöhnliche oben beschriebene Handapparat mit Erfolg an ihm angreifen kann. Wieder wird ein Blechkasten mit Gummistulpe und oberem Ausschnitt verwandt. Je nachdem gebeugt oder ge- streckt werden soll, wird der Unterraum mit der Beuge- oder Streckseite auf die gepolsterte Schiene s (Fig. 18) gelegt, die nur bis nahe ans Handgelenk reicht. Der Gummisack g zieht sich bei der Luft Verdünnung nach innen ein, legt sich gegen die Hand an und besorgt, je nachdem, Beugung oder Streckung. Der Sack ist durch eine eigenartige Vorrichtung so gebaut, dass er den Be- wegungen der Hand immer folgt.

Auf den ersten Blick könnte man auf den Gedanken kommen, der Gummisack sei deshalb unzweckmässig, weil er durch seinen Druck das kranke Gelenk anämisiert. Die genauere Überlegung aber zeigt, dass gerade die Gliedabschnitte, die gedehnt werden

Fig. 18.

2X0 Allgemeiner Teil

sollen, vom Drucke des Sackes gar nicht betroffen, sondern durch die Luftverdünnung kräftig hyperämisiert werden, so z. B. bei verkrümmten Kniegelenken die geschrumpften Weichteile der Kniekehle.

Schmieden!) hat einen sehr gut funktionierenden grossen Saugapparat aus Glas zur Hyperämisierung des ganzen Kopfes hergestellt, der durch eine Manschette am Halse abgeschlossen wird.

Zur Luftverdünnung benutzt man die in Fig. 12, 14 und 15 abgebildeten Pumpen.

In der hiesigen chirurgischen Klinik, wo Saugapparate in um- fangreicher Weise zur Verwendung kommen, ist eine mit Schwung- rad versehene grosse Saug- und Druckpumpe aufgestellt, die bei 60 Umdrehungen 90 Liter Luft zieht. Diese Pumpe hat durch Schläuche mit Stellhähnen Anschluss an alle grösseren Saugappa- rate und wird von einem Wärter bedient, der imstande ist, gleich- zeitig eine ganze Anzahl von Apparaten in Tätigkeit zu halten. Durch verschiedene Stellung der Hähne kann man die Luftver- dünnung in jedem einzelnen Apparate genau abstufen.

Das Ventil dieser Saugpumpe ist so konstruiert, dass die auf- gesaugte Luft weiter gegeben werden kann in einen anderen Apparat, in dem ich verdichtete Luft zum Drücken, z. B. zum Wegdrücken von Ödemen, gebrauche 2).

Die Verwendung von Saugapparaten für traumatische Ver- steifungen hat sich bei uns so gesteigert, dass ich beabsichtige, einen Motor aufzustellen, der die Luft in einem grossen Vakuum - kessel verdünnt, an den eine Menge Apparate angeschlossen werden können. Durch Stellung der Regulierhähne kann man dann ganz langsam, schonend und gleichmässig die Luft in den Apparaten ver- dünnen. Der Betrieb mit Pumpen hat den Nachteil, dass diese alle mehr stossweise wirken.

Der beste und empfehlenswerteste Saugapparat ist der in Fig. 14 und 15 dargestellte für die Hand. Er ruht auf einem eisernen Ge- stelle, neben dem der Kranke bequem sitzt. Rechts und links am Gestell kann man eine Handsaugpumpe einklemmen, die der Kranke selbst mit seiner gesunden Hand bedient, wenn dies nicht aus be- sonderen Gründen ein anderer tun soll 2).

1) Schmieden, Ein neiier Apparat z\ar Hyperämiebehandlung des Kopfes. Münchner med. Wochenschrift. 1906. Nr. 31.

2) Über diese Apparate werde ich anderweitig berichten.

3) Alle diese Apparate werden von der Firma Eschbaum in Bonn geliefert.

Andere Hyperämiemittel insbesondere chemische „Derivantien". IW

Andere Hyperämiemittel, insbesondere chemische

„Derivantien".

Seit Jahrtausenden benutzt man hautreizende Mittel gegen alle möghchen Erkrankungen. Wohl hat man sie zu Zeiten mehr, zu Zeiten weniger gebraucht, aber niemals sind sie gänzlich verlassen worden und werden noch heutigen Tages, wo man ihre Wirkung vielfach bezweifelt hat, von zahlreichen Ärzten und noch viel mehr in der Volksmedizin angewandt. Man teilte die hautreizenden Mit- tel (Epispastica) ein in Rubefacientia, rötende, Vesicantia und Pustulantia, blasen- und pustelnziehende, und Suppurantia, gewebs- zerstörende und eiterungerzeugende Mittel i), eine etwas künsthche Unterscheidung, da sie alle in gleicher Weise und nur graduell verschieden wirken. Die uralte Anschauung, dass diese Mittel schlechte Säfte von den kranken Teilen ableiten, hat im allgemei- nen ihre Herrschaft noch bis auf den heutigen Tag bewahrt, nur war es später das Blut, welches man sich ,in verdorbenem Zu- stande oder in zu grosser Menge in dem kranken Teile angehäuft dachte, das man in gesunde Teile ablenken und dadurch günstig auf die mit Blut überfüllte Stelle einwirken lassen wollte, womit man im allgemeinen die Anschauung von einer Verbesserung des Blutkreis- laufs in Verbindung brachte. Demgemäss gab man ihnen den Namen Derivantia oder Revulsiva, ableitende Mittel. Seit alten Zeiten schon Hippokrates und Galenus machten diesen Unterschied nennt man ein Derivans ein Mittel, welches nach der unmittelbaren Nachbarschaft, ein Revulsivum ein Mittel, welches nach weit entfernten Teilen schlechte Säfte oder stockendes Blut ableiten soll. Bepinselt man also die Haut über einem kranken Handgelenk mit Jodtinktur, so ist das ein Derivans ; behandelt man eine Lungenentzündung mit einem Senfteige, der auf die Wade gelegt wird, so ist das ein Revulsivum. Merkwürdigerweise gibt es nun über die Wirkung dieser uralten Mittel, deren Alter und Ver- breitung über die ganze Erde und bei allen Völkern, ohne Aus-

1) Ich nenne von der Unzahl dieser Mittel: Jod, Äther, Alkohol, Ameisen- spiritus, Opodeldok, Arnikatinktm-, Kampfer, Terpentinöl, Pech, Teer, Cantha- riden, Crotonöl, Tartarus stibiatus, Argentum nitricum, starke Laugen (Ätzkali, Ätzkalk), starke Säuren (Salpetersäure usw.), Quecksilber, Schmierseife, Senf, Zwiebeln, Brennesseln, Ammoniak, balsamische Harze.

\12 xlUgemeiner Teil.

nähme, das Schröpfen noch bedeutend übertrifft, eine unglaubhch spärHche wissenschaftliche Literatur und nur ganz vereinzelte Ärzte haben sich mit der physiologischen Erklärung ihrer Heil- wii'kung beschäftigt. Ich will die hauptsächlichsten Arbeiten über diesen Gegenstand, welche ich habe auffinden können, kurz an- führen i). Wir wollen zunächst die Revulsion besprechen, welche in einem anderen Gewände in der heutigen Wasserheilkunde eine grosse Rolle spielt. Es scheint mir dies zum Verständnis wichtig, obwohl wir es in unserer Arbeit im wesentlichen mit örtlichen und nicht mit Fernwirkungen zu tun haben.

Der erste Angriff auf die Revulsion im alten Sinne der Ab- leitung von Blut und schlechten Säften ging von Naumann^) aus. Er machte folgenden Versuch : Er schnitt einem mittels Abtrennung der Wirbelsäule vom Kopfe getöteten Frosche unter Vermeidung von Blutverlust das eine Hinterbein mit Ausnahme des Nervus ischiadicus ab. Das Glied hing also nur noch durch diesen Ner- ven mit dem übrigen Körper zusammen. Reizte Naumann dieses Bein mit einem faradischen Pinsel an irgend einer Stelle, so fand er eine sehr starke Einwirkung dieses Mittels auf den Blutkreislauf des Frosches, mochte er nun das Mesenterium, die Lungen oder die Schwimmhaut unter dem Mikroskop betrachten. Es verur- sachte nämlich schwacher Reiz eine Beschleunigung des Blutstroms und vermehrte Schlagweite des Herzens, starker Reiz dagegen Verlangsamung des Blutstroms und schwächere Herztätigkeit. Ähn- liche Ergebnisse hatte er, wenn er den Versuch an Warmblütern (Fledermäusen) anstellte, deren Blutkreislauf er in der Flughaut beobachtete. Andere Hautreizmittel hatten den gleichen Erfolg,

Naumann stellte auch Versuche am lebenden Menschen an, deren Beweiskraft nach unseren heutigen physiologischen Kennt- nissen nur gering sein dürfte. Ich will sie deshalb übergehen.

Naumann zog aus diesen Versuchen den Schluss, dass eine den Hautreiz begleitende Hyperämie gar nicht in Betracht komme, und es eine Ableitung von Blut von tieferen auf oberflächliche Teile, wie man allgemein angenommen hatte, überhaupt nicht gebe. Die ganze Heilwirkung der Epispastica soll lediglich auf reflekto-

1) Vergl. Plaskuda, Einige alte Behandlungsmethoden in moderner Be- leuchtung. Inauguraldissertation Greifswald 1903.

2) Naumann, Untersuchungen über die physiologischen Wirkungen der Hautreizmittel (Epispastica). Prager Viertel] ahrsschrift für die praktische Heil-

' künde. 20. Jahrgang. 1863. S. 1.

Andere Hyperämiemittel, insbesondere chemische „Derivantien". HS

rischem Wege durch Vermittlung des Centralnervensystems ent- stehen. Es soll deshalb der Ort, an welchem der Hautreiz an- gebracht wird, völlig gleichgültig sein, und der Erfolg der Mittel ledigHch von der Stärke des Hautreizes abhängen, insofern als schwache Reize die Tätigkeit von Herz und Gefässen im ganzen Körper erhöhen, starke sie herabsetzen. Diese Beobachtungen er- weiterte Naumann in späteren Arbeiten i). Er fand, dass die Ver- änderungen, welche ein länger einwirkender Hautreiz im Körper herbeiführt, nach Beendigung desselben noch längere Zeit an- dauern, um so länger, je anhaltender der angewandte Reiz war. Ferner stellte er fest, dass die Hautreizmittel auf die Körper- temperatur einwirken, was wir hier, als uns nicht interessierend übergehen können.

Ebenfalls mit der Revulsion durch Hautreizmittel beschäftigt sich eine Arbeit von Schüller^). Er trepanierte Kaninchen und beobachtete durch die unverletzte Dura hindurch die Piagefässe. Bedeckte er den grössten Teil des Bauches oder des Rückens der Versuchstiere mit Senfteig, so bemerkte er, abgesehen von einigen anderen Veränderungen, welche uns hier nicht interessieren, dass sich regelmässig im Beginne der Einwirkung des Mittels die Arterien erweiterten. Dann zeigten die Gefässe für die Dauer von etwa 10 Minuten Schwankungen in ihrer Weite, um allmählich kleiner zu werden und dauernd eng zu bleiben. Das ganze Gehirn sank dabei in sich zusammen. Der Senfteig bheb eine halbe Stunde Hegen und wurde dann abgewaschen; aber auch nach seiner Ent- fernung blieben die Gefässe noch längere Zeit (bis 1^ Stunden) verengt. Während dieses Zustandes vermochte ein so mächtiges Mittel, wie Einatmen von Amylnitrit, nur sehr schwer und in geringerem Grade als normal eine Erweiterung der verengten Gefässe hervorzubringen. Schüller ist der Ansicht, dass diese Erscheinungen ebensowenig allein durch eine reflektorische Erre- gung der Gehirngefässe, als allein durch eine ,,depletorische" Wirkung des Senfteiges erklärt werden. Er glaubt, dass im Beginn der Wirkung des Mittels reflektorisch von der Haut aus eine teil- weise Lähmung der vasomotorischen Nervenfasern hervorgerufen wird, welche die massige Erweiterung der Gefässe bewirkt. Wirkt

1) Naumann, Prager Viertel] ahrssehrift 1867, imd: Zur Lehre von den Reflexreizen und deren Wirkvmg. Pflügers Archiv. 5. Bd. 1872.

2) Schüller, Über die Einwirkung einiger Arzneimittel auf die Gehirn- gefässe. Berliner klinische Wochensclirift. 1874. S. 294.

Bier, Hyperämie als Heilmittel. 8

1^X4: Allgemeiner Teil.

das Senföl aber länger ein, so setzt die starke Hyperämie und das Ödem der Haut den Seitendruck im übrigen Strombette her- ab oder vermindert doch die relative Blutmenge in demselben, vermag also auch verringernd auf die Blutfülle des Gehirns ein- zuwirken. Schüller will dabei auch in der späteren Zeit der Ein- wirkung des Senföles reflektorische Einflüsse auf die Gefässe durchaus nicht ausschliessen.

Im grossen und ganzen führt also Schüller die Senfteig- wirkung doch auf eine Revulsion im Sinne der alten Ärzte zurück. Noch in demselben Jahre erschien eine grössere Arbeit von Schülleri) ^{q gjch mit den Folgen von Wasseranwendungen auf die Haut beschäftigt, welche nur insofern hierher gehört, als die Wärme und die Kälte ebenfalls zu den Hautreizen zu zählen sind. Das Ergebnis von Schüller' s Untersuchungen war, ganz kurz zusammengefasst : durch Anwendung von Kaltwasserreizen an ent- fernten Hautstellen entsteht eine Erweiterung, von Warmwasser- reizen eine Verengerung der Piagefässe. Schüller ist der An- sicht, dass reflektorische Einflüsse der Hautnerven dabei nur eine untergeordnete Rolle spielen, und dass sie eher hemmend wirken. Die Verändermigen an den Hirngefässen sollen im wesenthchen durch Einengung oder Ausdehnung des Stromgebietes der Haut hervorgerufen werden.

Ich kann die praktischen Folgerungen, welche Schüller für die Wasserheilkunde aus seinen Versuchen zieht, übergehen, da sie nicht hierher gehören. Schüller' s Versuche spielen in der Wasserheilkunde eine grosse Rolle. Man hat versucht, aus ihnen Erklärungen für gewisse Wasserwirkungen abzuleiten und, auf ihnen fussend, bestimmte Wasseranwendungen einzuführen. Winter- nitz^) hebt sie rühmend hervor und glaubt durch plethysmo- graphische Versuche, welche die Beeinflussung der Blutmenge des einen Körperteils durch Wärme- und Kälteeinwirkung auf einen andern dartun ihre Richtigkeit beweisen zu können.

Matthes^) dagegen schätzt den Wert der Schüller'schen Versuche sehr gering ein. Er erklärt, dass sie so unsicher seien.

1) Schüller, Experimentalstudien über die Veränderungen der Hirngefässe unter dem Einflüsse äusserer Wasserapplikationen. Deutsches Archiv für klin. Medizin. 14. Bd. 1874. S. 566.

2) Winternitz, Die Hydrotherapie auf physiologischer und klinischer Grundlage. II. Aufl. 1. Bd. S. 109—116.

3) Matthes, Lehrbuch der klinischen Hydrotherapie. Jena 1900. S. 31.

Andere Hyperämiemittel, insbesondere chemische „Derivantien". 115

„dass diese Art des physiologischen Experimentierens kaum als wissenschaftliche Beobachtung angesehen zu werden verdient".

Hierher gehören noch die Versuche Fran9ois Franc k's, die ich schon auf Seite 20 geschildert habe, welchen man ebenfalls zur Erklärung von heilenden Wassereinwirkungen eine grosse Bedeutung zugeschrieben hat. Ich kann hier darüber hinweggehen, da ich meine Bedenken gegen die Beweiskraft dieser Versuche bereits geltend gemacht und auseinandergesetzt habe, dass sie zu sehr verkehrten Anschauungen über die örtliche Wirkung der Wärme Veranlassung gegeben haben.

Alles in allem sehen wir also, dass auch heute noch die Fern- wirkung der Reizmittel, Kälte und Wärme mit eingeschlossen, keineswegs wissenschaftlich erforscht ist und wir ledigHch auf die Erfahrung angewiesen sind. Wir sind hier mit unseren Erklärungen tatsächlich nicht weiter, wie die alten Ärzte mit ihren Ansichten über die Wirkung des Aderlasses und der Junod'schen Hämospasie, und schliesslich kommen wir wieder auf die alte Revulsion hinaus, die hier in einem modernen Gewände erscheint. Während man früher, die Änderung der Blutverteilung mechanisch zu bewerk- stelhgen suchte, will man das jetzt durch vasomotorische Einflüsse erreichen.

Vor allem gilt diese Unsicherheit der Erklärung von Samuel' si) merkwürdigen Versuchen, welche hier noch erwähnt werden müssen. Dieser Arzt zeigte, dass die Krotonölentzündung des einen Kanin- chenohres ausbleibt, solange man das andere oder auch die Glied- massen in kaltes Wasser (unter 15*^) steckt. Samuel dehnte seine Abkühlungen bis zu 1 2 Stunden aus und konnte während der ganzen Zeit die Entzündung hintanhalten, die auch nach Entfernung der Abkühlung viel geringer ausfiel, als unter gewöhnlichen Verhält- nissen. Wandte Samuel statt des Krotonöles die Verbrühung als entzündungerregendes Mittel an, so konnte er zwar die Entzün- dungserscheinungen durch seinen Abkühlungsversuch nicht unter- drücken, aber doch abschwächen.

Diese Versuche wären noch zu begreifen, wenn wir das Aus- bleiben der Entzündung als Reflexwirkung deuten könnten. Aber Samuel selbst bewies, dass dies nicht der Fall ist, denn er erhielt dieselben Erscheinungen, wenn er am krotonosierten Ohre den Sym- pathikus und am abgekühlten den Nervus auricularis major und

1) Samuel, Zur Antiphlogose. Virchow's Archiv. 127. Bd. S. 457.

8*

11Q Allgemeiner Teil.

minor vorher durchschnitt. Diese höchst merkwürdigen Tatsachen sind also einstweilen noch vollständig unerklärt.

Während es leicht zu verstehen ist, dass die Deutung der Fernwirkungen von Hautreizmitteln ausserordentlich unsicher ist, weil wir über die einschlägigen physiologischen Verhältnisse so sehr wenig wissen, so sollte man glauben, dass die örtliche Wir- kung dieser Mittel genauer erforscht sei, und dass wenigstens über die einfachen objektiv wahrzunehmenden Veränderungen, die sich in der Gegend des Ortes der Anwendung abspielen, Überein- stimmung herrsche. Dies ist aber durchaus nicht der Fall. Nicht nur sind die Versuche, welche man zur Prüfung der alten Lehre von der Derivation angestellt hat, ausserordentlich spärlich, sondern die einzelnen Versuchsergebnisse widersprechen sich in hohem Masse.

Zülzeri) nimmt im Gegensatz zu Naumann eine einfache, durch mechanische Ursachen bedingte Ableitung des Blutes an von den tiefen nach den oberflächlichen Teilen hin, wenn letztere durch Hautreizmittel getroffen werden. Er schliesst das aus folgendem mehrfach wiederholten Versuche:

Bei einem Kaninchen wurde die geschorene Haut des Rückens 14 Tage hintereinander mit Kantharidinkollodium bestrichen. Bei der Sektion fand er die Haut der betreffenden Seite oberflächUch eiternd und verschorft, die Blutgefässe der Unterseite der Haut stark erweitert und strotzend gefüllt. Das Unterhautfettgewebe war vollständig verschwunden. Die oberflächlichen Muskeln waren stark hyperämisch, häufig mit Blutungen durchsetzt. Die tieferen Muskeln dagegen waren äusserst blass, mit denen der gesunden Seite verglichen, ebenso die Brustwandungen, an deren innerer Fläche der Unterschied noch deutlich nachweisbar war. Der auffallend verminderte Blutreichtum erstreckte sich bis auf die Schenkelmuskulatur herab.

Bei öfterer Wiederholung des Versuches erschien sogar die Lunge der betreffenden Seite, mit der gesunden verglichen, stark anämisch.

In der Umgebung eines Haarseiles fand er die gleichen Ver- hältnisse, oberflächlich Hyperämie, in der Tiefe Anämie.

Schüller^) fand die Haut von Kaninchen, welche er mit Senf-

1) Zülzer, Über die Wirkung der ableitenden Mittel (Derivantia). Deutsche Klinik. 17. Bd. 1865. S. 127.

2) Schüller, Über die Einwirkung einiger Arzneimittel auf die Gehirn- gefässe. Berliner klin. Wochenschr. 1874. S. 294.

Andere Hyperämiemittel, insbesondere chemische ,,Derivantien". ^17

teig behandelt hatte, einschliesshch des Unterhautzellgewebes, hyperämisch und sehr stark geschwollen ,,zu einer derben, gallert- artigen Masse". Von den tieferen Teilen erwähnt er nichts. Da- gegen gibt er an, dass kleine Senfteige, welche er auf Ohr und Rücken der Versuchstiere anbrachte, keine Erweiterung der Pia- gefässe erzeugten.

Schede!) prüfte eine Anzahl hautreizender Mittel, besonders die Jodtinktur, auf die örtlichen Wirkungen, die sie auf die Ge- webe ausüben. Er konnte nachweisen, dass die Jodtinktur, bloss auf die Haut gestrichen, nicht nur in dieser und im Unterhaut - Zellgewebe, den Muskeln und Muskelzwischenräumen Ödem und Austreten von Wanderzellen hervorrief, sondern er fand die letz- teren auch im Periost, ja er wies sogar entzündhche Reizung des Knochenmarkes und Wucherungsvorgänge an den Zellen der Epiphysenknorpel nach. Da wir nun keine derartigen Entzün- dungserscheinungen ohne voraufgehende und begleitende Hyperämie kennen, so würde aus diesen Versuchen folgen, das Jodtinktur, auf die Haut gestrichen, bis in die Knochen hinein hyperämisiert.

Neuerdings hat Wechsberg^) unseren Gegenstand behan- delt. Pinselte er einem Hunde an mehreren aufeinanderfolgenden Tagen die Haut am Oberschenkel mit Jodtinktur oder anderen Reizmitteln ein, so fand er eine starke Hyperämie und Ödem der Haut und des Unterhautzellgewebes und bei der weit überwiegen- den Mehrzahl der Fälle auch noch der darunter liegenden Mus- kulatur; noch stärker als Jodtinktur wirkte in dieser Beziehung Senf öl. Ferner zeigte sich in allen Fällen eine stärkere zelHge Infiltration der tieferen Cutisabschnitte und des subkutanen Zell- gewebes, die sich zumeist bis in die Muskulatur erstreckte. Am stärksten wirkte in dieser Beziehung Krotonöl, am wenigsten stark Jodtinktur. Bei allen Versuchen, mit Ausnahme der mit Senf öl ausgeführten, findet sich die Bemerkung: ,, Keine sicher nachweis- bare Anämie der tieferen Teile."

Trotzdem kommt merkwürdigerweise Wechsberg auf Grund gänzlich unbewiesener theoretischer Überlegungen zu dem Schlüsse, dass die Hautreizmittel eine Anämie der tieferen Teile hervor- rufen.

1) Schede, Über die feineren Vorgänge nach Anwendung starker Haut- reize, besonders der Jodtinktur. Archiv für kUnische Chirurgie. 15. Bd. 1873.

2) Weehsberg, Über den Einfluss chemischer Gegenreize auf Ent- zündungen. Zeitschrift für klinische Medizin. 37. Bd. S. 360.

1\Q Allgemeiner Teil.

Meiner Ansicht nach führen solche Versuche, wie die Zülzer's und Wechsberg's, zu keinem Ergebnis. Ich halte es für gänz- lich ausgeschlossen, dass man durch die makroskopische Beob- achtung von tiefen Teilen bei der Sektion einen Schluss auf ihren Blutreichtum ziehen kann, zumal bei dem Muskel des Kaninchens, an dem, wie mich frühere eigene Versuche gelehrt haben, nicht einmal die starke reaktive H3^erämie nach künstlicher Blutleere deutlich zu sehen ist. Über diese Dinge haben wir Chirurgen eine ganz andere Erfahrung, die unendHch viel beweisender ist, als jene physiologischen Versuche. Ich habe noch immer gefunden, dass bei tiefliegenden Entzündungsherden schon der Hautschnitt viel blutiger ist, als bei normalem Körper. So habe ich sogar oft, wenn bei der Probelaparotomie der Bauchwandschnitt stark blutete, die Vermutung ausgesprochen, dass wir in der Tiefe des Bauches einen Entzündungsherd finden würden, und ganz regelmässig recht be- halten. Und doch handelt es sich hier um Gefässgebiete, welche höchstens durch unbedeutende Verwachsungen im Zusammenhang stehen. Im Einklänge damit habe ich mehrmals die Hauttemperatur selbst bei chronischen tiefliegenden Entzündungen (Tuberkulose) um ein bis mehrere Grade erhöht gefunden. Sollte nun eine Ent- zündung von der Tiefe aus nach der Oberfläche anders wirken, als umgekehrt ?

Ferner sprechen viele andere Erfahrungen dafür, dass der Entzündungsreiz auf weite Strecken hin hyperämisiert. Macht doch ein kleines tiefliegendes Panaritium der Hohlhand Rötung und ödematöse Schwellung des Handrückens, ja unter Umständen des ganzen Vorderarines. Wie weit eine rein chemische Entzündung sich von der eigentlichen Anwendungsstelle des Mittels weg ver- breiten kann, habe ich vor einigen Jahren erlebt: ich spritzte auf eine Pseudarthrose des Oberschenkels, welche allen möghchen Behandlungsmethoden, auch der Knochennaht und Einspritzen von Jodtinktur, getrotzt hatte, Terpentinöl und brachte sie dadurch schnell zur Heilung. Aber es entstand eine ungeheure Reaktion; das Bein schwoll von den Zehen bis zur Leisten- beuge sehr stark ödematös an, fühlte sich überall heiss an und bheb mehrere Tage in diesem Zustande. In neuerer Zeit hat Haffteri) eine interessante hierher gehörige Beobachtung gemacht. Er konnte nach Sinapismen, die er sich zur ,, Derivation" auf die

1) Haffter, Besprechimg der ersten Auflage dieses Buches im Correspon- denzblatt für Schweizer Ärzte. 23. Jalirgang. 1903. Nr. 14. S. 489.

Andere Hyperämiemittel, insbesondere chemische „Derivantien". WQ

Lendengegend legte, rote Blutkörperchen in seinem Urin nach- weisen, ein Beweis für die sehr bedeutende Tiefenwirkung eines chemischen Reizmittels.

Zudem hat Samuel^) diese Verhältnisse in einer Arbeit, die ein Meisterwerk makroskopischer Beobachtung darstellt, experi- mentell behandelt und ist zu ganz ähnlichen Ergebnissen gekommen. Er erzeugte eine Entzündung der oberen Hälfte eines Kaninchen- ohres durch Verbrühen mit Wasser von 53". Sofort tritt dabei ein Entzündungsherd auf, welcher an der Grenze der Einwirkung der Schädigung mit einer scharfen Linie abschneidet. Bald aber verbreitet sich die Entzündung über das ganze Ohr, ja sogar bis weit über dieses hinaus auf die Haut des Kopfes und des Rückens. Dieselbe ist sehr stark ödematös, gerötet und fühlt sich heiss an. Diese Erscheinungen erreichen ihren Höhepunkt nach 18 24 Stun- den, um dann allmählich zu verschwinden.

In neuerer Zeit hat Wessely^) in sinnreicher Weise die Fern- wirkung der in der Augenheilkunde gebräuchlichen subkonjunkti- valen Kochsalzlösungen bewiesen. Spritzte er 5 10% Lösungen subkonjunktival ein, so nahm der Gehalt des sonst sehr eiweiss- armen Kammerwassers an Eiweiss und Fibrin gewaltig zu. Dass das Eiweiss lediglich aus den erweiterten und durchlässiger gewor- denen Ciliargefässen kommen konnte, ist an sich klar. Wessely bewies dies aber noch schlagender an Kaninchen, die gegen Rinder- blut immunisiert waren. Deren normales Kammerwasser zeigte gegen Rinderblut keinerlei hämolytische Eigenschaften, spritzte er aber vorher Kochsalzlösung unter die Konjunktiva, so wirkte das Kammerwasser stark hämolytisch auf dies Blut.

Ähnlich verhielt sich das Kammerwasser mit Typhus immuni- sierter Tiere. Es enthielt schon normal geringe Mengen von Typhus - agglutinin, das sich, wie die Wi dal' sehe Probe zeigte, durch subkonjunktivale Kochsalzeinspritzung ganz erhebhch vermehrte. Diese Immunkörper konnten aber nur aus den erweiterten Ciliar- gefässen stammen. Wir haben hier, entsprechend meiner oben erwähnten Beobachtung, ein neues Beispiel, dass ein Entzündungs- reiz sich von dem einen auf das andere Gefässgebiet erstrecken kann, obwohl diese gar keinen direkten Zusammenhang miteinander

1) Samuel, Entzündungsherd und Entzündungshof. Virchow's Archiv. 121. Bd. II. Heft.

2) Wessely, Experimentelles über subkonjunktivale Injektionen. D. med. Wochenschr. 1903. Nr. 7 u. 8.

]^20 Allgemeiner Teil.

haben, hier von den Konjunktival- auf die Binnengefässe des Auges. Wessely führt wohl mit Recht die vielfach bestätigte günstige Wirkung der subkonjunktivalen Kochsalzeinspritzungen bei allen möglichen Krankheiten des Auges auf Hyperämie zurück.

Meiner Meinung nach können Unterscheidungen zwischen ver- schiedener Wirkung der sogenannten Derivantien auf tiefe und weniger tief gelegene Teile nur verwirrend wirken. Denn was ist tief und was weniger tief? Pinseln wir z. B. Jodtinktur auf die Haut über einer Oberschenkelpseudarthrose, so ist das wohl un- bestritten tief, und nach jener Ansicht anämisieren wir den Knochen, pinseln wir sie auf die Haut über einer Pseudarthrose am unteren Ende des Radius, so ist das oberflächlich und wir hyperämisieren den Knochen. Wir müssten also in beiden Fällen völlig entgegen- gesetzte Wirkungen hervorbringen.

Die genauere Überlegung zeigt uns auch, dass wir mit diesen Theorien überall sofort in Widerspruch geraten. Denn die Deri- vantien haben sich gerade bei den dicht unter der Haut oder der Schleimhaut sitzenden Krankheiten als wirksam erwiesen, und die haben nach den einstimmigen Darlegungen jener Untersucher doch als oberflächlich zu gelten und werden mit hj^perämisiert. Sie werden also von der beabsichtigten Ableitung gar nicht betroffen.

Ich glaube, dass der Erfolg der Derivantien in erster Linie auf Hyperämie beruht, und schliesse das vor allem daraus, dass sie vieKach gerade so wirken, wie unsere zweifellos reinen Hyper- ämiemittel. Ihr zu keiner Zeit bestrittener Einfluss ist die sehr in die Augen springende Schmerzstillung; diese haben sogar die Verächter und Gegner dieser Mittel anerkennen müssen, und sie griffen zur Erklärung dieser Wirkung zu dem sehr bequemen Aus- weg, sie auf Suggestion zurückzuführen. Wir werden aber später noch genauer auseinandersetzen, dass jede Hyperämie, die aktive wie die passive, schmerzstillend wirkt. Da es sich bei den ,, Deri- vantien" lediglich um entzündungerregende Mittel handelt, so werden wir, da Entzündungen den Blutstrom verlangsamen, ihre Wirksamkeit mit der passiven Hyperämie vergleichen müssen. Und in der Tat wirken beide sehr übereinstimmend. Die Derivantien hat man angewandt gegen Entzündungen und Pseudarthrosen, ferner als resorbierende und auflösende Mittel, und wir werden später sehen, dass die passive Hyperämie genau die gleichen Wirkungen äussert, die aktive einige derselben.

Diese vortreffliche Übereinstimmung in den Wirkungen ist weit

Andere Hyperämiemittel, insbesondere chemische „Derivantien". 121

Überzeugender, als alle jene so ausserordentlich unsicheren physio- logischen Versuche, die den einen Beobachter zu den genau ent- gegengesetzten Ergebnissen wie den anderen kommen Hessen.

Nachdem ich von den Derivantien und insonderheit von der Wärme behauptet hatte, dass sie nicht durch Anämisierung, sondern im Gegenteil durch Hyperämisierung der kranken Teile günstig wirkten, hat Buchneri) die guten Erfolge, welche der Salz- wedel'sche Alkoholverband bei infektiösen Erkrankungen aufzu- weisen hat, in demselben Sinne erklärt. Ich habe nun keinen Zweifel, dass der Alkohol, und zwar gerade in Form des Salz- wedel'schen Verbandes, auch den ,, Derivantien" zuzuzählen ist, und dies ist auch schon seit langer Zeit üblich gewesen, sei es nun, dass man den Alkohol rein oder in Form von Tinkturen an- wendet, welche noch andere hautreizende Mittel gelöst enthalten; aber die Versuche, welche Buchner zum Beweise dafür anführt, kann ich nicht anerkennen. Es ist eine ganz verkehrte Versuchs- anordnung, aus dem Umstände, dass Alkohol, in die Gewebe ein- gespritzt, Hyperämie macht, den Schluss zu ziehen, dass er dies auch, auf die unverletzte Haut gebracht, in der Tiefe bewirke. Wäre dies tatsächlich der Fall, so gäbe es ausser physiologischer Kochsalzlösung und gleichartigem Blutserum wohl kaum ein flüssiges Mittel, welches nicht hyperämisierend wirken müsste. Sie alle stellen, in die Gewebe gespritzt, Reizmittel dar, welche schhesslich entzündliche Hjrperämie hervorrufen. Ebenso verkehrt ist es, aus dem vermehrten Blutdruck, den Buchner und seine Mitarbeiter fanden, auf eine Hyperämie oder gar auf die Schnelligkeit des Blutstromes schliessen zu wollen. Wissen wir doch aus zahllosen physiologischen und klinischen Erfahrungen, dass oft äusserste örthche Anämie und Verlangsamung des Blutstromes mit Erhöhung und gewaltige H3rperämie und Beschleunigung des Blutstromes mit Erniedrigung des Blutdruckes verbunden ist.

Beweisender für die hjrperämisierende Wirkung des Alkohol - Verbandes in der Tiefe scheint mir ein Versuch von Heinz 2). Der- selbe fand mittels thermoelektrischer Nadeln die Temperatur der

1) Buchner, Natürliche Schutzeinrichtungen des Organismus und deren Beeinflussung zum Zweck der Abwehr von Infektionsprozessen. Münchner medizinische Wochenschrift 1899. Nr. 39 u. 40.

2) Heinz, Die Wirkung äusserer (thermischer imd chemischer) Reize auf die Blutverteilung in der Tiefe. Verhandl. d. 19. Kongresses für innere Medizin. 1901.

222 Allgemeiner Teil.

Pleura um 0,15 0,25 " gesteigert, wenn er einen ALkoholumschlag auf die Haut eines Versuchstieres brachte.

Zu den Derivantien rechnet man auch die Anwendung des Glüheisens auf die Haut. Auch dies ist ein uraltes Mittel, welches, hin und wieder einmal in Vergessenheit geraten, aber immer wieder zu Ehren gekommen ist und in der uns zunächst hegenden Zeit durch Rust eine sehr ausgebreitete Verwendung gefunden hat. Auch heute ist es als ,,Derivans" noch nicht ganz vergessen und wird in erster Linie angewandt gegen sehr hartnäckige und be- sonders schmerzhafte Wirbelentzündungen, wo man zu beiden Seiten des Buckels einen breiten Brandschorf auf der Haut verursacht. Dass dies Mittel eine hochgradige Hjrperämie der Haut hervorruft, ist ohne weiteres klar, seine hyperämisierende Tiefenwirkung ist ferner sehr wahrscheinlich, denn falls die Brandwunden nicht gänz- lich aseptisch bleiben, muss schon eine länger dauernde entzündliche Hyperämie auftreten. Dies wird um so mehr der Fall sein, wenn man, wie das vielfach Sitte war, die Eiterung der Brandwunden durch eingelegte Erbsen oder durch Kantharidinkollodium unterhält.

Mit der Wirkung des Glüheisens auf die Gefässfüllung in der Tiefe beschäftigen sich zwei Arbeiten: Wolter^) teilt den Sektions- befund eines Mannes mit, der an Tetanus starb, beidemBusch 2Tage vor dem Tode zwei Streifen an den Seiten der Wirbelsäule mit dem Glüheisen gebrannt hatte, um auf das Rückenmark einzuwirken. ,,Bei der Sektion zeigte sich die Rückenmuskulatur im allgemeinen von einer dunklen bis bräunlichen Färbung, dabei weich und schlaff, die Venen in der Nähe des Rückgrats stark hyperämisch. Der Raum des Rückenmarkskanals ausserhalb der Dura mater war gefüllt mit einem sehr losen Blutgerinnsel. Es machte den Eindruck, als ob ein zartes Bindegewebsstratum mit einem dünnen, mit Serum reichlich gemischten Blute stark infiltriert war. Die Dura mater war stark imbibiert, die Pia mater entschieden hyperämisch und leicht öde- matös infiltriert. Die Venen an der Oberfläche stark geschlängelt." Wolter stellte dann Versuche an Kaninchen an und fand, dass Brandstreifen, welche er zu beiden Seiten der Wirbelsäule anlegte, nicht nur die unter der Haut hegenden Muskeln, sondern auch den Wirbelkanal, die Rückenmarkshäute und sogar das Rückenmark selbst hyperämisierten.

1) Wolter, Über das Ferriim candens als sogenanntes Derivans. Inaug.- Diss. Bonn 1873.

Andere Hyperämiemittel, insbesondere chemische „Derivantien". 123

Schweringi) konnte Wolter's Versuche im allgemeinen be- stätigen. Er fand bei der gleichen Versuchsordnung bis in die Rückenmarkshäute reichende Hyperämie. Unter drei Versuchen fand er einmal, als er einen Brandstreifen von 5 cm Länge und 2 cm Breite über die Bauchwand in der Magengegend gezogen hatte, nicht nur die ganze Bauchhaut, sondern auch die gegenüber- liegende Magenwand h3rperämisch ; ,,in einiger Entfernung von dieser hyperämischen Stelle erschien dagegen die Magenwand deutlich anämisch." In den übrigen Versuchen konnte Schwering Zülzer's Angabe von der anämisierenden Eigenschaft des Derivans in der Tiefe nicht bestätigen. Trotzdem zieht er merkwürdiger- weise aus dem einen Befund am Magen den Schluss, dass das Glüheisen wie alle Derivantien ,,in nächster Nähe Hyperämie, in mehr minder grosser Entfernung Anämie" hervorruft.

Ich habe schon oben auseinandergesetzt, dass ich auf den Be- fund von Blutreichtum und Blutarmut einzelner Körperteile an der Leiche wenig Gewicht lege. Immerhin ist der erstere Befund viel beweisender als der letztere, weil ja beirn Einschneiden in hj^per- ämische Organe leicht das Blut abfliesst und man ausserdem bei Muskehl, besonders aber denen der Eingeweide, gar nicht weiss, ob sie sich nicht während des Sterbens zusammengezogen und ihr Blut ausgepresst haben. Aber meines Erachtens kann auch Blut- reichtum im Tode gefunden werden, wo er vormals nicht bestand, und wie unsicher diese Versuche sind, geht aus der Angabe Wolter's hervor, dass er auch bei einem von seinen gesunden Kontrolltieren genau die gleiche in den Rückgratskanal hinein- reichende Hyperämie fand, wie bei den gebrannten Tieren. Für mich ist aus diesen Arbeiten das einzig Beweisende für die Hyper- ämisierung der Tiefe durch ein auf die Haut angewandtes Glüh- eisen der durch Wolter mitgeteilte Sektionsbefund von dem ge- brannten Menschen. Hier lag unter dem Brandschorf im Wirbel- kanal ein Blutgerinnsel, die Dura mater war imbibiert und die Pia mater ödematös. Das Glüheisen hatte also in grosser Tiefe zu Veränderungen geführt, welche alle stärkeren Derivantien nach sich ziehen, zu Blutungen und entzündlichen Erscheinungen, welche keine Kunstprodukte und keine Leichenerscheinungen sein können.

Ich brauche wohl nicht auseinanderzusetzen, dass ich auch das

1) Schwering, Über das Ferrum candens. Inaug.-Diss. BerUn 1875.

124: Allgemeiner Teil.

Glüiieisen, dieses mächtigste von allen Derivantien, für ein hyper- ämisierendes Mittel halte.

Die Wirkung der Moxen, Haarseile und Fontanellen, die in dasselbe Gebiet gehören, werde ich später erörtern.

Ich bemerke noch, um nicht missverstanden zu werden, dass es mir gar nicht einfällt, reflektorische Einwirkungen der Deri- vantien und Revulsiva auf entfernte Körperteile zu leugnen, und ich gebe zu, dass die Möglichkeit vorhegt, dadurch Heilwirkungen hervorzubringen. Viel wahrscheinlicher scheint es mir allerdings, dass diese Mittel chemische Änderungen des Blutes und der Gewebssäfte an Ort und Stelle hervorrufen, die in den Blut- strom gelangen und an entfernten Körperteilen heilkräftig wirken. Ich werde in einem späteren Kapitel noch auf ihre vielleicht vorhandenen Fernwirkungen zurückkommen. Ich glaube aber gerade unter den möglichen Wirkungen der Derivantien eine sicher bewiesen zu haben, nämlich, dass ihr Haupteinfluss ent- schieden die Hyperämisierung der kranken Körperteile ist. In dieser Beziehung leisten sie das gerade Gegenteil von dem, was ihr Name sagt.

Auch die Wirkungen vieler äusserlich und einiger innerlich angewandter Arzneimittel dürften zum Teil mit auf der Hjrperämie beruhen, welche sie hervorrufen.

Ich denke hier in erster Linie an die sogenannten Adstrin- gentien und ähnliche Mittel. Seit langem werden die Bindehaut- erkrankungen des Auges allgemein mit ziemlich starken Lösungen von Argentum nitricum, Kupfer- und Zinksulfat behandelt. Eigen- tümlicherweise setzen diese scharfen Mittel nach einer anfäng- lichen mächtigen Steigerung die Entzündung herab. Neuerdings hat Fuchsi) die Ansicht geäussert, dass die durch diese Mittel hervorgerufene H5rperämie zu einer Transsudation unter dem Ätz- schorf führe, die mit diesem gleichzeitig die Bakterien hinauswerfe. Ich glaube, die Heilwirkung der Hyperämie erklärt sich sehr viel einfacher in einem anderen Sinne, wie ich es in den nächsten Kapiteln auseinandersetzen werde.

Zwei treffliche Beispiele lassen sich aus dem Gebiete der Haut- und Geschlechtskrankheiten aufführen : Hebra vertreibt die chroni- schien Ekzeme dadurch, dass er sie mit ätzender Kalilauge abreibt, und so eine heftige Hyperämie und akute Entzündung hervorruft.

1) Fuchs, Lehrbuch der Augenheilkunde.

Andere Hyperämiemitte], insbesondere chemische „Derivantien". 125

Der chronische Tripper heilt nicht selten nach Ausspülungen mit Argentum nitricum, besonders, wenn sie nach Janet'schen Grund- sätzen vorgenommen werden. Ebenso ist der frische Tripper durch J an et'sche Spülungen mit Kai. hypermang. häuf ig in wenigen Tagen zu beseitigen. Dass nicht die schwach desinfizierende Wirkung dieser Mittel die Heilung erzielt, geht daraus hervor, dass viel stärkere Desinf izienten beim Tripper versagen i ) . Es dürfte auch hier die mächtige entzündliche Hyperämie und ihre Folgen die Heilung besorgen. Tritt doch nach der Janet'schen Spülung beim frischen Tripper ein förmliches Ödem des Penis und starker seröser Aus- fluss aus der Harnröhre auf. Die verbreitete Auffassung, dass die seröse Durchflutung der Schleimhaut die Gonokokken mechanisch herausschwemme, und dadurch heile, dürfte ebensowenig das Richtige treffen, wie die obenerwähnte gleichlautende Meinung Fuchs' über die Wirkung der in der Augenheilkunde gebräuch- lichen Ätzmittel. Sehen wir doch, dass eine reine Hyperämie auf gonorrhoische Metastasen an anderen Körperteilen, wo ein solches mechanisches Herausschwemmen von Bakterien gar nicht statt- haben kann, wunderbar heilend wirkt.

Es Hessen sich aus der alten Medizin noch eine ganze Reihe anderer Beispiele aufführen, wo man beabsichtigte, durch Hervor- rufen einer akuten Entzündung mit chemischen Reizmitteln eine chronische zur Ausheilung zu bringen. Wir machen, wie ich an- nehme, auch heute noch vielfach unbewusst davon Gebrauch, und im Volke ist der Glaube an dieses Verfahren weit verbreitet.

Auch bei der Wirkung mancher innerer Arzneimittel dürfte die durch sie erzeugte Hyperämie mit im Spiele sein.

Wir wissen von der Sahzylsäure, dass sie eine deutliche Hyperämie der peripheren Teile verursacht. So erklären sich die Rötungen der Haut, Schwitzen, Ohrensausen und Sehstörungen, welche man dabei beobachtet. Ähnlich wirkt der Alkohol. Der Tartarus stibiatus macht, innerlich genommen, neben Hautrötungen und Ausschlägen eine gewaltige Hjrperämie der Schleimhäute.

1) Der Tripper üefert ein vortreffUches Beispiel, um die Ohnmacht der Antiseptica bei bereits eingewurzelter Infektion vor Augen zu führen. Denn dort befindet sich in der engen Harnröhre, die wir mit unseren Desinfizientien gründlich durchspülen können, ein Mikrokokkus, der, wie uns die Bakteriologen lehren, gegen Antiseptica ausserordentlich schwach und hinfällig ist. Und doch gelingt es nicht, durch diese Mittel ihn abzutöten, sobald er nur einigermassen in die Tiefe vorgedrungen ist.

126 Allgemeiner Teil.

Ich halte es für möglich, dass der günstige Einfluss der Sahzyl- säure bei dem akuten Gelenkrheumatismus auf Hyperämiewirkung beruht. Denn wir werden später sehen, dass die künsthche Hyper- ämisierung der Gelenke, welche von dieser Krankheit befallen sind, ebenfalls Schmerzen und Schwellung schnell in ihnen beseitigt. Mit dieser Annahme würde auch die Erfahrung übereinstimmen, dass die Salizylsäure als ein Mittel, welches die peripheren Teile hyperämisiert, nur auf die Erkrankungen der Gelenke wirkt, während sie Entzündungen innerer Teile, insbesondere der Herz- häute, weder verhütet noch beseitigt.

Ich erwähnte schon oben, dass Massage und Elektrizität neben anderen Wirkungen auch hyperämisieren. Bei der Erklärung des günstigen Einflusses dieser Mittel auf Krankheiten wäre also auch die Hyperämie mit in Betracht zu ziehen. Ebenso halte ich natür- lich auch den Priessnitz'schen Umschlag für ein hyperämisieren- des Mittel. Auch habe ich schon mehrfach die Ansicht ausge- sprochen, dass der günstige Einfluss der Punktion auf Bauchfell- tuberkulose, Pleuritis, Meningitis sich vielleicht auf die durch den Eingriff erzeugte Hyperämie zurückführen lasse.

Zum Schluss muss ich noch der Einsen' sehen Lichtbehandlung des Lupus hier gedenken. Neben anderen Wirkungen hat diese Behandlung nach Forchhammer, einem Schüler Eins en's, folgen- den Erfolg 1): ,, Unmittelbar nach einer solchen Behandlung zeigt sich die Haut rot und geschwollen ; diese Reaktion nimmt allmäh- lich zu, erreicht in etwa 20 Minuten ihr Maximum, gewöhnlich mit Bildung einer Blase. Wenn äussere Verunreinigungen abgehalten werden, endet die Reaktion nach 8 10 Tagen mit einer oberfläch- lichen Exfohation.

Zurück bleibt eine recht intensive Röte, die erst nach Verlauf von mehreren Monaten völlig verschwindet. Dieser Entzündungs- prozess hat ohne Zweifel neben der bakteriellen Wirkung eine grosse Bedeutung für den Erfolg."

Einsen 2) selbst und sein Schüler Bie^) legen ebenfalls grosses

1) Forchhammer, Die Finsentherapie und ihr gegenwärtiger Stand in der Dermatologie. Kopenhagen 1901, und VII. Kongress der deutschen Der- matologischen Gesellschaft. Breslau 1901.

2) Finsen, Über die Anwendung von konzentrierten chemischen Licht- strahlen in der Medizin. Leipzig. Verlag von F. C. W. Vogel. 1899.

3) Valdmar Bie, übersetzt von Schramm. Die Anwendung des Lichtes in der Medizin. Wiesbaden. Verlag von J. F. Bergmann. 1905.

Andere Hyperämiemittel, insbesondere chemische ,,Derivantien". 2^27

Gewicht auf diese Wirkung des Lichtes und schreiben ihr einen Teil des Erfolges b'ei der Heilung des Lupus zu. Sehen wir doch auch, dass andere hyperämisch entzündliche Vorgänge diese Krank- heit zur Ausheilung bringen können, z. B. das Erysipel. Ich selbst i) sah bei hoffnungslosen Lupusfällen, nach Transfusion mit fremd- artigem Blute, die zu einer grossartigen Hyperämie im Lupus führte, diesen erheblich sich zurückbilden und überhäuten.

Die chemischen Strahlen in Einsen' s elektrischem Bogenlicht und die Röntgenstrahlen sind in ihrer Wirkung der Stauungs- hyperämie zu vergleichen, weil beide die Entzündung erheblich ver- stärken, beziehungsweise die chemischen Strahlen sie hervorrufen, die lokalen Glühlichtbäder dagegen den Heissluftbädern, da dem Glühhcht die chemischen Strahlen fehlen, und es lediglich durch Wärme wirkt.

Die Zahl der gebräuchlichen Mittel, mit denen man unbewusst im Krankheitsherde Hyperämie hervorruft, ist hiermit keineswegs erschöpft.

Es ist somit klar, dass uns zur Hervorrufung einer Hyperämie sehr zahlreiche Wege offen stehen, und es könnte einseitig erscheinen, dass ich mich auf zwei Arten, dieselbe zu erzeugen, beschränkt habe. Aber die genauere Überlegung zeigt, dass dies notwendig war. Denn in diesen Mitteln haben wir nicht nur reine Hj^erämie, sondern auch ihre beiden Extreme: das eine Mal die mächtige Beschleunigung des Blutstromes durch heisse Luft, das andere Mal jede beliebig stark hervorzurufende Verlangsamung durch die stauende Binde und den Schröpfapparat. Wir können hier nicht nur die reine Wirkung der Hjrperämie studieren, sondern auch auf das schönste feststellen, wo die verschiedenen Arten der Hyperämie gleichartig und wo sie ungleichartig wirken.

Zudem glaube ich, dass es kein einziges Mittel gibt, welches die beiden extremen Formen der Hyperämie so kräftig herstellen kann, und zwar, nachdem man die Grenzen der erlaubten Anwen- dung herausbekommen hat, ohne jeden Schaden für den Körper. Alle jene Mittel, welche nach Art der ,,Derivantien" wirken, tun das erst indirekt durch Schädigung der Gewebe, genau so, wie es bei Entzündungen der Fall ist, und sie sind nicht richtig dosierbar, da wir nie im voraus sagen können, wie stark und wie lange z. B. ein Senfteig bei einem bestimmten Menschen wirkt.

1) Bier, Die Transfusion von Blut, insbesondere von fremdartigem Blut, und ihre Verwendbarkeit zu Heilzwecken. Münchn. med. W. 1901. Nr. 15.

128 Allgemeiner Teil.

Unsere beiden Mittel aber schädigen, richtig angewandt, die Gewebe gar nicht, und sie sind im vollsten Masse wie ein inneres Arzneimittel dosierbar i ) .

Beeinflussung des Lymphstromes durch hyperämisierende Mittel.

Von grosser Wichtigkeit erscheint die Entscheidung der Frage : Wie wirken unsere hjrperämisierenden Mittel auf den Lymphstrom ? Wir wollen dabei die Streitfrage über die Herkunft der Lymphe, ob Transsudat, ob Sekretionsprodukt der KapillarendotheHen, gänzHch ausser Spiel lassen, da das für unseren Zweck belang- los ist.

Die alte Ansicht, welche die Lymphe als ein Transsudat der Blutgefässe ansah, rechnete mit der selbstverständlichen Tatsache, dass der Lymphstrom eines Körperteiles vom Blutdrucke und von der Blutfülle in demselben abhängig sei. Sie musste demgemäss jeder Hyperämie, der aktiven wie der passiven, eine Beschleunigung der Lymphbewegung zuschreiben. Den ersten Stoss erhielt diese Lehre durch eine Arbeit Paschutin's^), welche unter Ludwig's Leitung ausgeführt wurde. Er wies nach, dass die grossartigsten arteriellen Hyperämien, welche er am Vorderbein des Hundes er- zeugte, ohne jeden Einfluss auf die Schnelligkeit des Lymphstromes seien. Als Hyperämiemittel verwandte er die Durchschneidung des Plexus brachialis, und überzeugte sich von dem Eintritt der Hyperämie durch den Nachweis einer Erhöhung der Temperatur des GHedes.

Ja, Paschutin sah nicht einmal eine Vermehrung des Lymph- stroms, wenn er der Durchschneidung des Plexus brachialis noch die des Halsmarkes zufügte und dieses reizte, obwohl dabei der Blutdruck um das 4 9 fache stieg, und demgemäss in dem ge- lähmten Gliede mit seinen erweiterten Gefässen die grösstmög- liche arterielle Hyperämie auftreten musste. Er konnte damit

1) Diesen Unterschied hat z. B. Wolf f (Diskussion zu Kuhn's Vortrag. Deutsche med. W. 1906. Nr. 29. S. 1177) nicht begriffen, wenn er die Wirkung von Formalindämpfen mit der der Stauungshyperämie vergleicht.

2) Paschutin, Über die Absonderung der Lynaphe im Arme des Hundes. Bericht der Königl. Sachs. Ges. der Wissensch. Math, physik. Klasse. 1873.

Beeinflussung des Lymphstromes durch hyperämisierende Mittel. ^29

nicht einmal das regelmässige Sinken des Lymphstromes, welches stets mit der Zeit bei längerer Versuchsdauer eintritt, auf- halten.

Unter zahlreichen Versuchen vermochte er nur zweimal eine geringe Beschleunigung des Lymphstromes zu erzeugen und hier einen klaren Versuchsfehler leicht als Ursache derselben nachzu- weisen.

Paschutin's Versuchsergebnisse wurden von verschiedenen Seiten bestätigt. So im grossen und ganzen durch E mminghausi) in einer ebenfalls unter Ludwig's Leitung ausgeführten Arbeit. Ebenso durch Jankowsky^), welcher bei Cohnheim arbeitete. Dieser fand auch, dass an einem normalen Gliede die durch Läh- mung der Vasomotoren erzeugte arterielle Hyperämie den Lymph- strom nicht steigerte, sondern im Gegenteil zuweilen verzögerte. Brachte er dagegen das Glied zur Entzündung, oder machte er die Versuchstiere künstlich hydrämisch, so beschleunigte die Vaso- motorenlähmung den Lymphstrom.

Umgekehrt dagegen fanden andere Untersucher stets bei der arteriellen Hyperämie den Lymphstrom vermehrt und beschleunigt. Rogowicz^), welcher unter Heidenhain arbeitete, behauptete, dass jede auf irgend eine Weise erzeugte arterielle Hyperämie, sofern sie nur eine deutlich nachweisbare Temperatursteigerung an dem betreffenden Körperteile zur Folge habe, die Lymphabsonderung vermehre und den Lymphstrom beschleunige. Lähmung der Vaso- motoren, Reizung der Dilatatoren und durch Gifte erzeugte arterielle Hyperämie, sie alle hatten denselben Erfolg. Eine Hauptbeweis- kraft schreibt R o g ow i c z folgendem Versuche zu : Er hyperämisierte eine Zungenhälfte durch wiederholte Lingualisreizung und spritzte währenddessen in eine Vena saphena eine gesättigte Lösung von indigoschwefelsaurem Natron. Die hyperämisierte Seite färbte sich sehr rasch blau, während die anderen Körperteile zunächst noch ihre normale Farbe behielten und sich erst später färbten. Hatte die andere Zungenhälfte sich auch gebläut, und wurde die einseitige

1) Emminghaus, Über die Abhängigkeit der Lymphabsonderung vom Blutstrom. Arbeiten aus der Physiol. Anstalt zu Leipzig. 1873.

2) Jankowsky, Über die Bedeutung der Gefässnerven für die Entstehung des Ödems. Virchow's Archiv. 93. Bd. S. 259.

3) Rogowiez, Beiträge zur Kenntnis der Lymphbildung. Pflüger's Archiv 1885. S. 252.

Bier, Hyperämie als Heilmittel. 9

230 Allgemeiner Teil.

Hjrperämie länger unterhalten, so entfärbte sich die hyperämische Seite viel schneller als die andere. Daraus schliesst Rogowicz, dass die Lymphe, welche den Farbstoff den Geweben zuführe, auf der hyperämischen Seite viel schneller ausgeschieden werde, und dass bei weiterer Unterhaltung der Hyperämie ein stark ge- steigerter Lymphstrom die betreffende Seite auch viel schneller wieder auswasche. Er fand auch, dass die Lymphe eines arte- riell hjrperämisierten Gliedes bei den oben geschilderten Ver- suchsbedingungen viel blauer aussah, als die des entsprechenden anderen.

Ebenso sahen PekelharingundMensonidesi) bei arterieller Hyperämie eines Hinterbeines, welche sie vermittels Durchschnei- dung des Nervus ischiadicus hervorbrachten, eine bedeutende Ver- mehrung des Lymphstromes.

Ch ab bas 2), welcher unter Grünhagen arbeitete, konnte nach- weisen, dass ,,die Sekretion des Humor aqueus eine direkte Funk- tion des Blutdruckes ist". Er wies nach, dass die Erniedrigung des Blutdruckes durch Chloralhydratnarkose die Absonderung des Kammerwassers verminderte, Erhöhung des Blutdrucks durch Nikotin oder durch Unterbindung der Aorta oberhalb des Zwerch- fells sie erhöhte.

Diese Beobachtungen sind von anderer Seite durch noch ge- nauere Versuche bestätigt, und in einer neueren Arbeit hat Leb er 3) die Richtigkeit derselben anerkannt. Sollten die Versuche für die Abhängigkeit der Lymphabsonderung von Blutdruck und Gefäss- füllung entscheidend sein, so müsste allerdings erst der sichere Beweis geführt werden, dass Kammerwasser und Lymphe das- selbe sind. Viele Beobachter scheinen mir den Begriff ,, Lymphe" sehr weit zu fassen. So rechnet Emminghaus*) ohne weiteres Ödem, Hydrops, Anasarka, Hydrothorax, Ascites dazu und be- hauptet: ,,Ödem und vermehrte Lymphbildung sind identisch."

1) Pekelharing u. Mensonides, Zitiert nach Virchow-Hirsch's Jahres- berichten 1887. Das Original war ixiir nicht zugänglich.

2) Chabbas, Über die Sekretion des Humor aqueus in bezug auf die Ursachen der Lymphbildung. Pflüger's Archiv. 16. Bd. 1878. S. 143.

3) Leber, Merkel-Bonnets Ergebnisse der Anatomie und Entwicklungs- geschichte. 1894. S. 156.

4) Emminghaus, Physiologisches und Pathologisches über die Ab- sonderung der Lymphe. Wunderlich-Roser's Archiv der Heilkunde. 15. Jahrg. 1874. S. 369.

Beeinflussung des Lymphstromes diirch hyperämisierende Mittel. 2^3 J

Bedenken wir ferner, unter was für unnatürlichen Bedingungen diese Untersucher arbeiteten bei Tieren, die mit Curare und Nikotin vergiftet, denen Rückenmark und Nerven durchschnitten waren, die Aorta unterbunden und künstHche Atmung eingeleitet war , so werden wir an der Beweiskraft dieser Versuche zweifeln und die gänzlich verschiedenen Ergebnisse verstehen. Wir müssen aus ihnen den Schluss ziehen: Wir wissen nicht, ob und wie arte- rielle Hyperämie auf den Lymphstrom wirkt.

So verschieden hier nun die Ansichten sind, so erfreuliche Übereinstimmung herrscht über den Einfluss der Stauungshyper- ämie auf den Lymphstrom. Alle Beobachter ohne Ausnahme fanden die Ausscheidung und den Strom der Lymphe dadurch ganz er- heblich vermehrt.

Die ersten Versuche über diesen Gegenstand machte T h o m s a i) : Behinderte er bei unverändertem Arterienzufluss den venösen Blut- strom am Samenstrang, so wurde der Strom in den zugehörigen Lymphge fassen erheblich vermehrt.

Emminghaus^) machte denselben Befund bei den Beinen von Versuchstieren, ebenso Gonitschewsky^), ein Schüler Cohn- h e i m's. Er erzeugte die Stauungshyperämie durch Gipsbrei, welchen er in die Venen künsthch blutleer gemachter Gheder einspritzte und darin erstarren liess. War dies geschehen, so wurde der Blut- strom freigegeben, und es entstand eine sehr bedeutende Stauungs- hyperämie. Diese hatte eine starke Erweiterung der Lymphgefässe und sehr vermehrten Lymphstrom zur Folge. Die aufgefangene Lymphe war dünnflüssig, enthielt viele rote und wenig weisse Blut- körperchen und hatte nur geringe Gerinnungsfähigkeit.

Pugliese*) machte ähnliche Beobachtungen, wenn er durch Zusammendrücken der Vena subclavia eine Stauungshyperämie im Vorderbein eines Versuchstieres erzeugte. Nur fand er in der Mehr- zahl der Fälle keine Veränderung der Farbe und der festen Bestand- teile der Lymphe. Dieser Unterschied gegen die Befunde des vorigen Beobachters erklärt sich daraus, dass jener durch seinen

1) Thomsa, Wiener Sitzungsbericht. 46. Bd. II. Abschnitt. Zitiert nach Paschutin. Das Original war mir nicht zugänglich.

2) Emminghaus, 1. c.

3) Gonit sehe wsky, Über Stauungsödem. Virchow's Archiv. Bd. 77. S. 65.

4) Pugliese, Beitrag zur Lehre von der Lymphbildung. Pflüger's Archiv 1898. 72. Bd. S. 603.

9*

]^32 Allgemeiner Teil.

Gipsbrei eine ganz gewaltige, Pugliese durch das Zusammen- drücken der Vena subclavia nur eine geringe Stauung hervor- brachte.

Schon früher hatte Lassar^) bewiesen, dass auch Entzündung den Lymphstrom beträchthch vermehrt. Er kam deshalb zu der Überzeugung, dass sowohl Stauung als Entzündung den Lymph- strom ganz bedeutend verstärken. Aber beide Lymphsorten zeigten erhebhche Verschiedenheiten: die Entzündungslymphe ist eine gelb- Uche, zähe, leicht gerinnende Flüssigkeit, enthält sehr viel weisse, aber nur wenig rote Blutkörperchen, und hinterlässt beim Ein- trocknen Rückstände, welche die der normalen Lymphe beträcht- lich, die der Stauungslymphe um das Mehrfache übertreffen. Die Stauungslymphe dagegen ist eine dünnflüssige, leicht rötliche und unvollständig gerinnende Flüssigkeit mit sehr viel roten und wenig weissen Blutkörperchen. Machte Lassar am entzündeten Beine eines Versuchstieres eine arterielle Hyperämie vermittels Durch- schneidung des Nervus ischiadicus, so blieb dies ohne jeden Ein- fluss auf den Lymphstrom.

Alle diese Untersucher verursachten ihre Stauungshyperämie durch Unterbinden oder Zusammendrücken grosser Venenstämme, durch Einspritzen von Gipsbrei oder unvollkommene Umschnürung des betreffenden Gliedes, wie wir es bei unserer Stauungshyperämie machen. Aber auch in letzterem Falle fingen sie die Lymphe natürhch aus einem Gefässe unterhalb des abschnürenden Bandes auf. Der Abfluss der Lymphe war also bei keinem ihrer Versuche behindert.

Ganz anders liegen die Verhältnisse bei unserer Stauungs- hyperämie, welche wir mit der Binde und mit Schröpfappa- raten erzeugen. Wir schnüren die Lymphgefässe mit ab, und, da diese noch zartere Wände haben als die Venen, so machen wir höchstwahrscheinlich auch eine noch vollkommenere Lymph- als Blutstauung.

Jene Versuche, deren Richtigkeit wohl bei den übereinstimmen- den Ergebnissen nicht zu bezweifeln ist, kommen also bei uns nur insofern in Betracht, als wir annehmen müssen, dass nach Abnahme der stauenden Binde, also in den Pausen, der Lymphstrom ver- mehrt ist.

1) Lassar, Über Ödem und Lymphstrom bei der Entzündung. Virchow's Archiv. 69. Bd. S. 516.

Beeinflussung des Lymphstromes durch hyperämisierende Mittel. ISS

Ich bemerkte schon, dass es eine Art von Stauung gibt, welche ich früher mit dem Namen ,, weisse Stauung" bezeichnet habe, die mir hauptsächhch die Lymphe zurückzuhalten scheint. Dabei tritt die Hyperämie gänzlich in den Hintergrund, aber die Gheder schwellen trotzdem an und werden ödematös. Da die Hyperämie fehlt, so sieht die Haut dabei weiss aus. Man sieht diese Form der Stauung recht selten, ich habe sie bei tuberkulösen Gelenken beobachtet und liebe sie nicht, da sie sich gänzlich unwirksam zeigte.

Allgemeine Wirkungen der Hyperämie.

Schmerzstillende Wirkung der Hyperämie.

Es gibt kaum eine Wirkung der Hyperämie, welche mehr in die Augen fällt, als die Linderung der Schmerzen bei schmerz- haften Krankheiten. Diese Eigenschaft haben aktive wie passive Hyperämie. So sehen wir es fast regelmässig, dass ein Gelenk, welches von schmerzhaftem chronischen Rheumatismus befallen ist, unmittelbar nachdem es einer einstündigen Behandlung im Heiss- luftkasten ausgesetzt war, weniger empfindlich, zuweilen ganz un- empfindlich wird.

Noch viel deuthcher ist der Einfluss der Stauungshyperämie auf die rasend schmerzhafte schwere Form der gonorrhoischen Ge- lenkentzündung. Hier bessern sich die Schmerzen schon 14 bis 1 Stunde nach Anlegung der Gummibinde. Wie hochgradig und wunderbar gerade in diesen Fällen die Schmerzstillung ist, werde ich im weiteren Verlaufe dieser Arbeit noch beschreiben.

Aber auch bei allen möghchen anderen schmerzhaften Krank- heiten, bei welchen die Hyperämie überhaupt mit Nutzen anwend- bar ist, ist die Schmerzherabminderung immer ihre hervorragendste Erscheinung. So beseitigen die verschiedenen Formen der Hyper- ämie Neuralgien und Kopfschmerzen und setzen die EmpfindUch- keit von Gelenken, die aus den allerverschiedensten Ursachen schmerzhaft sind, ganz erheblich herab.

Anfangs, als meine Versuche mit Hyperämiebehandlung sich nur auf eine beschränkte Zahl von Krankheiten bezogen, neigte ich zu der Annahme, diese sonderbare Schmerzstillung als mittelbar anzusehen, insofern als die Krankheitsursache, welche den Schmerz hervorrufe, durch die Hjrperämie günstig beeinflusst werde, und mit

Schmerzstillende Wirkung der Hyperämie. 135

ihrem Zurückgehen auch ihre Symptome, zu welchen die Schmerz haftigkeit gehört. Ich bin noch immer der Ansicht, dass dies bei der Beseitigung des Schmerzes sehr wohl eine Rolle spielen kann Wir können uns vorstellen, dass die aktive Hyperämie giftige Stoffe welche diu-ch Schädigung der Nervenenden Schmerz hervorrufen hinwegschwemmt, und die passive Hyperämie sie verdünnt. Etwas Ähnliches könnte sogar bei den verletzten Gelenken, wo die Hyper- ämie ebenfalls schmerzstillend wirkt, in Frage kommen. Indessen müssen wir doch wohl die Herabsetzung der Empfindlichkeit als eine allgemeine Eigenschaft der Hyperämie ansehen. Dies geht schon daraus hervor, dass die Schmerzstillung in manchen Fällen so ausserordenthch schnell in Bruchteilen einer Stunde ein- tritt, dass von irgend einem ernsthaften Einfluss des Mittels auf die Krankheitsursache keine Rede sein kann.

Was die Erklärung der schmerzlindernden Wirkung der Hyper- ämie anlangt, so verweise ich auf die Arbeiten Ritte r's^); er wies experimentell nach, dass jede Form der Hyperämie die Schmerz- empfindung mildert. Er glaubt, dass die seröse Durchtränkung der Gewebe die Empfindlichkeit der Nerven herabsetzt, in ähn- Hchem Sinne, wie dies Schleich in seinen bekannten Versuchen für alle möglichen ödematisierenden Mittel nachwies.

In anderer Weise erklärt Bu m^) die Herabsetzung der Schmer- zen kranker Gelenke durch Stauungshyperämie. Er weist darauf hin, dass diese eine Vermehrung des Gelenkinhaltes und dadurch eine Verminderung der Flächenberührung der kranken Gelenkenden her- vorbringe. Sie müsse also in ähnlichem Sinne schmerzstillend wirken, wie ein Streckverband. Meines Erachtens wird diese Erklärung da- durch hinfällig, dass Hyperämie bei zahlreichen Weichteilerkran- kungen, wo derartige Verhältnisse gar nicht in Betracht kommen, genau ebenso die Schmerzen herabsetzt.

Aktive und passive Hyperämie wirken auf eine Reihe von Krank- heiten in gleicher Weise schmerzstillend, z. B. bei allen chronischen schmerzhaften Gelenkversteifungen, mögen sie nun durch chronischen

1) Ritter, Die natürlichen schmerzlindernden Mittel des Organismus. Verhandlixngen der deutschen Gesellschaft für Chirurgie. 31. Kongress 1902, und: Archiv für klinische Chirurgie. 68. Band. S. 429, imd: Die praktische Bedeutung der natürlichen Schmerzlinderung. Die Heilkunde. VII. Jahrgang. 5. Heft. 1903.

2) Bum, Die Behandlung von Gelenkerkrankungen mittels Stauung. Wiener med. Presse. 1905. Nr. 3 u. 4.

]^3g Allgemeine Wirkungen der Hyperämie.

Rheumatismus, Arthritis deformans, Verletzungen oder andere Ur- sachen entstanden sein. Bei allen schmerzhaften Infektionskrank- heiten, z.B. gonorrhoisch, akut rheumatisch, tuberkulös erkrankten Gelenken, allen phlegmonösen Prozessen, ist zweifellos die passive Hyperämie, wie in jeder Beziehung, so auch in der schmerzstillenden Wirkung das überlegenere Mittel, während, wie mir scheint, auf Neuralgien wieder die aktive Hyperämie viel besser wirkt.

Jedenfalls müssen wir vollständig mit der alten Ansicht brechen, dass Hjrperämie, z. B. die entzündhche Hjrperämie als solche, Schmerzen hervorriefe, im Gegenteil, diese entstehen durch die Schädigung der Zellen und der Nervenendigungen, welche mit jeder Entzündung verbunden ist, und die nachfolgende Hyperämie mit ihren Veränderungen setzt, weit entfernt, die Schmerzen zu ver- mehren oder hervorzurufen, diese vielmehr herab. Die längst be- kannte ,, thermische" Schmerzlinderung ist meines Erachtens ledig- lich durch H3rperämiewirkung erzeugt, und es war ein grober Irrtum, wenn man sie sich allgemein dadurch erklärte, dass die Hitze durch Ableitung die schmerzhaften Teile von Blut entlaste, oder, wie man gewöhnüch sagte, sie ,,dekongestioniere". Genau so verhält es sich mit anderen hjrperämisierenden Mitteln. Ich erwähnte schon, dass die von alters her gebrauchten chemischen Derivantien schmerz- linderndwirken. Auch die trockenen Schröpfköpfe haben ihren alten Ruf als Schmerzstiller bis auf den heutigen Tag, insbesondere bei schmerzhafter Pleuritis sicca und bei Lumbago bewahrt. Freilich auch von ihnen meinte man, dass sie ihre wohltätige Wirkung durch Anämisierung der blutüberfüllten schmerzhaften Teile ent- falteten. Unverrichti) glaubte sogar an den Leichen infolge Pleuritis verstorbener Leute, denen im Leben Schröpfköpfe gesetzt waren, eine Anämie der Pleura nachweisen zu können; er sagt:

,,Eine andere Möghchkeit, die Schmerzen zu lindern, besteht in der Anwendung ableitender Verfahren, welche vor aUen Dingen darauf abzielen, die Hyperämie der entzündeten Pleura zu ver- mindern. Gehngt es, die Kongestion zu beseitigen, dann bleibt auch eine schmerzhndernde Wirkung nicht aus. Am meisten ist in dieser Beziehung von Schröpf köpfen zu erwarten. Ich habe mich selbst davon überzeugt, dass die Stelle der Pleura, an welcher

1) Unverricht, Krankheiten des Brustfells und des Mittelfells, im Hand- buch der praktischen Medizin von Ebstein u. Schwalbe. I. Band. S. 405. Stuttgart 1905.

Schmerzstillende Wirkung der Hyperämie. 237

die Schröpfköpfe gesessen haben, an der Leiche noch durch eine geringere Gefässfüllung nachweisbar ist. Es wird anscheinend der Blutstrom durch die Saugkraft des Schröpfkopfes nach aussen ab- gelenkt."

Dies steht in einer Abhandlung vom Jahre 1905! Man sieht, wie schwer es ist, alteingewurzelte Vorurteile zu beseitigen. Ich kämpfe seit Jahren vergeblich gegen die Ansicht, dass Hyperämie Schmerz erzeuge.

Ich wiederhole Unverricht gegenüber, was ich schon im Kapitel über ,,Derivantien" gesagt habe, dass sich aus der Blutver- teilung in der Leiche keine Schlüsse für die am Lebenden ableiten lassen.

Meine Entdeckung der schmerzlindernden Wirkung der passiven Hyperämie vollends steht im schroffsten Widerspruche zu den bis- her geltenden ärztlichen Anschauungen, denn man nahm es als vollständig selbstverständlich und durch die tägliche Erfahrung er- wiesen an, dass Blutstauungen Schmerzen hervorriefen. So weiss ich denn auch, dass man meine Bestrebungen, mit Stauungshyper- ämie Schmerzen, besonders an entzündeten Gliedern, stillen zu wollen, mit bedenklichem Kopfschütteln aufgenommen hat. Es fällt mir aber trotzdem nicht ein, mich hier mit der Beweisführung auf- zuhalten, denn wenn irgend etwas in der Medizin leicht zu zeigen ist, so ist es dies, und jeder, der sich ernsthaft davon überzeugen will, kann dies jederzeit ohne besondere Kunst und Mühe tun. Nur bitte ich, wenn man diese Versuche nachmacht, sie auch richtig anzustellen und nicht die Stauungsbinden so fest anzuziehen, dass durch schwere Ernährungsstörungen der Gewebe und Druck auf die Nerven die heftigsten Schmerzen entstehen. Ich muss denjenigen, welche berichtet haben, dass Stauungshjrperämie Schmerzen bereite, nur immer wieder entgegnen, dass sie mit der Technik nicht um- zugehen wissen.

Übrigens hätten zahlreiche Beobachtungen uns längst davon überzeugen sollen, dass die Hyperämie, auch die entzündliche und ihre Folgen, schmerzstillend wirkt. Denn, um zwei Beispiele zu nennen, die sehr schmerzhafte Kieferperiostitis bei Zahnkaries schmerzt rücht mehr, wenn die Backe, der Knochenbruch, wenn das GHed anschwillt.

Ganz im Gegensatz dazu aber hielt man an der hergebrachten Ansicht fest, dass die Hyperämie Schmerzen erzeuge. Es war eine logische Folge dieser Anschauung, dass man in der Chirurgie all-

]^38 Allgemeine Wirkiingen der Hyperämie.

gemein die Hochlagerung gegen die Schmerzen der Entzündung anwandte und niemand an der Überzeugung zu rüttehi wagte, dass sie das vornehmste und natürhchste Mittel gegen den Entzündungs- schmerz darstellte. Die Erfahrung und der Erfolg schienen diese Ansicht auf das schlagendste zu bestätigen. Denn jedermann weiss, dass im entzündeten Körperteile ein heftiger klopfender Schmerz entsteht, wenn man ihn herabhängen lässt, und dass der Schmerz aufhört oder sich bessert, wenn man das entzündete Ghed hoch- lagert.

Und doch ist diese Anschauung grundfalsch. Zweifellos hört der klopfende Schmerz bei der Hochlagerung bald auf, aber sehr bald stellen sich andere heftig schmerzhafte Empfindungen ein. So habe ich oft gehört, dass Kranke, deren Arme wegen sehr schmerzhafter Sehnenscheidenphlegmonen hochgehangen waren, über heftige Schmerzen und Unbequemhchkeiten klagten, und um eine andere Lagerung ihrer Gheder baten. Man entgegnete ihnen dann: ,,Die Hochlagerung muss beibehalten werden, sonst hätten sie noch viel mehr Schmerzen." Ich kann mich in dieser Be- ziehung sehr kurz fassen. Denn ich habe an zahllosen Fällen be- wiesen, dass die heftigen Schmerzen der Phlegmonen durch eine kräftige Stauungshyperämie gemildert werden, eine Tatsache, die neuerdings von vielen Seiten bestätigt ist, weiui auch zugegeben werden muss, dass die Stauung im ersten Augenbhck den klopfen- den Schmerz im Entzündungsherde häufig steigert.

Die schmerzstillende Wirkung der Hyperämie ist nicht nur in- sofern nützhch, als sie für den Kranken angenehm ist. Sie ist es hauptsächhch, welche bald nach ihrer Anwendung versteiften GHedern ihre Beweghchkeit wiedergibt. Denn die Versteifungen der Gelenke bei allen möglichen Entzündungen sind nur zu einem Teile durch grob anatomische Ursachen bedingt, zum andern Teil werden sie durch Muskelkontrakturen herbeigeführt und unter- halten, deren erste Ursache die schmerzhafte Nervenreizung im Gelenke darstellt. Zugleich mit ihr verschwindet auch ihr Folge - zustand, die Kontraktur. Nur so ist es zu erklären, dass unmittel- bar nach Anwendung eines hyperämisierenden Verfahrens versteifte Gelenke beweglich werden.

Allerdings treten gewöhnhch sehr bald nach dem Aussetzen des Mittels Schmerz und Versteifung wieder ein, und es wäre immerhin mehr ein Scheinerfolg, wenn die Hyperämie weiter nichts erreichte, als eine Herabsetzung des Schmerzes während oder auch

Bakterientötende oder abschwächende Wirkung der Hyperämie. X39

noch eine Zeitlang nach ihrer Dauer. Glücklicherweise aber hat dasselbe Mittel noch zahlreiche Wirkungen, welche die Krankheits- ursache und ihre anatomischen Folgezustände günstig beeinflussen, so dass bald die Schmerzhaf tigkeit kranker Teile nicht nur unmittel- bar durch die Hyperämie, sondern vor allem mittelbar durch Besserung der Krankheit abnimmt oder verschwindet, wovon gleich die Rede sein soll. Trotzdem müssen wir aber der reinen schmerz- stillenden Wirkung der Hyperämie eine bedeutende Rolle zu- schreiben. Sie bewahrt die Glieder vor dem Festwerden in fehler- haften Stellungen, welche die reflektorische Kontraktur mit sich führt, und gestattet, frühzeitig passive Bewegungen vorzunehmen und sonst unvermeidliche anatomische Versteifungen zu umgehen.

Bakterientöteiide oder abschwächende Wirkung der Hyperämie.

Wenn man Fälle von Infektionskrankheiten, wie die später noch zu beschreibenden, beobachtet, welche nicht nur mit grosser Geschwindigkeit unter Stauungshjrperämie sich bessern und aus- heilen, sondern wo auch sofort mit der Anwendung des Mittels plötzhch ein Umschwung in der Krankheit eintritt, so wird man kaum im Zweifel sein, dass es sich hier um eine regelrechte Ab- tötung oder wenigstens Abschwächung der verursachenden Krank- heitserreger handelt. Der experimentelle Beweis dafür, dass die Stauungshyperämie diese Fähigkeit hat, ist in neuerer Zeit von Nötzeil) erbracht worden. Es gelang ihm in 51 von 67 Fällen, Kaninchen, welchen er in Körperteile, die unter dem Einflüsse einer kräftigen Stauungshjrperämie standen, sonst sicher tötende Gaben von Milzbrandbazillen und sehr virulenten Streptokokken einimpfte, am Leben zu erhalten. Nur 16 Tiere starben. Es waren das aus- nahmslos solche Tiere, bei denen die Art des Ödems ,,von vorn- herein den Charakter einer Ernährungsstörung trug". Es ist also bei diesen tödlich verlaufenden Fällen diejenige Stauungshyperämie verwendet, die ich ,, kalte Stauung" genannt und deren Unwirksam- keit und Schädlichkeit ich schon öfters betont habe.

1) Nötzel, Über die baktericide Wirkung der Stauungshyperämie nach Bier. Archiv für klin. Chiriorgie. 60. Bd. I. Heft, und: Verhandlungen der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. 28. Kongress. 1899. II. Bd. S. 661.

240 Allgemeine Wirkungen der Hyperämie.

Dass in der Tat die Stauungshyperämie ganz allein den Tod verhindert hatte, geht daraus hervor, dass dieselben Tiere sämt- lich einige Wochen später, mit denselben Bakterien ohne Stauungs- hj^erämie geimpft, an der Infektion zugrunde gingen, ebenso wie alle KontroUtiere.

Nun ist ja allerdings die künsthche frische Infektion etwas ganz anderes, als eine auf natürhchem Wege entstandene und ein- gewurzelte Infektionskrankheit, wo die Bakterien sich bereits den Verhältnissen des Körpers und wahrscheinlich auch bis zu einem gewissen Grade seinen Abwehrvorrichtungen angepasst haben. Nichtsdestoweniger aber haben Nötzel's Versuche einen hohen Wert, da sie zweifellos zeigen, dass die Stauungshyperämie als solche bakterientötende Eigenschaft hat.

Nötzels Versuche sind vor kurzem von v. Baumgarteni) und Hey de am gestauten Kaninchenbein nachgemacht. Was den Milzbrand anlangt, so kommen sie zu denselben Resultaten wie Nötzel. Dagegen verliefen die Staphylokokkenversuche schon weniger günstig. Zwar heilten kleinere Haut- und Gelenkeiterungen unter Stauungshyperämie rascher aus als ohne dieselbe, ausgedehn- tere Abscedierungen erfuhren dagegen unter Stauung eher eine VerschHmmerung, und so gut wie wirkungslos blieb das Mittel bei der experimentell erzeugten Gelenktuberkulose der Kaninchen.

Trotz dieser bei Staphylokokken- und Tuberkelbazilleninfek- tion sehr schlechten Ergebnisse sind die bei der Milzbrandinfek- tion durch V. Baumgarten erzielten Resultate, die eine Be- stätigung der Nötzel' sehen Versuche darstellen, von grosser prinzipieller Wichtigkeit für meine Lehre, da sie zeigen, dass eine sonst für das Versuchstier unter aUen Umständen tödliche Infek- tion durch Stauungshyperämie vollständig unterdrückt werden kann.

V. Baumgarten's Experimente über Staphylokokken- und Tuberkuloseinfektion stimmen nun durchaus nicht mit den klini- schen Resultaten, die ich und viele andere am Menschen erzielten, überein: Es kann das ja, wie bei so vielen anderen Versuchen, daran hegen, dass Menschen und Kaninchen doch immerhin ver- schiedene Dinge sind, und eine künstliche Impfung etwas ganz anderes bedeutet, als eine natürliche Infektion. Ich kann aber

1) V. Baumgarten, Experimente über den Wert der Bier 'sehen Stauung auf infektiöse Prozesse. Münchner med. Wochenschr. 1906. Nr. 48.

Bakterientötende oder abschwächende Wirkung der Hyperämie. 141

auch den Einwand nicht unterdrücken, der gegen v. Baumgarten's Versuche schon durch v. Brunn i) gemacht wurde, dass es nur sehr schwer gelingen dürfte, den von mir geforderten richtigen Grad der Stauung am Kaninchenbein hervorzurufen. Sind wir doch beim Menschen ganz wesentlich auf dessen eigene Angaben angewiesen, um die Stauungshyperämie richtig zu dosieren. Mir ist es gerade so gegangen, wie v. Brunn. Ich habe mehrmals jüngere Kollegen veranlasst, Stauungshyperämie gegen experimen- telle Infektionen am Kaninchenbein anzuwenden. Sie sind gar nicht zu den Infektionsversuchen gekommen, denn ich musste ihnen immer sagen, dass das, was sie mir als richtig gestaute Kaninchenbeine zeigten, etwas ganz anderes sei, als ich unter einer gegen Infektionen wirksamen Stauungshyperämie verstehe, und deshalb ihre Versuche zwecklos seien.

Auf die bakterientötende Kraft des Stauungsödems wies vor allem Joseph^) hin und Colley^) glaubt, sie auf folgende Weise bewiesen zu haben: Mit dem staphylokokkenhaltigen Eiter eines Ellbogengelenkempyemes impfte er Mäuse. Alle wurden krank, die Mehrzahl ging unter septischen Erscheinungen zu Grunde. Dann fertigte er eine Aufschwemmung des Eiters in Bouillon an. Die Hälfte davon bewahrte er unverdünnt auf, der anderen Hälfte setzte er die dreifache Menge von Ödemflüssigkeit zu, die er aus dem gestauten entzündeten Gliede gewonnen hatte. Infizierte er nach 24 Stunden mit dem unverdünnten Bouillon- eiter eine Maus, so ging sie meistens zu Grunde, während die Impfung mit dem Eiter, dem Ödemflüssigkeit zugesetzt war, die Mäuse wohl krank machte, aber nicht eine einzige tötete. Die aus dem gestauten gesunden Arme desselben Menschen ent- nommene Ödemflüssigkeit übte dagegen gar keinen oder nur einen geringen Einfluss auf die Virulenz des Eiters aus. Co Hey wiederholte diesen Versuch bei den verschiedensten Eiterungs- arten mit demselben Resultate. Er schliesst aus diesen Er- fahrungen, dass die Ödemflüssigkeit eines entzündeten Körper-

1) Münchner med. Wochenschr. 1906. Nr. 48. S. 2370. '

2) Joseph, Einige Wirkungen des natürUchen Ödems und der künstlichen ödemisierung. Münchner med. Wochenschr. 1905. Nr. 40.

3) Co Hey, Beobachtimgen xmd Betrachtungen über die Behandlung akut eitriger Prozesse mit Bier 'scher Stauungshyperämie. Münchner med. Wochenschr. 1906. Nr. 6.

14:2 Allgemeine Wirkungen der Hyperämie.

teiles höhere bakterientötende Eigenschaften hat als die eines nicht entzündeten.

Laqueuri) prüfte die bakterientötende Kraft des aus Stauungs- blut gewonnenen Serums in Reagenzglas versuchen. Er entnahm Kapillarblut aus den Fingern gesunder und an chronischem Rheu- matismus erkrankter Personen, und verglich zwei Proben auf ihre bakterientötende Kraft, von denen die eine vor, die andere einige Zeit nach dem Liegen der Stauungsbinde entnommen war. Die Versuche zeigten, dass die bakterientötende Kraft des aus Stauungs- blut gewonnenen Serums deutHch, wenn auch nicht sehr erhebhch erhöht war.

Auch gegen diese Untersuchungen kann man einwenden, dass Reagenzglas versuche nichts für den lebenden Körper beweisen, und dass das von gesunden und besonders chronisch rheumatisch er- krankten Personen stammende Blut etwas ganz anderes ist, als das Blut, welches in einem akuten Entzündungsherde kreist, zumal sich in letzterem eine viel energischere heisse Stauung hervor- rufen lässt.

Übrigens bestreitet v. Baumgarten in seiner obenerwähnten Arbeit diese Versuchsergebnisse. Denn Hey de ermittelte durch genaue Untersuchungen, dass die baktericide Kraft des Stauungs- transsudates entschieden geringer ist, als die des Blutserums desselben Tieres.

Sehr interessante hierher gehörige Versuche machte Wessely^), Er wies zunächst nach, dass nach warmen Umschlägen auf das Kaninchenauge der Gehalt des an sich sehr eiweissarmen Kammer- wassers an Eiweiss sehr stark zunimmt. Da das letztere nur aus dem Blute stammen kann, so nimmt Wessely mit Recht an, dass die durch die Wärme erzeugte Hyperämie den Grund der Eiweiss- zunahme abgibt.

Da nun die Antikörper des Blutes, ihrer kolloidalen Be- schaffenheit entsprechend, in demselben Masse wie andere Eiweiss - körper aus den Gefässen austreten, so vermutete Wessely, dass man bei künstlich immunisierten Tieren durch hyperämisierende

1) Laqueur, Über den Einfluss der Bier'schen Stauixng auf die bakteri- cide Kraft des Blutes. Zeitschrift für experimentelle Pathologie und Therapie. 1905. 1. Bd.

2) Wessely, Zur Kenntnis der Wirkung lokaler Reize luid lokaler Wärnae- applikation (nach Experimenten am Auge). Archiv für klinische Chirurgie- Band 71. Heft 2.

Bakterientötende oder abschwächende Wirkung der Hyperämie. 14:3

Mittel die Antikörper in vermehrter Menge an bestimmten Stellen anhäufen könnte. Diese Vermutung wurde durch Versuche bestätigt. Er fand, dass durch Immunisierung der Versuchstiere erzeugte Antikörper (er wählte der Einfachheit des Nachweises halber Hämolysin und Typhusagglutinin) normalerweise nur in ganz ge- ringen Mengen in das Kammerwasser übergehen, bei Anwendung von lokalen Reizen, besonders Wärme, dagegen erheblich an Menge zunehmen. Dies lässt sich leicht quantitativ mittels der Hämo- lyse und der Widal'schen Probe nachweisen.

Wessely schlägt deshalb vor, in geeigneten Fällen die hyper- ämisierende mit der Serumbehandlung zu verbinden, um die Immunkörper der erkrankten Stelle in vermehrter Menge zu- zuführen.

Schon früher hatte Wesselyi) den Nachweis geführt, dass andere lokale Reize denselben Einfluss ausübten. Spritzte er 5 10% Kochsalzlösungen subkonjunktival bei Kaninchen ein oder bepinselte er die Bindehaut des Auges mit einem feinen Haar- pinsel, so nahm ebenfalls der Gehalt des Kammerwassers an Eiweiss und bei Tieren, die mit fremdartigem Blut oder Tjrphus immunisiert waren, an Hämolysin und Typhusagglutinin zu. Alle diese Tier- und Reagenzglasversuche aber werden weit in den Schatten gestellt durch absolut beweisende Beobachtungen, welche ich an kranken Menschen machte: Ich konnte mehrmals durch Probepunktion nachweisen, dass grosse heisse Abszesse, die massen- haft Staphylokokken enthielten, und aus denen sich kulturell eine Reinkultur von Staphylokokken züchten Hess, allein durch Stau- ungshyperämie und ohne jeden weiteren chirurgischen Eingriff in kurzer Zeit steril wurden und, nachdem sie sich inzwischen in klares Serum verwandelt hatten, spurlos verschwanden.

Man hat natürHch die bakterientötende Wirkung der Hyper- ämie mit den zurzeit herrschenden Theorien über die Schutzkraft der einzelnen Blutbestandteile in Einklang zu bringen und zu er- klären versucht.

So ist Buchner 2) der Ansicht, dass es sich bei der Stauungs- hyperämie nicht nur um Blutstauung, sondern um vermehrte An- sammlung von Leukocyten am Infektionsorte handele, welche durch

1) Wessely, Experimentelles über subkonjunktivale Injektionen. Deutsche med. Wochenschrift 1903. Nr. 7 u. 8.

2) Buchner, Über die natürlichen Hilfskräfte des Organismus gegenüber den Krankheitserregern. Münchner med. Wochenschr. 1894. Nr. 30.

\^4: Allgemeine Wirkungen der Hyperämie.

Ausscheidung von Alexinen in das Serum die Infektionserreger abtöten. In späteren Arbeiten i) lässt er die Verdauung und Auf- lösung der Bakterien ebenso wie anderer organischer Stoffe im Körper durch Enzyme, welche das Blut, und insbesondere seine zerfallenen Leukocyten enthält, vor sich gehen.

Heller^) meint, dass die Stauungshyperämie die Stoffwechsel- produkte der Bakterien zurückhält und diese alsdann ihre Erzeuger abtöten. Wir hätten also dann z. B. bei der Heilung der Tuber- kulose eine Art von Tuberkuhnwirkung.

Cornet^) erklärt die heilende Wirkung der Stauungshjrperämie bei Tuberkulose in ähnlicher Weise wie Heller. Er sieht eben- falls in der Zurückhaltung der Stoffwechselprodukte der Tuberkel- bazillen das Wesentliche, erblickt aber den Heilungsvorgang nicht in der vernichtenden Wirkung derselben auf ihre Erzeuger, sondern glaubt, dass sie das Gewebe zur Bindegewebsneubildung und Narbenbildung reizen, welche den Infektionsherd abkapseln und unschädlich machen.

Richter*) glaubt, dass ,,die Erfolge des Verfahrens (Stauungs- hyperämie) hauptsächUch auf der verursachten Zirkulationsstörung mit nachfolgender Randstellung und Emigration von Leukocyten beruhen". Er sieht in der Stauungshyperämie nichts als die Her- vorrufung der mildesten Form der Entzündung und stellt sie an- deren Behandlungsverfahren, welche in demselben Sinne wirken (Tuberkuhn, Zimtsäure, Chlorzink, Jodoform), zur Seite.

Nötzel^) teilt Buchner' s Ansicht, dass die Heilwirkung der Stauungshj^erämie durch eine Konzentration der baktericiden Kraft des Blutes am Infektionsorte zustande kommt, zumal ihn die mikroskopische Untersuchung belehrte, dass in dem entstehenden Transsudat eine grosse Menge von Leukocyten vorhanden war. Er glaubt deshalb, dass die Schutzwirkung desselben der des normalen Blutserums noch überlegen ist.

1) Buchner, Natürliche Schutzvorrichttingen des Organismus und deren Beeinflussung zum Zweck der Abwehr von Infektionsprozessen. Münchner med. Wochenschr. 1899. Nr. 39 u. 40, und: Zur Lehre von der natürlichen Immunität. Münchner med. Wochenschr. 1899. Nr. 43.

2) In einer Diskussion im Kieler physiologischen Verein in Kiel geäussert.

3) Cornet, Die Tuberkulose. In Nothnagel's spezieller Pathologie und Therapie. Wien 1899. S. 545 u. 546.

4) Richter, Über neuere Behandlungsmethoden der Tuberkulose. Schmidt's Jahrbücher. 1893. Bd. 239. S. 180.

5) Nötzel, 1. c.

Bakterientötende oder abschwächende Wirkimg der Hyperämie. ]^45

In anderer Weise hat Hamburger^) die heilende Wirkung der Stauungshyperämie erklärt: Durch die Stauung wird das Blut reicher an Kohlensäure, und dieser Kohlensäurereichtum steigert das baktericide Vermögen des Serums, einmal weil die Kohlensäure selbst bakterientötend wirkt, dann weil unter ihrem Einflüsse die roten Blutkörperchen quellen, dem Serum Wasser entziehen und seine Konzentration erhöhen, und schhesshch, weil das Serum an diffusiblem AlkaH zunimmt. Das letztere geschieht teils, weil mit der grösseren Konzentration des Serums auch der Prozent - gehalt an Alkali zunimmt, teils weil unter dem Einfluss der Kohlen- säure Alkali aus den Blutkörperchen in das Serum übergeht, und durch Zersetzung von Albuminaten des Serums diffusibles Alkali frei wird.

Nun beweisen zahlreiche bakteriologische Untersuchungen 2) den Einfluss des Alkalis auf die antibakterielle Wirkung der Blut- flüssigkeit. So ist z. B. nach v. Behring die Empfänglichkeit der Ratten gegen Milzbrand von der Alkaleszenz des Blutes abhängig. V. Fodor konnte durch Einspritzen von Alkali in die Blutbahn die Widerstandsfähigkeit gegen Milzbrand steigern und umgekehrt durch Einspritzen von Milchsäure verringern. Ferner ist bei im- munisierten Tieren eine Steigerung der Blutalkaleszenz vorhanden.

Für die Richtigkeit seiner Anschauungen führt Hamburger noch eine Reihe von ärztlichen Beobachtungen an, so die Seltenheit der Tuberkulose bei Kalkarbeitern, welche während eines grossen Teiles ihres Lebens stark kohlensäurereiche Luft einatmen, und ihre Häufigkeit bei Proletariern, welche sich besonders mit Kartoffeln nähren. Die letztere Beobachtung soll sich daraus erklären, dass Pflanzennahrung die Alkaleszenz des Blutes vermindert, Fleisch- nahrung sie erhöht

Hamburger konnte ferner nachweisen, dass das baktericide Vermögen der Blutflüssigkeit bei venöser Stauung zunimmt und worauf er besonders Gewicht legt dass die entstehende Ödem- lymphe kräftiger baktericid ist, als das entsprechende Blutserum, welches sonst die normale Lymphe übertrifft. Da nun die Bakte- rien meist in den Lymphspalten liegen, ist dieser Befund be-

1) Hamburger, Über den Einfluss von Kohlensäure bzw. von Alkali auf das antibakterielle Vermögen von Blut- und Gewebsflüssigkeit, mit beson- derer Berücksichtigung von venöser Stauung und Entzündtmg. Virchow's Archiv. 156. Bd. 2. Heft. S. 329. 1899.

2) Literatur s. im Original.

Bier, Hyperämie als Heilmittel. 10

246 Allgemeine Wirkungen der Hyperämie.

sonders wichtig und erklärt die günstige Wirkung der Stauungs- hyperämie.

Auch das baktericide Vermögen der Exsudatflüssigkeiten wird durch Kohlensäure vermehrt, und zwar um so mehr, je mehr die Flüssigkeit Leukocyten enthält.

In einer zweiten Arbeit hat Hamburg er^) den Einfluss von venöser Stauung und Kohlensäure auf die Phagocytose untersucht. Er kommt zu dem Ergebnisse, dass der Einfluss derselben auf die Chemotaxis gering ist, und nur grosse Mengen von Kohlensäure die Beweglichkeit der Leukocyten so verlangsamen, dass sie an ihrer Fähigkeit, Kohleteilchen aufzunehmen, einbüssen.

Hamburger ist vorsichtig genug, die bakterientötenden Eigen- schaften der Kohlensäure als einen unter den heilsamen Einflüssen der Stauungshyperämie anzusehen, ohne zu behaupten, dass sie das einzig wirksame Mittel sei.

Da es aus älteren Arbeiten bekannt ist, und auch die oben- genannten Untersucher bestätigen, dass bei massiger Stauungs- hyperämie — bei starker hört im Gegenteil die Auswanderung der Leukocyten auf Leukocyten in vermehrter Anzahl nach der kranken Stelle auswandern, so könnte man auch im Sinne der Metschnikof f sehen Phagocytose die günstige Wirkung des Mittels auffassen, v. Leyden und Lazarus^) fanden, dass die Leukocy- tose bei der thera,peutisch verwandten Stauungshyperämie recht er- heblich ist. Die Zahl der Leukocyten vermehrte sich im Stauungs- bezirke um das Doppelte bis Dreifache.

V. Baumgarten^) meint, dass die venöse Stauung das von ihr betroffene Gewebe schädige, doch insofern nützlich sei, als die durch sie bewirkte pathologische Veränderung des Gewebs- stoff wechseis auch auf die Bakterien, und zwar in viel höherem Masse als auf die Gewebszellen, schädigend einwirke. Die Bak- terien würden also unter Stauungshyperämie gewissermassen den Hungertod sterben. Diese Auffassung liegt sehr nahe und ist mir gegenüber schon mehrmals gesprächsweise geäussert. Ein

1) Hamburger, Über den Einfluss von venöser Stauung und Kohlen- säure auf die Phagocytose. Virchow's Archiv. 156. Bd. 2. Heft. S. 375.

2) V. Leyden und Lazarus, Über die Behandlung der Gelenkentzün- dungen mit der Bier'schen Stauungshyperäraie. v. Leuthold-Gedenkschrift. I. Band.

3) V. Baumgarten, Experimente über die Wirkung der Bier'schen Stauung auf infektiöse Prozesse. Münchner med. Wochenschr. 1906. Nr. 48.

Bakterientötende oder abschwächende Wirkung der Hyperämie. I47

hochgeschätzter Lehrer von mir, der es hebte sich drastisch und treffend auszudrücken, sagte mir mehrmals: ,,Was mühen Sie sich ab, die Wirkung der Stauungshyperämie zu erklären? Die Sache ist sehr einfach, Sie lassen die Bakterien im venösen Blute ver- hungern, ersticken und ersaufen." Aber so einfach ist die Sache durchaus nicht. Im Kapitel über die ernährende Wirkung der Hyperämie werde ich auseinandersetzen, dass der gegen akute Infektionen durch Staphylo- und Streptokokken nützliche Grad der Hyperämie durchaus keine Ernährungsstörung darstellen darf und jede stärkere Ernährungsbeschränkung sogar eine grosse Gefahr darstellt. Damit ist nicht gesagt, dass nicht für gewisse Infektionen, z. B. die mit Milzbrand, die Baum garten 'sehe Auf- fassung das Richtige trifft.

Meine Assistenten Joseph 1) und Hofmann^) haben auf den Nutzen der Durchspülung offener infizierter Wunden durch die reichliche Ödemflüssigkeit, die Stauungsgebinde und Schröpfkopf erzeugen, mit Recht hingewiesen. Lexer^) geht nun so weit, in dieser mechanischen Durchspülung des Eiterjierdes den Haupt- nutzen der Stauungsbehandlung zu sehen. Dies ist eine sehr ein- seitige Auffassung. Wie will man denn auf diese Weise die Heilung der Fälle erklären, die in diesem Buche zum Teil beschrieben sind: Ich probepunktierte wiederholt schwer vereiterte Gelenke und andere Abscesse und wies Eiter und Staphylokokken nach. Ich staute die betreffenden Glieder eine Zeit lang. Alle Erscheinungen gingen zurück. Ich machte wieder eine Probepunktion und ent- leerte steriles Serum. Hier waren also gar keine äusseren Wunden vorhanden und doch gingen die Abscesse zurück.

Aus dem Gesagten geht hervor, dass die Stauungshyperämie, rein theoretisch nach den modernen Auffassungen und Theorien betrach- tet, ein berechtigtes und logisches Mittel gegen Krankheiten sein muss, welche durch Bakterien hervorgerufen werden, denn mit keiner dieser Theorien steht sie im Widerspruch, sondern im Gegen- teil, ihnen allen wird sie gerecht.

1) Joseph, Einige Wirkungen des natürlichen Ödems und der künst- hchen ödemisierung. Münchner med. Wochenschrift. 1905. Nr. 40.

2) H o f m a n n , Veränderungen im Granulationsgewebe fistulöser f ungöser Herde durch Hyperämisierung mittelst Saugapparate. Münchner med. Wochenschr. 1905. Nr. 39.

3) Lexer, Zur Behandlung akuter Entzündungen mittelst Stauungshyper- ämie. Münchner med. Wochenschr. 1906. Nr. 4, und Verhandlungen der Deut- schen Gesellschaft für Chirurgie. 1906. I, 238.

10*

I^Q Allgemeine Wirkungen der Hyperämie.

Ich bin nun weit entfernt, jene bakteriologischen Unter- suchungen irgendwie zu unterschätzen oder ihren Wert gering an- zuschlagen, kann aber nicht umhin, zu betonen, dass sie alle an einer gewissen Einseitigkeit leiden.

Stellen wir uns heber einmal, wenn wir die Entzündung als etwas Heilsames ansehen, auf den Standpunkt, dass die Natur hier nichts umsonst tut, und dass alle die zahlreichen sehr in die Augen springenden Veränderungen, welche neben- und nacheinander ein- treten, den Zweck haben, die Infektion zu unterdrücken und ab- zuwehren. Wir werden alsdann zugestehen, dass unter den vielen Veränderungen jene obenerwähnten und durch genaue Versuche erkannten Blutbestandteile heilsam wirken, aber daneben auch be- tonen, dass ausserdem noch eine Menge Vorgänge sich abspielen, die ebenfalls nützhch sein können, welche wir aber zurzeit noch gar nicht einmal genau kennen, geschweige denn etwas von ihren Wirkungen wissen. Das einzige aber, was beim Warmblüter allen Entzündungen ohne Ausnahme von den einfachsten bis zu den schwersten gemeinsam ist, und allen anderen Erscheinungen voraufgeht, das ist die Veränderung der Zirkulation, welche bisher noch niemand genügend erklärt hat, und welche stets zu einer Hyperämie führt. Wir werden deshalb auch diesen gesetzmässigsten Vorgang, aus welchem sich alle anderen Erscheinungen nachher erst entwickeln, als den bedeutendsten und wichtigsten anerkennen müssen. Fehlt er doch selbst nicht, wenn gefässlose Teile ent- zündlich gereizt werden, auch hier ist ja die Hyperämie der um- gebenden gefässhaltigen Teile das erste, womit der Körper auf den Entzündungsreiz antwortet. Ja, es kommt oft vor, dass eine schnell verschwindende Hyperämie der einzige Reaktionsvorgang auf die Schädlichkeit des Entzündungsreizes bleibt, und es zu den weiteren Veränderungen, welche sich aus dieser Hyperämie ent- wickeln, überhaupt nicht kommt. Hier müssen wir eben an- nehmen, dass die reine Hyperämie genügt hat, die Schädlichkeit zu entfernen.

Deshalb ist es auch nur eine Nachahmung eines natürlichen Heilungs Vorganges, wenn wir gegen gewisse bakterielle Erkran- kungen die schon vorhandene Hyperämie verstärken und besonders sie da einleiten, wo sie nicht genügend vorhanden ist. Denn es ist theoretisch wohl denkbar, dass die Natur hier häufig nicht genug leistet. Wir können z.B. annehmen, dass ein Mensch, dessen Körper auf eine tuberkulöse Infektion nicht mit der genügenden Hyperämie

Bakterientötende oder abschwächende Wirkung der Hyperämie. HQ

antwortet, aus welcher sich die übrigen heilenden Entzündungser- scheinungen erst der Reihe nach entwickeln, nur aus diesem Grunde an einer Tuberkulose erkrankt, oder sie, wenn sie ausgebrochen ist, nicht selbst ausheilt. Wir können uns ungezwungen vorstellen, dass gewisse bakterielle Krankheiten nur deshalb so hartnäckig und chronisch sind, weil ihre Erreger nicht den nötigen Entzün- dungsreiz abgeben, welcher erst die heilenden Kräfte des Körpers entfesselt, und dass wir hier durch künstliche Nachhilfe die Natur wirksam unterstützen können. Denn ich habe schon mehrfach betont, dass die HiKskräfte des Körpers, wenn man auch blind sein muss, um ihre Zweckmässigkeit zu verkennen, häufig doch nur un- vollkommen sind.

Eine Krankheit, auf die der Körper nicht mit der nötigen entzündlichen Hyperämie und ihren Folgeerscheinungen reagiert, scheint mir abgesehen von den akuten entzündlichen Schüben, die bei dieser Krankheit vorkommen der chronische Gelenk- rheumatismus und einige andere chronische Gelenkkrankheiten zu sein. Die davon befallenen Menschen haben sehr häufig das Gefühl der Kälte in den kranken Gliedern, und ich konnte in einigen Fällen, welche ich darauf hin untersuchte, nachweisen, dass im Gegensatz zu tuberkulösen chronischen Entzündungen die Haut- temperatur über den chronisch rheumatischen Gelenken sehr niedrig war.

Und doch wird gerade der chronische Gelenkrheumatismus, wie ich später noch erörtern werde, durch alle Formen der Hyper- ämie zwar gewöhnlich nicht geheilt, aber sehr günstig beeinflusst. Wir hätten demnach hier eine Krankheit, wo die natürlichen Hilfsmittel der Natur regelmässig versagen, und wir sie künstlich ersetzen müssen.

Da meine damaligen Untersuchungen mit dem gewöhnlichen Haut-Quecksilberthermometer und nur an wenigen Fällen angestellt waren, so erklärte ich genauere Untersuchungen über diesen Gegen- stand für sehr wünschenswert. Diese Untersuchungen sind in- zwischen von mehreren Seiten angestellt und haben meine Be- obachtungen bestätigt. Herz i) fand über chronisch erkrankten Ge- lenken, mochten dieselben nun durch chronischen Rheumatismus, Verletzungen und Gonorrhöe entstanden sein, eine Herabsetzung

1) Herz, Über die Temperaturverhältnisse chronisch erkrankter Gelenke und gestauter GUedmassen. Berl. khn. Wochenschrift. 1903. Nr. 20.

^qQ - Allgemeine Wirkiingen der Hyperämie.

der Hauttemperatur. Sommer^) kam zu denselben Ergebnissen. Beide bedienten sich des von Herz ersonnenen Differentialluft - tliermometers ^).

Da uns dies Instrument nach eigenen Untersuchungen nicht zu- verlässig genug erschien und Meissner^) seine Mängel hervorhob, so veranlasste ich Kothe*), mit feineren Instrumenten die Messung vorzunehmen. Er wählte als das beste das thermoelektrische Ver- fahren und verwandte das Paschen' sehe sehr empfindhche Galva- noskop, das er für seine Zwecke umänderte. Kothe fand nun über allen akut erkrankten Gelenken die Hauttemperatur erheblich erhöht, und zwar bei Eiterungen um und mehr, beim akuten Gelenk- rheumatismus um 1 2°. Ebenso zeigten traumatisch frisch ent- zündete Gelenke durchweg hochgradig erhöhte Hauttemperatur, die zuweilen wochenlang andauerte. Unter den chronisch entzündeten Gelenken fand Kothe bei den tuberkulösen im Einklang mit meinen früheren Untersuchungen ausnahmslos eine Temperatur- erhöhung, die oft recht beträchtlich war. Im Gegensatz dazu war die Haut über chronisch rheumatisch erkrankten Gelenken fast durchweg um 1 2 ° kälter, niemals dagegen wärmer, und nur selten war kein Unterschied zwischen dem gesunden und dem befallenen Gelenke nachzuweisen.

Bekannthch haben nun alle oben aufgestellten Theorien über die bakterienfeindlichen Eigenschaften gewisser Blutbestandteile und Zellen vielfachen Widerspruch erfahren, und sie haben heute noch so viele Feinde, dass keine von ihnen sich allgemeiner An- erkennung erfreut. Das Meiste davon interessiert uns für unsere Zwecke nicht und ich kann mich darauf beschränken, hier einen Einwand zu erwähnen, den Spronk^) scheinbar mit grossem Recht gegen Hamburger's und Nötzel's Befunde von der bak-

1) Sommer, Über die mittelbare tmd Dauerwirkung der Licht- und Wärmestrahlung auf die Hauttemperatur. Berl. klin. Wochenschrift. 1903. Nr. 40.

2) Herz, Eine neue Methode der Thermopalpation. Wiener med. Presse. 1897. Nr. 7, und: Herz u. Hiebel, Über Thermopalpation. Wiener med. Presse. 1897. Nr. 7 und 8.

3) Meissner, Berliner klinische Wochenschrift. 1903. Nr. 50.

4) Kothe, Studien über die Temperatur erkrankter und hyperämisierter Gelenke. Münch. med. Wochenschrift. 1904. Nr. 31.

5) Spronk, Weekblad van het Nederl. Tydschrift vor Geneskunde. 1898. Nr. 1. Die Originalarbeit war mir nicht zugänglich, ich kenne sie nur aus einem Referate.

Bakterientötende oder abschwächende Wirkung der Hyperämie. 151

tericiden Eigenschaft des Stauungsödems gemacht hat, nämhch: dass gerade solche Körperteile, welche sich in ödematösem Zu- stande befinden, mit Vorliebe von bakteriellen Krankheiten befallen werden. Das ist eine so alte chirurgische Erfahrung, dass man sich dabei nicht aufzuhalten braucht. Es kommt hinzu, dass ich selbst über schwere erysipelatöse Entzündungen und über Eiterungen berichten musste, die an Gliedern auftraten, welche ich unter künstliche Stauungshyperämie versetzt hatte. Ich kam aber, wie schon auf S. 76 erwähnt, bald dahinter, dass es sich nur um Fehler der Technik handelte, und dass diese üblen Zufälle nur da auftraten, wo eine übertrieben starke und lange Kreislaufstörung durch das ab- schnürende Band erzeugt war. Ich habe deshalb mehrmals nach- drücklich darauf hingewiesen, dass bei längerer Anwendung nur die heisse Stauung wirksam ist, die kalte dagegen sehr schädliche Folgen haben kann, weil sie zu stärkeren Zirkulationsstörungen führt.

Ich konnte denn auch mitteilen, dass diese heisse Stauung, statt zu erysipelatösen und anderen akuten Infektionskrankheiten an den gestauten Gliedern zu führen, im Gegenteil dieselben auf das wirksamste bekämpft und eins der besten Mittel gegen viele dieser Krankheiten darstellt.

Wir haben also auch hier, wie bei den meisten physikalischen Behandlungsmethoden man denke nur an die Anwendung des Wassers zu Heilzwecken die Erfahrung machen müssen, dass das Nützliche und Schädliche des Mittels häufig dicht beieinander liegen, und dass man es genau kennen und abmessen muss, um nicht, statt zu nützen, schweren Schaden zu verursachen.

Die wissenschaftliche Bestätigung für diese Tatsachen bringt die obenerwähnte vortreffliche Arbeit Nötzel's, welcher nachwies, dass zum Abtöten der Bakterien immer neues Blut und neues Transsudat notwendig sind, und dass schwerere Zirkulationsstö- rungen und chronisches Ödem, statt die Infektion zu verhindern, im Gegenteil sie begünstigten.

Ich wende deshalb bei den meisten Infektionskrankheiten die Stauungsh3rperämie nicht mehr dauernd an. Wie man bei den ein- zelnen Erkrankungsformen verfährt, werde ich später im klinischen Teile dieser Arbeit auseinandersetzen.

Übrigens vergisst man häufig, dass man unter Odem ganz ver- schiedene Dinge versteht. Das Transsudat bei chronischen Herz- und Nierenerkrankungen ist etwas ganz anderes als das Exsudat der akuten Entzündung.

1^2 Allgemeine Wirkiongen der Hyperämie.

Den wichtigen Nachweis, dass das Entzündungsödem selbst bei schweren Infektionen bakterienfrei ist, hat neuerdings Jo- sephi) geführt.

Ich bin mir wohl bewusst, dass ich mit meinen Anschauungen über die günstige Wirkung der StauungshjTperämie auf Infektions- krankheiten mich zu der herrschenden Lehre über die Behandlung derselben in den denkbar schroffsten Widerspruch begeben habe. Galt es doch in der Chirurgie als ein ganz unumstösslicher Lehr- satz, dass jede Blutstauung im höchsten Grade schädlich auf alle möghchen entzündlichen Vorgänge wirke, und dass das A und 0 der Behandlung die Beseitigung der Stauung sein müsste! Des- halb ist denn auch, wo man die Stauungshyperämie zur Erzeugung von Knochenbildung beschrieb, angegeben, dass das Mittel ,,selbst- verständhch" ganz ausgeschlossen sei bei Entzündungen der be- treffenden Glieder, und sei es auch nur die chronische tuberkulöse Entzündung. Die Richtigkeit dieser Meinung schien durch die Be- obachtungen unterstützt zu werden, welche die inneren Ärzte bei der sogenannten hypostatischen Pneumonie machten, welche man als eine Folge von Blutsenkungen in den abhängigen Lungenteilen ansah.

Nun kam ferner hinzu, dass die reichste Erfahrung angeblich gezeigt hatte, dass die sogenannte Antiphlogose, welche mit den drei Worten ,,Ruhe, hohe Lage, Eis für alle Entzündungen" ge- kennzeichnet wird, schwere und gefährliche Entzündungen an den GHedern sofort besserte.

Wie lassen sich diese sonderbaren Widersprüche vereinen? Zunächst ist für die hjrpostatische Pneumonie zu betonen, dass hier ganz besondere Verhältnisse vorhegen. Sie wird hervorge- rufen durch eine Erlahmung der Herzkraft, also bei aufs äusserste geschwächten Personen, deren natürhche Reaktionsfähigkeit über- haupt schon gehtten hat, und dann scheint es mir nicht einmal erwiesen, dass wirklich die Blutsenkung und nicht ganz andere Verhältnisse, z. B. mangelhafte Lüftung und deshalb mangelhafte Reinigung der betreffenden Lungenteile, die eigentliche Ursache der Krankheit abgeben, während die Hyperämie vielleicht nur ein Nebenbefund ist.

1) Joseph, Einige Wirkungen des natürlichen Ödems und der kiiast- lichen Ödemisierung. Ein Beitrag zixr Stauungstherapie. Münchner med. Wochensclirift. 1905. Nr. 40.

Bakterientötende oder abschwächende Wirkung der Hyperämie. 1^3

Aber es bleibt die scheinbar nicht wegzuleugnende günstige Wirkung der Antiphlogose, von der ich mich selbst, da ich in einer der strengsten antiphlogistischen Schulen erzogen bin, un- zählige Male glaubte überzeugt zu haben. So befand ich mich denn in einem unglücklichen Zwiespalt meiner Anschauungen; ich sah seit langem die Entzündung als etwas Nützliches an, und handelte in vielen Fällen danach; ich bekämpfte die Ent- zündung nicht, sondern unterstützte sie. Ich wandte seit elf Jahren das reine Gegenteil der Antiphlogose, die Stauungshyperämie, die das beste zurzeit bekannte, die Entzündung verstärkende Mittel darstellt, auch bei einer Reihe von akuten entzündlichen Krank- heiten an, nachdem ich sie schon vorher bei chronischen benutzt hatte, und bin darin von Jahr zu Jahr weitergegangen. Aber im grossen und ganzen blieb ich doch bei nicht eitrigen oder beginnenden akuten eitrigen Entzündungen stehen. Wenn ich auch einige vorgeschrittene Eiterungen schon in früheren Jahren mit Glück durch Stauungshyperämie behandelte, so hielt mich doch die Furcht vor der sogenannten Erfahrung da,von ab, dies Mittel auch bei schweren und schwersten eitrigen Entzündungen grund- sätzlich zu verwenden. Und doch musste ich mit logischer Not- wendigkeit dahin kommen. Denn vom gonorrhoischen und pyämi- schen zum traumatisch und osteomyelitisch vereiterten Gelenke, von der Lymphangitis und dem beginnenden Panaritium zu den schweren, die Glieder und das Leben bedrohenden Phlegmonen ist nur ein kleiner Schritt, den ich seit einiger Zeit getan und nicht zu bereuen gehabt habe.

Allerdings erscheint es ja auf den ersten Blick selbstverständ- lich, dass die hohe Lage günstig und die Stauungshyperämie schädhch wirken muss bei den schweren Infektionskrankheiten der Glieder, welche an sich schon zu so starken Kreislaufstörungen und venöser Blutstockung neigen, dass Brand einzutreten droht oder gar schon eingetreten ist. Aber ich werde im weiteren Ver- laufe dieser Arbeit Fälle anführen, die beweisen, dass man sich hier ganz verkehrte Anschauungen gemacht hat. Denn dass die Blutstauung natürlich nicht übertrieben eine Ernährungs- störung sei, ist ebenso eine Sage, wie die Behauptung, dass sie Schmerzen hervorriefe. Das beweisen eine Reihe unserer Fälle, wo es gelang, nach unseren bisherigen Erfahrungen dem Tode ver- fallene Körperteile am Leben zu erhalten. Die richtig ausgeführte Stauungshyperämie ist keine Verschlechterung, sondern eine Ver-

] 5J: Allgemeine Wirkungen der Hj^erämie.

besserung der Emälirimg. Nicht die entzündliche Stauung macht die Nekrosen, sondern die primäre Schädlichkeit, im wesenthchen Bakteriengifte, genau so, wie sie die Schmerzen verursacht. Die Stromverlangsamung bei der Entzündung hat im Gegenteil den Zweck, durch Unschädhchmachen der Bakterien und ihrer Gifte und durch reichliche Ernährung die Nekrosen zu verhüten.

Allerdings, dass es Fälle gibt, wo die Natur über das Ziel hinausschiesst, und die entzündhche Hyperämie und die Stromver- langsamung so stark werden kann, dass nicht ihre Vermehrung, sondern ihre Verminderung angezeigt ist, will ich keineswegs leug- nen. Indessen sind diese Fälle offenbar äusserst selten.

Ich bin deshalb überzeugt, dass die Antiphlogose m ihrer strengen Durchführung einer der folgenschwersten Irrtümer un- serer Wissenschaft war, und dass die Zeit lücht fern hegt, wo man sie zu den schhmmen Irrlehren der Medizin rechnen wird. Um so auf fähiger ist es, dass dieses Verfahren sich so lange Zeit hindurch der uneingeschränktesten Anerkennung der Ärzte er- freuen konnte. Da hegt es nahe, zu untersuchen, ob nicht auch hier, ähnhch wie bei der ,, Derivation", eine falsche Theorie zu einer richtigen Praxis verholten hat, bzw. ob nicht doch in einzelnen Massnahmen der Antiphlogose ein richtiger Kern steckt.

Was den Eisbeutel i) anlangt, so halte ich denselben, auf die Dauer angewandt, für kein anämisierendes, sondern für ein hyper- ämisierendes Mittel, also für das Gegenteil von dem, was man von ihm erwartet hat. Denn es ist bekannt, dass eine so heftige Kälteanwendung, wie sie der Eisbeutel darstellt, nach vorüber- gehender kurzer Anämie eine dauernde Hyperämie macht. Man braucht nur einmal eine HautsteUe, welche diesem Mittel einige Stunden ausgesetzt war, zu betrachten. Da die Kälte, wie aus den bekannten Versuchen von Esmarch's, der Schlikoff u. a. hervorgeht, sehr weit in die Tiefe der Gewebe eindringt, so wird man auch annehmen müssen, dass die Hyperämie dem Kältereiz in der Tiefe folgt. Die Hyperämie muss passiv sein, weil es sonst gar nicht möghch wäre, dass die Kälte so weit in die Tiefe dringen könnte, da der mit einer aktiven Hyperämie verbundene schnellere

1) Dieser Absclinitt über den Eisbeutel steht schon in der ersten Auflage dieses Buches. Trotzdera ist melirfach behauptet (bes. von Hornberger: Areh. f. kl. Chirurgie. 1906. Bd. 80. H. 4), dass ich den Eisbeutel verwürfe und über- sehen hätte, dass er in Wirklichkeit auch hyperäniisiere.

Bakterientötende oder abschwächende Wirkung der Hyperämie. 255

Blutstrom die Temperaturunterschiede weit schneller ausgleichen müsste.

Schliesslich ist zu bedenken, dass es eine Erfahrungstatsache ist, dass man häufig mit scheinbar oder wirklich entgegengesetzten Mitteln dasselbe erreicht. So legen die einen Ärzte dem Pneu- moniker einen Eisbeutel, die anderen einen warmen Umschlag auf die Brust, und beide sehen gute Erfolge davon, besonders was die Schmerzlinderung anlangt. Und eine wirklich gänzlich verschie- dene, aber jede in ihrer Art trotzdem günstige Wirkung liesse sich auch von unseren beiden entgegengesetzten Mitteln etwa in folgen- der Weise erwarten: Man hat in neuerer Zeit den Versuch ge- macht, bakterielle Erkrankungen auf zwei verschiedene Weisen zu behandeln: einmal durch Abtöten der Bakterien, wie bei der Anti- sepsis, dann durch Vernichtung oder Bindung der schädlichen Gifte, wie bei dem v. Behring'schen Diphtherieheilserum. Nun denke man sich auf der einen Seite die Stauungshyperämie als bakterientötendes, auf der anderen Seite die Antiphlogose als ein die Resorption und die Wirkung der Gifte verlangsamendes Mittel, so hat man auf zwei gänzlich verschiedene Weisen dasselbe erreicht, nämlich die Krankheit günstig beeinflusst. Und dass die Gift- wirkung und vor allem die Resorption durch die antiphlogistischen Mittel sehr stark beeinflusst wird, erhellt aus zahlreichen im Ka- pitel über die Resorption noch zu erwähnenden Arbeiten. Wir werden dort sehen, dass sich merkwürdigerweise in dieser Be- ziehung die entgegengesetzten Mittel, Hochlagerung und Stauungs- hyperrämie, berühren.

Aus diesen Auseinandersetzungen geht hervor, dass die oben behandelten Widersprüche nicht so schroff zu sein brauchen, als sie scheinen. Immerhin haben wir uns hier sehr auf das Gebiet der Theorie begeben, und in der praktischen Medizin spielt immer die Erfahrung die Hauptrolle. Und davon glaube ich jetzt genug zu haben, um behaupten zu können, dass in Wirkhchkeit die Anti- phlogose gar nicht so günstig wirkt, als man auf den ersten Blick glauben sollte.

Behandeln wir beispielsweise ein akut oder subakut entzündetes Gelenk, das keine schweren Zirkulationsstörungen aufweist, anti- phlogistisch, so sehen wir zwar häufig schnell die Schmerzen ver- schwinden, Entzündung und Fieber abnehmen, aber meist zieht sich die Behandlung recht in die Länge und die Folge ist leider nur allzu häufig eine schlimme Versteifung. Behandeln wir das-

256 Allgemeine Wirki.mgen der Hyperämie.

selbe Gelenk mit Stauungshyperämie, so sehen wir die Schmerzen meist noch viel schneller verschwinden, das Fieber häufig sofort abnehmen und vor allem in auffäUiger Weise die Beweglichkeit zunehmen. Ferner ist der ganze Verlauf der Krankheit unend- lich viel rascher. Ich kann mich hier des Eindrucks nicht er- wehren, dass wir in solchen Fällen durch die Antiphlogose sehr geschadet haben. Wir haben die dem Kranken unangenehmen Er- scheinungen zurückgedrängt, gleichzeitig aber die nützliche Ent- zündungsreaktion, haben dadurch die Krankheit verlängert und vor allem das Gelenk versteifen lassen. Der Erfolg der Antiphlogose war also nur scheinbar, in Wirkhchkeit war es ein Misserfolg.

Umgekehrt aber ist die Antiphlogose am Platze und nützlich in den äusserst seltenen Fällen, wo die Natur in den Entzündungs- erscheinungen, vor allem in der Hyperämie, über das Ziel hinaus - schiesst, wie ich oben bereits auseinandersetzte. In noch viel höherem Grade nützt die Hochlagerung bei chronischen Ödemen, deren Schädhchkeit ich schon öfter betont habe.

Bevor ich Stauungshyperämie gegen Infektionskrankheiten der GHeder verwandte, habe ich die aktive Hyperämie zu demselben Zwecke benutzt. Denn die ersten Versuche, welche ich überhaupt mit Hyperämie anstellte, machte ich im Jahre 1891 bei einer aus- gesprochenen Infektionskrankheit, der Tuberkulose, mit heisser Luft. Ich habe schon in meiner Arbeit vom Jahre 1893 das Miss- lingen dieser Versuche beschrieben. Ich sah bis auf einen Fall nur Verschlimmerungen danach. Diese Beobachtungen sind später von Thiemi) bestätigt worden, welcher dieselben Erfahrungen machte.

Im übrigen finde ich in der Literatur nur noch zwei Mit- teilungen über die Behandlung von Tuberkulose durch heisse Luft.

Clado^), der, wie ich oben schon erwähnte, etwa gleichzeitig mit mir heisse Luft zur Behandlung von tuberkulösen Gelenkleiden verwandte, in der Absicht, in ihnen nach Art der ,, diskontinuier- lichen Sterilisation" Tyndall's die Tuberkelbazillen abzutöten, teilt mit, dass er unter sechs tuberkulösen Gelenken, welche er täglich eine Stunde mit Luft von 110° behandelte, vier geheilt habe. Nähere Angaben macht er nicht.

1) Thiem, Über Thermotherapie bei der Nachbehandlung Unfallverletzter. Zeitschr. f. Unfallheilkunde. 1900. Nr. 3.

2) Traitement des lesions tuberculeuses accessibles par la temper ature. elevee. Mitteilungen des französischen Chirurgenkongresses vom Jahre 1891.

Bakterientötende oder abschwächende Wirkung der Hyperämie. ]^57

Wilsoni) hat zahlreiche Gelenktuberkulosen mit heisser Luft behandelt, hat aber gleichzeitig nebenher die Gelenke festgestellt. Er ist der Ansicht, dass die Krankheit durch die Behandlung günstig beeinflusst wird, kann das aber nicht sicher behaupten, und weiss nicht, welches von den beiden Mitteln gewirkt hat.

Der Umstand, dass man so wenig von der Behandlung tuber- kulöser Gelenke mit der jetzt so ausserordentlich populär ge- wordenen heissen Luft hört, scheint mir dafür zu sprechen, dass die Erfolge im allgemeinen schlecht gewesen sind, denn verwandt hat man sicher das Mittel, wie gegen alle möglichen andern Ge- lenkerkrankungen, auch häufig gegen Tuberkulose. Und ich glaube nicht, dass meine im Jahre 1893 erfolgte Abmahnung hier ab- schreckend gewirkt hat; dieselbe ist, wie es scheint, kaum bekannt geworden, oder war, als Taller mann's Apparat die Aufmerksam- keit weiterer Kreise auf die Heissluftbehandlung lenkte, schon längst vergessen.

Ebensowenig habe ich, als ich bald nachher die Hyperämie- behandlung auch bei akuten Gelenkentzündungen begann, mit heisser Luft bei diesen etwas erreicht'. Ich habe sie allerdings nur bei 4 5 akut gonorrhoisch oder rheumatisch erkrankten Ge- lenken gebraucht mit durchweg massigem Erfolge. Sie besserten sich entweder nicht oder verschlimmerten sich sogar. Jedenfalls zeigte sich die Wirkung der Stauungsh3;^erämie hier bedeutend überlegen.

Auch Wilson hatte bei akuten Gelenkerkrankungen keine Erfolge aufzuweisen. Er gibt ausdrückhch an, dass bei akuter und chronischer Gicht, bei akutem Rheumatismus und rheumatoiden Arthritiden die Heissluftbehandlung nicht günstig gewirkt hat.

Nun findet man in der Literatur zahlreiche Angaben über den günstigen Einfluss der heissen Luft auf gonorrhoische Gelenk- entzündungen. Aber es steht nicht dabei, ob dies auch wirklich akut entzündete Gelenke und nicht ihre Folgeerscheinungen, in erster Linie Versteifungen, gewesen sind. Nur bei einer Mitteilung bin ich im Zweifel, ob der betreffende Arzt wirklich derartige akut entzündete Gelenke mit Erfolg der Heissluftbehandlung unterzogen hat. Löwenhardt^) teilt mit, dass er in ,, allen möghchen Stadien der gonorrhoischen Gelenkerkrankung heisse Luft angewendet und

1) Wilson, Hot air in joint-diseases. Annais of siorgery. 29. Bd. 189[).

2) Löwenhardt, Zur Pathologie und Therapie der gonorrhoischen Ge- lenkerkrankungen. Wiener med. Presse. 1898. Nr. 45.

258 Allgemeine Wirkungen der Hyperämie.

eine schädigende Wirkung eigentlich nie davon gesehen hat". Gleich hinterher aber gibt er zu: „Nur zur Zeit der hohen Tem- peraturen und bei direkt zur Abszedierung neigenden Prozessen habe ich nicht Gelegenheit gehabt oder auch mich nicht veranlasst gefühlt, thermisch einzuwirken." Jedenfalls geht auch aus dieser Arbeit nicht hervor, ob Löwenhardt bei akut oder auch nur subakut entzündeten Gelenken wirkhch günstige Erfolge mit heisser Luft erzielt hat.

Jüngst hat Buchneri) im Sinne der von ihm aufgestellten Theorie die Ansicht ausgesprochen, dass die aktive Hyperämie, welche er durch einen Alkohol verband zu erzielen glaubt, in höherem Masse bakterientötend wirke als die passive, welche man durch Blutstauung erzielt.

Ich habe nun schon auseinandergesetzt, dass Buchner gänzlich den Beweis schuldig geblieben ist, dass die H3^erämie, welche der Alkoholverband auch in der Tiefe erzeugt, eine aktive und nicht vielmehr eine der entzündlichen nahestehende passive Hyperämie ist. Es spricht, wie erwähnt, vielmehr alles dafür, dass das letztere der Fall ist.

Schliesslich hat Ullmann^) über sehr gute Erfolge berichtet, die er nach Behandlung infizierter Wunden und bakterieller Ge- schwüre mit heisser Luft erzielt hat. Er schiebt diese guten Er- folge auf die bakterientötende Wirkung der durch das Mittel er- zielten aktiven Hyperämie. Es ist aber bemerkenswert, dass die von Uli mann behandelten infektiösen Krankheiten lediglich ober- flächlich liegende Geschwüre waren. Die habe ich nun selbst schon vom Beginn meiner Versuche an häufiger mit heisser Luft be- handelt, und bereits in meiner ersten Arbeit über einen sehr be- merkenswerten derartigen Fall berichtet. Aber es erscheint mir doch sehr zweifelhaft, ob es sich hier um bakterientötende Wirkungen der aktiven Hyperämie handelt, und diese Zweifel habe ich schon mehrfach ausgesprochen. Hier kommen doch noch sehr wesentliche andere Einflüsse zur Geltung, nämlich die bakterientötende Wirkung der Hitze selbst, die man bei so oberflächlich liegenden Geschwüren kaum bezweifeln kann, die Beschleunigung der Demarkation bei brandigen und nekrotisierenden Vorgängen und die lebhafte Granulationsbildung.

1) 1. c.

2) XJllm.ann, Wiener klin. Wochensclirift. 1901. Nr. 1.

Bakterientötende oder abschwächende Wirkung der Hyperämie. ^^59

Fragen wir nun einmal nach: wie verfährt denn eigenthch die Natur, wenn sie ihre entzündhche Hyperämie hervorruft, so er- fahren wir ganz übereinstimmend, dass sie bei allen Entzündungen nach einer vorübergehenden Beschleunigung des Blutstroms diesen verlangsamt und dass die Verlangsamung während der ganzen Dauer der Entzündung bestehen bleibt i). Sehen wir also im ganzen Entzündungs Vorgang etwas Nützliches, so werden wir auch nicht umhin können, dies für die Verlangsamung des Blutstromes in Anspruch zu nehmen und, wenn wir die Naturheilung unterstützen wollen, dürfen wir diese nicht stören, im Gegenteil, wir müssen sie verstärken.

Ich erwähnte schon, dass es oft sehr schwer zu sagen ist, ob es sich bei der Hervorrufung von Hyperämien um Beschleunigung oder um Verlangsamung des Blutstroms handelt. Dies gilt aber besonders, wenn wir entzündete Teile noch künstlich hyperämisieren. Denn wie die Beobachtung unter dem Mikroskop gezeigt hat, versteht es der in seiner Wirkung noch gänzlich unbeka.nnte Ent- ziindungsreiz, einen ursprünglich beschleunigten Blutstrom zu ver- langsamen und verlangsamt zu erhalten. Alle Erklärungen, die man für diese sonderbare Erscheinung abgegeben hat, sind gänzlich ungenügend. (Ich habe in einer früheren Arbeit 2) bewiesen, dass ein entzündeter Körperteil, selbst unter künstlicher Blutleere, mit grosser Zähigkeit das Blut festhält, und, wenn man es künstlich aus ihm vertreibt, mit grosser Kraft wieder ansaugt. Diese ein- fache und leicht zu zeigende wichtige Tatsache wird in der Ent- zündungsiehre vollständig ignoriert, weil die meisten Ärzte in der Darstellung vom Blutkreislaufe nur das für wissenschaftlich halten, wofür sie grobe hydrodynamische Erklärungen geben können.)

Aber so ist es auch wohl sicher, dass Mittel, welche an sich

1) Von einzelnen Untersuchern ist die Verlangsamiuig des Blutstromes bei der Entzündung nicht anerkannt. Neuerdings hat sie noch Hornberger (Eine physio-pathologische Studie über venöse Hyperämie. Archiv f. Min. Chirxirgie. 1906. Bd. 80. H. 4) lebhaft bestritten. Es würde mich zu weit führen, diese Streitfrage hier zu erörtern. Ich werde dies nächstens an anderer Stelle aus- führlich tun. Meines Erachtens spricht schon die eine Tatsache, dass die künstliehe Verlangsamimg des Blutstromes alle Erscheinungen der Entzündung mächtig vermehrt, besser als alle möglichen unsichern und sich widersprechenden Versuche dafür, dass bei der Entzündvmg die Verlangsamung des Blutstromes die entscheidende Rolle spielt.

2) Bier, Die Entstehixng des KoUateralkreislaufs. Virchow's Archiv. 153. Band, 1898. S. 451.

IQQ AUgemeine Wirkungen der Hyperämie.

aktiv hyperämisierend wirken, doch in entzündeten Teilen ver- mehrte passive Hyperämie erzeugen, da eben in den Gefässen des entzündeten Teiles der Blutstrom verlangsamt wird. In- dessen darf die aktive Hyperämie nicht das Übergewicht erhalten, sonst stört sie den natürlichen Reaktions Vorgang. Es folgt daraus, dass wir nicht zu heftig aktiv hyperämisierende Mittel brauchen dürfen, und ein solches ist entschieden die heisse Luft, während andere schon seit alten Zeiten gegen Entzündungen an- gewandte Wärmemittel, z. B. feuchtwarme Umschläge oder heisse Kompressen, Kataplasmen, Warmiwasserbeutel, dennatürhchen Ent- zündungsvorgang verstärken können, weil sie in weit geringerem Grade den Blutstrom beschleurügen und deshalb wohl bei Ent- zündungen angebracht sind.

Wie recht ich mit dieser meiner mehrfach geäusserten An- schauung hatte, geht auch daraus hervor, dass Ullmanni) bei den obenerwähnten akuten Erkrankungen die heisse Luft später durch einen ,,Hydrothermoregulator" ersetzt hat, der durchaus im Sinne jener alten Mittel wirkt. Er schiebt hier nach dem Vorgange Welander's feuchte Watte zwischen den Wärmezuleitungskörper und den behandelten Körperteil und bezeichnet diese Art der Wärmewirkung für die genannten Erkrankungen als weit wirksamer.

Hierher gehört auch meine obenerwähnte Beobachtung, dass ein Schröpf köpf, welcher bei massiger Saugwirkung an einer ge- sunden Hautstelle eine hellrote arterielle Hyperämie hervorbringt, auf eine lupöse, also chronisch entzündete aufgesetzt, dunkle venöse Hyperämie verursacht.

Zu den ausserordentlich heftigen Wallungen scheint mir die Hjrperämie zu zählen, welche wir nach Koch'schen Tuberkuhn- einspritzungen auftreten sahen, und es ist immerhin möghch, das ein Teil der Verschlimmerungen, welche man danach beobachtete, hierauf zurückzuführen ist.

Es liegt sehr nahe, bei dieser Gelegenheit darauf hinzuweisen, dass nach gewaltigen Anstrengungen, welche mit funktioneller aktiver Hyperämie einhergehen, nicht selten Infektionskrankheiten an den überanstrengten Körperteilen auftreten, z. B. Tuberkulose und Gonorrhoe der Gelenke nach übermässigem Gebrauche der

1) Uli mann, Zur Thermotherapie mittels konstanter Wärme. Zeitsclirift für diätetische und physikalische Therapie. 6. Band. S. 603. 1903, und: Zur klinisch-therapeutischen Verwertbarkeit der konstanten Wärme. Wiener klini- sche Rundschau. 1902. Nr. 23—25.

Bakterientötende oder abschwächende Wirkung der Hyperämie. \Ql

Glieder. Ich will es vermeiden, diesen Schluss zu ziehen; denn jene Beobachtungen erklären sich eigentlich ungezwungener aus der starken Inanspruchnahme und Schädigung der Gewebe, welche die Folge jeder Überanstrengung ist. Man kann hier höchstens feststellen, dass die aktive funktionelle Hyperämie nicht imstande ist, die Entstehung jener Krankheiten hintanzuhalten.

Es scheint mir überhaupt eine durchgehende Erscheinung in der Natur zu sein, dass bei irgend einer notwendigen Funktion der Organismus sich ganz auf diese wirft, und nur schlecht zwei wichtige Dinge mit demselben Hilfsmittel leisten kann. Wir sehen, dass ein entzündeter Körperteil die Arbeit ruhen lässt, meiner Ansicht nach deshalb, um seine Kräfte nicht unnütz anderweitig zu zersplittern und sie ganz gegen die schädigende Entzündungs- ursache zur Verfügung zu haben. Wir nehmen alle an, dass gut mit Blut versorgte Gewebe an sich nicht leicht an Infektionen er- kranken. Im schroffen Gegensatze dazu aber fallen gerade stark blutüberfüllte wachsende Körperteile mit Vorliebe den Bakterien zum Opfer, so der kindliche wachsende Knochen der akuten Osteomyelitis, die Brustdrüse der Schwangeren und Säugenden der Mastitis. So erkrankt die Harnröhre des mit chronischem Tripper Behafteten wieder akut, wenn er den Beischlaf ausübt oder von Erektionen gepeinigt wird, während doch künstliche H3rperämie, wie ich bewiesen habe, und zwar gerade die Art von Hyperämie, die das steife Glied zeigt, einen wunderbar heilenden Einfluss auf die Gonokokkeninfektion ausübt. Es wird eben die ganze Energie des Organismus nach einer Seite hin (Wachstum, Arbeit, Unterdrückung einer Infektion) festgelegt.

Derartige Beispiele Hessen sich in grosser Anzahl aus allen Gebieten der Medizin bis auf das psychische Gebiet hinauf an- führen. So gibt es ja bekanntlich wenig Menschen, die gleich- zeitig über einen Gegenstand schreiben und über einen anderen sich unterhalten können, und man hat diese seltene Fähigkeit als ein Zeichen besonderer geistiger Grösse angesehen (Cäsar, Napoleon).

Etwas Ähnliches ist für einen ganz speziellen Fall schon ein- mal von Frey er ausgesprochen. Dieser Physiologe nahm an, dass die Ganglienzellen des Zentralnervensystems mit den narkotischen Mitteln chemische Verbindungen eingehen, zu deren Zersetzung und Beseitigung die Zellen ihre ganze lebendige Energie aufwenden, ihre normalen Funktionen so lange aufgeben müssen und deshalb

Bier, Hyperämie als Heilmittel. 11

\Q2 Allgemeine Wirkiuigen der Hyperämie.

in Schlaf verfallen, bis ihnen die Ausstossung und Vernichtung des Giftes gelungen ist.

Nach all den mitgeteilten Erfahrungen scheint es mir, rein theoretisch gedacht, nur logisch zu sein, bei der Auswahl der ver- schiedenen Formen der Hyperämie zur Behandlung entzündhcher Krankheiten die Stauungshyperämie in erster Linie zu berück- sichtigen, da sie viel treuer den natürhchen Heilungs Vorgang der Entzündung nachahmt und ihn verstärkt. Meine praktischen Er- folge stimmen auch durchaus mit dieser theoretischen Vorstellung überein. Dass man nicht hier und da aktive Hjrperämie anwenden darf und mit Nutzen anwenden wird, halte ich für zweifellos, für ebenso sicher allerdings auch, dass die kräftigsten Formen der aktiven Hyperämie bei akuten Entzündungen schädlich wirken, bei subakuten und chronischen durch die Stauungshyperämie zum mindesten sehr üb er troffen werden.

Höchst komisch aber erscheint es mir, wenn neuere Unter- sucher, nachdem man sich lange um meine Erklärung der genannten Mittel als hjrperämisierende durchaus nicht gekümmert hat, nun die Sache aufgreifen und nach einer ganz bestimmten Theorie Hyperämie anwenden. Da lässt der eine das Serum, der andere die Leukocyten, der dritte die Kohlensäure usw. auf die Bakterien los, ohne zu bedenken, dass es sich doch hier in der Tat noch um unbewiesene Theorien handelt. So wichtig und höchst frucht- bringend nun diese Theorien zweifellos sind, dass ich sie unter keinen Umständen entbehren möchte, so können sie doch, in dieser Einseitigkeit auf die Praxis übertragen, höchst bedenklich werden. Wir laufen alsdann Gefahr, zu Zuständen zu kommen, wie sie teilweise in der Wasserheilkunde geherrscht haben, wo man auch alle möglichen unbewiesenen physiologischen Versuche auf die Praxis anwandte und aus Untersuchungsmethoden, deren Beweis- kraft längst kein Physiologe mehr anerkennt, immer noch weit- gehende Schlüsse zieht.

Ich halte diesen Ärzten, welche je nach ihren vorgefassten theoretischen Meinungen, die einen das Serum, die anderen die Leukocyten usw. den wirksamen Bestandteil der entzündlichen Hyperämie und ihrer Folgen sein lassen, folgendes entgegen: Ich will einmal für unsere praktischen Zwecke alle Vorgänge, die zur Erhaltung des Menschen und seiner Art dienen, als physiologisch, alle, welche auf seine Schädigung und Vernichtung abzielen, als pathologisch bezeichnen. (Die Erklärung der physiologischen Lehr-

Bakterientötende oder abschwächende Wirkung der Hyperämie. 163

bücher, dass die Physiologie die Lehre von den Lebenserscheinungen der Organismen sei, können wir Praktiker nicht brauchen; denn dann sind Vergiftung und Tod auch physiologisch.) Trifft diese Benennung natürlich immer nur für das praktische Denken des heilenden Arztes zu, dann ist die Entzündung ein hoch-physio- logischer Vorgang: Der Kampf des Körpers gegen den Überfall eines in ihn eingedrungenen gefährlichen Feindes, den er nicht nur zu vernichten, sondern dessen Verheerungen und Zerstörungen er ausserdem noch wieder gut zu machen hat (Regeneration bei der Entzündung). Alle solche physiologischen Vorgänge aber sind im höchsten Masse kompliziert, und wenn jemand glaubt, dass von all den zahlreichen Erscheinungen der Entzündung, z. B. nur das Blutserum oder nur die Leukocyten, welche dabei in die Gewebe treten, die Heilung besorgen, so kommt mir das gerade so vor, als wollte man behaupten, nur der Magensaft oder nur der Pankreas- speichel verrichte die Verdauung und Assimilation der Nahrung, alles andere aber, was auf dem Wege vom Munde bis zum After mit der Nahrung geschieht, Kauen, Speicheln, Schlucken, die Ab- sonderung aller möglichen anderen Verdauungssäfte usw., sei ein mehr oder weniger unnützes Beiwerk.

Mich erinnern diese Einseitigkeiten der Bakteriologen im.mer an die der pathologischen Anatomen zu der Zeit, als Cohnheim seine berühmte Entdeckung von der Auswanderung der weissen Blutkörperchen machte. Damals hielt man die Frage der Ent- zündung für vollständig gelöst, so sehr blendete diese glänzende Entdeckung die Augen der Ärzte. Ja man ging noch viel weiter. Der Leukocyt konnte alles. Er war der Elementarorganismus, der, je nach Bedarf, Bindegewebe, Muskel, Nerv usw. wurde. Jetzt denken wir kühler darüber. Wir wissen, dass diese Auswanderung der Leukocyten nur eine Teilerscheinung der Entzündung ist, und dass ihr eigentliches Wiesen noch immer in tiefes Dunkel ge- hüllt ist.

Fassen wir so die Entzündung als einen physiologischen Vor- gang auf, so verstehen wir auch die grosse Verlegenheit der patho- logischen Anatomen, den Entzündungsbegriff anatomisch zu fassen, die schon zu dem höchst unglücklichen Vorschlage geführt hat, ihn überhaupt aufzugeben. Die Entzündung ist ebensowenig etwas Anatomisches, wie es, um im Vergleiche zu bleiben, die Verdauung ist, zumal schon eine sehr grosse Anzahl der Entzündungserschei- nungen mit dem Tode verschwindet.

11*

\Q^ Allgemeine Wirkungen der Hyperämie.

Nun gibt es zurzeit kein besseres und wirksameres Mittel, die nützliche und heilende Entzündung in allen ihren Erscheinungen zu unterstützen und zu verstärken, als die Stauungshyperämie, die wir mit der Binde oder mit Saugapparaten hervorrufen. Die pas- sive Hyperämie passt überhaupt mehr für akute beziehungsweise bakterielle, die aktive mehr für chronische und nichtbakterielle Krankheiten beziehungsweise für die Folgen der letzteren. Ich unterscheide hier absichthch zwischen passiver und aktiver und nicht zwischen venöser und arterieller H3rperämie. Denn ich halte es für wahrscheinlich, dass etwas mehr Gehalt an Kohlensäure oder an Sauerstoff bei der entzündlichen Hj^erämie eine viel geringere Rolle spielt, als die Stromverlangsamung und Stromverbreiterung. Denn diese bringt die geschädigten Gewebe in viel innigeren Zu- sammenhang mit den heilenden Blutbestandteilen (Serum, Leukc- cyten etc.), wie der schneUf liessende arterielle Strom.

Resorbierende Wirkung der Hyj^erämie.

Seit langem habe ich die aktive Hyperämie, welche die heisse Luft erzeugt, benutzt zur Resorption. Ich machte zuerst die Er- fahrung, dass bei chronischen Gelenkerkrankungen, die ich ab- wechselnd mit passiver und aktiver Hyperämie behandelte, die letztere die Ödeme, welche die erstere erzeugte, schnell beseitigte. Auf dieser Erfahrung fussend, wandte ich dann die aktive Hj^per- ämie in ausgedehntem Masse zur Behandlung von Ödemen an, welche nach der Heilung von Knochenbrüchen an den Ghedern eintraten und in einigen Fällen von Elephantiasis. Will man diese resorbierende Wirkung ausüben, so darf die heisse Luft allerdings nicht zu lange angewandt werden, weil sie sonst im Gegenteil Ödem hervorruft. Ich habe schon in meiner ersten Arbeit solche Fälle erwähnt, wo Glieder, die 8 10 Stunden täglich einer heissen Luft von 100° ausgesetzt waren, stark ödematös wurden. Wir sehen hier die schon erwähnte Eigentümlichkeit physikalischer Heilmittel, die uns noch mehrfach aufstossen wird, wieder, dass sie in verschieden hoher und langer Anwendung zu ganz verschiedenen Ergebnissen führen.

Die resorptionsbefördernde Wirkung der aktiven Hyperämie stimmt mit unseren heutigen wissenschaftlichen Kenntnissen über die Wege der Resorption aufs beste überein, denn man weiss, dass

Resorbierende Wirkung der Hyperämie. 1 g 5

fast die ganze Resorption wässriger und wasserlöslicher Stoffe durch die Blutkapillaren und nicht, wie man vielfach angenommen hatte, durch die Lymphwege erfolgt. Unbestritten ist diese An- schauung für die Magendarmverdauung, so dass man hierüber keine weiteren Beweise aus der Literatur anzuführen, sondern lediglich der Darstellung eines neueren Lehrbuchs der Physiologie zu folgen braucht. Es geschieht die Resorption von Wasser, Salzen, gelösten Kohlehydraten, Peptonen und einigen unver- änderten löslichen Eiweisskörpern fast ausschliesslich durch die Blutbahn. Nur bei sehr reichlicher Ernährung mit diesen Stoffen hat man geringe Mengen davon in den Lymphwegen vorgefunden.

Dagegen wird das Fett, mag es nun in verseiftem Zustande oder in Form feiner Körnchen aufgenommen werden, fast ledighch durch die Lymphe abgeführt, während nur ein ganz kleiner Teil der Fettseifen unvermittelt in das Blut zu treten scheint.

Ganz ähnlich liegen die Verhältnisse bei der Resorption von Stoffen aus den Geweben und den Körperhöhlen. Es hat aller- dings Zeit und Schwierigkeit gekostet, bis man sich zu dieser Über- zeugung durchgerungen hat. Und es erscheint in der Tat auf den ersten Blick sonderbar, dass in Wasser gelöste Mittel, die man in die Gewebsspalten, d. h. also in die Anfänge der Lymphwurzeln selbst einspritzt, nicht von diesen, sondern von den Blutgefässen, die durch eine Wand abgesondert sind, aufgenommen und weiter- geführt werden. Ebenso liegt es von vornherein viel näher, an- zunehmen, dass die offenen Lymphspalten der Bauchhöhle, welche V. Recklinghausen besonders am Zwerchfell nachwies, Flüssig- keiten ohne weiteres aufnehmen, als dass diese erst durch die Wand der Blutkapillaren durchtreten. Zahlreiche Untersuchungen haben aber gezeigt, dass dies tatsächlich der Fall ist, und dass die Re- sorption auf ganz ähnliche Weise erfolgt, wie im Verdauungskanale. Ich übergehe die schon recht alten Versuche i), aus denen die Be- obachter schlössen, dass die Gewebsresorption abhänge von der all- gemeinen und örtlichen Blutmenge, und erwähne von den zahl- reichen Arbeiten einige der hauptsächlichsten neueren, welche den strengen Beweis führen.

Orlow^), ein Schüler Heidenhain's, beobachtete, dass wäh-

1) S. bei C. Ludwig, Lehrbuch der Physiologie des Menschen. 2. Bd. 2. Aufl. 186L S. 565.

2) Orlow, Einige Versuche über die Resorption der Bauchhöhle. Pflüger 's Archiv. 59. Bd. S. 170.

J^ßß Allgemeine Wirkungen der Hyperämie.

rend der Aufsaugung von Flüssigkeiten und Salzen, welche er in die Bauchhöhle von Tieren gespritzt hatte, weder die einen noch die anderen in der aus dem Ductus thoracicus aufgefangenen Lymphe zunahmen. Da sie aber während der Beobachtung aus der Bauchhöhle verschwanden, so müssen sie durch die Blutkapil- laren aufgenommen sein.

Starlingi) sah bei der Resorption von indigschwefelsaurem Natron aus Pleura- und Bauchhöhle dieses eher im Harn, als in der Lymphe auftreten.

Heidenhain^) sagt in einer Abhandlung, in welcher er die Er- gebnisse Orlow's gegen Angriffe Cohnstein's verteidigt: ,,Ich bin also auf Grund der Versuche von Orlow und meiner eigenen Er- fahrungen nach wie vor der Überzeugung, dass die wesenthchen Resorptionswege der Peritonealhöhle in den Blutkapillaren gegeben sind , unbeschadet der nach Orlow durchaus nicht bestrittenen Möglichkeit, dass die Recklinghausen'schen Lymphbahnen dem Brustgange unmittelbar eine geringe Menge von Flüssigkeit zu- führen."

Hamburger^) sah, dass nach Unterbindung des Ductus thora- cicus die Resorption aus der Bauchhöhle ebenso rasch zustande kam, wie wenn der Lymphstrom unbehindert war. ,, Hieraus erfolgt schon per exclusionem, dass die Blutgefässe, wenn nicht ausschUess- hch, doch jedenfalls grösstenteils verantwortlich gemacht werden müssen." Dass es bei der Gewebsresorption sich gerade so ver- halte, sucht Hamburger durch folgenden Versuch zu beweisen: Er verschloss die Aorta eines Versuchstieres unterhalb der Nieren - arterie mit einer Pinzette und spritzte ausserdem Jodkalilösung in das eine Hinterbein, dessen Vena cruralis er herauspräpariert und mit einem Röhrchen versehen hatte, welches den Blutaustritt aus dem fusswärts gelegenen Ende gestattete. Er fand trotzdem im Venenblut des Beines Jodkah. Dies musste durch die BlutkapiUaren resorbiert sein, denn hätte es der Lymphstrom in das Blut geführt, so hätte es nicht weiter in die Blutbahn gelangen können, als bis zur Unterbindungsstelle der Aorta.

1) Zitiert nach Orlow.

2) Heidenhain, Bemerkungen und Versuche betreffs der Resorption in der Bauchhöhle. Pflüger's Archiv. 62. Bd. S. 320.

3) Hamburger, Über die Regelung der osmotischen Spannkraft von Flüssigkeiten in Bauch- und Pericardialhöhle. Du Bois-Reymond-His'sches Archiv. Physiol. Abt. 1895. S. 281.

Resorbierende Wirkung der Hyperämie. 167

Asheri) machte einen ähnlichen Versuch. Er unterband die Aorta abdominahs, präparierte Arteria und Vena crurahs frei, durch- schnitt sie und führte Kanülen hinein. In die Gewebe des Beines spritzte er Jodnatriumlösung ein. Liess er nun durch das aus dem Kreislauf ausgeschaltete Glied einen künstlichen Blutstrom gehen, so fand er in dem aus der Vene kommenden Blute Jod. Dasselbe konnte also nur durch die Kapillaren aufgenommen sein. Auch in mehreren auf andere Weise angestellten Versuchen konnte Asher die Resorption des Jodnatriums durch die Blutkapillaren nach- weisen.

J. Munk^) bewies die Gewebsresorption durch die Blutbahiien auf folgende Weise: Er band den Halslymphstamm von Versuchs- tieren, welcher die gesamte Kopflymphe abführt, zu, und schnitt ihn kopfwärts von der Unterbindungsstelle an, so dass alle Lymphe nach aussen geleitet wurde. Dann spritzte er nach und nach Gift unter die Kopfhaut der Tiere. Es ergab sich kein wesentlicher Unterschied in bezug auf Eintritt und Ablauf der Vergiftung, einerlei, ob die Lymphe nach aussen abgeleitet wurde oder nicht, was doch hätte geschehen müssen, wenn die Lymphwurzeln das Gift aufgenommen hätten. Es war auch in der abgeleiteten Lymphe niemals das Gift (Strychnin) nachzuweisen.

War nach diesen Versuchen kaum ein Zweifel möglich, dass in der Tat die Blutgefässe fast die gesamte Resorption wasser- löslicher Stoffe aus Geweben und Körperhöhlen vermitteln, so ist diese Tatsache neuerdings aufs schlagendste bewiesen durch meinen Assistenten Prof. Klappt), welcher den glücklichen Gedanken hatte, als Versuchsmittel Milchzucker zu wählen. Voit*) hat gezeigt, dass aller Milchzucker, welchen man irgendwo subkutan einspritzt, bis auf die letzten Reste im Harn wieder erscheint. Dieser Stoff ist noch obendrein jederzeit durch den Polarisationsapparat

1) Asher, Ein Beitrag ziir Resorption durch die Blutgefässe. Zeitschr. f. Biologie. 29. Bd. S. 247. 1892.

2) J. Munk, Zur Kenntnis der interstitiellen Resorption wasserlöslicher Substanzen. Verhandlungen der Berliner physiol. Gesellschaft. XII. Sitzung. 5. April 1895. Du Bois-Reymond-His'sches Archiv. Physiol. Abt. 1895. S. 387.

3) Klapp, Über Bauchfellresorption. Mitteilungen aus den Grenzgebieten der Medizin und Chirurgie. 10. Bd. 1. u. 2. Heft.

4) Voit, Untersuchungen über das Verhalten verschiedener Zuckerarten im menschlichen Organismus nach s^ibkutaner Injektion. Deutsches Archiv für klin. Medizin. 58. Bd. S. 523.

IQQ Allgemeine Wii'kiingen der Hj'perämie.

leicht quantitativ nachzuweisen. Es war also im Milchzucker ein Mittel gegeben, um zum erstenmal quantitativ die Grösse der Aus- scheidung zu bestimmen, und dadurch war den Resorptionsver- suchen eine bisher unerreichte Genauigkeit verheben.

Klapp unterband nun bei Hunden sowohl den Ductus thora- cicus als den Ductus lymphaticus dexter und schloss so alle Lymph- wege, welche den in die Bauchhöhle eingespritzten Milchzucker ins Blut befördern konnten, aus. Trotzdem erschien dieser ohne jeden Rest in derselben Zeit im Harn wieder, wie bei einige Tage früher unternommenen Kontrollversuchen an denselben Tieren, während ihre Lymphwege noch normal waren. Es war somit der unanfecht- bare Beweis gehefert, dass wasserlöshche Stoffe ganz allein durch die Blutbahn aufgesogen werden können. Dass die Lympf bahnen ebenfalls bei der Resorption beteiligt sein können, bestreitet Klapp ebensowenig, wie die obengenannten Untersucher, doch müssen sie, da ihr Ausfall quantitativ keine Verzögerung der Resorption mit sich bringt, nur eine ganz untergeordnete Rolle spielen, und haben also nicht die Bedeutung für die Resorption von Wasser, Salzen und anderen wasserlöslichen Stoffen, welche v. Recklinghauseni) und Wegner2) in ihren berühmten Arbeiten ihnen zuschreiben.

Ebenso sichergestellt aber ist es durch v. Recklinghausen, dass kleine körperliche Bestandteile (Milch, Emulsionen, Blut, Kobalt, Tusche) durch die Lymphwege des Zwerchfells aufgenommen werden. Diese Beobachtungen sind von verschiedenen Seiten be- stätigt worden. So fand Sulzer^) Körner von Weizengries, welche er in die Bauchhöhle eingespritzt hatte, in den Lymphgefässen der Brustseite des Zwerchfells und im Ductus thoracicus wieder, und ist der Ansicht, dass sie grösstenteils unvermittelt dorthin ge- langen und weniger durch Leukocyten aufgenommen und ver- schleppt werden.

Zu ganz ähnlichen Ergebnissen kam Muscatello*). Er fand, dass das Zwerchfell das einzige Gebiet der Serosa in der Bauch-

1) V. Recklinghausen, Zur Fettresorption. Virchow's Archiv. 26. Bd. S. 172.

2) Wegner, Chirurgische Bemerkungen über die Peritonealhöhle mit be- sonderer Berücksichtigung der Ovariotomie. Langenbeck's Archiv. 20. Bd.

3) Sulz er, Über den D\irchtritt corpuskulärer Gebilde durch das Zwerch- fell. Virchow's Archiv. 143. Bd. S. 99.

4) Muscatello, Über den Bau und das Aufsaugungsvermögen des Peri- toneum. Virchow's Archiv. 142. Bd. S. 327.

Resorbierende ^^'irkung der Hyperämie. 1G9

höhle ist, welches für die Aufsaugung körniger Stoffe bestimmt ist. Diese Aufsaugung geht mit sehr grosser Schnelligkeit vor sich. Er ist der Ansicht, dass feinkörnige Stoffe und manche schmiegsame Körper die Endothelzellen in freiem Zustande durchwandern, während starre Körper zum grössten Teil von Wanderzellen be- fördert werden.

Wir können also folgenden Satz, als durch vielfache wissen- schaftliche Untersuchungen festgestellt, aussprechen: Die Auf- saugung von Wasser und wasserlöslichen Stoffen erfolgt bei der Magendarm Verdauung wie bei der Resorption aus den Geweben und aus Körperhöhlen im wesentlichen durch die Blutgefässe, die Aufnahme kleinster körperlicher Bestandteile dagegen im wesent- lichen durch die Lymphgefässe.

Für uns Praktiker ist die Frage nun von äusserster Wichtig- keit: Können wir diese Resorption künsthch beeinflussen, wie ich oben schon behauptet habe, und lässt sich diese praktisch erprobte Beeinflussung auch wissenschaftlich nachweisen? Leider wissen wir, wie ich früher auseinandergesetzt habe, noch so wenig über die Beeinflussung des Lymphstromes, dass die Frage, ob wir durch diesen auf die Aufsaugung körperlicher Bestandteile fördernd ein- wirken können, für die wissenschaftliche Erörterung vollständig ausfällt. Wir bleiben also auf die Frage beschränkt: Wie wirkt die Beeinflussung des Blutstroms auf die Resorption ein?

Auch hierüber gibt es schon ältere wissenschaftliche Beobach- tungen. Insbesondere hat man in der Zeit des Aderlasses den Einfluss der allgemeinen Blutfülle auf die Resorption sehr ausführ- lich erörtert. Da dies für uns nicht in Betracht kommt und für die örtliche Beeinflussung der Resorption erst neuere Arbeiten beweisend sind, so wende ich mich gleich zu diesen.

Als die V. Esmarch'sche Blutleere durch ihre grossen Erfolge die Gemüter der Chirurgen beschäftigte, erörterte man eifrig die Vorteile und die Nachteile, welche dies Verfahren biete. In diese Zeit fällt eine Arbeit Wölfler'si), welche die Gefahrlosigkeit starker Antiseptika auf Wunden, die unter Blutleere standen, be- weisen sollte. Wenn der Versuch auch zu anderem Zwecke angestellt ist, so hat er doch für uns hervorragendes Interesse, weil er eine Beeinflussung der Resorption durch Hyperämie sehr deutlich zeigt.

1) Wölfler, Über den Einfluss der Esmarch'schen Blutleere auf die Re- sorption flüssiger Stoffe. Langenbeck's Archiv. 27. Band.

270 Allgemeine Wirk\ingen der Hyperämie.

Wölf 1er legte Hunden am Sprunggelenke eine Wunde an, träufelte darauf 3 g einer wässrigen Lösung von Ferrocyankalium und wies nach, dass in der Regel erst in 30 Minuten das Mittel im Harn nachzuweisen war. Machte er dagegen das Glied blutleer und träufelte auf eine gleich grosse Wunde die vierfache Menge des Farbstoffes, so trat während des Bestehens der Blutleere keinerlei Reaktion im Harn auf, wurde aber die Blutleere gelöst, so fand sich die Reaktion schon binnen 10 Minuten. Hieraus folgerte Wölf 1er, ausser anderen Schlüssen, die er aus diesen Versuchen zog, dass die Aufnahme des Farbstoffes in den Kreislauf nach Abnahme des blutleer machenden Schlauches viel schneller ge- schehe, als unter gewöhnlichen Verhältnissen.

Den Einwand, dass während der Blutleere die Farbstofflösung sich unterhalb des Schlauches in dem aus den Kreislauf ausgeschal- teten Gliede durch Diffusion und Osmose vorher verbreitet haben könnte, und deshalb nach Freigabe des Blutstromes schneller in den Kreislauf gelangt sei, suchte Wölf 1er durch folgende Versuchs- anordnung zu begegnen: Er legte den abschnürenden Schlauch in der Leistengegend an und träufelte auf die Wunde am Sprung- gelenke wieder die Farbstoff lösung auf. Nach 35 Minuten legte er einen zweiten Schlauch 2 Finger breit oberhalb der Wunde an und entfernte den ersten. Trotzdem trat keine Reaktion in der gewöhnhchen Zeit im Harn auf. Als er aber auch den zweiten Schlauch abnahm, erschien 6 Minuten später das Mittel im Harn. Wölf 1er schliesst daraus, dass unter dem abschnürenden Schlauche keine Imbibition des aus dem Kreislauf ausgeschalteten Gliedes mit Farbstoff stattfinde. Versuche mit Strychnin führten zu dem- selben Ergebnis,

Bekanntlich tritt nun nach der künstlichen Blutleere eine gewaltige arterielle (die sogenannte reaktive) Hyperämie auf. Und wir hätten hier ein Beispiel dafür, dass die arterielle Hjrperämie die Resorption eines wasserlösHchen Stoffes ungeheuer beschleunigt. Derselbe trat schon nach 6 10 Minuten im Harn auf, während das lanter gewöhnlichen Verhältnissen 30 Minuten dauerte.

Mit Recht macht Klapp i) gegen die Beweiskraft dieser Ver- suche mehrere Einwände. Er meint, dass es allen unseren Erfah- rungen über Diffusion, Osmose und Imbibition widerspräche, anzu-

1) Klapp, Über parenchymatöse Resorption. Archiv f. experimentelle Pathologie und Pharmakologie. 47. Bd. S. 86.

Resorbierende Wirkung der Hj'perämie. 171

nehmen, dass die aufgeträufelte Flüssigkeit nicht auch ohne den Blutstrom das Gewebe in der Umgebung der Wunde durchtränkt habe, und führt Tatsachen an, die beweisen, dass auch nach Unter- brechung des Blutstromes gelöste Massen sich in den Geweben verbreiten. Wenn Wolf 1er den zweiten Schlauch zwei Finger breit oberhalb der Wunde anlegte und nachher keine Reaktion im Harne fand, so sei das noch kein Beweis, dass nicht doch die unmittelbare Umgebung der Wunde in ausgiebiger Weise mit dem Farbstoff durchtränkt gewesen sei. Ferner macht Klapp darauf aufmerksam, dass alle Resorptionsversuche mit Farbstoff lösungen und Giften durchaus unsicher sind, weil man sie nur qualitativ an Vergiftungserscheinungen und Reaktionen, niemals aber genau quantitativ nachweisen kann. Diese Überlegung bewog ihn eben zu der obenerwähnten Einführung des Milchzuckers zum Zwecke von Resorptionsversuchen, da sich dieser in allen Zeit- räumen des Versuchs mit grosser Leichtigkeit quantitativ nach- weisen lässt. Dieses Verfahren ist denn auch offenbar allen anderen so sehr überlegen, dass ich die Ausführungen Klapp's über Beein- fluEsung der Resorption durch Hyperämiemittel an die erste Stelle setzen will.

Klapp wies zunächst nach, dass die aktive Hyperämie eine sehr starke Beschleunigung der Resorption verursacht. Er spritzte Hunden am Hinterbein Milchzucker subkutan ein und brachte dann das Glied für die Dauer von 20 Minuten bis zwei Stunden in einen der oben beschriebenen Heissluftkästen. Er fand, dass unter 18 Versuchen in zwei Fällen nur geringe, kaum zu rechnende Unterschiede auftraten. In den übrigen Fällen aber fand sich eine sehr starke Beschleunigung der Resorption um das Doppelte bis Mehrfache. Bei Versuchen, welche Klapp an sich selbst und an Studenten ausführte, machte er die Erfahrung, dass hier die heisse Luft zwar auch regelmässig eine Vermehrung der Resorption, aber in viel geringerem Grade als beim Hunde herverbrachte.

In seiner zweiten Arbeit i) zeigte Klapp, dass man auch die Resorption in der Bauchhöhle durch heisse Luft im Sinne der Beschleunigung beeinflussen kann. Dieselbe war stets vorhanden, aber lange nicht so bedeutend, als wenn das Mittel am Bein ein- gespritzt und dieses unter dieselben Bedingungen gesetzt wurde.

1) Klapp, Über Bauchfellresorption. Mitteilungen aus den Grenzgebieten der Medizin u. Chirurgie. 10. Bd. 1. u. 2. Heft.

^72 Allgemeine Wirkungen der Hyperämie.

Dies ist leicht verständlich, wenn man bedenkt, dass auf einen kleinen Gliedabschnitt die heisse Luft ganz anders wirkt als auf den grossen Bauch.

Man könnte gegen die Beweiskraft dieser Versuche für die Wirksamkeit der Hjrperämie einwenden, dass sie keineswegs sicher sei, da die Hitzeanwendung doch noch zahlreiche andere Veränderungen ausser der Hyperämie nach sich ziehe. Es liegt dieser Einwand um so näher, als man schon früher den Einfluss der Wärme und Kälte auf die Resorption bewiesen hat. So be- obachtete Sassetzkyi), dass gewisse Arzneien (Pilokarpin, Mor- phium, Jodkali, gelbes Blutlaugensalz) vom menschlichen Körper schneller resorbiert wurden, wenn er die Temperatur der Hautstelle, an welcher er die Mittel einspritzte, vorher auf 39° brachte, oder wenn er die Lösungen erwärmte, dagegen langsamer, wenn er nach einigen Tagen durch Kältemittel dieselbe Hautstelle auf 12° ab- kühlte. Im letzteren Falle erschienen die Stoffe 3 4 Minuten später im Urin, als im ersten.

V. Kossa^) machte, sich auf frühere Beobachtungen Luch- singer's und Claude Bernard's stützend, folgende Versuche: Er spritzte Kaninchen in die Ohrmuschel, welche er mit Kälte- mischungen oder mit kaltem Wasser (es genügt Leitungswasser von +7°) abgekühlt erhielt, die schhmmsten Gifte, Cyankalium, Strychnin, Pikrotoxin, ein. Alle diese Tiere blieben am Leben und gesund, wenn v. Kossa die Ohrmuschel 1 1% Stunden abgekühlt erhielt, während die Kontrolltiere starben oder die heftigsten Ver- giftungen durchzumachen hatten. Er glaubt, dass während der Kälteeinwirkung entweder überhaupt nicht, oder so langsam resor- biert wird, dass der Stoff allmähhch und ohne Vergiftungserschei- nungen zu machen wieder ausgeschieden wird.

Ebenso konnte Klapp die Ausscheidung von Milchzucker, welchen er in die Gewebe und die Bauchhöhle eingespritzt hatte, ganz erheblich verlangsamen, wenn er eine Abkühlung durch Eis- wasser oder Eisbeutel hervorrief.

Wir wissen aber, dass Wärme Hyperämie, und zwar nach meiner Auffassung arterielle Hyperämie, Kälte, Anämie, oder bei längerer

1) Sassetzky, Über den Einfluss erhöhter und herabgesetzter Tempera- turen auf die Resorption an der Stelle einer subkutanen Injektion. St. Peters- burger med. Wochenschr. 1880. Nr. 15 u. 19.

2) V. Kossa, Die Resorption der Gifte an abgekühlten Körperstellen. Archiv f. experimentelle Pathologie u. Pharmakologie. 36. Bd. S. 120.

Resorbierende Wirkung der Hyperämie. 173

Einwirkung Stauungshyperämie hervorbringt. Es lassen sich diese Versuche also sehr wohl mit unserer Ansicht vereinigen, dass arte- rielle Hyperämie die Resorption beschleunigt und Anämie sie ver- langsamt.

Mehrere andere Versuchsresultate Klapp's bestätigen diese Auffassung. Er fand nämlich, dass breite Eröffnung der Bauch- höhle und kurze Vorlagerung der Eingeweide bis zu einer Viertel- stunde — die Resorption aus der Bauchhöhle beschleunigte, längere Vorlagerung sie verlangsamte. Nun wissen wir aus zahlreichen Beobachtungen, dass die Folge eines grösseren Bauchschnittes mit Vorlagerung der Eingeweide eine sehr starke Hyperämie der letz- teren ist. Zuerst ist dies eine aktive, später infolge von Aus- trocknung, Abkühlung und anderen Schädigungen eine passive Hyperämie. Die aktive Hyperämie dauert nach Hildebrandti) bei Kaninchen ungefähr 20 Minuten, um dann der passiven Platz zu machen. Dies stimmt mit Klapp's Befunden aufs beste überein, und wir sehen auch hier wieder, dass aktive Hyperämie die Resorp- tion beschleunigt, obwohl man ja an und für sich durch den be- deutenden Eingriff, welchen ein grosser Bäuchschnitt und Vor- lagerung der Eingeweide darstellt, zweifellos eine Schädigung der Gewebe der Bauchhöhle hervorbringt.

Sehr befremdend war mir anfangs der Befund Klapp's, dass Hochlagerung eines Gliedes die Resorption verlangsamt, da wir durch zahlreiche Versuche wissen, dass Ödeme durch hohe Lage verschwinden. An gesunden Ghedern aber Hess sich die Verlang- samung der Resorption des Milchzuckers durch dieses Mittel ganz zweifellos nachweisen und wir werden wohl nicht fehlgehen, wenn wir die durch die hohe Lage verminderte Blutfülle dafür verant- worthch machen.

Wir sehen also, dass auch der wissenschaftliche Versuch unsere durch praktische Erfahrungen gewonnene Ansicht, dass arterielle Hyperämie resorbierend wirkt, bestätigt.

Umgekehrt liegt es bei rein theoretischer Betrachtung nahe, anzunehmen, dass eine Stauungsbinde, während sie in Tätigkeit ist, die Resorption herabsetzt. Diese Erwägungen haben uns ver- anlasst, die Stauungshyperämie, wenn sie bei nichtinfektiösen Krankheiten zur Beseitigung von rheumatischen und anderen Ge- lenkversteifungen benutzt wird, mit Massage zu verbinden, in der

1) Hildebrandt, Die Ursachen der Heilwirkung der Laparatomie bei BaucMelltuberkulose. Münchner med. Wochenschr. 1898.

]^7Jt Allgemeine Wirkungen der Hyperämie.

Absicht, krankhafte Stoffe, welche sie erweicht und gelöst hat (siehe folgendes Kapitel), zur Resorption zu bringen.

Klapp hat es unternommen, diese Frage ebenfalls durch den Versuch zu beantworten. Er fand nun, dass in der Tat, solange die Stauungsbinde lag, die Resorption sehr erhebhch verlangsamt war, dass sie aber sich sehr vermehrte nach Lösung der Binde. Und zwar war die Vermehrung der Resorption nach Abnahme der Binde so bedeutend, dass der Enderfolg der Stauungshyperämie schhesshch eine Beschleunigung bedeutete. Dabei ist aber zu be- denken, dass Klapp nach der Einspritzung des Milchzuckers nur eine Stunde die Stauungshyperämie anwandte, und die ganze Aus- scheidung in etwa drei Stunden vollendet war. Wir wenden aber häufig die Stauungshyperämie viel längere Zeit bei erkrankten Gliedern an, und man darf wohl annehmen, dass hier das End- ergebnis nicht eine Beschleunigung der Resorption ist. Aus dem Grunde haben wir eben der Stauungshyperämie in solchen Fällen die Massage zugefügt.

Schon vorher hatte ein früherer Assistent von mir, Ritter, die resorptionsverlangsamende Wirkung der Stauungsbinde be- wiesen. Er spritzte Tuberkulösen an Gliedern Tuberkulin ein, welche sich unter dem Einfluss einer kräftigen Stauungshyperämie befanden. Es gelang ihm dadurch, nicht in allen, aber in den meisten Fällen, die Tuberkulinreaktion um ein Beträchtliches hinauszuschieben .

Ich habe hier noch einiger teilweise recht alter Versuche zu gedenken, die die Verlangsamung der Resorption durch Stauungs- hyperämie und Anämie beweisen.

Die Behandlung vergifteter Wunden mit Schröpfköpfen ist ein uraltes, bei den verschiedensten Völkern gebräuchhches Mittel. Man dachte damit das eingedrungene Gift aus den Wunden heraus- zusaugen. Aber aus Andeutungen Cooper'si) geht klar hervor, dass er auch die Verhinderung der Resorption des Giftes infolge der Stauung, welche der Schröpfkopf hervorbringt, für sehr wichtig hält. Er erwähnt dies bei der Besprechung der Versuche Barry's, der Versuchstieren beigebrachte Vipernbisse erfolgreich mit Schröpf- köpfen behandelte.

Wichtige Untersuchungen über die Beeinflussung der Resorp-

1) Cooper, Theoretisch praktische Vorlesungen über Chirurgie. III. Bd. S. 814. Übersetzt von Schütte. Cassel 1846.

Resorbierende Wirkung der Hyperämie. 175

tion durch Stauungshyperämie und Anämie finden wir in Braun's vortreff hohen Arbeiten über Lokalanästhesie. Brauni) wies nach, dass auch eine kräftige Stauungshyperämie die Resorption des peripher von der abschnürenden Binde eingespritzten Cocains ganz erhebhch verlangsamt. Vor allem aber bewirkte dies der Zusatz von Nebennierenpräparaten durch die starke Anämie, die sie er- zeugen. Diese Tatsachen sind ja durch Braun's^) Methoden der Lokalanästhesie so allgemein bekannt geworden, dass ein kurzer Hinweis darauf genügt.

Klappt) konnte die Richtigkeit der Voraussetzungen Braun's, dass Nebennierenpräparate die Resorption des Cocains erheblich verzögern, durch exakte Tierversuche nachweisen.

Überall also sehen wir, dass vor allem die Anämie und da- neben auch die Stauungshjrperämie die Resorption stark verlang- samen. Dies erscheint für unsere Zwecke deshalb von Bedeutung, weil wir hoffen können, durch diese Mittel gefährliche Bakterien- gifte im erkrankten Körperteile zurückzuhalten und so edlere Teile, z. B. das Zentralnervensystem, vor ihnen zu schützen, weil sie nur langsam in den Kreislauf eindringen und allmählich aus- geschieden werden können. Allerdings ist ja jede künstliche Anämie ein vorübergehender Zustand, der sogar mit Notwendigkeit von einer Hyperämie gefolgt ist, und auch die Stauungshyperämie wenden wir nicht dauernd, sondern mit Unterbrechungen an. Da liegt, theoretisch betrachtet, die Gefahr vor, dass beim Nachlassen jener resorptionsbehindernden Mittel plötzlich die aufgehäuften Giftstoffe in den Kreislauf eintreten, und nun erst recht eine schwere Allgemeinvergiftung hervorrufen. Dies wäre der Fall, wenn die lebendigen Gewebe es nicht verständen, auf bisher noch unauf- geklärte Weise organische Giftstoffe zu vernichten und unschädlich zu machen, wie neuere wichtige Arbeiten darzutun scheinen.

Czylharz und Donath*) teilten im Jahre 1900 folgenden

1) Bravin, Experimentelle Untersuchungen und Erfahrungen über Leitungs- anästhesie. Archiv für klinische Chirurgie. 71. Band. 1. Heft. S. 10, und: Die Lokalanästhesie, ihre wissenschaftlichen Grundlagen und praktische Anwendung. Leipzig 1905. S. 177.

2) Vergleiche sein soeben genanntes zusammenfassendes Werk: Die Lokal- anästhesie usw.

3) Klapp, Experimentelle Beiträge zur Kenntnis der Wirkung der Neben- nierenpräparate. Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 71. Band.

4) Czylharz tind Donath, Ein Beitrag zur Lehre von der Entgif tiing. Centralblatt für innere Medizin. 1900. Nr. 13.

\'J Q Allgemeine Wirkungen der Hyperämie.

Aufsehen erregenden Versuch mit, den sie oft mit demselben Er- folge wiederholten: Sie brachten am Hinterbein eines Meer- schweinchens eine v. Es mar ch' sehe künstMche Blutleere an und spritzten in das aus der Zirkulation ausgeschaltete Glied eine Dosis Strychnin, die bei gleich schweren Kontrolltieren in 2 -5 Minuten sicher tödlich wirkte. Alle Tiere blieben vollständig gesund, wenn nach 1 4 Stunden die abschnürende Binde abge- nommen wurde. Es musste also das Gift auf irgend eine Weise von dem lebendigen Gewebe gebunden oder neutralisiert sein.

Die Ergebnisse und Schlussfolgerungen dieser beiden Ärzte wurden von Meltzer und Langmann^) bestritten. Sie konnten nur bestätigen, dass bei der gleichen Versuchsordnung die Re- sorption von Giften, die in ,, blutleere" Glieder eingespritzt sind, nach Lösung der Schnürbinde etwas beeinträchtigt, aber durchaus nicht wesenthch beeinflusst oder gar aufgehoben wird. Meltzer und Langmann leugnen deshalb die Bindung und Neutralisierung der Gifte durch die Gewebe und erklären die Beeinträchtigung ihrer Resorption durch Verlegung von Blut- und Lymphgefässen, die durch die Abschnürung eintreten soll. Das trifft nun vielleicht für Schlangengift zu, welches schwere Stauungen, Blutungen, Trom- bose und sogar Gangrän des gebissenen Gliedes hervorbringen kann, aber sicher nicht für Gifte, die nicht zu so heftigen Reak- tionen führen. Denn wir wissen, dass eine 1 4stündige Blutleere zu einer mit gewaltiger Beschleunigung des Blutstroms und somit auch der Resorption führenden Hyperämie der abgeschnürt ge- wesenen Glieder führt. Man sollte im Gegenteil erwarten, dass nach Lösung der Binde die Vergiftung viel schneller und plötz- licher auftreten sollte. Dass dies nicht der Fall ist, spricht schon mit grosser Deutlichkeit für die Richtigkeit der von Czylharz und Donath behaupteten Entgiftung.

Kohlhardt^) konnte diese Entgiftung bei Strychnin an den blutleer gemachten Geweben des Kaninchens zwar ebenfalls nicht nachweisen, wohl aber gelang ihm dieser Nachweis bei Cocain. Spritzte er Kaninchen absolut tödliche Dosen von Cocainum muria- ticum in abgeschnürte Glieder, so richtete sich die nach Lösung des Gummischlauchs beobachtete Vergiftung genau nach der

1) Meltzer und Langmann, Wird Strychnin durch lebendes tierisches Gewebe entgiftet. Centralblatt für innere Medizin. 1900. Nr. 37.

2) Kohlhardt, Über Entgiftung des Cocains im Tierkörper. Verhand- lungen der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. 1901. Band II. S. 644.

Resorbierende Wirkung der Hyperämie. 2 77

Dauer der Abschnürung. Hatte der Schlauch länger als eine Stunde gelegen, so traten überhaupt keine Vergiftungserscheinungen mehr auf.

Kleine!) konnte die Beobachtungen von Czylharz und Donath bestätigen, erklärt sie aber ganz anders. Er nimmt an, dass trotz der Abschnürung auf dem Wege der Resorption oder der Osmose ganz kleine Mengen des Giftes in die Blutbahn ge- langen. Dass dies wirklich der Fall ist, bewies er dadurch, dass er statt Strychnins Ferrocyankalium in das abgeschnürte Glied spritzte, und nach 2 Stunden in dem der Blase entnommenen Harn auf Zusatz von Salzsäure und Eisenchlorid deutliche Berlinerbläu- Reaktion fand. Auch sämtliche Gewebe des Oberschenkels oberhalb der Abschnürung gaben diese Reaktion, freilich nur schwach. Die Versuche Kleine's sind einwandfrei, vorausgesetzt, dass die Ab- schnürung wirklich vollständig war, und er nicht vor der völligen Abschnürung des Gliedes durch langsames Zuschnüren der Binde eine Stauungshjrperämie hervorgebracht hat. Denn ich habe den Beweis geführt 2), dass in solchen Körperteilen das gestaute Blut zum grossen Teil durch den Knochen, der natürlich nicht abge- schnürt werden kann, zurückläuft.

Freilich, keinesfalls genügt Kleine's Erklärung für die Ver- suche Kohlhardt's. Denn die Giftmengen, die die Abschnürung passieren können, sind nur sehr gering, und Kohlhardt spritzte so ungeheure Mengen von Cocain bei seinen Versuchstieren ein, dass der Tod oder wenigstens schwere Vergiftungserscheinungen hätten eintreten müssen, wenn nicht tatsächlich die ,, Entgiftung" erfolgt wäre. Alles in allem scheint mir aus diesen Versuchen hervorzugehen, dass in der Tat die lebendigen Gewebe die Vernich- tung eingedrungener Gifte durch einen noch unbekannten Lebens- vorgang bewirken können. Wir würden dann auch die Wirksamkeit des uralten Mittels verstehen, Glieder mit vergifteten Wunden, in erster Linie Schlangenbissen, abzuschnüren. In der Regel liess man ja allerdings der Abschnürung das Ausbrennen, Ausschneiden oder Aussaugen der Wunde folgen, aber auch der Abschnürung allein schrieb man wie es nach den erwähnten Untersuchungen scheint, mit Recht einen wohltätigen Einfluss zu.

1) Kleine, Über Entgiftung im Tierkörper. Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten. 36. Band. S. 1. 1901.

2) Bier, Virchow's Archiv. 153. Band. S. 311 und folgende Seiten. Bier, Hyperämie als Heilmittel. 12

]^7g Allgemeine Wirkungen der Hyperämie.

Von grösserer Wichtigkeit für unser Thema ist die Tatsache, dass auch die Stauungsh3rperämie hier in ähnhcher Weise wie die Anämie wirkt. Sicherhch spielt bei dieser Behandlung auch die grössere Verdünnung der Gifte durch das entstehende Ödem eine Rolle. Wissen wir doch aus der Pharmakologie und aus Schleie h's Untersuchungen, dass die Grösse der Giftwirkung im höchsten Grade abhängig ist von der Konzentration des Giftes.

Den experimentellen Beweis dafür, dass in ödematöse Körperteile eingespritzte Gifte in ihrer Wirkung ganz erheblich abgeschwächt werden, hat kürzlich Joseph^) geliefert. Von 7 Versuchstieren, denen er die unbedingt tödliche Dosis von Strychnin einspritzte, kamen 6 mit dem Leben davon, wenn er die Einspritzung in Körperteile machte, die durch eine Stauungsbinde stark ödematisiert waren. Dass hier die einfache Verdünnung und die dementsprechend verlangsamte Resorption und nicht etwa eine spezifische Wirkung des Bluttranssudats die Tiere gerettet hatte, geht daraus hervor, dass eine vorherige Ödematisierung mit physiologischer Kochsalz- lösung den gleichen Erfolg hatte.

So erklärt sich auch, wie ich schon mehrfach betont habe, der augenfällige und sofortige Einfluss der Stauungshyperämie auf den Verlauf des Fiebers bei manchen akuten Infektionen. Nach dem Anlegen der Stauungsbinde sahen wir zuweilen die Körpertempe- ratur sofort fallen, beim Abnehmen wieder steigen. Natürlich be- einflusst daneben die Stauungshyperämie auch den Temperatur- verlauf durch Vernichtung der Krankheitsursache. Lexer^) hält die Stauungshyperämie bei akuten Infektionen für sehr bedenklich, weil sie die Bakterien in grosser Anzahl löse, ihre Endotoxine frei mache und diese nun nach Lösung der Binde in grossen Mengen in den Kreislauf gelangen. Ich werde auf diesen und andere Einwände Lexer's später zurückkommen.

Wir verstehen jetzt ferner, was die Natur bezweckt, wenn sie in Gliedern, die von Schlangen gebissen sind, sofort die grossartigste Blutstockung eintreten lässt, die sich bis zum Brande steigern kann. Sie will verhüten, dass das Gift in den Kreislauf dringt und tödlich wirkt, und sie scheut sich nicht, diesem Zwecke nötigenfalls das GHed zu opfern, um das Leben zu erhalten.

1 ) Joseph, Einige Wirkiingen des natürlichen Odems und der künstlichen Öde- matisierung. Ein Beitrag zur Stauungstherapie. Münchner med. W. 1905. Nr. 40.

2) Lexer, Die Behandlung akuter Entzündungen mittels Stauungshyper- ämie. Münchner med. Wochenschrift. 1906. Nr. 14.

Resorbierende Wirkung der Hyperämie. J^79

Ich habe mehrmals darauf hingewiesen, dass die Resorption von Wasser und wasserlöshchen Stoffen normalerweise fast gänz- lich durch das Blut erfolge, dass damit aber nicht ausgeschlossen sei, dass der Lymphstrom dies ebenfalls besorgen könne. Das letztere scheint mir z. B. der Fall zu sein bei der Volkmann'- schen Behandlung der chronischen Gelenkergüsse mit starken Druckverbänden. Volkmann selbst beschreibt, dass die Binden mit grosser Kraft über das geschwollene Gelenk angezogen wurden, so dass der fusswärts gelegene Teil der Glieder blau und ödematös wurde. Das Verfahren ist deshalb so schmerzhaft, dass der Kranke die erste und häufig auch die zweite Nacht in der Regel nicht schläft. Da durch einen so starken Druck die ganze Gegend des kranken Gelenks, soweit die Binde sitzt, zweifellos anämisiert wird, so ist es wahrscheinlich, dass der Erguss hier in die Lymph- spalten des Gelenks hineingedrückt wird und die Lymphwege ihn abführen.

Umgekehrt scheint es, dass die Lymphwege durch die Blut- bahnen in der Aufsaugung und Fortschaffung der ausgeschiedenen Lymphe vertreten werden können. Denn wir Chirurgen zerstören häufig in der ausgiebigsten Weise bei der Ausräumung erkrankter Achsel- und Schenkeldrüsen die grossen abführenden Lymphstämme, da wir die ganze Gegend meist bis auf die grossen Blutgefässe und Nerven von ihren Drüsen und Bindegewebe befreien. Nach dieser eingreifenden Operation sieht man nur verhältnismässig selten Lymphstauung, und wir müssen wohl annehmen, dass die ausgeschiedene Lymphe hier von den Blutgefässen wieder aufge- nommen wird, bis sich genügende Lymphkollateralbahnen gebildet haben. Ist das letztere dagegen nicht der Fall, so scheint es, dass die Blutgefässe nicht auf die Dauer die Fortschaffung der ausge- schiedenen Lymphe besorgen können, denn es sind zahlreiche Fälle bekannt, wo es nach den genannten Operationen zu dauerndem Ödem und infolge davon zu Elephantiasis kam.

Auflösende Wirkung der Hyperämie.

Nun haben wir es bei den Krankheiten, gegen welche wir er- fahrungsgemäss hyperämisierende Mittel mit Erfolg anwenden, nicht immer mit wässrigen oder mit wasserlöslichen, sondern oft

12*

ISO AUgeixieine Wirktuigen der Hyperämie.

auch mit festen Stoffen zu tun, welche schhesshch der Resorption verfallen müssen, wenn anders sie beseitigt werden sollen. Dies ist zum Beispiel der Fall bei Blutgerinnseln, Gelenkversteifungen und Gelenk Wucherungen. Sollen diese resorbiert werden, so müssen sie vorher gelöst sein, und dass dies die Hyperämie besorgen kann, darüber besteht gar kein Zweifel. Denn unter ihrem Einfluss sehen wir Gelenkwucherungen und Sehnenknoten zuweilen in ver- hältnismässig kurzer Zeit verschwinden. Ich konnte das unter anderem auf das schönste beobachten bei einem Herrn, welcher durch einen vor längerer Zeit überstandenen gonorrhoischen Rheu- matismus der verschiedensten Gelenke und Sehnenscheiden in einen trostlosen Zustand gekommen war. Er war sehr lange ohne jeden Erfolg nicht nur mit allen möglichen milden Mitteln (Massage, Wasser, Jodeinpinselungen), sondern auch mit den quälendsten eingreifenden Massnahmen (medikomechanischen Ma- schinen, brisement force mit und ohne Narkose) ohne jeden Er- folg, aber niemals mit stärker hyperämisierenden Mitteln behan- delt. Da an den Strecksehnen seiner Finger dicke, leicht fühl- und sichtbare Knoten zurückgeblieben waren, so boten diese eine ausgezeichnete Gelegenheit, sich von der auflösenden Wirkung der Hyperämie zu überzeugen. Um beide Arten derselben zu studie- ren, wandte ich zuerst auf der einen Seite Stauungshyperämie, dann auf der anderen heisse Luft an. Bei beiden Formen der Hyper- ämie konnte ich die Knoten unter meinen Augen schrumpfen und verschwinden sehen. In ähnlicher Weise sah ich vor Jahren einen sieht- und fühlbaren Gelenkknoten unter dem Einflüsse eines Saug- apparates verschwinden. Am augenfälhgsten war die Wirkung der Hyperämie bei den ersten Anwendungen; später ging die Auf- lösung langsamer vorwärts. Neuerdings beobachtete ich einen wei- teren Fall von Auflösung eines Sehnenknotens, der zu schnellen- dem Finger geführt hatte. Der Träger desselben, ein älterer Herr, konsultierte mich wegen desselben. Ich schlug ihm die operative Entfernung des deutlich fühlbaren Knotens vor und riet ihm ab, einen Heissluftapparat, dessen Verordnung er von mir gewünscht hatte, zu gebrauchen. Er schaffte sich aber trotzdem auf eigene Faust den Apparat an und benutzte ihn täglich 1 Stunde. Nach einigen Wochen stellte er sich mir vor, mit der Angabe, dass das Schnellen des Fingers unter dieser Behandlung bald aufgehört habe und der Knoten allmähhch verschwunden sei. Ich musste die Richtigkeit dieser Beobachtung bestätigen.

Auflösende Wirkung der Hyperämie. ]^3]^

Ein mir bekannter Kollege, Dr. Thomas aus Cöln, erzählte mir, dass er Keloide unter Stauungshyperämie habe verschwinden sehen. Ich selbst konnte Thomas' Beobachtungen, wie ich später noch schildern werde, bestätigen.

An der Tatsache der Auflösung krankhafter fester Stoffe durch hyperämisierende Mittel besteht nach diesen Beobachtungen nicht der geringste Zweifel. Ich erinnere daran, dass man von alters her die sogenannten hautreizenden und ,, ableitenden", oder, wie wir behaupten, ebenfalls hyperämisierenden Mittel für diesen Zweck der Lösung gebraucht hat. Man hat sie deshalb sehr treffend auch mit dem Namen der erweichenden und zerteilenden Mittel belegt.

Es ist unbestritten, dass Entzündungen, und zwar vor allem eitrige Entzündungen, gewebslösende und einschmelzende Wirkung haben. Man hat diesen merkwürdigen Vorgang wegen seiner Ähn- üchkeit mit der Verdauung Autodigestion, später Autolyse genannt und lässt sie durch eine Fermentwirkung entstehen, die man vor allen Dingen den Leukocyten zuschreibt. Die oben beschriebenen gleich- artigen Wirkungen der reinen Hyperämie sprechen aber mit gros- ser Deutlichkeit dafür, dass die blosse entzündliche H3rperämie hier ebenfalls eine Rolle spielt.

Dies scheint mir auch folgende Erfahrung zu bestätigen: Es wird wohl niemandem einfallen, die Erweiterung der Harnröhren - Verengerungen durch Bougies der rein mechanischen Wirkung derselben zuzusprechen. Man gibt allgemein zu, dass die durch den Eingriff geschaffene entzündliche Reizung der Narbe diese er- weicht und nachgiebig macht, und unseren herrschenden Anschau- ungen folgend, wird man dies wieder allein die Eiterkörperchen besorgen lassen. Demgegenüber weise ich auf die Tatsache hin, dass Narben der Scheide, die so schlimm sind, dass sie unver- ändert ein Geburtshindernis sein würden, in der Schwangerschaft so erweichen, dass sie dehnbar werden und die Geburt ohne Schwie- rigkeit verlaufen kann. Hier ist aber von Eiterung keine Rede, es kann nur die mächtige Hyperämie, welche in allen Teilen des Ge- schlechtsapparates während der Schwangerschaft herrscht, die Lösung hervorgebracht haben.

Dass auch andere Blutbestandteile als Leukocyten und ihre Zerfallsprodukte lösend und einschmelzend wirken, beweist eine Er- fahrung der inneren Medizin, Bei schwerem Hydrops nach Nieren- und Herzkrankheiten lässt man nach Versagen der inneren Mittel

232 Allgemeine Wirkungen der Hyperämie.

das Ödem aus kleinen Wunden am Unterschenkel ab. Tagelang fliesst aus ihnen die alkalische Flüssigkeit und maceriert und löst die Haut auf, wenn diese nicht sorgfältig durch Salben und Pasten geschützt wurde. Und doch handelt es sich nur um ein dünnes Bluttranssudat, von einem entzündhchen Produkte ist hier keine Rede.

Auch Billrothi) schreibt in seiner Abhandlung über Entzün- dung die lösende Wirkung derselben hauptsächlich den eingewan- derten Leukocyten zu. Er sagt: „Jeder Arzt weiss, dass das ent- zündlich infiltrierte, ziemlich feste Bindegewebe beim Eiterungs- prozess vollständig verschwinden und aufgelöst werden kann ; es ist ferner bekannt, dass sogar Knorpel und Knochen bei der Entzün- dung in lösliche Substanzen umgewandelt werden, und dass nur Sehnen, Nägel und Haare diesem Auflösungsprozess mit grosser Kraft zu widerstehen pflegen, und erstere meist in Form von nekro- tischen Fetzen bei der Eiterung ausgestossen werden." Er weist dann an Präparaten von entzündeten Vorhäuten nach, wie das entzündliche Ödem und eingewanderte Zellen das Bindegewebe vollständig zur Auflösung bringen. Er schreibt diese Wirkung besonders den letzteren zu, denn er sagt: ,,Es scheint aus den an- geführten Beobachtungen hervorzugehen, dass eine der Wirkungen der lebendigen Zellen darin beruht, dass sie unter gewissen Ver- hältnissen die Bindegewebsfaser und auch die Fibrinfaser in einen weichen, halb gallertartigen Zustand zu metamorphosieren im- stande sind."

Wir sahen an unseren einwandfreien, oben angeführten Beob- achtungen, dass eine Lösung bindegewebiger Teile allein durch die Hyperämie möghch ist. Wir werden deshalb auch nicht umhin können, die Ansicht, dass nur der Eiterungsprozess bei der Ent- zündung die Auflösung bewerkstellige, als einseitig hinzustellen, und werden auch der die Entzündung einleitenden und sie während ihrer ganzen Dauer begleitenden Hyperämie in dieser Beziehung eine wichtige Rolle bei der Auflösung zuschreiben müssen. Ich will damit keineswegs die durch zahlreiche Beobachtungen fest- gestellte lösende und einschmelzende Wirkung der Eiterung be- zweifeln.

Diese hat man nun seit langem einer verdauenden Eigenschaft der Eiterkörperchen zugeschrieben; sie sollen sogenannte ver-

1) Billroth, Mancherlei über die morphologischen Vorgänge bei der Ent- zündung. Medizinische Jahrbücher. 18. Bd. S. 18. 1869.

Auflösende Wirkung der Hyperämie. 183

dauende Enzyme ausscheiden, welche die Einschmelzung bewerk- steUigen. Vor allem hat Leberi) durch seine schönen und über- zeugenden Untersuchungen dieser Anschauung zum Siege verhelfen. Auch aus den sehr zahlreichen anderen Untersuchungen, die wir als zu weit führend hier übergehen müssen, ist die verdauende und lösende Wirkung der Leukocyten auf das schlagendste bewiesen.

Neuerdings hat nun Büchner^) allen Zellen des Körpers neben aufbauenden (assimilierenden) abbauende (desassimilierende) Stoffe zugeschrieben. Diese letzteren sollen von den Zellen als lösende und verdauende Säfte (Enzyme) an das Blutserum ab- gegeben werden, und dieses soll dadurch dieselbe Wirkung erhalten, während die aufbauenden Stoffe an die Zellen gebunden bleiben sollen. Diese verdauenden Säfte lösen nach Buchner alles Fremd- artige, was in den Körper hineingelangt ist, und zwar nicht nur organische Fremdkörper, Katgutfäden, abgestorbene Gewebsbe- standteile, sondern auch die Bakterien. Er hält deshalb zwar an seiner Ansicht von der bakterientötenden Eigenschaft des Blut- serums, dessen wirksame Bestandteile vor allem aus den Leukocyten stammen, fest, glaubt aber nicht mehr^ dass dies eine spezifische Tätigkeit sei, sondern dass die allgemein das Fremdartige auflösende Wirkung des Blutserums auch die Bakterien mit umfasse und so ihre Vernichtung herbeiführe.

Buchner vertritt hier Anschauungen, welche in einer aller- dings grösseren Beschränktheit schon vor langer Zeit Landois^) ausgesprochen hat. Derselbe wies zuerst darauf hin, dass jede Art ihr eigenes Blut hat und dies von fremden Bestandteilen unter allen Umständen rein zu erhalten sucht. Deshalb wird jede fremde Blutart, welche man einem Tier oder Menschen einverleibt, sofort von dem Blute des Empfängers vernichtet. Und zwar wies Lan- dois überzeugend nach, dass das Blutserum eines jeden Tieres die Blutkörperchen aller andern Tierarten zur Auflösung bringt. Die neuere bakteriologische Forschung, welche diese Untersuchungen merkwürdigerweise fast gänzlich mit Stillschweigen übergeht, hat ja Landois' Beobachtungen aufs vollkommenste bestätigt und nach einer vollständig neuen Richtung hin weiter ausgebaut.

1) Leber, Die Entstehung der Entzündung. Leipzig 1891.

2) Buchner, Natürliche Schutzeinrichtungen des Organismus und deren Beeinflussung zum Zweck der Abwehr von Infektionsprozessen. Münchner med. Wochenschr. 1899. Nr. 39 u. 40.

3) Landois, Die Transfusion des Blutes. Leipzig 1875.

\g^ Allgemeine Wirkungen der Hyperämie.

Zu den lösenden Eigenschaften des Blutes müssen wir wohl auch in erster Linie die Besserungen der Gelenkversteifungen rechnen, welche nach jeder Einwirkung der Hyperämie, der aktiven sowohl wie der passiven, auftreten. Allerdings ist hier noch vieles andere in Betracht zu ziehen. Wahrscheinhch werden binde webige Verwachsungen infolge von seröser Durchtränkung und Quellung weicher, geschmeidiger und dehnbarer gemacht. Ferner habe ich früher schon melirfach darauf hingewiesen, dass ein grosser Anteil in der Beseitigung von Versteifungen zweifellos der Schmerz- hnderung durch die Hyperämie zuzuschreiben ist. Denn sonst wäre es gar nicht verständhch, dass ein Mensch sein chronisch rheumatisch erkranktes Gelenk, welches vorher ganz steif war, nach einem einstündigen Aufenthalt im Heissluftkasten, und ein Tripperkranker sein rasend schmerzhaftes und völlig unbeweg- liches entzündetes Gelenk nach einer halb- bis einstündigen Stauungshyperämie bewegen kann.

Sudecki) hat die günstige Wirkung der Stauungshyperämie bei traumatisch versteiften Gelenken in erster Linie dadurch zu erklären gesucht, dass diese die von ihm dabei nachgewiesene Knochenatrophie durch bessere Ernährung beseitige (das Genauere siehe später). Es ist immerhin möghch, wenn auch unbewiesen, dass dies eine Rolle mitspielt, aber wir kommen um die auflösende Wirkung des Blutes nicht herum, das beweist das oben beschrie- bene, von uns direkt beobachtete Verschwinden von Sehnen- und Gelenkknoten unwiderleghch.

Man darf eben nie vergessen, dass wir unter dem Namen Hyperämie eine grosse Reihe von chemischen und physikalischen Vorgängen zusammenfassen, und je mehr Erfahrung ich auf diesem Gebiete bekomme, um so mehr wende ich mich von einseitigen An- schauungen ab, wie sie hier von Sudeck und in anderer Beziehung, wie ich schon ausführte, von Bakteriologen vertreten werden.

Ich kann mich überhaupt mit dem heute in der Pathologie vielfach herrschenden Schematismus, der stets nur einer einzigen der vielen Eigenschaften oder Stoffe eines Lebensvorganges die alleinige Wirksamkeit zuspricht, nicht befreunden. Denn sehen wir uns einmal die physiologischen Vorgänge im Körper an, so be-

1) Sudeck, Über die akute (reflektorische) KJnochenatrophie nach Ent- zündungen und Verletzungen an den Extremitäten und ihre klinischen Er- scheinimgen. Fortschritte auf dem Gebiet der Röntgenstrahlen. 5. Bd.

Auflösende Wirkung der Hyperämie. 185

merken wir, dass sie sämtlich eine Vielheit von Zwecken haben, die auf einen Endzweck hinauslaufen. Dafür kann man sehr zahl- reiche Beispiele anführen; ich will, da wir uns hier gerade mit der Wirkung der Hyperämie beschäftigen, zwei Formen der physio- logischen Hyperämie als Beispiel wählen, obwohl man auf anderen Gebieten noch viel schlagendere Beweise vorbringen könnte.

Wenn wir einen Körperteil einer sehr heissen Luft aussetzen, so entsteht eine starke Hyperämie desselben, und wenn er gross ist, auch anderer Körperteile. Diese Hyperämie dient mehreren Zwecken. Sie muss den Stoff für die Schweissabsonderung ab- geben, sie muss dadurch, dass ein starker und schnellfliessender Blutstrom den gefährdeten Teil durchströmt, ihn als Kühlstrom abkühlen und schhessHch auch den ganzen Körper, da das Blut in die peripheren Teile geleitet wird und dort die aufgenommene Wärme nach aussen abgibt. Die Hyperämie erfüllt also mindestens drei verschiedene Zwecke: sie nahm an der einen Stelle Wärme auf, an der andern gab sie sie ab und sie ermöghchte die starke Schweissabsonderung, aber diese Zwecke dienten sämthch dem einen Endzweck, den Körper vor einer Schädlichkeit, der örthchen und allgemeinen Überhitzung, zu bewahren.

Nach reichlicher Nahrungszufuhr ermöglicht die starke Hyper- ämie die Ausscheidung von Wasser in den Magendarmkanal, die Absonderung sehr verschiedener Verdauungssäfte und schHesslich die Resorption. Und alle diese verschiedenen Vorgänge haben wieder nur einen gemeinschafthchen Zweck, die Assimilation der Nahrung.

Nichts kann besser die ganz verschiedene Wirkung der künst- hchen Hyperämie auf Krankheiten, je nach der zu bekämpfenden Ursache beweisen, als folgende Überlegung: Eine der anerkann- testen Wirkungen der Stauungshyperämie ist die Knochenneubil- dung. Man benutzt sie ja deshalb, um Knochenbrüche, die nicht heilen wollen, zu festigen. Dieselbe Hyperämie aber lässt nicht etwa stark kariöse, mit grossen von Knorpel entblössten Knochen- geschwüren versehene Gelenkenden häufiger ankylosieren, sondern im Gegenteil erhält das Gelenk, wie mich zahlreiche Beobachtungen überzeugt haben, häufig beweglich, welches ohne sie bei der Aus- heilung sicher der Ankylose verfallen wäre.

Bei der Lösung von Versteifungen wirken aktive und passive Hyperämie vollständig gleichartig. Das Nähere werde ich bei den betreffenden Kapiteln im speziellen Teile auseinandersetzen.

\QQ Allgemeine Wirkungen der Hyperämie.

Wahrscheinlich führt der Lösungsvorgang der Hyperämie die krankhaften Wucherungen und Verwachsungen versteifter Gelenke und anderer Krankheiten zum grossen Teil in wasserlöshche Stoffe um, die der Blutstrom resorbiert. Aber es ist wohl kaum zu be- zweifeln, dass dabei geformte Gewebstrümmer zurückbleiben, welche nach allen unseren Erfahrungen auf dem Lymphwege weggeführt werden. Es wäre also sehr zu wünschen, dass unsere Kenntnisse über die Beeinflussung des Lymphstroms durch die Hjrperämie gründlicher wäre, als sie nach den Ausführungen, welche ich in dem betreffenden Kapitel gegeben habe, sind. Solange wir aber noch so wenig über diese Verhältnisse wissen, ist es müssig, Ver- mutungen und Behauptungen darüber aufzustellen, dass auch auf diesem Gebiete unsere praktische Erfahrung durch die wissenschaft- liche Kenntnis gestützt und erklärt werde.

In neuerer Zeit hat man versucht, auch die Wirkung gewisser chemischer und physikalischer Mittel auf Autolyse zurückzuführen. So glaubt Heilei), dass das in kalte tuberkulöse Abszesse einge- spritzte Jodoform eine Einwanderung von Leukocyten veranlasse, durch deren Zerfall Enzyme frei werden, die den Abszessinhalt auflösen und resorptionsfähig machen.

Heineke^) fand, dass eine mehrstündige Bestrahlung von Ver- suchstieren mit Röntgenlicht das lymphoide Gewebe des Körpers die Follikel der Milz, der Lymphdrüsen, des Darmkanals und bei jungen Tieren auch der Thymus in der grossartigsten Weise zer- stört. Vor kurzem konnte er dasselbe für die weissen Zellen des Knochenmarks nachweisen. Diese äusserst wichtigen Befunde wer- fen ein ganz neues Licht auf die rätselhaften Wirkungen der Rönt- genstrahlen auf den Tierkörper und versprechen die Grundlage weiterer wichtiger Untersuchungen zu werden. Heile folgert aus Heineke's Beobachtungen, dass auch das Röntgenhcht durch die Zerstörung von Organzellen und Leukocyten Enzyme frei mache, die zur Einschmelzung und Resorption von normalen und krank- haften Geweben führen.

1) Heile, Über intravitale Beeinflussung autoly tischer Vorgänge im Kör- per. Zeitschrift für klinische Medizin. 55. Band.

2) Heineke, Experimentelle Untersuchungen über die Einwirkung der Röntgenstrahlen auf innere Organe.- Mitteilungen aus den Grenzgebieten der Medizin und Chtnargie. 14. Band. I. u. II. Heft. 1904, und: Über die Ein- wirkungen der Röntgenstrahlen auf innere Organe. Münchner med. Wochen- schrift 1904. Nr. 18.

Ernährende Wirkung der Hyperämie. 187

Vielleicht erklären sich auf diese Weise die Erfolge, über die Moseri) bei der Behandlung von Gelenkversteifungen mit Röntgen - licht-Bestrahlung berichtet. Man könnte sich denken, dass dabei Enzyme frei werden, die die Wucherungen und bindegewebigen Schrumpfungen der versteiften Gelenke lösen in ähnlicher Weise, wie ich das oben für die Hyperämie geschildert habe. Auf dem Chirurgenkongresse im Jahre 1905 hat Heile 2) weitere Mitteilungen über die Autolyse nach Röntgenbestrahlung gemacht. Er geht von dem Gedanken aus, die in den Leukocyten aufgespeicherten Enzyme frei zu machen und sie zur Auflösung und Beseitigung pathologischer Zustände während des Lebens auszunützen. Lockte Heile durch leukotaktische Mittel Leukocyten nach der Haut an und bestrahlte diese Stelle, so bekam er ein Röntgengeschwür, das bei dem Kontrolltiere nach gleicher Bestrahlung fehlte, selbst wenn er das Gewebe durch nicht leukotaktische Mittel beschädigt hatte.

Heile konnte ferner die künstlich erzeugte Peritonitis eines Kaninchens heilen, wenn er die Leukocyten auf das Bauchfell des Tieres konzentrierte und sie durch Röntgenstrahlen zum Zerfall brachte, während Kontrolltiere trotz gleicher Leukocytose mit der gleich grossen Infektion an Peritonitis zugrunde gingen, da hier die Enzyme an die Leukocyten gebunden blieben und nicht auf die Bakterien einwirken konnten.

Auch den heilenden Einfluss der Stauungshyperämie erklärt Heile aus dem Freiwerden intracellulärer Enzyme und deren Wirk- samkeit auf pathologische Zustände. Denn nach seinen Unter- suchungen hat die Anlegung einer stauenden Gummibinde an allen vier Gliedern einen sehr lebhaften Zellzerfall zur Folge, wie er an der Vermehrung der Gesamtstickstoff- Ausscheidung und an der vergrösserten Ausfuhr von Harnsäure und Purinbasen im Harn nachweisen konnte. Diese Untersuchungen sind sicherlich sehr wichtig und interessant, aber auch sie greifen aus einem kompli- zierten physiologischen Vorgange meiner Ansicht nach nur eine Teilerscheinung heraus. Ich glaube deshalb nicht, dass sie die

1) Moser, Behandlung von Gelenkfraktioren mit Röntgenbestrahlung. Centralblatt für Chiriirgie 1904. Nr. 23, und: Über Behandlvmg von Gelenk- st eifigkeiten mit Röntgenbestrahlixng. Naturforscher- Versammlung 1904.

2) Heile, Die Autolyse als Heilfaktor in der Chirurgie. Archiv für klin. Chirxirgie. Bd. 77. Heft. 4. 1905.

]^gg Allgemeine Wirkungen der Hyperämie.

Wirkung der Stauungshyperämie erklären können, noch viel weniger, dass sie den Gebrauch der so einfach, bequem und ungefährlich anzuwendenden hyperämisierenden Methoden einschränken oder ersetzen werden. Meines Erachtens soll man einen natürlichen Vorgang nach Möghchkeit in allen seinen Einzelheiten nach- ahmen .

Ernährende Wirkung der Hyperämie.

Bei der Erörterung der vorhergehenden Kapitel waren wir in der glücklichen Lage, klare Erfahrungstatsachen zu behandeln. Darüber, dass arterielle und venöse Hyperämie schmerzstillend, dass beide auflösend, dass die arterielle Hyperämie resorbierend, die passive heilend auf Infektionskrankheiten wirkt, besteht für mich gar kein Zweifel, denn ich habe es unzählige Male mit meinen Augen gesehen. Ich hätte jede dieser Tatsachen mit ein paar Worten schildern können, sie brauchten nicht näher bewiesen zu werden. Wenn ich trotzdem längere Ausführungen darüber ge- macht habe, so tat ich das ledighch aus dem Grunde, um nach dem Stande unserer heutigen wissenschafthchen Anschauungen jene Wirkungen zu erklären und fremde Beobachtungen mit ihnen in Einklang zu bringen. Es hat sich glückhch so gefügt, dass wir diese im allgemeinen mit unseren Ansichten in Einklang bringen konnten; jene Tatsachen sind aber so zweifellos feststehend, dass ich, auch wenn das Gegenteil der Fall gewesen wäre, in vollem Umfange daran festgehalten hätte. Ich sprach mich schon in der ersten Auflage dieses Buches mit dieser Entschiedenheit aus, ob- wohl meine Beobachtungen damals von anderer Seite wenig oder gar nicht bestätigt und so gut wie gänzhch ignoriert waren, denn die in den vorhergehenden Kapiteln von mir behaupteten Eigen- schaften der künsthchen Hyperämie sind so in die Augen springend, dass ich ein sehr schlechter Beobachter sein müsste, wenn ich mich getäuscht hätte.

Ganz anders liegen die Verhältnisse bei diesem Kapitel, wel- ches über die Beeinflussung der Ernährung durch Hyperämie han- delt. Denn obwohl diese Frage von allen, die bei der Erörterung der Hyperämiewirkung in Betracht kommen, im Gegensatz zu

Ernährende Wirkiing der Hyperämie. 189

meinen oben beschriebenen neuen Beobachtungen seit langer Zeit gründlich und häufig behandelt ist, so liegen die Verhältnisse keineswegs klar. Wir werden sehen, dass sich hier die Ansichten sehr stark widersprechen.

Die Behauptung, dass Hyperämie als solche ernährend wirke, ist sehr alt. Vor allem hat man dies für die sogenannte funk- tionelle Hypertrophie in Anspruch genommen. Man glaubte, dass die gesteigerte Funktion Hyperämie, und diese erst die Hyper- trophie erzeuge. Ich will diesen alten Streit hier nicht weiter erörtern. Er ist im grossen und ganzen als dahin entschieden zu betrachten, dass zwar die Hyperämie zur Hypertrophie notwendig, aber dass sie nicht das eigentlich Veranlassende ist, sondern dass der sogenannte Reiz ein Wort für einen noch unbekannten Begriff die Zellen erst veranlasst und befähigt, aus der ihnen durch die Hyperämie im Überschuss gebotenen Nahrung Stoffe aufzunehmen, die sie zu ihrer Vergrösserung oder Vermehrung verarbeiten. Wir wollen uns hier, da wir immer den praktischen Zweck im Auge haben, die Hyperämie zum Heilen von Gebrechen zu benutzen, auf die Frage beschränken : Gelingt es, durch Hyper- ämie schwache, welke und zurückgebliebene Körperteile passiv so zu ernähren, dass sie an Umfang und Leistungsfähigkeit das letztere ist das Entscheidende zunehmen?

Meines Erachtens sind hier zwei Dinge scharf auseinander zu halten, nämlich:

1. Können wir durch Hjrperämie unsere fertigen Körpergewebe in einen Zustand von Überernährung bringen, können wir sie ge- wissermassen künstlich mästen, und können wir das physiologische Wachstum dadurch beeinflussen?

2. Können wir die Regeneration der Gewebe durch Hyperämie beschleunigen oder anfachen?

Einfluss der Hyperämie auf die Ernährung fertiger Körperteile und auf das physiologische Wachstum.

Viele der älteren Beobachtungen, welche über das Vorkommen und die Ursachen hypertrophischer Körperteile handeln, sind nicht zu verwerten, weil man die allerverschiedensten Dinge unter dem Namen ,, Riesenwuchs" zusammenfasste, von denen wir jetzt wissen,

j^QQ Allgemeine Wirkungen der Hyperämie.

dass sie mannigfachen Krankheitsursachen ihre Entstehung ver- danken. So sah man zum Beispiel als reine Hjrpertrophie von Körperteilen an, was wir jetzt zur Syringomyelie, Akromegalie und zu den Vorstufen der verschiedenen Formen der Muskelatrophie rechnen. Wir werden deshalb bei der Auswahl der Fälle sehr vorsichtig sein und uns an solche halten müssen, wo sicher oder wenigstens höchst wahrscheinlich die Hyperämie wirklich die Ur- sache der Hypertrophie von Geweben und Körperteilen war.

Man hat behauptet, dass man Muskelhjrpertrophie nach venöser Hyperämie, besonders infolge von Venenthrombose, beobachtet habe. Zwar hat man diese Fälle sehr häufig mit Muskel- erkrankungen anderer Art zusammengeworfen und verwechselt, nämlich mit der Pseudohypertrophie der Muskeln (Hpomatöser Muskelhypertrophie und juveniler progressiver Muskelatrophie und mit Muskelerkrankungen aus spinalen Ursachen), aber es gibt doch mehrere offenbar reine Fälle, wo als Ursache der Muskelhyper- trophie nichts als eine Venenthrombose nachgewiesen werden konnte, und schon der Umstand, dass das Leiden gänzlich auf das Gebiet der venösen Stauung beschränkt blieb, beweist, dass diese in der Tat die einzige Ursache war. Die einzelnen Fälle zeigen eine sehr grosse Übereinstimmung miteinander und sind für unsere Frage von so entscheidender Wichtigkeit, dass wir etwas näher auf dieselben eingehen müssen.

Paget 1) berichtet von einer Hypertrophie des einen Armes nach Venenthrombose. Der kranke Arm war fast um ein Drittel stärker als der gesunde, wie es schien, hauptsächlich infolge stär- kerer Muskelentwicklung, weniger durch tiefes Ödem. Auch die zugehörige Schulter und der obere Teil des Musculus pectoralis major waren auffallend gross und breit. Im Anschluss hieran erwähnt Paget noch eine dahingehende Beobachtung, welche Pro- fessor Laurie an sich selbst machte: dieser bekam infolge von Typhus eine Venenthrombose an einem Beine, die neben Ödem eine Muskelverdickung hervorrief, welche zeitlebens zurückblieb.

Die folgenden Fälle sind genauer beschrieben und beobachtet. Die Kranken, bei welchen das Alter überhaupt angegeben ist, zählten zur Zeit, als sie die Venenthrombose bekamen, 19, 20, 22, 26, 26, 29, 41 Jahre; als die Hypertrophie zur Beobachtung kam.

1) Referat in Schmidt's Jahrbücher. 134. Bd. 1864.

Ernährende Wirkung der Hyperämie. ]^9]^

waren die meisten mehrere Jahre älter. Über 3 Fälle, welche das BeiQ betrafen, berichtet Bergeri):

1 . F al 1 : Das Leiden entstand aus einer Venenthrombose während eines Tjrphus. Das linke Bein war sehr stark verdickt, und zwar wölbten die Reliefs der Muskeln, besonders der Musculi quadriceps, glutaei und triceps surae sich mächtig empor. Der Fuss befand sich in leichter Spitzfussstellung. Die Haut des kranken Beines war von zahlreichen erweiterten Hautvenen durchzogen, die Haut- temperatur beider Beine war gleich. Die verdickte Muskulatur fühlte sich fest, hart und straff an. Haut und Knochen erschienen nicht merklich verdickt. Es war kein Ödem vorhanden. Sensibilität und Reflexerregbarkeit waren im ganzen Beine stark herabgesetzt. Der Kranke ermüdete sehr leicht im kranken Bein, und dessen Kraft war bedeutend vermindert. Es traten nach Bewegungen häufig Muskelzuckungen auf. Die elektrische Erregbarkeit war stark vermindert.

Berger liess nun mittels einer Mi ddeldorpf 'sehen Harpune aus dem Musculus soleus beider Beine an symmetrischen Stellen Muskelstückchen zur mikroskopischen Untersuchung herausholen, welche sich schon makroskopisch sehr lebhaft unterschieden. Das Muskelfleisch des kranken Beines war bleich und blutleer, das des gesunden hatte die normale tiefrote Färbung. Mikroskopisch fand Berg er eine wahre Hypertrophie des kranken Muskels, seine Fasern waren hier um mehr als das Doppelte verbreitert. Sonst zeigten sie normales Verhalten. Von interstitieller Fett- oder Bindegewebs- wucherung war keine Spur vorhanden.

2. Fall: Auch hier entstand die Krankheit durch Venenthrom- bose infolge von Typhus und betraf ebenfalls das linke Bein. Der Kranke klagte über Schmerzen, Muskelzuckungen und Schwäche im kranken Gliede. Dasselbe besass eine ,, wahrhaft herkulische Muskulatur" und war dadurch stark verdickt, während die Haut kaum, der Knochen gar nicht hypertrophisch zu nennen war. Nur am Fussrücken fand sich ein geringes Ödem, sonst rührte die Ver- dickung von der Muskelschwellung her. Das Glied war sehr schwach, die Muskelkraft, die elektrische Erregbarkeit und die Sensibilität waren stark herabgesetzt.

1) Berger, Zur Ätiologie und Pathologie der sogenannten Muskelhyper- trophie. Deutsches Archiv f. klin. Medizin. 9. Bd. S. 363.

\Q2 Allgemeine Wirkungen der Hyperämie.

Die Untersuchung von Muskelstückchen, die an symmetrischen Stellen beider Glieder mit der Middeldorpf sehen Harpune her- ausgeholt waren, ergab genau den gleichen Befund, wie im vorigen Falle.

3. Fall: Die Krankheit entstand nach einer Schussverletzung des Oberschenkels, welche nach der Krankengeschichte wahrschein- hch eine Venenthrombose zur Folge hatte, und bestand in einer starken Verdickung der hnken Wade, welche die Muskeln betraf, da Haut und Knochen sich nicht an der Schwellung beteiligten. Es bestand nirgends Ödem, das Venennetz der Wade war massig erweitert. Der übrige Befund ghch den beiden ersten Fällen. Eine anatomische Untersuchung von Muskelstückchen wurde nicht ausgeführt.

Lesage'si) Kranker war ein Mann, der während eines Typhus eine Thrombose der linken Vena femoralis bekam. Zwei Jahre nach diesem Ereignis sah Lesage den Kranken und machte folgenden Befund: Das ganze linke Bein war sehr viel stärker als das rechte. Die Hypertrophie erstreckte sich lediglich auf die Muskulatur und war in der Wade am stärksten. Odem und Varicen fehlten. Knochen und Haut waren nicht verdickt. Elektrische Erregbarkeit, Reflexe und Sensibilität waren normal, die Hauttemperatur am kranken Bein erhöht.

Gegen Ende des Tages trat ein wenig Ödem am Fuss und Knöchel ein, mit einer leichten bläuhchen Verfärbung der Haut. Die Muskelkraft des kranken Beines war stärker als die des gesunden. Dagegen ermüdete das erstere viel rascher, und es traten alsdann Muskelkrämpfe in ihm auf. Ferner waren die Muskeln des kranken Beines weicher. Zwei Jahre später machte Lesage denselben Befund, das Leiden stand also still.

Eulenburg's^) hierher gehöriger Kranker trug ebenfalls eine Thrombose der hnken Vena femoralis im Anschluss an eine schwere septische Erkrankung davon, nachdem er 1 Jahr früher eine Wirbel- fraktur erlitten, welche erhebliche Störungen der Innervation zurück- gelassen hatte. Im Anschluss an die Thrombose bildete sich eine sehr starke Hypertrophie mit gleichzeitiger Schwäche der Muskeln

1) Lesage, Note sur une forme de Myopathie hypertrophique secondaire k la fievre typhoide. Revue de medecine. 8. Jahrgang. S. 903. 1888.

2) Eulenburg, Ein Fall von fortschreitender muskulärer Dystrophie. Deutsche med. Wochenschr. 1885. S. 178.

Ernährende Wirkung der Hyperämie. ]^^3

des linken Beines aus. Die Untersuchung von Muskelstückchen, die aus symmetrischen Stellen beider Beine entnommen waren, ergab auf beiden Seiten eine Muskeldegeneration (das rechte Bein war infolge der die Wirbelfraktur begleitenden Innervationsstörungen atrophisch), aber auf der linken Seite „waren die degenerierten Fasern viel dicker und zahlreicher. Dieselben sahen aufgequollen aus, trotzdem die Präparation genau dieselbe war. Die fettige und wachsartige Degeneration ist deutlich ausgesprochen, auch sind weniger normale Fasern vorhanden. Die interstitielle Fettinfil- tration zeigt hier charakteristische Reihen, wie man sie bei der Pseudohypertrophie der Muskeln findet."

Goldscheideri) stellte einen jungen Mann vor, welcher nach Thrombose der Vena femoralis im Anschluss an Orchitis traumatica Hypertrophie des einen Beines bekam, und Hess diesen Fall durch Masskow^) genauer beschreiben. Der Fall ist dadurch interessant, dass der ganze Verlauf des Leidens von Golds cht eider beobachtet werden konnte. Der Kranke bekam im Jahre 1894 die Venen- thrombose am hnken Bein und Htt in Anschluss daran an hef- tigen Muskelzuckungen. Im Jahre 1897' bot das betreffende Bein folgendes Bild: Die linke Vena saphena und eine Vene der linken Bauchhaut sind erweitert, am Unterschenkel bemerkt man etwas Ödem und Cyanose. Die Muskulatur des linken Beines, und zwar besonders der Wade, ist stark hypertrophisch und etwas derber als die des rechten anzufühlen. Ihre Kraft ist etwas abgeschwächt. Auch das Fettpolster ist am linken Unterschenkel massig vermehrt. Das linke Bein schwitzt mehr als das rechte und fühlt sich wärmer an, soll sich aber leichter abkühlen und zeigt geringeres Haar Wachs- tum. Das hypertrophische Glied ist schwächer und ermüdet leicht. Die Sensibilität ist nicht gestört. Die elektrische Erregbarkeit der Muskeln des linken Unterschenkels ist herabgesetzt.

Es bestehen Muskelzuckungen, die etwa 3 4 mal in der Sekunde auftreten. Bei Anstrengung des kranken Beines stellen sich krampf- hafte Schmerzen ein.

Eine anatomische Untersuchung der hypertrophischen Muskeln wurde nicht vorgenommen.

1) Goldseheider, Verhandlungen des 15. Kongresses für innere Medi- zin. 1897.

2) Masskow, Muskelhypertrophie nach Venentlirombose. Inaug.-Diss. Berlin 1897.

Bier, Hyperämie als Heilmittel. 1.3

\Q4: Allgemeine Wirkiingen der Hyperämie.

Während in diesen Fällen sich die Volumzunahme der Glieder mit Sicherheit an eine Venenthrombose anschloss, so ist das in den beiden folgenden zwar nicht sicher, aber doch so wahr- scheinlich, dass es erlaubt sein dürfte, sie dieser Krankheitsgruppe zuzuzählen.

In einer sehr ausführlichen Abhandlung berichtet Auerbachi) über folgenden Fall: Ein 24 jähriger Mann bemerkte eines Tages beim Ausziehen, dass sein rechter Arm viel stärker war als der linke; allmählich stellte sich Schwäche und schnelles Erlahmen in dem verdickten Gliede ein. Auerbach fand eine herkulische Ent- wicklung der Muskeln des rechten Armes. Die Haut desselben zeigte sehr ausgedehnte Venennetze und ein bläulich marmoriertes Aussehen. Die rechte Hand war kühler als die linke. Nach längerem Aufenthalt im Freien war sie dunkelblau.

Auerbach liess aus dem Musculus deltoides und biceps des kranken und zum Vergleich aus dem M. biceps des gesunden Armes Stückchen zur Untersuchung ausschneiden. Er fand, dass es sich um eine wahre Muskelhypertrophie handelte. Dieselbe hat ihren Grund in einer sehr starken Verbreiterung der Muskelzylinder. Sie waren zweimal so breit, als man sie an normalen Muskeln findet, aber auch die des gesunden Armes waren um etwa 14 breiter. Die Muskelkerne waren etwa entsprechend der Dickenzunahme vermehrt.

Bei der Operation fiel die bedeutende Blutfülle, nicht nur die schon äusserlich sichtbare der Haut, sondern auch die des Muskels, auf. An die Operation (sie wurde 1871 gemacht) schloss sich am kranken Arm eine schwere Entzündung und Eiterung an.

Am Dynamometer wies Auerbach gleiche Stärke beider Arme nach; es war also die Kraft des rechten Armes nicht im Verhält- nis zur Muskelh3rpertrophie gewachsen.

Auch in Redlich's^) Falle ist es ungewiss, ob der Krankheit eine Venenthrombose voraufging, wenn auch die Anamnese so sehr dafür spricht, dass Redlich dies als sicher annimmt. Der be- treffende Mann bekam im Anschluss an eine akut fieberhafte Krank- heit plötzlich heftige Schmerzen im linken Bein, die von einer be-

1) Auerbach, Ein Fall von wahrer Muskelhypertrophie. Virchow's Archiv. 53. Bd. S. 234 u. 397.

2) Redlich, Über einen Fall von Hypertrophie des linken Beins. Wiener med. Wochenschr. 1893. S. 1482, 1519 u. 1549.

Ernährende Wirkving der Hyperäraie. ]^95

trächtlichen Schwellung gefolgt waren. Das Glied blieb dicker, und der Kranke behielt abnorme Gefühle darin. Von dem behandelnden Arzt war die Diagnose „Lymphangioitis" gestellt. Sechs Jahre danach untersuchte Redlich den Kranken und fand eine sehr bedeutende Schwellung des linken Beines, besonders des Unter- schenkels. Die Verdickung kam zum grössten Teile auf Rechnung der Muskulatur, aber auch die Haut war daran beteiligt. Die Knochen waren normal. Das Haarwachstum war auf der kranken Seite geringer. Die Haut war etwas marmoriert, aber ausser Varicen an der linken Hodensackhälfte war keine besonders starke Venenentwicklung zu bemerken. Auch dieser Kranke klagte über Muskelschwäche, Parästhesien und Schmerzen, doch fehlten diese auch im rechten Bein nicht, wie der Kranke überhaupt noch sonstige nervöse Erscheinungen (Pupillenstarre, Sprachstörungen usw.) darbot. Redlich hielt dies für beginnende progressive Paralyse.

Aus der Wade des hypertrophischen Beines wurde ein Muskel - Stückchen zur Untersuchung ausgeschnitten. Dabei fand sich eine etwas verdickte Haut mit viel Fettpolster. Nach Durchtrennung der Fascie erschien wieder ein dickes Fettpolster, unter dem der Muskel lag. Dieser sah blass, aber sonst normal aus. Die Blutung aus der Wunde war sehr gering. Mikroskopisch fand Redlich im allgemeinen normales Muskelgewebe. Das interstitielle Gewebe war verdichtet und ebenso wie die Gefässe zellig infiltriert. Ausserdem fand sich viel Blutpigment in Schollen und Körnern.

Möglich, aber im höchsten Grade unsicher ist es, ob Hitzig's^) Fall zu unserer Krankheitsgruppe gehört. Bei einem jungen Manne trat im Anschluss an eine Verletzung der rechten Fossa supraclavi- cularis venöse Stauung und Muskelhypertrophie am rechten Arme auf. Nebenbei aber bestanden Lähmungen der Brustmuskeln, so dass die Wahrscheinlichkeit grösser ist, dass es sich hier um ein nervöses Leiden handelte. Von Wichtigkeit ist, dass Hitzig bei diesem Falle eine deutliche Verlängerung des kranken Ober- und Unterarmes nachwies, was in keinem der vorhergehenden Fälle bemerkt wurde.

Nach diesen Beobachtungen, von denen die Mehrzahl ganz einwandsfrei ist, können wir keinen Augenblick im Zweifel sein.

1) Hitzig, Über einen Fall von Hypertrophie eines Armes. Berliner klin. Wochenschr. 1872. S. 588.

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296 Allgemeine Wirkimgen der Hyperämie.

dass infolge einer hochgradigen venösen Stauung, wie sie nach Venenthrombose vorkommt, eine Volumzunahme der Glieder, die hauptsächlich oder ausschliesshch die Muskeln betrifft, vorkommt. Auch scheint durch die mikroskopischen Befunde mehrerer Be- obachter der Beweis geliefert, dass es sich hier um eine wahre Hypertrophie handelt. Aber dieser Beweis wird gänzlich erschüttert durch Arbeiten Oppenheim's und Siemerling'si), die nachweisen, dass die Fasern von Muskelstücken, welche man lebenden Menschen und Tieren entnimmt, stets den Eindruck machen, als ob sie stark hypertrophiert seien. Dies geht so weit, dass Oppenheim und Siemerling unter dem Mikroskop sofort unterscheiden konnten, ob, es sich um Muskeln handelte, welche der Leiche oder dem Lebenden entnommen waren. Zuntz sprach die Vermutung aus, dass sich infolge der Reizung durch schneidende und quetschende Instrumente und durch Reagenzien der lebende Muskel stark zu- sammenzöge, sodass die Dicke seiner Fasern auf Kosten der Länge zunähme . Oppenheim und Siemerling konnten die Richtigkeit dieser Erklärung durch den Tierversuch beweisen. Ausser einer Verbreiterung der MuskeKasern aber ist von den oben genannten Beobachtern kein sicheres Zeichen für eine wahre Hypertrophie der Muskeln gefunden worden. Eulen bürg fand degenerierte Muskelfasern und gibt ausdrücklich an, dass eine Fettinfiltration im Muskel vorhanden war, die in charakteristischen Reihen auf- trat, wie sie sich bei der Pseudohypertrophie des Muskels findet, und Redlich fand normales Muskelgewebe, dagegen Vermehrung des interstitiellen Gewebes, wie man es ebenfalls von der Pseudo- h3rpertrophie her kennt.

Es kommt hinzu, dass man die in allen Fällen ausser dem Lesage'schen, wo aber auch der kranke Muskel viel schneller er- müdete — vorgefundene Schwäche der verdickten Muskulatur doch unmöghch als das Zeichen einer wahren Hypertrophie auffassen kann. So sind denn auch Auerbach und Redlich der Ansicht, dass diese sogenannte ,, wahre Muskelhypertrophie" nur das erste Stadium der lipomatösen Pseudohypertrophie darstelle.

Der Schluss, welchen wir aus diesen vielfach bearbeiteten Krankheitszuständen ziehen, lautet also: Es ist zweifellos, dass als

1) Oppenheim und Siemerling, Über das Vorkommen von Hyper- trophie der Primitivfasern in Muskelpartikeln, welche dem lebenden Menschen excidiert wurden. Centralblatt f. die med. Wissenschaften. 1889. S. 705 u. 737.

Ernährende Wirkung der Hyperämie. ][97

Folgezustand von Venenthrombose Volnmzunahme der befallenen Glieder, und zwar insbesondere der Muskeln, auftreten kann. Ob dies eine wahre Hypertrophie oder das erste Stadium einer De- generation des eigentlichen Muskelgewebes ist, ist unbekannt.

Für unsere praktischen Zwecke aber können wir daraus einen ganz sicheren Schluss ziehen, nämlich: so hochgradige Stauungen, wie diejenigen sind, welche die sogenannte Muskelhypertrophie hervorrufen, dürfen künstlich nicht hervorgerufen werden. Denn wir erfahren, dass in den meisten derartigen Fällen gleichzeitig nervöse Störungen durch die Stauung hervorgerufen wurden, und der Erfolg der Zunahme der Muskulatur durchgehends nicht eine Vermehrung, sondern eine Verminderung ihrer Leistungs- fähigkeit war.

Nun wäre es ja möghch, dass man mit einer geringeren Stau- ungshyperämie eine wahre H3rpertrophie erzeugen könnte, während jene schwere Hyperämie nach einer vorübergehenden Hypertrophie zur Degeneration führte. Dagegen aber spricht, dass ich in vielen Hunderten von Fällen, welche ich mit solchen Graden der Stau- ungshyperämie, die zu Heilzwecken erlaubt sind, längere Zeit be- handelt habe, niemals eine Muskelhypertrophie gesehen habe. Ich habe wohl beobachtet, dass, besonders infolge von Gelenkkrank- heiten, stark abgemagerte Gheder unter Hyperämiebehandlung sich schnell erholten, aber nicht mehr, als sich aus der Besserung des Grundleidens erklären hess, denn Muskeln und andere Gewebe atrophieren nicht nur bei vielen Gelenkkrankheiten mit reissender Geschwindigkeit, sondern sie erholen sich ebenso schnell wieder, wenn man die schuldige Ursache entfernt.

Zweifellos führt die H3rperämie, aktive wie passive, zum leb- hafteren Wachstum der deckenden epithelialen Gebilde. So ist es bekannt, dass im Sommer, wo die Haut durchbluteter ist als im Winter, Haare und Nägel stärker wachsen. Ausserdem gibt es zahlreiche Beobachtungen, die beweisen, dass dasselbe bei allerlei chronischen Hyperämien auftritt. Daneben sah man lebhafte Ab- schuppung der Epidermis. Der sogenannte Desquamativkatarrh der Stauungslunge, wobei es zur AnfüUung der Lungenalveolen mit massenhaft abgestossenen Epithelien kommt, dürfte ebenfalls hier- her gehören.

Auch in der Nähe chronischer Geschwüre, die mit Hyperämie einhergehen, sieht man, wie jedem Arzte bekannt ist, häufig

298 Allgemeine Wirkungen der Hyperäixiie.

Epithelverdickung und vermehrtes Haar Wachstum . L e b e r i ) konnte dasselbe sogar hervorbringen, wenn er den von ihm dargestellten entzündungserregenden Stoff Phlogosin einspritzte.

Dass vermehrtes Haarwachstum als Folge passiver Hyperämie ausserordentlich häufig auftritt, geht auch aus Helferich's und meinen Beobachtungen unzweifelhaft hervor ; wir sahen sehr häufig nach künstlich angewandter Stauungshyperämie vermehrtes Haar- wachstum auftreten.

Vor kurzem sah ich bei einer Dame einen Unterschenkel, der mit einem sehr ausgedehnten angeborenen cavernösen Angiom behaftet war, außergewöhnlich stark behaart.

Dass arterielle Hyperämie ebenso wirkt, zeigen neben dem oben erwähnten vermehrten Haarwachstum im Sommer die haarigen Hände der Chirurgen, welche infolge sehr häufigen Waschens sich dauernd in einem Zustande von Hyperämie befinden. Man hat wohl angenommen, dass ein oder das andere chemische Mittel, das man anwandte, hieran schuld sei, indessen wirken hier alle Wasch- mittel gleichartig, sodass wohl nur die Hyperämie als Ursache übrig bleibt.

Ein schlagendes Beispiel für das vermehrte Wachstum eines Epithelgebildes unter dem Einflüsse von Hyperämie ist der oft an- geführte Versuch J. Hunter's, welchen Paget^) mitteilt: Ver- pflanzt man den Sporn eines Hahnes in das blutreiche Gewebe seines Kammes, so erreicht der Sporn eine gewaltige Grösse.

Es kann deshalb als festgestellt gelten, dass passive wie aktive Hjrperämie vermehrtes Wachstum der Deckepithelien hervorbringen.

Dagegen ist meines Wissens nicht ein einziger Fall bekannt, der bewiese, dass sezernierendes Drüsenepithel durch Hyperämie hypertrophiert wäre. Im Gegenteil, wir werden gleich auseinander- setzen, dass chronische Stauung in der Leber sogar Atrophie der Epithelzellen hervorbringt.

An Hoden, welche man wohl schwerlich zu den sezernierenden Drüsen rechnen darf man hat den Hoden ja, weil er unter den Drüsen nicht recht unterzubringen ist, ,, Keimstock" genannt , machte ich mehrmals die Beobachtung, dass sie unter dem Ein- flüsse von Stauungshyperämie, die ich wegen Tuberkulose oder zur Auflösung von harten Narben, welche nach Tripperinfektion zurück -

1) Leber, Die Entstehung d. Entzündung. Leipzig 1891. S. 506 u. 163— 164.

2) Paget, Lectures on surgical pathology.

Ernährende Wirkung der Hyperämie. 19Q

geblieben waren, anwandte, sehr stark sich vergrösserten, und dass die Vergrösserung auch nach Aussetzen der Stauungshyperämie geraume Zeit andauerte. In einem Falle von sehr starker alter Verhärtung eines Nebenhodens mit Fistelbildung infolge von Tripper hatte ich beide Hoden (auch den gesunden) durch einen an der Wurzel des Hodensackes angelegten Gummischlauch hyperämisiert. Der betreffende Kranke klagte mir, dass er in der ersten Zeit der Anwendung von sehr starken Pollutionen, die jede Nacht mehr- fach auftraten, gepeinigt würde, während er früher nur selten nächthche Pollutionen gehabt habe. Sie verschwanden nach vor- übergehendem Aussetzen des Mittels und kehrten nicht wieder, als dasselbe nur kürzere Zeit täglich angewandt wurde.

Da ich niemals in der Lage gewesen bin, einen durch künst- liche Stauungshyperämie vergrösserten Hoden anatomisch zu unter- suchen, so muss es dahingestellt bleiben, auf welche Ursachen und auf welches Gewebe die Vergrösserung zu beziehen ist.

Eine ähnliche Beobachtung von vermehrter Funktion einer Drüse durch Hyperämie machte Moll^). Er versuchte die Milch- sekretion bei milcharmen Ammen durch eine Saugglocke, die er dreimal täglich je eine Stunde an der Brust ansetzte, anzu- regen und zu vermehren, und berichtet, daß seine ersten Ver- suche zur Zufriedenheit ausgefallen seien.

Vorderhand ist aus diesen Beobachtungen noch nicht viel zu machen, und es muß weiterer Beobachtung vorbehalten bleiben, zu entscheiden, ob man tatsächlich die Drüsensekretion durch Hyperämie anregen und steigern kann.

Bekanntlich nimmt man an, dass chronische Blutstauung in den Eingeweiden infolge von Herzfehlern, Emphysem usw. eine Ver- mehrung von Bindegewebe in denselben hervorbringt, welche man als cyanotische Induration bezeichnet hat. Ich halte es für nütz- lich, die Veränderungen, welche die verschiedenen Eingeweide bei dieser chronischen Stauung erleiden, kurz nach dem Ziegler'schen Lehrbuche der pathologischen Anatomie zu schildern:

Die chronische Stauungsmilz ist normal gross oder vergrössert, selten verkleinert. Sie ist immer verhärtet. Die Härte wird durch die Derbheit der roten Pulpa bedingt. ,,Die Hauptveränderung besteht in einer Zunahme deg Bindegewebes, welche sowohl das

1) Moll, Zur Technik der Bier 'sehen Hyperämie für die Behandlung der Mastitis nebst vorläufigen Bemerkungen über die Anwendung derselben zur An- regung der Milchsekretion. Wiener klinische Wochenschr. 1906. Nr. 17.

200 Allgemeine Wirkungen der Hyperämie.

Trabekelsystem als auch die Blutgefässwände und ihre Umgebung betrifft. Mitunter lässt sich auch eine partielle Verdickung des Retikulums der Pulpastränge nachweisen.

Die chronische Stauungsleber ist meist etwas verkleinert, die Oberfläche zuweilen uneben, granuliert und leicht höckrig. Bei der mikroskopischen Untersuchung findet man die Venen, und zwar besonders die Venulae centrales, sowie das ihnen zunächst gelegene Kapillargebiet, bei höheren Graden der Stauung alle Kapillaren der Leberläppchen erweitert. ,,Die Leberzellen zwischen den erweiterten Kapillaren sind stets mehr oder weniger atrophisch, meist zugleich von gelben und braunen Pigmentkörnern, manche auch von Fetttröpfchen durchsetzt. Die Degeneration ist im Zen- trum und den mittleren Zonen der Acini stets am weitesten vor- geschritten. Bei langer Dauer der Zirkulationsstörungen und star- ker Dilatation der Kapillaren kann ein Teil der Leberzellen ganz zugrunde gegangen sein, sodass zwischen den weiten Kapillaren nur noch gelbe und gelbbraune Pigmentschollen und Pigment- körner hegen. Das periportale Bindegewebe der Leber ist meist unverändert, doch kommt es vor, dass dasselbe hypertrophisch und zelhg infiltriert ist, sodass eine besondere Art der Cirrhose entsteht."

Die chronische Stauungsniere ist hart und fest, ,,das Binde- gewebe zwischen den Harnkanälchen ist etwas verbreitert, die Blut- gefässe sind weit und klaffend, die Kapillarwände und die Adven- titia der Venen verdickt. Zuweilen stellen sich auch leichte ent- zündliche, zelüge Infiltrationen ein." Von den Epithelien der Harnkanälchen sind manche verfettet.

In der chronischen Stauungslunge sind die Gefässe, vor allem die Kapillaren, stark erweitert und springen in die Lichtung der Lungenalveolen vor. Die Lunge wird hart. ,,In manchen Gebieten ist auch das Lungenbindegewebe verdichtet oder in Entzündung und Wucherung begriffen, doch ist dies weniger eine Folge der Stauung, als vielmehr von häufig wiederkehrenden Blutungen, welche sich in solchen Lungen vorzufinden pflegen."

Da ich in der Literatur sehr verschiedene Angaben über die Hochgradigkeit der Bindegewebswucherung in Stauungseingeweiden fand, so bat ich meinen früheren Kollegen P. Grawitz in Greifs- wald, mir seine Erfahrungen über diesen Punkt mitzuteilen. Der- selbe kam meiner Bitte auf das . liebenswürdigste nach und be- legte seine Ausführungen mit sehr lehrreichen mikroskopischen

Ernährende Wirkung der Hyperämie. 201

Präparaten, sodass ich mich selbst von dem Zutreffenden seiner Schilderung überzeugen konnte.

Nach P. Grawitz ist die Bindegewebswucherung und Ver- dickung am hochgradigsten von allen Eingeweiden in der Stauungs- milz. Doch ist er im Zweifel, ob diese Veränderung lediglich Folge der chronischen Stauung ist, oder ob nicht noch andere Ursachen mitwirken.

Die Stauungslunge verdankt ihre Derbheit viel mehr der prallen Füllung der Kapillaren (durch Anschneiden und Druck wird sie weicher), teilweisen Atelektasen und einer Anfüllung der Alveolen durch primäres Exsudat und abgestossene Zellen, als einer Wuche- rung des Bindegewebes. Selbst bei den stärksten chronischen Stauungen kann die Bindegewebs Vermehrung vollständig fehlen, und doch ist die ,, braune Induration" der Lunge vorhanden.

In der Stauungsleber sieht man bei länger dauernder Stauung die Kapillaren der Leberläppchen sehr stark erweitert, besonders um die Zentralvene herum, gleichzeitig damit geht ein Schwund von Leberzellen einher, der am frischen Präparat nach Wasser- einwirkung sehr deutlich daran zu erkerinen ist, dass die Reihen der Leberzellen erst in einem gewissen Abstände von der Zentral - vene beginnen. Im Stauungsbezirke sieht man nur Trümmer von Leberzellen oder kleinzellige Infiltration. Bei schwerer langdauern- der Stauung geht der Schwund der Leberzellen über das ganze Läppchen und erreicht oft einen sehr grossen Umfang. Das End- ergebnis chronischer schwerer Stauung in der Leber ist nach P. Grawitz Atrophie der Leberzellen, in der Regel ohne Binde - gewebsentwicklung.

Die Stauungsniere fühlt sich derb an, kann aber von der chronisch interstitiellen Nephritis dadurch unterschieden werden, dass trotz erheblicher Derbheit die Oberfläche vollständig glatt und ohne jede Narbenbildung ist. Bindegewebs verdickung kann vorhanden sein, aber selbst bei den hochgradigsten chronischen Stauungen fehlen. Ist sie vorhanden, so tritt sie gleichmässig auf, ohne einzelne Herde zu bilden und kleinzellige Infiltration hervor- zurufen; sie ist aber stets ohne Einfluss auf die epithelialen Teile der Niere.

P. Grawitz gibt zu, dass sehr häufig die chronische Blutstauung in den Eingeweiden Bindegewebsvermehrung hervorrufe, betont aber, dass dies keineswegs ein regelmässiges Ereignis ist, und dass sie in vielen Fällen hochgradiger chronischer Stauung gänzlich fehlt.

202 Allgemeine Wirkungen der Hyperämie.

Dass nach chronischen Entzündungen lebhafte Bindegewebs - Wucherung eintritt, ist bekannt, und zwar wissen wir das besonders vom chronischen Unterschenkelgeschwür her, wo hochgradigste Blutstauung mit Entzündung Hand in Hand geht.

Ferner wissen wir, dass chronische Blutstauung, allerdings noch viel häufiger Lymphstauung und chronische oder oft hintereinander eintretende Entzündungen zu Verdickung der Haut, der soge- nannten Elephantiasis, führen können.

Ganz unbestritten ist der Einfluss der passiven Hyperämie auf das Längen- und Dickenwachstum der Knochen. Stanley^) und Pag et 2) machten die ersten dahin gehörigen Beobachtungen, V. Bergmann^) fasste das damals bekannte Beobachtungsmaterial in einer Arbeit zusammen und fügte demselben zwei neue Fälle zu. Es ging aus diesen Erfahrungen hervor, dass ein Röhren- knochen länger und dicker wird, wenn sich in ihm längere Zeit entzündliche Vorgänge abspielen. Die hierher gehörigen Beobach- tungen vermehrten sich bald ausserordentlich, und in einer aus- führlichen Arbeit wies Helfer ich*) an einer grossen Anzahl von Fällen nach, dass die Verlängerung des Knochens infolge von Nekrose (diese gibt meist die Entzündungsursache ab) sehr häufig ist und schon verhältnismässig schnell nach Ausbruch der Er- krankung auftreten kann. Heute ist diese Tatsache so bekannt, dass sie jeder Arzt weiss, und es gibt wohl keinen Chirurgen, welcher solche Fälle nicht schon in grösserer Anzahl gesehen hätte. Es ist deshalb nicht nötig, sich ausführlicher darüber zu verbreiten.

Schon die ersten Beobachter führten diese Hypertrophie auf die durch die Entzündung verursachte Hj^erämie zurück, v. Langen- beck^) fasste im Jahre 1869 seine Erfahrungen in folgenden drei Sätzen zusammen:

1. ,, Krankheitsursachen, welche Reizung und Hyperämie des

1) Stanley, Treatise on diseases of the bones. London 1849.

2) Paget, Lectures on surgical pathol. London 1853. 1. Bd.

3) V. Bergmann, Über die pathologische Längenzunahme der Knochen. St. Petersburger med. Zeitschr. 14. Bd. S. 65. 1868.

4) Helferich, Über die nach Nekrose von der Diaphyse der langen Extremitätenknochen auftretenden Störungen im Längenwachstum derselben. Devitsche Zeitschr. f. Chirurgie. 10. Bd. 1878. S. 324.

5) Langenbeck, Über krankhaftes Längenwachstum der Rölirenknochen in seiner Verwertung für die chirurgische Praxis. Berl. klin. Wochenschr. 1869. S. 265.

Ernährende Wirkung der Hyperämie. 203

Knochengewebes veranlassen, haben, solange das Knochenwachstum dauert, eine Zunahme in der Länge wie in der Dicke des Knochens zur Folge.

2. Die Steigerung des Längenwachstums betrifft zunächst den erkrankten Knochen, kann indessen auch an einem nicht erkrankten Knochen derselben Extremität beobachtet werden.

3. Der durch vorschnelles Wachstum verlängerte Knochen behält seine Dimensionen das ganze Leben über. Eine nachträg- liche Längenabnahme durch Resorption findet nicht statt, auch wenn die Ursache derselben, die Knochenkrankheit, lange aufge- hört hat."

Ollier^) fand, dass man durch allerlei Reizungen der Diaphyse eines Röhrenknochens, durch Zerreissen, Ausschneiden und Kau- terisationen des Periostes, durch Anbohren der Markhöhle oder Einführen von Fremdkörpern, sofern es sich um junge, wachsende Tiere handelte, und der Reiz nur lange genug wirkte, Verlängerung der Röhrenknochen herbeiführen kann.

Seitdem dann im Jahre 1868 Schneider^) einen Fall be- schrieben hatte, wo bei einem 17jährigen jungen Menschen im Anschluss an ein chronisches Unterschenkelgeschwür Verlängerung der Unterschenkelknochen entstanden war, hat man diese Erschei- nung häufig bei jugendlichen Personen wiedergefunden. Dass diese Geschwüre nicht selten zu Knochenverdickungen und sogar zur Ver- knöcherung des Ligamentum interosseum führten, war schon länger bekannt. Auch Schneider führte diese Hypertrophie auf Ver- mehrung der Blutzufuhr infolge der chronischen Entzündung bei einem jugendlichen Menschen zurück.

War es nach diesen Beobachtungen schon sehr wahrscheinlich, dass die venöse Hyperämie, welche alle jene Entzündungen beglei- tete, die Ursache des Längen- und Dickenwachstums der Knochen war, so wurde dies durch eine Anzahl von Fällen unwiderleglich bewiesen, wo eine reine venöse Hjrperämie die gleichen Folgezu- stände nach sich zog.

Hierher gehört Broca's^) in der Literatur sehr oft erwähnte Beobachtung: Ein 17 jähriger Mann litt seit 2 Jahren an einer

1) Ollier, Traite experiment. et clinique de la regeneration des os. Paris 1867. T. 1.

2) Schneider, Ein Beitrag zur organischen Plastik behufs Heilung von Unterschenkelgeschwüren. Archiv f. klin. Chirurgie. 9. Bd. 1868. S. 919.

3) Das Original: Des aneiorysmes. Paris 1856, war mir nicht zugänglich.

204: Allgemeine Wirkiingen der Hyperämie.

dauernden venösen Hjrperämie eines Beines, welche durch ein Aneurysma arteriovenosum unterhalb des Leistenbandes hervor- gebracht wurde. Dadurch war der Oberschenkel um 2, der Unter- schenkel um 1 cm verlängert.

Krause 1) beschreibt einen Fall, wo sich infolge eines in der Jugend erlittenen Hundebisses zahlreiche sackförmige Aneurysmen an Vorderarm und Hand und sehr starke varicöse Erweiterungen der Venen am Rücken der Hand und des Vorderarmes gebildet hatten, welche eine langjährige venöse Hyperämie des Gliedes unter- halten und zu Geschwüren an den Fingern geführt hatten. Von Strohmeyer wurde der Oberarm amputiert. Krause stellte fest, dass der Vorderarm um I14 Pariser Zoll verlängert war.

Einen diesen ganz ähnhchen Fall beschreibt Nicoladoni^). Auch hier hatte ein cirsoides Aneurysma mit starker Varicen- bildung zu einer langdauernden venösen Hyperämie des Armes geführt, welche eine Verlängerung des Vorderarmes zur Folge hatte. Israel^) beschreibt einen Unterschenkel, der infolge venöser Hyperämie durch eine angeborene Angiektasie um 5 cm, Hitzig'i) einen Arm und Penzo ^) 2 Unterschenkel, die durch venöse Stauung aus unbekannter Ursache um mehrere Zentimeter verlängert waren.

Ich selbst sah bei einem 36 jährigen Manne Muskelhyper- trophie eines Armes und Verlängerung des Oberarmes von 2 cm, die in Folge einer venösen Stauung aus unbekannter Ursache aufgetreten waren.

Wahrscheinhch gehören auch die sogenannten Trommelstock - finger, welche in einer Vergrösserung des Knochens und des Nagels des Endgliedes der Finger und zuweilen auch der Zehen bestehen, hierher. Dieselben beobachtet man bei schweren, meist aus frühester Kindheit stammenden Herzfehlern, Emphysem, Bronchiektasien und schwerer Phthise der Lungen, also bei Krankheiten, welche zu chronischen Stauungen führen. Bamberger beschrieb bei den-

1) Krause, Traiimatische Angiektasie des linken Armes. Archiv f. klin. Chirurgie. 2. Bd. 1862. S. 142.

2) Nicoladoni, Phlebektasie der rechten oberen Extremität. Archiv f. klin. Chirurgie. 18. Bd. S. 252.

3) Israel, Angiektasie im Stromgebiete der Arteria tibialis antica. Archiv f. klin. Chirurgie. 21. Bd. S. 109.

4) Hitzig, Über einen Fall von Hypertrophie eines Armes. Berliner klin. Wochenschr. 1872. S. 588.

5) Penzo, Sulla influenza dell' Iperemia passiva etc. Atti del Reale Istituto di Scienze. Lettere ed Arti 1904/5. 64. Bd. II. Teil.

Ernährende Wirkung der Hyperämie. 205

selben Leiden Verdickungen der Knochen an Unterschenkeln und Unterarmen. Fischeri) glaubt ihre Entstehung durch Hyperämie dadurch beweisen zu können, dass er bei solchen Fällen eine Steigerung der Hauttemperatur in den Handtellern gegenüber anderen Körperteilen um PC fand. Es scheint mit dies nicht ohne weiteres beweisend, da die Hauttemperatur in den Handtellern in der Norm etwas höher ist, als an anderen Teilen der Arme. Immerhin ist es wahrscheinlich, dass sie der chronischen Stauung ihre Entstehung verdanken und nicht, wie Bamberger meint, der Resorption fauliger Stoffe aus Bronchiektasien und Kavernen. Denn gegen die letztere Anschauung spricht ihr Vorkommen bei Herz- fehlern und ein von Eischeri) beschriebener Fall, wo ein kachek- tisches Kind infolge von Craniotabes häufige Erstickungsanfälle, dadurch Stauungen und Trommelstockfinger bekam.

Es besteht also gar kein Zweifel, dass eine dauernde venöse Hyperämie Hypertrophie der Bindesubstanzen, und zwar in erster Linie der Knochen, und ferner Hypertrophie epithelialer Gebilde, vor allem der Haare, hervorruft. Indessen ist meines Wissens, da die oben beschriebenen Fälle von Muskelhypertrophie infolge von venöser Stauung zum mindesten höchst unsicher sind, kein Fall bekannt, wo Körperteile oder Organe mit aktiven Funktionen in gleicherweise dadurch hypertrophiert wären, ja die Beobachtungen, welche man bei Stauungseingeweiden gemacht hat, sprechen eher für das Gegenteil.

Nachdem man erkannt hatte, dass Blutüberfluss unter gewissen Umständen Hypertrophie hervorrufe, hat man schon sehr frühzeitig angefangen, von dieser Erfahrung praktischen Gebrauch zu machen, und hat versucht, durch künstliche Hyperämisierung in ihrem Dicken- oder Längenwachstum zurückgebUebene Teile des Körpers zum vermehrten Wachstum anzuregen. In seiner oben erwähnten Arbeit empfiehlt v. Langenbeck im Jahre 1869 auf Grund eines gelungenen Tierexperiments, an verkürzten Gliedern der Menschen (z. B. nach Kniegelenksresektion) Elfenbeinzapfen in den Knochen einzuschlagen, um so einen künstlichen Entzündungsreiz zu schaffen, ein Vorschlag, der in der Folgezeit mehrfach praktisch ausge- führt ist.

Olli er 2) empfiehlt zur Steigerung des Längenwachstums der

1) H. Fischer, Der Riesenwuchs. Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 12. Bd. S. 43.

2) Ollier, Des moyens d'augmenter la longueur des os et d'arreter leur

206 Allgemeine Wirkungen der Hyperämie.

Knochen Reizungen des Periostes in der Mitte der Diaphyse durch öfters wiederholte Kauterisationen und andere ätzende Mittel, und es gelang ihm, durch Ätzpaste das verkürzte Schienbein eines jungen Mädchens um 1 cm zu verlängern.

Den reinen Versuch, das physiologische Knochenwachstum durch Hyperämie zu fördern, machte Helferich^) mit künstlicher Stauungshyperämie. Er teilte folgende Fälle mit, in denen er Hypertrophie mehrerer Gewebe eines Beines durch Hyperämie ein- treten sah:

1. Ein Knabe wurde jahrelang wegen kongenitaler Luxation mit einem Apparate behandelt, welcher eine Stauungshyperämie im kranken Beine hervorbrachte. Infolge davon wurden Haut und Muskeln dicker, und es trat vermehrtes Längenwachstum der Knochen auf.

2. Ein 16 jähriges Mädchen hatte durch ein chronisches Geschwür eine Verlängerung des kranken Unterschenkels um 3 cm bekommen. Durch Stauungshyperämie gelang es Helferich, das gesunde Bein um 2 cm zu verlängern. Ebenso trat eine wahre Verdickung der Haut als Folge der künstlichen Hyperämie auf.

3. Bei einem 10 jährigen Knaben, dessen Bein durch einen Oberschenkelbruch um 314 cm verkürzt war, verlängerte die Stauungshj^erämie das Glied um 1^ cm.

4. Bei einem 9 jährigen Mädchen, welches eine geringe Lähmung eines Beines hatte, entstand nach viermonatlichem Gebrauche der Stauungsh3rperämie eine geringe Verlängerung der Tibia, Verdickung der Haut und gesteigertes Haarwachstum.

Helferich teilt mit, dass er noch in 5 Fällen von Kinder- lähmung die künstliche H3rperämie angewandt hat, doch war er nicht lange genug in der Lage, die Wirkung zu kontrollieren.

Von Interesse ist Helferich's Bemerkung, dass er nach länger angewandter Stauungshjrperämie regelmässig Verdickung der Haut ohne Ödem, d. h. also eine wahre H5^ertropliie der Haut, gesehen habe.

Die Beobachtungen Helferich's über die günstige Beein- flussung der KaUusbildung durch Stauungshyperämie woUen wir an anderer Stelle behandeln, hier aber noch über seine Versuche be-

accroissement ; application des donnees experimentales ä la Chirurgie. Comptes rendues hebdomadaires des seances de Tacademie des sciences. Paris 1873.

1) Helferich, Über künstliche Vermehrung der Knochenneubildung. Archiv f. klin. Chirurgie. 36. Bd. S. 783. 1887.

Ernährende Wirkung der Hyperämie. 207

richten, die mangelhafte Bildung der Sequesterlade durch Stauungs- h5rperärQie zu verbessern. Es gelang ihm in Fällen von Spontan- fraktur durch Totalnekrosen, welche nicht zu genügender Laden- bildung geführt hatten, diese erheblich zu vermehren. Ebenso verwandte Helferich eine leichte Stauungshyperämie mit gutem Erfolge, um eine schnellere Ausbildung der Totenlade vor Lösung des Sequesters herbeizuführen.

Schülleri) wiederholte Helferich's Versuche, mit künstlicher Stauungshyperämie Knochenverkürzungen und Atrophien zu be- handeln, er fügte aber ausserdem noch Massage, Einreibungen und Seebäder hinzu, sodass die Ergebnisse seiner Behandlung nicht rein sind. Ausserdem leitete er eine diätetische Behandlung ein, welche in kräftiger Nahrung mit ausgiebiger Zufuhr von Kalksalzen und Einschränkung der Aufnahme von Milchsäure aus den Nahrungs- mitteln bestand.

Er erzielte mehrere Erfolge mit dieser Behandlung in Fällen von spinaler Kinderlähmung, die zu Verkürzungen und Muskelatrophien geführt hatten. Er vermochte durch eine mehrmonatliche Behand- lung nicht nur die Knochen Verkürzung auszugleichen, sondern auch die Muskelatrophie ganz wesentlich zu bessern.

In 3 Fällen schickte Sc hüll er der oben geschilderten Be- handlungsweise Einschlagen von vernickelten Stahlstiften in den Knochen voraus. Dieselben blieben 5 9 Tage liegen und wurden dann entfernt. Nach 2 Wochen wurde Stauungshyperämie usw. eingeleitet.

Der erste dieser Fälle ist so auffallend gebessert, dass er eine kurze Wiedergabe verdient: Ein 16 jähriges Mädchen hatte nach einer spinalen Kinderlähmung, von der es im Alter von 2% Jahren befallen wurde, eine Verkürzung des rechten Unterschenkels um 3 cm, eine erhebliche Verkleinerung des rechten Fusses, starke Atrophie der Wade, völlige Lähmung der Zehen und Blaufärbung und Kälte der Haut des Fusses zurückbehalten. Durch die be- schriebene Behandlung, welche etwa 8 Monate durchgeführt wurde, ist nicht nur der Längenunterschied der beiden Beine so gut wie gänzlich ausgeglichen und der Fuss erheblich gewachsen, sondern auch ,,die Wade, welche früher fast ganz geschwunden war, hat wieder Fülle bekommen". Ebenso können die Zehen, welche früher

1) Schüiler, Mitteilung über die künstliche Steigerung des Knochen- wachstums beim Menschen. Berliner klin. Wochenschr. 1889. Nr. 21 u. 50.

2 08 Allgemeine Wirkiongen der Hyperämie.

niemals spontan bewegt wurden, jetzt aktiv ebenso gebeugt wie ge- streckt werden. DerFuss, der sonst immer blau und eiskalt war und keine andere Bewegung zu machen vermochte, wie massige Dorsal- flexion, wobei er überdies, freigelassen, regelmässig ganz nach aussen umknickte, hat jetzt natürliche Farbe und Wärme und kann aktiv ohne auffällige Abknickung nicht nur dorsalwärts. sondern auch plantarwärts bewegt werden.

Es muss zu dieser Krankengeschichte hinzugefügt werden, dass Schüller vorher operative Eingriffe Arthrodese am Fusse und Durchschneidung der Plantaraponeurose gemacht, sowie neben dem hyperämisierenden, gymnastischen und diätetischen Verfahren diesen Fall nebenbei orthopädisch behandelt hat.

Grundsätzlich wichtig ist auch die Behauptung Schüller's,dass er durch das geschilderte Verfahren einseitige Knochenneubildung erzeugt habe. Er schlug nämlich bei einem Falle von sehr starken Genua valga infolge von Rachitis auf der Aussenseite beider Ober- schenkel zwei Finger breit oberhalb der Epiphysenlinie vernickelte Stahlnägel ein und entfernte dieselben nach 5 Tagen. 2 Wochen später wurde das geschilderte Verfahren Stauungshyperämie, Massage, Gymnastik eingeleitet und das Kind gleichzeitig an die Ostsee geschickt. 4% Monate später war das schlimmere Genu valgum vollständig geschwunden, das andere bedeutend gebessert. Diesen Unterschied führt Schüller darauf zurück, dass der Stahl- stift links tiefer eingetrieben war, als rechts. Ferner waren die Beine beträchtlich gewachsen, und zwar kam die Verlängerung in erster Linie auf Rechnung der Oberschenkel, was Schüller auch auf seine Behandlung zurückführt.

Seitdem wir wissen, dass Genua valga rhachitica bei einer zweck- mässigen hygienischen Behandlung, die ja nebenbei hier ausgeführt wurde, häufig von selbst verschwinden, dürfte dieser Fall wesentHch an Beweiskraft eingebüsst haben.

So zahlreich nun die Beobachtungen über den hypertrophieren- den Einfluss der passiven Hyperämie sind, so spärlich sind sie über den der aktiven.

Ich erwähnte schon, dass diese letztere ebenfalls zu einer Ver- mehrung des Haarwachstums führt.

Bidderi) entfernte einem jungen Kaninchen ein 1,5 cm langes Stück aus dem einen Sympathicus und brachte dadurch eine

1) Bidder, Hypertrophie des Ohres nach Excision eines Stückes vom Halssympathicus des Kaninchens. Centralbl. f. Chiriirgie. 1874. S. 97.

Ernährende Wirkung der Hyperämie. 209

arterielle Hyperämie der betreffenden Kopf half te hervor. Das ent- sprechende Ohr wurde viel breiter und länger, als das der gesun- den Seite.

Denselben Versuch mit gleichem Erfolge stellte Stirlingi) an mehreren jungen wachsenden Kaninchen und Hunden an.

Penzo^) machte das eine der Ohren eines wachsenden Kanin- chens dadurch, dass er es den grössten Teil des Tages in einer Temperatur von + 37 38° hielt, dauernd hyperämisch, das andere gleichzeitig durch eine Temperatur von + 10 12° anämisch. In 5 Versuchen, welche er anstellte, erzielte er stets das gleiche Ergebnis: das gewärmte Ohr wuchs bedeutend schneller. Nach der beigegebenen Photographie eines Kopfes von einem so behandelten Kaninchen war der Grössenunterschied recht be- deutend.

Hierher gehört auch der oben erwähnte Versuch I. Hunter's, das übermässige Wachstum eines Hahnensporns, welcher auf den blutreichen Kamm aufgepfropft wurde.

Im Gegensatz dazu erwähnt Virchow^), dass man (wahr- scheinlich bei erwachsenen Tieren) mittels Durchschneidung des Sympathicus wochen- und monatelang Hyperämie der ganzen Kopf - hälfte erhalten könne, ohne dass die geringste Änderung in der Er- nährung vor sich gehe, und Cohnheim*) behauptet dasselbe sogar von jungen wachsenden Tieren.

Man hat nach arterieller Hyperämie infolge von Nervendurch- schneidung sogar Atrophie eintreten sehen; so Schiff Atrophie des Kehllappens beim Truthahn, Legros Atrophie des Kammes bei einem jungen Hahn auf der entsprechenden Seite, nachdem er ihm das oberste Ganglion des Sympathicus entfernt, und Brown- Sequard und Vulpian Atrophie der zugehörigen Gehirnhälfte beim Meerschweinchen, nachdem sie den Sympathicus durch- schnitten hatten 5).

Es beweisen also diese Versuche, dass die künstHche arterielle

1) Stirling, Note on the effects of division of the sympathetic nerve of the neck in young animals. Jovtrnal of anatomy and physiology. 10. Bd. 1876. S. 511.

2) Penzo, Über den Einfluss der Temperatxor auf die Regeneration der Zellen, mit besonderer Rücksicht auf die Heilung der Wunden. Moleschott's Untersuchungen zur Naturlehre. 1893. 15. Bd. S. 117—125.

3) Virchow, Die Cellularpathologie. Berlin 1858. S. 113.

4) Cohnheim, Allgemeine Pathologie. 1. Bd.

5) Zitiert nach Roux, Der Kampf der Teile im Organismus. Leipzig 1881. Bier, Hyperämie als Heilmittel. 14

210 Allgemeine Wirkungen der Hyperämie.

Hyperämie, welche man mittels Durchschneidung vasomotorischer Nerven erzeugt, zwar häufig Hypertrophie macht, aber sie keines- wegs zu machen braucht. Ich habe schon bei früherer Gelegen- heit geltend gemacht, dass folgende Erfahrungen des täglichen Lebens gegen die hypertrophierende Wirkung der arteriellen Hyper- ämie unter natürhchen Verhältnissen sprechen: Leute, die den grössten Teil des Tages über ihre Haut und besonders die des Ge- sichtes sehr erheblicher Hitze aussetzen und dieselbe damit aktiv hyperämisieren, wie Glasbläser, Metallgiesser, Hetzer, Bäcker, haben keineswegs eine hypertrophische Haut, sondern im Gegenteil, die- selbe zeichnet sich durch Zartheit und, wenn diese Leute nicht gerade vor dem Feuer stehen, durch Blässe aus.

Meine eigenen Hände und Vorderarme sind, seit ich Chirurg bin, infolge des vielfachen Waschens in einem dauernden Zustande von Hyperämie, welche, der Farbe nach zu urteilen, eine arterielle Hyperämie ist; die Haut dieser Teile ist aber keineswegs hyper- trophisch, sondern viel eher atrophisch geworden.

Unter vielen Hunderten von Fällen, welche ich mit aktiver Hyperämie durch heisse Luft behandelte, habe ich nicht einen Fall gesehen, wo dieses Mittel eine Erhöhung der Ernährung des be- handelten Körperteiles hervorgebracht hätte, welche nicht durch die Besserung des Grundleidens völlig erklärt wäre.

Ausser den Beobachtungen Helferich's und Schüller's habe ich nirgends in der Literatur Angaben gefunden, welche über Ver- suche, durch reine Stauungshyperämie beim Menschen das physio- logische Wachstum zu beschleunigen und vorhandene Atrophien zu beseitigen, berichten.

Denselben Zweck durch aktive Hyperämie zu erreichen, ist meines Wissens überhaupt früher noch nicht versucht. Dies, liegt wohl in erster Linie daran, dass die Beobachtungen von H3rper- trophie infolge von Blutfülle, welche man zufällig machte, fast lediglich die venöse Hyperämie betrafen. Es kam hinzu, dass man vor meiner Empfehlung hoher Hitzegrade zur Erzielung einer aktiven Hyperämie ein unschädliches Mittel, diese herbeizuführen, überhaupt nicht kannte, da man doch unmöglich Lähmungen vaso- motorischer Nerven beim Menschen erzeugen konnte. Ich halte es deshalb für wichtig, einige Beobachtungen, welche ich im Anfange meiner Versuche mit Hyperämie machte, und über die ich bereits früher berichtet habe, hier mitzuteilen.

Ich versuchte in 3 Fällen von spinaler Kinderlähmung der Beine^

Ernährende Wirkung der Hyperämie. 211

die starke Muskelatrophie und die Lähmung durch künstUche Hyperämie zu bessern. Knochenverkürzungen lagen überhaupt nicht vor: ob infolge der Behandlung eine Verlängerung einge- treten ist, kann ich nicht sagen, da ich leider nicht darauf unter- sucht habe. Ich muss mich deshalb darauf beschränken, die Wirkung, welche die Hyperämie auf Muskeln und Haut ausübte, zu schildern.

Ich wandte zuerst in allen 3 Fällen 2 Monate lang Stauungs- hyperämie dauernd an, wobei zweimal täglich die stauende Binde an eine andere Stelle gesetzt wurde. Ich kann die Beobachtung Helferic h's bestätigen, dass die gelähmten GHeder das Verfahren sehr gut vertrugen. In keinem einzigen Falle konnte ich einen Erfolg bemerken. Darauf wandte ich in einem Falle 2 Monate, in den beiden anderen je 1 Monat künstliche arterielle Hyperämie, welche ich durch heisse Luft erzeugte, 2 3 Stunden lang täglich an. Auch diese wurde gut vertragen i). Allerdings war ich sehr vorsichtig und liess die Hitze niemals übermässig hoch steigen. Die Hyperämie trat trotzdem in genügender Stärke ein. In dem einen Fall erzielte ich insofern einen befriedigenden Erfolg, als das vorher kalte und blaue Glied während der Dauer der Behandlung wärmer und die blaue Farbe geringer wurde. Doch verschwand dieser Erfolg bald nach Aussetzen der Behandlung wieder. Auf die Ernährung von Haut und Muskeln aber hatte die arterielle Hyperämie nicht den geringsten Einfluss. Ja, in einem Falle schien es mir, als ob die atrophische Haut noch viel dünner und empfind- licher wurde, als sie vorher schon war.

Überblicken wir die zahlreichen Fälle und Beobachtungen, welche man eingeführt hat, um zu beweisen, dass Hyperämie als solche Hypertrophie hervorruft, so ist zweifellos feststehend nur, dass infolge chronischer Hyperämie das Längen- und Dickenwachs- tum der Knochen häufig zunimmt, dass die Deckepithelien dadurch wuchern und dass das Bindegewebe sich vermehren kann, ohne dass das letztere die durchgehende Regel ist.

Dagegen ist es schon für die Muskeln höchst zweifelhaft, ob sie unter dem Einflüsse chronischer Hyperämie hypertrophieren.

1) Ich habe schon bei früherer Gelegenheit (Virchow's Archiv 153. Bd. S. 332) nachgewiesen, dass die Gefässe selbst kalter und blauer gelähmter Glieder sehr gut auf Mittel, welche aktive Hyperämie erzeugen, reagieren, da die künstliche Blutleere an ihnen in normaler Weise eine sehr lebhafte reaktive Hyperämie hervorriift.

14*

2]^ 2 Allgemeine Wirkungen der Hyperämie.

Ja, angenommen selbst, die oben mitgeteilten Fälle seien, anatomisch betrachtet, wahre Hypertrophien, so sind sie physiologisch zweifellos als Entartungen aufzufassen, da sie zur Muskelschwäche führten. Damit wäre die praktische Verwertbarkeit künsthcher Hyperämie, um Muskelhypertrophie zu erzeugen, schon ausgeschlossen, um so mehr, als sie bei so hochgradigen dauernden Stauungen beobachtet wurde, wie wir sie kaum ohne Schaden für den Kranken herstellen können. Von anderen Geweben aber vollends kennen wir kein ein- wandfreies Beispiel, dass sie durch Hyperämie sich hätten passiv in einen Zustand von Hypertrophie versetzen lassen, im Gegenteil, einige Beobachtungen sprechen dafür, dass starke dauernde Hyperämie hier sogar Atrophie hervorrufen kann. Für sie gilt also das Wort Vir ch o w's, dass die Zelle sich nicht passiv ernähren lässt, sondern sich selbst ernährt, und somit ihr im Überschuss gebotene Nahrung verschmäht, wenn sie nicht gleichzeitig die in ihrem Wesen uns noch unbekannten Reize treffen, die sie zum Wachsen und zur Vermehrung bringen.

Für die Deckepithelien und das Stützgewebe (Knochen, Knorpel, Bindegewebe) müssen wir dagegen zugestehen, dass die Möglichkeit einer passiven Ernährung durch H3rperämie besteht, obwohl dieselbe immerhin auch ausbleiben kann, wie die oben er- wähnten Beobachtungen zeigen.

Ich glaube deshalb, dass Rouxi) das Richtige getroffen hat, wenn er annimmt, dass nur die Organe mit passiven 2) Funktionen (Stützgewebe und DeckepitheUen), niemals aber solche mit aktiven Funktionen (Muskeln, Nerven, absondernde Epithelien) sich nur durch Vergrösserung der Nahrungszufuhr, ohne weitere Reize, zu vermehren imstande seien. Ich habe früher, ehe ich diesen Aus- spruch Roux's kannte, diese Dinge so unterschieden, dass ich sagte : Nur die anspruchslosen Gewebe, welche unter der kümmer- Hchsten Ernährung noch fortkommen und lebendig bleiben, wie das bei den Stützsubstanzen und den Deckepithelien der Fall ist, lassen

1) Roux, Der Kampf der Teile im Organismus. Leipzig 1881.

2) Rein passiv fvuxktionierende Organe gibt es wohl gar nicht. Das Bindegewebe enthält die Lymphknoten, beteiligt sich also an der Blutbereitung und hat vielleicht noch andere ,, drüsige" Funktionen. Der Knochen, dessen Funktion, Belastung und Muskelspannungen auszuhalten, scheinbar ganz passiv ist, enthält das Mark, welches ebenfalls für die Blutbereitung tätig ist. Trotz- dem wird das Wort ,, passiv" hier wohl kaum zu Missverständnissen Veran- lassung geben.

Ernährende Wirkung der Hyperämie. 213

sich durch Hyperämie passiv ernähren, die höher organisierten da- gegen nicht.

Dass diese Unterscheidung zwischen den verschiedenen Ge- weben berechtigt ist, zeigen die vielfachen Beobachtungen von Substitution höher entwickelten Gewebes durch Bindegewebe, die bei Ernährungsstörungen eintritt, und zwar besonders deutlich die Erfahrungen, welche zahlreiche Versucher ^) bei künstlichen Kreislaufstörungen an der Niere gemacht haben. Unterbindet man entweder nur die Arteria oder diese und die Vena renalis zusammen, so ist die erste Folge dieser Operation eine ungeheure Anschoppung von venösem Blut, sodass die Niere sich um das Zwei- bis Dreifache vergrössert. Die Anschoppung kommt dadurch zustande, dass das leere Gefässgebiet der Niere, deren Arterie eine ,, Endarterie" im Cohnheim'schen Sinne darstellt, in erster Linie von den kapillären Anastomosen der Kapsel aus, voll von venösem Blut läuft. Später nimmt die Hyperämie ab und die Niere wird sogar anämisch ge- funden. Nach etwa 8 Tagen hat sie ihre alte Grösse wieder, schrumpft dann mehr und mehr, um schliesslich, wenn die Blutzufuhr der Niere wirklich wirksam unterbrochen wurde, zu einem Häufchen Bindegewebe zu werden, worin nicht selten Verkalkung auftritt. Die mikroskopische Untersuchung solcher Nieren zeigt, dass während des Zustandes der venösen Blutstockung das Epithel mit grosser Geschwindigkeit abstirbt. Schon wenn die Unterbindung nur wenige Stunden dauert, ist es unrettbar verloren. Statt dessen aber tritt eine ausserordentlich schnelle Neubildung von Bindegewebe ein, welches anfangs sehr blutreich ist und von verschiedenen Seiten in die Niere vorwuchert, um schliesslich sich in eine schrumpfende Narbe zu verwandeln.

Diese Erfahrungen zeigen uns, wie vorsichtig wir sein müssen, wenn wir Beobachtungen, welche Hypertrophie einzelner Gewebe durch Hyperämie zeigen, auf alle Gewebe verallgemeinern.

So muss ich denn auch an meiner schon mehrfach ausge- sprochenen Ansicht festhalten, dass ich die Versuche, ausgebildete

1) Vgl. u. a. : Cohn, Klinik der enibolischen Gefässkrankheiten. Talma,. Der Verschluss der Nierenarterie und seine Folgen. Zeitschr. f. klin. Medizin. 2. Bd. S. 483. Litten, Über den Einfluss arterieller Anämie auf die Gefäss- wände. Virchow's Archiv. 88. Bd., und: Untersuchungen über den hämorrha- gischen Infarkt nnd über die Einwirktmg arterieller Anämie auf das lebende Gewebe. Zeitschr. f. klin. Medizin. 1. Bd. S. 131. Nicolai, Über die Ligatur der Nierengefässe. Habilitationsschrift. Kiel 1895.

214 Allgemeine Wirkungen der HA'perämie.

und fertige Körperteile durch künstliche Hyperämie hypertrophisch machen zu wollen, für aussichtslos halte. Ich glaube auch kaum, dass es gelingen wird, das physiologische Wachstum durch dieses Mittel so regelmässig zu befördern, dass man hier von einem Ver- fahren sprechen kann, welches mit einiger Sicherheit den gewünsch- ten Zweck erreichen lässt, womit ich nicht bezweifeln will, dass man künsthche Verlängerung wachsender Knochen unter Umständen mit jenem Mittel erreichen kann. Ich muss an dieser Ansicht festhalten, trotz der gegenteiligen, sehr günstigen Beobachtungen Helf erich's und SchüUer's. Denn Helferich's Fälle waren immerhin sehr wenige. Er konnte zwar in den vier Fällen, wo er Stauungsh3rperämie anwandte, verkürzte wachsende Knochen verlängern, in den 5 Fällen von gelähmten Gliedern, welche er ebenso behandelte, hat er keine Muskelhypertrophie erzielt. Was die Verdickung der Haut anlangt, die Helf erich regelmässig bei Anwendung der Stauungshyperämie sah, so möchte ich doch aus unten näher auszuführenden Gründen annehmen, dass es sich hier wesentlich um chronisches Ödem ge- handelt hat.

Höchst auffallend sind SchüUer's Erfolge, der nicht nur Knochenverlängerungen, sondern ganz bedeutende Hypertrophie gelähmter Muskeln erzielte. Aber einerseits sind seine Versuche nicht rein, da er neben der Hyperämie noch alle möglichen andern Mittel anwandte, und andererseits ist der Fall, wo Muskeln, welche 13% Jahre völlig gelähmt waren, nicht nur dicker wurden, sondern auch ihre Funktion wiedererlangten, so auffallend, und steht mit allen unseren Erfahrungen über die Wiederherstellung gelähmter Muskeln in solchem Widerspruch, dass man ihn für sich allein schwerlich als beweiskräftig wird ansehen können.

Entscheidend ist aber für mich, dass jene Beobachtungen sich auf sehr spärliche Fälle beschränkten. Ich kann aber nur wieder- holen, dass ich unter den vielen Hunderten von Fällen, welche ich in den therapeutisch zulässigen Grenzen mit Stauungshyperämie, und unter den vielen Hunderten, die ich mit aktiver Hyperämie behandelt habe, ausser vermehrtem Haarwachstum und vereinzelten geringen Knochenverlängerungen niemals eine reine Hypertrophie an Geweben gesehen habe, die auf die Hyperämie hätte zurück- geführt werden müssen und sich nicht auf viel einfachere Weise durch Besserung des Grundleidens erklärt hätte. Ich gebe dabei zu, dass auf vermehrtes Längenwachstum der Knochen nicht ge- nügend geachtet ist, und dass dies möghcherweise viel häufiger

Ernährende Wirkung der Hyperämie. 215

eingetreten ist, als wir annahmen. In höherem Grade und regel- mässig ist dies aber keineswegs der Fall gewesen, sonst hätte es uns nicht entgehen können. Und doch habe ich in manchen Fällen die hyperämisierende Behandlung jahrelang angewandt.

Nachdem ich dies schon niedergeschrieben hatte, machte ich folgende Beobachtung, die auf den ersten Blick geeignet erscheint, diese meine Meinung gründlich zu erschüttern:

Ein 11 jähriger Knabe, dessen Vater an Lungenschwindsucht starb, erkrankte im März 1902 an einer Caries sicca tuberculosa des rechten Schviltergelenkes und wurde am 13. Mai 1902 in die Greif swalder chirur- gische Klinik aiifgenommen.

Es war ein kleiner, schmächtiger, muskelschwacher Knabe. Die" ganze rechte Schultergegend war sehr stark abgemagert. Die Abmagerung be- traf besonders den Musculus deltoides und die Muskeln der Fossa supra- mid infraspinata, so dass das Akromion vmd die Schulterblattgräte sehr stark vorsprangen. Das Gelenk war vollständig versteift, bei jedem Be- wegungsversuch ging das Schulterblatt sofort mit. Der Sulcus intertuber- cularis war auf Druck stark empfindlich, der rechte Arm um 2^ cm kürzer als der linke. Das Röntgenbild zeigte eine erhebliche Zerstörung des Schulterkopfes.

Vom 15. bis 29. Mai wurde täglich IQ 12 Stvmden, von da ab bis zum 1. August täglich 2 Stunden (morgens und nachmittags je 1 Stunde) die Schulterstauiing, wie sie in Figur 9 abgebildet ist, ausgeführt. Eine Besserung in der Beweglichkeit wiu"de nicht erzielt. Nach der bei der Entlassung vorgenommenen Röntgenaufnahme scheint jetzt eine knöcherne Ankylose im Gelenk zu bestehen. Im übrigen hatte sich das Leiden ge- bessert und das Allgemeinbefinden sich sehr gehoben. Bei der Entlassung am 2. August 1902 war die rechte Schulter, welche früher stark einge- sunken und atrophisch war, mindestens so gewölbt wie die linke, eher stärker als schwächer. Der rechte Oberarm war genau so lang wie der linke. Die Atrophie der Muskulatur war für den Anblick vollständig ge- schwunden; die genaue Messung ergab, dass der rechte Oberarm noch Yo cm in Umfang dünner war als der linke. Die frülier erhebliche Sclimerz- haftigkeit, besonders die bei Druck auf den Sulcus intertubercularis, war vollkommen beseitigt.

Der Befund überraschte mich im höchsten Grade. Es war im Laufe von 2^ Monaten nicht nur die Verkürzung von 2^ cm ausgeglichen, sondern die atrophischen Weichteile waren, trotzdem das Schulter gelenk wegen der Versteifung nicht gebraucht werden konnte, so weit wieder her- gestellt, dass sie für den blossen Anblick gerade so stark erschienen, wie die der gesunden Seite. Dass es in der Tat zu einer Verlängerung des I^ochens gekommen war, imd nicht ein Messungsfehler vorlag, beweist der Vergleich des Röntgenbildes, welches bei der Aufnahme des Kranken her- gestellt war, mit dem bei der Entlassimg unter den gleichen Bedingiingen angefertigten. Während das erstere dem gesunden Arm gegenüber Schwund der Epiphyse nachweist, findet sich bei dem letzteren eine massige Epiphyse, welche ebenso wie der angrenzende Teil der Diaphyse erheblich

2]_Q Allgemeine Wirkungen der Hyperämie.

breiter ist als die der gesunden Seite. Allerdings lässt die Messung mit dem Zirkel erkennen (es sind genau gleich grosse Bilder), dass die kranke Epipliyse etwa 1 cm niedriger ist als die gesunde, aber offenbar ist dies durch ilire grössere Breite und das vermehrte Wachstum der Diaphyse ausgeglichen worden.

Man sollte meinen, dies wäre ein reiner Fall von passiver Er- nährung eines atrophischen Ghedes durch Hyperämie, indessen glaube ich doch nicht, dass der Fall so aufzufassen ist, denn neben dem Verschwinden der anderen Atrophien verschwand auch die der Muskeln der Fossa supra- und infraspinata, obwohl sie ausser- halb des stauenden Schlauches sassen und gar nicht von der Hj/per- ämie betroffen wurden. Also auch in diesem Falle dürfte das Ver- schwinden der Atrophie mit der Besserung des Grundleidens in Zusammenhang stehen.

Ich habe häufig versucht, in einer anderen Weise ernährend auf den ganzen Menschen einzuwirken. Bekanntlich wird durch Blutentziehung der Körper zur vermehrten Blutbildung angeregt, und die Erfolge des Aderlasses bei der Chlorose erklärt man auf diese Weise. Ich habe nun versucht, grössere Blutmengen bei blutarmen Leuten durch Stauungshyperämie ausgedehnter Körper- teile dem Kreislauf zu entziehen, um so den blutärmer gemachten übrigen Körper zur Blutbildung anzuregen. Ich habe allerdings niemals reine Fälle gehabt, sondern das Verfahren nur angewandt, wenn es wegen eines anderen Leidens angezeigt war. So wurde z. B., wenn ein krankes Fussgelenk bei einem sehr blutarmen Kranken vorlag, die Stauungsbinde hoch oben am Oberschenkel angelegt, ohne dass der gesunde Abschnitt des Beines eingewickelt wurde. Ich habe den Eindruck hier kann man allerdings nur von Eindrücken sprechen ■, dass mir die Besserung und Ver- mehrung des Blutes in mehreren Fällen sehr gut gelungen ist, und es dürfte sich lohnen, hierauf ferner sein Augenmerk zu richten.

Einfluss der Hyperämie auf die Regeneration.

Seit den Versuchen Ambroise Pare's, v. Dumreicher's, Nicoladoni's, Helferich's und Thomas' wissen wir, dass ver- zögerte KaUusbildung durch Einleitung einer künsthehen venösen Hyperämie ganz bedeutend befördert und verstärkt wird. Ja, es scheint, dass man den mangelhaften Reiz zur Knochenneubildung

Ernährende Wirkung der Hyperämie. 217

bei ganz ausbleibender Kallusbildung durch die Stauungshyperämie anfachen kann. Der Einfluss der letzteren auf Heilung von Knochen- brüchen darf wohl jetzt als anerkannt gelten.

Ganz ähnliche Erfahrungen habe ich gemacht bei entzündeten, und zwar besonders bei subakut entzündeten Gelenken. Hier ver- wandeln sich unter Stauungshyperämie Entzündungsherde häufig in wenigen Tagen in steinharte Bindegewebsnarben. Auch bei tuberkulösen Entzündungen beobachtet man ein Härterwerden der weichen tuberkulösen Granulationsgeschwulst und ihre Verwand- lung in Narben, doch geht dies gewöhnlich natürlich sehr langsam. Nur in sehr vereinzelten, noch zu erwähnenden Fällen von Tuber- kulose erzeugt die Stauungshyperämie eine Art von akuter Ent- zündung und wandelt ebenfalls mit unglaublicher Schnelligkeit die tuberkulösen Granulationsmassen in derbes schrumpfendes Bindegewebe um. Diese Art der Regeneration und schnellen Ausbildung von fertigem Bindegewebe ist wohl im Prinzip der gleiche Vorgang, aber meiner Ansicht nach viel sinnfälliger und überzeugender, als die Heilung einer Pseudarthrose. Denn wir sehen das Ganze unter unseren Augen in wenigen Tagen vor sich gehen und können uns durch das Gefühl zu jeder Zeit von dem Fortschreiten der Vernarbung überzeugen. Diese ausserordentlich schnelle Vernarbung erklärt sich wohl aus dem Umstände, dass bei jenen Entzündungen das erste Stadium der Bindegewebvsbildung, kleinzellige Infiltration und Granulation, schon vorhanden ist.

Die Umwandlung der Entzündungsherde in Bindegewebsnarben dürfte bei der Heilung von Infektionskrankheiten eine sehr grosse Rolle spielen. Ich halte es gar nicht für nötig, dass in allen Fällen von Heilung infektiös erkrankter Gelenke durch Stauungshj^erämie wirklich eine Abtötung der Bakterien, sei es nun durch Serum im Sinne Buchner's, Phagocyten im Sinne Metschnikoff's, Kohlensäure im Sinne Hamburger' s oder infolge anderer noch unbekannter bakterientötender Blutbestandteile, stattfindet, son- dern glaube, dass eine schnelle Vernarbung von Entzündungs- herden Bakterien einkapseln und unschädlich machen kann. Dass die Natur sich dieses Mittels nicht selten bedient, wissen wir ja aus zahlreichen Erfahrungen.

Man hat natürlich den Einfluss der Hyperämie auf die Kallus- bildung experimentell zu erforschen unternommen. Ich übergehe hier die zahlreichen Versuche, welche mittels Durchschneidung von gemischten Nerven angestellt sind, wobei neben der sensiblen und

218 Allgemeine Wirkiongen der Hyperämie.

motorischen Lähmung wegen der Zerstörung vasomotorischer Fasern auch eine arterielle Hjrperämie erzeugt wird. Ich glaube, dass diese Versuche für die Entscheidung unserer Frage nur be- schränkten Wert haben. Denn neben der Hyperämie werden eine solche Menge unabsehbarer Veränderungen geschaffen, welche die Heilung beeinflussen, dass schwerlich zu sagen ist, ob die H3rper- ämie als solche einen Einfluss auf die Heilung der Knochenwunde ausübt oder nicht. Dies macht sich auch in den Ergebnissen dieser Versuche bemerkbar i) ; die einen Untersucher fanden, dass Nerven- durchschneidung die Kallusbildung befördere, die andern, dass sie dieselbe beeinträchtige, wieder andere, dass sie ohne jeden Einfluss auf den Verlauf der Heilung sei. Aus demselben Grunde habe ich im ersten Abschnitte dieses Kapitels die vielerwähnte Arbeit Nasse's'^) über den Einfluss der Nervendurchschneidung auf die Ernährung des Knochens nicht in Betracht gezogen.

Dass diese Versuche für unsere Fragen nicht zu brauchen sind, liegt auf der Hand. Zum Überflusse hat Samuel^) noch den ein- leuchtenden experimentellen Beweis dafür geliefert, dass hier für die Regeneration ganz unnatürhche Verhältnisse geschaffen werden : Durchschnitt er an Taubenflügeln den Plexus axillaris, so trat nicht nur eine lebhafte Hyperämie, sondern eine mehrere Monate dauernde Neubildung eines grossen und stets wachsenden Gefässnetzes an der Bildungsstätte der Federn in den gelähmten Flügeln auf. Die Folge war aber nicht eine Vermehrung, sondern eine Verminderung des Wachstums sich neu bildender Federn, die um so mehr in die Erscheinung trat, je länger die Lähmung dauerte. Unterband Samuel dagegen an einem sonst gesunden Flügel die Arteria axillaris, so trat zwar für den Augenblick eine Verzögerung des Federwachstums ein, das aber sehr bald mit der Ausbildung des KoUateralkreislaufs wieder zunahm.

1) Eine Übersicht der betreffenden Ansichten findet man in den neueren Arbeiten von Kapsammer: Das Verhalten der Knochen nach Ischiadicus- durchschneidung. Archiv f. klin. Chirurgie. 56. Bd. S. 348. 1898, und: Musca- tello imd Damascelli, Über den Einfluss der Nervendurchschneidung auf die Heilung von Knochenbrüchen. Archiv für klinische Chirurgie. 58. Band. S. 937. 1899.

2) Nasse, Über den Einfluss der Nervendurchschneidung auf die Er- nälirmig, insbesondere auf die Form und die Zusammensetzung der Kjiochen. Pflüger's Archiv. 23. Bd. S. 361. 1880.

3) Samuel, Das Gewebswachstum bei Störungen der Innervation. Virchow's Archiv. 113. Bd. S. 272. 1888.

Ernährende Wirkung der Hyperämie. 219

Die einzigen für unseren Zweck brauchbaren Arbeiten sind die von A. Bumi) und von R. Penzo, die dieselbe Form der Stauungshyperämie bei ihren Versuchstieren anwandten, die wir beim Menschen benutzen.

B u m untersuchte die Wirkung der Stauungshyperämie auf die Heilung der Knochenbrüche. Da sich Kaninchen für das Ver- fahren nicht eigneten, benutzte er junge Hunde, denen er in der Diaphyse beider Tibiae Knochenbrüche erzeugte. Die Glieder wur- den bei gestrecktem Fuss- und Kniegelenk eingegipst. Vom näch- sten Tage an wurde am Oberschenkel der einen Seite täglich für die Dauer von ly^ Stunden eine Stauungsbinde angelegt. Unter Ausscheidung aller Versuche, welche eine zweifelhafte Deutung zulassen, kommt B u m zu dem Schlüsse, dass die Kallusbildung an der Seite, wo Stauungsh3rperämie angewandt wurde, zweifellos vor- geschrittener zu sein schien. Vor allem war der periostale Kallus ausgebildeter, der Markkallus nur in manchen Fällen. Ob der intermediäre Kallus durch die Stauung eine Förderung erfahren hatte, konnte nicht entschieden werden. Die Ablagerung von Kalk- salzen in dem Kallus schien durch die Hyperämie vermehrt zu sein. Dagegen fand Bum, dass nur bei Neigung zu guter Kallus- bildung ein nennenswerter Erfolg der Stauungshyperämie bemerkt werden konnte.

R. Penzo 2) studierte in neuester Zeit an Kaninchen den Ein- fluss der Stauungshyperämie auf die Regeneration. Er kommt zu folgendem Schlüsse: ,,1. Eine massige venöse Hyperämie, charak- terisiert durch Cyanose, Ödem und Temperaturerhöhung des Glie- des begünstigt die physiologischen Prozesse der Regeneration der Zellen, die Vermehrung der Gewebe beim Tiere und die Heilung jeglicher Wunden. Aber sie allein genügt nicht zur Wieder- erweckung der regenerativen Tätigkeit von Geweben, deren ausge- bildete Zellenelemente diese regenerative Tätigkeit nicht mehr haben.

2. Zu starke Hyperämie, charakterisiert durch Cyanose, Ödem und Abkühlung, führt zu entgegengesetzten Resultaten."

1) Bum, Die Entwicklung des Knochencallus unter dem Einflüsse der Stauung. Archiv f. klin. Chirurgie. 67. Bd. S. 652. 1902, und: Experimentelle Untersuchungen über den Einfluss der Stauung auf die EntwickKmg des Knochencallus. Centralbl. f. Chirurgie 1901. Nr. 47.

2) R. Penzo, Sulla Influenza dell' iperemia passiva nella rigenerazione cellulare etc. Atti del Reale Instituto Veneto di Scienze. 64. Bd. II. Teil. Venezia 1905.

220 Allgemeine Wirkungen der Hyperämie.

Penzo's experimentelle Arbeit liefert eine Bestätigung meiner auf Grund klinischer Erfahrungen seit langem ausgesprochenen Ansichten.

Ausser B u m und P e n z o hat meines Wissens nur noch S a m u e 1 1 ) die Einwirkung der Stauungshyperämie auf die Regeneration, und zwar auf die der Federn, experimentell geprüft. Aber auch seine Versuche sind nicht zu verwerten, weil er so hohe Grade von Stauung verwandte, wie wir sie zu Heilzwecken niemals gebrauchen dürfen, und die das genaue Gegenteil von dem zu erzeugen pflegen, was geringere Grade desselben Mittels, die wir allein praktisch verwerten können, bewirken. Er fand, dass ein Stauungsband, welches er um den Vorderarm von Tauben legte, eine zwar nur geringe, aber doch deutliche Wachstumsverzögerung der sich neu- bildenden Federn hervorbrachte. Aber er legte das Band so fest an, dass er häufig Brand des ganzen Flügels, im besten Falle aber noch Eiterblasen und Schorfe an der Haut hervorrief, und liess dieses Band dauernd liegen. Er verursachte also eine Er- nährungsstörung allerschwerster Art, und man muss sich nur wun- dern, dass dadurch das Federnwachstum nicht mehr aufgehalten wurde.

Sehr alt und zahlreich sind die Versuche, welche man zur Er- kenntnis des Einflusses arterieller Hyperämie auf Regenerations- vorgänge angestellt hat. Ich will auch hier die Versuche ^) über- gehen, wo man mittels Durchschneidung gemischter Nerven an den Gliedmassen die arterielle Hyperämie neben, allen möglichen anderen schweren Veränderungen der Gewebe herstellte. Viel be- weisender sind die Versuche, wo man mittels Durchschneidung oder Resektion des Halssympathikus arterielle Hyperämie einer Kopf half te beim Tiere herstellte. Mit diesem Verfahren haben auch die weitaus meisten der Untersucher gearbeitet, sind aber zu sehr widersprechenden Ergebnissen gekommen.

1) Samuel, Gewebswachstum bei Störungen der Blutzirkulation. Virchow's Archiv. 108. Bd. S. 1.

2) Beck, Histologische und physiologische Untersuchungen über den Heilungsprozess der Wunden, über die Bildung und Umwandlung der Exsudate und ihrer mikroskopischen Formelemente; Untersuchungen imd Studien auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie und Chirurgie. Karlsruhe 1852, und: Joseph, Über den Einfluss der Nerven auf Ernährung und Neubildung. Archiv f. Anatomie, Physiologie u. wissenschaftliche Medizin. 1872. S. 206 (Experimente an Fröschen).

Ernährende Wirkung der Hyperämie. 221

Virchowi) brachte bei Hunden und Kaninchen, welchen er auf einer Seite den Sympathikus durchschnitten hatte, Entzündungs- reize an möghchst gleichen Stellen und in möglichst gleicher Stärke auf beiden Seiten an, konnte aber im Verlaufe der Entzündungen keinerlei Unterschied wahrnehmen. Er schloss hieraus und aus anderen Beobachtungen, ,,dass die grössere oder geringere Zufuhr von Blut zu einem Teile nicht von dem bestimmenden Werte für die Ernährung der einzelnen Elemente ist, wie man oft annahm".

Im Gegenteil dazu fand Snellen^), dass die Durchschneidung des Sympathikus den Entzündungsprozess, die Resorption von Ex- sudaten, die Heilung und Vernarbung von Wunden der betreffenden Kopf half te beschleunigte.

0. Web er 3) bestätigt die Versuche Snellen's: ,, Bringt man an dem gelähmten Ohre und gleichzeitig an dem gesunden eine ganz gleiche Verletzung an mag diese nun im Einlegen einer Erbse, einer Glasperle in eine Schnittwunde oder in einer Schnittwunde, die man, wie ich es vielfach getan, mit einem Locheisen hervor- gebracht hat, oder in einem durchgezogenen Haarseile von gleicher Länge, oder in der Applikation ganz gleicher Kügelchen von Ätz- kali bestehen immer wird man die Reaktion an dem vasomotorisch gelähmten Teile energischer, lebhafter als am gesunden Teile finden. Die Heilung erfolgt am ersteren stets rascher, indem namentlich die Zellen- und Gefässbildung viel schneller vonstatten geht."

Diese Untersuchungen haben dann geruht, bis sie im Jahre 1871 Sinitzin*) wieder in Fluss brachte. Seit diesem Jahre bis auf die neueste Zeit sind dann eine ganze Reihe von Untersuchungen über diese Frage mitgeteilt, ohne dass eine Einigung erzielt wäre. Sinitzin behauptet, dass die der Ausreissung des obersten Sym- pathikusganglions folgende Hyperämie der operierten Seite eine bedeutend grössere Widerstandsfähigkeit für fremde und neutrale

1) Virchow, Handbuch der speziellen Pathologie und Therapie. 1. Bd. S. 274. Erlangen 1854,

2) Snellen, Archiv für holländische Beiträge. 1857. I. Das Original war mir nicht zugänglich. Zitiert nach Samuel, Virchow's Archiv. 22. Bd. S. 405.

3) O. Weber, Die Gewebserkrankungen im allgemeinen und ihre Rück- wirkung auf den Gesamtorganismus. Pitha-Billroth's Handb. d. Chirurgie. 1. Bd. S. 404. 1865.

4) Sinitzin, Zur Frage über den Einfluss des Nervus sympathicus auf das Gesichtsorgan. Centralblatt für die med. Wissenschaften. 9. Jahrgang. 1871. S. 161.

222 Allgemeine Wirkungen der Hyperämie.

Stoffe verleihe. Während feine Glasfäden, welche er an symme- trischen Stellen beider Hornhäute einsenkte, auf der gesunden Seite die heftigsten Entzündungen der Bindehaut, Hornhaut und Iris bis zu Geschwürsbildung und drohender Panophthalmie her- vorriefen, entstand auf der operierten Seite meist gar keine, in den anderen Fällen eine nur geringe Reaktion. Durchschnitt Sinitzin den Trigeminus in der Schädelhöhle, so traten die bekannten Er- nährungsstörungen an der operierten Seite neuroparalytische Keratitis, Geschwüre an Augenlid- und Mundschleimhaiit nicht auf, wenn kurz vor oder unmittelbar nach dieser Operation das oberste Halsganglion des Sympathikus entfernt war. Ja, bereits eingetretene Ernährungsstörungen können, wenn die letztere Opera- tion noch nachträglich ausgeführt wird, wieder heilen oder sich wenigstens bessern, selbst wenn sie schon weit vorgeschritten sind. Die günstige Wirkung der Ausrottung des oberen Sympathikus - ganglions trat ein, obwohl nicht die geringsten Schutzvorrichtungen für die operierte Kopfseite getroffen wurden, sie blieb aus, wenn auf derselben Seite die Carotis unterbunden und so die Hjrperämie unmöglich gemacht wurde.

Die Richtigkeit dieser Versuchsergebnisse Sinitzin' s ist sehr lebhaft bestritten. Eckhard^) und Senftleben^) prüften die Versuche nach und beide fanden, dass die Ausrottung des oberen Sympathikusganglions auf das Zustandekommen und den Verlauf der nach Trigeminusdurchschneidung auftretenden Ernährungsstör- ungen gar keinen Einfluss ausübe.

Der nächste Untersucher Danilewski^) verursachte Entzünd- ungen am Kaninchenohre, schnitt mit dem Locheisen Stücke aus demselben heraus und machte, wenn er 1 2 Tage später den Sym- pathikus durchschnitt, folgende Beobachtungen:

,,Die durch Krotonöl hervorgerufene reaktive Hyperämie gleicht sich rascher auf der Seite aus, wo infolge der Durchschneidung des Nerven grösserer Blutzufluss stattfand, nachdem in den ersten

1) Eckhard, Bemerkungen zu dem Avifsatz des Herrn Sinitzin: Zur Frage über den Nerveneinfluss des Nervus sympathicus auf das Gesichtsorgan. Centralbl. f. d. med. Wissenschaften. 11. Jahrg. 1873. S. 547.

2) Senftleben, Über die Ursachen und das Wesen der nach der Durch- schneidung des Trigeminus auftretenden Hornhautaffektion. Virchow's Archiv. 65. Bd. S. 69. 1875.

3) Danilewski, Zur Frage über den Einfluss der aktiven Hyperämie auf Entzündungsprozesse (russisch). Nach dem ausführlichen Referate von Anton Schmidt im Centralbl. f. Chin.irgie. 1883. S. 214.

Ernährende Wirkung der Hyperämie. 223

24 Stunden die entzündete Stelle sich durch besonders intensive Färbung von der Umgebung ausgezeichnet hatte.

Kommt es zur Blasenbildung mit durchsichtigem oder eitrigem Inhalt, so verläuft die Entzündung auf der neurotomierten Seite lebhafter und heftiger, die Blutansammlung ist grösser, die Granu- lationen sind entwickelter und blutreicher.

Der Entzündungsprozess läuft auf der neurotomierten Seite noch einmal so rasch ab, als auf der entgegengesetzten.

Die Verheilung erfolgt auf der operierten Seite häufig ohne Substanzverlust, bisweilen selbst mit hyperplastischer Gew;ebs- wucherung in Form von Neubildung. Auf der entgegengesetz- ten Seite schhesst die Entzündung in der Regel ab mit nicht vollständiger Regeneration oder grösserem oder geringerem Sub- stanzverlust.

Die Eiterung ist auf der neurotomierten Seite stets ernstlicher, und der Eiter hat die Eigentümlichkeiten des Pus bonum et lauda- bile, während er auf der nichtoperierten Seite gräulich, wässerig, halb durchsichtig und flockig ist. . ,

Nekrose nach sehr heftigen Reizen erfolgt ausschliesslich auf der Seite, wo der Sympathikus erhalten ist."

Rief Danilewski die Entzündung erst 1 2 Tage nach Durch- schneidung des Sympathikus hervor, so trat auf der operierten Seite eine viel heftigere entzündliche Reaktion auf, die H3rperämie wurde grösser, die Eiterung reichlicher und die Granulationsbildung stärker.

Blutergüsse waren auf der operierten Seite leichter hervor- zurufen, wurden aber auch schneller wieder aufgesogen.

Die mit dem Locheisen erzeugten Wunden heilten auf der operierten Seite doppelt so rasch als auf der anderen, die Regene- ration der Gewebe war vollständiger, heftige Reize führten weniger zu Nekrose.

Während somit Danilewski die Versuche Snellen's. O. Weber's und Sinitzin's bestätigte, kam Samueli) wieder zu ganz anderen Ergebnissen:

,, Gewiss ist, dass arterielle Hyperämie nach Durchschneidung von Nervenstämmen oder in unmittelbarer Umgebung von Ent- zündungsherden ebensowenig wie venöse Hyperämie Neuwachstum veranlasst."

1) Samuel, Die histogenetische Energie und Symmetrie des Gewebs- wachstums. Virchow's Archiv. 101. Bd. S. 389.

224 Allgemeine Wirkungen der Hyperämie.

In einer späteren Arbeit behauptet Samuel^), dass die seiner Ansicht widersprechenden Beobachtungen der oben genannten Ärzte nichts beweisen, weil sie alle das andere anscheinend ge- sunde Ohr des Versuchstieres zum Vergleiche herangezogen haben. Dieses Ohr sei aber gar nicht normal, sondern es werde nach der auf der anderen Seite vorgenommenen Operation kühl und anämisch. Samuel glaubt, dass die operierte Seite das Blut der anderen mitverbrauche und so die Anämie erzeugt werde. Dagegen kann man mit Recht einwenden, dass die Ansicht, dass vollständig ört- liche Blutüberfüllungen auf längere Zeit auf mechanische Weise der Nachbarschaft das Blut entzögen, jetzt wohl als widerlegt zu gelten hat. Aber da Samuel, dieser so ausserordentlich zuver- lässige Beobachter makroskopisch wahrnehmbarer pathologischer Vorgänge, langdauernde Temperaturerniedrigungen auf der an- scheinend gesunden Seite nachwies und sich auf eine Reihe älterer Untersucher, welche die gleichen Befunde, wie er machten, beruft, so kann an der Tatsache wohl kein Zweifel sein, und wahrschein- lich sind es reflektorische Einflüsse, welche diese Anämie der an- scheinend gesunden Seite hervorrufen. Gebrauchte Samuel ganz gesunde Kontrolltiere, so fand er, dass die Entzündungserschein- ungen bei Sympathikuslähmung viel rascher und stärker auftreten, als bei einem gesunden Tiere, dass sie aber auch viel heftiger sind und lange dauern.

Allerdings hat Samuel mit dieser Beweisführung die Befunde derjenigen früheren Untersucher nicht widerlegt, die das obere Halsganglion des Sympathikus mitentfernten, denn Sinitzin be- hauptet, dass Anämie und Kälte auf der nichtoperierten Seite eines Versuchstieres nicht entstehen, wenn man die Entfernung des obersten Ganglions hinzufügt.

Die neueste Arbeit auf diesem Gebiete von Liek^) brachte wieder eine vollständige Bestätigung der Befunde Snellen's, O. Weber's, Sinitzin's und Danilewski's. Liek zeigte noch durch eine Reihe von Kontrollversuchen, dass Samuel's oben er- wähnter Einwurf gegen die Deutung der Heilungen nach Sympathi- kusresektion nicht in Betracht kommt. Er fand, dass flächenhafte, ebenso wie Lochwunden des Kaninchenohres sehr viel schneller

1) Samuel, Über anämische, hyperämische und neurotische Entzündungen. Vü-chow's Archiv. 121. Bd. S. 396. 1890.

2) Liek, Über den Einfluss der arteriellen Hyperämie auf die Regeneration. Archiv f. klin. Chirurgie. 67. Bd. S. 229.

Ernährende Wirkung der Hyperämie. 225

heilten, wenn der Sympathikus durchschnitten oder das oberste Hals- ganglion gleichzeitig fortgenommen war. Und zwar ging die Re- generation durchaus parallel dem Grade der erzeugten Hyperämie.

Die Arbeit Liek's ist deshalb die beweisendste von allen, weil ihr eine sehr grosse Menge von Versuchen zugrunde liegen und trotz dieser grossen Reihe die Ergebnisse sehr eindeutig waren, und weil die Einwände, welche man gegen die Beweiskraft der Versuche machen kann, ebenfalls genau gewürdigt und zurückge- wiesen sind.

In einer neuen Weise erwies Penzoi) den günstigen Einfluss der Hyperämie auf die Regeneration in seiner schon im vorigen Abschnitte erwähnten Abhandlung. Er verfertigte einen sinnreichen Apparat, in welchem er das eine Ohr oder Glied eines Kaninchens fast dauernd auf etwa +38" erwärmen, das andere auf + 10" ab- kühlen konnte. Nur einige Stunden täglich wurden die Tiere dem Apparate entnommen. Es ergab sich, dass die durch die Wärme erzeugte Hyperämie die Regeneration bei offenen und subkutanen Wunden erheblich beschleunigte, die durch Kälte erzeugte Anämie sie verlangsamte. Unter anderem prüfte. Penzo auch den Einfluss dieser Mittel auf die Heilung von Knochenbrüchen an der Ulna vom Kaninchen. Hier war der Unterschied ausserordentlich gross. Während nach 7 8 Tagen an der abgekühlten Seite kaum der Be- ginn eines Regenerationsvorganges zu bemerken war, war der Knochenbruch an der gewärmten Seite bereits durch den Kallus fest vereinigt, der, wie die mikroskopische Prüfung zeigte, schon fast vollkommen ausgebildet war.

Wir sehen also, dass die überwiegende Ansicht der Unter- sucher dahin geht, dass künstliche aktive Hyperämie die Regene- ration erheblich beschleunigt. Und wenn wir bedenken, dass gerade die Arbeiten, welche sich auf eine grosse Reihe von Versuchen stützen, mit grosser Einhelligkeit in allen Eällen zu diesem Ergeb- nis gekommen sind, so müssen wir dies als Tatsache anerkennen und können den Satz aussprechen: Während der fördernde Einfluss der Hyperämie auf physiologisches Wachstum der Organe und auf die Ernährung fertiger Gewebe nur für die Stützgewebe

1) Penzo, Über den Einfluss der Temperatur auf die Regeneration der Zellen, mit besonderer Rücksicht auf die Heilung der Wunden. Moleschot t's Untersuchungen zur Naturlehre des Menschen und der Tiere. 15. Bd. S. 107. 1895.

Bier, Hyperämie als Heilmittel. 15

226 Allgemeine Wirkungen der Hypez'ämie.

und die Deckepithelien und hier lange nicht für alle Fälle erwiesen, für andere Gewebe aber mindestens höchst unsicher ist, so lässt sich nicht bezweifeln, dass die Regeneration durch Hyperämie, und zwar durch aktive wie passive Hyperämie, beträchtlich ge- fördert wird.

Ich will aber diese Untersuchungen nicht verlassen, ohne dar- auf hinzuweisen, dass auch bei der Regeneration diese Förderung durch Hyperämie, gerade so wie bei den fertigen Geweben, ledig- lich bewiesen ist für die Gewebe mit passiven Funktionen, Deck- epithelien und Stützgewebe, denn aus diesen bestehen die Narben. Der Umstand, dass Gefässe und Nerven sich in der Narbe aus- bilden, spricht nicht dagegen, denn ohne diese ist ein Neuwachs- tum überhaupt nicht zu denken, und dass sie in der Narbe nicht im Übermass vorhanden sind, und besonders ihre Funktion darin meist sehr viel zu wünschen übrig lässt, wissen wir. Es kommt hinzu, dass die Gefässe entwicklungsgeschichtlich zu den Stützge- weben gehören.

Von der regenerationsfördernden Wirkung hyperämisierender Mittel hat man seit langem Gebrauch gemacht. So hat man die Wärme, in Form von feuchtwarmen Umschlägen, Breiumschlägen usw., zur Beförderung schwächlicher Granulationen benutzt. Dem- selben Zwecke dienen zahlreiche chemische Reizmittel, z. B. Terpen- tinsalben, Kampferwein, Perubalsam, Argentum nitricum.

An die Versuche Penzo's erinnern die Brutöfen Guyot'si). Dieser Arzt brachte verwundete Glieder in ein Gefäss, dessen Luft auf 36'^ erwärmt wurde. Die Temperatur soll nicht über 40^^ steigen und nicht unter 20*^ fallen.

Auch die von Ritt er 2) vorgeschlagene Behandlung der Er- frierungen durch Hyperämie gehört hierher . Ritter fand vor allem wirksam die aktive Hjrperämie durch heisse Luft. Man hätte dar- aus schliessen können, dass die bei der Erfrierung angenommene Gefässlähmung und venöse Stockung dadurch beseitigt würde. Aber diese Annahme wird hinfällig durch die Beobachtung Ritter's, dass man mit der künstlichen Stauungshyperämie ebenfalls sehr gute Erfolge bei Erfrierungen erzielt. Ritter nimmt deshalb an,

1) Guyot, De l'emploi de la chaleur. Paris 1842. Zitiert nach Barde- leben, Lehrbuch der Chirurgie. 5. Aufl. 1866. I. Bd. S. 113.

2) Ritter, Die Behandlung der Erfrierungen. Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 58. Bd. S. 172.

Ernährende Wirkung der Hyperämie. 227

dass die künstliche Hyperämie die Regeneration der durch die Er- frierung geschädigten oder vernichteten Zellen bewirkt, und sieht nicht, wie das üblich ist, in der Erfrierungshyperämie etwas Schäd- liches, das bekämpft werden müsse, sondern im Gegenteil die natürliche und nützliche Reaktion des Körpers auf die Schädigung, die man in den meisten Fällen noch künstlich unterstützen soU. Dass beide Formen der Hyperämie in der Tat sehr günstig auf die Heilung von Erfrierungen einwirken, davon habe ich mich in Ritter's Fällen überzeugt.

Ich selbst habe schon vom Beginne meiner Versuche mit Hyperämie an mehrfach Geschwüre, welche nicht verheilen wollten, mit heisser Luft behandelt, und ich glaube, dass Ullmann's früher erwähnten günstigen Erfolge bei infektiösen Geschwüren mehr durch diese Wirkung der a.ktiven Hyperämie als, wie Uli mann glaubt, durch bakterientötende Einflüsse derselben er- zielt sind.

Zum Schluss hätten wir noch die Frage zu erörtern, welche Hyperämie unterstützt am besten den Aufbau und die Regeneration der Gewebe ? Ich glaube, die Mehrzahl der Ärzte wird darauf ohne Besinnen antworten : selbstverständhch die aktive arterielle Hj^per- ämie, und in zahllosen Arbeiten liest man, dass eine ,, Verbesserung des Kreislaufs" und Beseitigung von Blutstockungen natürlich günstig auf die Ernährung einwirke. Die Beobachtung, dass die funktionelle Hyperämie, welche ausnahmslos die Tätigkeit der Organe begleitet, aktiv ist, scheint diese Annahme zu unterstützen. In Wirklichkeit ist diese Ansicht gänzlich unbewiesen, und lassen wir hier einmal wieder unsere Lehrmeisterin Natur sprechen und sehen ihre Einrichtungen für die zweckmässigsten an, so werden wir zu der genau entgegengesetzten Meinung kommen. Man hat oft betont, dass man am Menschen nirgends eine lebhaftere Regeneration sieht, als bei der Entzündung, ja, dass diese ent- zündliche Regeneration, wie Weigert fand, meist über das Ziel hinausschiesst und in kurzer Zeit an Stelle des geschädigten Ge- webes ein Übermass von neuem hervorbringt, so dass man gerade- zu von einer entzündlichen Hypertrophie sprechen kann. Die ent- zündliche Hyperämie ist aber nicht aktiv, sondern passiv. Und bedeuten denn die unzähligen neugebildeten kleinen Gefässschlingen, die wir bei der Wundheilung, der neben der entzündlichen ener- gischsten Regeneration, die wir nach der Geburt beobachten, etwas anderes, als eine gewaltige Verbreiterung des Strombettes mit Ver- ls*

228 Allgemeine ^^'irkungen der Hyperämie.

mehrung der Widerstände und damit Verlangsamung des Blut- stromes ?

Wenden wir uns nun gar zu dem weitaus mächtigsten Gewebs- aufbau, welchen wir überhaupt kennen, der Entwicklung des be- fruchteten Eies zum Embryo und des Embryos zum geburtsreifen Kinde, so bemerken wir hier, wie uns Bonnefs^) schöne Unter- suchungen gezeigt haben, die grossartigste Stauungshyperämie, welche wir irgendwo am menschlichen Körper zu sehen bekommen. Der Blutstrom wird in den weiten Bluträumen der Placenta der- massen verlangsamt, dass starkes Odem und ausgedehnte Blutungen in das Gewebe der Placenta entstehen. Aus dem langsam sich be- wegenden Blute, ja besonders aus dem Odem und den ausgetretenen, sich zersetzenden Blutergüssen zieht der Embryo nach Bonnet's Ansicht zum grössten Teile seine Nahrung. Aber auch den Rest muss ihm das gestaute Blut durch Auflösung von mütterlichen Gewebsbestandteilen verschaffen.

Bei der Funktion der Gewebe handelt es sich um ganz andere Vorgänge. Die Arbeit wird im wesentlichen durch Oxydation geleistet, und dazu gehört ein lebhafter Blutstrom, welcher immer neues sauerstoffhaltiges Blut zuführt. Ausserdem setzt die ungestörte Arbeitsleistung voraus, dass fortwährend die Verbren- nungsprodukte, welche giftig und lähmend auf das tätige Organ wirken, fortgeschwemmt werden, und auch dies besorgt am besten ein schnellfliessender, mächtiger Blutstrom.

Ich glaube deshalb, wir können mit Recht folgenden Satz aufstellen: Die funktionelle H3rperämie ist aktiv, die dem Aufbau der Gewebe dienende wahrscheinhch vorwiegend passiv. Damit soll nicht gesagt werden, dass die Zelle, welche infolge eines unbekannten Reizes sich zu vergrössern oder zu vermehren trachtet, nicht aus einem schnellfhessenden Biutstrome die notwen- dige Nahrung entnehmen könnte. Es scheint ja dafür zu sprechen, dass die Funktion, welche von aktiver Hyperämie begleitet wird, zur Vergrösserung der tätigen Teile führt, und dass einige der oben angeführten Versuche und Beobachtungen zeigen, dass auch aktive Hyperämie die Regeneration befördert. Aber einmal geht

1) Bonnet, a) Über Enibryotrophe. Deutsche med. Wochenschr. 189P. Nr. 45; b) Weitere Mitteilungen üb. Embryotrophe. Deutsche med. Wochenschr. 1902. Nr. 30; c) Beiträge zur Embryologie des Hundes. Merkel und Bonnet's anatomische Hefte. Band 20. Heft 64/65.

Ernährende Wirkung der Hyperämie. 229

der Aufbau der Gewebe, welcher zur funktionellen Hypertrophie führt, so langsam vor sich, dass er sich mit der grossen Schnellig- keit der entzündlichen und embryonalen Regeneration nicht im ent- ferntesten messen kann, und dann wissen wir gar nicht einmal, ob wirklich in jenen Fällen die fressende Zelle ihre Nahrung einem beschleunigten Saftstrome entnimmt. Denn auch die entzündliche Hyperämie ist ursprünglich aktiv, und erst der Entzündungsreiz ver- wandelt den ursprünglich schnelleren in einen langsameren Blut- strom. Es ist mir durchaus nicht unwahrscheinlich, dass der un- bekannte Wachstumsreiz dieselbe Fähigkeit besitzt.

Die funktionelle Hypertrophie zeigt nun eine sehr grosse Ana- logie mit der entzündlichen. Hier wie dort geht der Vermehrung und Vergrösserung der Gewebszellen eine Schädigung voraus, welche erst ihrerseits die Hypertrophie veranlasst. Und so hat denn schon Weigert^), der Entdecker der entzündlichen Gewebshyper- trophie, die Ansicht ausgesprochen, dass auch die Übungshyper- trophie eine indirekte Folge der Funktion sei, insofern als die letztere erst die Zellschädigung und diese die Hypertrophie ver- anlasse.

Der Umstand, dass die Arbeit der Gewebe zur aktiven Hyper- ämie führt, spricht nun durchaus nicht dafür, dass die letztere auch für die folgende Gewebsneubildung nötig ist. Im Gegenteil wird wahrscheinlich auch diese ihre Nahrungsstoffe einem verlangsamten Blutstrome entnehmen. Denn wir wissen jetzt, dass auch der Zer- fall des eigenen Körpergewebes entzündliche Erscheinungen hervor- ruft. Man denke nur an die subkutanen Blutergüsse, welche Hyperämie und starkes Ödem erzeugen, an das Fieber und die Albuminurie, welche man bei der Aufsaugung derselben, ebenso wie nach starken Anstrengungen, die zu einem hochgradigen Zerfall von Körpergewebe führten, beobachtet hat. Die Hypertrophie aber entsteht nicht während der Arbeit, sondern in den Ruhepausen nach derselben, und das starke Ermüdungsgefühl lässt uns sogar nach grösseren Anstrengungen weitere Arbeit vermeiden. Es ist mir deshalb sehr wahrscheinhch, dass bei der grossen Ver- wandtschaft beider Vorgänge die funktionelle Hypertrophie

1) Weigert, Neue Fragestellungen in der pathologischen Anatomie. Ge- sellschaft deutscher Naturforscher vmd Ärzte. Verhandlungen 1896. Allge- meiner Teil.

230 Allgemeine Wirkiingen der Hyperämie.

ebenso wie die entzündliche mit einer passiven Hyperämie ver- bunden ist.

Ich verstehe nicht, wie man trotz alledem, besonders in der prak- tischen Medizin, von wenig Ausnahmen abgesehen, allgemein auf den Gedanken kommen konnte, dass ein lebhafter Fluss von arteriellem Blute für die Ernährung notwendig und nützhch sei. Ich glaube, dass man hier gedankenlos, weil man sah, dass die Funktion der Gewebe einen beschleunigten arteriellen Blutstrom erzeugt, Arbeit und Aufbau verwechselt hat. Es ist mir nicht bekannt, ob schon einmal jemand folgende einfache und naheliegende logische Be- trachtung angestellt hat, die ich vorbringe, obwohl ich weiss, dass es misslich ist, solche Dinge einfach theoretisch zu behandeln. Aber die Annahme, die ich widerlegen will, ist eine durch nichts gestützte, als selbstverständlich angenommene Theorie. Und da dürfte es wohl erlaubt sein, einmal nachzuweisen, auf wie schwachen Füssen diese Theorie steht.

Zur Arbeit gehört Sauerstoff, der durch Oxydation organischen Materiales chemische Spannkraft in Wärme und andere Energie- formen umsetzt. Da hierbei hochmolekulare sauerstoffarme Ver- bindungen in die letzten Endprodukte der Oxydation überführt werden, so muss der Sauerstoff ungemein reichlich vorhanden sein. Ferner gehört dazu ein sehr lebhafter Blutstrom, weil er immer neuen Sauerstoff zuführen und Kohlensäure und andere Umsatz - produkte abführen muss.

Allerdings muss bei dem Aufbau der Gewebe ein gewisses Mass von Energie verbraucht werden, die wahrscheinlich, da ja die Oxydation für den menschhchen Körper die einzige stärkere Energiequelle darstellt, auch durch diese geliefert wird. Aber die Nahrungsmittel, aus denen sich die Gewebe aufbauen, stellen bereits eine so hohe synthetische Stufe dar, dass die Energiemenge, die zu ihrer vollen Assimilation nötig ist, nur ganz ausserordentlich gering sein kann.

Nun findet ja bei jeder Ernährung, besonders aber bei der gesteigerten Ernährung der bakteriellen Entzündung, neben Auf- bau auch ein erhebhcher Abbau von Körpergewebe statt ; denn es gibt wohl überhaupt keine bakterielle Krankheit mit Entzündung im Gefolge, die nicht zu einer Nekrose, und zwar in den leichtesten Fällen zu einer geringen, nicht einmal mikroskopisch erkennbaren Nekrose im Inneren des ZeUeibes führte. Hat doch die Entzündung

Ernährende Wirkung der Hyperämie. 231

wahrscheinlich nur den Zweck, den angerichteten Schaden wieder auszubessern, und wird ledigKch durch ihn hervorgerufen. Die Zer- setzung dieser nekrotischen Teile, die sie erst zur Resorption und Ausstossung oder zu anderweitiger Verwendung im Körper geeignet macht, findet aber nach all unseren Erfahrungen nicht durch oxy- dative, sondern durch fermentative Spaltung statt. Damit ist nicht gesagt, dass nicht auch diese Fermentwirkung unter Sauerstoff- aufnahme vor sich gehen könne, wie das z. B. bei der Gärung der Fall ist. Aber wiederum handelt es sich bei der Zer- trümmerung und Überführung dieser nekrotischen Massen in lösliche Bestandteile nicht um eine weitgehende Oxydation, sondern nur um eine Zerlegung in hochorganisierte Verbindungen (Eiweisskörper, Fette usw.), wozu nur eine ungefähr ebenso ge- ringe Oxydation nötig ist, wie wir sie oben für den Aufbau schilderten.

Vielleicht kompensieren sich hier auch die bei dem Aufbau und Abbau in Wirksamkeit tretenden Energiemengen in giückhcher Weise; denn die Energie, die beim letzteren frei wird, kann für den ersteren verwandt werden.

Alles in allem aber geht aus diesen Beobachtungen hervor, dass zu den Veränderungen, welche die ernährende Hyperämie zu leisten hat, durchaus keine erheblichen Sauerstoffmengen not- wendig sind; sie dürften selbst in einem venösen Blute noch ge- nügend vorhanden sein.

Ich habe bei dieser ganzen Betrachtung die Frage unberührt gelassen, ob nicht auch der menschliche Körper, ähnlich wie die Pflanze, aus einfachen Verbindungen die komplizierten darstellen kann. Wäre dies der Fall, benützte er z. B. die Kohlensäure des Blutes mit zum Aufbau, so würden sogar erhebliche Sauerstoff- mengen bei dieser Synthese frei werden. Aber, wenn überhaupt, findet dieser Vorgang nur in so geringem Umfange statt, dass wir mit ihm nicht rechnen können. Immerhin kann man sich theo- retisch wohl vorstellen, dass selbst ein ziemlich venöses Blut im- stande ist, vielleicht sogar noch viel besser als hocharterielles, die Ernährung zu besorgen. Beziehen sich doch die meisten Fälle, in denen man Hypertrophie von Körperteilen durch chronische Hyper- ämien sah, wie ich soeben entwickelt habe, auf solche venöser und nicht arterieller Natur.

In Wirklichkeit kommt es aber auf etwas mehr venösen oder arteriellen Charakter des Blutes bei der Ernährung wohl gar nicht

232 Allgemeine Wirkungen der Hyperämie.

an, sondern vielmehr in erster Linie auf die Stromverlangsamung und ihre Folgezustände, welche alle Gewebsteile in viel innigeren Zusammenhang (seröse Durchtränkung, Leukocytenauswanderung usw.) mit den Blutbestandteilen bringt, als der schnellf liessende arterielle Strom.

Ich verweise auch hier wiederum auf den Embryo, der wenig Arbeit leistet, aber einen ungeheueren Gewebsaufbau zeigt. Der Embryo aber muss sich infolge seiner eigentümlichen Kreislauf- verhältnisse mit einem weit Sauerstoff ärmeren und kohlensaure - reicheren Blute begnügen als der geborene Mensch.

Diese Erörterungen halte ich besonders den Ärzten entgegen, die allenfalls eine künstliche aktive Hyperämie gelten lassen, aber, wie das von mehreren meiner engeren Fachgenossen geschehen ist, meine Bestrebungen, durch künstliche passive Hyperämie bei den verschiedensten Krankheiten heilend zu wirken, als die Ausgeburt einer tollen Phantasie ansehen, indessen nichts anderes dagegen einzuwenden wissen, als dass ,, selbstverständlich" die passive Hjrperämie eine schwere Ernährungsstörung darstelle.

In diesem Kapitel ist oft vom ,, Reize" die Rede gewesen, ohne den kein Wachstum und keine Regeneration erfolgt. Welches ist nun dieser rätselhafte Reiz? Ich glaube, wir müssen nach un- seren heutigen Kenntnissen darauf verzichten, den Reiz der Ent- wicklung und des Körperwachstums zu erforschen; denn das ist schliesslich ein grosses Stück vom ewigen Problem des Lebens, an dessen Ergründung sich die grössten Geister aller Zeiten ver- geblich abgemüht haben. Wir wollen uns deshalb bescheiden, eine besondere Art des Wachstums, die Regeneration nach Ver- letzungen, die zur Heilung des Schadens führt, einer Betrachtung zu unterziehen.

Zunächst ist, im Sinne der überall in der lebendigen Natur wirkenden Selbstregulierung, die Gewebsdurchtrennung und die Gewebsschädigung an sich der Reiz für die Regeneration. Aber das ist schliesslich nur eine Umschreibung der Tatsachen. Ausser- dem wissen wir nicht, ob neben der Verletzung nicht noch andere Wachstumsreize wirken, die man vielleicht künstlich ersetzen oder verstärken könnte. Ich habe mich vielfach mit dieser hochinteres- santen biologischen Frage beschäftigt, und viele Betrachtungen und vergebliche Versuche haben mich zu der Überzeugung gebracht, dass es ausser der Verletzung an sich einen einheitlichen Reiz für

Ernährende Wirkung der Hyperämie. 233

alle Gewebe nicht gibt. Ich wandte mich deshalb einem bestimmten Gewebe zu, und zwar dem, wie aus diesem Kapitel hervorgeht, klinisch beststudierten von allen, dem Knochengewebe. Scheint doch die ärztliche Beobachtung bei der Behandlung der Pseudar- throse und der verzögerten Kallusbildung längst erwiesen zu haben, dass man den rätselhaften Wachstumsreiz durch einfache che- mische und physikalische Reize ersetzen könne. Der oft nicht zu verkennende Erfolg der Einspritzung von Alkohol, Milchsäure, Jodtinktur, Terpentinöl, ferner der Anwendung von mechanischen Mitteln Reiben oder Beklopfen der Bruchenden, Einschlagen von Elfenbeinstiften bei mangelhafter Kallusbildung spricht für diese Ansicht.

Bei genauerer Betrachtung aber erkennt man, dass dieser Schluss unsicher ist, denn alle diese Dinge wirken vielleicht erst mittelbar. Sie alle rufen einesteils eine neue Verletzung oder Schädigung der Bruchstelle hervor, und wir sind insofern wieder auf dem Punkte angelangt, von dem wir ausgingen, dass die Ver- letzung und Schädigung selbst den Rei:^ für die Regeneration ab- gibt. Andern teils aber haben alle diese Massnahmen eine Ent- zündung zur Folge, d. h. also eine vermehrte Zufuhr von Nahrungs- stoffen — zu vergleichen der schon beschriebenen künstlichen Hyperämie bei der Behandlung von Knochenbrüchen und eine entzündliche Hypertrophie im Sinne Weigert's.

Zahlreiche Gründe und Erfahrungen haben mich schliesshch veranlasst, als den vornehmsten Reiz für die Knochenneubildung und wahrscheinlich auch als ein vortreffliches Ernährungsmittel für den jugendlichen Kallus den Bluterguss anzusehen, nämlich:

Es ist eine Eigentümlichkeit des subkutanen Knochenbruches, sehr grosse Blutergüsse zu verursachen. Man kann das ja als eine unter allen Umständen schädliche Eigenschaft des Knochen- bruches ansehen und tut dies wirklich. Beweise hat man aller- dings nicht dafür gebracht; es ist eins der vielen Lehrbuch - dogmen, die jeder selbstverständlich findet, die aber nicht selten falsch sind und einer vorurteilslosen Betrachtung häufig nicht standzuhalten pflegen.

Ebensogut kann der Bluterguss nützlich für die Heilung der Knochenbrüche sein, denn sie erfolgt ja immer unter dem Einflüsse ausserordentlich grosser, zwischen und um den Bruch ergossener Blutmengen. Diese stellen also die natürlichen Verhältnisse für die Heilung eines Knochenbruches dar.

234 Allgemeine Wirkimgen der Hyperämie.

Ich machte, wie zahkeiche andere Chirurgen, die Erfahrung, dass frische Knochenbrüche im Bereiche der Diaphysen, welche ich wegen schlechter Stellung genäht hatte, viel längere Zeit zur Heilung brauchten, als subkutane. Man hat zur Erklärung dieser auffallenden Tatsache behauptet, die genaue Aneinanderfügung der Bruchenden verzögere die Kallusbildung. Seitdem wir aber unter Kontrolle der Röntgenbilder jetzt auch die Enden subkutaner Knochenbrüche viel besser zusammenstellen als früher, und wir dabei keineswegs eine Verzögerung der Kallusbildung sehen, ist dieser Grund hinfällig, zumal Bardenheuer der, allen anderen Chirurgen auf diesem Gebiete voran, schon lange eine möglichst genaue Aneinanderfügung der Bruchenden erzielte berichtet, unter seinem ungeheuren Material nicht eine einzige Pseudarthrose beobachtet zu haben.

Der Grund für die verzögerte Kallusbildung in diesen Fällen ist mir jetzt klar: wir räumten die Blutergüsse aus und stillten sorgfältig die Blutung.

Ähnlich verhält es sich bei den komplizierten Knochenbrüchen, die ebenfalls schlecht heilen, selbst, wenn sie von Infektionen verschont bleiben. Der Bluterguss läuft durch die Weichteil- wunde ab.

Eine Reihe von Massnahmen, die man zur Heilung von Pseudar- throsen getroffen hat, machen geringe Blutergüsse zwischen den Bruchenden und um sie herum, so das gewaltsame Reiben in Nar- kose und das Beklopfen. Es fiel mir das besonders auf, als ich in einigen verzweifelten Fällen von Pseudarthrose das ziemlich eingreifende Verfahren von Thomas, die sogenannte Perkussion, mit Glück anwandte.

Nicht selten sehen wir, dass ein Knochen (besonders das Schienbein), wenn er einen Stoss erhielt, der zu einem Bluterguss führte, später starke Knochenverdickung aufweist.

Knochenbrüche, die zu aussergewöhnhch grossen Blutergüssen Veranlassung geben, heilen häufig mit sehr starker Kallusbildung. Umgekehrt sah ich bei mehreren Knochenbrüchen mit geringem Bluterguss die Festigung sehr lange ausbleiben.

Aus Blutergüssen in die Muskeln entstehen die Exerzier- und Reitknochen.

Grosse Blutergüsse bewirken auch bei anderen Bindesubstanzen erhebliche Neubildung und Wucherung. Sie führen dort zu mäch-

Ernährende Wirkung der Hyperämie. 235

tigen Schwielenbildungen, weshalb man mit Recht Gewicht darauf legt, den Bluterguss möglichst bald zu beseitigen, um diese Schwie- len zu vermeiden.

Also überall lehrt die Beobachtung: wo ein grosser Bluterguss vorhanden ist, entsteht erhebliche Knochen- und Bindegewebsneu- bildung.

Auf die Richtigkeit dieser theoretischen Erwägungen habe ich die praktische Probe angestellt. Ich konnte mitteilen i), dass ich eine ganze Reihe von Knochenbrüchen, die sich nicht festigen woUten, durch Einspritzung von Blut desselben Menschen, das ich einer seiner Armvenen entnahm, schnell zur Heilung brachte. Meinen damals mitgeteilten Fällen könnte ich jetzt noch eine Reihe neuer hinzufügen.

Ich glaube dadurch nicht nur das natürlichste, sondern auch das wirksamste Mittel gegen die lästige, verzögerte Kallusbildung in die Praxis eingeführt zu haben.

Das Blut ruft bald nach der Einspritzung eine Entzündung hervor. Die Gegend der Bruchstelle schwillt ödematös an, wird auf Druck schmerzhaft, rötet sich, und besonders ist mit empfind- lichen Messapparaten noch viele Tage lang eine beträchtliche Er- höhung der Hauttemperatur nachzuweisen, was man übrigens auch schon mit der blossen Hand fühlen kann.

Wenn wir so den Bluterguss als den natürlichen Wachstums - reiz für den Kallus betrachten, so sehen wir gleichzeitig, dass er durch Hervorrufen einer Entzündung auch eine gesteigerte Er- nährung bewirkt.

Ich halte es aber für möglich, dass der Bluterguss nicht nur indirekt, sondern auch direkt ernährend wirkt, weil ihn die jungen Zellen des Kallus vielleicht auffressen und ihn mit zum Auf- bau verwenden.

Man sagt, dass die Gewebszellen bei der Regeneration wieder embryonalen Charakter annehmen. Nun hat Bonnet in seinen schon erwähnten Arbeiten nachgewiesen, dass bei den Deciduaten der Embryo einen grossen Teil seiner Nahrung aus den mütter-

1) Bier, Die Bedeutung des Blutergusses für die Heilung des Knochen- bruches. Heilung von Pseudarthrosen und verspäteter Kallusbildung durch Bluteinspritzung. Medizinische Klinik 1905. Nr. 1 u. 2.

236 Allgemeine Wirkungen der Hyperämie.

liehen Blutergüssen der Placenta zieht, und Kolsteri) fand, dass an der sogenannten ,, Uterinmilch" der Indeciduaten, welche man dort als das Nahrungsmaterial für den Embryo ansieht, aus den mütterlichen Gefässen ergossenes Blut in erheblicher Weise be- teiligt ist. Schreibt man nun den Zellen des jungen Kallus embryo- nale Eigenschaften zu, so dürfte auch die Annahme wahrschein- lich sein, dass sie, wie die wahren embryonalen Zellen, die ihnen im Blutergusse gebotene Nahrung auf dem Wege der Osmose und Phagocytose aufnehmen und verarbeiten. Ähnliche Verhältnisse dürften vorliegen, wenn nach der Tenotomie ein neues Binde- gewebsstück an Stelle des die beiden Sehnenstümpfe verbindenden Blutgerinnsels tritt.

Es wäre aber weit gefehlt, wollte man diese Anschauungen auf alle Gewebe ausdehnen. Die Heilung des Knochenbruches nimmt bis zu einem gewissen Grade eine Sonderstellung ein: sie erfolgt durch ein später grösstenteils wieder verschwindendes Ge- webe, den Kallus. Zur prima intentio im strengen Sinne des Wortes eignet sich diese Verletzung ganz und gar nicht, der ver- letzte Knochen bedarf bei seiner starken Inanspruchnahme einer provisorischen schützenden Kallusmasse, die ihn so lange stützt und zur Wiederaufnahme seiner Funktion befähigt, bis seine innere Festigkeit soweit gediehen ist, dass er die vorläufige Verkittung entbehren kann. Dann erfolgt die Aufsaugung des Kallus.

Bei der grossen Mehrzahl der Gewebe soll aber eine Ver- letzung womöghch per primam intentionem heilen, und diese ver- nichten grössere Blutergüsse unter allen Umständen. Sie führen dort ferner, wie ich schon entwickelte, zur Ausbildung eines dem Knochenkallus zu vergleichenden schwieligen Bindegewebes, das hier für ihre Funktion ebenso schädlich ist, wie der Kallus für die des Knochens nützhch. Deshalb bleibt es im allgemeinen richtig, Blutergüsse in die Gewebe nach Möglichkeit zu beseitigen.

Diese Erwägungen waren für mich der Hauptgrund zu der Annahme, dass, abgesehen von der Verletzung selbst, die natür- lichen Reize für die Regeneration bei verschiedenen Geweben nicht gleich zu sein brauchen.

Ich weiss, dass ich das eigentliche Wesen des Wachstums- reizes für den Knochenkallus mit diesem kleinen Beitrag keines-

1) Kolster, Die Embryo trophe plazentarer Säuger. Merkel u. Bonnet's anatomische Hefte. 20. Bd. Heft 59.

Ernährende Wirkung der Hyperämie. 237

wegs ergründet habe. Denn, wenn ich sage: der Bluterguss ist Reiz und indirekt (und vielleicht auch direkt) Nahrungsmaterial für die Bildung des Kallus, so ist das auch wieder nur eine Um- schreibung der Tatsachen, ebenso wie die Behauptung, dass die Gewebsdurchtrennung als solche die Regeneration einleite. Aber schliesslich sind ja fast alle unsere medizinischen und naturwissen- schaftlichen ,, Erklärungen "dieser Art, und auf einem so dunk- len Gebiete, wie dem in Rede stehenden, ist auch jede solche um- schreibende Erklärung, wenn sie uns nur dem Verständnisse der Dinge näher bringt, ein erheblicher Fortschritt.

Anhang.

Die Beeinflussung des Gesamtblutes zu Heilzwecken.

Bisher haben wir nur die Frage behandelt, wie wir das uns vom Kranken zur Verfügung gestellte Blut zu Heilzwecken be- nutzen können, ohne uns um die Qualität desselben zu kümmern. Natürhch sind die Gewebe und besonders das Blut des Kranken häufig schlecht und krank ; denn wären sie vollkommen gesund, so hätten ihn Krankheiten, wie Tuberkulose, chronischer Rheumatis- mus, auch zahheiche akute Infektionen, wahrscheinhch überhaupt nicht befallen. Es wäre deshalb von ungeheuerer Wichtigkeit, wenn wir Mittel in der Hand hätten, das Gesamtblut so zu ver- bessern, dass jene Leiden unmöglich würden oder, wenn sie ein- mal ausgebrochen sind, zur iVusheilung kämen.

Offenbar muss mit jeder Verbesserung des Körpers eine solche des Blutes Hand in Hand gehen. Denn jede Zelle erhält vom Blute ihre Nahrung, und ohne gesundes Blut wird nie ein gesunder Körper vorhanden sein, wenn wir auch nicht sagen können, dass die Verbesserung des Blutes der des Körpers immer vorangehen muss. Denn im menschlichen Leibe hängt immer das eine vom andern ab, und ohne die nötige Erregung der blutbildenden Or- gane gibt es schliesslich auch keine Blutverbesserung.

Immerhin ist die Richtigkeit der alten Anschauung von dem entscheidenden Einfluss der Blutbeschaffenheit auf den Verlauf von Krankheiten, insbesondere von Infektions- und Stoffwechselkrank- heiten, durch die moderne Forschung glänzend bestätigt worden.

Rein theoretisch gedacht, ist ja eine Behandlung, die den ganzen Körper und in erster Linie das Blut so in seiner Wider- stands- und Angriffskraft stärkt, dass es befähigt ist, die feind- liche Krankheit zu überwinden, bei all den Leiden, die gewöhnlich nicht rein lokal verlaufen, wie die Tuberkulose, oder die offenbar inneren Ursachen ihre Entstehung verdanken, wie die Gicht und der chronische Gelenkrheumatismus, das Ideal eines Heilverfahrens.

Es kommt hinzu, dass eine solche Blutverbesserung uns in den Stand setzen würde, mit viel mehr Aussicht auf Erfolg unsere

Die Beeinflussung des Gesamtblutes zu Heilzwecken. 239

lokalen hyperämisierenden Methoden anzuwenden. Nur insofern gehört ja dieses Kapitel in dieses Buch.

Der Gedanke, das Blut zu verbessern, ist nun so alt, wie die Medizin überhaupt. Er ist eigentlich erst in der letzten Zeit mehr in den Hintergrund getreten, als Virchow's Lehre von der Lokalisation der Krankheit den Arzt zu rein lokaler Behandlung drängte, und als hu moralpathologische Anschauungen ebenfalls in erster Linie unter dem Einflüsse Virchow's mehr und mehr in Misskredit kamen.

Neuerdings aber fängt die Virchow'sche Cellularpathologie an, ihre Alleinherrschaft allmählich zu verlieren, und man müsste blind sein, wenn man nicht sähe, dass viele von uns sich wieder in humoralpathologischen Anschauungen bewegen, wenn auch in ganz anderem Sinne, als in jenen alten Tagen, wo die Humoral - pathologie ebenso unbeschränkt herrschte, wie in der uns zunächst liegenden Zeit die Cellularpathologie. Dieser Umschwung tut der Lehre und dem Ruhme des wahrhaft grossen Virchow kei- nerlei Abbruch. Die Cellularpathologie in dem Dogmatismus und in der Einseitigkeit, wie sie vielfach gelehrt wurde, war für ihre Zeit eine notwendige und nützliche Theorie, die sich für die Me- dizin so fruchtbar erwiesen und so viel Aberglauben und falsche Anschauungen beseitigt hat, wie nur wenige andere Lehren zuvor. Ihre Grundpfeiler stehen auch heute noch unerschüttert. Das darf uns aber nicht verleiten, in starrer Orthodoxie auf die Cellular- pathologie als die allein wahre Lehre zu schwören und die richtigen Gedanken ihrer älteren Schwestertheorie denn Theorien sind sie schhesslich beide zu verkennen.

Ich bin sehr häufig auf Grund meiner von vielen für humoralpatho- logisch gehaltenen Arbeiten gefragt worden, ob ich mich als Humoral- oder Cellularpathologe bekenne. Darauf antworte ich: Nach meinem naturwissenschaftlichen Standpunkte unbedingt als Cellularpathologe und Cellularphysiologe. Denn nach unseren heutigen Kenntnissen ist iind bleibt die Zelle das einzig Lebendige im menschlichen Körper, an die sich somit alle Lebensäusserungen knüpfen, und die auch die Zusammensetzung der Säfte im Körper bestimmt und reguliert. Dabei braucht man die Bedeutung der Säfte keineswegs zu unterschätzen. Das ist Virchow auch nie in den Sinn gekommen; hält er es doch selbst für möglich, dass sogar bei der Entstehung der zelligen Geschwülste die Säfte eine Rolle spielen! (Vergleiche Virchow, Die krankhaften Geschwülste. Berlin 186.3. I. Bd. S. 59, 87 u. 88.)

Aber es ist die Frage, ob man einen solchen rein wissenschaftlichen Standpunkt ohne weiteres dogmatisch auf seine praktische Tätigkeit an- wenden darf. Ich meinerseits halte es für eine arge Spitzfindigkeit, wenn

240 Anliang.

man behaupten wollte, die Beeinflussung der Zusammensetzung der Körper- säfte z. B. durch v. Behring'sches Heilserum oder durch Diätkuren sei rein cellularpathologisch aufzufassen. Oder gar die von mir in diesem Buche beschriebenen Heilverfaliren seien reine Cellularpathologie oder Cellularphysiologie, weil das Blut ein Gewebe sei. WissenschaftUch mag sich das verteidigen lassen, der natürHche praktische Menschenverstand aber sagt sieh, dass das Blut trotz seiner vielen Zellen zu den Säften gehört, und dass wir bei seiner Benutziing zu Heilzwecken weder rein hiunoral- noch rein cellularpathologisch, sondern, wenn nvm einmal ein Wort nötig sein soll, hämoiDathologisch handeln.

Zweifellos hat die Übertragimg der naturwissenschaftlich auch heute noch iinerschüttert dastehenden Vir chow 'sehen Cellularpathologie auf unser praktisches ärztliches Handeln einen grossen Fortscliritt bedeutet . Aber diese Richtung ist gänzlich ausgebaut, hat zu einem Stülstand ge- führt und sich meines Erachtens deshalb in letzter Zeit für die prak- tische Medizin als ziemlich unfruchtbar erwiesen. Also, weshalb sollen wir da nicht einmal eine Zeitlang wieder humoralpathologisch denken, so lange uns diese Geistesrichtung vorwärts bringt? Und wenn dann später vielleicht jemand als iSTeuropathologe uns neue Ausblicke eröffnen und neue Fortscliritte anbahnen sollte, meinetwegen nicht auch einmal neuro- pathologisch ? Vir chow selbst (Cellularpathologie) sagt von der Humoral- pathologie: ,,In der Entwicklung, welche die Medizin bis in die letzte Zeit genommen hat, finden wir den Streit zwischen den humoralen und sohdaren Schulen der alten Zeit immer noch erhalten: Die humoralen Schulen haben im allgemeinen das meiste Glück gehabt, weil sie die be- quemste Erklärung und in der Tat die plausibelste Deutung der Ivranlv- heitsvorgänge gebracht haben. ]Man kann sagen, dass fast alle glücklichen Praktiker und bedeutenden Kliniker melir oder weniger humoralpatho- logische Tendenzen gehabt haben." Vir chow sagt dann weiter: ,, Meiner Auffassung nach ist der Standpunkt beider Lehren ein unvollständiger; ich sage nicht ein falscher, weil er eben nur falsch ist in seiner Ex- klusion; er muss zm-ückgeführt werden auf gewisse Grenzen, und man muss sich erinnern, dass neben Gefässen und Blut, neben Nerven und Zentralapparaten noch andere Dinge existieren, die nicht ein blosses Sub- strat der Einwirkimgen von Nerven und Blut sind, auf welchem diese ihr Wesen treiben."

In neuerer Zeit schenkt man denn auch unter den Ärzten der Allgemembehandlung wieder mehr Aufmerksamkeit. Von sehr vielen ist sie niemals vernachlässigt; ich nenne hier in erster Linie die Namen Brehmer, Dettweiler, Winternitz, Örtel. Mehr noch haben die Vertreter der sogen. Naturheilkunde (Sohwen- ninger, Lahmann) stets scharf und vieKach in übertriebener Weise den Standpunkt vertreten, dass in der Behandlung der Krankheiten, auch einem grossen Teile der sogenannten ,, lokalen", die Beeinflussung des Gesamtkörpers in erster Linie stehen solle.

Vollends in der Volksmedizin hat man nie aufgehört, an die

Die Beeinflussung des Gesamtblutes zu Heilzwecken. 241

allheilende Wirkung der allgemeinen Blutverbesserung zu glauben. Daher stehen im Volke noch heute sogenannte ,, blutreinigende" und „blutverbessernde" Mittel im höchsten Ansehen.

Es gibt jetzt wohl keinen Arzt, der nicht die allgemeinen hygienischen Verhältnisse, Licht, gute Luft, Ernährung für die Er- haltung und Wiedergewinnung der Gesundheit mit in erste Reihe stellte. Das wichtigste von diesen drei Dingen ist die Ernährung, qualitativ und quantitativ. Weiss doch jeder Viehzüchter, dass, nächst der richtigen Auswahl der Eltern, die Leistungsfähigkeit und Verbesserung der Tierrassen vor allem eine Ernährungsfrage ist.

Aber mit der sogenannten ,, guten" Ernährung ist es bei den Krankheiten nicht getan. Hier hat die Erfahrung gelehrt, dass für bestimmte Leiden bestimmte Diätformen am Platze sind. Uns interessieren besonders solche, die in erster Linie auf die Zu- sammensetzung des Blutes wirken. Hier kommen die verschie- denen Entziehungskuren in Betracht, vor allem die Schroth'sche Kur, die sich gerade bei solchen Krankheiten, die auch durch lokale hyperämisierende Mittel günstig beeinflusst werden, beim chronischen Rheumatismus und bei der fistulösen Knochentuber- kulose eines grossen Rufes erfreut.

Mein Freund Dr. Dittrich in Schönberg i. H. teilte mir mit, dass er bei diesen Krankheiten von einer Verbindung der Schroth- schen Kur mit hyperämisierenden Mitteln ganz vortreffhche Erfolge erzielt habe, und erklärt diese dadurch, dass er ein durch die ge- nannte Kur verändertes und verbessertes Blut an der kranken Stelle anhäuft. Ich habe nicht Erfahrung genug, um über den V7ert dieser Kur zu urteilen.

Alte zu den ,, blutverbessernden Mitteln" gezählte Verfahren sind das blutige Schröpfen und der Aderlass, die heutzutage in der wissenschaftlichen Medizin, wenigstens als blutverbessernd völlig in den Hintergrund getreten sind. Einen sehr eifrigen Verfechter hat noch heute in dieser Beziehung der Aderlass in dem Kreisarzt Bachmanni)in Harburg, dessen Erfolge mit Entziehungen kleiner Blutmengen mir sehr beachtenswert erscheinen. Ich selbst habe den Aderlass zuweilen mit offenbarem Erfolge gebraucht, habe aber

1) Bachmann, a) Der Dyes'sche Aderlass in Theorie u. Praxis. Deutsche Medizinalz. 1898. Nr. 17 21. b) Weitere Erfahrungen mit dem Dyes'schen Aderlass. Ebd. 1898. Nr. 96—98. c) Eine dritte Serie von Aderlassfällen nach Dyes'scher Methode. Ebd. 1900. Nr. 43. d) Heilgn. v. Unterschenkel-Geschwüren und -Ekzemen durch den Dyes'schen Aderlass. Therap. Monatsh. 1900. April. Bier, Hyperämie als Heilmittel. 16

242 Anhang.

nicht Erfahrung genug, um ein begründetes Urteil zu fällen. Im allgemeinen bin ich der Ansicht, dass in allen Mitteln von allge- meiner Verbreitung, die im Laufe der Jahrhunderte und Jahr- tausende nicht auszurotten sind, ein guter Kern steckt.

Wahrscheinlich wirken auch zahheiche andere allgemeine Mittel, einige Arzneien, besonders aber Badekuren, Luft-, Licht- und Sonnenbäder, Klimawechsel usw. auf das Blut und durch dieses wieder auf lokale Leiden ein. Die Praxis hat ja ihren heilsamen Einfluss unzweifelhaft bewiesen. Man braucht nur einmal zu sehen, wie ein mit tuberkulösen Knochenfisteln behafteter, herunter ge- kommener Tuberkulöser nach einer Seebadekur nicht nur aufblüht, sondern auch sein Lokalleiden verliert, um von der Wirkung über- zeugt zu sein.

Freihch an einer genügenden Erklärung und einer festen wissenschaftlichen Grundlage für diese Dinge fehlt es uns noch gänzHch. Deshalb wollen wir uns zu neueren Versuchen wenden, die mit der bestimmten Absicht unternommen wurden, das Blut oder bestimmte Bestandteile desselben zu verändern und dadurch heilend zu wirken. Ich sehe hier ab von den Methoden, die spezifisch wirkende Mittel dem Blute einverleiben, wie die intra- venöse Einspritzung von Sublimat gegen Syphihs und die subkutane Einverleibung von spezifischem Serum, Tuberkulin usw.

Hier sind zunächst Landerer's^) bekannte Versuche zu er- wähnen, durch intravenöse Einspritzung von Zimtsäure die Tuber- kulose zu heilen. Landerer glaubte, dass das Mittel durch Hervor- rufen einer Leukocytose wirke. Die Leukocyten sammeln sich um die Tuberkelherde und bilden um die infizierte Stehe einen dichten Wall; es entstehen Granulationen und Blutgefässe, die tuberku- lösen Massen werden resorbiert, an ihre Stelle tritt Bindegewebe. Landerer glaubte, dass das Wesen der Zimtsäureeinspritzung in

1) Zahlreiche Abhandlungen, von denen ich folgende erwähne:

Landerer, a) Die Behandlung der Tuberkulose mit Zimtsäure. Leipzig. F. C. W. Vogel 1892; b) Weitere Mitteilimgen über die Behandlung d. Tuber- kulose mit Zimtsäure. Deutsche med. Wochensclir. 1893. Nr. 9 u. 10; c) Der gegenwärtige Stand der Hetol-(Zimtsäure-)Behandl. der Tuberkulose. Berliner Klinik 1901. Heft 153.

Richter, Histologische Untersuchungen über die Einwirkung der Zimt- säure auf tuberkulöse Kaninchen. Virchow's Archiv. 1893. 133. Bd.

Landerer, Neuere Erfahrungen über Hetol und Hetokresol. Biebrich. Kalle u. Co. 1892.

Die Beeinflussung des Gesamtblutes zu Heilzwecken. 243

einer Leukocytose und Hervorrufung einer akuten Entzündung um die tuberkulösen Massen bestehe.

Die Idee Landerer' s hat zahlreiche Nachfolger gefunden, von denen ich nur einige nenne. Löwy und Richter^) spritzten leuko- taktische Mittel, Pilokarpin und albumoseähnliche Körper, be- sonders Spermin, intravenös Versuchstieren ein und sahen deren günstigen Einfluss auf den Ablauf künstlicher Infektion.

Hahn 2) stellte fest, dass Blut von Versuchstieren und Men- schen, bei denen durch Einspritzen leukotaktischer Mittel eine Hyperleukocytose erzielt war, stärker bakterientötende Eigenschaf- ten hatte als das normale Blut.

Da es nach diesen Untersuchungen schien, dass die Hyper- leukocytose nicht nur, wie Landerer bezweckte, auf die Tuber- kulose, sondern auch auf alle möglichen anderen bakteriellen In- fektionen heilend einwirkte, so verwandte sie von Mikulicz^) praktisch, um den Menschen gegen septische Infektionen nach gefähr- lichen Operationen, besonders nach Laparotomien, zu schützen. Als leukotaktisches Mittel, das einige Zeit vor der Operation eingespritzt wurde, verwandte er Nucleinsäure. Er glaubt Günstiges von diesem Mittel gesehen zu haben, insofern schwere, die Gefahr der Infektion in sich schliessende Bauchoperationen auffallend günstig verliefen.

Man hat auf die leukocytenvermehrenden Mittel nach diesen angeblichen Erfolgen am Menschen und im Tierexperiment die grössten Hoffnungen gesetzt. Allerdings fehlt es auch nicht an entgegengesetzten Stimmen. Goldscheider und Jacob*), die ähnliche Versuche wie Löwy und Richter angestellt haben, kom- men zu dem Schlüsse, ,,dass die künstUche Erzeugung von Hj^er- leukocytose für die menschhche Therapie kaum etwas Erspriess- liches leisten wird". Auch halten sie die künstliche Veränderung der Leukocytenverhältnisse nicht für ganz unbedenkHch. Jedenfalls handelt es sich hier noch um reine Versuche, die bisher noch nichts Sicheres für die Heilung menschlicher Krankheiten geleistet haben.

1) Löwy u. Richter, Über den Einfluss von Fieber xind Leukocytose a. d. Verlauf v. Infektionskrankheit. Deutsche med. Wochenschr. 1895. Nr. 15.

2) Hahn, Über die Steigerting der natürlichen Widerstandskraft durch Erzeugung von Hyperleukocytose. Archiv für Hygiene. Bd. 28. S. 312. 1897.

3) von Mikulicz, Versuche über Resistenzvermelirung des Peritoneiims gegen Infektion bei Magen- u. Darmoperation. Verhandlungen der D. Ges. für Chirurgie. 33. Kongress 1904. II. Bd. S. 26.

4) Goldscheider und Jacob, Beitrag zur Lehre von der Phagocytose. Fortschritte der Medizin. XIII. Jahrgang. 1895. Nachtrag S. 357.

16*

244 Anhang.

Es ist sehr interessant, dass auch auf diesem Gebiete wieder die Praxis der Theorie, wie es scheint, vorausgeeilt ist, insofern als uralte Mittel, die sogenannten Revulsiva, offenbar in ganz gleicher Weise gewirkt haben. Zweifellos machten das Haarseil, die Fontanelle, das Glüheisen und andere ähnliche Dinge, nicht nur an der Stelle ihrer Anwendung Entzündung und Eiterung, sondern auch im ganzen Kreislauf Hyperleukocytose, genau so, vielleicht sogar noch viel energischer als die oben erwähnten modernen Mittel. Auf diese Weise können wir uns immerhin eine Vor- stellung von der unerklärlichen Fernwirkung dieser Mittel machen, das Revulsivum wurde im Gegensatz zum Derivans fern vom Krankheitsherde angelegt die Veranlassung wurde, sie als un- wirksam zu verwerfen. Freilich, dass diese Mittel nur durch Hyper- leukocytose und nicht auch durch andere Dinge wirken, ist keines- wegs bewiesen. Man ist heutzutage nur allzusehr geneigt, einseitige mikroskopische und bakteriologische Forschungsresultate, die häufig alle Merkmale der Stubengelehrsamkeit tragen, zu verherrlichen und zu verallgemeinern, wie uns das schon öfters in dieser Ab- handlung aufgestossen ist.

Unsere heutige Forschung hat ein kurzes Gedächtnis. Sie erwähnt, soweit meine Literaturkenntnis reicht, diese Methoden nicht, wenn von Erzeugung der allgemeinen Hyperleukocytose die Rede ist. Ich veranlasste Plaskuda^) und Göbel^), eine Ehren- rettung dieser alten Heilmittel vorzunehmen.

Sollte sich die Auffassung von der heilsamen Wirkung der Hyperleukocytose bestätigen, so sieht man auch hier wieder: Der Arzt sollte die Mittel ehren, die die Jahrtausende über- dauerten.

Von neuen Gesichtspunkten glaubt Heile 3) die Wirkung der Leukocytose verstärken zu können dadurch, dass er Versuchs- tiere mit Röntgenlicht bestrahlte. Die Leukocyten zerfallen dar- nach, wie aus den schon erwähnten Versuchen Heineke's hervor- geht, und die an sie gebundenen Enzyme werden dabei nach Heile's Ansicht frei und führen zur Abtötung von Bakterien.

Nun sehen wir, dass bei den ausgebrochenen akuten Infektions-

1) Plaskuda, Einige alte Behandlungsmethoden in moderner Beleuchtung. Inauguraldissertation. Greifswald 1903.

2) Göbel, Über die hyperleukocy toseerregende Wirkung hautreizender Mittel. Med. Klinik. 1906. Nr. 1.

3) 1. c.

Die Beeinflussung des Gesamtblutes zu Heilzwecken. 245

krankheiten sich der Körper der eingedrungenen Schädlinge durch eine gewaltige Kraftleistung entledigt, deren einzelne Erscheinungen wir unter dem Sammelnamen Fieber zusammenfassen.

Seitdem man sich wieder auf die alte Anschauung besonnen hatte, im Fieber einen nützHchen Reaktions Vorgang des Körpers gegen eingedrungene Schädlichkeiten zu sehen, hat man folge- richtig sich bemüht, ein künstliches sogenanntes ,, Heilfieber" gegen Krankheiten zu benutzen. Die ersten Versuche litten an dem Fehler, dass sie eine Teilerscheinung des Fiebers, die Temperaturerhöhung nachahmten. An Versuchstieren erzeugte Büchner^) wirkliches Fieber durch Einspritzen einer sterilisierten Emulsion von Fried- 1 an der' sehen Kapselbazillen und heilte sie dadurch von einer sonst sicher tödlichen Milzbrandinfektion. Ich 2) glaube der erste gewesen zu sein, der am kranken Menschen das Fieber mit allen seinen Teilerscheinungen bewusst verwandt hat. Ich erzeugte das Fieber durch intravenöse Einspritzung von fremdartigem Blut (Hammel- blut). Ich benutzte dabei die Erfahrungen der alten Tierbluttrans- fusion, die in der irrigen Absicht unternommen wurde, das Blut des Menschen durch das einer fremden Art zu ersetzen, während wir doch jetzt durch Landois und Bordet wissen, dass das Blut des Spenders sofort vom Empfänger zersetzt wird. Ich vermied dabei die Fehler der alten Transfusion, dosierte das Blut genau und trug bei wiederholten Einspritzungen den neugewonnenen hämo- lytischen Eigenschaften des Empfängers für das fremde Blut Rech- nung. Man erzeugt künstlich mit der Tierbluttransfusion eine regel- rechte akut fieberhafte Infektionskrankheit, die alle Einzelerschei- nungen des natürlichen Fiebers zeigt, nämlich: 1. Schüttelfrost und Temperaturerhöhung, 2. vermehrten Eiweisszerfall und ge- steigerten Stoffwechsel, hervorgebracht durch eine Zersetzung des Blutes, die ihrerseits wahrscheinlich wieder vernichtend auf Bak- terien wirkt, 3. nach Überstehen der Temperatursteigerung ver- mehrten Appetit und gesteigerte Nahrungsaufnahme. Auch sonst trägt der ganze Vorgang vollständig den Charakter der akuten Infektionskrankheit. Es bilden sich Agglutinine und Hämolysine für die fremden Blutkörperchen und das fremde Blut, es entstehen

1) Buchner, Über Hemmung der Milzbrandinfektion und über das asep- tische Fieber. Berliner klin. Wochenschr. 1890. Nr. 10.

2) Bier, Die Transfusion von Blut, insbesondere von fremdartigem Blut, und ihre Verwendbarkeit zu Heilzwecken von neuen Gesichtspvmkten aus be- trachtet. Münchner med. Wochenschr. 1901. Nr. 15.

246 Anhang.

akuter Milztumor und bei reichlicher Verwendung von fremdem Blut Albuminurie und Hämoglobinurie, vor allem mächtige Hyper- ämie in den erkrankten (auch chronisch erkrankten) Körperteilen. Gerade diese letzte Erscheinung ahmt auch die akute Infektions- krankheit nach ; denn bei der Pneumonie ist wenigstens vor der Hepatisation die Lunge, bei der Peritonitis das Bauchfell, bei Scharlach und Pocken die Haut stark hyperämisch.

Nicht einmal die lästigen Begleiterscheinungen mancher akuter Infektionskrankheiten fehlen. Es stellen sich häufig Erbrechen, Schmerzen im Kreuz und Rücken, Hautausschläge, Herpes, Durch- fälle ein.

Lokal in die Gewebe eingespritzt macht das fremdartige Blut die heftigsten Entzündungen, welche ich kenne. Die Entzündung pflegte mit jeder folgenden Einspritzung stärker zu werden. Da diese künstlichen Entzündungen durch fremdartiges Blut gleich- zeitig die unschädlichsten sind, so habe ich häufig und mit gutem Erfolge davon Gebrauch gemacht, um Krankheiten günstig zu beeinflussen. Darüber werde ich nächstens ausführlich berichten.

Ich habe der Bluttransfusion ausser zwei Fällen nur Todes- kandidaten und einige Fälle von schlimmstem, unheilbarem Lupus unterworfen. Ich habe bei schwerster Lungenphthise die auffallend- sten Besserungen gesehen. In einem FaUe war der die Kranken kontrollierende innere Kollege im höchsten Grade überrascht über die unglaubHche Rückbildung der objektiv nachweisbaren schweren Veränderungen der Lunge und über die Hebung des Allgemein- befindens. Die Lupusstellen bedeckten sich mit Krusten, und die Geschwüre überhäuteten sich darunter, so dass man sie für geheilt halten konnte. Leider ist eine dauernde Heilung des Lupus in keinem Falle gelungen. Nach Aussetzen der Behandlung trat schnell ein Rezidiv ein. Allerdings waren es trostlos schwere Fälle.

Dehioi) hat später, von ganz gleichen Gesichtspunkten wie ich ausgehend, ähnliche Versuche mit anderen Mitteln angestellt. Er wählte als fiebererregendes Mittel anfangs Bakterienproteine, später nach dem Vorgange von Matthes und Krehl Albumosen. Er spritzte diese Stoffe subkutan ein. Er beobachtete ebenfalls die günstige Wirkung der künsthchen fieberhaften Infektionskrank- heit, die nach der Beschreibung der durch fremdes Blut erzeugten

1) Dehio, Über Heilwirkungen des künstlich hervorgerufenen Fiebers bei verschiedenen Krankheiten. Therapeutische Versuche. Verhandlungen des Kongresses für innere Medizin. 21. Kongress 1904. S. 478.

Die Beeinflussung des Gesamtblutes zu Heilzwecken. 247

sehr ähnlich ist, auf Lupus. Er heilte von 14 Kranken 7, schabte allerdings die Geschwüre ausserdem mit dem scharfen Löffel aus. Die Versuche sind also nicht rein. Dehio berichtet über 3 Fälle, die seit einem halben bis einem Jahre gesund waren. Ich fürchte nach dieser kurzen Beobachtung, dass auch bei ihnen das Rezidiv nicht ausgeblieben ist, genau wie es in meinen Fällen eintrat, als ich sie schon für geheilt hielt.

Auch bei anderen Infektionskrankheiten konnte Dehio einen günstigen Einfluss der Einspritzungen nachweisen.

Ich bin mir wohl bewusst, dass dieses Kapitel das lücken- hafteste und unvollkommenste in diesem ganzen Buche ist. Das ist sehr verständlich, wenn man bedenkt, dass einerseits ich als Chirurg nicht die nötige Erfahrung über diese Dinge habe, und andererseits auf diesem Gebiete unsere Kenntnisse äusserst gering sind und fast noch alles zu tun ist. Die Praxis hat zwar die Wirksamkeit der allgemeinen, das Blut verbessernden Mittel un- zweideutig gezeigt. Die theoretische Forschung, der Tierversuch und geringe Erfahrungen am Menscheji lassen uns hoffen, dass wir auch mit Massnahmen, die das Blut für einen bestimmten Zweck verändern, noch gute Erfolge erzielen werden. Aber wenn ich im Anfange dieses Kapitels sagte, dass die Allgemeinbehandlung für gewisse Krankheiten, die wir jetzt vorwiegend lokal in Angriff nehmen, theoretisch das Ideal sei, so müssen wir bekennen, dass dieses Ideal praktisch noch keineswegs erreicht ist. Als Beispiel dafür wähle ich chirurgische Tuberkulose. Denn die glänzenden Erfolge, die wir bei dieser Krankheit mit lokalen Mitteln, wie ich in einem späteren Abschnitte noch auseinandersetzen werde, auch unter ungünstigen äusseren Verhältnissen erzielen, erreichen wir mit der Allgemeinbehandlung, und wäre sie noch so geschickt und sachkundig geführt, niemals auch nur annähernd. Und doch ist die Tuberkulose die Krankheit, für die man gerade in neuerer Zeit nach dem Vorgange Brehmer's die Allgemeinbehandlung in den Vordergrund gestellt hat.

Praktisch soll man beide Verfahren, allgemeine und lokale Behandlung nach Möglichkeit miteinander verbinden.

Spezieller Teil.

Behandlung verschiedener Krankheiten mit Hyperämie.

Vorbemerkungen.

Ich beabsichtige im folgenden, wo über die Behandlung ver- schiedener Krankheiten mit künsthch erzeugter Hyperämie die Rede sein soll, nicht alle behandelten Fälle aufzuführen und zu beleuchten; denn sie sind so zahlreich, dass sie allein einen dicken Band ausfüllen würden.

Es kommt mir vielmehr darauf an, für die Krankheiten, welche in erster Linie mit Erfolg durch Hyperämie behandelt werden, die Technik zu schildern, und ich werde Krankheitsfälle im wesent- lichen nur da anführen, wo die Wirkung der Hyperämie noch nicht allgemein anerkannt ist.

Ich halte es auch für überflüssig, über eine Reihe von Krank- heiten zu berichten, welche wir versuchsweise mit Hyperämie be- handelt haben, wo aber unsere Erfahrung noch so spärlich oder mangelhaft ist, dass sich sichere Schlüsse daraus nicht ziehen lassen. Ich bemerke aber, dass sich das Anwendungsgebiet der Hyperämie, dieses grossen allgemeinen Heilsmittels, von Jahr zu Jahr erweitert hat und sich wahrscheinlich noch mehr erweitern wird.

Vorausschicken muss ich einige allgemeine Bemerkungen. Jedes Mittel, sei es nun chemisch oder physikaHsch, wirkt durchaus ver- schieden, je nach der Höhe der Dosis, in welcher es angewandt wird. Ein Arzneimittel, welches in einer kleinen Gabe sehr nütz- lich ist, kann in einer hohen schädlich, in einer sehr hohen töd- hch sein. H. Schulz i) hat zuerst darauf hingewiesen, dass hier

1) H. Schulz, Pharmakotherapie, im Lehrbuch der allgemeinen Therapie von Enlenburg und Samuel.

Behandlung verschiedener Krankheiten mit Hyperämie. 24:9

eine ganz bestimmte Gesetzmässigkeit besteht. Er ging aus von dem von Arndt für normale Verhältnisse aufgestellten biologischen Grundgesetze, welches auf einer Verallgemeinerung des Pflüger' - sehen Zuckungsgesetzes beruht und lautet: „Kleine Reize fachen die Lebenstätigkeit an, mittelstarke fördern sie, starke hemmen sie, stärkste heben sie auf." Schulz betont, dass dieses Gesetz aueh bei der Wirkung von Arzneien und Giften seine volle Gültig- keit besitzt und dieselbe behält, wenn man es auf pathologische Zustände anwendet. Im letzteren Falle muss man allerdings im Auge behalten, dass für kranke Organe Reize schon stark sein können, welche für gesunde kaum als solche aufzufassen sind.

Diese Verschiedenheit der Wirkung auf den Körper gilt offen- bar auch für die physikalischen Mittel, ja für diese vielleicht in noch viel höherem Grade als für die nicht gerade sehr stark wirkenden unter den Arzneien. Man denke nur an die Anwendung des kalten Wassers, wo der Erfolg ganz davon abhängt, wie stark und wie lange man das Mittel anwendet, und wo der geringste Fehler die heilsame Wirkung in eine krankmachende verwandeln kann.

Wenn wir unsere beiden in dieser Arbeit in erster Linie be- handelten Verfahren, die aktive Hyperämie durch heisse Luft und die passive durch Bindenstauung oder Saugapparate betrachten, so kommen wir zu genau demselben Ergebnis. Ich habe erwähnt, dass die erstere, 1 höchstens 2 Stunden täglich angewandt, eines der \^ichtigsten resorbierenden Mittel ist, und diese Wirkung unter anderem besonders in der Aufsaugung von Ödemen zeigt. LTmgekehrt aber habe ich schon in meiner ersten grösseren Ar- beit im Jahre 1893 mitgeteilt, dass heisse Luft von 100°, 7 10 Stunden täglich auf einen Körperteil angewandt, starke Ödeme hervorruft.

Die Stauungshyperämie ist in mittlerer Stärke eins der besten schmerzstillenden Mittel bei selir verschiedenartigen Leiden, über- treibt man sie dagegen, so ruft sie im Gegenteil heftige Schmerzen und die unangenehmsten Empfindungen hervor.

Dasselbe Verfahren wirkt wieder in mittlerer Stärke günstig auf eine ganze Reihe von akuten und chronischen örtlichen In- fektionskrankheiten, wendet man es aber zu stark an, so schadet es bei genau denselben Leiden oder ruft sie sogar hervor.

Dies müssen wir, wenn wir unsere Mittel gegen Krankheiten anwenden, stets im Auge behalten und müssen durch die Erfahrung festzustellen suchen, in welchem Grade und in wie langer Dauer

250 Spezieller Teil.

sie bei jeder einzelnen Krankheitsform angewandt werden sollen und dürfen.

Auch müssen wir bedenken, dass ebenso wie Arzneimittel auch die hier in Rede stehenden Verfahren bei verschiedenen Menschen verschieden starke Reaktionen hervorrufen, und dass das, was für den einen ein schwacher, für den anderen schon ein star- ker Reiz ist.

Behandlung lokaler Infektionskrankheiten mit Hyperämie.

Für die Behandlung von Infektionskrankheiten kommt, wie ich schon mehrfach erwähnte, in erster Linie die Stauungshyper- ämie in Betracht. Denn sie ist mit ihren Folgen die treueste Nachahmung des natürlichen Entzündungsvorganges. Sie vermehrt die schon vorhandene Stromverlangsamung und Stromverbreiterung führt zur serösen Durchtränkung der geschädigten Gewebe, zur Leukocytenauswanderung usw.

Dagegen muss man bei theoretischer Betrachtung befürchten, dass die aktive Hyperämie, die das Gegenteil von der entzündlichen darstellt, den natürlichen Heilungsprozess störe und die Krankheit verschlimmere. Ganz im Gegensatz dazu aber erfahren wir, dass von den ältesten Zeiten bis auf unsere Tage die Wärme gerade gegen lokale Infektionen angewandt, und, wenn sie auch in der wissenschaftlichen Medizin hin und wieder vernachlässigt oder gar auf's Heftigste be- kämpft wurde, immer wieder zu Ehren gekommen und insbesondere in der ärzthchen Praxis und in der Volksmedizin niemals verlassen worden ist. Diese wohltätige Wirkung der Wärme, die ja an ge- sunden Körperteilen zweifellos ein aktiv hyperämisierendes Mittel darstellt, verstehenwir aber ohne weiteres, wenn wir bedenken, dass entzündete Körperteile die Fähigkeit haben, den Blutstrom auf bisher noch unaufgeklärte Weise zu verlangsamen. Jedes Mittel also, das überhaupt zu einer Gefässerweiterung führt, kommt schHesslich dem Entzündungsvorgang zu Hilfe. Nur darf das be- treffende Mittel nicht allzu stark aktiv hyperämisieren, wie es die heisse Luft tut, die in neuester Zeit, wo sie sehr in Mode ge- kommen ist, auch gegen akute Entzündungen von verschiedenen Seiten empfohlen ist. Nun glaube ich, der erste gewesen zu sein.

Behandlung der Tuberkulose. 251

der sie gegen entzündliche Krankheiten verwandt hat, bin aber wenigstens bei den wirklich akuten Entzündungen gänzhch davon zurückgekommen. Will man bei diesen Wärme anwenden, so wähle man Heber den Priessnitz'schen Umschlag, Warmwasser- beutel, Thermophore, Kataplasmen, weil sie eine viel weniger starke aktive Hyperämie hervorrufen, wie im allgemeinen Teile bereits auseinandergesetzt wurde.

In der Tat hat mich denn auch eine vielseitige Erfahrung ge- lehrt, dass gegen alle bakteriellen Infektionen und besonders gegen die akuten die Stauungshyperämie unendlich viel besser und energischer wirkt. Man kann deshalb im allgemeinen die Regel aufstellen: Gegen bakterielle Krankheiten soll man im all- gemeinen passive, gegen die nicht bakteriellen im allge- meinen aktive Hyperämie anwenden.

NatürKch ist diese Grenze nicht scharf zu ziehen. Man wird auch bei einigen bakteriellen Krankheiten mit mehr Nutzen aktive und besonders, wie ich noch auseinandersetzen werde, bei zahl- reichen nicht bakteriellen passive Hyperämie gebrauchen. Es kommt hinzu, dass wir bei einzelnen Leiden, die mit Hyperämie behandelt werden, z. B. bei chronischem Gelenkrheumatismus, nicht einmal wissen, ob sie zu den Infektionskrankheiten gehören oder nicht. Von den frischen akuten Infektionen sind indessen scharf ihre Folgezustände zu trennen. So kann man sehr wohl eine Nekrose, die nach akuter Osteomyelitis oder nach Phlegmonen auf- trat, oder Versteifungen von Gelenken nach Tripperinfektion, so- bald die akuten Erscheinungen geschwunden sind, mit heisser Luft behandeln. Sie beschleunigt hier die Demarkation und löst die Versteifungen in ausgezeichneter Weise.

Behandlung der Tuberkulose.

Ich beginne mit der Behandlung der Gelenktuberkulose, weil sie die erste Krankheit war, bei welcher ich Hyperämie an- wandte; meines Erachtens kommt für dieselbe nur die passive Hyperämie in Betracht. Ich halte starke aktive Hyperämie, wie ich schon mehrfach auseinandergesetzt habe, hier für direkt schädlich; ich habe im allgemeinen nur Verschlechterungen nach der letzteren gesehen.

252 Spezieller Teil.

Ich kam auf den Gedanken, Hyperämie gegen Tuberkulose an- zuwenden, durch folgende Beobachtungen älterer Ärzte: Farre und Travers machten im Jahre 1815, Louis im Jahre 1826 auf das häufige gleichzeitige Auftreten von Pulmonalstenose und Lungenschwindsucht aufmerksam und erklärten dasselbe durch die grosse Anämie der Lungen, welche dieser Herzfehler hervor- bringt. Die Beobachtungen jener Ärzte sind ausnahmslos bestätigt, so dass Frerichsi) den Satz aussprechen konnte: ,,I>ie Lungen- tuberkulose ist, mag das Verhältnis dieses Leidens zur Tuberkulose sich im übrigen gestalten wie es will, das gewöhnliche Ende bei Krankheiten der Pulmonalarterie". Umgekehrt stellte Roki- tansky 2) den Satz auf, dass die mit Blutüberfüllung der Lungen einhergehenden Herzfehler Immunität gegen Tuberkulose ge- währen. Ich lasse seine eigenen Worte hier folgen: ,,Ein Ergebnis sehr zahlreicher Beobachtungen ist das Verhalten der Hyper- trophie des Herzens zur Tuberkelkrankheit. Unter einer Anzahl von 143 hierher gehörigen FäUen (einfacher und exzentrischer so- wohl, als konzentrischer Hypertrophie) finde ich, dass in 15 Fällen eine zurzeit völlig erloschene Tuberkulose der Lungen, in sämt- lichen anderen Fällen Personen verschiedenen Alters, Ge- schlechts, Gewerbes usf. aber nie ein Tuberkel vorhanden ge- wesen, woraus denn gefolgert werden kann, dass beiderlei krank- hafte Zustände nicht zu gleicher Zeit in einem Individuum neben- einander bestehen, insbesondere aber, dass sich bei dem Vor- handensein der genannten Herzkrankheit keine Tuberkulose und zumal keine Lungentuberkulose entwickeln dürfte."

Dieselbe Immunität gegen Tuberkulose schrieb Rokitansky Leuten mit Rückgratsverkrümmungen zu, bei denen sich bekannt- lich ebenfalls erhebliche Stauungen im Lungenkreislaufe entwickeln. Auch hier will ich Rokitansky^) selbst sprechen lassen: ,, Anfangs ist uns bei den Leichen von Personen mit verkrümmten Rückgrate die Abwesenheit aller Spur der vermuteten Lungenphthise wieder- holt aufgefallen; nachdem sich aber bis zum gegenwärtigen Zeit- punkte diese Beobachtungen zu einer sehr namhaften Anzahl ver-

1) Übersicht über die Ergebnisse der med. Klimk zu Breslau. Wiener med. Wochenschr. 1853. Nr. 53. S. 635.

2) Medizinische Jahrbücher des k. k. österreichischen Staates. 26. Bd. oder der neuesten Folge 17. Bd. Wien 1838. S. 417.

3) 1. c. S. 419.

Behandlung der Tuberkulose. 253

mehrt haben, ergibt sich bei der mit jedem Einzelfalle zunehmen- den Merkwürdigkeit des Befundes das Konstante desselben die Regel, dass bei Verkrümmungen des Rückgrates Tuberkulose und insbesondere Tuberkulose der Lungen nicht vorkommt."

Rokitansky gibt hierfür statistische Zahlen; er fand in seinen Obduktionsprotokollen unter 50 hierher gehörigen Fällen nicht mehr als 3, bei denen Tuberkulose gleichzeitig vorhanden war, Fälle, bei denen noch obendrein bloss unbeträchtliche Verkrümmungen und Missgestaltung des Brustkorbes vorhanden waren.

Rokitansky's Beobachtungen sind vielfach bestätigt, aber auch sehr häufig angefochten worden. Ich will mich hier nicht darauf einlassen, aus der reichlichen Literatur über diesen Gegenstand Anhänger und Gegner der Rokitansky' sehen Lehre zu Worte kommen zu lassen. Ich bemerke nur, dass die grosse Mehrzahl der Ärzte, welche sich hierüber geäussert haben, zwar Rokitansky's Behauptungen in der Allgemeinheit, wie er sie ausgesprochen hat, nicht gelten lässt, aber immerhin die Richtigkeit des Grundprinzips anerkennt und eine relative Immunität der Stauungslungen gegen Tuberkulose zugiebt. Denjenigen Lesern, welche sich für diese Fragen interessieren, gebe ich einen Teil der Literatur in der Fussnote an*).

Ich kann jene Beobachtungen hier um so mehr vernachlässigen, als sie für mich nur der Anstoss zur Hyperämiebehandlung einer

*) 1. Lebert, Über den Einfluss der Stenose des Conus arteriosus, des Ostium pulmonale und der Pulmonalarterie auf Entstehung von Tuberkulose. Berliner klin. Wochenschr. 1867. Nr. 22 u. 23.

2. Eymann, Über die Kombination von Phthise und Herzfehler. Inaug.- Diss. Würzburg 1886.

3. Frerichs, 1. c.

4. B. Schnitze, Beitrag zur Statistik der Tuberkulose verbunden mit Herzklappenerkrankungen. Inaug.-Diss. Kiel 1891.

5. Frommolt, Über das gleichzeitige Vorkommen von Herzklappenfehlern und Limgenschwindsucht. Archiv für Heilkunde. 1875. Nr. 12.

6. Bamberger, Lehrbuch der Krankheiten des Herzens. Wien 1857. S. 204.

7. Traube, Gesammelte Beiträge zur Pathologie und Physiologie. 2. Bd. Nr. 47. S. 748.

8. V. Dusch, Lehrbuch der Herzkrankheiten. Leipzig 1868. S. 185.

9. Rühle, Die Lungenschwindsucht, v. Ziemssen's Handbuch 5. Bd. 2. Aufl. 2. Hälfte. S. 35.

10. Stalherm, Über Kyphose und ihre Beziehungen zu den Verände- rungen der inneren Organe. Inaug.-Diss. Kiel 1892.

11. Rokitansky, Lehrbuch der pathologischen Anatomie 2. Bd. Wien 1856.

254 Spezieller Teil.

einzelnen Krankheit waren. Die Erfahrungen, die ich dabei machte, Hessen mich sehr bald diese Behandlung auf zahlreiche Krankheiten verallgemeinern und spielten die ganze Frage auf ein anderes Gebiet hinüber.

Meine erste Mitteilung über Hyperämiebehandlung der Tuber- kulose habe ich im Jahre 1892i) gemacht. Ausführlicher beschrieb ich dieselbe in grösseren Abhandlungen, welche im Jahre 18932) und 18943) erschienen, und zum letztenmal habe ich darüber abgesehen von den früheren Auflagen dieses Buches zusammen- hängend im Jahre 1895^) berichtet. Ich habe seitdem nichts Aus- führhches über die Tuberkulosebehandlung veröffenthcht, weil wir fortwährend noch mit Versuchen beschäftigt waren, die richtige Technik der Stauungshyperämie gerade für die in Rede stehende Krankheit herauszufinden. Denn bei keinem einzigen Leiden, welches überhaupt der Behandlung durch Hyperämie zugänglich ist, hat die richtige Ausarbeitung der Technik uns so viele Schwierig- keiten gemacht, als gerade bei der Tuberkulose. Besonders fällt hier ins Gewicht, dass eine unrichtige Anwendung der Stauungshyperämie sehr schädlich wirken kann. Es ist deshalb wichtig, wenn man wünscht, dass dieses Mittel dem allgemeinen Gebrauch von selten des praktischen Arztes zugänglich sein soll, dass man genaue, khpp und klare Vorschriften für die Anwendung des Verfahrens gibt und dasselbe so einrichtet, dass auch der Ungeübte keinen Schaden damit zu stiften vermag. Ich glaube, dass wir jetzt nach

12. V. Kryger, Das gleichzeitige Vorkommen von Lungentuberkulose und Klappenfehlern des linken Herzens. Inaug.-Diss. München 1S89.

13. Otto, Virchow's Archiv. 144. Bd.

14. Burwinkel, Clironische Herz- und Li.uigenleiden in iliren Wechsel- beziehungen. Deutsche Medizinalzeitung. 1902. Nr. 34.

15. Kuhn, V. Leyden, Westenhöffer im Verein für innere Medizin in Berlin, Sitzung vom 11. Juiü 1906. Deutsche med. Wochensclirift. 1906. Nr. 29. S. 1177.

1) Bier, Über ein neues Verfaluen der konservativen Behandlung von Gelenktuberkulose. Verhandlungen der deutschen Gresellschaft für Chirurgie. 1892. 1. Bd. S. 91.

2) Behandlung chirurgischer Tuberkulose der Gliedmassen mit Stauungs- hyperämie. v. Esmarch's Festschrift. Kiel u. Leipzig 1893. S. 54.

3) Weitere Mitteilvmgen über die Behandhuig clürurgischer Tuberkulose mit Stauimgshj^erämie. Verhandlungen der deutschen Gesellschaft für Chirur- gie. 1894. 2. Bd. S. 94, imd Archiv f. klin. Chirvugie. 1894.

4) Behandhxng der Gelenktuberkulose mit Stamuigshyperämie. Berliner Klinik. Xovember 1895.

Behandlung der Tuberkulose. 255

langjälirigen Versuchen die Technik ausserordenthch vervoll- kommnet, vereinfacht und so gestaltet haben, dass Unheil durch das Mittel nicht verursacht werden kann. Ich halte es für nützlich, den Gang der Entwicklung der Technik hier kurz auseinander zu setzen.

Nachdem ich ganz im Anfange nur ein oder mehrere Stunden lang täglich Stauungshyperämie gegen Tuberkulose benutzt hatte, ging ich bald zu einer dauernden Anwendung über. (Dem Ver- fahren, welches auf Seite 68 u. 69 bereits beschrieben ist.) Tag und Nacht wurde die Stauungsbinde getragen, nur zweimal täghch, um Druck zu vermeiden, wurde sie an eine andere Stelle gesetzt. Ge- wöhnlich nur einmal wöchentlich wurde sie entfernt. Ich liess dann die kranken Teile, welche sich im Zustande der Anschwellung und des Ödems befanden, abschwellen, um die Veränderung am kranken Gliede nachweisen und kontrollieren zu können.

Die Ergebnisse der Behandlung waren sehr wechselnd, neben glänzenden Erfolgen zahlreiche Misserfolge, oder solche Fälle, wo die Stauungshyperämie allein nicht ausreichte, sondern zu anderen konservativen oder operativen Mitteln gegriffen werden musste. In fast allen Fällen fiel die unmittelbar nach Anwendung des Mit- tels auftretende unzweifelhafte Besserung auf; die Schmerzen schwanden, bestehende Kontrakturen wurden gelöst, die Beweg- lichkeit kranker Gelenke besserte sich zusehends ; Tuberkulöse, die vorher ihre kranken Glieder zu nichts hatten gebrauchen können, waren häufig nach wenigen Tagen imstande, leichtere Verrich- tungen damit vorzunehmen.

Aber ich musste schon auf dem Chirurgenkongresse im Jahre 1894 über unangenehme und gefährliche Zufälle berichten, welche die Stauungshyperämie an den tuberkulösen Ghedern hervorrief. Der häufigste Zufall war das Auftreten kalter Abscesse, das offen- bar durch die Stauungshjrperämie in hohem Grade gefördert wurde. Nur selten traten die Abscesse symptomlos auf, in den meisten Fällen war der Verlauf ganz charakteristisch : Nach anfänghcher bedeuten- der Besserung des tuberkulösen Gelenkes klagte der Kranke plötz- lich über Schmerzen, die an einer ganz bestimmten Stelle auf- traten; Druck auf diese Stehe mit dem Finger war sehr empfind- lich. Entfernte man die Stauungsbinde und liess Schwellung und Odem abziehen, so erkannte man häufig bereits den beginnenden Abscess an der deutlichen Fluktuation. Wurde die Stauungs- hyperämie weiter fortgesetzt, so wuchsen häufig unter ihr die

256 Spezieller Teil.

Abscesse mit einer Schnelligkeit und entstanden in so vielfacher Anzahl, wie wir das sonst nicht zu sehen bekommen, so dass kein Zweifel bestand, dass sie allein durch die Stauungshyperämie her- vorgerufen waren.

Ich habe wohl angenommen, dass dieses an sich kein ungünsti- ges Zeichen sei. Ich glaubte und glaube noch, im Auftreten des Abscesses das Bestreben der Natur sehen zu dürfen, abgestorbenes, unbrauchbares und krankes Gewebe einzuschmelzen und nach aussen zu befördern. Ich gab auch Vorschriften an, wie die kal- ten Abscesse zu behandeln seien, und empfahl gegen dieselben Punktion und nachfolgende Füllung mit Jodoformglyzerin. Ich meinte, dass beide Mittel, Stauungshyperämie und Jodoform, sich in glücklicher Weise ergänzten, insofern als die erstere die für die Jodoformeinspritzung unerreichbaren Herde teils zur Narben - Schrumpfung führte, teils sie in kalte Abscesse verwandelte, die wir ja erfolgreicher als irgendeine andere Erscheinung der Tuberku- lose mit Jodoform bekämpfen können. Aber ich habe weiterhin eingesehen, dass das Hervorrufen so gewaltiger Abscesse, wie wir sie unter dieser Form der Stauungshyperämie sahen, in den meisten Fällen zweifellos eine Verschlimmerung des Leidens bedeutet, da sie so häufig auftreten und so schnell wachsen, dass man ihrer nicht Herr werden kann, und ferner, wie ich noch erwähnen werde, dass die Verbindung von Stauungshyperämie und Jodoformbehand- lung unglücklich ist und zu keinem Ziele führt.

Die zweite üble Erfahrung, welche wir machten, war die Ent- stehung grosser wuchernder Granulationsmassen, die meist bei offenen Geschwüren undFisteln aufgebrochener Gelenktuberkulosen, aber zuweilen auch bei nicht aufgebrochenen unter der Haut vor- kamen und diese schliesslich durchbrachen. Zuweilen sah ich unter weiterer Anwendung des Mittels die erwünschte Schrumpfung und Vernarbung der übermässigen Granulationswucherung eintreten, vielfach aber schritt sie unaufhaltsam fort, nötigte das Verfahren aufzugeben und blutige Operationen an seine Stelle treten zu lassen.

Das Schhmmste aber war, dass an aufgebrochenen Gelenk- tuberkulosen, offenbar unter der Einwirkung des Mittels, die schwersten akuten Entzündungen auftraten, von denen wir ja auch sonst wissen, dass sie mit Vorhebe zu den chronischen Ödemen hinzukommen. Ich musste damals berichten über heisse Abscesse, Lymphgefäss- und Drüsenentzündungen, über Erysipel und erysipel- artige Hauterkrankungen, ja sogar über einen Fall, bei dem die

Behandlung der Tuberkulose. 257

Vereiterung eines tuberkulösen Fussgelenks durch Sepsis zum Tode führte. Zwar betrafen diese üblen Zufälle lediglich schwere Tuber- kulosen; ich erlebte sie nur im Anschlüsse an grosse tuberkulöse Geschwüre und besonders an grosse buchtige Gelenkhöhlen, welche mit Eiter gefüllt waren und mit der Aussenwelt durch eine Fistel in Verbindung standen.

Gewöhnlich Hessen sich Fehler in der Verbandtechnik oder zu leichtsinniger Gebrauch der kranken Glieder, den wir, soweit die Schmerzen es zuliessen, gestatteten, nachweisen. Aber bei ob- jektiver Betrachtung der Fälle konnten wir uns der Überzeugung nicht verschliessen, dass das angewandte Mittel daran nicht un- schuldig sei.

Ich gab deshalb damals den Rat, aufgebrochene Gelenktuber- kulosen, welche mit Stauungshjrperämie behandelt werden sollten, sehr gut aseptisch zu verbinden und den Gebrauch der Glieder nicht oder nur in ganz geringen Grenzen zu gestatten.

Ferner teilte ich mit, dass auch in den günstiger verlaufenden Fällen häufig die Stauungshyperämie allein nicht zum Ziele führte. Wir mussten öfters andere konservative Mittel, Streck - verbände, Gipsverbände, Jodoformeinspritzungen zu Hilfe nehmen oder gar zu mehr oder weniger eingreifenden Operationen über- gehen.

Nun liegt nichts näher, als anzunehmen, dass, wenn dasselbe Mittel das eine Mal zu dem glänzendsten Frfolge, das andere Mal zu dem schwersten Misserfolge führt, es im ersten Falle richtig, im zweiten Falle falsch angewandt ist. Diesen Schluss habe ich aus den damaligen Erfahrungen auch gezogen. Mir war aufge- fallen, dass die Stauungshyperämie gute Erfolge erzielt hatte bei Schultertuberkulose, wo sie doch verhältnismässig am schwierigsten anzubringen ist, und bei einigen Fällen von Hodentuberkulose. Bei beiden aber gestattet die Örtlichkeit, wie ich schon oben aus- einandergesetzt habe, niemals die dauernde Anwendung der Hyperämie, sie kann höchstens für 12 Stunden täglich angCAvandt werden, weil die Schnürstelle des stauenden Schlauches nicht zu wechseln ist, und derselbe bei längerem Liegen unangenehme Druck- erscheinungen hervorrufen würde. Dann fiel es bei einer später vorgenommenen Vergleichung der Fälle auf, dass gerade die zuerst behandelten aus dem Jahre 1891 die besten Erfolge aufwiesen. Damals aber wandte ich die Stauungshyperämie nur wenige Stunden täglich an.

Bier, Hyperämie als Heilmittel. 17

258 Spezieller Teil.

Ich hatte ferner die Beobachtung gemacht, dass bei längerer Anwendung der dauernden Stauungshyperämie das Odem in den Vordergrund, die H3^erämie aber sehr in den Hintergrund trat. Es hatte sich also ein chronisches Ödem gebildet, welches für die Hervorrufung andauernder Hyperämie geradezu schädlich war. Ich verfuhr deshalb so, dass ich nur wenige Tage hindurch die Stauungshyperämie dauernd anwandte, dann aber Pausen da- zwischen schob, und je mehr sich die Fälle darunter besserten, die Pause verlängerte, so dass sie schliesslich nur noch eine Stunde täglich angewandt wurde.

Ferner stellte ich fest, dass die zu schweren Zirkulations- störungen führende Stauungshyperämie, welche hochgradige Blau- färbung und Herabsetzung der Temperatur an der Körperstelle hervorbrachte, besonders aber jene Stauung, welche zu Schmerzen und wirklichen Unbequemlichkeiten führt, schädlich sei.

Ich gab deshalb die Vorschrift:

1. Die Stauung darf niemals Schmerzen hervorrufen, sonst ist sie falsch angewandt, oder der Fall eignet sich nicht für das Mittel und muss auf andere Weise behandelt werden.

2. Die Stauung darf nicht kalt sein, sie darf die Temperatur der Haut nicht so herabsetzen, dass sich diese merklich kälter anfühlt als die Haut des anderen Gliedes. Es ist günstig für den Verlauf der Tuberkulose, wenn im Gegenteil die Stauung sich so anwenden lässt, dass die Hauttemperatur erhöht ist, und die dem Mittel ausgesetzten Körperstellen den Eindruck einer akuten Ent- zündung machen.

Nach Einführung dieser Regel verschwanden die gefährlichsten Zufälle, die schweren akuten Entzündungen. Aber während die erste Regel leicht zu erreichen ist, da man dem Kranken nur ein- zuschärfen braucht, er solle Bescheid sagen oder selbständig die Binde lockern, sobald er die geringsten Schmerzen oder Parästhe- sieen in dem Gliede fühle, so ist die zweite Regel sehr schwer zu befolgen. So leicht es gelingt, an akut oder subakut entzündeten Teilen die heisse Stauung zu erreichen, so schwer ist es bei den chronischen Tuberkulosen, und noch viel schwerer ist es, sie zu unterhalten. So bedurfte denn auch die Beaufsichtigung der mit Stauungshyperämie behandelten Gelenktuberkulosen der grössten Aufmerksamkeit, und wenn sich auch die Erfolge darnach besserten, so blieb doch die Bildung sehr grosser kalter Abscesse darnach nicht aus.

Behandlung der Tuberkulose. 259

Wir sind dann mit der Zeitdauer der täglich angewandten Stauung wieder mehr und mehr zurückgegangen, besonders unter dem Einfluss von Nötzel's oben erwähnter Arbeit, die den experi- mentellen Beweis erbrachte, dass das chronische Ödem, welches bei längerer Stauung entsteht, ebenso schädlich ist für den Verlauf von infektiösen Krankheiten, wie die Veränderungen durch akute Stauung nützlich sind, habe ich immer kürzere Zeit das Mittel angewandt, z. B. in folgender Weise: In den ersten Tagen wird 7 12 Stunden täglich die Stauung eingeleitet, bis die Schmerz - haftigkeit der Gelenke wesenthch herabgesetzt ist. Dann wird die Zeit auf die Hälfte ermässigt und immer weiter heruntergegangen, bis nach einigen Wochen oder Monaten nur noch eine Stunde täglich die Stauungshyperämie angewandt wird.

Als Beispiel für diese Art der Verwendung führe ich folgende Fälle an:

1. Ein 7 jähriges, aus tuberkulöser Familie stammendes Kind er- krankte im Juni 1899 mit Schmerzen im rechten Handgelenke, die all- mählich zunahmen, bis im Winter 1899 das Gelenk anschwoll imd ver- steifte. Von einem Arzte vorgenommene passive Bewegungen und Massage verschlimmerten das Leiden.

Ich fand am 20. März 1900 das rechte Handgelenk gleichmässig ge- schwollen, es mass im Umfang 1 ^ cm melir als das ünke. Beugung und Streckimg waren annähernd aufgehoben, die Supination leicht beschränkt. Die Finger waren leidlich beweglich. Der rechte Unterarm war abgemagert. An 2 Stellen war das Handgelenk auf Druck sehr empfindlich. Die Rönt- gendurchleuchtung zeigte völlig verschwommene Handwurzelknochen, sodass ihre Umrisse nicht zu erkennen waren.

Ich wandte vom 20. März bis 1. Oktober 1900 die Stauung mit mehreren achttägigen Zwischenpausen täglich 7 12 Stunden an. Während die Binde abgenormnen war, wurde das Glied mehrere Stunden hoch- gelagert.

Vom Oktober 1900 bis März 1901 wurde die Hyperämie 2 3 Stunden täglich angewandt. Dann wurde die Behandlung ausgesetzt. Das Gelenk besserte sich schnell, besonders was Beweglichkeit und Schmerzen an- langte. Doch war im Oktober 1900 die Schwellung noch in ungefähr alter Weise vorhanden, und die Röntgendurchleuchtvmg zeigte immer noch die Handwurzelknochen sehr verschwommen, wenn man auch eine deutliche Aufhellung des Bildes erkennen konnte.

Am 8. März 1902 habe ich das Kind zum letzten Male untersucht. Ich fand volle Beweglichkeit des rechten Handgelenkes \ind volle Funktion ohne jede Einschränkung. Die Messung ergab, dass der Umfang beider Handgelenke gleich war. Das Kind benutzte entsprechend seiner Rechts- händigkeit den rechten Arm wieder mehr als den linken, deshalb war die früher festgestellte Abmagerung des rechten Vorderarmes nicht nur ver-

17*

260 Spezieller Teil.

schwunden, sondern derselbe mass an der dicksten Stelle sogar ^^^ cm mehr im Umfange als der linke. Das Kind hat wälxrend der ganzen Behandlung, soweit es die anfangs vorhandenen Schmerzen zuliessen, seine Hand gebraucht.

Ein am 18. März 1902 aufgenommenes Röntgenbild zeigt absolut nor- male Knochen.

2. Ein 4 jähriges Kind, aus tuberkulöser Familie stammend, erkrankte im Winter 1899 an Tuberkulose des linken Handgelenkes. Es entstanden mehrere Abscesse, welche vom Arzte gespalten wm-den.

Am 12. JuH 1901 sah ich das Kind zuerst und machte folgenden Befund: Das unke Handgelenk ist spindelförmig geschwollen, auf dem Handrücken bemerkt man ein fünfpfennigstückgrosses Geschwür und mehrere auf rauhen Knochen führende Fisteln. Die Hand hängt in Beuge- kontraktur und subluxiert herab: die Bewegungen sind sehr stark ein- geschränkt.

Vom 12. Juli 1901 bis 1. April 1902 wurde täglich 8—12 Stunden mit zahlreichen ein- bis mehrtägigen Pausen, vom 1. April bis 23. August 1902 täglich 1 Stunde Stauungshyperämie angewandt. Das Leiden besserte sich niu" ganz allmählich, aber es war ein gleichmässiger Fortschritt zu be- merken.

Am 23. August 1902 wurde die Behandlung ausgesetzt, weil die Heilixng vollkommen erschien. Ich machte folgenden Befund: Die Hand ist leicht subluxiert, das Handgelenk nicht mehr geschwollen. Fisteln und Geschwüre sind fest vernarbt. Im Handgelenke sind trotz der Subluxa- tion alle Bewegungen im vollen Umfange mögHch. Das Kind gebraucht seine linke Hand ebenso wie die rechte. Es hat sie auch während der ganzen Dauer der Behandliing, so gut es ging, benutzt. Das Röntgenbild vom 12. Juni 1900 zeigt von den Handwurzelknochen nur ganz schwache und undeutliche, das vom 7. Januar 1902 bereits etwas deutlichere Um- risse. Säintliche übrige Knochen von Hand land Vorderarm waren sehr stark atrophisch. Das Röntgenbild vom 23. August 1902 weist scharfe Knochenumrisse, aber so bedeutende Zerstörungen an Handwurzel- und Metakarpalknochen nach, dass man sich über die trotzdem so gute Fvmktion wundern muss.

Ödem fand sich bei dieser Art der Behandlung nur in der ersten Zeit. Es wurde in der Zwischenpause nach Mög- hchkeit durch Hochlagerung des Ghedes zum Verschwinden ge- bracht.

Seitdem ich in dieser Form das Mittel anwandte, glaubte ich bemerkt zu haben, dass kalte Abscesse kaum oder wenigstens nicht wesentlich häufiger auftreten, als man sie auch sonst bei Tuberkulosen beobachtet. Aber eine längere Beobachtung hat mich gelehrt, dass sogar die jetzt bei uns gebräuchliche, sehr kurze Stauung die Erweichung tuberkulöser Massen und die Ausbildung kalter Abscesse immer noch begünstigt. Aber diese Abscesse wachsen nicht so überraschend schnell, wie die nach der dauernden

Behandlung der Tuberkulose. 261

Stauung, sind leicht zu behandeln und stören den Enderfolg der Behandlung nicht.

Die Erfolge der beschriebenen Behandlung waren recht zu- friedenstellend. Immerhin ist auch sie für den praktischen Ge- brauch noch zu umständhch, und wir verwenden jetzt fast aus- schliesslich ein Verfahren, welches Tilmann zuerst in der Greifs- walder chirurgischen Poliklinik erprobt, und womit er vorzügHche Resultate bei rein ambulanter Behandlung tuberkulöser Gelenke be- kommen hat. Dabei wird nur eine Stunde täglich die Stauung, wie wir sie oben auf S. 69 (Fig. 8) bereits beschrieben haben,, an- gewandt. Man darf für diese Zeit die Hyperämie sehr stark ein- wirken lassen, nur soll die Binde nicht so fest angelegt sein, dass sie "wirkhche Schmerzen oder Parästhesieen in dem behandelten Gliede hervorruft. Auch das Auftreten von zahlreichen der oben beschriebenen zinnoberroten Flecken halte ich nicht für nützKch. Indessen muss die Hyperämie stark sein. Nachweisbares Ödem tritt in der kurzen Zeit von einer Stunde nicht auf, wohl aber deutliche Anschwellung des behandelten Gliedabschnittes.

Die peripher von der kranken Körperstelle hegenden Teile werden nicht eingewickelt, und dadurch wird das Verfahren gegen früher noch ganz erheblich vereinfacht. Es ist auch nicht nötig, dass die stauende Binde dicht oberhalb des kranken Gelenkes an- gelegt wird, sondern man kann z. B. bei Tuberkulosen des Hand- oder Fussgelenkes ruhig am Oberarm bezw. Oberschenkel die Binde anlegen, wenn irgend ein Grund vorhanden ist, der dieses erwünscht erscheinen lässt. Auch dieses Verfahren wenden wir indessen nicht rein schematisch an. Wir machten die Beobachtung, dass es rebel- lische Tuberkulosen gibt, die im Anfange täglich eine zwei- bis dreistündige Dauer der Stauungshyperämie erfordern. Längere Zeit haben wir die Binde in den letzten Jahren nicht liegen lassen.

Lässt sich die kräftige Hyperämisierung eines tuberkulösen Gelenkes schwer erreichen, so lassen wir vorher ein langdauern- des heisses Wasserbad geben, dann pflegt die Binde eine stärkere Hyperämie zu erzeugen.

Mit dieser Form der Anlegung der Stauungshyperämie bei Tuberkulose ist, glaube ich, der Vorwurf, den man ihr bisher machen konnte, dass sie schwierig und in der Hand des Ungeübten gefährlich sei, endgültig gefallen. Ich empfehle sie deshalb aus- schliesslich für den Gebrauch des praktischen Arztes, zumal die

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Erfolge bei dieser kurzen Anwendung sehr gut sind. Ich führe folgenden Fall dafür an:

3. Ein 23jähriger Arbeiter litt seit 4 Jahren an einer tuberkulösen Entzündung des rechten Fusses. Seit 3 Wochen vor der Aufnahme war er bettlägerig, weil der rechte Fuss beim Versuch aufzutreten stark schmerzte. Auch von selbst traten die Schmerzen auf, so dass der Kranke häufig des Nachts nicht schlafen konnte.

Bei der Aufnahme am 1. April 1902 war das rechte Fussgelenk un- förmlich kugelig und spindelig geschwollen. Der Umfang desselben über- traf den des linken lun 9 cm. Bewegungen waren sehr schmerzhaft und niir im geringen Grade möglich. Der Kranke konnte mit Hilfe von 2 Stöcken stark hinkend und luiter Schmerzen gehen. Das Gelenk war auf Druck überall schmerzhaft.

Auch die Gegend des Chopart'schen Gelenkes ist angeschwollen, das Talonaviculargelenk schon auf leisen Druck sehr stark empfindlich. Vor dem äusseren Knöchel befindet sich eine weiche, Tindeutlich fluktuierende Schwellung.

Das Röntgenbild zeigt eine enorme Zerstörung des Talus, hochgradige Zerstörung an der ünterschenkelgelenkfläche, periostale Wucherxingen am Calcaneus und sehr starke Atrophie aller Knochen des Fusses und des Unterschenkels .

Vom 8. April 1902 wurde täglich 1 Stunde lang Stauvmgshyperämie angewandt, welche die Schmerzen schnell beseitigte und die Bewegungs- fähigkeit des kranken Fusses steigerte. Die weiche Anschwellung vor dem äusseren Knöchel entwickelte sich zu einem kalten Abscesse, welcher am 22. April Tinter Schleich'scher Infiltrationsanästhesie gespalten wurde. Es entleerte sich etwa 1 Teelöffel Eiter. Die Stauungshyperämie ^vurde weiter fortgesetzt.

Am 10. Juni bemerkte man an der Fistelmündung die Spitze eines Sequesters; derselbe wurde herausgezogen. Er hatte die Grösse einer halben weissen Bohne und war stark zerfressen. Ami 11. und 17. Juni stiess sich je ein weiterer hanfkorngrosser Sequester ab.

Am 5. August waren die kranken Gelenke überall derb und hart geworden. Aus der Fistel vor dem äusseren Knöchel quollen hochrote kräftige Granulationen. Die Fistel sonderte nur spärlichen Eiter ab. Sclimerzen waren weder aixf Druck noch bei Bewegungen vorhanden.

Da noch Sequester vermutet wurden, so wiorde die Fistel in der Aus- dehnung von 3 cm unter Schleich'scher Infiltrationsanästhesie gespalten, und mit einem scharfen Löffel wurden ein knapp erbsengrosser und 4 kleinere Sequester herausgeholt. Die Wunde wurde mit aseptischer Gaze bedeckt. Der erste Verband blieb 8 Tage liegen. Am 14. August stiess sich aus der Fistel noch ein kleiner Sequester ab. Am 22. August war die Fistel fest geschlossen. Der Kranke ist imstande, ohne Stock und ohne Schmerzen zu gehen, die Beweglichkeit des Fussgelenkes ist in massigen Grenzen vorhanden. Der Umfang hat um 5 cm abgenommen.

Es kommt zuweilen vor, dass Sequester sich von selbst aus Fisteln abstossen (ich beobachtete das im ganzen zweimal), in

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anderen Fällen müssen sie nach Ausheilung oder bedeutender Besserung der Tuberkulose durch schonende Operationen ent- fernt werden. Indessen ist dies sehr selten wirklich nötig. Häufiger fördert das von uns geübte Ausdrücken oder das Aussaugen kalter Abscesse mit dem Schröpf köpfe Sequester zu Tage. Offenbar heilen die tuberkulösen Sequester, wie wir das durch unsere Erfahrungen bei orthopädischen Resektionen wissen, gewöhnlich ein, wahr- scheinlich werden sie bei ihrer Porosität und infolge der auf- lösenden Wirkung der Stauungshyperämie auch zuweilen auf- gesogen i).

Nach dieser historischen Einleitung schildere ich das Verfahren der Stauungshyperämie bei Tuberkulose nochmals in seiner heutigen Anwendungsform. Ich weiss, dass ich mich dabei wiederhole, weiss aber auch, dass dies nötig ist, da man offenbar fast allgemein das Verfahren gänzlich verkehrt angewandt hat. Denn sonst wäre es nicht möglich, dass unsere Erfolge in so schreiendem Gegensatz zu denen anderer Chirurgen stehen. Sonst wäre es ferner unmöglich, dass man immer noch so massenhaft tuberkulöse Menschen durch die Resektion verstümmelt, während doch unser einfaches Ver- fahren, wie unsere Erfolge zeigen wenigstens beim Hand-, Ell- bogen-, Fuss- und Schultergelenke diese Operation fast voll- ständig, ja in vielen Fällen, wo auch diese konservative Ope- ration nicht mehr ausführbar ist, sogar die Amputation unnötig macht.

Oberhalb des tuberkulösen Gelenkes wird in mehreren Gängen eine geschmeidige weiche Gummibinde so fest umgelegt, dass peripher von ihr und somit auch im Krankheitsherde eine starke venöse Hjrperämie entsteht. Die Binde soll unter keinen Um- ständen Schmerzen bereiten, im Gegenteil, sie soll schmerz- stillend wirken. Es ist eine vollständige Verkennung des Ver- fahrens, wenn von zahlreichen Ärzten die Binde so fest angelegt wird, dass sie Parästhesieen, schmerzhafte Empfindungen und starke Blaufärbung hervorruft. Stets soll das behandelte Glied warm bleiben, und der Puls soll peripher von der Binde deutlich zu fühlen sein. Die früher geübte Einwickelung des gesunden Glied-

1) Deshalb ist Riedel sehr im Irrtum, wenn er aus dem häufigen Vor- kommen von Sequestern in tuberkulösen Gelenken den Schluss zieht, dass dieser Befund den Beweis für die Unmöglichkeit einer erfolgreichen konser- vativen Behandlung luid für die Notwendigkeit der Resektion liefere. Riedel, Centralblatt für Chirm-gie. 1893. Nr. 7 u. 8.

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abschnittes bis an das kranke Gelenk machen wir nicht mehr. Das Verfahren ist somit denkbar einfach. Die Binde wird bei Tuber- kulose eine bis höchstens 3 Stunden täglich getragen. Lässt man sie länger liegen, so entstehen häufig grosse kalte Abscesse, die schliesslich nicht mehr in Schranken zu halten sind und den Er- folg verderben. Auch soll man bei der Tuberkulose ein chronisches Ödem des kranken Gelenkes vermeiden. Tritt es auf, so muss man es in den Stauungspausen durch Hochlagerung bekämpfen.

Bei aufgebrochener Tuberkulose wird während des Liegens der Gummibinde der Verband gänzlich entfernt oder sehr locker angelegt. Sonst lässt der einschnürende Verband die Hyperämie nicht genügend eintreten. Meist lagere ich die mit Fisteln und Geschwüren bedeckten Gliedabschnitte einfach auf untergelegter steriler Watte.

Komplizierte Verbände wende ich bei aufgebrochener Tuber- kulose nicht an, insbesondere brauche ich niemals Antiseptika. Schädlich ist die Tamponade, sie wird nie angewandt. Recht häufig entstehen kalte Abscesse unter der Stauungshyperämie. Ich behandele sie niemals mehr mit Jodoform, sondern spalte sie mit kleinen Schnitten und drücke sie aus. Diese kleine Operation wird unter strengster Asepsis ausgeführt. Es ist eine grobe Ver- kennung meiner Anschauungen und Vorschriften, wenn man glaubt, wegen der später noch zu erörternden, alle Arten von frischen In- fektionen unterdrückenden Eigenschaften der Stauungshyperämie die Regeln der Asepsis bei Spaltung der kalten Abscesse ent- behren zu können. Ich würde dies gar nicht betonen, wenn diese Ansicht nicht mehrfach von fremden, die hiesige Khnik besuchen- den Ärzten geäussert wäre. Ebenso soll stets der kleine Eingriff unter Lokalanästhesie gewöhnlich genügt der Chloräthylspray ausgeführt werden. Der Arzt sollte ängstlich darauf sehen, auch die kleinsten operativen Eingriffe möghchst schmerzlos zu gestalten. Die Lokalanästhesie nimmt ihnen die nun einmal mit jeder schmerz- haften Operation verbundene Roheit und macht die kleine Chirurgie des praktischen Arztes so ungemein populär.

In letzter Zeit bedienen wir uns der Schröpfköpfe und schröpf- kopfähnlicher Saugapparate, um Eiter und käsige Granulations- massen aus kleinen Schnitten und aus Fisteln anzusaugen. Dies Verfahren ist ausserordenthch wirksam und bringt sehr häufig den kalten Abscess oder die Fistel zur schnellen Austrocknung. Es wird in diesem Kapitel noch ausführlich beschrieben.

Behandlung der Tuberkiilose. 265

Wendet man den Schröpf köpf nicht an, so muss man dafür sorgen, dass der kleine Einschnitt in den Abscess nicht verklebt, und muss den Eiter, sobald er sich wieder angesammelt hat, nötigenfalls durch Ausdrücken entfernen.

Ich enthalte mich dagegen eingreifender chirurgischer Opera- tionen, vor allen Dingen auch der gänzlich nutzlosen und nur zu Sekundärinfektionen führenden Ausschabung der Granulationen mit dem scharfen Löffel. Auch Sondierungen von Fisteln sind zu vermeiden. Die kalten Abscesse müssen frühzeitig erkannt und frühzeitig gespalten werden. Es ist besser, in eine fluk- tuierende oder pseudofluktuierende Stelle einen Schnitt zu machen, ohne einen Abscess zu finden, als einen solchen zu verkennen und zu gross werden zu lassen. Meist künden sie sich durch Schmerz - haftigkeit und grössere Entzündungserscheinungen, also durch eine scheinbare Verschlimmerung des Leidens an.

Ich mache keinen Unterschied mehr zwischen geschlossener und aufgebrochener Tuberkulose und behandele alle Fälle, wenn nicht besondere Kontraindikationen vorliegen, erst einmal kon- servativ. Als Kontraindikationen lasse ich gelten: Beginnende Amyloidentartung und schwere Lunge nphthise, die die Amputation erfordern, sehr grosse, die ganze Gelenkhöhle ausfüllende kalte Ab- scesse, die sehr selten und fast nur beim Kniegelenk vorkommen, und fehlerhafte Stellungen der Gelenke, die im günstigsten Falle nach der Ausheilung ein schlechteres Resultat geben würden als die operative Behandlung. Dies trifft besonders beim Knie- gelenk zu.

Ich glaube, dass es in der Behandlung der Gelenktuberkulose keine gefährlichere Lehre gibt, als die schulmeisterliche und Schema - tische Einteilung in konservativ zu behandelnde, Resektions- und Amputationsfälle. Denn ich habe gesehen, dass die ersteren zu- weilen trotz von Anfang an geübter sorgfältiger konservativer Be- handlung unaufhaltsam f ortschritten, die letzteren mit so über- raschender Funktion ausheilten, wie man sie bei der scheinbar un- geheueren anatomischen Zerstörung aller das Gelenk bildenden Teile nicht für möglich gehalten hätte.

Ganz ähnlich verhält es sich mit dem angeblich prinzipiellen Unterschiede zwischen der Gelenktuberkulose der Kinder und der Erwachsenen, beziehungsweise der alten Leute. Ich lasse ihn nicht gelten und behandele Greise, Erwachsene und Kinder in gleicher Weise konservativ. Habe ich doch selbst bei gebrechlichen Greisen

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zuweilen schwere aufgebrochene Tuberkulose sich vortrefflich bes- sern und sogar heilen sehen.

Ebenso halte ich die oft gegebene Regel wenigstens bei Anwendung der Stauungshyperämie für falsch, die konservative Behandlung aufzugeben, sobald eine Verschlimmerung des Leidens sich einstellt. Denn was ist Verschlimmerung? Unter Stauungs- hyperämie erscheint einem zunächst immer als solche das Auftreten des kalten Abscesses. Er macht häufig heftige Schmerzen und andere Entzündungserscheinungen, und doch ist er meist nur eine notwendige Phase im Ablauf der Tuberkulose.

Nicht selten entsteht unter der Behandlung ein kalter Abscess nach dem andern. Hier muss man immer genau aufpassen und jeden neu auftretenden Abscess sofort wieder spalten und aus- drücken, oder besser mit Schröpfköpfen aussaugen. Die Stauungs- hyperämie wird dadurch nicht unterbrochen.

Gegen die Spaltung der kalten Abscesse sind auf dem inter- nationalen Chirurgenkongresse in Brüssel von Qu ervin und Garre Bedenken ausgesprochen. Sie fürchteten, dass die offenen Tuber- kulosen sich leicht sekundär infizierten und dass sie eine Infektions- gefahr für die Angehörigen darstellten. Die erste Befürchtung habe ich lange Zeit geteilt und oft ausgesprochen; sie ist längst widerlegt durch unsere jetzt sehr reichhche Erfahrung. Allerdings soll man die ganz nutzlose Ausschabung der tuberkulösen Granu- lationen und andere unvollkommene Schnippeleien unterlassen, sonst hegt die Gefahr der Sekundärinfektion vor.

Schwerer ist die Behauptung zu entkräften, dass die Tuber- kulosen mit gespaltenen Abscessen eine Infektionsgefahr darsteUten. Klapp konnte aber beweisen, dass das Sekret mit Schröpf köpfen behandelter Fisteln sehr wenig infektiös ist. Meerschweinchen, denen er den ausgezogenen Inhalt des Schröpf köpf es intraperitonial einverleibte, blieben am Leben.

Die Jodoformbehandlung in Verbindung mit Stauungshyperämie habe ich gänzlich aufgegeben, weil die Kombination dieser beiden Mittel mir keine guten Erfolge geliefert hat. Ich wende Jodoform ledighch noch an beim Hydrops tuberculosus und beim grossen. die ganze Gelenkhöhle ausfüllenden kalten Abscess, bei dem die Stauungshyperämie nicht angezeigt ist. Dagegen ist sie wieder am Platze zur Nachbehandlung, wenn der Erguss unter Jodoform- behandlung geschwunden ist.

Ebenso verzichte ich im allgemeinen auf die Ruhigstellung

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der kranken Gelenke, trotzdem sie sich als so vortreffliches Mittel anerkanntermassen bewährt hat. Denn sie hat den grossen Nach- teil, dass sie der Versteifung Vorschub leistet. Ich beabsichtige aber, womöglich bewegliche und gut funktionierende Gelenke zu er- zielen, und halte es für einen schlechten Erfolg einer langwierigen und mühevollen konservativen Behandlung, wenn sie mit der Ver- nichtung eines physiologisch so wichtigen Apparates, wie ihn das Gelenk darstellt, endet. Die Stauungshyperämie gestattet nun, wie mich jetzt eine lange Erfahrung gelehrt hat, auf die Ruhigstellung zu verzichten. Deshalb lasse ich die kranken Hand-, Ellbogen- und Schultergelenke, soweit es die Schmerzhaftigkeit gestattet, ruhig zu den kleinen Handleistungen des täglichen Lebens ge- brauchen, ja, ich lasse vorsichtig passive und aktive Bewegungen damit vornehmen. Insonderheit soll man ängstlich die Versteifung der gesunden Finger bei Handgelenkstuberkulose durch diese Mittel vermeiden. Die unter Stauungshyperämie schnell sich einstellende Schmerzlinderung gestattet diese Massnahmen.

Indessen bin ich gänzlich miss verstanden worden, wenn man behauptet, ich behandele die Gelenktuberkulose mit Gymnastik. Ich denke nicht daran; meine ganze Behandlung zeichnet sich im Gegenteil dadurch aus, dass sie vom Anfang bis zum Ende scho- nend ist.

Man beherzige auch den in Deutschland noch viel zu wenig beachteten Rat des vortrefflichen und erfindungsreichen ehemahgen Liverpooler Orthopäden Thomas, beim Handgelenk mehr auf die Möglichkeit der Dorsal- als der Volarflexion zu achten. Der einfache Versuch überzeugt jeden sofort von der Richtigkeit dieser Vorschrift : schon die normale Hand greift in Dorsalflexion viel ge- schickter und kräftiger als in Volarflexion. Die Gründe für diese Tatsache liegen so klar zu Tage, dass man sich nicht dabei auf- zuhalten braucht.

Eine Ausnahme mache ich bei den meisten Knie- und Fuss- gelenken. Hier hegt die Gefahr vor, dass die kranken und weichen Knochen beim Gehen unter der Körperlast sich in verkehrte Stel- lungen (Genu valgum, Plattfuss usw.) begeben. Deshalb bekommen die Kranken einen Gipsverband, der in zwei Schalen zerschnitten und dadurch abnehmbar gemacht wird, oder wenn sie den wohl- habenden Klassen angehören, entlastende Apparate. Diese werden getragen, sobald der Kranke aufsteht und das Bein gebraucht. Sobald er aber sich hinlegt, wird der Gipsverband oder der

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Apparat entfernt, und es werden methodisch passive und aktive Bewegungen in den kranken Gelenken vorgenommen, soweit es die Schmerzhaftigkeit gestattet.

Wer Hessing'sche und ähnhche Apparate^) gebrauchen will, kann sehr wohl die Stauungshyperämie damit verbinden. Übrigens lasse ich das Auftreten im Verbände nur ganz allmählich wieder vornehmen, wenn die Leute durch die Krankheit von den Beinen gekommen sind. Sie benutzen zuerst Laufstühle oder Krücken, dann Stöcke und treten erst voll auf, wenn es ohne Schmerzen möglich ist.

Menschen, die an Gelenktuberkulose leiden, sollen sich ängst- lich vor Verletzungen der Gelenke hüten, weil danach regelmässig eine Verschlimmerung erfolgt. Vor allem sollen Kinder, die an Knie- und Fussgelenktuberkulose leiden, nicht fallen.

Die schwersten Fusstuberkulosen werden zunächst im Bett behandelt. Hier soll man darauf achten, dass kein Spitzfuss entsteht , teils durch übergestülpte Reifenbahnen , teils durch Schienen. Aber auch in diesen Fällen wird nie auf Bewegungen verzichtet.

Von der Regel, die Gelenke der oberen Gliedmassen nicht fest- zustellen, werden in besonderen Fällen (Subluxationen, sehr heftige Schmerzhaftigkeit) hin und wieder vorübergehend Ausnahmen ge- macht, wie man überhaupt keine Behandlung rein nach der Schab- lone durchführen soll. Ebenso gebrauche ich vorübergehend Streck- verbände und andere Hilfsmittel, um Kontrakturen in ungünstiger Stellung zu beseitigen. Niemals aber bleiben diese Verbände so dauernd liegen, dass sie zu einer schweren Versteifung führen.

Einen sehr ausgiebigen Gebrauch machen wir von der poli- klinischen Behandlung der Gelenktuberkulose. Das Krankenhaus ist sicherhch kein besonders günstiger Aufenthaltsort für Tuberkulöse. Ferner sind wenigstens die meisten grossen Krankenhäuser, besonders die Universitätskliniken, auf einen schnellen Wechsel ihrer Kranken angewiesen und können ihre be- schränkten Plätze nicht für die so ungemein chronisch verlaufende Tuberkulose zur Verfügung stellen.

1) Alle derartigen Apparate machen übrigens an sich schon Staxiungs- hyperämie in den kranken Gelenken, wovon man sich leicht überzeugen kann. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass in dieser Eigenschaft ein grosser Teil ihrer Erfolge beruht.

Behandlung der Tuberkulose. 269

Es ist ferner sehr natürlich, dass der behandelnde Assistent häufig nur wenig Interesse an dem langweiligen konservativen Heilverfahren hat. Er sähe viel lieber, wenn das Bett des Tuber- kulösen von einem Kranken belegt wäre, den er in den nächsten Tagen womöglich selbst operieren könnte, oder an dessen Operation er wenigstens Anteil hätte.

Deshalb behandeln wir fast sämtliche aus Bonn und Um- gegend zu uns kommenden, an chronischer Tuberkulose leidenden Kranken ambulant. Besonders wichtig ist diese ambulante Be- handlung für den praktischen Arzt. Er kann sich täglich die Patienten in die Sprechstunde bestellen, die Stauungsbinde selbst anlegen und den richtigen Grad der Stauung überwachen, bis die Kranken oder ihre Angehörigen das Verfahren selbst erlernt haben. Sind die Leute zuverlässig, so kann er ihnen die weitere Behand- lung in die Hand geben und braucht nur von Zeit zu Zeit sich selbst von dem Verlaufe zu überzeugen. Insbesondere soll er den Leuten einschärfen, dass sie sofort zu ihm kommen, sobald eine Verschlimmerung des Leidens eintritt. Es handelt sich dann ge- wöhnlich um entstehende kalte Absces'se, die möglichst bald ge- spalten und ausgesogen werden sollen.

Genau so verfahren wir in der hiesigen Poliklinik. Die ersten Wochen wird die Stauungsbinde unter der Aufsicht des Leiters der Poliklinik angelegt. Der Kranke bleibt mit umgelegter Binde eine Stunde im Wartezimmer sitzen und wird beobachtet, ob die Stauung auch richtig eintritt. Später lernt er oder seine Ange- hörigen das Verfahren selbst. An den Beinen legt er sich selbst die Binde an, an den Armen tut dies ein anderer, während der Kranke angibt, ob die Binde richtig sitzt.

Bei Kindern müssen die sie begleitenden Angehörigen minde- stens mehrere Tage die Stauungsbinde unter Aufsicht des Arztes anlegen, ehe sie entlassen werden.

Sogar Schröpfköpfe zum Aussaugen von Fisteln und ge- spaltenen Abscessen haben wir zuverlässigen Menschen mit nach Hause gegeben und gesehen, dass sie mit Erfolg angewandt wurden.

Ich soUte nun eine Übersicht der Fälle von Gelenktuberkulose geben, welche ich mit Stauungshyperämie behandelt habe. Wollte ich alle aufführen, die in Kiel, Greifswald und Bonn im Laufe von reichlich 16 Jahren dem Verfahren unterworfen wurden, so würde eine sehr stattliche Anzahl herauskommen. Aber die meisten

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dieser Fälle sind anders behandelt, als ich es jetzt für richtig ansehe, und eine sehr grosse Anzahl ist nicht mit Stauungshyper- ämie allein, sondern nebenher noch mit anderen konservativen Mitteln behandelt, die wir später als überflüssig oder schädHch aufgegeben haben, so dass die Beobachtungen nicht rein sind. Ich gestehe auch offen ein, dass die Statistik keineswegs über be- sonders hervorragende Resultate berichten würde, wenn sie sich auf jeden Fall mit bezöge, der einmal mit Stauungshyperämie be- handelt wurde. Sie würde neben glänzenden Erfolgen auch viele Misserfolge nachweisen, denn wir haben durch mannigfache Er- fahrungen erst lernen müssen, und ich wiederhole, was ich schon früher ausgesprochen habe : bei keiner der zahlreichen Krankheiten, bei welcher Hyperämie und insbesondere Stauungshyperämie mit Nutzen verwandt wird, hat uns die richtige Ausbildung der Technik so viel Mühe gemacht, als gerade bei der Tuberkulose. Dafür ist sie aber auch jetzt so ausgebildet, dass man das Verfahren unbe- denklich jedem praktischen Arzte in die Hand geben kann, voraus- gesetzt, dass er sich der Mühe unterzieht, die Beschreibung der Technik einmal aufmerksam durchzulesen, was wohl von vielen, die das Mittel angewandt haben, nicht geschehen ist. Denn sonst könnte es nicht passieren, dass, wie mir vor kurzem zu Ohren ge- kommen ist, ein Arzt die Stauungsbinde so fest anzieht, dass Brand der Zehen entsteht, und er auf das Gejammer des Kranken über Schmerzen antwortet, das müsse so sein. Ich kann doch nicht mehr tun, als immer und immer wieder betonen, dass die Stauungs- hyperämie niemals Schmerzen machen soll. In den Händen von unwissenden, nachlässigen oder mit natürlichem Ungeschick be- gabten Leuten ist eben jedes Mittel gefährlich, z. B. auch der Gipsverband.

Nicht ganz so töricht handelte ein anderer Arzt, der einem Kinde mittels einer v. Esmarch'schen Binde künstliche Blutleere anlegte, sie so lange unterhielt, als es wegen der Schmerzen mög- lich war, und sie dann lockerte und dies Verfahren die Eltern lehrte. Er trieb die Abschnürung doch nicht so weit, dass Er- nährungsstörungen an dem Gliede entstanden, und erzeugte wenig- stens die kurzdauernde nach der Abschnürung entstehende aktive Hyperämie, mit der wir vorübergehend auch einmal Versuche an- gestellt haben.

Dagegen halte ich es für angebracht, einen Bericht über unsere in Bonn vom 1. April 1903, dem Beginn meiner hiesigen Tätigkeit,

Behandlung der Tuberkulose. 271

bis zum 1. August 1904 nach unseren neuesten Grundsätzen be- handelten Tuberkulosen zu geben. Ich schliesse mit dem 1. August 1904 ab, um eine genügend lange Beobachtungszeit zu haben, und führe nur solche Fälle an, wo die Behandlung im Bedarfsfalle mindestens 9 Monate lang durchgeführt ist. Die Statistik ist deshalb nicht so sehr reichaltig ausgefallen, weil anfangs die Zahl unserer an tuberkulösen Gelenken erkrankten Patienten ziemlich gering war. Jetzt ist das Behandlungsverfahren mit der Stauungsbinde und mit schröpfkopfartigen Saugapparaten bei uns so populär geworden, dass wir bald mit ganz andern Zahlen auf- warten können, eine Tatsache, die sehr für die Güte des Verfahrens spricht.

Die aufgeführten Fälle sind sämtlich lediglich mit der Stau- ungsbinde behandelt, abgesehen davon, dass die schwer erkrankten unteren Gliedmassen mit den erwähnten Stützapparaten beim Gehen versehen wurden. Es sind also ganz reine Fälle. Ebenso sind sie mit Ausnahme der noch zu erörternden Kniegelenkstuberkulosen nicht ausgesucht. Es finden sich unter ihnen die schwersten auf- gebrochenen Tuberkulosen ebensogut wie beginnende, Greise wie Kinder. Unter 9 Monaten darf die Behandlung nur ausnahmsweise abgebrochen werden. In kürzerer Zeit erfolgte die Heilung nur in 13 Fällen von Gelenktuberkulose und zwar bei 6 Hand-, 4 Ell- bogen-, 1 Fuss- und 2 Kniegelenken. Natürlich haben viele Kranke die Geduld verloren, sind fortgeblieben oder haben sich in andere Behandlung begeben, wo sie operativ behandelt wurden.

In folgenden Fällen, die mindestens 9 Monate ausgehalten haben, hat Herr Dr. Schwalbe, dem ich diese Zusammenstellung verdanke 1), die Nachuntersuchung ausgeführt. Ich selbst habe mich ebenfalls in fast allen Fällen von dem Erfolge persönhch überzeugt.

1, Handgelenkstuberkulose. Behandelt wurden 17 Fälle, davon hatten von Anfang an Fisteln und Geschwüre 4 Fälle. In 5 Fällen mussten während der Behandlung Abscesse gespalten werden. Es heilten 15 und zwar alle mit befriedigender, 3 mit voller Beweglichkeit ohne jede Einschränkung, trotz schwerer anatomischer Zerstörung, Subluxationsstellung und gänzKcher Fingerversteifung in einigen Fällen. Gebessert wurden 2 Fälle, darunter ein fistulöser und eine schwere Handgelenkstuberkulose, bei der wegen kalter Abscesse mehrfach Einschnitte gemacht

1) Diese Statistik ist Ende August 1905 abgeschlossen.

272 Spezieller Teil.

werden mussten. Die durchschnittliche Behandlungsdauer betrug 12 Monate.

2. Ellbogengelenkstuberkulose. Behandelt wurden 11 Fälle. Davon waren von Anfang an fistulös 5 Fälle. Abscesse mussten in 8 Fällen gespalten werden. 8 Fälle heilten, darunter 2 fistulöse. Ganz normale Beweglichkeit wurde in keinem Falle, da- gegen in allen befriedigende Beweglichkeit erzielt. Der schlechteste Fall zeigte noch einen Bewegungsausschlag von 50° llS"". Auch dieser aber wird wahrscheinlich mit der Zeit noch beweghcher werden. Gebessert wurden 3 alles fistulöse Fälle. Die durch- schnittliche Behandlungsdauer betrug 9 Monate.

3. Fusstuberkulose. (Tuberkulose des Sprung-, Chopart- schen, Lisfranc'schen Gelenkes oder mehrerer dieser Gelenke zugleich.)

Behandelt wurden 13 Fälle, davon waren von Anfang an 8 fistulös. Abscessspaltungen mussten während der Behandlung in 6 Fällen gemacht werden. 8 Fälle, darunter 4 fistulöse, wurden geheilt, 3 gebessert, 1 Fall blieb unbeeinflusst, 1 wurde später ausserhalb der Klinik amputiert. Die durchschnittliche Behand- lungsdauer betrug 10 Monate. Volle Beweglichkeit wurde in 3 der geheilten Fälle, zufriedenstellende in den übrigen erreicht.

4. Kniegelenkstuberkulose. Behandelt wurden 5 Fälle, darunter 2 beginnende und 1 fistulöser. Geheilt wurden 3 Fälle, darunter 2 mit voller Beweglichkeit, 1 mit Versteifung in guter Stellung, gebessert wurden 2 Fälle, beide versteiften stark.

In weiteren 8 Fällen wurde nach kurzem Versuche mit Stau- ungshyperämie die Resektion ausgeführt.

5. Schultergelenkstuberkulose. 1 Fall; er heilte mit voller Beweglichkeit.

In dieser kleinen Übersicht fällt besonders die grosse Anzahl der Resektionen bei Kniegelenkstuberkulose auf. Während wir in jener Zeit bei keinem anderen Gelenke wegen Tuberkulose eine Resektion ausführten, resezierten wir von 13 Kniegelenkstuberkulosen 8. Dies hat seinen Grund in folgendem : Seitdem ich überhaupt Tuberkulose mit Stauungshyperämie behandele, habe ich beim Kniegelenk aus nicht weiter erkennbaren Gründen die schlechtesten Erfolge gehabt und zwar besonders bei den vorgeschrittenen Kapselfungen. Vor allem aber liess auch bei den geheilten Kniegelenkstuberkulosen nicht selten die Funktion sehr viel zu wünschen übrig, sie ver- steiften häufig und in schlechter Stellung. Eine gute Funktion

Jieliandlung dci- 'J'uherkulose. 278

ist aber für micli das hauptsächlichste Ziel der kouser- vativen Behandlung. Sehe ich, dass die Funktion durch eine schneller zum Ziele führende Operation mindestens so gut oder gar wahrscheinlich besser wird, so halte ich mich nicht mit lang- weiligen konservativen Mitteln auf.

Bei fast allen anderen der Behandlung mit Stauungshyperämie zugänglichen Gelenktuberkulosen haben wir nach der Ausheilung so vortreffliche Funktionen erzielt, wie sie die schonendste Operation niemals erreichen kann. Ich verfüge über eine grosse Anzahl von Fällen, wo auch der geschickteste und sorgfältigste Untersucher bei der Vergleichung der symmetrischen Gelenke ausser stände ist, anzugeben, welches Gelenk tuberkulös erkrankt gewesen ist. Dass man mit der Stauungshyperämie wirklich Dauererfolge erzielt, mögen folgende 3 Fälle aus dem Jahre 1891 und 1892 beweisen.

4. Ein 8jähi"iger Knabe erkrankte 2 Jahre vor der Aufnahme in die chirurgische Khnik in Kiel an Kniegelenkstuberkulose, welche mit See- bädern und Lederschutzverband mit nur vorübergehendem Erfolge behandelt ^vurde. Bei der Aufnahme fand man einen Tumor albus des linken Knie- gelenkes mit Subluxation des Unterschenkels nach hinten und geringer Beugekontraktur. Die Schmerzhaftigkeit war gering, doch war der Kranke unfähig zu gehen. Ich behandelte das kranke Knie zuerst mit Jodoform- einspritzungen ohne jeden Erfolg; dann vom 29. November 1891 bis zum 25. Januar 1892 mit heisser Luft, ebenfalls ohne Erfolg.

Vom 14. Mai bis zum 27. Juni 1892 wurde dauernd von da ab längere Zeit nur Nachts und schliesslich stundenweise Stauungshyperämie angewandt. Danach besserte sich das Leiden. Nach reichlich 10 Jahren teilte mir der junge Mann, welcher sich in der Kaufsmannslehre befand, mit, dass beide Knie gleich beweglich, gleich dick und stark sind, dass er den ganzen Tag stehen und gehen kann und nur nach anstrengenden Fuss- märschen etwas mit dem linken Beine hinkt.

5. Im Jahre 1892 behandelte ich in Kiel einen 17jährigen Schneider- lehrling, welcher an Tuberkulose des rechten Handgelenkes seit 2 Jahren litt. Es fand sich eine spindelförmige Anschwellung des rechten Hand- gelenkes. Drehung und Streckung waren ganz aiifgehoben, Beugung in geringem Grade möglich. Bei jedem Bewegiuigs versuche entstanden starke Sclimerzen. Die Hand war unbrauchbar.

Vom 15. Juni bis 25. August 1892 wurde dauernd, von da ab bis zum 24. Oktober Nachts Stauungshyperämie angewandt. Wie lange er noch später das Mittel stundenweise gebraucht hat, ist nicht mehr festziT- stellen.

Der Vater des jungen Mannes teilte mir 10 Jahre später mit, dass

die rechte Hand etwas kleiner und der rechte Arm etwas dünner geblieben

ist als der linke, das Leiden aber so ausgeheilt ist, dass sein Sohn das

Schneiderhandwerk aufgab und Reitknecht wurde, wo er die schwers c

Bier, Hyperämie als Heilmittel. 18

274 Spezieller Teil.

Arbeit mit der krank gewesenen Hand ohne Sehaden verrichten kann. Dieselbe ist in vollem Umfange gebrauchsfähig.

6. Ein 11 jähriges Mädchen, welches an Ellbogengelenkstuberkulose litt, bot folgenden Befund: Das rechte Ellbogengelenk war spindelförmig- geschwollen und stand im rechten Winkel fest. Bewegungen waren fast aufgehoben. Das Gelenk war auf Druck empfindlich. Vom 15. März bis 26. April 1892 wurde Stauungshyperämie dauernd, vom 27. April bis 26. Juni nur Nachts angewandt. In den letzten beiden Monaten wurde am Tage das Gelenk vorsichtig massiert i) und passiv bewegt. Am 27. Juni wurde das Kind entlassen. Die Stauungshyperämie wurde zu Hause des Nachts und später stundenweise fortgesetzt.

Das Mädchen ist jetzt erwachsen. Ihr Gelenk ist in vollem Umfange beweglich und kann zu jeder Arbeit gebraucht werden. Nur nach sehr schweren Anstrengungen tritt auch jetzt ein Gefühl von Lahmheit in dem rechten Arm ein, das bald verschwindet, wenn das Mädchen für kurze Zeit Stauungshyperämie anwendet.

Dass eine ideale Ausheilung der Tuberkulose nicht nur in „leichten" Fällen eintritt, zeigen folgende beiden Beobachtungen:

7. Im Jahre 1893 und 1894 behandelte ich einen damals 10 Jahre alten Knaben an schwerer aufgebrochener Tuberkulose des Kniegelenkes, welche schon seit 3^ Jahren bestand. Im Jahre 1903 wurde der junge Mann zum Militär ausgehoben. Seine BehaujDtung, dass er an Kniegelenks- tuberkulose gelitten, wurde ihm wegen der vollkommenen Ausheilung trotz der Fistelnarben nicht geglaubt. Erst auf eine Bescheinigung von meiner Seite, dass zweifellos eine schwere fistulöse Kniegelenkstuberkulose vorge- legen habe, wiu'de er vom Militärdienste befreit.

8. Ein 21jäliriger junger Mann wurde wegen Fussgelenkstuberkulose in hiesiger Klinik im Jahre 1904 mit Stauimgshyperämie behandelt. Das linke Fussgelenk war stark spindelförmig geschwollen und fast unbeweg- lich, es mass an verschiedenen Stellen 1^4 bis 5% cm mehr als das rechte. Ein kalter Abscess wurde gespalten. Am 1. August 1904 wurde der Mann geheilt entlassen. Die Umfange beider Gelenke waren gleich, der kalte Abscess und seine Fistel ausgeheilt. Das linke Fussgelenk war nach allen Richtungen hin beweglich. Im Frühjahr 1905 wtirde der Mann als diensttauglich zum Militär ausgemustert, wird aber voraussichtlich auf ein Attest der Klinik hin wieder davon befreit sein.

Weitaus am besten sind die Erfolge der Stauungshyperämie bei der Tuberkulose des Hand- und Ellbogengelenkes und der Fussgelenke gewesen. Von unseren obenerwähnten Fällen, die

1) Massage habe ich ganz vorübergehend auch bei tuberkulösen Gelenken, welche ixiit Stauungshyperämie behandelt wurden, gebraucht. Ich habe sie hier gänzlich verlassen, bei anderen Gelenkerkrankungen aber, wie mehrfach erwähnt, beibehalten.

Behandlung der Tuberkulose. 275

sich einer mindestens neunmonatlichen Behandlung unterzogen hatten, heilten aus:

das Handgelenk in 88%,

das Ellbogengelenk in 72,7%,

die Fussgelenke in 61,5% der Fälle.

Dabei sei nochmals ausdrücklich erwähnt, dass diese Fälle nicht ausgesucht waren, wie schon die grosse Zahl der aufgebrochenen Tuberkulosen beweist, und dass wir in der ganzen Zeit an diesen Gelenken nicht eine einzige Resektion ausgeführt haben.

Natürlich leidet ja diese kleine Statistik, wie alle anderen, an erheblichen Mängeln, zumal schwer zu sagen ist, was Heilung bei Tuberkulose bedeutet, und wir nicht wissen können, ob nicht in dem einen oder anderen Falle ein Rezidiv auftritt. Davor schützt aber keine einzige Behandlungsmethode, und wie mich über ein Jahrzehnt bestehende Heilungen belehrt haben, führt die Stauungs- hyperämie tatsächlich zu Dauerresultaten. Rezidive werden wieder mit Stauungshyperämie behandelt.

Zuweilen halten mit der Besserung der Funktion und der Ab- nahme der Schmerzen die objektiven Veränderungen am Gelenk nicht gleichen Schritt. Insbesondere ist die Schwellung zuweilen noch im ganzen Umfange vorhanden, während die Glieder schon ohne Beschwerden gebraucht werden, nur unterscheidet sie sich von der ursprünglichen Anschwellung in der Regel durch ihre grössere Härte. Die Rückkehr zur normalen Gelenkform geht also gewöhnlich ganz allmählich vor sich.

Das Hartwerden weicher tuberkulöser Wucherungen ist das beste Zeichen für die Ausheilung.

Neben diesen nur sehr langsam heilenden Fällen aber habe ich Tuberkulosen gesehen, die mit unglaublicher Schnelligkeit unter Stauungshyperämie sich besserten, so dass sie bald gänzlich den Charakter der tuberkulösen Erkrankung verloren. Die Fälle sind so auffallend, dass ich immer wieder die grössten Bedenken hatte, dieselben wirklich zu den Tuberkulosen zu zählen, und an- nahm, es könnten Fehldiagnosen vorliegen, insofern als ein osteo- myelitisch, gonorrhoisch oder anderweitig erkranktes Gelenk einmal einen chronischen Verlauf zeigte und fälschlich für eine Tuber- kulose gehalten würde. Aber trotzdem habe ich solcher Fälle jetzt doch im ganzen vier bis fünf gesehen, wo an der Richtigkeit der Diagnose wohl kein Zweifel obwalten konnte.

18*

276 Spezieller Teil.

Alle diese, unter Stauungshyperämie schnell ihren Charakter verändernden Tuberkulosen zeichnen sich ausnahmslos dadurch aus, dass unter der Stauungsbinde, häufig sogar bei nur geringer Ab- schnürung, eine gewaltige Reaktion eintritt. Das kranke Gelenk färbt sich feurigrot und fühlt sich heiss an. Zuweilen treten Blasen oder akute Ekzeme auf, so dass jemand, dem die Stauungsbinde verborgen bliebe und der das Glied sähe, annehmen würde, hier handle es sich um eine hochakute Entzündung. Nach wenigen Wochen kann man auf jedes weitere Mittel verzichten, die Tuber- kulose heilt von selbst mit steinharter Bindegewebsbildung am kranken Gelenk aus. Leider sind diese Fälle ausserordentlich selten.

Schliesslich hätte ich noch die Beobachtungen, welche andere mit der Stauungshyperämie, die mit der Gummibinde hervorge- rufen wird, gemacht haben, zu erwähnen. Aber die Literatur darüber ist, trotzdem meine erste Mitteilung über dies Verfahren jetzt 15 Jahre her ist, so spärlich, dass es sich nicht lohnt, aus- führlich darauf einzugehen. Über verhältnismässig gute Erfolge sind aus der v. Mikulicz' sehen Klinik von Henlei) und ausser- dem von Habs 2), M annig er ^) und Kirch hoff*) berichtet. Aber obwohl man in der Literatur nur wenig darüber findet, so weiss ich doch, dass man vorwiegend schlechte Erfahrungen mit der Anwendung der Stauungshyperämie bei Tuberkulose gemacht hat. An den meisten Stellen hat man das Verfahren als gefährlich, unsicher oder unwirksam aufgegeben.

Dadurch lasse ich mich keineswegs entmutigen. Ich weiss zwar sehr wohl, dass es nicht nur unehrlich, sondern auch dumm ist, einen als verloren erkannten Posten halten zu wollen. Aber ich weiche hier auch nicht einen Schritt zurück, sondern im Gegen- teil, ich tue einen vorwärts und behaupte, dass der weitaus grösste Teil der Misserfolge nicht auf das Verfahren, sondern auf seine Anwendung zurückzuführen ist, wovon gleich die Rede sein soll.

1) Henle, Die Behandlung der tuberkulösen Gelenkerkrankungen und der kalten Abscesse an der chirurgischen Klinik in Breslau in den Jahren 1890—1896. Beiträge zur klinischen Chiriu-gie. 20. Bd. 3. Heft.

2) Habs, Über die Bier'sche Stauung. Münchner med. Wochenschrift 1903. Nr. 22.

3) Manniger, Die Heilung lokaler Infektionen mittels Hyperämie. Würz- burger Abhandlungen. VI. Band. 6. Heft.

4) Kirchhoff, Über Behandlung der Tuberkulose nach Bier. Inaugural- dissertation München 1906.

Behandlung der Tuberkulose. 277

Und während ich früher für die Stauungshyperämie in Anspruch nahm, dass sie ein gutes Verfahren gegen Gelenktuberkulose sei, welches neben den anderen einen hervorragenden Platz behaupte, so erkläre ich sie jetzt für das weitaus beste konservative Mittel, das wir besitzen, welches mit den geringsten Gefahren am ein- fachsten und am billigsten Erfolge erreicht, besonders was die Funktion der kranken Gelenke anlangt, mit denen sich keins der andern auch nur annähernd messen kann. Es kommt hinzu, dass es zugleich das angenehmste von allen ist, welches dem Kranken seine Schmerzen benimmt, ohne ihm neue zu machen, und ihm am vollkommensten den Gebrauch seines Gliedes lässt.

Dass damit die verstümmelnden Operationen gänzlich aus der Welt geschafft werden, will ich keineswegs behaupten, denn auch dieses Mittel versagt zuweilen, es ist durchaus nicht unfehlbar, um so mehr, als es ein hochgradig individuelles Mittel ist, denn es kommt immer darauf an, welcher Art das Blut ist, das uns der Kranke gegen das Leiden zur Verfügung stellt. Aber ich bin fest überzeugt, dass mit der fortschreitenden Erfahrung auf diesem Gebiete, und mit noch besserer Ausbildung der Technik für jeden einzelnen Fall, die Erfolge noch weit günstiger und die Operationen noch mehr zurückgedrängt werden.

Der merkwürdige Unterschied zwischen den Erfolgen anderer Ärzte und den meinigen bedarf der Erklärung. Zunächst haben die meisten eine fehlerhafte Technik angewandt. Denn ich weiss sowohl aus mündlichen Berichten, als auch aus kurzen schriftlichen Mittei- lungen, die die Stauungshyperämie verwerfen, dass sehr viele das Verfahren wegen zu grosser Schmerzhaftigkeit aufgegeben haben. Die haben es sicher grundfalsch angewandt und seinen Sinn gänzlich missverstanden, ich brauche wohl nicht noch- mals die Beweise dafür zu wiederholen. Der zweite Grund ist darin zu suchen, dass bei der zuerst mangelhaften Technik, deren Ausbildung viel Zeit und Mühe kostete, anfangs in der Tat Ver- schlimmerungen der Tuberkulose durch Stauungshyperämie vor- kamen, von denen die häufigste und lästigste die sehr grossen und schnell wachsenden Abscesse waren, die die übertrieben lange an- gewandte Stauung hervorbrachte.

Es kommt hinzu, dass wohl alle Chirurgen die Entstehung des kalten Abscesses, auch wenn er sich allmählich entwickelte, als eine Verschlimmerung betrachteten. Ich selbst gab zuerst den verkehrten Rat, möglichst ihre Eröffnung zu verhüten, sie zu

278 Spezieller Teil.

punktieren und mit Jodoform zu behandeln und diese Behandlung mit der Stauungshyperämie zu verbinden. Brach der Abscess dann durch, so hielt man wegen der törichten oben erwähnten Unter- scheidung der einzelnen Fälle in konservativ und operativ zu be- handelnde die Resektion für nötig. Der kalte Abscess, der unter der Stauungshyperämie entsteht, bedeutet aber durchaus keine Verschlimmerung der Tuberkulose, wenn er frühzeitig erkannt und richtig behandelt wird. Eben- sowenig bietet die fistelnde Tuberkulose einen Gegengrund gegen die konservative Behandlung. Ich kann versichern, dass diese Fälle oft viel schneller und besser heilen, als die trockenen, ge- schlossenen und geschlossen bleibenden Tuberkulosen. Man hat also vielfach als Verschlimmerungen gedeutet, was keine waren. Den dritten Grund für die Verwerfung der Stauungshyperämie bei Tuberkulose sehe ich darin, dass man zu schnelle Erfolge da- von erwartet hatte. Wie erwähnt, höre ich nur selten mit der Be- handlung vor 9 Monaten auf, häufig aber gebrauche ich viel längere Zeit. Aber ist nicht die Behandlung der Tuberkulose mit anderen Mitteln auch langweilig? Und wir werden für die lange Dauer durch die viel besseren funktionellen Erfolge entschädigt. Es kommt hinzu, dass der grösste Teil der Tuberkulösen seine kranken Ge- lenke während der Behandlung gebraucht, was doch bei den ope- rativen Methoden gänzlich ausgeschlossen ist.

In neuerer Zeit haben wir nun, wie es scheint, wieder einen grossen Schritt vorwärts in der Behandlung der fistelnden und mit Abscessen einhergehenden Tuberkulosen gemacht, indem Klapp in der hiesigen Poliklinik meine vor etwa 10 Jahren häufig geübte Be- handlung tuberkulöser Erkrankungen mittels des Schröpfkopfs mit verbesserter Technik und besserem Erfolge wieder aufgenommen hat. Ich erwähnte schon oben, dass wir jetzt bei der in Rede stehenden Form der Tuberkulose gewöhnlich Abscesse und Fisteln neben der Bindenstauung mit dem Schröpfkopfe aussaugen, dadurch den Eiter und käsige Granulationen herausbefördern und gleich- zeitig hyperämisieren. Klapp hat nun versucht nur bei absce- dierenden und fistelnden Fällen die Behandlung lediglich mit dem Schröpf köpfe auszuführen.

Behandlung der Tuberkulose. 279

Dies erscheint deshalb aussichtsvoll, weil, wie schon erwähnt, der Schröpf köpf offenbar bis in grosse Tiefen hinein hyperämisiert und bei den Gelenken Fisteln und Abscesse regelmässig direkt über dem tuberkulösen Herde und nicht wie bei der Wirbelkaries oft weit davon entfernt liegen.

Folgendes ist die Technik dieser Behandlung:

Die hier zur Verwendung kommenden Formen der Schröpf- gläser sind auf Seite 81 ff. beschrieben. Sie sind die gleichen wie die bei der Behandlung akuter, oberflächlicher Entzündungen ge- bräuchlichen. Da die Schwellung der tuberkulösen Gelenke oft nicht so stark ist wie bei akuten Entzündungen, bei denen das Ansetzen der Schröpfköpfe eben durch die Schwellung und Verstreichung der Furchen ganz besonders leicht ist, so müssen Gläser Ver- wendung finden, welche sich der Körperform besonders gut an- passen, z. B. solche mit Rändern, welche nicht in einer Ebene ab- geschnitten, sondern hohl, den Gelenkformen entsprechend, aus- geschnitten sind (s. Fig. lle). Die letzteren können da noch gut angesetzt werden, wo die ersteren versagen.

Im allgemeinen kann man die Mannigfaltigkeit der Gläser oft durch persönliche Geschicklichkeit ausgleichen.

Die Vorbereitung der Schröpfgläser zum Gebrauch erfordert ganz besondere Aufmerksamkeit. Die mechanische Reinigung, das Auskochen und die Aufbewahrung in Sublimat 1 : 1000 hat sich uns am besten bewährt, bedarf aber, wenn sie vom Wartepersonal ausgeführt wird, einer beständigen Kontrolle. Darauf weise ich wiederholt hin, damit der Einführung dieser Saugbehandlung nicht der Vorwurf der Schmutzerei, der Gefahr der Überimpfung usw. gemacht werden kann.

Die Vorbereitung ist zeitraubend und umständlich. Man wird sich aber, wenn diese Behandlung der Zeit und Kritik standhält, ebenso daran gewöhnen wie zum Beispiel an unsere recht lang- weiligen aseptischen Massnahmen.

Die Behandlung mit Schröpfköpfen wird fast ausschliesshch bei der zur Erweichung neigenden Form der Tuberkulose ver- wandt, und nur für diese soll sie, wenigstens vorläufig, empfohlen werden.

Es macht dabei keinen Unterschied, ob es sich um Knochen-, Drüsen- oder sonstige Tuberkulosen handelt. Die mit Abscedierung und Fistelbildung einhergehende Tuberkulose dieser Organe reagiert gleich günstig auf den Schröpfkopf.

280 Spezieller Teil.

Der letztere wird bei allen, bis dahin nicht behandelten auf- gebrochenen und fistulösen Tuberkulosen anfangs täglich % Stunde angewandt. Die für die akuten Entzündungen gegebenen Regeln, dass man den Schröpfkopf nach etwa 5 Minuten langem Saugen für 3 Minuten abnehmen muss, gelten auch hier. Die Kranken werden nur so lange täglich behandelt, bis die schlaffen und blassen tuberkulösen Granulationen sich in rote und harte umwandeln und auch die nächste Umgebung der Fistel allmählich hart wird. Dann ist es an der Zeit, die Pausen zwischen den bis- her täglichen Sitzungen zu vergrössern; die Sitzungen finden dann anfangs alle 2, später alle 3, schliesslich nur alle 8 Tage statt.

Sind kalte Abscesse vorhanden, so werden diese unter sorg- fältiger aseptischer Vorbereitung mit einem Stich geöffnet und so- fort mit dem Schröpfkopf ausgesogen. Zuerst bildet sich bis zum nächsten Tag schon der Abscess wieder. Wird aber täglich so lange ausgesogen, bis sich nur blutiges Serum entleert, so hört die Eiterung bald auf. Ist dies erreicht und werden die Granulationen gleichzeitig derb und rot, so werden die längeren Pausen ein- geschaltet.

Man soll nur ja nicht denken, dass man desto mehr erreiche, je mehr man schröpfe. Man kann auch zuviel des Guten tun, und der Übereifer schadet, wie bei jedem wirksamen Mittel, so auch hier.

Während das Saugen bei akuten lokalen Entzündungen, wie Furunkeln, Karbunkeln, heissen Abscessen, stets nur so gering be- messen werden darf, dass der Patient bei diesen schmerzhaften Leiden nicht klagt, kann es bei tuberkulösen Fisteln und Abscessen etwas stärker sein.

Ins Praktische übersetzt heisst das für jeden, der die Behand- lung noch nicht kennt: Bei akuten Entzündungen soll in den Gummiball, welcher die Luftverdünnung besorgt, nur eine leichte, bei Tuberkulosen eine tiefere Delle beim Ansetzen gedrückt werden.

Diese Behandlung für sich allein ergibt bei den fistelnden und abscedierenden Tuberkulosen gute Resultate. Es ist aber besser sie mit der Bindenstauung zu verbinden.

In der Nachbarschaft mit dem Schröpf köpf behandelter fistulöser Tuberkulose sieht man nicht selten Geschwüre auf- treten, die als Impftuberkulosen aufzufassen sind. Klapp rät, um dies zu vermeiden, zu folgendem Verfahren: Nach Abnahme des Verbandes und vor dem Saugen wird die Umgebung mit

Behandlung der Tuberkulose. 281

Benzin gereinigt und im weiten Umkreise mit Fett (Lanolin + Vaseline aa) bestrichen. Nach dem Saugen wird das alte Fett mit Benzin entfernt und neues auf gestrichen.

Die Behandlung mit dem Schröpfkopf scheint mir schon des- halb von grosser Bedeutung, weil sie eine lange nicht so sorgfältige Technik erfordert wie die Bindenstauung. Aber auch jene kann man unrichtig anwenden. Das geht schon daraus hervor, dass ich mit meinen ausgedehnten, vor etwa 10 Jahren mit dem Schröpf - köpf gemachten Versuchen keine so guten Erfolge erzielte, wie jetzt Klapp, und deshalb dieses Verfahren mehr in den Hinter- grund treten liess. Es lag dies wohl in erster Linie daran, dass ich den Schröpfkopf viel zu lange, ohne Pausen und zu stark wirken liess. Wir machten denn auch bald bei den schon beschrie- benen grossen Saugapparaten die Erfahrung, dass in jeder Sitzung zwischen den einzelnen Hyperämisierungen Pausen eingeschoben werden müssen. Durch Übertragung dieser Erfahrung auf die Schröpf köpfe ist Klapp wohl in erster Linie glücklicher gewesen.

Auch bei dieser Behandlung werden weder Granulationen ge- schabt, noch wird tamponiert, drainiert oder sondiert. Stich- öffnungen, Fisteln und Geschwüre werden nur mit einem asepti- schen Verbände bedeckt.

Die Besserung des tuberkulösen Gelenkes macht sich auch bei der Schröpfkopfbehandlung dadurch kenntlich, dass die weichen fungösen Wucherungen hart werden und die Spindelform den normalen Umrissen Platz macht.

Interessante Beobachtungen über die Einwirkung des Schröpf - köpf s auf tuberkulöses Gewebe machte Hofmann^). Bei der histo - logischen Untersuchung von vor und nach der Saugung entnom- menen Granulationen ergab sich, dass die mit Leukocyten voll- gepfropften verengten Gefässe sich sehr stark unter dem Einfluss des Schröpfkopfs erweiterten, die Leukocyten aus ihnen sowie aus dem Gewebe verschwanden und förmlich ausgewaschen wurden. Die letzteren finden sich mit zahlreichen Bakterien im Schröpf- kopf wieder. Es zeigte sich sogar, dass die Leukocyten mit grosser Gewalt bis in die obersten Schichten der Epidermis hineingezogen werden. Hof mann konnte auch meine früher durch klinische Beobachtungen gewonnene Ansicht, dass die zuerst leicht bluten-

1) Hofmann, Veränderungen im Granulationsgewebe fistulöser fungöser Herde durch Hyperämisierung mittels Saugapparate. Münchner med. Wochen- schrift 1905. Nr. 39.

282 Spezieller Teil.

den kleinen Gefässe bei mehrmaliger Anwendung des Saugapparates erstarken, durch die histologische Untersuchung bestätigen. Er fand, dass die bindegewebigen Elemente der Gefässwand sich ver- mehrten und die einfache Endothelschicht sich in eine mehr- schichtige verwandelte. Zahlreiche neu auftretende Gefässsprossen machen es wahrscheinlich, dass die Saugung auch die Gefäss- neubildung begünstigt.

Auch mit den auf S. 89ff. beschriebenen grossen Saugapparaten, die ich schon in der ersten Zeit meiner Versuche mit Hyperämie in unvollkommener Form anwandte, habe ich vor 6 Jahren eine An- zahl geschlossener und offener Tuberkulosen behandelt.

Bringt man ein tuberkulöses Gelenk in diesen Apparat hinein und verdünnt die Luft, so pflegt eine ganz gewaltige Hyperämie und Schwellung des kranken Teiles einzutreten. Zuweilen ist die- selbe in den ersten Tagen nur gering, tritt aber nach 2 4 maligem Gebrauch des Apparats regelmässig mit grösster Stärke auf. Aus Fisteln und Geschwüren ergiesst sich dabei blutig gefärbtes Serum und Eiter, die Granulationen quellen stark hervor, sie werden ge- wissermassen aus der Tiefe herausgesogen. Häufig tritt in der ersten Zeit bei Fisteln und Geschwüren eine Blutung auf, doch bei weiterem Gebrauch des Apparates werden die Granulationen wider- standsfähiger und bluten nicht mehr. Bei täglicher Anwendung bleibt Ödem bestehen, welches die höchsten Grade erreichen und selbst, wenn man nur jeden zweiten Tag den Apparat anwendet, chronisch werden kann.

Die Wirkungen des Apparates auf den Verlauf der Tuber- kulose waren, wenn wir ihn täglich anwandten, im höchsten Grade verschieden. In den einen Fällen erzielte er die schnellsten und auffallendsten Besserungen, in den anderen zweifellos ebenso schnell eintretende Verschlimmerungen, im ganzen genau dieselben, wie bei der früher angewandten übertriebenen Bindenstauung, nämlich kalte Abscesse, Durchbruch derselben und Verwandlung in Geschwüre, Wucherungen von Granulationsmassen und Entstehen fressender Geschwüre mit weit unterminierten, verdünnten Hauträndern, nur dass der ganze Vorgang, entsprechend der bedeutend energischeren Wirkung des Apparates, sich viel schneller abspielte. Ausserdem sahen wir auch hier zweimal eine akute Infektion hinzutreten (Fall 11 und 12). Ebenso aber hatten wir mit demselben Mittel auch die besten Erfolge selbst in sehr schweren Fällen zu verzeichnen. Für beides will ich Beispiele angeben:

Behandlung der Tuberkulose. 283

9. Eine 51jährige Frau fiel im Februar 1901 während eines Schwindel- anfalles zu Boden, einige Tage später traten Schmerzen im Kniegelenke auf, die sich erheblich verschlimmerten und in der letzten Zeit so stark wurden, dass die Kranke nxw unter starken Schmerzen und hinkend gehen konnte und des Nachts häufig durch Schmerzen aufwachte. Sie wurde am 15. Februar 1902 in die Greif swalder chirurgische Klinik aufgenommen.

Das linke Kniegelenk ist spindelförmig geschwollen und misst 2^/4 cm mehr im Umfange als das rechte, es steht in Beugekontraktur, lässt sich nicht strecken und aktiv nicht ganz bis zu einem rechten Winkel beugen. Beim Beugen des Knies springen seitlich und vmterhalb der Kniescheibe starke pseudofluktuierende Beulen vor.

Vom 20. Februar bis 8. April wurde jeden Tag 20 Minuten lang der Saugapparat angewandt. Eine starke Hyperämie trat erst bei der dritten Anwendung und von da ab regelmässig auf. ödem bildete sich nicht.

Am 14. März hatte die Kranke alle ihre Schmerzen verloren, ging ohne zu hinken und schmerzfrei, fühlte sich vollkommen gesund und konnte sogar laufen. Am 9. April wurde sie entlassen mit folgendem Befunde: Das Knie kann vollkommen gestreckt und bis zu einem Winkel von 70° aktiv gebeugt werden. Der Umfang des linken Knies misst an seiner stärksten Stelle 1 cm mehr als der des rechten. Die Kranke kann den ganzen Tag ohne die geringsten Beschwerden ihr Knie gebrauchen.

Der nächste Fall möge ein Beispiel für die Ausheilung einer sehr schweren und weit vorgeschrittenen Gelenktuberkulose unter Hyperämie durch den Sauga^pparat abgeben:

10. Ein 13 jähriger Knabe erkrankte im August 1900 an einer Tuber- kulose des linken Ellbogengelenkes. Er wurde zuerst am 12. Juni 1901 in die Klinik aufgenommen mit einer spindelförmigen Anschwellung des linken Ellbogengelenkes, die zu grossen kalten Abscessen gefülirt hatte. Das Röntgenbild wies scheinbar einen Sequester im Olecranon nach. Das Ellbogengelenk stand in einem Winkel von 105° fest. Bewegungen waren aktiv gar nicht, passiv nur in geringsten Grenzen ausführbar.

Da es sich um eine stark abscedierende Tuberkulose handelte, wurden die Abscesse gespalten, ausgeräumt und nach Billroth wieder vernäht, nachdem sie mit Jodoformglycerin ausgefüllt waren: der vermutete Sequester im Olecranon wurde nicht gefunden. Es trat fast völlige Heilung per primam ein, und der Kranke wurde am 12. Juli 1901 in die Behandlung seines Hausarztes entlassen.

Der Knabe wurde am 21. Februar 1902 mit einer sehr schweren Tuberkulose des Ellbogengelenkes wieder aufgenommen. Dasselbe war un- förmlich spindelig angeschwollen mid ringsherum mit zahlreichen und grossen Geschwüren besetzt, welche mit schwamiuigen, grauen Granula- tionen bedeckt waren, unterminierte Hautränder hatten, aus denen Fisteln in die Tiefe führten. Das ausgedehnteste dieser Geschwüre hatte die Grösse eines Fünfniarkstückes. Die Geschwüre und Fisteln eiterten stark.

284 Spezieller Teil.

Die Sonde kam auf raulien Knochen. Die Haut war so stark unter- miniert, dass die in eine Fistel eingeführte Sonde aus einer zweiten, 7 cm davon entfernten Fistelmündving wieder herauskam. Das Ellbogen- gelenk war auf Druck sehr schmerzhaft, der linke Oberarm sehr stark atrophisch.

Vom 25. Februar ab wurde der Kranke mit dem SaugapjDarate be^ handelt, welcher täglich 20 Minuten lang angewandt wurde. Die Gelenk- gegend wurde dabei dunkelblau, aus den Fisteln entleerten sich blutiges Serum, Eiter, Blut und schwammige Granulationsmassen. Noch stunden- lang nach Anwendung des Apparates fühlte sich die Gegend des kranken Ellbogengelenkes heiss an. Schon nach 14tägiger Anwendung nahm die Absondeiamg der Geschwüre und Fisteln erhebhch ab, die Granulationen gewannen ein dunkelrotes Aussehen, die unterminierte Haut fing an, axd der Unterlage fest zu heilen. Nach weiteren 14 Tagen bemerkte man, dass die früher weiche Schwellung sehr derb wurde. Am 1. Mai wurde fest- gestellt, dass die Fisteln kavmi noch absonderten, die Haut überall auf- geheilt war, und die Geschwüre sich mit einer Borke bedeckten, welche ich ruhig sitzen Hess. Im Mai wurde eine 14tägige Pause eingeschoben und dann die Behandlung mit dem Saugapparat, die jetzt nur jeden 2. Tag ausgeführt wurde, wieder begonnen. Am 1. August 1902 wurde der Kranke mit folgenden Befunde entlassen: Alle Geschwüre und Fisteln sind über- häutet und ausgeheilt, das Gelenk sieht schlank aus und hat die Spindel- form vollkommen verloren, es fühlt sich ringsherum steinhart an. Die Beweglichkeit hat nicht zugenommen. Dem Kranken ist vor seiner Ent- lassiuig noch die Bindenstauiing gelehrt worden, welche er zu Hause noch täglich eine Stunde lang anwenden sollte.

Sehr interessante Befunde ergab das Röntgenbild. Das bei der Auf- nahme des Kranken hergestellte Bild zeigte die Gelenkenden der Knochen verschwommen und nicht auseinander zu halten. Die Knochen waren stark atrophisch. Mit der fortschreitenden Besserung wurden die Knochen deutlicher, waren bei der Entlassung sehr scharf, zeigten in der Gegend der frülieren Erkrankung einen sehr deutlich dunkleren Schatten als die entfernten nicht erkrankten Teile und waren stark aufgetrieben. Wie es nach dem Bilde scheint, besteht eine knöcherne Ankylose zwischen den Gelenkenden. In den Weichteilen mn das Gelenk sieht man strangförmige dunkle Schatten, welche Avahrscheinlich derben Bindegewebszügen ent- sprechen, die sich aus den Granulationen entwickelt haben und beim An- fühlen dem Gelenk die Steinhärte verleihen.

Diesen vortrefflichen Erfolgen gegenüber, die ich noch durch eine Anzahl andere vermehren könnte, haben wir unter dem Ein- fluss des Saugapparates erhebliche VerschHmmerungen von Gelenk- tuberkulosen bemerkt, von denen ich die beiden schlimmsten hier anführen will.

11. Ein 53 jähriger Tischlermeister erkrankte angeblich am 23. Februar 1901 infolge einer Verstauchung beim Häckselschneiden am rechten Hand-

Behandliing der Tuberkulose. 285

gelenk. Dasselbe M'urde schmerzhaft und schwoll an. Die Erscheiniingen verschlinamerten sich allmählich, und der Kranke wurde deshalb am

22. Nov. 1901 in die Klinik aufgenommen.

Er litt an ausgebreiteter, doppelseitiger Lungentuberkulose. Das rechte Handgelenk mass im Umfange 3^2 cm mehr als das linke. Es war fast vollständig versteift, ebenso die Finger. Die Rotation war ebenfalls stark beschränkt.

Seit dem 24. November 1901 wurde das kranke Glied täglich zwei- mal Y2 Stunde mit dem Saugapparate behandelt. Es trat sehr starke Hyperämie luid nach mehrmaliger Anwendung chronisches ödem auf. Axa

23. Januar 1902 fand sich, nachdem vorher die Beweglichkeit der Finger und des kranken Handgelenkes sich erheblich gebessert hatte, ein kalter Abscess an der Ulnarseite der Hand, welcher punktiert wurde ohne nach- folgende Jodoformeinspritzung. Die Behandlung mit dem Saugapparate wurde darnach für einige Tage ausgesetzt, dann wieder begonnen. Seit dem 14. Februar wnrde der Apparat nur alle zwei Tage 20 Minuten lang an- gewandt. Am 20. Februar brach der Abscess von selbst dxirch und musste, da sich Eiterverhaltvmg einstellte, gespalten werden. Es trat eine Misch- infektion mit hohen Fiebererscheinungen ein, so dass am 23. April die Resektion des Handgelenkes und am 27. Mai wegen fortschreitender Eiterimg die Amputation des Vorderarmes besonders mit Rücksicht auf die schwere Lungenphthise ausgeführt werden musste.

12. Ein 3 jähriger, stark ski'ophulöser Knabe' litt an aufgebrochener schwerer Tuberkulose des rechten Handgelenkes; er wrirde vom 10. bis 25. März 1902 täglich 20 Minuten lang im Schröpf apparate behandelt. Der Apparat brachte eine selir starke Hyperämie und ein ausgedehntes chronisches ödem hervor. Am 26. März entstand eine akute Entzündung des kranken Handgelenkes mit Rötung der Haut bis auf den Oberarm hin- auf, die dazu zwang, die Behandlung auszusetzen. Die Entzündung ver- schwand nach Verlauf einiger Tage, aber unterdessen machte die Tuber- kulose des Handgelenkes erhebliche Fortschritte. Die Verschlimmerung bestand im Auftreten mehrerer neuer Geschwüre mit stark wuchernder Granulation und imterminierten Hauträndern. Vom 25. Juni ab wiirde dann täglich 1 Stunde lang die Bindenstauung eingefülirt, welche eine langsame, aber deutliche Besserung hervorbrachte.

Deshalb schrieb ich in der ersten Auflage dieses Buches: ,,Wir haben also bei der Behandlung mit dem Schröpf apparate neben sehr guten Erfolgen dieselben Misserfolge gehabt, welche wir früher bei der sehr starken und dauernden Bindenstauung ge- sehen haben, und daraus den Schluss gezogen, dass wir den Saug- apparat zu lange und zu kräftig angewandt haben. Wir haben dann nach diesen Vorversuchen seine Anwendung bedeutend herab- gesetzt und benutzen ihn jetzt so, dass er keine chronischen Ödeme erzeugt. Er wird deshalb niemals mehr täglich, sondern je nach der Reaktion, die er hervorruft, alle zwei bis vier Tage einmal 20 Minuten lang angewandt, und es wird dafür gesorgt, dass er

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nicht von neuem gebraucht wird, bevor nicht entstandenes Ödem verschwunden ist. Wir haben seitdem jene Misserfolge nicht mehr erlebt, aber noch nicht Erfahrung genug, um ein Urteil über den Wert des Verfahrens gegen Gelenktuberkulose abgeben zu können. Ich empfehle deshalb einstweilen dem praktischen Arzte zur Be- handlung der Gelenktuberkulose lediglich täghch eine Stunde lang mit der Binde hervorgerufene Stauungshyperämie und rate dem Ungeübten von dem Gebrauch des Saugapparates, bis weitere Er- fahrungen über die Vorsichtsmassregeln, die dabei anzuwenden, und über seine Wirkung gesammelt sind, ab."

Leider habe ich diese Erfahrungen auch jetzt noch nicht ge- sammelt, da ich versäumt habe, mit den grossen Saugapparaten weitere Versuche in der Behandlung der Gelenktuberkulose anzu- stellen. Das Gebiet, das der hyperämisierenden Behandlung zu- gänglich ist, ist eben so gross, dass es die Kräfte einer einzelnen Klinik übersteigt, alles auf einmal genügend auszuprobieren.

In der ersten Auflage beschrieb ich, dass wir bei Verwendung der Saugapparate, gerade wie jetzt bei der der Schröpfköpfe, nie- mals dauernd in einer Sitzung hyperämisieren, sondern immer nach einigen Minuten eine Pause von 20 Sekunden bis 1 Minute ein- schieben. Nach unseren neuesten Erfahrungen mit den Schröpf- köpfen empfiehlt es sich vielleicht, diese Pausen noch länger zu gestalten.

Inzwischen hat Klapp in der hiesigen Poliklinik mit sehr befriedigendem Erfolge die Spina ventosa mit dem Saug- apparate behandelt. Die Behandlung dieser Krankheit liegt noch sehr im Argen. Die Bindenstauung leistete hier, wenigstens bei vorgeschrittenen Fällen, wenig, Jodoformeinspritzungen und andere konservative Mittel noch weniger, und die chirurgischen Eingriffe ergäben ebenfalls sehr massige Erfolge, zumal sie gewöhnlich zu einer Verstümmelung des betreffenden GKedabschnittes führen. Klapp richtete den Saugapparat für derartige Fälle sehr einfach her. Er versah einen v. Esmarch'schen gläsernen Irrigator an seinem offenen Ende mit einer weiten Paragummimanschette, die er mit Leder daran befestigte. Die weite Manschette ermöglicht es, eine Kinderhand mit aufgebrochener Spina ventosa in das Gefäss zu bringen, ohne dass die Wunde den Gummi streift. Die weite schmiegsame Manschette wird mit einer Gummibinde an den Arm des kranken Kindes gewickelt. Die Luft wird in gewöhnhcher Weise mit einer Saugpumpe verdünnt.

Behandlung der Tuberkulose. 287

In der ersten Zeit wird der Apparat täglich etwa 45 Minuten angewandt. Mit der fortschreitenden Besserung schiebt man immer grössere Pausen ein, bis man ihn schhesshch nur alle 8 Tage einmal %. Stunden gebraucht.

Kalte Abscesse werden mit kleinem Schnitt gespalten. Auch unter der Behandlung neu entstehende müssen frühzeitig geöffnet werden.

Die Erfolge dieser Behandlung der Spina ventosa sind ausge- zeichnet. Ich führe als Beispiel folgenden Fall an:

13. Ein Sjähriges Kind erkrankte im Frühjahr 1905 an einer- Spina ventosa am 1. Metacarpus der linken Hand. Am 15. Mai trat es in die Behandlung der Bonner Poliklinik. Auf dem linken Handrücken fand sich ein taubeneigrosser kalter Abscess über dem 1. Metacarpus. Nach Stich- incision entleerte sich eine Menge dünnflüssigen Eiters. Die Saugbehand- lung begann sofort und wvu'de anfangs einen Monat täglich fortgeführt. Am 22. Juni waren vorübergehend heftigere Schmerzen vorhanden, welche durch Stichincision eines neugebildeten Abscesses beseitigt wurden. Nach- dem an den 3 nächsten Tagen täglich geschröpft war, konnte die Saug- behandlung auf 2 mal wöchentlich beschränkt werden.

24. Juli. Das Kind sieht sehr wohl aus und hat so guten Appetit, wie es ihn seit langer Zeit nicht gekannt hat. Die fungöse Schwellung ist ganz verschwunden. Der Handrücken ist ganz schlank und fühlt sich gleichmässig dick und hart an. Die kleine Stichincision ist geschlossen.

Die Kraft der Hand ist völlig wieder hergestellt.

Behandlung anderer Tuberkulosen.

Neben der Tuberkulose der Gelenke habe ich am häufigsten die des Hodens mittels Stauungshyperämie behandelt, welche hier in folgender Weise angewandt wird:

Sind beide Hoden erkrankt, so zieht man sie stark nach ab- wärts und legt um die Wurzel des Hodensackes einen weichen Gummischlauch, der, mit Watte unterfüttert, so fest angezogen wird, dass er eine starke Stauungshyperämie hervorruft ; die Enden des Schlauches werden mit einer Klammer geschlossen.

Ist nur ein Hoden erkrankt, so zieht man diesen herab und drängt gleichzeitig den gesunden nach oben, während der Schlauch in derselben Weise angelegt wird.

Die Hoden werden in ein geräumiges Suspensorium gelagert. Der Schlauch wird 1 3 Stunden täglich getragen.

288 Spezieller Teil.

Es gelingt leicht, auf diese Weise eine starke Stauungshyper- ämie im Hoden hervorzurufen, und ich habe sie besonders bei ge- schwürigen und fistulösen Fällen mit Nutzen angewandt, insbeson- dere grosse tuberkulöse Geschwüre am Hoden darnach ausheilen sehen. Weniger erfolgreich war das Mittel bei den tuberkulösen Verhärtungen des Nebenhodens, wie man sie im Anfange des Leidens findet. Auch hier werden etwa auftretende kalte Abscesse mit kleinem Schnitt gespalten.

Ausserdem habe ich Tuberkulose der Knochen, der Sehnen- scheiden, Drüsen, der Haut und des Unterhautzellgewebes und ferner Hautlupus mit Stauungshjrperämie behandelt. Ich hatte früher nur über dürftige Erfahrungen bei Sehnenscheidentuber- kulose zu berichten. Ich sah sie sich unter Stauungshyperämie er- heblich bessern, aber niemals vollständig heilen. Ich gab deshalb den Rat, sich bei dieser Krankheit nicht lange mit der konserva- tiven Behandlung aufzuhalten, sondern die tuberkulösen Wuche- rungen zu exstirpieren, da dies schneller zum Ziele führe und gute funktionelle Erfolge gäbe. Hierin habe ich meine Ansicht voll- ständig geändert, seitdem ich in letzter Zeit die schwersten Sehnen- scheidentuberkulosen durch Stauungshyperämie im idealsten Sinne des Wortes geheilt habe. Ich verfahre jetzt in folgender W^eise: Das tuberkulöse Hygrom der Beugesehnen wird an einer Stelle, am besten oberhalb des Handgelenkes, wo ja in der Regel ein Teil des tuberkulösen Sehnenscheidenzwerchsacks sitzt, durch einen kleinen Schnitt gespalten. Nun drückt man von der Peripherie her streichend aus dieser Öffnung die Flüssigkeit und die Reis- körner des tuberkulösen Sehnenscheidensackes sehr sorgfältig heraus. Man soll nicht eher ruhen, als bis auch die letzten Reis- körner herausbefördert sind, was oft erhebhche Zeit in Anspruch nimmt. Die kleine Wunde wird aseptisch verbunden und für 1 2 Stunden täghch Stauungshyperämie eingeleitet. Unsere Er- folge sind vortrefflich. Ich will die Krankengeschichte eines schweren Falles mitteilen:

14. Ein 16 jähriger Gymnasiast litt seit etwas nielu' als einem Jahre an Tuberkulose der Beugesehnenscheiden der rechten Hand. Einige Tage vor meiner Behandlung hatte sich oberhalb des rechten Handgelenkes eine feine Fistel gebildet, die spärliche wässerige Flüssigkeit entleerte.

Ich machte folgenden Befvmd: Der ganze Handteller war verstrichen und von einer kugeligen Geschwulst eingenommen. Eine zweite ebensolche Geschwulst sass oberhalb des Ligamentum carpi transversum. Beide Ge-

Behandlung der Tuberkulose. 289

schwülste fluktuierten, die Fluktuation erstreckte sich von der einen auf die andere. Im ganzen Verlaufe der Beugesehnen des kleinen Fingers fühlte man sehr grosse derbe Knoten, die bei Beugungen des Fingers mit- gingen. Ebensolche Knoten fühlte man in der Gegend der peripheren Beugesehnenscheiden des 3. und 4. Fingers und in der Hohlhand. Die 3 letzten Finger waren sehr stark versteift. Sie blieben beim Versuche, eine Faust zu machen, weit zurück. Oberhalb des Handgelenkes fand sich eine verklebte Fistelmündung. Nach Fortnahme der verschliessenden Borke entleerte ich bei Druck auf die beschriebenen Geschwülste serös-eitrige Flüssigkeit und Reiskörner.

Ich erweiterte die Fistel und entleerte aus ihr eine grosse Menge Reiskörner und Flüssigkeit durch Ausstreichen von der Hohlhand her. Es nahm mehrere Tage in Anspruch, bis die Entleerung vollständig gelungen war.

Am 20. Februar 1904 legte ich eine Stauungsbinde an, die täghch 1 Stiinde, im ganzen etwas über ein Jahr lang, getragen wurde. Das Leiden besserte sich sehr schnell Tind heilte im Laufe eines Jahres voll- ständig aus. Am längsten blieben die Knoten in der Sehnenscheide des kleinen Fingers und in den peripheren Sehnenscheiden des 3. und 4. Fingers bestehen.

Am 6. August 1905 habe ich den jungen Mann zum letzten Male untersucht. Ein unbefangener Untersucher würde wohl kaum feststellen können, welche Hand die kranke gewesen ist. Nur beim genauen Zufühlen bemerkt man an den Sehnen des 4. und 5; Fingers noch eine geringe Anschwellung in der Gegend des zweiten Gliedes. Die Hand ist ohne jede Einschränkung funktionsfähig. Der jiuige Mann ist ein eifriger und ge- schickter Klavierspieler und erklärt, dass er im Greifen der Tasten mit den Fingern der rechten Hand nicht im mindesten gehindert sei.

In derselben Weise werden die tuberkulösen Hygrome des Handrückens behandelt. Nur wenn sie klein sind, bleiben sie un- eröffnet, sonst werden sie gleichfalls mit kleinem Schnitt gespalten und der Inhalt wird herausgedrückt. Dann erst wird die Stauungs- binde angelegt.

Diese gewöhnlich kleineren Hygrome eignen sich auch für die Behandlung mit den Schröpfköpfen, die man der Form des Hand- rückens entsprechend ausschneiden lässt.

Bei reiner Knochentuberkulose vollführe ich in der Regel die operative Entfernung des Herdes, wenn vorauszusehen ist, dass die Funktion der betreffenden Glieder nicht durch die Operation ge- schädigt wird. Doch hat Klapp neuerdings, wie schon erwähnt, für die Spina ventosa die Saugbehandlung mit Erfolg verwandt.

Von den Drüsentuberkulosen passt nur die der Cubitaldrüse für die Behandlung mit der Stauungsbinde. Diese hat natürlich nur beschränkte praktische Wichtigkeit, ich will mich deshalb nicht dabei aufhalten, sondern nur bemerken, dass die mit Stauungs- hyperämie behandelten tuberkulösen Drüsen noch viel mehr als die

Bier, Hyperämie als Heilmittel. 19

290 Spezieller Teil.

Gelenke zur Erweichung und zur Bildung von kalten Abscessen neigen. Solche mit Abscessen und Fisteln einhergehende Drüsen- tuberkulosen eignen sich nun, nachdem die Abscesse durch einen kleinen Schnitt gespalten sind, vortrefflich zur Behandlung mit dem Schröpf köpfe. Ich habe vor einer Reihe von Jahren eine grosse Anzahl von Fällen mit sehr wechselnden Resultaten so be- handelt. In neuerer Zeit hat Klapp mit viel besseren Erfolgen diese Behandlung wieder aufgenommen.

Auch der Schröpfkopf erweicht die aufgebrochene tuberkulöse Drüse in auffälliger Weise. So kann man ganze Drüsenpakete allmählich zur Abscedierung bringen und aus Fisteln und Schnitt- wunden heraussaugen. Ich führe folgenden Fall, den Klapp in der hiesigen Poliklinik behandelte, als Beispiel an:

15. Am 23. Januar 1905 kam in die hiesige Poliklinik ein junger Mann mit einem grossen tuberkulösen Drüsenpakete, über dem ein grosser kalter Abscess lagerte. Um einen Beweis der Grösse des ganzen Gebildes zu geben, sei angeführt, dass das Niveau desselben bis über das Ohr nach aussen reichte.

Der kalte Abscess wvirde durch einen Stich geöffnet. Es entleerte sich eine Menge Eiter von selbst und bei sofortigem Aufsetzen des Schröpf köpf es.

Der Abscess füllte sich die nächsten Tage wieder an, wurde täglich ausgesaugt, bis nur noch eine blutig-seröse Flüssigkeit kam. Nach etwa 8 Tagen war der Abscess verschwunden, das Drüsenpaket lag trocken vor. Mit der bestimmten Absicht, eine weitere Erweichung des Drüsen- paketes zu versuchen, wurde die tägliche Schröpfbehandlung fortgesetzt.

Bald zeigte sich eine weitere starke Erweichiing, welche wieder durch Stich entleert und wie das erste Mal ausgesogen wurde. Das Drüsen- paket, welches vorübergehend durch den Abscess diffus anzufülilen ge- wesen war, erschien jetzt wieder trocken und in seinen einzelnen Drüsen abtastbar; schon jetzt zeigte sich aber, dass das ganze Paket an Grösse stark eingebüsst hatte.

In gleicher Weise wurde die Behandlung im ganzen 5 Wochen lang durchgeführt. Noch mehrere Male erschienen bei fortgesetztem Saugen Erweichimgen, die entleert wvu?den.

Schliesslich war nur noch eine flache diffuse Schwellimg vorhanden.

Auf Wunsch des Patienten wurde Klapp veranlasst, das vermeintlich noch bestehende geringe Drüsenpaket zu exstirpieren.

Bei der Operation fand sich nun an seiner Stelle nur eine etwa finger- dicke derbe Schwarte. Von Drüsen war nichts mehr zu finden.

Die anatomische Untersuchung der Schwiele wurde im hiesigen patho- logischen Institute ausgeführt. Der Bericht des letzteren lautet: ,,In der Schwiele finden sich viele Tuberkel in fibröser Entartung und eine sehr erhebliche Wucheriing des zwischen den Tuberkeln und in deren nächster Nähe befindlichen Bindegewebes, eine Tatsache, die wohl sicher als Heilimgs- vorgang zu deuten ist. Im ganzen machte überhaupt das tuberkulöse Granulationsgewebe einen sehr viel weniger zelLreichen Eindruck, als man

Behandlung der Tuberkulose. 291

gewöhnlich findet. Dieser Eindruck wurde hervorgerufen wiederum durch ziem- lich starke Neubildung von Bindgewebe innerhalb der Granulationsmassen.

Die kleinen Gefässe sind durchweg stark erweitert. Auch finden sich kleine Hämorrhagien in beschränkter Anzahl. Die grösseren Arterien zeigen gewucherte Intima bis zu erheblicher Einengung des Lumens, also einen Vorgang, den man ebenfalls als Heilungsreaktion bei der Tuber- kulose aufzufassen pflegt.

Die Fistel der Haut bietet mutatis mutandis dasselbe Bild der fibrös indurierten, tuberkulösen Granulation. Nekrosen sind im ganzen Präparate nur in äusserst beschränktem Masse zu finden."

Klapp hat viel bessere Erfolge mit der Schröpf köpf behandlung der fistelnden und abscedierenden Drüsentuberkulose erzielt, als ich früher. Der Grund dafür ist mir jetzt klar. Ich liess die Schröpf- köpfe früher viel längere Zeit in einem Stück sitzen und wandte sehr grosse Instrumente an, weil ich mir von ihnen die stärkste Hyperämie und die beste Wirkung versprach. Wir machten aber zuerst am grossen Saugapparat die Erfahrung, dass das lange starke Hyperämisieren in einer Sitzung ohne Pausen häufig die Tuber- kulose verschlimmerte. Klapp übertrug diese Erfahrung auch auf die Schröpf köpf behandlung. Er fing, gerade wie bei den fistelnden Gelenken, mit Sitzungen von 45 Minuten an, liess aber dabei immer nur 5 Minuten den Schröpf köpf sitzen, nahm ihn dann 3 Minuten ab, setzte ihn wieder 5 Minuten auf, usw. Ferner sind die kleineren Schröpfköpfe besser, wie meine früheren grossen, die ich z. B. einer ganzen Halsseite angepasst arbeiten liess, denn das kleine Instrument saugt viel besser Eiter und nekrotische Massen aus den Fisteln heraus, zum grossen Teil wohl deshalb, weil, wie Rübe zeigte, in kleineren Schröpf köpfen die Luft Verdünnung viel stärker und dabei schonender für den Kranken herzustellen ist, als in grossen.

Nach den sehr günstigen Erfahrungen, die wir in der letzten Zeit mit der Schröpfkopfbehandlung bei den verschiedensten Krank- heiten erzielt haben, lohnt es sich wohl auch, meine alte Lupus- behandlung vermittels dieses Instrumentes wieder aufzunehmen. Ich habe mehrmals geschwürigen Lupus der Wange mit Schröpf- köpfen geheilt. So hatte ich im Jahre 1897i) Gelegenheit, zwei Lupusfälle zu sehen, die auf diese Weise von mir behandelt waren und von denen der eine nach 3^^, der andere nach reichlich 2 Jahren noch ohne Rezidiv waren. Die Narben waren kaum noch zu sehen. Trotzdem erklärte ich in der ersten Auflage dieses Buches, dass diese Behandlung des Lupus ohne grosse praktische Bedeutung

1) Bier, Heilwirkung der Hyperämie. Münchner med. W. 1897. Nr. 32.

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292 Spezieller Teil.

sei, da sich ausgedehnter, die Nase und den Mund umgebender Lupus nicht auf diese Weise behandeln lasse und weil man besser täte, den der Behandlung mit Schröpfköpfen zugänglichen Wangen- lupus auszuschneiden und die Wundränder zu nähen. Auch glaubte ich, dass das Verfahren durch die Einsen' sehe Lichtbehandlung überholt sei. Vielleicht aber macht eine verbesserte Technik der Saugapparate es doch noch möglich, auch den grossen Gesichts- lupus auf diese Weise zu behandeln.

Unter der Bindenstauung habe ich gar keine Erfolge oder nur vorübergehende Besserungen bei geschwürigem Lupus der Glied- massen gesehen.

Den Versuch, Lungentuberkulose durch Hyperämie zu be- handeln, hat Jacobyi) gemacht. Er folgt ganz meinem Gedanken- gange, welcher mich zur Behandlung der chirurgischen Tuberkulose führte, und arbeitet im Prinzip mit denselben Mitteln, mit denen ich anfangs Tuberkulose behandelte. Er lagert die Lungenspitzen tief und lässt ein Heisswasserbad auf die Brust einwirken. Obwohl ich mehrfach erwähnt habe, dass ich die aktive Hyperämie durch Hitze für ungeeignet zur Behandlung von Tuberkulose halte, so will ich nicht behaupten, dass hier das heisse Wasser nicht ganz günstig wirken könne. Denn, wie ich ebenfalls schon sagte, gehört das heisse Wasser zu den weniger stark aktiv hyperämisierenden Mitteln. Dazu kommt, dass die tiefliegenden tuberkulösen Herde durch den eigentümlichen ,, Entzündungsreiz" wohl imstande sind, einen massig schnell fliessenden Blutstrom zu verlangsamen.

Ich erklärte schon früher, dass ich ein einfacheres Mittel wüsste, die Lungen für eine gewisse Zeit zu hyperämisieren, nämlich die Einatmung verdünnter Luft. Dies könnte man sehr leicht mit Apparaten bewerkstelligen, am einfachsten aber dürfte es sein, durch die halb oder noch mehr mit den Fingern zugeklemmte Nase den Kranken tief ein- und durch den Mund ausatmen zu lassen, so dass er gerade noch erträgliche Atemnot bekommt. Diesen meinen Vorschlag hat neuerdings Wasser mann^) praktisch ausgeführt. In vollkommenerer Weise hat Kuhn^) durch eine eigene Saugmaske,

1) Jacoby, Müncliner med. Wochenschr. 1897. Nr. 8 u. 9, und: Ver- handlungen des Kongresses für innere Medizin.

2) Wassermann, Die Verwendung passiver Hyperämie der Liinge bei Limgenschwindsucht. Zeitschrift für diät, und physik. Therapie. 8. Bd. II. Heft.

3) Kuhn, Eine Lungensaugixiaske zur Erzeugung von Stauiongshyperämie in den Lungen. Deutsche med. Wochensclir. 1906.

Behandl. akut. Entzünd. u. Eiterungen an d. Gliedern mit d. Stauungsb. 293

die auf demselben Prinzipe beruht, die Hyperämisierung der Lungen erzielt.

Linki) suchte die Hyperämie bei einseitiger Lungenspitzen- tuberkulose einfach durch Lagerung auf die kranke Seite zu er- reichen.

In neuerer Zeit hat Leo^) meine etwa 10 Jahre lang zurück- liegenden Versuche wieder aufgenommen, die kranken Lungenteile mit grossen Saugapparaten zu hyperämisieren. Den Einwand, dass die Saugung hier nichts nützen könne, weil die Lunge ein eigenes von den äusseren Körperteilen unabhängiges Gefässsystem habe, lasse ich nicht gelten, um so mehr als bei tuberkulösen Lungenspitzen, um die es sich hier handelt, meist Verwachsungen vorhanden sind.

Ob bei all' diesen Versuchen etwas herausgekommen oder zu erwarten ist, kann ich nicht beurteilen. Die Erfahrung muss es lehren.

Behandlung akuter Entzündungen und akuter Eite- rungen an den Gliedern mit der Stauungs binde.

Schon im Jahre 1893 habe ich angefangen, akute Entzündungen mit Stauungshyperämie zu behandeln. Ich begann mit gonorrhoi- schen Gelenken und mit ausgesuchten Fällen von ganz frischer akuter Osteomyelitis. Besonders aber übte ich diese Behandlung auch bei allen möglichen Fällen von ganz frischen akuten Infek- tionen (z. B. Lymphangioitis, frisch infizierten Wunden, frischer Sehnenscheidenphlegmone) und bei milden Formen der rezidivieren- den akuten Osteomyelitis. Erst allmählich ging ich dazu über, grund- sätzlich alle unserem Mittel zugänglichen Eiterungen, auch die schwersten, der Stauungshyperämie zu unterwerfen. Diese langsame Entwicklung und Verallgemeinerung des Verfahrens für schwere akute Eiterungen wird man verstehen, wenn man bedenkt, mit was für einem ungeheuren Wust von Vorurteilen ich brechen musste, um diesen Schritt zu tun. Gab doch jeder Chirurg, selbst wenn er theoretisch davon überzeugt gewesen wäre, dass die Ent-

1) Link, Vorschlag ztir Behandlung einseitiger tuberkulöser Liuigen- affektionen vermittels Lagerung der Kranken. Zeitschrift für Tuberkulose und Heilstättenwesen. 3. Bd. 6. Heft. 1902.

2) Leo, Über Hyperämiebehandlung der Lungentuberkulose. Berliner klin. Wochenschr. 1906. Nr. 27.

294 Spezieller Teil.

Zündung einen nützlichen Abwehrvorgang darstellt und er deshalb den ganzen Apparat der Antiphlogose nicht in Bewegung setzte, zum mindesten den Rat, akut entzündete und mit starker Hyper- ämie einhergehende Körperstellen hochzulegen, um die schädliche entzündliche Stauung zu beseitigen. Die Erfahrung hatte angeblich die Richtigkeit dieses Grundsatzes aufs glänzendste bewiesen.

Technik der Bindenstauung bei akuten Entzündungen

und Eiterungen.

Die Stauungshyperämie wird bei akuten Infektionen und ihren Folgen im Gegensatz zur Tuberkulose gewöhnlich 20 22 Stunden täglich unterhalten, während der übrigbleibenden 2 4 Stunden wird das Glied hochgelagert, um das gewaltige Ödem, das die Stauungsbinde erzeugt hat, zu vermindern. Es ganz fortzuschaffen, gelingt in dieser kurzen Zeit nicht. Joseph i) hat durch direkte Messung bewiesen, dass trotz Hochlagerung das Ödem grösstenteils bestehen bleibt. Nach der 2 bis 4 stündigen Pause wird die Binde wieder angelegt, um neues Ödem an Stelle des abgezogenen treten zu lassen. Nur selten wenden wir das Verfahren kürzere Zeit und mit längeren Pausen an. Unter 8 bis 10 Stunden täglich gehen wir nur ganz ausnahmsweise, weil uns die Erfahrung gezeigt hat, dass eine kürzere Zeit nicht genügt 2).

Die kurzdauernde Stauung wird überall da verwandt, wo die Örtlichkeit uns zwingt, die abschnürende Binde, beziehungsweise besonders den abschnürenden Schlauch immer an derselben Stelle anzubringen, wie das z. B. beim Schultergelenke der Fall ist. Hier lässt man, wenn lästige Druckerscheinungen auftreten, den Schlauch nicht 8 10 Stunden in einem Stücke liegen, sondern man macht auch zw^ischendurch kurze Pausen und wäscht die Stelle, welche Druckspuren trägt, mit Spiritus ab.

Aber auch sonst gibt es Fälle, wo man aus besonderen Gründen das Normalverfahren der 20 22 stündigen Stauung nicht durch- führen kann. Man muss eben bei diesem Verfahren, wie bei allen anderen, zu individualisieren verstehen.

1) Joseph, Einige Wirkungen des natürlichen Ödems und der künst liehen Ödenaisierung. Münchner med. Wochenschr. 1905. Nr. 40.

2) Vor kurzem hat Frommer (Wiener klin. Wochenschr. 1906. Nr. 8) kürzere Stauungsperioden empfohlen, womit er gute Erfolge hatte. Ich fing auch mit kurzdauernden Stauiuigen bei akuten Entzündungen an, fand sie aber ungenügend. Ich gebe indessen zu, dass neue Versuche hier angezeigt sind, zumal es einen Fortschritt bedeuten würde, wenn man mit kürzeren Staiivmgsperioden auskäme.

Behandl. akut. Entzünd. u. Eiterungen an d. Gliedern mit d. Stauungsb. 295

Auch bei akuten Entzündungen erfordert die Stauungshyper- ämie eine sehr sorgfältige Technik, wenn auch lange nicht in dem Masse, wie die früher von uns geübte lange Stauung bei Tuber- kulose. Auch hier soll das Verfahren niemals dem Kranken er- hebliche Unannehmlichkeiten bereiten. Im Gegenteil, die Binde soll bei den meist schmerzhaften Entzündungen die Schmerzhaftig- keit lindern. Abgesehen vom Schmerz aber soll die Stauungsbinde bei den wirklich akuten Fällen eine Vermehrung der Entzündung hervorbringen, die ich für den natürlichen Heilungsvorgang halte, und deren Verstärkung, nicht aber Verminderung angezeigt ist. Deshalb nehmen auch während des Liegens der Binde von den Entzündungserscheinungen Röte, Odem und Schwellung bedeutend zu, lymphangitische Stränge röten sich stärker, ja, zuweilen wird das ganze Glied bis an die Binde heran rot. Mit der fortschrei- tenden Heilung vermindern sich diese Entzündungssymptome ein- schliesslich der Schwellung, selbst wenn die Binde unverändert weiter getragen wird. Es ist das ein Zeichen dafür, dass die Schädlichkeit, die den ,, Entzündungsreiz" abgibt, überwunden ist, d. h. also mit anderen Worten ein Zeichen der Besserung oder Heilung des Leidens. Nehmen dagegen die Entzündungserschei- nungen dauernd zu oder bleiben sie bestehen, so liegt ein Abscess vor, der gespalten werden muss.

Bessert sich das Leiden unter der Behandlung, so geht man mit der Dauer der Stauung mehr und mehr herunter, bis die Binde schliesslich nur eine bis mehrere Stunden täglich getragen wird. Man soll sie nicht zu früh ablegen, weil wir es häufig erlebt haben, dass dann das Leiden sich wieder verschlimmerte, eine Erfahrung, die von anderer Seite (Habs, Stich) bestätigt ist.

Die Stauungshyperämie soll keine Störung, sondern eine Ver- besserung der Ernährung sein. Das geht schon daraus hervor, dass sie häufig Nekrosen in Fällen vermeidet, wo sie bei unserer anti- phlogistischen Behandlung die durchgehende Regel waren. Das Verfahren soll also nur den venösen Rückfluss, nicht aber den arteriellen Zufluss behindern. Bei akuten Entzündungen soll also das Glied keine stärkere Blaufärbung zeigen, es muss warm bleiben und der Puls stets gut zu fühlen sein.

Ich möchte in dieser Beziehung den Blutstrom vergleichen mit einem Bach, der eine Wiese durchfliesst und zahlreiche Bewässe- rungsgräben in die Wiese abgibt. Bringt der Landmann ein Wehr unterhalb der Wiese im Bache an, so hört anfangs der Abfluss des

296 Spezieller Teil.

Wassers auf und die Wiese wird überschwemmt. Ist dies aber ge- schehen, so fhesst gerade soviel Wasser zu und ab wie vordem, trotzdem aber bleibt die Wiese überschwemmt. Das Wehr, das wir bei akuten Entzündungen im ableitenden Teile des Blutstromes anbringen, ist die Stauungsbinde. Zufluss und Abfluss bleiben sich schliesslich gleich oder annähernd gleich, nichtsdestoweniger aber überschwemmen wir die Gewebe mit Blut, beziehungsweise mit Blutbestandteilen.

Hin und wieder treten Blasen an den der Stauungshyperämie unterworfenen entzündeten Teilen auf. Dann ist gewöhnlich die Binde zu fest angezogen, oder es ist ein Abscess vorhanden, der gespalten werden muss.

Ich habe mich nie gescheut, die Stauungsbinde über lymph- angitische Stränge zu legen; gewöhnlich bessert sich die Lymph- angitis und Lymphadenitis auch zentralwärts von der Binde, weil sie das Grundleiden günstig beeinflusst und ausserdem die Resorp- tion der Bakterien und ihrer Gifte vermindert.

Die Binde wird womöglich nicht zu nahe am Entzündungs- herde angelegt, z. B. ist es fehlerhaft, sie bei Entzündungen der Finger an der Wurzel des Fingers anzulegen, sie wird am Unter- oder besser noch am Oberarm angebracht. Ferner soll bei schweren akuten Krankheiten unter allen Umständen Bettruhe beobachtet werden.

Der peripher vom Entzündungsherde liegende Gliedabschnitt wird nicht eingewickelt. Das ganze Verfahren besteht also im ein- fachen Umlegen einer Gummibinde.

Jedesmal, nachdem die Binde 10 11 Stunden gelegen hat, wird sie an eine andere Stelle gesetzt, damit sie nicht Druck her- vorruft. Legt man sie tiefer an, so muss sie häufig nach einiger Zeit fester gezogen werden, weil sie sich durch Wegrücken des Stauungsödems sonst lockert. Bei zarter Haut unterfüttert man sie mit einigen Gängen einer weichen Mullbinde, sonst entstehen zuweilen Blasen am Rande der Gummibinde. In solchen Fällen wandten wir mit Nutzen den im allgemeinen Teil beschriebenen Henle'schen Schlauch an, der mit Luft aufgeblasen wird und schonender ist als die Binde.

Sehr wichtig ist es gerade bei akuten Eiterungen, alle Ver- bände während der Stauung sehr locker anzulegen; denn schon ein geringer Bindendruck genügt, um das Eintreten der Hyperämie und der Schwellung am Infektionsorte zu verhindern.

Behandl. akut. Entzünd. u. Eiterungen an d. Gliedern mit d. Stauungsb. 297

An den Gliedern bedienen wir uns zum Befestigen der Verbandstoffe meist locker umgelegter Handtücher, die mitNadeln zusammengesteckt werden. Sie sind nach allen Richtungen hin viel praktischer als Bindenverbände, er- lauben die stärkste Anschwellung der gestauten Glieder und lassen sich schonend und ohne Schmerzen anlegen und abnehmen.

In der nächsten Zeit nach dem Anlegen der Binde muss man mehrmals nachsehen, ob sie weder zu fest noch zu lose sitzt, und ob man den richtigen Grad der Stauung herausbekommen hat. Nach einigen Tagen geben die Patienten selbst an, ob die Binde richtig angezogen ist. Es ist die Schwäche des Verfahrens, dass die Stauungshyperämie auf das sorgfältigste dosiert werden muss; zu schwach angewandt, nützt sie nichts, zu stark, schadet sie. Deshalb soll sie auf das peinlichste überwacht werden. Die grösste Aufmerksamkeit ist in den ersten Tagen nötig. Denn ich habe die Überzeugung, dass das Schicksal der Entzündungen und Eiterungen vor allem in den ersten Tagen durch die Stauungsbinde ent- schieden wird. Zum Beweise dafür führe ich folgenden Fall an:

16. Ein Sjähriger Knabe erkrankte am 23. Februar 1904 plötzlich mit einer heftigen Entzündung in der Gegend des rechten Schultergelenks. Am 1. März wurde er aufgenommen. Der ganze rechte Arm war ödematös geschwollen, besonders die Schultergelenksgegend. Das Gelenk war gänz- lich steif, bei allen Bewegungsversuchen, die sehr schmerzhaft waren, ging das Schulterblatt mit. An der Vorderseite des Gelenks und dem obersten Teil des Oberarms war Fluktuation zu fühlen. Dort wurde ein 2 cm langer Einschnitt gemacht. Es entleerten sich 30 40 ccm Eiter. In der Höhle lag rauher Knochen vor, der an der vorderen und inneren Seite vom Periost entblösst war. Das Schulter gelenk war offen, bei Be- wegungen entleerte sich sehr reichlicher Eiter aus ihm. Auch von unten her entleerten sich beim Streichen nach der Wunde zu. noch etwa 20 ccm Eiter. Es wurde nach Möglichkeit mit Kochsalzlösung aus- gespült, und die kleine Wunde wurde durch eine Silberdraht naht geschlossen. Es wurde ein Stauungsschlauch ober- halb des Schultergelenks angelegt. Er wurde täglich 10 Stunden getragen. Leider musste die Stauungshyperämie schon nach 3 Tagen ausgesetzt werden, weil der Schlauch in der Achselhöhle einen breiten Dekubitus der Haut ver- Tafel I.

tirsacht hatte. Im übrigen hatte die in stärkster Form auf- tretende Stauungshyperämie trotz der kurzen Anwendung und obwohl die grosse Eiterhöhle durch Naht wieder geschlossen war, sofort das ganze Krankheitsbild geändert. Das Fieber war und blieb schon 36 Stunden nach der Einleitung des Verfahrens geschwunden (siehe Tafel I), ebenso Hessen die vorher heftigen Schmerzen sofort nach. Der Knabe musste aus

298 Spezieller Teil.

äusseren Gründen mit noch nicht verheilter Dekvibitus wunde entlassen werden. An Stelle der Schnittwunde hatte sich eine Fistel gebildet, 2 andere Fisteln waren in die Achselhöhle durchbrochen; alle 3 entleerten spärlichen Eiter.

Am 18. Juli wurde der Knabe wieder aufgenommen, weil die Fisteln noch bestanden und der Dekubitus nicht heilen wollte. Die Fisteln wurden in Narkose verfolgt. Sie führten auf den Knochen, der vom Periost be- deckt war und nirgends eine Nekrose zeigte. Sie wurden ausgeschabt und heilten schnell. Der Dekubitus aber heilte nicht aus, hauptsächlich wohl, weil dauernd mit dem Schultergelenke, welches zu versteifen drohte, passive Bewegungen vorgenommen wurden. Deshalb wurde das Dekubitusgeschwür am 23. November herausgeschnitten, und die Wundränder wurden durch die Naht vereinigt. Die Wunde heilte per primam.

Der Knochen ist ohne Nekrose, das Gelenk mit voller Beweglichkeit ausgeheilt.

Obwohl hier wegen des Dekubitus die Stauungshyperämie nur 3 Tage angewandt werden konnte, brachte sie doch eine sehr vollständige Heilung ohne Knochennekrose und ohne Gelenkversteifung hervor, weil sie während der kurzen Zeit ihrer Anwendimg eine gewaltige entzimdliche Schwellung und Rötung verursacht hatte.

Ich mache bei Anwendung der Stauungshyperämie immer wie- der die Erfahrung, dass sich die Resultate mit dem Wechsel des Assistenten, ja der Schwester ändern. Deshalb soll man für ein so delikates Verfahren nur sehr zuverlässiges Personal auswählen. Vor allem rate ich den mit dem Verfahren noch nicht vertrauten Ärzten, anfangs nur die prognostisch besseren Fälle, nämlich: 1. alle ganz frischen akuten Entzündungen jederart, 2. sub- akute und milde entzündliche Erkrankungen, auch wenn sie schon länger bestehen, 3. gonorrhoisch, pyämisch und akut vereiterte Gelenke in Angriff zu nehmen, bevor sie zu den schwerer zu be- handelnden vorgeschritteneren Sehnenscheidenphlegmonen und Osteomyelitiden übergehen. Wagt man sich, ungenügend technisch vorgebildet, gleich an diese schwierigen Fälle, so werden Misserfolge und_ Verschlimmerungen wohl kaum ausbleiben, die man dann dem Verfahren zuschreibt, während in Wirklichkeit doch die eigene Un- kenntnis schuld war. Besonders lebensgefährliche vorgeschrittene Eiterungen sollte der Unkundige, bevor er sich von der Richtigkeit und der gesunden Logik des Prinzips nicht überzeugt hat, nicht damit behandeln. Denn ich weiss, mit welchem Widerwillen und mit welchem Vorurteil die meisten Fachgenossen an die Stauungs- hyperämie herangehen, und ich fürchte, man wird geneigt sein, üble Ausgänge, die in der Natur der Sache liegen können, dem Verfahren aufzubürden. Denn selbstverständlich wird es schwere akute Infektionen immer geben, die zu Amputationen der Glieder

Behandl. akut. Entzünd. u. Eiterungen an d. Gliedern mit d. Stauungsb. 299

und zum Tode führen, trotz Stauungshyperämie. Es ist unbillig, von einem Mittel zu verlangen, dass es alles heilt; deren gibt es keins und wird es keins geben.

Deshalb betonte ich in meinen früheren Veröffentlichungen über diesen Gegenstand, dass das Verfahren einstweilen, bevor nicht eine reichliche Erfahrung gesammelt sei, sich nicht für die allgemeine ärzt- liche Praxis eigne, sondern vorderhand lediglich von Kollegen nach- geprüft werden sollte, welche ein Krankenhaus zur Verfügung haben.

Inzwischen aber sind mir gerade aus dem Kreise der prakti- schen Ärzte so begeisterte schriftliche und mündliche Mitteilungen über glänzende Erfolge bei Sehnenscheidenphlegmonen und ver- eiterten Gelenken zugegangen, dass ich diese Forderung nicht mehr streng aufrecht erhalten, sondern lediglich den Rat geben möchte, dass nur chirurgisch erfahrene Ärzte das Verfahren ausüben sollten und diese auch nur dann, wenn sie den Kranken dauernd im Auge behalten können.

So haben wir denn auch, ebenso wieDanielsen und Jeru- salem gute Erfolge bei ambulanter Behandlung gehabt, die aller- dings mit grosser Vorsicht ausgeführt werden muss. Schwere Fälle lassen wir immer in's Krankenhaus aufnehmen.

Gerade bei den akuten Entzündungen und Eiterungen haben wir in der Schmerzlinderung, die fast regelmässig und gewöhnlich sehr schnell auftritt, einen guten Massstab für die Richtigkeit des Verfahrens. Am auffallendsten beobachtet man dies bei den sehr schmerzhaften, akut vereiterten Gelenken und bei Sehnenscheiden- phlegmonen. Wer in antiphlogistischen Anschauungen befangen ist und sich nicht mit der Logik unseres Verfahrens vertraut ge- macht hat, kann einen Schrecken bekommen, wenn er das mächtig angeschwollene und feurig entzündete, gestaute Glied sieht. Der Kranke aber ist in der Regel sehr zufrieden mit dem Mittel, weil es ihm die Schmerzen beseitigt. Ganz gewöhnlich erklären die Kranken, dass sogar in den kurzen Zwischenpausen, wo die Binde entfernt wird, sich die Schmerzen, wenn auch in viel geringerem Grade, wieder einstellen.

Damit soll nicht gesagt sein, dass es nicht seltene Fälle gibt, die diesen Nachlass der Schmerzen nicht sofort zeigen, sondern im Gegenteil zunächst eine Steigerung derselben aufweisen. Das findet man bei den verschiedensten Krankheiten, besonders aber bei gonorrhoischen Gelenkentzündungen. Wie dem zu begegnen ist, werde ich bei Gelegenheit der Besprechung der letzteren aus-

300 Spezieller Teil.

einandersetzen. Ganz verkehrtistindessen der Rat Arnsperger'si), nach 2 Stunden die Stauung als erfolglos aufzugeben, wenn sie nicht die Schmerzen in dieser Zeit beseitigt oder gemildert hätte. Wären wir diesem Grundsatze gefolgt, so wäre uns mancher gute Erfolg vereitelt. Es ist dies ein Rat, den ich früher für die Behandlung gonorrhoischer Gelenke gab, den ich aber längst als falsch auf- gegeben habe.

Bei akut entzündeten Gelenken und bei Sehnenschei- denphlegmonen werden grundsätzlich Bewegungen vor- genommen, sobald das Schwinden der Schmerzen dieses gestattet, um eine gute Funktion der erkrankten Glieder herbeizuführen. Ich werde das bei den betreffenden Krankheiten noch genauer schildern. Unsere bisherigen chirurgischen Eingriffe nahmen auf diesen Punkt viel zu wenig Rücksicht. Im Vordergrunde stand die Sorge um die Erhaltung des Gliedes und des Lebens.

Ich will dies Kapitel über die Technik der Stauungshyperämje bei akuten Entzündungen nicht verlassen, ohne nochmals darauf hinzuweisen, dass sie ganz anders ist, als bei der Tuberkulose, nämlich :

Bei der Tuberkulose soll kurz dauernde Stauung an- gewandt werden und kein Odem entstehen, bei der akuten Entzündung gerade umgekehrt. Hier wünschen wir ein mög- lichst starkes feuriges Ödem. Nur vergesse man nicht, in den Stauungspausen die Glieder hochzulegen, damit ein Teil des Ödems abzieht. Denn wir wünschen einen Wechsel des Ödems, wir wollen nachher frisches an Stelle des alten treten lassen. Es wirklich ganz in den kurzen Stauungspausen zum Ver- schwinden zu bringen, gelingt allerdings nie und ist auch nicht nötig. Zieht sich die Krankheit sehr lange hin, und ist man deshalb gezwungen Wochen lang die Dauerstauung in der be- schriebenen Weise fortzusetzen (ein seltener Fall!), so muss man hin und wieder durch halb- bis ganztägige steile Hochlagerung für das gänzliche Abschwellen der Glieder Sorge tragen und erst dann die Stauungshyperämie wieder anwenden.

Ödem tritt in viel beschränkterem Maasse ein, wenn grössere Wunden vorhanden sind. Es fliesst alsdann nach aussen ab. Diese Verhältnisse finden sich besonders, wenn wir die später noch zu erwähnende prophylaktische Stauung bei infektions-

1) Arnsperger , Erfahrungen mit Bier'scher Stauung bei akuten Eiterungen. Münchner med. Wochenschr. 1905. S. 2540.

Behandl. aktit. Entzünd. ti. Eiterungen an d. Gliedern mit d. Stauungsb. 301

verdächtigen Wunden ausführen. In solchen Fällen kann man die Gummibinde häufig mehrere Tage ohne Unterbrechung liegen lassen. Das ist aber nur dann gestattet, wenn der Kranke sich dabei durchaus behaglich fühlt i).

Unterdrückung beginnender Eiterungen durch Stauungs- hyperämie.

In früheren Arbeiten von mir, ebenso wie unter den weiter unten aufgeführten Krankengeschichten wird man Fälle von Unter- drückungen beginnender Eiterungen durch Stauungshyperämie finden. Ich führe als weitere Beispiele 5 Fälle von ganz frischen pyämischen Metastasen an, die ich unter meinen Augen entstehen sah. Ich bemerke vorweg, dass es sich in allen Krankengeschichten, sofern es nicht ausdrücklich anders bemerkt ist, bei Angabe der Temperaturen um Achselhöhlenmessungen handelt.

17. Bei einer 60jährigen Frau hatte ich am 4. Februar 1904 ein fast inoperables Mastdarnikarzinom reseziert. Die Wunde eiterte stark und lange. Am 3. April stellte sich unter Schüttelfrost und Temperatur- steigerung auf 39,4° eine pyämische Metastase im linken Handgelenk ein. Das Gelenk war stark gerötet, geschwollen und äusserst rjjy g 9 10 11 12 empfindlich. Es wiu-de sofort Stauungshyperämie an- gewandt \ind 20 Stunden täglich unterhalten. Die Schmerzhaftigkeit liess schnell nach, und am 11. April bereits war die Krankheit spiirlos verschwmiden, die Temperatur zur Norm gesunken und die Stauungs- hyperämie wm-de ausgesetzt. Die in Betracht kommende Temi^eratvir gibt Tafel II wieder.

18. Eine 42 jährige Frau wurde am 30. Juni 1903 der IvUnik mit einer schweren Phlegmone der linken Hand und des linken Vorderarmes eingeliefert, die am 3. Juli die Amputation des Armes notwendig machte, weil das Allgemein- befinden schwer gestört war, die Eiterung trotzausgiebiger Spaltungen vor- wärts ging, septische Durchfälle sich einstellten und eine pyämische Metastase im Phalangometakarpalgelenk des rechten Daumens unter sehr starken Entzündungserscheinungen entstand. Es WTirde sofort gegen die letztere Stauungshyperämie eingeleitet. Schon am 7. Juli war die Meta- stase fast vollständig zurückgebildet und nach 6tägiger Anwendung des Mittels spurlos verschwunden. Die hohe Temperatvu' und ihr Abfall war natürlich in erster Linie abhängig von der schweren Phlegmone des linken Armes und dessen Amputation, so dass sie sich für unsere Zwecke nicht verwerten lässt.

Tafel IL

1) Die Behandlung akuter Eiterungen mit Stauungshyperämie von mir beschrieben in Münchner med. Wochenschr. 1905. Nr. 5, 6 u. 7.

302 Spezieller Teil.

19. Ein 24jähriger Lederarbeiter wurde am 19. Dezember 1904 mit einem tiefen Abscesse in der Gegend des Hüftgelenks liochfiebernd und in sehr elendem Zustande aufgenommen. Am Morgen des 20. Dezember klagte er über plötzlich entstandene Schmerzen im linken Ellbogengelenk, die tagsüber zunahmen. Gleichzeitig erfolgte eine noch höhere Steigerung der Temperatur. Am Naclimittag war das Gelenk leicht geschwollen und rechtwinklig gebeugt. Der leiseste Versuch, das Gelenk aus dieser Stellung zu bringen, verursachte die heftigsten Schmerzen. Des Abends um 7 Uhr wurde Stauungshyperämie eingeleitet. Es trat eine so mächtige Schwellung der ganzen Gelenkgegend ein, wie man sie nur bei sehr akut entzünd- lichen Krankheiten beobachtet. Am anderen Morgen, nachdein die Binde 13 Stunden lang gelegen hatte, war das Leiden des Ellbogengelenks so gut wie beseitigt. Aktive Bewegungen führte der Kranke in annähernd normalen Grenzen ohne jede Eixipfindlichkeit aus; äusserste passive Streckung und Beugung verursacht noch geringe Schmerzen. Die Stauimgs- hyperämie wtu'de noch bis zum 23. Dezember angewandt. Am 21. Dezember wurde im Ätherrausch der Abscess der Hüfte gespalten. Er entleerte etwa % Liter blutig gefärbten Eiter. Ziuii Schluss wurde ein finger- langer, gabiig geteilter Thrombus zutage gefördert, der erweicht und teilweise eitrig eingeschmolzen war. Die Entleerung des Thrombus war von einer starken venösen Blutung gefolgt, die auf Tamponade stand.

Der Fieberverlauf ist für unseren Zweck ohne Interesse, weil er in erster Linie von dem schweren Grundleiden beeinflusst ist.

20. Ein 35 jähriger Bäcker suchte am 5. Mai 1904 die chirurgische Klinik auf wegen einer schweren Eiterung sämtlicher Nebenhöhlen der Nase, wegen der er schon 38 mal ohne Erfolg operiert war. Am 14. Mai wurde er von neuem nach Kill i an operiert. Nach der Operation trat schwere Eiterung ein, und der Kranke fieberte. In der Nacht vom 23. zum 24. Mai entstand plötzlich unter sehr heftigen Schmerzen und unter Steigerung der Temperatur die in den vorhergehenden Tagen zwischen 38,6° und 38,9° geschwankt hatte auf 39,5° eine pyämische Metastase im linken Ell- bogengelenk, die sich iinter 9 Tage lang unterhaltener Stauungshyperämie vollständig zurückbildete. Auch hier ist für vmsere Zwecke der Verlauf der Temperatur nicht zu verwerten, weil sie ausserdem durch die primäre Eiterung beeinflusst wm-de.

In diesen vier Fällen von sehr schmerzhaften pyämischen Ge- lenkmetastasen fiel das sofortige Nachlassen der Schmerzen und die schnelle Unterdrückung aller übrigen Entzündungserscheinungen nach kurzer gewaltiger Steigerung derselben durch die Stauungs- hjrperämie sehr in die Augen. Alle 4 Gelenke sind so vollständig geheilt, dass auch der sorgfältigste Untersucher nicht die geringste Spur von der überstandenen Krankheit nachzuweisen imstande ge- wesen wäre. Die längste Zeit, um die volle Funktion ohne jede Einschränkung wieder herzustellen, betrug (im Falle 20) 9 Tage.

Nicht ganz so glücklich waren wir in dem folgenden Falle. Hier gelang es uns nicht, die Eiterung zu unterdrücken. Nichts-

Behandl. akut. Entzünd. u. Eiterungen an d. Gliedern mit d. Stauungsb. 303

destoweniger war der Verlauf der Krankheit ganz auffallend schnell und günstig:

21. Ein 16 jähriger Knabe erhielt am 1. August 1904 einen Schuss in den Bauch, der die Laparatomie und Darnmaht nötig machte. Es entstand eine Kotfistel, und es schloss sich eine schwere Infektion an. Am 5. August bekam der Knabe eine schwere Entzündung der linken, am 6. eine eben- solche der rechten Parotis mit sehr starker Schwellung und Schmerzhaftig- keit und vmter hoher Temperatvirsteigerung. Es traten mehrfach Schüttel- fröste auf. Vom 6. August ab wurde eine Stauungsbinde um den Hals gelegt und tagsüber getragen, des Nachts entfernt. Am 8. August brach auf beiden Seiten ein Abscess in den äusseren Gehörgang durch. Vor beiden Ohren bildete sich noch ein Parotisabscess. Am 17. August brach der rechte von selbst durch, der linke, welcher dicht vor dem Diirch- bruch stand, wurde durch einen kleinen Einstich entleert. Beide heilten in weiteren 14 Tagen spurlos aus. Von der ganzen Krankheit ist nicht die geringste Entstellung zurückgeblieben. Nur mit Mühe ist die kleine Narbe aufzufinden, die von dem erwähnten Einstiche herrührte. Einen ganz gleich verlaufenden Fall beobachtete ich vor kvirzem.

Die Unterdrückung solcher beginnender, akut ent- zündlicher Infektionsherde wird wohl immer das dank- barste Feld für die Stauungshyperämie bleiben. Sie ist, wie mich zahlreiche Fälle in jetzt mehr als 11jährigen Erfahrungen gelehrt haben, dafür ein geradezu wunderbares Mittel.

Je früher die Stauungshyperämie bei akut entzündlichen Krankheiten eingeleitet wird, um so besser sind die Erfolge. Leider bekommen wir die Fälle meist zu spät in Behandlung, wenn die Bakteriengifte bereits Nekrosen gemacht haben, die dann natürlich nicht mehr wegzuschaffen sind. Ich glaube, dass die Stauungs- hyperämie in Militärlazaretten sehr gute Erfolge aufweisen könnte, weil die Soldaten gezwungen sind, sich gleich zu melden, wenn sie krank sind. Ich verdanke auch einen grossen Teil der frischen Fälle, die ich behandelte, dem verständnisvollen Entgegenkommen der Herren Oberstabsärzte Ger deck und Oertel in Bonn.

Vor allen Dingen hat sich uns die Stauungshyperämie in ganz hervorragender Weise bewährt bei Operationswunden, die wir selbst angelegt hatten, und die aus irgend einem Grunde infiziert wurden. Wir haben in zahlreichen derartigen Fällen das Verfahren ange- wandt und solche Erfolge erzielt, dass ich glaube behaupten zu können, dass wir damit einen ganz erheblichen Fortschritt in der Sicherheit unserer Wundbehandlung gemacht haben, dem keine andere Methode entfernt an die Seite zu stellen ist. Ich gebe hier- für einige Beispiele:

304 Spezieller Teil.

22. Ein 19 jähriger Tagelöliner hieb sich am 16. November 1905 beim Holzhauen mit einem Beile über den linken Handrücken. Er wurde noch an demselben Tage in die chirurgische Klinik eingeliefert.

Auf dem linken Handrücken befand sich eine schräg verlaufende Wunde, die am Metakarpophalangealgelenk des kleinen Fingers begann ixnd bis zur Epiphyse des Radius verlief. Sämtliche Strecksehnen waren durch- schnitten, alle Karpalgelenke eröffnet und die Kjiochen im Verlauf der Wunde angeschlagen.

Die Sehnen wm'den mit Catgut, die Hautwunde mit Seide dicht vernäht. 1) Am 20. XI. musste wegen hoher Temperatiu* (bis 39,2°, Achselhöhle) und heftiger Schmerzen der Verband gewechselt werden. Der Handrücken war stark gerötet imd geschwollen, zwischen den Nähten quoll auf Druck Eiter heraus. Es wurde eine Naht gelöst und der Eiter nach Möglichkeit heraus- gedrückt. Dann wurde Stauungshyperämie für 20 Stunden täglich an- gewandt, die eine enorme Schwellung hervorbrachte; täglich wurde ein Verbandwechsel vorgenoiximen und der Eiter ausgedrückt. Die Sclimerzen verschwanden, und die Temperatxu' fiel rasch ziir Norm. Die Wunde heilte bis auf eine kleine Stelle, wo die Naht entfernt war, per primam intentionem. Die Sehnen heilten zusammen. Ana 24. I. 1906 MTirde der Ivranke mit normal beweglichen Fingern entlassen.

23. Bei einem 42jährigen Arbeiter vereinigte ich am 26. VI. 1905 die quergebrochene Patella durch einen rings um die Bruchstücke gelegten dicken Silberdraht vmd nähte den ebenfalls zerrissenen fibrösen Streckapparat mit Katgut zusammen. Die Haut wixrde durch dichte Seidennähte ver- einigt.

In der Nacht vom 28. zum 29. VI. bekam der Kranke Delirium tremens, sprang aus dem Bett, riss sich den Verband ab und die Haut- wunde zum Teil auseinander. Das Röntgenbild zeigte, dass der Silberdraht zerrissen und die Bruchstücke der Patella wieder auseinandergewichen waren. Es wurde deshalb am 3. VII. von neuem die Patellarnaht in derselben Weise wie am 26. VI. ausgefülirt. Unter hohen Temperatursteigerungen und schwerem Krankheitsgefühl vereiterte das Kniegelenk. Es wurden nur einige Hautnähte entfernt, das Kniegelenk aber nicht weiter eröffnet. Vom 4. bis 21. VII. wiu'de das vereiterte Gelenk mit Stauungshyperäinie be- handelt. Die Temperatiu" fiel darnach bald, und die anfangs massenhafte Eiterung aus dem Gelenke versiegte.

Doch heilten die Bruchstücke der Patella gut aneinander, und am 14. X. wurde der Ivranke nach längerer orthopädischer Nachbehandlung entlassen.

Am 5. III. 1906 bot der Verletzte folgenden Befund: Die Bruchstücke der Kniescheibe sind fest zusammengeheilt. Das Gelenk ist aktiv in massigen Grenzen, passiv im Saugapparat bis etwas über ^ rechten Winkel zu bringen. Voraussichtlich "wird die ■weitere Nachbehandking noch eine bessere Beweglichkeit des Gelenks erzielen.

Hier möge auch folgender Fall Platz finden:

24. Ein 48 jähriger Dienstmann erHtt am 9. I. 1906 einen Querbruch der Kniescheibe durch Fall auf das Knie. Am 11. I. Moirde er in die chiriir-

1 ) In der III. u. IV. Auflage dieses Buches wurde irrtümlich berichtet, dass aucli die Sehnen mit Seide genäht seien und keine einzige Seidennaht sich ausgestossen habe.

Behandl. akut. Entzünd. u. Eiterungen an d. Gliedern mit d. Stauungsb. 305

gische Klinik aufgenommen. Da die Bruclienden nur wenig voneinander entfernt standen und der ganze fibröse Streckapparat erhalten war, wiirde von einer Behandlung mit Naht oder Verband abgesehen. Um den Blut- erguss zu beseitigen, wurde das Gelenk täglich eine Stunde in den Heiss- luftkasten gebracht, im übrigen wurde es von vornherein aktiv und 23assiv bewegt. Am 17. I. entzündete sich das kranke Knie heftig. Die Tempe- ratvir ging staff eiförmig in die Höhe. Die Probepunktion mit der Pravaz sehen Spritze ergab Eiter, der Staphylokokken in Reinkultur enthielt. Es wurde Stauungshyperämie eingeleitet. Das Leiden besserte sich schnell, vom 29. I. ab war die Körpertemperatur normal. Am 28. I. fördert die Probespritze nur blutig gefärbtes Serum aus dem Gelenke zu- tage, das sich als völlig steril erwies. Während der ganzen Zeit wurden vorsichtige passive Bewegungen in dem vereiterten Gelenke vorgenomrhen.

Am 8. II. war das Knie abgeschwollen, und aktive tmd passive Be- wegungen waren in fast normaler Ausdehnung möglich. Die Stauungs- hyperämie wurde ausgesetzt, imd statt dessen wurde eine täglich einstündige Heissluftbehandlung vorgenommen.

Am 1. III. wurde der Kranke mit normal funktionierendem Gelenke entlassen.

In der Nachbehandlung infizierter Wunden spielt auch der Schröpf köpf eine grosse Rolle. Nicht selten kommen, besonders bei Laparatomien, die sich nicht ganz aseptisch gestalten lassen, aber auch zuweilen bei Radikaloperationen von Hernien kleine milde Infektionen vor, die zur Fistelbildung führen. Behandelt man diese nach den Regeln, die in einem späteren Kapitel über die Anwendung des Schröpfkopfes gegeben werden, so schliesst sich die Fistel meist überraschend schnell, zuweilen nach einma- liger Anwendung. Hat man Seidenfäden verwandt, so saugt sie der Schröpfkopf heraus, oder sie heilen sogar trotz der Eiterung ein. Ebenso kann man infizierte Wunden des Rumpfes mit sehr gutem Erfolge mit dem Schröpf köpfe behandeln.

Diese unsere Beobachtungen sind auch von anderer Seite be- stätigt worden.

Verwandlung heisser Abscesse in kalte.

In seltenen Fällen verwandelt die Stauungshyperämie heisse Abscesse in kalte, wie folgende Beispiele zeigen:

25. Ein 7 jähriger Knabe kam am 28. Juli 1904 mit einer heftigen und sehr schmerzhaften akuten Entzündung des rechten Unterschenkels in die Klinik. Hauptrötung und -Schwellung sassen auf der Aussenseite und nahmen diese gänzlich ein. In der Mitte war sehr deutliche Fluktuation vorhanden. Die Probepunktion ergab dickflüssigen Eiter, welcher Staphy- lokokken enthielt. Der Abscess wurde absichtlich nicht gespalten, sondern Bier, Hyperämie als HeiluiiUel. 20

306 Spezieller Teil.

es WTirde einfach Stauungsliyperämie eingeleitet. Schon am 30. Juli war der Abscess kalt geworden. Alle Entzündungserscheinungen waren ver- schwunden, die vorher erhöhte Temperatur war zur Norm gesunken. Der Abscess bestand noch in alter Ausdehnung und hatte die Haut sehr stark verdünnt. Am 5. August brach er durch vuid entleerte einen 1 cm langen Dorn. Aus der kleinen Diirchbruchsöffnung wau-de der Eiter ausgedrückt, ohne dass die Haut weiter gespalten wurde. Am 9. August war alles ver- heilt, und der Kranke wurde entlassen.

Ein Beispiel für das Kaltwerden eines Streptokokkenabscesses unter Stauungshyperämie steht mir aus neuerer Zeit nicht zur Verfügung. Ich muss deshalb auf einen älteren Fall aus dem Jahre 1901 zurückgreifen, welchen ich an anderer Stelle i) bereits ausführhch beschrieben habe:

26. Es handelte sich um einen 18jährigen Schlachter, welchen ich in Greifswald beobachtete. Er wurde am 14. März 1901 wegen einer unge- wöhnlich schweren akuten Entzündimg in der Gegend des rechten Knie- gelenks aufgenommen. Der kranke Gliedabschnitt war so stark geschwollen, dass er 5 cm melir im Umfang mass als der gesunde. Es bestand daneben eine heftige Lymphangitis am Oberschenkel. Die Temperatur war sehr erhöht, das Allgemeinbefinden stark gestört. Der Kranke delirierte die erste Nacht, sprang aus dem Bette und musste bewacht werden. Am anderen Morgen wurde Stauungshyperämie eingeleitet. Allgemeinerscheinungen, Krankheitsgefühl luid Fieber schwanden schnell darunter und, was iins hier interessiert, auch die Entzündungserscheinungen, so dass schon am 18. März die Stauungsbinde entfernt werden konnte. Aber nach Abziehen der Schwellimg fand sich luiterhalb des Kniegelenks ohne alle Entzündungs- erscheinungen ein Abscess, der gespalten wurde ixnd schokoladenfarbigen Eiter enthielt. Aus ilim wurde eine Reinkultur von Streptokokken ge- züchtet.

Verschwinden von Abscessen unter Stauungshyperämie.

27. Ein 12jähriger Knabe wurde am 23. Juli 1904 aufgenommen. Man fand eine heftige karbunkelähnliche Entzündung am Hinterhaupt und am Nacken. Die Haut über beiden Hinterhauptbeinen bis zm" Mitte des Nackens war hart infiltriert, die Umgebung stark ödematös geschwollen und sehr druckempfindlich. Imnitten der harten Schwellung war eine walnussgrosse weiche Stelle. Die Probepiinktion ergab hier dicken Eiter, der Staphylokokken enthielt. Der Kopf wurde ganz steif und vornüber- gebeugt gehalten. Die Körpertemperatur war kamxi erhöht (bis 37,9° in der Achselhöhle).

Es wurde eine Stauungsbinde um den Hals gelegt und tagsüber ge- tragen. Schon am 26. Juli war der Kopf frei beweglich imd die kranke Stelle schmerzlos. Die heisse Entzündung war vollständig kalt geworden.

1) Verhandlungen des 19. Kongresses für innere Medizin. 1901. S. 219.

Beliandl. akut. Entzünd. u. Eiterungen an d. Gliedern mit d. Stauungsb. 307

Eine erneute Probepimktion am 28. Juli ergab klares Senxm. Unter fort- gesetzter Stauung war bei der Entlassung am 2. August alles Krankhafte einschliesslich des Abscesses spurlos verschwunden.

28. Ein 29 jähriger Tagelöhner erkrankte 8 Tage vor der Aufnahme plötzlich unter Schüttelfrost und grossen Schmerzen an der Innenseite des rechten Unterschenkels.

Am 22. Januar 1904 wurde er bei uns aufgenommen mit einer sehr heftigen und schmerzhaften Entzündung am rechten Unterschenkel, dessen beide obere Drittel ödematös geschwollen und lebhaft gerötet waren. Die Hauptschwellung und- rötung sass über der Innenfläche des Schienbeins, sie war auf Druck äusserst empfindlich. Der Knochen fühlte sich daselbst verdickt an, doch war im Röntgenbilde nichts Abnormes an ihm zu ent- decken. Fluktuation war nicht nachzuweisen. Es wurde Stauungshyper- ämie 22 Stunden täglich angewandt. Fieber, Schmerzen und Schwellung gingen in einigen Tagen zurück bis auf die erwähnte Gegend am Schien- bein. Hier bildete sich deutlich Fluktuation aus, welche am 28. I. ihren Höhep\inkt erreichte. Ich beabsichtigte, den hier offenbar vorhandenen

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Tafel III.

Abscess, der schon zu einer Verdtmnung der Haut geführt hatte und unter Stauungshyperämie kalt geworden war, von selbst durchbrechen zu lassen, aber er bildete sich imter fortgesetzter Staumigshyperämie schnell wieder zurück und verschwand nach einigen Tagen vollständig. Am 15. IL wurde der Mann völlig gesund entlassen. Der einzige abnorme Befimd bestand in einer leichten Verdickung des oberen Schienbeinendes. Über den Tem- peraturverlauf gibt Tafel III Aufschluss.

Weitere Fälle von Verschwinden heisser Abscesse werden im Verlaufe der Arbeit noch beschrieben. Ich könnte noch mehr beginnende Phlegmonen und Panaritien aufführen, wo nach all unserer Erfahrung Eiter vorhanden sein musste, die aber durch Stauungshyperämie zurückgingen. Indessen kann ich hier den strengen Beweis, dass bereits ausgesprochene Eiterung vorhanden war, nicht führen.

Wir sehen also bei der Anwendung von Stauungshyperämie auch bei Eiterung der Gliedmassen ähnliche Verhältnisse eintreten, wie wir sie von anderen Organen bereits kennen. Wir wissen, dass die appendizitischen Abscesse in einer grossen Zahl von

20*

308 Spezieller Teil.

Fällen nach einem ursprünglich heissen Verlaufe kalt werden und v"on selbst verschwinden. Etwas Ähnliches beobachtet man in vielen Fällen von Osteomyelitis. Bemerkenswert ist, dass diese Abscesse, geradeso wie die durch Stauungshyperämie beseitigten, nicht selten vor dem Verschwinden sich in mehr oder weniger klares Serum verwandeln.

Bauchfell und Knochenmark haben also von Natur das Ver- mögen, durch eine äusserst heftige ,, entzündliche Reaktion" die Infektion zu unterdrücken und bereits gebildeten Eiter wieder auf- zusaugen. Diese Tätigkeit können wir auch anderen Körperteilen, die das an und für sich in der Regel nicht fertig bringen, künstlich verleihen.

Wenn es somit auch feststeht, dass man zuweilen schon aus- gebildete Abscesse ohne blutigen Eingriff allein durch Stauungs- hyperämie zum Verschwinden bringen kann, so ist dies doch keineswegs die Regel und soll es nicht sein. Denn schliesslich ist auch die Spaltung des Abscesses nichts als die Nachahmung und Verbesserung des natürlichen Heilungs Vorganges. Die Eiterung hat im allgemeinen den Zweck, etwas Fremdartiges und Schäd- liches aus dem Körper zu entfernen. Im grossen und ganzen ent- ledigt sich der heisse Abscess dieser Aufgabe mit rücksichtsloser Energie. Er bricht schliesslich, oft auf den verschlungensten Wegen, nach aussen durch und kennt keine Hindernisse. Aber wir wissen, dass dieser Vorgang häufig nur unter den schlimmsten Verwüstungen in den Geweben und unter grossen Qualen und Schädlichkeiten für den Eiternden stattfindet. Was aber die Natur in langer Zeit, auf Um- und Irrwegen, unter beträchtlichen Ge- fahren und Schmerzen für den Kranken erreicht, das leistet der barmherzige Schnitt, der die hindernden Gewebe durchtrennt, ge- fahrlos und auf dem direkten und wenigst verletzendem Wege in kürzester Frist.

Zudem wissen wir ja, besonders aus unseren Erfahrungen bei der Appendicitis, dass es für die Folgezeit günstiger ist, einen heissen Abscess nach aussen zu befördern, als ihn der Resorption und der Abkapselung zu überlassen.

Ganz abgesehen davon aber zeigen auch einige unserer Beob- achtungen, dass die Unterlassung der rechtzeitigen Entleerung des Eiters einen Schaden für den Kranken bedeutete.

Ich möchte also hier nicht missverstanden werden. Unser Vorgehen, sicher nachgewiesene Abscesse zuweilen, wenn

Behandl. akut. Entzünd. u. Eiterungen an d. Gliedern mit d. Stauungsb. 309

dieKrankheitssymptome es gestatteten,nicht ZU spalten, hatte lediglich prinzipielle Bedeutung. Es sollte die ge- waltige Wirkung der Stauungshyperämie vor Augen führen. Jedem anderen rate ich, in solchen Fällen unter allen Umständen zu spalten.

Nur kommt man unter diesem Mittel mit viel kleineren und weniger verstümmelnden Schnitten aus. Sehr sorgfältig und breit soll man dagegen die Abscesse spalten, wenn schwere Zirkulations- störungen vorhanden sind. Bei den Sehnenscheidenphlegmonen be- vorzuge ich mehrere kleinere Schnitte, damit die Sehne nicht all- zusehr entblösst wird und nicht aus ihrem Fache springt. Viel- leicht wäre es auch praktisch, an den Fingern die von mehreren Ärzten schon früher empfohlenen seitlichen Schnitte in die vereiterte Sehnenscheide zu machen.

Stets soll man auch untersuchen, ob unter der Stauungshyper- ämie neue Abscesse entstehen, und sie spalten, sobald sie erkannt sind. Fortdauer der Entzündungserscheinungen und des Fiebers lassen sie vermuten.

An sich hat ja die Frage der Abscessspaltung mit der Stauungs- hyperämie nichts zu tun. Wer glaubt, von einem Ende bis zum andern spalten zu müssen, kann das ausführen und doch daneben Stauungshyperämie einleiten. Ich habe indessen den Versuch ge- macht, im allgemeinen mit kleineren Schnitten auszukommen, die weniger verstümmeln und mit geringerer Narbenbildung ausheilen. Im allgemeinen ist dieser Versuch sehr gut gelungen.

Meine Zurückhaltung im Operieren entsprang vor allem meinem von Jahr zu Jahr wachsenden Widerwillen gegen die hässlichen, häufig sogar wüsten und verstümmelnden Operationen, die wir bei schweren phlegmonösen Krankheiten auszuführen gezwungen sind. Ich hoffe viel zu ihrer Einschränkung beigetragen zu haben und sie mit der Zeit immer mehr und mehr einschränken zu können.

Verhaltender akuten Eiterung unter Stauungshyperämie.

Auf die offene Eiterung wirkt die Stauungshyperämie sehr ver- schieden, so dass sich hier eine einheitliche Regel nicht aufstellen lässt. Zuweilen werden eiternde Wunden schnell trocken. In der Regel aber vermehrt die Stauungshyperämie die Eiterung. Sie führt entweder zu massenhaftem serösen oder zu dickem und rahmigem Eiter. Aber auch der letztere pflegt bald einer ausser-

y]^Q Spezieller Teil.

ordentlich reichen serösen oder leicht blutig-serösen Ausscheidung Platz zu machen, die selbst dicke aufsaugende Verbände in kurzer Zeit durchfeuchtet.

In 5 Fällen beobachteten wir, dass der Eiter unter dem Ein- fluss der Stauungshyperämie anfing zu stinken und zuweilen Gas- blasen abzusondern. Der Vorgang war in allen FäUen so gleich- artig, dass es kein Zufall sein konnte. Es handelte sich immer um schwere Infektion, die indessen durch diese Umwandlung des Eiters durchaus nicht verschlimmert wurde. Diese Fälle beobachtete ichim Anfang meiner Versuche, später habe ich sie nicht mehr gesehen.

Der Ablauf der Eiterung pflegt unter Stauungshyperämie sehr schnell zu erfolgen. Sie führt zu rascher Abstossung der schon brandig gewordenen Gewebe und, was viel wichtiger ist, sie erhält Körperteile am Leben, mit deren Absterben wir uns als etwas Selbstverständlichem und Unvermeidlichem bei unserer üblichen Behandlung vertraut gemacht hatten. Das Mittel lokalisiert ferner die Eiterung in hohem Masse und erspart dadurch den Kranken grosse verletzende und verstümmelnde Schnitte und stellt die Funk- tion der erkrankten Körperteile in einer Weise wieder her, welche wir bisher für unmöglich gehalten haben.

Chirurgische Behandlung der akuten Eiterung unter Stauungshyperämie.

Abscesse werden mit nicht zu grossen Schnitten eröffnet, wo es schmerzlos und gründlich möglich ist, unter Lokalanästhesie; meist genügt der Chloräthylspray. Dagegen wende ich bei wirklich schweren Eiterungen, wie der akuten Osteomyelitis, und solchen, wo die Funktion von Körperteilen auf dem Spiele steht, wie bei den Sehnenscheidenphlegmonen, stets Allgemeinnarkose, vor allen Dingen den vortrefflichen Sudeck'schen« Ätherrausch oder Rückenmarksanästhesie an. Denn da lässt sich unter Lokalan- ästhesie nicht schmerzlos und sorgfältig arbeiten. Etwa 2 -3 Stun- den nach der Spaltung, wenn die Blutung völlig steht, wird die Stauungshyperämie wieder angewandt.

Ich erwähne auch hier wieder, daß es trotz der oben mit- geteilten Beobachtungen durchaus notwendig ist, alle Abscesse zu spalten. Leider ist es für den Ungeübten nicht ganz leicht, dieselben zu finden. Das mächtige ödem verbirgt sie. Deshalb nimmt man den Verbandwechsel am besten nach der Hoch-

Behandl. akut. Entzünd. u. Eiterungen an d. Gliedern mit d. Stauungsb. S\]_

lagerung während der Stauungspause vor und untersucht dann, wenn das ödem sich verringert hat. Ferner werden Abscesse unter Stauungshyperämie nicht selten kalt und schmerzlos. Das erschwert wiederum die rechtzeitige Erkennung. Stets soll man deshalb unter Chloräthylspray einen Einstich machen, wenn man Verdacht auf einen Abscess hat. Findet man ihn nicht, so schadet das weiter nichts.

Lässt man unter Stauungshyperämie einen Abscess stark anwachsen, so ist das ein grober Kunstfehler. Große Abscesse sollte man immer erkennen.

Die Abscesse werden nur ganz ausnahmsweise drainiert und niemals tamponiert. Mit der Tamponade wird in der Chirurgie ein grosser Missbrauch getrieben. Es ist doch wirklich nicht zu ver- wundern, wenn eine Sehne abstirbt, die man mit einem dochtähn- lich wirkenden Frenidkörper einhüllt, der ihr alle Ernährungssäfte aussaugt, oder ein Knochen, den man so künstlich austrocknet.

Dies sollte man auch bei vielen anderen Wunden beherzigen. Seitdem ich zum Beispiel bei Mastdarmresektionen die Nahtlinie nicht mehr tamponiere, sondern sie möglichst in Verbindung mit den umgebenden Wundflächen bringe, habe ich weit bessere Erfolge im Zusammenheilen der Stümpfe.

Die Wunde, die von der Abscessspaltung herrührt, wird also einfach mit einem aseptischen, aufsaugenden Verbände bedeckt, der gross sein muss, wenn eine sehr reichliche seröse Ausscheidung stattfindet.

Die Wunden werden täglich verbunden, und der Eiter wird durch Ausspülen mit physiologischer Kochsalzlösung oder sterilem Wasser ausgespült. Hat man, wie wir es besonders bei den Sehnen- scheidenphlegmonen bevorzugen, kleine Schnitte angelegt, so muss man den Eiter durch vorsichtiges Ausdrücken und Streichen entfernen.

Den Verbandwechsel soll man möglichst in sterilen Gummi- handschuhen vornehmen.

Sind trotz erheblich herabgeminderter Stauungszeit die Kranken einige Tage fieberfrei, so kann man sich mit Vorteil zur Nachbehandlung der Heissluftbäder bedienen, selbst wenn die Eiterung noch sehr erheblich ist. Man lässt die heisse Luft anfangs 10 20 Minuten einwirken, und steigt schnell, wenn sie gut vertragen wird, auf V2 1 Stunde täglich. Die heisse Luft eignet sich eben vortrefflich für die Folgezustände akuter In- fektionen, sie beschleunigt die Demarkation, regt die Granulations-

3X2 Spezieller Teil.

bildung an und beseitigt die Stauungs Ödeme und Versteifungen. Sie ist deshalb vor allen Dingen angebracht als Nachbehandlung von Osteomyelitiden und Sehnenscheidenphlegmonen^).

Beeinflussung der Temperatursteigerung durch Stauungshyperämie.

Ich habe eine ganze Reihe von schweren akuten Infektionen gesehen, wo unmittelbar nach Einleiten der Stauungshyperämie die vorher erhöhte Temperatur erheblich sank. Zuweilen ging die Senkung sofort bis zur Norm, und die Temperatur blieb normal. Wir gehen wohl nicht fehl, wenn wir annehmen, dass das Mittel in diesen Fällen die Krankheitsursache sofort unterdrückt und be- seitigt hat. Denn zugleich mit der Temperatursteigerung ver- schwinden auch die übrigen Krankheitserscheinungen (Schmerzen, Entzündung, Krankheitsgefühl), um nicht wiederzukehren. Ich 12 18 14 führe für diese Art der Beeinflussung der Tem- peratur einen Fall von Osteomyelitis an, der von vornherein milde verlief, nicht zum Aufbruch führte und durch Stauungshyperämie schnell und dauernd zur Heilung gebracht wurde:

29. Ein 15 jähriger Knabe erkrankte 5 Wochen vor der Aufnahme plötzlich beim Arbeiten mit starken Schmerzen in der linken Schulter. Er konnte anfangs Tafel IV noch die Arbeit fortsetzen, musste sie aber bald auf-

geben. Am 9. November 1904 wurde er aufgenommen. Der ganze linke Oberarm war angeschwollen. Die obere Hälfte des Knochens fühlte sich verdickt an, die Haut darüber war leicht gerötet. Der Fingerdruck blieb überall stehen. Das Hauptödem sass an der Innenseite, etwas oberhalb des Ellbogengelenkes. Das Schultergelenk war geschwollen und gänzlich ver- steift. Bewegungsversuche und Druck auf den Sulcus intertubercularis waren sehr empfindlich. Es wurde täglich 6 Stunden die Schulterstauung angewandt, und im Schultergelenk, dessen Schmer zhaftigkeit unter diesem Mittel schnell zurückging, wurden passive und aktive Bewegungen aus- geführt. Schon nach 3 Tagen hatte die Schwellung sehr nachgelassen, und das Schultergelenk begann beweglich zu werden.

Ana 3. Dezember war der Arm völlig abgeschwollen und das Schulter-

1) Es ist scharf zu unterscheiden zwischen der akuten Infektionskrankheit tind ihren Folgezustäiiden. Es ist ein arger Missbrauch, wenn man z. B. die Nekrose und ihre Eiterung, die durch eine akute Osteomyelitis hervorgerufen ist, mit dem Namen ,, chronische Osteomyelitis" belegt, wie das vielfach ge- schieht. Mit demselben Rechte könnte man die Rmnen eines durch Feuer zer- störten Hauses einen fortglimmenden Brand nennen.

Behandl. akut. Entzünd. u. Eiterungen an d. Gliedern mit d. Stauungsb. 313

gelenk in normalen Grenzen aktiv und passiv beweglich. Die Stauungshyperämie wurde ausgesetzt. Am 7. Dezember wurde der Knabe völlig geheilt entlassen.

Die Wirkung des Mit- tels auf die Körpertempe- ratur geht aus Tafel IV klar hervor.

In andern Fällen be- einflusst die Stauungs- hyperämie die Temperatur auf ganz andere Weise. W ährend in den geschilder- ten Fällen, die ganze Krank- heit und damit auch die Steigerung der Temperatur durch Einleitung der Stau- ungshyperämie sofort und dauernd beseitigt wird , sehen wir zuweilen, dassdie Temperatur, nur während des Liegens der Binde sinkt, um sofort wieder zu steigen, sobald sie abgenommen wird. Als Beispiel dafür bil- de ich nebenstehende Tem- peraturtafel ab, die von dem 18 jährigen Schlachter stammt, dessen Krankheit auf Seite 306unterNr. 26be- schrieben ist. Ich wandte in diesem Falle die Stauungs- hyperämie nur stundenwei- se mit Unterbrechungen an . Die Zeit, während der sie unterhalten wurde, ist auf der Tafel V mit einer unter- brochenen Liniedargestellt . Man sieht deutlich, dass

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Tafel V.

314 Spezieller Teil.

die Temperatur, besonders als die Krankheit sich noch auf der Höhe befand, mit dem Anlegen der Binde sinkt, mit dem Ab- nehmen wieder steigt. Dies ist um so bemerkenswerter, als das Sinken der Temperatur in die Zeiten des normalen Tagesanstiegs fäUt.

Die Deutung dieser Erscheinung ist nicht schwer. Wie im all- gemeinen Teile auseinandergesetzt wurde, vermindert die Stauungs- hyperämie und das danach entstehende Ödem offenbar die Re- sorption der Bakteriengifte. Folgende Erfahrung bestätigt diese Ansicht: Wir machten mehrmals die Beobachtung, dass während der Hochlagerung der durch Stauungsh3rperämie stark ödematös gewordenen und akut entzündeten Gliedmassen die betreffenden Leute krank und fiebrig aussahen und sich schlechter fühlten, als während des Liegens der Stauungsbinde. Mit dem ver- schwindenden Odem kamen natürlich auch die in ihm auf- gespeicherten Mengen der Bakteriengifte in den Kreislauf.

Die geschilderten beiden Formen der Temperaturbeeinflussung durch Stauungshyperämie sind aber keineswegs immer nachzu- weisen und in so deutlicher Weise, wie in den mitgeteilten zwei Fällen, nicht einmal die Regel. Sehr häufig sehen wir, dass das Mittel die Temperatur gar nicht beeinflusst. Sichere Schlüsse auf den Verlauf der Krankheit lassen sich daraus nicht ziehen, wie der folgende Fall beweist:

30. Ein 7 jähriges Mädchen erkrankte etwa 4 Wochen vor der Auf- nahme an Schmerzen und Schwellung im rechten Oberschenkel.

Am 18. Juni 1904 wurde es aufgenommen. Der rechte Obei'schenkel war sehr stark geschwollen, auf der Aussen- und Innenseite war Fluktua- tion nachzuweisen. Von der Aussenseite her wurde durch einen 6 cm langen Schnitt eine grosse Eiterhöhle gespalten. Die Hinterseite der Diaphyse des Oberschenkelknochens war in ihren unteren zwei Dritteln vom Periost entblösst. Der Eiter enthielt Staphylokokken. Es wio-de Stauungs- hyperämie eingeleitet. Es trat eine massenhafte Eiterung ein. Da diese nur unvollkommen Abfluss hatte, wurde auf der Innenseite eine Gegen- öffmmg angelegt. Die Eiterung nahm allmählich mehr und mehr ab. Am 20. August waren die Wunden vernarbt und das Leiden ohne Knochen- nekrose ausgeheilt. Am 5. September wurde die Kranke entlassen. Der rechte Oberschenkelknochen war verdickt, die Funktion des Beines normal.

Der Fall verlief auffallend günstig, trotzdem er sehr spät nach Ausbruch der Krankheit in Behandlung kam, und obwohl eine sehr ausgedehnte Erkrankung des Knochens mit Entblössung vom Periost vorlag, heilte er ohne Nekrose und ohne Funktionsstörung aus.

Behandl. akut. Entzünd. u. Eitervmgen an d. Gliedern mit d. Stauungsb. 315

Die Stauungshyperämie, welche dies vollbrachte, liess aber die charakteristische bei Osteomyelitis vorkommende Temperatur in den ersten Wochen unbeeinflusst.

Länger dauerndes Fieber ist also an sich kein Grund, die Stauungshyperämie auszusetzen. Dies trifft besonders für Osteo- myelitiden zu. Voraussetzung ist, dass das Allgemeinbefinden ungestört ist, der Appetit erhalten bleibt und keine wesentlichen Schmerzen bestehen.

Behandlung akut und subakut entzündeter Gelenke mit der Stauungsbinde.

Unter den akut entzündeten Gelenken, welche der Behandlung mit Stauungshyperämie zugänglich sind, erwähne ich an erster Stelle die Gelenkentzündungen der Tripperkranken. Ich habe die verschiedensten Formen dieser Entzündungen mit dem Mittel be- handelt und die besten Erfolge in den Fällen gesehen, wo uns bisher gerade ein Mittel fehlte, bei den schwersten, zur Ankylose oder wenigstens den schlimmsten Versteifungen führenden Ent- zündungen, welche König mit dem Namen der phlegmonösen be- legt hat. Bekanntlich sind hier ausser dem eigentlichen Gelenke die Gebilde neben demselben, und zwar vor allem die Sehnen be- teiligt. Die Fälle sind ausgezeichnet durch die enorme Schmerz- haftigkeit.

Ich wüsste kaum ein Mittel, welches bei irgend einer Krank- heit so prompt wirkte, wie die hier ausserordentlich leicht hervor- zurufende heisse Stauung. Schon eine Stunde nach Einleitung der Behandlung sind die Schmerzen ganz erheblich gemildert, und man kann bei Fällen von Erkrankung des Handgelenks und seiner Umgebung z. B., wo jede Berührung und besonders jeder Versuch, die gänzlich steifen Finger zu bewegen, von den wütendsten Schmerzen begleitet ist und jede Bev^egung zur Unmöglichkeit ge- hört, zum grössten Erstaunen des Kranken vorsichtig passive Be- wegungen vornehmen, und, was die Hauptsache ist, diese Beweg- ungen werden ohne Schaden vertragen. Der Kranke lernt meist bald den Vorteil und die Annehmlichkeit des Mittels schätzen und verlangt nach der Stauungsbinde, wenn sie längere Zeit abge- nommen wurde. Ja, sie hat, während der Nacht getragen, sich als das beste Schlafmittel bewährt und Kranken, die eine Reihe von Nächten vorher trotz narkotischer Mittel keinen Schlaf gefunden hatten, die ersehnte Ruhe verschafft.

316 Spezieller Teil.

31. Ein 20 jähriger Mann bekam 3 Monate vor seiner Aufnahme einen Tripper. Vor 5 Wochen erkrankte er plötzlich des Nachts mit heftigen Schmerzen im rechten Handgelenke, welche ihm den Schlaf raubten. Ein hinzugerufener Arzt erklärte das Leiden für einen akuten Gelenkrheuma- tismus, wickelte das Glied zuerst in Watte, behandelte es dann mit einem Eisbeutel und schliesslich mit so starker Jodpinselung, dass die Haut ent- zündet \md rissig wurde. Als dies nichts nützte, wurde das Glied auf eine Schiene festgewickelt, welche der Kranke die letzten 4 Wochen ge- tragen hat.

Dies alles war ohne jeden Erfolg.

Am 9. Juli 1902 wiirde der Kranke aufgenommen. Die Gegend des rechten Handgelenkes war sehr stark geschwollen; der Umfang, iim das Handgelenk gemessen, betrug auf der rechten Seite 25^, auf der linken 18% cm. Auf dem Handrücken war starkes Ödem, welches sich bis in die Gegend des Ellbogengelenks verfolgen liess. Die Hohlhand war aus- gefüllt. Hautrötung fehlte. Die Finger standen in Streckstellung, die Hand in Pronation fest. Die ganze Gegend des Handgelenks und der Strecksehnen war aufs äusserste gegen Berühriing empfindlich, der leichteste Versuch, das Handgelenk oder die Finger zu bewegen, brachte den Kranken zum lauten Aufschreien. Er behauptete, die letzten Wochen des Nachts fast gar nicht, des Tags über nwc wenig geschlafen zu haben, weil die Schmerzen im rechten Handgelenke trotz Festwickelung auf einer Schiene unerträglich waren. Er kam infolgedessen sehr herunter.

Auf Druck war das Gelenk zwischen Hand-woirzel- und Mittelhand- knochen am stärksten empfindlich. Im Röntgenbilde sieht man jeden ein- zelnen Handwurzelknochen mit einem breiten, lichten Hofe umgeben. Es sieht aus, als wären sie, jeder für sich, mit einer Schicht Watte umgeben und darin so nebeneinander gelagert. Die stärksten Veränderungen finden sich an den oberen Enden des 2. 5. Mittelhandknochens. Ihre Gelenkenden sind stark kariös zerfressen und zeigen daneben periostale Wucherungen. Im übrigen bieten sie ebenso wie die Fingerknochen die bei Gelenkentzün- dungen gewöhnlichen atrophischen Veränderungen. Die Weichteile des Oberarmes sind atrophisch, die des Vorderarmes wegen des Ödems nicht zu beurteilen.

Der Kranke hatte noch gonokokkenhaltigen Ausfluss aus der Harn- röhre. Er fieberte nicht.

Das kranke Glied wurde auf einer Schiene befestigt und zunächst bis zum anderen Morgen senkrecht hochgehangen, damit das ödem möglichst abziehen und eine genauere Untersuchung ermöglicht werden sollte. Dies gelang nicht, die Umfangmessung ergab am Morgen des 10. Juli den gleichen Befund.

Am 10. Juli morgens 8% Uhr wurde die Stauungsbinde am Ober- arme angelegt. Nachdem sie 1 Stixnde gelegen, hatte der Kranke keine Schmerzen mehr. Im Handgelenke und an den Fingern waren zur grössten Verwunderung des Kranken leichte passive Bewegungen oline Sclimerzen möglich. Um 9% Ulir wurde die Binde entfernt und von 10% 2 Uhr wieder angelegt. Des Abends von 7^ 10^ Uhr wurde sie wieder ge- tragen, und wälirenddessen hatte der Kranke zvun erstenmal seit langer Zeit einen ununterbrochenen und tiefen Schlaf. Bald nach Abnahme der

Behandl. akut. Entzünd. u. Eiterungen an d. Gliedern mit d. Stauungsb. 317

Binde stellten sich wieder Schmerzen ein, so dass der Kranke nicht weiter schlafen konnte.

Am Morgen des 11. Juli war das Gelenk wieder von selbst und auf Druck stark schmerzhaft. Von 8% 1 Uhr wurde die Binde getragen; nachdem sie 20 Minuten gelegen, war die Schmerzhaftigkeit verschwiinden, trat aber 1 Stunde nach Abnahme derselben wieder auf. Von abends 7 bis morgens 8 Uhr wizrde wieder Stauungshyperämie unterhalten; sie hatte eine starke Rötung, Schwellung rnid Hitze im kranken Gliede hervor- gebracht. Der Kranke hatte von 9^ 4 Uhr in einem Stück geschlafen. Bei Druck war keinerlei Schmerzhaftigkeit vorhanden, passive Bewegungen des Handgelenks und der Finger waren bereits in grösserer Ausdehnung möglich.

Am 12. JuH trug der Kranke die Stauungsbinde von %12 Uhr mittags bis zum Morgen des 13. Juli um 9% Uhr. Sie wurde währenddessen einnaal an eine andere Stelle gesetzt. Dabei hat er die ganze Nacht durch- geschlafen.

Von 5 Uhr am 13. Juli bis um IIV2 Uhr am 14. Juli wurde die Binde wieder ununterbrochen getragen. Seitdem wurden Schmerzen im Handgelenke von selbst auch in den Pausen, wo keine Hyperämie einge- leitet wiu-de, gar nicht mehr, bei Druck niir noch am Gelenk zwischen Metacarpus und Handwurzel versjjürt. Der Kranke fing an, Handgelenk und Finger aktiv zu bewegen. Stärker schmerzhait war nur noch die Supination, welche jetzt auch in ausgiebiger Weise geübt wurde. Nach- dem die Binde 8 Stunden entfernt war, wurde der Umfang des kranken Handgelenkes wieder gemessen, er betrug 23,5 cm, hatte also trotz der Stauungshyperämie seit dem 10. JuH um 2 cm abgenommen. Die Ab- nahme der Schwellung machte sich auch an der starken Runzelung der Haut kenntlich.

Die Besserung der Krankheit machte, während die Dauer der Stauungs- hyperämie allmählich herabgemindert wxxrde, dauernd Fortschritte. Vom 22. Juli ab wurde leichte Massage zugefügt, die aber am 28. Juli wieder ausgesetzt wurde, weil sie Schmerzen hinterliess.

Am 1. August wurde der Kranke mit folgendem Befiinde in poli- klinische Behandlung entlassen: Der Umfang des rechten Handgelenkes misst 19% cm (hat also seit dem 10. Juli um 5% cm abgenommen) und beträgt noch 1 cm mehr als der des gesunden Gelenkes. Die noch vor^ handene Schwellung fühlt sich sehr derb tind fest an. Schmerzen werden nur noch bei starkem Druck auf das Gelenk zwischen Handwurzel und Metacarpus gefühlt. Die aktive Beugung des Handgelenkes ist fast ganz, die Rotation ganz frei, die Streckung dagegen noch sehr eingeschränkt. Die Finger können bis auf 2 cm Entfernung von der Hohlhand gebeugt und völlig gestreckt werden. Poliklinisch wurde noch bis zixm 5. August täglich 1 Stunde Stauungshyperämie, von da ab täglich Massage mit fol- gender halbstündiger Stauungshyperämie angewandt. Einige Tage später entzog sich der Kranke der Beobachtung, als er bereits ganz schmerzfrei war Txnd die Finger vollständig zur Faust einschlagen konnte.

Die Stauungshyperämie muss bei den wirklich schweren Formen der gonorrhoischen Gelenkentzündungen unbedingt lange Zeit, am

318 Spezieller Teil.

besten 20 22 Stunden täglich, unterhalten werden. Sonst erzielt man keine guten Erfolge, oder die Krankheit nimmt nur sehr all- mählich ab und führt dann zu Versteifungen. Schnelle und voll- ständige Heilungen erzielt man ferner nur, wenn die lange unter- haltene Stauung ein heftiges Ödem hervorruft. Der beschriebene Fall zeigt diese Verhältnisse. Wir besserten ihn erst dann schnell, als wir von kurzen Stauungsperioden zu längeren übergingen. Da- mals, als ich diesen Fall behandelte, machte ich gerade Versuche mit nur stundenweise unterhaltener Stauungshyperämie.

Bei. einem zweiten, dem geschilderten sehr ähnlichen Falle, der nur nicht ganz so schlimm war, machten wir dieselbe Erfahrung von der mangelhaften Wirkung der kurzdauernden Stauung in noch höherem Grade. Hier erzielten wir erst einen vollen Erfolg, als wir die Stauungshyperämie, wie wir früher gewohnt waren, 22 Stunden lang täglich unterhielten; insbesondere konnten wir auch hier eine ungestörte Nachtruhe erst herbeiführen, als wir die Binde des Nachts über tragen Hessen.

Die Stauungshyperämie hat mich bei diesen schweren Formen der gonorrhoischen Gelenkentzündung niemals im Stiche gelassen, und die Erfolge derselben sind, was die Schnelligkeit der Aus- heilung und besonders die Funktion der Glieder anlangt, gegen alles, was ich früher in dieser Beziehung gesehen habe, glänzend. In Kiel waren diese Fälle nicht sehr selten, und mein Lehrer von Esmarch pflegte sie mit Gipsverband zu behandeln. Trotz- dem dieser, sobald das Leiden es zuliess, entfernt wurde, waren doch Ankylosen oder schhmme Versteifungen die Regel.

Ich gebe bei den nur allzuleicht ankylosierenden Tripper- gelenken die strenge Regel, mit aktiven und passiven Be- wegungen sofort zu beginnen, sobald die Schmerzhaftig- keit dies irgend zulässt. Da die Stauungshyperämie, wie schon mehrfach erwähnt wurde, die Schmerzen meist schnell lindert, kann man häufig schon eine Stunde, nachdem das Verfahren ein- geleitet ist, mit Bewegungen beginnen. Schienenverbände werden nur in den Pausen, wo die Binde nicht liegt, oder zuweilen gleich- zeitig mit ihr während der Nacht angewandt, wenn die Schmer- zen noch gross sind und unwillkürliche Bewegungen im Schlafe diese verschlimmern.

Die Behandlung der gonorrhoischen Gelenke mit Stauungs- hjrperämie ist der mit anderen hyperämisierenden Methoden, z. B. mit heisser Luft, weit überlegen, davon überzeugte ich mich schon

Behandl. akut. Entzünd. u. Eiterungen an d. Gliedern mit d. Stauungsb. 3X9

ganz im Anfange meiner Versuche. Auch folgender Fall, den ich aus einer andern Behandlung übernahm, spricht für diese Ansicht: 32. Ein 19 jähriges Mädchen erkrankte 10 Wochen vor ihrer Auf- nahme des Morgens ganz plötzlich mit heftigen Schmerzen im linken Hand- gelenk und wurde deshalb in einem auswärtigen Krankenhaus mehrere Wochen hindurch mit heisser Luft behandelt. Das Gelenk wurde dabei aber immer steifer, und die Empfindlichkeit nahm nicht ab. Am 28. Sep- tember 1900 wurde sie in die chirurgische Klinik in Greifswald aufge- nommen. Das linke Handgelenk war nur wenig gleichmässig geschwollen, es mass im Umfang nur 1 cm mehr als das andere. Die Haut war ge- rötet, das Gelenk war auf dem Handrücken stark druckempfindlich, es stand in leichter Beugestellung, und Pronation und jeder Bewegungsversuch war von den furchtbarsten Schmerzen begleitet. Vom 28. September bis 27. Oktober wurde des Tags über Stauungshyperämie angewandt, dieselbe beseitigte die Sclimerzen in wenigen Tagen, so dass bald passive und später aktive Bewegungen ausgeführt werden konnten. Bei der Entlassung konnte das Gelenk im Sinne der Beugung und Streckung in einem Umfange von 50°, im Sinne der Drehung vollständig aktiv ohne Schmerzen bewegt werden, imd das kranke Glied war gut gebrauchsfähig.

Dagegen behandelt man die bereits chronischen Fälle von gonorrhoischen Gelenkentzündungen und besonders ihre Folge- zustände, die zurückbleibenden Versteifungen, mit grossem Nutzen mittels heisser Luft. Gegen die Versteifungen wirken meist noch viel besser die im allgemeinen Teile beschriebenen orthopädischen Saugapparate, besonders der für die Hand gegen Versteifungen der Finger und des Handgelenkes.

Selten kommen Fälle von gonorrhoischen Gelenkentzündungen vor, bei denen die Stauungshyperämie auf die Schmerzen gar keinen Einfluss hat, sondern sie sogar anfangs vermehrt. Ich gab früher den Rat, in diesen Fällen das Mittel aufzugeben und durch ein anderes zu ersetzen. Ausgedehnte Erfahrung hat mich aber ge- lehrt, auch diese Fälle erfolgreich mit Stauungshyperämie zu be- handeln. Meist muss man sich hier, ich möchte sagen, einschleichen. Man legt die Binde an, bis sie Schmerzen macht, dann nimmt man sie für kurze Zeit (meist für % 1 Stunde) ab, legt sie wieder an usw. Im wesentlichen hilft hier geschicktes Individualisieren. Sobald es gelingt, ein kräftiges Ödem hervorzurufen, schwinden in der Regel die Schmerzen. Ich glaube aber beobachtet zu haben, dass bei einzelnen dieser rebellischen Fälle sich Ödem nur schwer erzielen lässt. In letzter Zeit sind uns mehrfach von Kollegen, die sonst das Verfahren der Stauungshj^perämie gut kennen und Erfolge damit erzielt haben, Fälle von gonorrhoischer Gelenkentzündung als ungeeignet für dies Verfahren gesandt, wo wir doch nach

320 Spezieller Teil.

einigem Hin- und Herprobieren schnell den glänzendsten Erfolg er- zielten, wie z. B. im folgenden Falle:

33. Ein 22 jähriger Herr erkrankte iin Anschluss an einen Tripper am 6. Januar 1905 an einer gonorrhoischen Metastase im linken Hand- gelenke. Da Schwellnng, Rötung und Schmerzhaftigkeit schnell zunahmen, wurde er in die hiesige medizinische Klinik aufgenommen, wo er zuerst vergeblich innerlich mit Salicylpräparaten und äusserlich mit Salbenein- reibungen behandelt wurde. Dann wurde ein Versuch mit Stauungshyper- ämie gemacht, der ebenfalls gänzlich fehlschlug. Wenn der Kranke die Binde einige Stvmden getragen hatte, klagte er über unerträgliche Schmerzen, so dass sie abgenommen werden musste. Der Versuch wtirde viermal ohne Erfolg erneuert. Da das Allgemeinbefinden schlechter wurde und hohes Fieber mit zahlreichen Schüttelfrösten sich einstellte, glaubte man das ab- wartende Verfahren nicht länger verantworten zu können und verlegte den Kranken am 26. Januar zur chiringischen Klinik in der Ansicht, dass das kranke Gelenk operativ eröffnet werden müsse. Ich übergab indessen den Kranken meinem, in der Behandlung akuter Entzündungen ganz besonders erfolgreichen und geübten Assistenten Dr. Kej^pler, um einen nochmaligen Versuch mit Stauungshyperämie anzustellen.

Der Kranke bot bei der Airfnahme folgenden lokalen Befund: Die Gegend des linken Handgelenkes war stark gerötet und geschwollen, sein Umfang mass 23 cm gegen 16^4 cm auf der anderen Seite. Das Gelenk stand in Streckstelliing und war gänzlich unbeweglich, auch im Sinne der Drehung. Bewegungsversuche waren äusserst schmerzhaft. Der Handteller war verstrichen. Die Finger waren ödematös geschwollen und in Streck- stellvmg gänzlich versteift. Auch der Vorderarm war gerötet und ge- schwollen. Trotz des kurzen Bestehens der Krankheit war schon eine er- hebliche Atroj)hie des befallenen Armes eingetreten.

Keppler legte nach einigen Versuchen die Stauungsbinde so an, dass sie gut vertragen wurde. Der Kranke trug sie 18 Stunden unimterbrochen. Sie führte zu mächtigem ödem und feuriger Rötung der Hand und des Vorderarmes. Der Kranke gab an, dass die Schmerzen nicht wesentlich herabgesetzt seien, aber es fiel ihm selbst auf, dass er geringe aktive Be- wegungen mit dem Hand- und den Fingergelenken ohne Schmerzen aus- führen konnte.

Nach der üblichen Hochlagerung vertrug der Kranke ohne jede Schwierigkeit die 20 stündige Stauung. Nunmehr verlor sich die Sclimerz- haftigkeit ganz, vind die Heilung machte schnelle Fortschritte. Schon am 4. Febr., also 9 Tage nach Beginn der Behandlung, konnte der Kranke völlig geheilt entlassen werden. Beide Handgelenke hatten gleichen Umfang. Die ganz versteift gewesenen Gelenke waren normal beweglich und nicht die Spiir empfindlich.

Während der ganzen Dauer der Behandlung auf der chirurgischen KHnik hatte der Kranke weder Fieber, noch Schüttelfröste.

Übrigens konnte man an dem kranken Arme anfangs deutlich die Symptome der akuten Neuritis entdecken. Sämtliche Nerven- stämme waren auf Druck sehr stark empfindlich. Es ist möglich,

Behandl. akut. Entzünd. u. Eiterungen an d. Gliedern mit d. Stauungsb. 321

dass diese Neuritis der Grund für die zuerst beobachtete starke Zunahme der Schmerzhaftigkeit unter dem Drucke der Stauungs- binde abgab. Denn es fiel auf, dass der Kranke die Schmerzen nicht in das entzündete Gelenk, sondern in den ganzen Arm unterhalb der Binde verlegte und besonders über Schmerz an der Schnürstelle selbst klagte. Es ist möglich, dass häufiger eine Neuritis die Ursache für das Misslingen der Stauungsbehandlung gonorrhoischer Gelenke abgegeben hat; denn es ist ja sehr wohl möglich, dass das Gonokokkengift ebensogut die Nerven wie andere Gewebe schädigen kann. Es lohnt sich, fernerhin in solchen Fällen auf Neuritis zu achten.

Ich habe noch andere Fälle gesehen, wo uns in letzter Zeit die Stauungsbehandlung noch gelang, wo sie anderen misslungen war. Ich kann deshalb meinen früher gegebenen Rat, sie aufzu- geben, wenn man nicht sofort den Erfolg bemerkt, nicht aufrecht erhalten, sondern muss ihn dahin abändern, dass man in solchen Fällen durch geschicktes Hin- und Herprobieren versuchen soll, doch noch zum Ziele zu kommen, und, wie es scheint, regelmässig zum Ziele kommt. Dies zu erreichen, ist allerdings Sache des per- sönlichen Geschicks.

Übrigens lasse ich solche rebellische Fälle stets ins Kranken- haus aufnehmen.

In allerneuester Zeit sind meine Beobachtungen über die über- raschend günstige Wirkung der Stauungshyperämie auf Tripper- gelenke von den verschiedensten Seiten bestätigt worden. Der erste, der darüber berichtete, war Habs^). Ihm folgten Luxembourg^), Bum^), Tillmanns*), von Tiling^), Laqueur^), Hirsch^),

1) Habs, Über die Bier'sche Stauung. Münchner med. Wochenschr. 1903. Nr. 22.

2) Luxembourg, Über Bier'sche Stauung. Münchner med. Wochen- schrift 1903. Nr. 10.

3) Bum, Die Behandlung von Gelenkerkrankungen mittels Stauung. Wiener med. Presse 1905. Nr. 3 u. 4.

4) Tillmanns, tTber Behandlung durch venöse Stauung. Deutsche med. Wochenschr. 1905. Nr. 4.

5) von Tiling, The treatment of gonnorrheal Arthritis by Hyperemia. Journal of the American Medical Association 1905. 29. April.

6) Laqueur, Zur physikalischen Behandlung der gonorrhoischen Gelenk- erkrankungen. Berliner klin. Wochenschr. 1905. Nr. 23.

7) Hirsch, Über die Behandlung der Arthritis gonorrhoica mit Bier'scher Stauung. Berliner klin. Wochenschr. 1905. Nr. 39.

Bier, Hyperämie als Heilmittel. 21

322 Spezieller Teil.

v.Leyden u.Lazarus^) und Andere . Sie alle konnten über günstige Heilungen berichten. Vor allem bestätigten sie alle meine An- gaben über die schmerzstillende Wirkung unseres Mittels. Freilich, ich habe den Eindruck, dass einige dieser Autoren die Stauungs- hyperämie nicht energisch genug und nicht lange genug täglich angewandt haben. Denn so vollständige und schnelle Erfolge, wie ich sie in der Mehrzahl der frischeren Fälle gehabt habe, wozu z. B. der auf S.320 unter Nr. 33 geschilderte Fall gehört, werden nur durch V. Tiling berichtet. Ein Beispiel dafür, wie man die Stauungshyper- ämie nicht anwenden soll, bieten die Mitteilungen Hirsch's. Die von diesem Arzte gebrauchten Stauungen ,, zuerst nur wenige Minuten, dann steigend in der Regel bis zu ^ 1 Stunde, seltener bis zu li/'2 2 Stunden und nur in einem Falle bis zu 3 Stunden" können nicht viel nützen. Ich sollte meinen, das hätte ich oft genug betont. Ich wundere mich nur, dass er trotzdem verhältnis- mässig gute Erfolge erzielt hat. Auch sonst lässt sich an seiner Technik manches aussetzen.

Ist es nun nicht eine merkwürdige Erscheinung, dass es nach meiner ersten Mitteilung im Jahre 1894 volle 9 Jahre gedauert hat, bis man ein so einfaches, von mir immer wieder dringend empfohlenes Mittel nachgeprüft hat? Man hat, wie es scheint, erst nach der Veröffentlichung Habs' damit angefangen. Ich bin Habs sehr dankbar für seine Mitteilung, denn mir hätte man wohl immer noch nicht geglaubt. Ich erwähne dies nicht, um mich zu beklagen. Aber der Vorgang scheint mir charakteristisch für die heutige Moderichtung in der Medizin. Einfache und logische Mittel werden nicht geachtet, aber ,,mit allen Regeln der Wissenschaft" in Laboratorien und Fabriken hergestellte in unglaublicher Weise überschätzt und verallgemeinert. Welches Aufsehen hätte es wohl erregt, wenn irgend ein Serum zum Spritzen, oder ein mit schönem Namen auf den Markt geworfenes chemisches Präparat bei einer so scheusslichen und undankbar zu behandelnden Krankheit, wie sie das schwer befallene gonorrhoische Gelenk darstellt, ähnliche Erfolge erzielt hätte! Zum Beweise dafür wähle ich das Menzer'- sche Antistreptokokkenserum. Schon 3 Jahre, nachdem es zum ersten Male bekannt gegeben war, gab es darüber eine ansehnliche Literatur und wurde es reichlich angewandt. Und doch kann es

1) von Leyden und Lazarus, Über die Behandlung der Gelenkent- zündungen mit der Bier'schen Stauungshyperämie. v. Leuthold-Gedenk- schrift. I. Band.

Behandl. akut. Entzünd. u. Eiterungen an d. Gliedern mit d. Stauungsb. 323

sich nach den vorhegenden Berichten wenn es überhaupt etwas nützt mit der Leistungsfähigkeit der Stauungsbinde nicht im entferntesten messen.

Man wende auch nicht ein, dass die Wirkung eines Serums ein biologisch und wissenschafthch interessanterer Vorgang sei. Denn beide Mittel, Heilserum und Hyperämie, sollen doch schliess- lich nur einen natürlichen Heilungsvorgang unterstützen und ver- stärken, stehen also insofern vollständig auf einer Stufe und sind von gleich hoher theoretischer Bedeutung. Nur wird das erstere auf sehr komplizierte Weise hergestellt, die letztere aber kann jeder Arzt auf sehr einfache Weise erzeugen. Und Einfachheit sollte immer ein Mittel empfehlen.

Ich sage das bei Gelegenheit der Besprechung der gonor- rhoischen und nicht der tuberkulösen Gelenke, weil ich es voll- ständig verstehe, wenn hier wegen schlechter Erfolge die Stammgs- hyperämie von vielen verworfen ist. Denn die Tuberkulose ist eine sehr chronische Krankheit, und die Technik der Behandlung, wie ich sie anfangs empfahl, war schwierig und unsicher, sie ist erst sehr allmählich richtig ausgebildet. Aber beim gonorrhoischen Ge- lenk ist der Erfolg häufig sofort da, und abgesehen von den wenigen rebellischen Fällen ist hier die Stauungshyperämie leicht herzustellen und zu unterhalten.

Mit ähnlichen Erfolgen wie gonorrhoische behandelte ich andere akute Gelenkentzündungen mittels Stauungshyperämie. Beim akuten Gelenkrheumatismus, von dem ich allerdings nur etwa zehn Fälle behandelt habe, wurde mit grosser Übereinstimmung von den Kranken angegeben, dass die Schmerzen sich unter der Stauungs- binde sehr schnell verloren. Auch zeigten regelmässig diejenigen Gelenke, welche der Stauungshyperämie unterworfen waren, einen viel schnelleren Rückgang der übrigen Krankheitserscheinungen, als die gleich stark erkrankten Gelenke, welche nicht behandelt wurden. Indessen ist die Zahl der Fälle so klein, dass bei einer so launenhaften Krankheit, wie es der akute Gelenkrheumatismus ist, wo die Gelenke, die an einem Tage noch schwer krank erscheinen, am andern Tage zuweilen schon so gut wie frei sind, sichere Schlüsse nicht daraus gezogen werden können. Die Behandlung ist übrigens dieselbe, wie bei der Gonorrhoe der Gelenke.

Kürzlich haben von L e y d e n und Lazarus^) Fälle von akutem

1) 1. c.

21*

324 Spezieller Teil.

Gelenkrheumatismus beschrieben, die im ganzen durch Stauungs- hyperämie sehr günstig beeinflusst sind. Allerdings gaben sie auch noch innere Mittel nebenher an und geben an, dass die Versuche, den akuten Gelenkrheumatismus allein mit Stauungshyperämie zu be- handeln, keinen Erfolg ergeben haben.

Aber auch bei allen möglichen anderen akut und besonders subakut erkrankten Gelenken habe ich häufig die besten Erfolge nach der Behandlung mit Stauungshyperämie gesehen. So habe ich zwei Fälle von schwerer puerperaler Kniegelenkentzündung ohne Eiterung, die schon wochenlang bestanden, damit zur Aus- heilung mit sehr befriedigender Funktion gebracht. Das will viel sagen, denn in der Regel versteifen diese Gelenke sehr stark.

Behandlung vereiterter grosser Gelenke mit der Stauungsbinde.

Ich habe schon früher berichtet, dass ich vereiterte Gelenke, nach Punktion und Ausspülung, unter Stauungshyperämie ganz regelmässig schnell und mit guter Beweghchkeit habe ausheilen sehen. Ebenso habe ich in der ersten Auflage dieses Buches ein traumatisch vereitertes Kniegelenk beschrieben, in das eine offene Wunde führte, welches allein durch Stauungshyperämie und ohne alle weiteren Massregeln in 12 Tagen völlig ausheilte. Ich habe diese Behandlung der Gelenkeiterungen mehr und mehr ausgedehnt und, um reine Beobachtungen zu haben, in einer Reihe von Fällen auf jedes andere Mittel verzichtet. Aus Gelenken, welche Fisteln oder offene Wunden aufwiesen, wurde nur durch täglich ausge- führte passive Bewegungen der Eiter zum Ausfluss zu bringen versucht. Fisteln oder Wunden wurden weder erweitert noch drainiert. Handelte es sich um einen geschlossenen Abscess des Gelenkes, so wurde nur eine Probepunktion mit der Pravaz'schen Spritze vorgenommen, um die Diagnose absolut sicher zu stellen und die Art des Krankheitserregers festzustellen. Im übrigen wurde der Eiter im Gelenke belassen. Auch die Ruhigstellung durch Schienen habe ich vermieden; lediglich Stauungshjrperämie wurde verwandt. So dürften die folgenden Fälle eine ganz zweifellose Beweiskraft besitzen.

Es handelt sich in den gleich zu beschreibenden Fällen um Ellbogen- und Kniegelenke. Es wurde bei ihrer Behandlung

Behandl. akut. Entzünd. u. Eiterungen an d. Gliedern mit d. Stauungsb. 325

um es nochmals kurz zusammenzufassen folgendermassen ver- fahren. Die Leute mit vereiterten Kniegelenken wurden einfach zu Bett gelegt. Arme, deren Ellbogengelenke vereitert waren, wurden beim Herumgehen der Leute in eine Mitella, beim Liegen irgendwie bequem im Bett gelagert. Jede Feststellung der Gelenke wurde vermieden; der schmerzstillende Einfluss der Stauungs- hyperämie gestattet den Verzicht auf Feststellung. Führte eine Fistel oder Wunde ins Gelenk, so wurde dies der gerade bei den Gelenken sehr massenhaften serösen Absonderung wegen mit einem locker umgelegten, aber grossen, aufsaugenden, sterilen Ver- bände umgeben, der der Gelenkgegend gestattet, infolge der Stau- ungsbinde kräftig anzuschwellen, und dem Kranken, Bewegungen im vereiterten Gelenke vorzunehmen. Schon einige Stunden, nach- dem die Stauungshyperämie eingeleitet war, wurde mit vorsichtigen passiven und aktiven Bewegungen begonnen. Die schmerzstillende Wirkung des Mittels erlaubt auch dies. Meist waren die Kranken selbst sehr erstaunt, wenn man schon bald die rasend schmerz- haften vereiterten Gelenke bewegen konnte. Die passiven Be- wegungen wurden anfangs nur einmal täglich vorgenommen. Dabei strömte aus den offenen Gelenken massenhaft Eiter aus. Es ist also die passive Bewegung hier auch das beste Mittel, um den Eiter zu entfernen. Natürlich dürfen diese Bewegungen niemals roh werden. Sie sollen immer nur soweit getrieben werden, als es ohne erhebliche Schmerzen für den Kranken möglich ist. Ausserdem wird dieser angehalten, häufig aktiv das Gelenk zu bewegen.

Ich weiss, dass ich mit der Empfehlung der Bewegung akut vereiterter Gelenke mich im schroffsten Gegensatz zu einem der anerkanntesten chirurgischen Grundsätze befinde. Hat man doch immer und immer wieder gelehrt, dass die Ruhigstellung derselben der oberste Grundsatz der Behandlung sei. Ich glaube auch, dass ohne gleichzeitige Anwendung der Stauungshyperämie solche Be- wegungsübungen sich immer mit einer Verschlimmerung des Leidens rächen würden. Aber ich hatte schon längst bei gonorrhoisch und pyämisch erkrankten Gelenken erkannt, dass die Stauungshyper- ämie sehr bald ausgiebige Bewegungen gestattet, so dass ich diese Erfahrungen ohne Scheu auch auf die schweren akut vereiterten Gelenke übertrug. Ich muss gestehen, dass ich selbst anfangs er- staunt war, zu sehen, wie vortrefflich die Kranken die Bewegung vertrugen. Der Nutzen dieses Verfahrens aber ist sehr einleuchtend.

326 Spezieller Teil.

Es ist zwar bekannt, dass akut vereiterte Kniegelenke, besonders bei jugendlichen Personen, sehr häufig nach Punktion und Aus- waschung beweglich ausheilen. Es handelt sich dann meist um metastatische Eiterungen oder um kollaterale Gelenkentzündungen (besonders bei akuter Osteomyelitis), deren Eiter man sogar zuweilen steril findet. Ebenso bekannt aber ist, dass die von schweren In- fektionen befallenen Gelenke, besonders wenn sie durch äussere Ver- letzungen infiziert wurden, ganz regelmässig stark versteifen oder ankylotisch werden, und dass man es noch als einen Erfolg der Behandlung ansieht, wenn man das kranke Gelenk in solchem Zu- stande ausheilt. Die Stauungshyperämie im Verein mit frühzeitigen Bewegungen hat uns aber selbst bei den schwersten Gelenkeite- rungen die vollständige Funktion ohne die geringste Einschränkung erzielen lassen.

34. Ein 18 jähriger Hüttenarbeiter zog sich 3 Wochen vor seiner Auf- nahme eine Verletzung des rechten Ellbogengelenks zu. Die äussere Wunde heilte, aber das Gelenk vereiterte dariuiter und es wurde deshalb in einem auswärtigen Krankenhause ein Schnitt in das Gelenk geführt. Dann wxirde dies mit Bädern behandelt. Am 22. Dezember 1903 wurde der Kranke bei uns aufgenommen.

Das rechte Ellbogengelenk war geschwollen, die Haut ödematös. Es stand in fast rechtwinkliger Beugung und in Pronation, weitere Streckung, Beugung und Drehung im Sinne der Supination waren nur in ganz ge- ringen Grenzen und unter starken Schmerzen ausführbar. An der Aussen- seite des Gelenkes befand sich eine fingernagelgrosse granulierende Stelle, etwas darunter eine Fistel, die bei Druck auf das Gelenk trübe Synovia entleerte. Es waren nur geringe Temperatiirsteigerungen vorhanden, die höchste Temperatur betrug (abgesehen von einem am Ende dieser Arbeit zu beschreibenden Zwischenfall) 38° in der Achselhöhle. Das Gelenk wurde mit Stauungshyperämie behandelt.

Am 24. Februar 1904 wuxde der Mann geheilt entlassen. Das Gelenk war abgeschwollen, schmerzfrei und bis auf einen ganz geringen Rest voll- ständig zu beugen und zu strecken. Die Rotation war gänzlich frei.

35. Ein ISjähriger Steinbrecher wurde am 25. Mai 1904 bei einer Schlägerei in das linke Ellbogengelenk gestochen. Es wurde infiziert. Am 11. Juni 1904 wui'de er aufgenommen. Das linke Ellbogengelenk war sehr stark angeschwollen, gerötet und ödematös. Es stand in fast rechtwinkliger Beugung und war nur noch um etwa 15° passiv und aktiv unter Schmerzen im Sinne der Beugimg und Streckung beweglich. Am Radiohumeralgelenk sah man eine riindliche Öffnung, aus der ein kleinhaselnussgrosser ge- wucherter Granulationspfropf hervorragte. Bei passiven Bewegungsversuchen floss aus dieser Öffnung eine Menge Eiter. Das Leiden war so schmerz- haft, dass der Kranke nachts nicht schlafen konnte. Die Körpertemperatur war normal. Es wvirde sofort Stauungshyperämie eingeleitet. Am 2. JuU war die Fistel geschlossen und das Gelenk abgeschwollen; die Stauungs-

Behandl. akut. Entzünd. u. Eiterungen an d. Gliedern mit d. Stauungsb. 327

hyperämie wurde deshalb ausgesetzt und der Kranke nur noch mit passiven Bewegungen behandelt. Am 12. Juli wurde er entlassen. Bis auf einen ganz geringen Rest völliger Streckung waren alle Bewegungen im Gelenk frei. Am 9. August stellte sich der Kranke mit ganz normalem Gelenk vor. Er hatte seine schwere Arbeit als Steinbrecher wieder aufgenommen und verrichtete sie ohne jedes Hindernis.

36. Ein 26jähriger Bauer zog sich am 4. Februar 1904 im Anschluss an eine Verletzung eine Vereiterung des rechten Ellbogengelenkes zu. Am 25. Februar wurde vom Arzte ein 3 cm langer Einschnitt gemacht, welcher Eiter entleerte.

Am 29. Februar wixrde der Kranke aufgenommen. Das rechte Ellbogen- gelenk war sehr stark geschwollen, die Haut glänzend und gerötet. Aiif der Aussenseite des Gelenkes befand sich ein fünfmarkstückgrosses Geschwür, das am Rande gut granulierte, in der Mitte schmierig belegt war. Aus dem Geschwür führte eine Fistel in das Gelenk und auf rauhen Knochen, welche reichlich schleimigen Eiter entleerte. Vom Geschwür aus ging nach dem Vorderarm eine Tasche von unterminierter Haut gebildet, aus der bei Druck Eiter floss. Aktive und passive Bewegungen waren in nur sehr

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Tafel VI.

geringem Masse und unter starken Schmerzen möglich. Das Gelenk stand in rechtwinkliger Beugung fest. Der Kranke hatte eine stark remittierende Körpertemperatur, die allabendlich unter Frösteln anstieg (s. Tafel VI). Es wurde Stauungshyperämie angewandt. Die Gelenkfistel schloss sich sehr bald, die Beweglichkeit wurde freier, die Temperatur sank zur Norm und das schmierige Geschwür reinigte sich. Vom 23. März ab wurde die Stauungsbinde entfernt. Der Kranke blieb noch bis zum 26. April in der Klinik, um das grosse Geschwür völlig überhäuten zu lassen und um aktive und passive Bewegungen im Gelenk auszuführen. Bei der Entlassung war das kranke Gelenk nicht dicker als das gesunde und fast vollständig be- weghch. Am 10. Mai stellte sich der Mann wieder vor. Die Beugung des Gelenkes war vielleicht noch eine kleine Spur beeinträchtigt ; im übrigen war es im vollsten Umfange beweglich und gänzlich gebrauchsfähig. Ausser der Narbe und einer geringen Reibung im Gelenke beim Rotieren erinnerte nichts mehr an die frühere Erkrankung.

Die beschriebenen Gelenkeitemngen standen durch Fisteln mit der Aussenwelt in Verbindung, sie erfüllten also, wenn auch in

328 Spezieller Teil.

sehr unvollkommenem Masse, die alte chirurgische Forderung, dass der Eiter unter allen Umständen Abfluss nach aussen haben müsse. Die beiden folgenden Fälle aber zeigen, dass die Stauungshyper- ämie auch heisse Gelenkabscesse zuerst in kalte verwandeln und dann zum Schwinden bringen kann, in dem Sinne, wie ich das oben auseinandergesetzt habe.

37. Ein 3 jähriger Knabe verletzte sich 4 Wochen vor der Aufnahme durch einen Holzsplitter an der Aussenseite des rechten Kniegelenkes. Bald darauf schwoll das Knie unter Fiebererscheinungen an und begab sich in Beugestellung. Es wurde bisher mit Pinselung von Jodtinktur behandelt.

Der Kranke wurde am 19. XI. 1903 bei iins aufgenommen. Das rechte Kniegelenk war kugelig geschwollen, fühlte sich heiss an, war schmerzhaft und fluktuierte. Die Kniescheibe tanzte. Die Schwellung war sehr be-

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Tafel VII.

trächtlich, die Masse betrugen bei dem kleinen Körper an den ver- schiedenen Stellen des Gelenkes 2% 5 cm mehr als auf der gesunden Seite. Das Gelenk stand in einem Winkel von 115° gebeugt und fast völlig fest. Nur eine Spur weiterer Beugiing Hess sich passiv ausführen. Die Probepunktion mit der Pravaz'schen Spritze ergab Eiter, der eine Rein- kultur von Staphylokokken enthielt. Der Verlauf der Temperatur ist auf Tafel VII zu sehen. Die kleine Gelenkwunde, welche der Holzsplitter verursacht hatte, war längst verheilt.

Es wurde sofort eine Stauungsbinde angelegt und zuerst 19 22 StLin- den, später immer kürzere Zeit schliesslich 2 Stunden täglich ge- tragen. Die Beweglichkeit nahm schnell zu, und der Erguss verminderte sich zusehends. Am 25. XI. wurde die Binde abgelegt, und 24 Stunden später wurde festgestellt, dass noch immer ein beträchtlicher Erguss im Gelenk vorhanden, dies aber in fast vollen Grenzen beweglich war. Dann wurde für eine Stimde täglich wieder Stauungshyperämie angewandt. Da aber am 30. XL eine Abendtemperatur von 38° auftrat, so wurde die Binde wieder 20 22 Stunden täglich getragen.

Am 20. XII. wurde der Knabe entlassen. Das Gelenk war im vollen Umfange normal beweglich xmd gebrauchsfähig, mass noch ^ 3^ cm mehr im Umfange als das gesunde. Der Erguss war vollständig verschwunden. Die geringe Schwellung beruhte auf Kapsel verdickung.

38. Ein 20jähriger Schlosser erkrankte am 4. Juli 1904 plötzlich an einer akuten Entzündung des rechten Fussgelenkes. Die Krankheit sprang

Behandl. akut. Entzünd. vi. Eiterungen an d. Gliedern mit d. Stauungsb. 329

von einem Gelenk auf das andere und blieb im rechten Kniegelenk haften, das 6 Tage vor der Aufnahme in besonders heftiger Weise erkrankt war.

Am 27. Juli 1904 wurde er aufgenommen. Das rechte Kniegelenk war enorm geschwollen, mass 6% cm mehr im Umfang als das linke. Auch der ganze zugehörige Oberschenkel war stark ödematös geschwollen, die Haut von erweiterten Venen durchzogen. Das Gelenk stand in Streck- stellung (es war bisher auf emer Schiene gelagert gewesen) und war aufs äusserste empfindlich. Schon bei Stoss an das Krankenlager schrie der Mann auf. Jeder Bewegungs versuch war ausgeschlossen. Die Probepunktion mit der Pravaz' sehen Spritze ergab Eiter, welcher mikroskopisch und kulturell Staphylokokken enthielt.

Es wiu-de sofort Stauungshyperämie eingeleitet. Es kostete einige Mühe, den richtigen Grad der Stauung herauszufinden. Nachdem dies ge- lungen, waren schon nach 4tägiger Anwendung während des Liegens der Binde die Schmerzen so gut wie gänzlich verschwunden und nach 12tägiger

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Tafel VIII.

Anwendung die vorher erhöhte Temperatur ziu" Norm zurückgekehrt, nach- dem der Kranke noch am 3. August einen Schüttelfrost gehabt hatte. Am 10. August konnte der Kranke das Knie bis zum rechten Winkel aktiv beugen. Der Gelenkerguss war dabei noch sehr erheblich, eine Probepunktion mit der Pravaz'schen Spitze förderte nur etwas trüb- seröse Flüssigkeit zutage. Die Stauungshyperämie wurde vom 10. August ab nur noch 2 Stunden täglich angewandt. Vom 15. August ab stand der Kranke auf, obwohl noch ein geringer Gelenkerguss vorhanden war, der bald verschwand. Der Mann war später als Wärter in der Klinik tätig. Die Vereiterung des Kniegelenkes hat nicht die geringste Spur hinterlassen. Den Temperaturverlauf zeigt Tafel VIII.

Diese fünf schweren Vereiterungen grosser Gelenke sind alle mit voller Funktion, allein durch Stauungshyperämie und ohne jedes andere Mittel, insbesondere auch ohne den geringsten opera- tiven Eingriff ausgeheilt. Wahrlich ein stolzer Erfolg, der keiner weiteren Beleuchtung bedarf! In letzter Zeit habe ich noch eine Reihe ähnlicher Beobachtungen gemacht. Am schlechtesten waren unsere Erfolge, was die Funktion anlangt, wenn es sich um Durch- brüche von osteomyelitischem Eiter in die benachbarten Gelenke handelte. Hier sahen wir neben vollständiger Heilung, auch im funktionellen Sinne, meist starke Versteifungen.

330 Spezieller Teil.

Indessen möchte ich nicht in den Verdacht kommen, als wollte ich grundsätzlich den Eiter in den akut entzündeten Gelenken lassen. Ich würde selbstverständlich, wenn nicht sehr bald die günstige Wirkung der Stauungshyperämie einträte, die Gelenke punktieren und auswaschen oder durch Schnitt eröffnen, und habe dies auch in mehreren Fällen getan. Nur Drainage und Tamponade der Gelenke würde ich nach Möglichkeit vermeiden, weil das Gelenk ein feiner Mechanismus ist, der solche grobe Eingriffe schlecht verträgt und darauf leicht mit einer dauernden Schädigung der Funktion antwortet. Die Mehrzahl der Chirurgen ist in dieser Beziehung sehr bescheiden, sie ist zufrieden, wenn sie vereiterte oder tuberkulöse Gelenke mehr oder weniger ankylotisch ,, heilt", man könnte auch sagen verkrüppelt. Ich hoffe, dass hier durch die Stauungshyperämie Wandel geschaffen wird.

Auch hier ist also, was ich wiederhole, die Frage der Punktion oder Spaltung des Abscesses ganz unabhängig von der Stauungs- hyperämie. Nur ist nach meinen bisherigen Erfahrungen das Ge- lenk der Körperteil, aus dem am leichtesten heisse Abscesse unter Stauungshyperämie verschwinden, ohne der Eröffnung zu bedürfen.

Ich bemerke noch, dass ich eine ganze Reihe vereiterter Finger- gelenke durch Stauungshyperämie schnell und mit voller Funktion geheilt habe. Diese Fälle sind aber lange nicht so beweisend als die beschriebenen Vereiterungen grosser Gelenke. Denn diese kleinen Gelenke habe ich früher häufig auch ohne Stauungshyperämie nach einfacher Spaltung gut ausheilen sehen. Ich will noch bemerken, dass mehrere solche kleine Gelenke längere Zeit der Stauungshjrper- ämie bedurften, um dann allerdings vollständig auszuheilen.

Die guten Erfolge der Stauungshyperämie bei akuten Ent- zündungen und Eiterungen der Gelenke sind neuerdings von den verschiedensten Seiten bestätigt.

Behandlung der Sehnenscheidenphlegmonen mit Stauungshyperämie.

Der beste Prüfstein für die Leistungsfähigkeit der Stauungs- hyperämie musste die Sehnenscheidenphlegmone sein. Zwar gelingt es hin und wieder durch unsere übliche Behandlung mit langen oder mit mehreren kurzen Schnitten und nachfolgender Drainage, Tamponade und Hochlagerung beginnende Sehnenscheidenphleg- monen so auszuheilen, dass nicht nur die Sehnen erhalten bleiben,

Behandl. akut. Entzünd. u. Eiterungen an d. Gliedern mit d. Stauungsb. 331

sondern auch eine mehr oder weniger gute Funktion bis zur vöUigen Wiederherstellung sich erzielen lässt. Solche Fälle stehen wohl jedem erfahrenen Chirurgen zur Verfügung. Aber bekanntlich ist dieser günstige Ausgang auch bei eben beginnenden derartigen Phlegmonen nicht die Regel. Besteht aber die Krankheit schon tagelang, ist der Eiter bereits aus der Sehnenscheide in die Um- gebung durchgebrochen oder umgekehrt, so gelingt es so gut wie nie, die Sehne vor dem Tode und den betreffenden Gliedabschnitt vor dauernder und schwerster Verstümmelung zu retten. Wenigstens habe ich es in meinem ganzen Leben bisher noch nicht gesehen, dass eine solche Sehne erhalten geblieben wäre, obwohl ich es auf die verschiedenste Weise zuerst mit sehr grossen, später mit mehr- fachen kleineren Schnitten versucht habe. Anders gestaltet sich das Bild durch die Stauungshyperämie.

Ich wiederhole kurz die Grundsätze, nach denen wir derartige schwere Infektionen behandeln.

Eben beginnende Sehnenscheidenphlegmonen, mag nun eine Verletzung in die Sehnenscheide führen oder nicht, werden zu- nächst überhaupt nicht operiert, sondern es wird der Versuch ge- macht, sie durch eine sofort eingeleitete kräftige Stauungshyper- ämie im Keime zu ersticken. Gelingt dies nicht, oder ist zweifellos bereits eine grössere Eiteransammlung vorhanden, so wird der Abscess durch einen grösseren oder mehrere kleine Schnitte gespalten. Ich vermeide die sehr grossen, die ganze Ausdehnung der Sehnenscheide einnehmenden Schnitte, weil sonst die Gefahr vorHegt, dass die Sehne aus ihrem Fache springt, ausser Berührung mit den umgebenden Weichteilen kommt, vertrocknet und abstirbt. Aus demselben Grunde wird auf jede Tamponade und Drainage verzichtet. Vor allem die Tamponade entzieht durch ihre Saug- wirkung der Sehne die ernährenden Säfte und bringt sie zur Aus- trocknung. Überlässt man die Wunde sich selbst, so wird die entblösste Sehne bald von seitlich überwuchernden Granulationen bedeckt. Jeden Tag wird aus den kleinen Schnittöffnungen der Eiter ausgedrückt, nötigenfalls auch mit physiologischer Kochsalz- lösung ausgespült. Entstehen neue Abscesse, so werden sie ge- spalten. Der Gründlichkeit halber werden alle operativen Eingriffe in Narkose ausgeführt. Der vortreffliche Sudeck'sche Äther- rausch leistet hier gute Dienste. Eine Schiene wird nicht getragen. Ist eine Operation voraufgegangen, so wird die Wunde einfach mit reichlichem Verbandstoff bedeckt, weil die Stauungshyperämie

332 Spezieller Teil.

meist eine sehr starke Absonderung hervorbringt. Der Verband muss locker angelegt werden, damit das Glied darunter infolge der Stauung anschwellen und der Kranke Bewegungen damit vor- nehmen kann. Am besten eignen sich die schon erwähnten losen Handtuchverbände. Vom ersten Tage an nimmt der Arzt an den kranken Fingern (um solche handelt es sich ja fast ausschhesslich) täglich einmal passive Bewegungen vor. Die Finger werden in allen Gelenken gestreckt und gebeugt. Nur so gehngt es, wieder voll funktionierende Finger zu erzielen. Zuweilen sind die Sehnen schon nach 24 Stunden mit der Umgebung verklebt und lösen sich dann krachend bei jeder Bewegungsübung los. Der Eingriff, der sonst roh sein würde, wird unter Stauungshyperämie wegen ihrer hervorragenden schmerzstillenden Wirkung verhältnismässig gut vertragen. Allerdings darf man niemals gewaltsam vorgehen. Auch Weiterverbreitung der Eiterung, die man ja unwillkürlich fürchtet, habe ich dabei nicht beobachtet. Bei den passiven Bewegungsübungen wird die Stauungsbinde eine Zeitlang vorher entfernt, damit die Granulationen nicht bluten. Am besten nimmt man die Übungen in der Pause zwischen zwei Stauungs- perioden vor. Ausserdem wird der Kranke angehalten, die Finger häufig aktiv zu bewegen.

Nur einen Fall behandelte ich, wo die Bewegungen bei be- ginnender und durch Stauungshyperämie erfolgreich unterdrückter Sehnenscheidenphlegmone offenbar schädlich wirkte (Fall 40). Wir waren hier zur Ruhigstellung gezwungen, die in wenigen Tagen Besserung erzielte. Die eben^ gegebene Regel erleidet also auch Ausnahmen; man soll eben nie schabionisieren.

Ich erwähne zunächst 3 Fälle, wo es gelang, eine Sehnen- scheidenphlegmone im Keime zu ersticken.

39. Ein 43 jähriger Schlachter riss sich am 2. November 1899 eine 2 mm breite Querwunde am kleinen Finger der linken Hand. Er arbeitete damit bis zum 5. November weiter, ohne die Wiinde zu beachten. Die Wunde entzündete sich schliesslich, so dass der Klranke sich zum Arzte begab, welcher 3 mal einen Einschnitt machte. Am 11. November kam der Kranke wegen plötzlicher Verschlimmerung in die Greifswalder Klinik.

An der Beugeseite des kleinen Fingers fand sich in der Gegend des zweiten Gliedes eine querverlaufende Wiinde, in welcher eine Sehne frei- lag. Das ganze Gebiet der Kleinfingersehne war bis zum Handgelenk hinauf aiif Druck ausserordenthch empfindlich. Strich man vom Hand- gelenk nach der Fingerwunde hin über die Beugesehnenscheide, so floss aus der Wunde eine missfarbene wässerige Flüssigkeit. Der ulnare Teil der Haut der Handgelenksgegend und noch 3 cm darüber hinaus und

Behandl. akut. Entzünd. u. Eiterungen an d. Gliedern mit d. Stauungsb.' 333

nach oben war gerötet und die Gegend auf Druck stark empfindlich. Das Gelenk zwischen 1. und 2. Gliede des kleinen Fingers war eröffnet. Es fand sich eine ausgebreitete Lymphangioitis am Vorderarme und Schwel- lung der Kubitaldrüse. Das Allgemeinbefinden war schlecht, die Schmerz- haftigkeit gross. Es wurde sofort am 11. November, morgens 11 Uhr, bei einer Temperatur von 39° (Achselhöhle) eine Stauungsbinde am Ober- arm in der Poliklinik angelegt, noch bevor der I^anke aufgenommen war. Es kostete grosse Mühe, die richtige heisse Stauung ohne Schmerzen her- auszubekommen. Als dies gelungen, verschwanden die Schmerzen schnell. Der vorher sehr schmerzhafte und unbewegliche Finger konnte selbstätig bewegt werden. Die Stauung wurde bis 4 Uhr fortgesetzt, dann entfernt. Da dies alles noch vor der Aufnahme geschah, ist leider eine genauere Temperaturmessung in der Zwischenzeit nicht gemacht.

Nach Abnahme der Stauungsbinde stellten sich die Schmerzen schnell wieder ein. Um 6% Uhr kam ein Schüttelfrost. Es wurde die Stauungs- binde von neuem angelegt. Wieder kostete es einige Mühe und Versuche, die richtige heisäe Stauung ohne Schmerzen hervorzubringen. Nachdem dies erreicht war, verschwanden die Schmerzen schnell wieder, die Tem- peratur sank um 8^ Uhr auf 38° und um 10 Uhr betrug sie 38,7°. Um 10 Uhr wurde für kurze Zeit die Stauungsbinde entfernt, dann wieder angelegt und bis zum anderen Morgen um 4 Uhr getragen. Als das Stauungsödem einigermassen abgezogen war, bemerkte man, dass die Schwellung und Rötung am Handgelenk, geschwunden war, ebenso die Lymphangitis ; nur die Beugesehnengegend am kleinen Finger war noch empfindlich.

Am 12. November wurde von 9 1 Uhr morgens, von 5 8% Uhr abends und von 10^ Uhr abends bis zum Morgen des 13. November um 10 Uhr die Stauungsbinde getragen. Damit war die Krankheit im wesent- lichen beseitigt, die Schwellung war abgezogen, doch es bestand noch etwas Schmerzhaftigkeit an der oben bezeichneten Stelle. Mit grossen Unterbrechungen wurde die Stauungsbinde noch bis zum 15. November ge- tragen. Die Temperatur stieg am 12. November nicht über 38,6°, am 14. nicht über 37,7° und war vom 15. ab normal. Aus der Wunde am kleinen Finger stiessen sich einige oberflächliche Sehnenfetz chen abi), die Wunde heilte schnell. Das vereitert gewesene Gelenk war etwas versteift, krepi- tierte bei Bewegungen, im übrigen aber heilte das Leiden ohne jede Funk- tionsstörung der Hand aus.

40. Ein 19 jähriges Dienstmädchen bemerkte am 21. November 1904 Schmerzen im kleinen Finger der rechten Hand. Am 23. November trat eine Verschlimmerung des Leidens ein, die durch einen Schüttelfrost ein- geleitet wurde. Am 24. November wurde das Mädchen aufgenommen. Der kleine Finger der rechten Hand war in seiner ganzen Ausdehnung ge- schwollen und stand in Beugestellung. Jeder Streckversuch verursachte lebhafte Schmerzen. Der Verlauf der Beugesehnen war bis zur Mitte der Hand auf Druck sehr empfindlich. In der Beugefalte des kleinen Fingers

1) Ich habe es dreimal gesehen, dass unter Stauungshyperämie die Sehne einen kleinen partiellen Seqiiester abstiess, im übrigen aber erhalten blieb, was ich früher nie beobachtet habe.

334 Spezieller Teil.

befand sich eine kleine Schrunde. Ich hielt das Leiden für eine beginnende Sehnenscheidenphlegmone und leitete sofort Stauiuigshyperämie ein, in der Absicht, sie zu unterdrücken. Die Entzündungserscheinungen bildeten sich schnell zurück, und die Temperatur sank zur Norm (s. Tafel IX), so dass schon am 30. November die Stauungshyperämie ausgesetzt ^24XI2o 2fi 27^ wurde. Weil der kleine Finger Neigiing zeigte, in seiner Beugestellung zu verharren, "wurden ziemlich energische passive Bewegungen vorgenommen. Da am 4. Dezember wieder Schmerzen eintraten, so wurde die Stauiingshyperämie von neuem eingeleitet, und bei der grossen Neigung des Tafel IX. Fingers, zu versteifen, wiirden energische passive Bewe- gungen weiter angewandt, ohne dass die Beweglichkeit da- durch gebessert wurde. Im Gegenteil, der kleine Finger versteifte mehr und mehr, auch die übrigen Finger stellten sich in leichte Beugestellung und es traten wieder Sclimerzen ein. Dem Verlauf der Beugesehnen des kleinen Fingers entsprechend fand sich eine harte strangförmige Geschwulst. Am 11. Dezember verschlimmerten sich die Schmerzen erheblich. Die Untersuchung zeigte, dass der ganze bei den Sehnen- scheidenpanaritien des kleinen Fingers in Betracht kommende Sehnen- scheidenapparat erkrankt war. Es waren die Beugesehnenscheide des kleinen Fingers stark, die des Daumens und der grosse gemeinschaft- liche Synovialsack am Handgelenk massig auf Druck empfindlich. Ober- halb des Handgeleriks war die Haut gerötet, die Körpertemperatur war leicht erhöht.

Ich legte deshalb im Ätherrausch die Sehnenscheide der Kleinfinger- beuger in der Hohlhand in der Ausdehnung von 4 cm frei. Sie war prall mit Flüssigkeit gefüllt. Beim Einschneiden entleerte sich leicht getrübtes Serum in grosser Menge. Bei Druck auf den gemeinschaftlichen Synovial- sack entleerten sich noch etwa 2 Teelöffel der gleichen Flüssigkeit. Ich liess die Wunde zusammenfallen, sie heilte in wenigen Tagen per primam intentionem.

Die mikroskopische Untersuchung der entleerten Flüssigkeit wies spär- liche Leukocyten nach. Bakterien wurden nicht gefunden. Kultm-versuche, die im hiesigen hygienischen Institute angestellt wurden, ergaben, dass die Flüssigkeit steril war.

Die passiven Bewegungen wurden fortgesetzt, führten aber wieder zu erheblichen Sclimerzen. Deshalb wurde die Hand vom 1 6. bis 20. Dezember auf einem Handbrett festgebunden. Danach schwanden die Beschwerden schnell. Der Sehnenscheidenapparat war abgeschwollen, und niir bei starkem Druck wurden noch Tinbedeutende Schmerzen empfionden, die am 23. Dezember auch verschwunden waren. Die Kranke wurde angehalten, fleissig aktive Bewegungen zu machen. Passive Bewegungen wurden nur in schonendster Weise ausgeführt. Die Beweglichkeit der Finger nahm mehr vmd mehr zu. Das Leiden heilte ohne Spiir von Funktionsstörung.

41. Ein 10 jähriges Mädchen wurde am 29. März 1905 von einer schmutzigen Kohlengabel, die ein Arbeiter nach ihm warf, in die linke Hand getroffen. Das Kind wurde % Stunde später in der hiesigen Poli- klinik verbiinden. Es bekam sehr starke Schmerzen und verbrachte eine

Behandl. akut. Entzünd. u. Eitenuigen an d. Gliedern mit d. Stauungsb. 335

schlaflose Nacht. Deshalb wurde es am 30. März in die Klinik aufge- nommen.

Hier wurde folgender Befund erhoben: Die ganze linke Hand und die an- grenzende untere Hälfte des Vorderarmes ist lebhaft gerötet und geschwollen. An der ulnaren Seite des Handgelenkes sieht man eine erbsengrosse von der Kohlengabel herrührende Wunde. Die linke Hand wird ängstlich geschont und von der rechten gestützt gehalten. Die Finger sind stark gebeugt, jeder Versuch, sie zu strecken, ist äusserst schmerzhaft. Druck auf die Hohlhand ist nicht schmerzhaft, dagegen Druck auf die Gegend der Sehnen- scheiden oberhalb des Handgelenkes äusserst empfindlich. Die Gegend der Beugesehnen des Daumens ist nicht schmerzhaft. Das Handgelenk ist stark geschwollen und auf Druck sehr emiDfindlich. Die Körpertemperatur ist erhöht (s. Tafel X).

Ich nahm wegen der Schwellung und Schmerzhaftigkeit der Hand- gelenke, der starren Beugestellung der vier letzten Finger Jund der Emp- findlichkeit der zugehörigen Sehnenscheiden eine Infektion der letzteren und des Handgelenkes an vmd leitete etwa 34 Stunden

nach der Verletzung Stauungshyperämie ein. , ^_^^-J-^^^_^_^_f_ J^ Schon eine halbe Stunde später konnte das Kind die vorher ganz steifen Finger etwas strecken, 39 hatte keine Schmerzen mehr und schlief ruhig. Am folgenden Morgen sah man, dass die Binde 33 ein feuriges ödem am ganzen peripher von ihr liegenden Gliedabschnitte hervorgebracht hatte. 37 Am nächstfolgenden Tage (1. April) war die Kör- pertemperatur gefallen, und auch das Handgelenk ^^

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war etwas beweglich. Da am 2. April aber die Tafel X.

Temperatur wieder stieg, und ich feststellte, dass

nach der Hochlagervmg während der StauTingspause die Gegend der Beuge- sehnenscheide des kleinen Fingers und der grossen gemeinsamen Synovial- scheide feurig gerötet und empfindlich blieb, so vermutete ich eine Vereiterung dieser Gebilde. Als ich am folgenden Tage die Borke, welche sich über dem Einstich gebildet hatte, abnahm, kam etwas Eiter, der bei Druck auf die Beugesehnenscheide des kleinen Fingers und die gemeinsame Synovialscheide im Strome hervorquoll. Die Sonde führte in der Gegend des Handgelenkes auf rauhen Knochen und unter den Beugesehnen hindurch bis über die Hälfte des Vorderarms hinaus.

Ich machte im Ätherrausch einen 4 5 cm langen Schnitt oberhalb des Handgelenks. Er führte in eine Eiterhöhle, in der Beugesehnen frei- lagen. Die Höhle ging zwischen den Muskeln nach oben hin bis beinahe ziu" Hälfte des Vorderarms. Nach unten drang die Sonde in die Beuge- sehnenscheide des kleinen Fingers. Sie wurde durch einen zweiten 3 4 cm langen Schnitt eröffnet und entleerte dicken Eiter, der die Sehnen um- spülte. Von dem Schnitte aus gelangte man in den gemeinsamen Synovial- sack, der ebenfalls mit Eiter gefüllt war und in dem die zugehörigen Sehnen freilagen. Obwohl auch das Handgelenk nach dem Befund vereitert schien, sah ich von seiner Eröffnung einstweilen ab. Der Eiter wurde gründlich mit physiologischer Kochsalzlösung ausgespült. Die Wunden bedeckte ich niir mit einem aseptischen Verbände und leitete von neuem Stauungshyper-

336 Spezieller Teil.

ämie ein. Die Heiliing machte nun schnelle Fortschritte, so dass schon am 15. April die Stauungshy per ämie ausgesetzt werden konnte. Die Sehnen wurden nicht nekrotisch. Am 30. April wiu'de das Kind mit voller Beweg- lichkeit aller Finger und des Handgelenks geheilt entlassen. Ich habe das Mädchen mehrfach wieder untersucht. Die schwere Phlegmone ist ohne jede Spur von Funktionsstörung geheilt.

Tafel X zeigt den Verlauf der Temperatur.

Im allgemeinen sind solche vollständige Heilungen wie die hier beschriebenen natürHch nur möglich, wenn die Erkrankung noch ziemlich frisch ist. Der Schwerpunkt liegt also in der früh- zeitigen Diagnose. Nur dann gelingt es mit einiger Wahrschein- Hchkeit, die gefährdeten Sehnen vor dem Tode zu retten. Das ist ja auch klar; denn was schon abgestorben ist, lässt sich durch kein Mittel der Welt wieder lebendig machen. Indessen ist es uns doch mehrmals gelungen, bei schon längere Zeit bestehenden Sehnenscheidenphlegmonen die gefährdete Sehne noch zu retten, wofür ich ein Beispiel geben will.

42. Ein 34 jähriger Schulimacher litt bereits seit 4 Wochen an einem Panaritium des rechten Zeigefingers, das mehrfach gespalten wurde. Zu- letzt wurde, einige Tage vor der Aufnahme, die Beugesehnenscheide, welche Eiter enthielt, dvirch einen 2 cm langen Schnitt am Grundgliede eröffnet. Trotzdem trat keine Besserung ein, weshalb sich der Klranke am 14. Februar 1904 in die Klinik begab.

Kurz nach der Aufnalime hatte er einen Schüttelfrost, das Allgemein- befinden war schlecht, der Finger war sehr schmerzhaft, gerötet und sehr stark geschwollen. Es wurde Stauungshyperämie eingeleitet, die Schmerzen und gestörtes Allgemeinbefinden sofort beseitigte. Aber es blieb die erhöhte Temperatur bestehen, und seit dem 16. Februar stellten sich stärkere Schmerzen ein. Bei Druck auf den Verlauf der Beugesehne entleerte sich reichlich Eiter. Am 19. Februar war es klar, dass sich ein grosser Ab- scess in der HohUiand gebildet hatte. Deshalb wurde in Narkose ziinächst die alte Schnittwunde auseinandergezogen. In ihrer Tiefe lagen die Beuge- sehnen frei vor. Der Abscess in der Hohlhand Hess sich zum Teil aus dieser Wunde durch Druck entleeren. Er wvirde durch einen 2 cm langen Schnitt gespalten, entleerte massenhaft dicken Eiter ixnd führte in eine Höhle, die nach oben bis unter das Ligament, carpi volare ging iind zwischen den Mittelhandknochen von Daumen und Zeigefinger bis nahe luiter die Haut des Handrückens reichte. \ Neue Sehnenscheiden waren in- dessen anscheinend nicht von der, Eiterung"ergriffen. Nunmelir machte die Heilung schnelle Fortschritte. Am 2. März 1904 wurde der Kranke mit oberflächlich granulierenden Wiinden entlassen. Die Selinen wurden nicht nekrotisch. Ende Mai stellte der Ivranke sieh vor. Die aktive Beweglich- keit des Fingers war annährend normal, so dass der Kjranke ihn zu seiner Arbeit als Schuster in vollem Masse gebrauchen konnte.

Behandl. akut. Entzünd. vi. Eiterungen an d. Gliedern mit d. Slauungsb. 3,37

Sodann beschreibe ich 2 lehrreiche Fälle von schwerster V-förmiger Phlegmone der Beugesehnenscheiden der Hand, die ich mit Stauungshyperämie behandelte:

43. Ein 49jähriger Schlossermeister erkrankte 4 Wochen vor der Aufnahme an einem oberflächlichen Panaritium des Zeige- und des kleinen Pingers der linken Hand. Beide heilten schnell aus. 14 Tage vor der Aufnahme entstand ein Abscess der Hohlhand, welcher vom Arzte durch zwei kleine Einschnitte geöffnet wurde. Am 18. Februar 1904 verschlim- merte sich das Leiden erheblich, weshalb sich der Kranke am 19. Februar aufnehmen Hess.

Die ganze linke Hand war stark entzündet und geschwollen. Der Verlauf der Beugesehnen des Daumens und des kleinen Fingers war be- sonders geschwollen und auf Druck sehr empfindlich, ebenso die Beugeseite des Vorderarmes oberhalb des Handgelenkes. Der ganze Vorderarm bis zum Ellbogen war stark gerötet und ödematös.

In Narkose wurde zunächst oberhalb des Ligamentum carpi volare gespalten. Man kam in die Sehnenscheiden, welche mit serösem Eiter ge- füllt waren. Dann wurde die Beugesehnenscheide des kleinen Fingers ge- sjDalten, welche dicken rahmigen Eiter enthielt. Ein dritter Einschnitt am Daumenballen führte in eine grosse Eiterhöhle, in der die Beugesehnen des Daumens frei lagen. Eine schlanke Kornzange, welche in die beiden letzterwähnten Schnittwunden eingeführt wurde, kam aus der Wunde ober- halb des Handgelenks zum Vorschein. Der Eiter wurde sorgfältig mit physiologischer Kochsalzlösung ausgespült. Es wurde Stauungshyperämie eingeleitet. Es kam zu einer ausserordentlich starken stinkenden Eiterimg aus den Operationswunden, die allmählich mehr und mehr abnahm. Am 20. März waren alle Wunden geschlossen, ohne dass es zu einer Nekrose von Sehnen gekommen war. Am 24. März wurde der Mann auf Verlangen entlassen. Die aktive Beweglichkeit aller Finger war vorhanden, aber noch ziemlich beschränkt. Im November stellte sich der Mann wieder vor. Die Finger konnten nicht vollständig zur Faust eingeschlagen werden, im übrigen waren sie aktiv gut beweglich. Passiv war jedes einzelne Gelenk in vollem Umfange zu bewegen. Der Mann übte sein Schlosserhandwerk wieder aus. Nur feine Arbeit konnte er noch nicht verrichten. Im März 1906 habe ich den Mann wieder gesehen. Er hat nahezu die volle Funktion seiner Hand wieder erlangt, sie ist nur noch nicht ganz so geschickt wie sie früher war, hat sich aber noch fortwährend gebessert, so dass auch der Rest von Funktionsausfall wohl noch verschwinden wird. Die Finger sind aktiv und passiv in normalen Grenzen beweglich.

44. Ein 41 jähriger Musiker verletzte sich am 13. Februar 1904 das Endglied des rechten Daumens. In der folgenden Nacht trat unter Schüttel- frost eine heftige Entzündung auf. Ein Arzt machte einige Tage später einen kleinen Einschnitt. Am 20. Februar wurde der Kranke im Schüttel- frost aufgenommen.

Die rechte Hand und der rechte Vorderarm waren mächtig geschwollen imd gerötet. Auf dem Handrücken fand sich pralles Ödem. Zahlreiche lymphangitische Streifen liefen bis zur Achselhöhle. Die Haut des Daumens Bier, Hj'perämie als Heilmittel. 22

338 Spezieller Teil.

sah teils blau-, teils graurot aus und war gangr an verdächtig. An seinem Endglied fand sich eine 2 cm lange Schnittwunde. Die Gegend der Beuge- sehne des Daumens und des kleinen Fingers und eine sehr geschwollene Stelle oberhalb des Handgelenks waren auf Druck stark empfindlich. In Narkose wnrden die Kleinfinger- und Daumensehnenscheide in der Beuge- falte 3 cm lang eröffnet. Ein dritter Schnitt von 5 cm Länge eröffnete einen Abscess oberhalb der Beugeseite des Handgelenks. Alle drei Schnitte entleerten dünnen, schmierigen Eiter. Vom oberen Schnitte aus gelangte der Finger 6 cm weit in eine Eiterhöhle, welche zwischen die tiefen Muskeln des Vorderarmes führte. Der Eiter wurde aus den Schnitten nach Möglichkeit ausgedrückt und mit physiologischer Kochsalzlösung aus- gespült. Überall floss aus den Schnitten nach Entleerung des Eiters eine dünne, missfarbene Flüssigkeit. Das Unterhautzellgewebe war graugelb verfärbt. Nirgends fanden sich Granulationen. Der Eiter enthielt Sta^Dhylokokken. Es wurde Stauungshyperämie eingeleitet. Es trat massenhafte Eitervmg ein. Am 25. Februar eröffnete ich, da die Tempe- ratiir hoch war und in der Handgelenksgegend die Schmer zhaftigkeit und Schwellung bestehen blieb, durch je einen kleinen Schnitt von der ulnaren und radialen Seite das Handgelenk. Bei Bewegungen entleerte sich aus ihm dicker Eiter. Am 27. Februar musste ich noclimals zwei grosse, zwischen die Muskeln des Vorderarmes hinaufgehende Abscesse spalten. Die Haut zeigte sich auf dem Handrücken überall unterminiert und abgehoben.

Die Wunden reinigten sich allmählich, aber die Sehnen wurden nekro- tisch und das Handgelenk ankylotisch. Am 16. April 1904 wiirde der Kranke entlassen. Bis zum 17. März hatten hohe Temperattu-steigeriuagen bestanden.

Am 3. November stellte sich der Mann vor. Die Hand bot das ge- wöhnliche traurige Bild, wie wir es nach solchen schweren, gekreuzten Phlegmonen der Sehnenscheiden zu sehen gew^ohnt sind. Die Stauungs- hyperämie hatte daran nichts geändert.

Bei der Abfassung der III. Auflage dieses Buches hatte ich 25FäUe von Sehnenscheidenphlegmone behandelt ; nur in 8 von diesen starben die Sehnen ab. Nunmehr ist die Zahl unserer Fälle um 11 vermehrt. Unter diesen befand sich nur einer, der zur Nekrose der Beugesehnen eines Zeigefingers führte. Im ganzen behandelten wir also 36 Fälle, von denen 9 mit Nekrose der Sehnen endeten. Es ist bemerkenswert, dass sich unsere Erfolge mit zunehmender Erfahrung mehr und mehr besserten. So heilten wir vor dem letzten Misserfolge 15 Fälle hintereinander, darunter 4 schwere progrediente ohne Nekrose.

Unter den 9 ungünstig verlaufenden Fällen lag der Beginn der Erkrankung einmal über einen Monat, zweimal 14 Tage, ein- mal 12, einmal 10, einmal 8, einmal 7 (schwere V-förmige Phleg- mone), einmal die Verletzung, die die Phlegmone veranlasste, nur

Behandl. akut. Entzünd. u. Eiterungen an d. Gliedern mit d. Stauungsb. 339

234 Tage zurück; einmal konnte der Zeitpunkt nicht angegeben werden, weil der Kranke an Syringomyelie litt, und die dement - sprechende Schmerzlosigkeit ihm den Anfang des Leidens hatte übersehen lassen.

Mehrere der ungünstig verlaufenden Fälle waren durch Knochen- und Gelenkpanaritien kompliziert.

Sicherlich war in mehr als der Hälfte dieser Fälle die Sehne bereits nekrotisch, als unsere Behandlung einsetzte.

Die vortrefflichen Erfolge sind von sehr vielen Seiten be- stätigt worden, so vor allem von Croce^), Stich^), Danielsen^), Bardenheuer^), Jerusalem^), Ranzi^) und noch vielen anderen. Bardenheuer erklärt: ,, Wahrhaft glänzend sind die Erfolge bei den Sehnenscheidenphlegmonen, und, wenn die Methode nichts mehr leistete als dieses, so würde sie verdienen, nicht vergessen zu werden." Über sehr schlechte Erfolge bei Sehnenscheiden- phlegmonen berichtet Lindenstein*). Er konnte unter 11 Fällen nur einmal die erkrankte Sehne funktionsfähig erhalten. Er be- richtet, dass ,, trotz ausgiebiger Incision und Stauung" die Sehnen nekrotisch wurden. Vielleicht sind sie es auch wegen ausgiebiger Incision geworden. Meine Resultate veranlassen mich jedenfalls, bei den kleinen Einschnitten zu bleiben. Allerdings spalten soll man immer und zwar frühzeitig.

Wenn man sich die ganz kläglichen Erfolge unserer energisch operativen und antiphlogistischen Behandlung der Sehnenscheiden- phlegmonen ins Gedächtnis zurückruft, so wird mir wohl jeder Sachverständige zugeben, dass unsere oben geschilderten Resultate bisher unerreichv dastehen und glänzend zu nennen sind.

Betrübend ist der Misserfolg in dem frischen Falle, wo die Verletzung, aus der sich die Krankheit entwickelte, erst 2^ Tage, die Phlegmone also noch kürzere Zeit bestand. Ich will ihre Krankengeschichte mitteilen, und wir wollen an der Hand der-

1) Verhandlungen des 35. Kongresses der Deutschen Gesellschaf t für Chirurgie, S. 220—266.

2) Jerusalem, Bier'sche Stau- tmd Saugbehandlung in der Kassenpraxis. "Wiener klinische Rundschau. 1906. Nr. 23.

3) Ranzi, Über die Behandlung akuter Eiterungen mit Stauungshyper- ämie. Wiener klinische Wochenschr. 1906. Nr. 4.

4) Lindenstein, Erfahrungen mit der Bier' sehen Stauiuig. Münchner med. Wochenschrift. 1906. Nr. 38.

09*

3-}-0 Spezieller Teil.

selben zu sehen versuchen, ob etwa ein technischer Fehler die Schuld trägt:

45. Ein 24jäliriger Hausbiirsche bekam im Anschluss an eine Quet- schung in der Nacht vom 2. zum 3. Oktober eine Entzündung des rechten Mittelfingers. Ein Arzt machte einen kleinen Einschnitt, der indessen die Beschwerden nicht beseitigte.

Am 5. Oktober 1904 wiirde der Kranke aufgenommen. Der rechte Mittelfinger war geschwollen und gerötet. Zwischen End- und Mittel- glied befand sich ein 11,4 cm langer Einsclmitt, der aber nur in seiner Mitte in die Tiefe fülirte. Bei Druck auf die Sehnenscheide entleerte sich Eiter.

Es wurde der Versuch gemacht, die noch nicht lange bestehende Sehnenscheidenphlegraone ohne weiteren Einsclmitt durch Stauungshyper- ämie zu coupieren; doch nahm die Eiterung stark zu. In der Beugefalte zwischen Finger und Hand brach ein Abscess durch, ein anderer, mit diesem kommunizierender Abscess bildete sich auf dem Rücken des Fingers. Deshalb wurde am 9. Oktober die Selinenscheide am Grundgliede bis in die Hohlhand liinein und auch der Abscess am Fingerrücken gespalten, die Stauimgshyperämie wurde fortgesetzt. Die Sehnen wurden neki"otisch und deshalb wiu-de am 27. Oktober der Finger exartikuliert.

Wie mir scheint, wurde hier nicht rechtzeitig die Sehnen- scheide gespalten. Der vom früheren Arzte angelegte Schnitt war nur eine oberflächhche geschwänzte Spaltung der Haut, also nutzlos. Es bestand ausserdem eine erhebliche Gewebsquetschung. Bald nach Einleiten der Stauungshyperämie bildeten sich Blasen, und die Farbe des Fingers war bläulich, während sie sonst bei akuten Entzündungen rot auszusehen pflegt.

Im übrigen habe ich 2 ganz frische Fingerentzündungen ohne Operation nach Stauungshyperämie zurückgehen sehen, die nach dem Untersuchungsbefunde höchstwalirscheinlich beginnende Sehnen- scheidenphlegmonen waren. Ich habe sie nur in dieser Übersicht nicht mitgezählt, weil ich den Beweis dafür nicht liefern kann. Dass auch die frischen Sehnenscheidenphlegmonen ohne Operation aus- heilen können, ist an sich nach unseren Erfahrungen bei anderen Eiterungen und Entzündungen wahrscheinlich und wird meines Erachtens auch durch FaU 40 bewiesen, obwohl es zur Operation kam. Unter dem Einfluss der Stauung kam es hier entweder über- haupt nicht zur Eiterung, oder aber schon vorhandener Eiter wurde durch das Mittel, ähnlich wie in den beschriebenen Fällen 27 und 38 und in dem noch zu beschreibenden Fall 48 in Serum umge- wandelt. Auf alle Fälle gelang es, die Infektionserreger abzutöten; denn der seröse Inhalt wurde steril befunden.

Behandl. akut. Entzünd. u. Eiterungen an d. Gliedern mit d. Stauungsb. 341

Akute Osteomyelitis.

Beginnende akute Osteomyelitis habe ich schon lange, zum ersten Male im Jahre 1893, mit Stauungsh3?3)erämie behandelt, in der Absicht, sie zu unterdrücken. Ich habe den ersten Fall schon mehrfach beschrieben. Ich gebe ihn hier noch einmal Avieder.

46. Ein Kind war akut mit hohem Fieber erkrankt. Nach einiger Zeit stellte sich ein Kniegelenkserguss ein. Das untere Ende des zu- gehörigen Oberschenkelknochens war verdickt und schmerzhaft. Die hohen Fiebererscheinungen verschwanden, aber massiges Fieber und die Knie- gelenksentzündung blieben zurück, obgleich das Gelenk antiphlogistisch be- handelt, punktiert und ausgewaschen wurde. Es versteifte stark und war lebhaft empfindlich. Ich leitete Stauungshyperämie ein, welche in der stärksten Form auftrat. Mit einem Schlage besserte sich die Krankheit, in wenigen Tagen verschwanden Fieber, Erguss und Entzündungserschei- nungen und das Gelenk wurde beweglich.

Solcher Fälle habe ich mehrere mit Erfolg behandelt. Aller- dings kann ich den strengen Beweis nicht liefern, dass wirklich Osteomyelitis vorlag, da ich Infektionserreger oder Eiter im Knochenmark nicht nachgewiesen habe. Aber man sehe sich den folgenden Fall, den ich als Beispiel anführe, genauer an. Es gibt bei Kindern kaum eine andere Krankheit, die unter Schüttelfrost zu so schweren und fieberhaften subkutanen Entzündungen der Glieder und heftiger Empfindlichkeit des Knochens führt, als die Osteomyelitis. Haben wir doch in solchen Fällen bei frühzeitiger operativer Eröffnung stets den vermuteten Eiter im Knochenmark, ja fast immer schon unter dem Periost gefunden:

47. Ein ISjähriger Knabe erkrankte am 28. Oktober 1904 im An- schluss an einen Fall unter Schüttelfrost und sehr starken Schmerzen mit einer heftigen Entzündung des linken Unterschenkels.

Am 30. Oktober wurde der Knabe aufgenommen. Der linke Unter- schenkel war sehr stark geschwollen (der Massunterschied betrug bei dein mageren und blassen Knaben 4 cm), gerötet und äusserst schmerzhaft. Besonders der obere Teil des Schien- ,^^ -^ ^^ beins war schon auf leisen Drvick sehr stark empfind- lich. Es 'wurde Stauungshyperämie eingeleitet, die schon nach 24 Stunden alle subjektiven Beschwerden und nach 4 Tagen sämtliche objektiven Veränderungen einschliess- lich der Temperatursteigerung beseitigte. Schon am 4. November stand der Knabe auf und ging ohne jede Beschwerde umher. Den Temperaturverlauf zeigt Tafel XL

Tafel XI.

Zwei ähnliche Fälle sind beschrieben von Burn-Murdoch^).

1) Burn-Murdoch, Edinburgh niedieo-chirurgical society The Lancet 1907 •26. Januar S. 230.

34:2 Spezieller Teil.

Auch von vornherein mildverlaufende und nicht zum Aufbruch führende Osteomyehtisfälle zeigen diesen prompten Rückgang unter Stauungshyperämie, selbst wenn sie schon längere Zeit bestehen. Dafür bietet der schon beschriebene Fall 29 ein schönes Beispiel.

In letzter Zeit habe ich mich dann nicht mehr auf begin- nende Fälle beschränkt, sondern auch die schweren Fälle von Osteomyelitis, mit grossen Abscessen, mit Gelenkvereiterungen und Epiphysenlösung durch Stauungshyperämie behandelt.

Ich ging in folgender Weise vor: Sobald der Eiter nach- gewiesen war, wurde der Abscess entweder mit einem dicken Troi- kart punktiert und mit physiologischer Kochsalzlösung ausgespült, oder durch einen oder mehrere Schnitte gespalten. Die Schnitte wurden nur so gross geführt, dass der Knochen nicht in weiter Ausdehnung frei lag, weil ich fürchtete, dadurch die Nekrose zu befördern. Der Eiter wurde sorgfältig ausgedrückt und durch Spülung mit physiologischer Kochsalzlösung entfernt. Es wurde weder drainiert noch tamponiert, wieder, weil ich fürchtete, dadurch die Knochen auszutrocknen und die Nekrose zu befördern, sondern einfach die Wunde mit einem dicken aufsaugenden Verbände locker bedeckt.

Bei einigen Fällen von akuter Osteomyelitis suchte ich zu- nächst mit blosser Punktion und Ausspülung der Eiterhöhle auszu- kommen. Zu ihnen gehört der folgende Fall:

48. Ein 12jähriges Mädchen erkrankte in der Nacht vom 5./6. Januar 1904 plötzlich mit starken Sclimerzen im linken Oberschenkel.

Am 15. Januar woirde das Kind aufgenommen. Der ganze linke Ober- schenkel war besonders in der unteren Hälfte stark geschwollen. An der Aussenseite und in der Kniekehle fanden sich lebhafte Röte, ödem vm.d Fluktuation. Das Kniegelenk war stark geschwollen, es mass an verschie- denen gleichnamigen Stellen 5,5 10 cm mehr als das gesiinde.

Es wurde sofort eine Stauungsbinde angelegt, die bewirkte, dass das Kind zum ersten Male nach Ausbruch der Erkrankung ruhig schlafen konnte. Am 16. Januar wurde im Ätherrausch der Abscess von der Aussenseite her init einem dicken Troikart punktiert. Es wurden reichlich 100 ccm dicker, leicht blutiger Eiter entleert, der eine Reinkultur von Staphylokokken entliielt. Die Höhle wurde avisgespült und die Pvmktions- stelle durch eine Naht geschlossen. 2 Stvmden nach der kleinen Operation wurde die Stauiingsbinde wieder angelegt und 22 Stunden täglich getragen. Vom folgenden Tage an hatte die Kranke keinerlei Beschwerden mehr und fühlte sich völlig gesund. Die Dauer der Stauungshyperämie wxirde allmählich herabgemindert. Am 23. Januar stieg die Temperatur, die schon zur Norm herabgefallen war, wieder an, die Umgebung der Punktions- stelle war gerötet \m.d der obere Teil der Kniekehle prall ausgefüllt. Ich

Behandl. akut. Entzünd. u. Eiterungen an d. Gliedern mit d. Stauungsb. 343

vermutete Wiederansammiung des Eiters, spaltete im. Ätherrausch die Höhle durch einen 8 cm langen Schnitt von der Aussenseite, entleerte aber nur etwa 100 ccm klares, zitronengelbes Serum. Mit dem Finger fühlte ich die Hinterfläche des Oberschenkelknochens von der Gegend der unteren Epiphyse bis zu seiner Mitte hin vom Periost entblösst. Die Wunde wiude mit Silberdrähten vernäht und die Blutung durch einstündigen Druck-

151 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 39

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Tafel XII.

verband gestillt, dann wurde ein lockerer Verband angelegt und die Stau- ungshjqDerämie wieder 22 Stunden täglich angewandt. Die Temperatur sank schnell, die Wunde heilte per primam intentionem und der pralle Kniegelenkserguss schwand in wenigen Tagen. Über den Verlauf der Tem- peratur gibt Tafel XII Aufschluss.

Das Kind blieb noch bis zum 22. Februar zur Beobachtung im Kranken- hause. Bei der Entlassung erinnerte nur noch eine erhebliche Verdickung des Oberschenkelknochens und die Xarbe der Operation an die überstandene Krankheit.

Ich bemerke auch hier wieder, dass die blosse Punktion des Abscesses durchaus nicht die Regel für die Behandlung der eitrigen Osteomyelitis sein soll. Auch hier handelte es sich um Versuche, auf möglichst schonende Weise das Leiden zu beseitigen. Sicher- lich genügt dies, wie die weitere Erfahrung gezeigt hat, nur in ganz seltenen Fällen.

Ich habe deshalb auch an der Regel festgehalten, osteomye- litische Abscesse unter allen Umständen zu spalten.

In einigen der Krankengeschichten wird man angeführt finden, dass ich gespaltene osteomyelitische Abscesse, die ich mit Stauungs- hyperämie behandelte, wieder durch einen oder einige Silberdraht- nähte lose verschlossen habe. Dies sind reine Versuche, die noch nicht abgeschlossen sind. Ich habe die Tatsachen nur erwähnt, um nichts von den Krankengeschichten zu unterschlagen.

Ich gebe einige Beispiele von geheilten Osteomyelitiden mit Komplikationen (vereiterten Gelenken, Epiphysenlösung) :

49. Ein 8 Wochen altes Kind wiirde am 10. Februar 1904 in die Bonner Poliklinik gebracht mit Schwellung und Rötung des linken Ober-

344

Spezieller Teil.

armes oberhalb des Ellbogengelenks. Die Schwellung fluktuierte. Das Ellbogengelenk wurde in fast gestreckter Stellvtng steif gehalten und war nur in ganz engen Grenzen passiv beweglich. Der Oberarmknochen fühlte sich verdickt an. Die Temperatiir betrug 39°. Der Abscess wurde ge- spalten, er führt auf Knochen, der vom Periost entblösst war. Das Kind wurde gleich aufgenommen. Nach anfänglichem Sinken der Temperatur stieg dieselbe wieder und der Lokalbefund verschlimmerte sich; das Ell- bogengelenk vereiterte.

Axa 16. Februar war der Befund wie folgt: Der linke Arm war vom oberen Drittel an sehr erheblich geschwollen und gerötet. Die beiden unteren Drittel des Oberarmknochens fühlten sich stark verdickt an. An der Aussenseite des Oberarmes befand sich eine 3 cm lange, gut granu- lierende Wunde, in derem Grunde der Knochen frei lag. Das Ellbogen- gelenk war am stärksten geschwollen. Auf Druck oder bei Bewegungen des- selben entleerte sich dicker Eiter aus der Schnittwimde. Das Gelenk war annährend gestreckt vmd Hess sich nur in ganz geringem Grade beugen. Rötung und Schwellung erstreckten sich über den Arm hinaus auf die linke

10 IUI 12 13 14 15 Kl 17 IS 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29

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Tafel XIII.

Brustseite und die Schulter. Es wurde 12 Stunden täglich durch eine möglichst hoch am Arm angelegte Gummibinde Stauungshyperämie ein- geleitet, die sehr stark auftrat. Am 17. Februar wurde eine Lösung der unteren Oberarmepiphyse festgestellt. Die ersten Tage war die Eiterung ausserordentlich reichlich. Trotz der Epiphysenlösung wurde das Ellbogen- gelenk täglich bewegt und durch Bewegungen und Druck der Eiter aus ihm entfernt. Am 24. Februar war die Eiterung fast völlig versiegt. Die Stau- ungsbinde wurde vom 24. 28. Februar nicht, von da ab bis zum 3. März noch eine Stunde täglich getragen. An diesem Tage war die Krankheit als geheilt zu betrachten. Die Operationswunde war fest vernarbt, die Epi- physe war wieder angeheilt und die Bewegungen des Ellbogengelenks fast völlig frei. Der kleine Patient bewegte das Gelenk selbsttätig. Weiche Krepi- tation im Gelenke, Verdickung der beiden unteren Drittel des Oberarms und die Operationsnarbe waren die einzigen Spuren, die die Krankheit hinterliess. Das Kind wurde am 19. März entlassen.

Über den Verlauf der Temperatur gibt die Tafel XIII Aufschluss.

50. Ein 9 jähriges Kind erkrankte eine Woche vor der Aufnahme mit einer heftigen Entzündung des rechten Unterschenkels und des benachbarten Kniegelenks.

Behandl. akut. Entzünd. u. Eiterungen an d. Gliedern mit d. Stauungsb. S-la

Am 22. Dezember 1903 wurde das Kind schwerkrank vmd hoch fiebernd aufgenommen. Der rechte Unterschenkel war sehr stark ent- zündet. Am oberen Ende des Schienbeins befand sich deutlich ein Abscess, der durch einen 6 cm langen Schnitt gespalten wurde. Dieser führt auf den vom Periost weit entblössten Knochen. Es trat unter sehr beträcht- licher Anschwellung eine Vereiteriing des rechten Kniegelenks dazu. Die Probepunktion des Gelenks ergab am 29. Dezember staphylokokkenhaltigen Eiter. Von diesem Tage an wurde Stauungshyperämie eingeleitet, die alle Erscheinungen von selten des Kniegelenks schnell besserte. Am 9. Ja- nuar 1904 musste noch ein Abscess an der Aussenseite des Unterschenkels durch einen 3 cm langen Schnitt gespalten werden. Am 10. Januar stiess sich aus der Wunde über dem Schienbein ein winziger Knochensequester ab. Seit dem 31. Janiiar wurde, da alle Entzündungs- und Fiebererschei- nungen geschwunden waren, die Stauungsbinde nicht mehr angewandt. Der eitrige Erguss des Kniegelenks war verschwtmden und die Beweglichkeit desselben wieder hergestellt. Doch blieben zwei Fisteln am Schienbein zurück. Diese wurden am 2. März in Narkose verfolgt. Die eine führte oberflächlich unter das Periost des Ivnochens, die andere in eine kleine Granulationshöhle am Kopfe des Schienbeins und von dort in das Knie- gelenk. Beim Ausschaben entleerten sich neben Granulationen einige lose Knorpelfetzen. Beim Bewegen des Gelenks floss klare Synovia aus. Der untere Teil der Wunde wurde genäht, der obere nur mit Gaze bedeckt. Der Sicherheit halber wurde wieder Stauungshypörämie eingeleitet. Am 25. April war die Operationswunde völlig vernarbt. Am 20. Mai wvirde das Kind entlassen. Im Kniegelenk fand sich kein Erguss ixiehr, er war in vollem Umfange aktiv und passiv beweglich. Dagegen bestand noch Schwellung der Kapsel und ziemlich hochgradige seitliche Beweglichkeit. Deshalb bekam das Kind einen Scharnierapparat, der die seitliche Beweg- lichkeit verhinderte.

In der vorigen Auflage berichtete ich über 22 Fälle akuter Osteo- myelitis, die ich mit Stauungshyperämie behandelt habe. Davon heilten :

ohne Nekrose 10 Fälle,

mit Nekrose 11 ,,

es starb an Pyämie 1 Fall.

Zu den in der vorigen Auflage beschriebenen, noch in Be- handlung befindlichen Fällen habe ich hinzuzufügen: Bei dem damals unter Nr. 51 1) beschriebenen Falle wurde noch eine Re- sektion des vereiterten Kniegelenkes wegen Caries notwendig. Bei dem unter Nr. 52 beschriebenen kam es in Folge der Ent- fernung eines Sequestes der Tibiaspiphyse zu einer Ankylose des

1) Da ich, um nicht zu breit zu werden, mehrere Krankengeschichten weggelassen habe, so erfahren die Ntimmern in dieser Auflage eine Verschiebung.

346 Spezieller Teil.

Kniegelenkes. Bei dem unter Nr. 53 beschriebenen zeigte es sich, dass auch noch eine Nekrose des Talus vorlag. Es wurde ein haselnussgrosser Sequester aus dem Talus entfernt. Wider Erwarten heilte das vereiterte Sprunggelenk mit annähernd voller Funktion aus.

Seitdem haben wir noch weitere 4 Fälle von frischer Osteomyelitis akuta behandelt, deren Endausgang sich schon übersehen lässt. Davon heilte ohne Nekrose ein Kranker, dessen Kniegelenk gleichzeitig vereitert war. Das Gelenk behielt seine volle Beweglichkeit. Mit Nekrose heilten drei. Es kommt noch hinzu die obenerwähnte Nekrose des Talus, die anfangs nicht er- kannt war. Das Gesamtergebnis stellt sich also jetzt wie folgt:

Von 26 Fällen frischer akuter Osteomyelitis verliefen

ohne Nekrose . . . , . 11 Fälle

mit Nekrose 14 ,,

es starb an Pyämie ... 1 Fall.

Der Todesfall, der mit der Stauungshyperämie nichts zu tun hat, wird in einem späteren Kapitel noch genauer beschrieben werden.

Bei dieser Aufzählung sind 2 Fälle von rezidivierender Osteomyelitis noch nicht erwähnt. Sie werden der folgenden Gruppe zugezählt.

Ferner habe ich folgenden eigenartigen Fall von akuter Osteomyehtis des Humerus mit Vereiterung des Schultergelenks beobachtet. Er verdient wegen seiner grundsätzlichen Wichtigkeit Erwähnung:

51. Ein 28 jähriger Ackerer wurde mit einer schweren fieberhaften Osteomyelitis des Oberarms und wahrscheinlich eitriger Entzündung des Schulter gelenks aufgenommen. Es gelang ohne operativen Eingriff, die akute Entzündung zur Rückbildung zu bringen und das Schultergelenk völlig auszulieilen. Aber es bildete sich eine gewaltige Verdickung des Knochens aus. Im Röntgenbilde bemerkt man an der Knochenwucherung und Verdickung, dass die ganze Diaphyse des Humerus erkrankt ist, ferner einen grossen eingeheilten Sequester.

Der Fall ist insofern grundsätzlich wichtig, als es uns gelang, einen Sequester zur Einheilung zu bringen. Ob wir nicht doch später genötigt sein werden, ihn zu entfernen, muß die Zeit lehren.

Die erzielten Erfolge scheinen mir im ganzen zufriedenstellend zu sein. Indessen beweist die Osteomyelitis lange nicht mit der abso-

Behandl. akut. Entzünd. u. Eiterungen an d. Gliedern mit d. Stauungsb. 347

luten Sicherheit den grossartigen Nutzen der Stauungshyperämie wie die Sehnenscheidenphlegmone. Denn unsere früher gepriesene Behandlung der letzteren führte mit ganz verschwindenden Ausnah- men zum Absterben der Sehne ; durch Stauungshyperämie konnten wir aber selbst von den mehrere Tage alten ganz in Eiter gebadeten Sehnen noch weit mehr als die Hälfte retten, und diese gingen bei unserer früheren Behandlung alle zugrunde. Akute Osteomye- litis aber sahen wir auch nach einfacher Abscessspaltung gar nicht so ganz selten ohne Nekrose ausheilen. Im ganzen bin ich mit meinen Erfolgen der Stauungshyperämie bei akuter Osteomyelitis nicht besonders zufrieden. Allerdings gehe ich keineswegs so weit wie Lindenstein^), der behauptet, bei der akuten Osteomy- elitis habe man nur schlechte Erfahrungen mit der Stauungs- hyperämie gemacht.

Offenbar führen bei der akuten Osteomyelitis die Bakterien- gifte sehr früh zur Nekrose, so dass die Stauungshyperämie nur, wenn sie sehr bald nach Ausbruch der Krankheit angewandt wird, mit einiger Regelmässigkeit zur völligen und schnellen Heilung führen kann. Die schlechten Abflussverhältnisse des Eiters aus der Tiefe des Knochens mögen das Ihrige dazu beitragen. Dies scheint mir die einzig mögliche Erklärung für die im Vergleich zur Staphylomykose anderer Gewebe ungleich schlechteren Re- sultate zu sein. Nordmann's'^) Ansicht, die Stauung erstrecke sich nicht bis aufs Knochenmark, trifft ganz und gar nicht zu, wie ich im allgemeinen Teile ausführlich auseinandergesetzt habe. Für die grosse Neigung des Knochens zur Nekrose sprechen ja auch sonstige Erfahrungen. Stirbt er doch häufig bei kom- plizierten Frakturen ab, wenn seine gebrochenen Enden, vom Periost entblösst, frei in der Wunde liegen, selbst wenn die Wunde nicht infiziert wird.

Auf alle Fälle ist unsere bisherige Behandlung der Osteomy- elitis mit Stauungshyperämie zum mindesten reformbedürftig. Einmal wegen der mangelhaften Endresultate, dann weil gerade bei der akuten Osteomyelitis unser Mittel häufig nicht imstande ist, in gleicher Weise wie bei anderen akuten Infektionen die schweren Krankheitserscheinungen schnell zum Verschwinden zu bringen; oft besteht dabei wochenlang hohes Fieber. In der

1) 1. c.

2) Nordmann, Erfahrungen über Stauungshyperämie bei akuten Ent- zündungen. Medizinische Khnik 1906, No. 29.

348 Spezieller Teil.

letzten Zeit habe ich angefangen, folgenden Versuch zu machen: Ich spaltete, wie es bei der sogenannten, jetzt mit Recht meist verlassenen ,, Frühoperation" geschah, breit, meisselte den Knochen auf, entfernte den Eiter gründUch, schloss die Weichteil wunde durch einige Silberdraht nähte nur so weit, dass breite Wundlücken zum Abfluss des Sekretes übrig blieben, und leitete dann Stau- ungshjrperämie ein. Die Naht der Wunde führe ich locker aus, um nicht den Knochen in grosser Ausdehnung unbedeckt zu lassen. Ich fürchte, das würde zu weiterer Nekrose führen. Wenigstens habe ich bei der ,, Frühoperation", die ich früher sehr häufig ausgeführt habe, bei breit offener Wunde und Tam- ponade in dieser Beziehung so schlechte Resultate gehabt, dass ich sie, ausser bei schwer septischen Fällen, bald wieder ver- liess. Ähnliche Versuche mit weiter Spaltung und nachfolgender Naht habe ich bei mehreren Eiterungen schon ganz im Beginne meiner Behandlung mit Stauungshyperämie mit gutem Erfolge gemacht. Ich habe nur beiläufig in diesem Buche davon geredet, weil ich sie nachher liegen gelassen habe, und sie deshalb noch nicht abgeschlossen sind.

Im grossen und ganzen sind andere Ärzte, auch sonst über- zeugte Anhänger der Stauungshyperämie, mit dem bisherigen Verfahren bei der Osteomyehtis nicht zufrieden, so Nordmann i). Croce-), Stich^), Heller-). Croce warnt auf Grund der Er- fahrungen Rotter's direkt davor, schwere Osteomyelitis mit der Stauungsbinde zu behandeln. Einzelne, z. B. Barden heuer-), berichten dagegen über gute Erfolge.

Dagegen muss ich daran festhalten, dass ganz frische und sehr milde verlaufende Fälle von akuter Osteomyelitis gerade sehr gut unter der in alter Weise angewandten Stauungshyper- ämie heilen.

Die schlechtesten Resultate hatten wir bei der akuten Osteomyelitis der Tibia, während sie bei anderen Knochen ver- hältnismässig gut waren.

Osteomyelitisch vereiterte Gelenke versteiften oder anky- losierten gewöhnlich, wenn ein Knochenherd bis in das Gelenk hineinragte, war dies nicht der Fall, so heilten sie mit guter Funk- tion aus.

1) 1. c.

2) Verhandlungen des 35. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, S. 220—266.

Behandl. akut. Entzünd. u. Eiterungen an d. Gliedern mit d. Stauungsb. 349

Rezidivierende Osteomyelitis.

Schon seit langer Zeit habe ichFälle von sogenannterrezidivieren- der Osteomyelitis mit Stauungshyperämie behandelt. Diese liegen in- sofern zuweilen günstig, als sich bei ihnen sehr häufig kein Sequester, sondern nur Abscess- oder gar nur Granulationshöhlen mit spär- lichem Eiter im Knochen finden. Ich habe, abgesehen von Knochen- abscessen, nur 7 Fälle mit sicher nachgewiesener Eiterung behandelt, darunter einen vor mehreren Jahren in Greifswald, und zwar 5 mit gutem, 2 mit schlechtem Erfolge. Von solchen, die ohne Eiterung zurückgingen, will ich einen Fall aus neuerer Zeit an- führen.

52. Eine 22jährige Fabrikarbeiterin, die vor 2 Jahren an einer akuten Osteomyelitis des rechten Oberschenkels operiert wurde, erkrankte, nachdem schon Wochen vorher unbestimmte Schmerzen in der Hüfte und im Oberschenkel aufgetreten waren, 14 Tage vor der Aufnahme unter Fieber mit heftigen Schmerzen in der Gegend des Kniegelenks des linken Beines.

Sie wm"de am 6. IL 04 bei uns aufgenommen. Am rechten Ober- schenkel befand sich eine 12 cm lange, eingezogene, mit dem Knochen verwachsene Narbe, im rechten Kniegelenk ein erheblicher Erguss. Es mass an verschiedenen Stellen 2 314 cm mehr als das gesunde Gelenk. Es war schmerzhaft und nicht ganz bis zum rechten Winkel unter Schmerzen zu beugen. Das untere Drittel des zugehörigen Oberschenkel- knochens fühlte sich verdickt an und

war sehr druckempfindlich. Die Weich- ^^611 7 8 9 10 11 12 13 u 15 16 17 teile in der Kniekehle waren entzündet und infiltriert.

Ich vermutete, dass sich bereits

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ein Abscess hinter dem Knochen ge- bildet hätte, aber die Probepunktion mit der Pravaz' sehen Spritze, die in 36 j der Gegend der stärksten Entzündung Taf. XIV.

vorgenommen wurde, ergab keinen Eiter, die des Kniegelenks klare seröse Flüssigkeit ohne Bakterien.

Es wurde Stauungshyperämie 22 Stunden täglich eingeleitet, die in der stärksten Form auftrat. Schon nach 2 Tagen war die Schmerzhaftig- keit beseitigt und das Gelenk viel beweglicher. Vom 18. Februar ab wurde die Stauungsbinde nur 12 Stunden getragen. Am 26. Februar Ovaren der Kniegelenkserguss und alle Krankheitserscheinungen völlig ver- schwunden, das Gelenk normal beweglich vind die Kranke stand auf. Am 16. März wurde sie als voll arbeitsfähig entlassen. Eine geringe Ver- dickung des unteren Oberschenkelendes war das einzige Abnorme, was sich nachweisen liess. Das Bein war in vollem Umfange gebrauchsfähig.

Die beigefügte Tafel XIV gibt den Verlauf der Temperatur an.

350

Spezieller Teil.

Der folgende Fall bietet ein Beispiel von rezidivierender Osteo- myelitis, wo trotz eingeleiteter Stauungshyperämie und unter der- selben ein Abscess auftrat, und wo erst die Entleerung des Eiters durch Punktion die Heilung herbeiführte.

53. Ein 22jähriger Heizer machte im Jahre 1891 eine akute Osteo- myelitis am unteren Teile des rechten Oberschenkels durch, deren Abscess vom Arzte gespalten wurde. Es blieben Fisteln zurück, welche trotz Aus- stossung zweier Sequester sich nicht schlössen. Im Jahre 1897 wm-de in der Bonner Klinik deshalb mit Erfolg die Nekrotomie gemacht. Der Kranke wurde am 3. II. 04 mit neuen Beschwerden an der alten Stelle wieder aufgenommen.

Die untere Hälfte des rechten Oberschenkelknochens war stark ver- dickt und auf Druck empfindlich. Man sah verschiedene Operationsnarben, dariuiter eine von 25 cm Länge, die von der Nekrotomie herrülirte und

1611 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28

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Tafel XV.

in ihrem unteren Teile sclimerzhaft war. Die Körpertemperatur war leicht erhöht. Das rechte Kniegelenk war normal beweglich und normal geformt. Es wurde eine Stunde täglich Stauungshyperämie angewandt. Das Leiden besserte sich nicht, die Temperatiu" kletterte vom 18. IL an langsam in die Höhe und die Operationsnarbe rötete sich luid wurde schmerzhafter. Am 22. IL \^Tirden im Ätherrausch durch Punktion mit einem dicken Trokar von der Aussenseite her etwa 2 Esslöffel voll ziemlich dicken blutigen Eiters entleert. Der Troikart streifte rauhen Knochen. Die Abscesshöhle wurde mit physiologischer Kochsalzlösung ausgewaschen. Die Stauungsbinde wurde wieder angelegt, vom 22. IL bis zum 10. III. täglich 20 Stiuiden getragen und dann abgelegt. An diesem Tage war das Leiden als geheilt zu betrachten; es bestanden keinerlei Beschwerden mehr, am 14. III. stand der Kranke auf.

Den Verlauf der Temperati.vr zeigt, soweit er von Interesse ist, Tafel XV.

Vielleicht genügte die anfangs nur einstündige Stauung täglich in diesem Falle nicht, und es wäre möglicherweise gelungen, durch längere Dauer der Stauungsperioden die Eiterung hintanzuhalten. Es handelte sich hier um einen absichtlich angestellten Versuch mit kurzdauernder Stauungshyperämie.

Behandl. akut. Entzünd. u. Eiterungen an d. Gliedern mit d. Stauungsb. 35 ^

54. Ein ISjähriger Schreiber erkrankte vor 2 Jahren an akuter Osteomyelitis des rechten Oberarms, weshalb an ihm in der hiesigen Klinik die Nekrotomie ausgeführt wurde. Ein Jahr später wnrde er nochmals wegen eines Rezidivs operiert.

Am 11. Juni 1904 wiirde er mit einem neuen Rezidiv aufgenommen. Am rechten Oberarm fand sich a\if der Aussenseite oben und unten je eine 10 cm lange, mit dem Knochen verwachsene Narbe. In der Mitte der unteren sass eine erbsengrosse, reichlich Eiter entleerende Fistel- mündung. Der Oberarm war sehr entzündlich geschwollen und auf Druck lebhaft empfindlich. Die Entzündiing erstreckte sich auf das Ellbogen- gelenk; dasselbe war geschwollen, stark schmerzhaft und stand im rechten Winkel fest. Die Temperatur war nur leicht erhöht. Es wurde Stau- ungshyperämie eingeleitet. Am 25. Juni war die Fistel geschlossen. Am 11. Juli wurde der Mann entlassen. Alle entzündlichen Erscheinungen waren geschwunden, das Ellbogengelenk war bis auf einen ganz geringen Rest an völliger Streckung frei beweglich und gebrauchsfähig.

Ein Fall, bei dem wir einen schlechten Erfolg hatten, wird unter Nr. 71 beschrieben.

Eine besondere Erwähnung verdienen die nicht seltenen, sehr schweren septischen Formen der rezidivierenden Osteomye- litis, bei denen die Knochen mit Tausenden und Abertausenden von kleinen Abscessen durchsetzt sind. Wir haben nur 2 solche Fälle, und zwar ohne Erfolg, behandelt. Der eine ist der soeben erwähnte, unter Nr. 71 beschriebene. In einem weiteren Falle, der gleichzeitig eine Vereiterung des Kniegelenkes und einen eitrigen I^ungeninfarkt aufwies, musste nach erfolgloser Stauungs- hyperämie die Amputation des Oberschenkels ausgeführt werden. Der Kranke genas. Es handelte sich hier um eine Streptokokken- infektion.

Beim regelrechten Knochenabscess, der, wenn man will, häufig ja auch ein Rezidiv der akuten Osteomyelitis darstellt, habe ich, wie zu erwarten war, mit Stauungshyperämie nichts er- reicht. Noch vor kurzem missglückte uns ein solcher Fall, den wir anfangs für eine gewöhnliche rezidivierende Osteomyelitis hielten, die sich aber bei der Operation als völlig eitrige Ein- schmelzung des Markes entpuppte.

Behandlung anderer akuter Entzündungen und Eiterungen an den Gliedern.

Ausser den aufgezählten schweren Infektionen, vereiterten grossen Gelenken, Sehnenscheidenphlegmonen, akuten Osteomyeli- tiden habe ich alle möglichen Entzündungen und Eiterungen mit

352 Spezieller Teil.

der Stauungsbinde behandelt, z. B. alle Sorten von Panaritien, frisch infizierte Wunden, Karbunkel und Furunkel, Lymphangio- itiden, Erysipel, akute juckende Ekzeme usw.

Sick^) sah Milzbrand durch die Stauungsbinde, Küster^) durch einen Saugapparat sehr gut ausheilen. Es stimmt diese Erfahrung sehr gut mit den im allgemeinen Teile dieses Buches geschilderten experimentellen Untersuchungen N ö t z e l's und V. Baumgarten's überein.

Ja auch für die nicht bakteriellen Entzündungen eignet sich die Stauungshjrperämie, z. B. für schmerzhafte Mückenstiche und für den akuten Gichtanfall. Das ist ja eigentlich von unserem Standpunkte auch verständlich. Denn wenn wir die Entzündung als eine nützliche Reaktion zur Beseitigung einer Schädlichkeit auffassen, so ist es ja gleichgültig, ob diese Entzündung ver- ursachende Schädlichkeit Bakterien-gift oder die Säure des Mücken- stiches, oder die Harnsäure des Gichtkranken 2) ist. In jedem Falle, woEntzündung auf tritt, ist diese zu befördern und nicht zu bekämpf en.

xA.uch der Bluterguss in die Gewebe gehört hierher; denn auch er verursacht eine heftige entzündliche Hyperämie und entzündliches Ödem, die meiner Auffassung nach zur Lösung des Blutergusses dienen. Ich habe bei grösseren Blutungen in die Gewebe häufig wie mir schien, mit Erfolg Stauungshyperämie angewandt, um das Blut schneller zu lösen. Allerdings habe ich immer daneben Heissluftbehandlung oder Massage angewandt, um es schneller zur Resorption zu bringen, da diese durch die Stauungshyperämie, wie im allgemeinen Teile erörtert ist, während die Binde liegt, ver- langsamt wird. Gewöhnlich beseitige ich allerdings die Blutergüsse bloss mit heisser Luft, weil die Resorption, wie ich später noch schildern werde, hier viel wichtiger ist als die Lösung.

Mit Bezug auf alle die oben genannten Leiden kann ich mich kurz fassen; denn die Technik bietet nichts Besonderes, sie ist die- selbe, wie sie in den vorhergehenden Abschnitten auseinandergesetzt ist. Es kommt hinzu, dass die Schröpfköpfe, z. B. bei Furunkeln, Karbunkeln,frischinfiziertenWunden,vielfachpraktischer sind als die

1) Verhandlungen des 35. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie.

2) Ich habe Vorjahren berichtet, dass ich bei einem akuten Gichtanfalle mit Stauungshyperämie keinen Erfolg gehabt habe. Dagegen habe ich mich seitdem in mehreren Fällen überzeugt, dass man auch gegen den Gichtanfall das Mittel mit grossem Nutzen anwendet.

Neuerdings sind auch von anderen Ärzten erfolgreich mit der Stauungs- binde behandelte Gichtanfälle beschrieben worden.

Behandlung des Erysipels. 353

Stauungsbinde, Diese Behandlung werde ich in einem besonderen Kapitel schildern.

Behandlung des Erysipels.

Ich habe schon im Jahre 1901 1) berichtet, dass ich Erysipel der Gheder und besonders des Gesichts mit Stauungshyperämie behandelt habe. Ich erlebte in Greifswald in dem damaligen alten, hygienisch schlechten Krankenhause eine Endemie von Gesichts - erysipel, an dem nacheinander eine ganze Reihe von Menschen er- krankten. 13 dieser Fälle (darunter ein dreimaliges Rezidiv bei demselben Kranken) wurde durch eine Stauungsbinde am Halse behandelt. Nur in einem Falle ging das Erysipel bis an die Binde. In den übrigen Fällen blieb es auffallend beschränkt. Die mittlere Dauer der Krankheit betrug 4.9, bei dem kürzesten Verlaufe 1, bei dem längsten 9 Tage.

Dagegen betrug die mittlere Krankheitsdauer bei zwei Kranken mit Kopferysipel aus derselben Endemie, von denen der erste mit Alkohol-, der zweite nur mit aseptischem Verbände behandelt wurde, 8.5, bei dem einen 6, bei dem andern 11 Tage.

Auffallend war in den mit Stauung behandelten Fällen die Besserung des Allgemeinbefindens, der schnelle Temperaturabfall und die rasch und reichlich eintretende Abschuppung.

Immerhin ist diese Beobachtungsreihe zu klein, um den gün- stigen Einfluss der Stauungshyperämie auf das Erysipel zu be- weisen, wenn sie ihn auch wahrscheinlich macht. Denn das Ery- sipel ist eine unberechenbare Krankheit, und es könnte Zufall sein, dass gerade eine Anzahl leichter Fälle der Behandlung unter- zogen wäre.

Seit jener Zeit habe ich nur selten mehr Erysipel gesehen, wie überhaupt die Streptomykose in Bonn ganz auffallend selten ist; es kommt hier auf 100 Fälle von Staphylomykose, wenn ich von Erysipel und Mittelohreiterungen absehe, vielleicht einer. Die wenigen, später behandelten Fälle von Erysipel haben mich auch zu keinem sicheren Urteile kommen lassen. Habs 2), einer der er- fahrensten und. erfolgreichsten Ärzte auf dem Gebiete der Hyper-

1) Verhandliingen des 19. Kongresses für innere Medizin 1901.

2) Verhandlungen des 35. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Chiriorgie.

Bier, Hyperämie als Heilmittel. 23

354 Spezieller Teil.

ämiebehandlung, hatte schlechte Resultate, dagegen glaubt Hoch- hau s^), dass seine 7 Fälle von Gesichtserysipel, die er mit Stau- ungshyperämie behandelte, günstig dadurch beeinflusst sind, und Sick^) sagt, dass ihm in einzelnen Fällen von Erysipel diese Be- handlung vortreffliche Dienste geleistet habe.

Heller 2) machte folgende bemerkenswerte Beobachtung: Während ein Erysipelas migrans ohne erkennbaren Einfluss unter der Binde hinwegwanderte, machten drei gangränöse Erysipele unmittelbar an ihr Halt. Die Fälle verliefen so günstig, dass Heller sie zu seinen besten Heilerfolgen zählt.

Mit Recht weist Payr^) darauf hin, dass Wolf 1er und Nie- haus, von denen der erstere durch einen einschnürenden Heft- pflasterstreifen, der zweite durch einen Kollodiumring das Erysipel ,, abgrenzte", in Wirklichkeit vielleicht unbewusst durch ,,eine allerdings technisch unvollkommene und oft ungenügend ausge- führte Stauungshyperämie" gewirkt haben.

Inzwischen ist durch die mehrfach gemachte Beobachtung, dass unter Stauungshjrperämie, die gegen akute Entzündungen ausgeführt wurde, Erysipel auftrat, die Entscheidung der Frage weiter er- schwert worden. Ich werde auf diesen Punkt in einem späteren Kapitel, das über die Gefahren der Stauungshyperämie handelt, zurückkommen.

Prophylaktische Behandlung frischer infektionsver- dächtiger Wunden mit hyperämisierenden Mitteln.

Schon in der II. Auflage habe ich darüber berichtet, dass wir angefangen hatten, frische infektionsverdächtige Wunden pro- phylaktisch mit Stauungshjrperämie zu behandeln. Damals be- schränkten sich unsere Erfahrungen vor allen Dingen auf kompli- zierte Knochenbrüche und andere verdächtige Wunden, die wir an den GHedmassen mit der Stauungsbinde, am Rumpfe mit Saug-

1) Hochhaus, Über die Behandlung akuter Halsaffektionen mittels S fcauungshyperämie. Therapie der Gegenwart. Oktober 1905.

2) Verhandl. des 35. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Cliirurgie.

3) Payr, Wölfler's Erysipelbehandlung. Eine historische Bemerkung zu A. Bier's neuer Verwendung der Stauungshyperämie. Wiener med. Wochen- schrift 1905. Nr. 38.

Prophylakt. Behandl. frischer infektionsverd. Wiuid. m. hyperäm. Mitteln 355

apparaten behandelten. Ich bemerkte damals, dass es sehr schwer sei, sich hier ein Urteil über den Nutzen des Verfahrens zu bilden, da ja günstig verlaufende Fälle nicht beweisen, dass sie ohne hyperämisierende Behandlung schlechter verlaufen wären. Auch theoretisch lässt sich diese Frage nicht entscheiden. Denn es ist gar nicht gesagt, dass dasselbe Mittel, das die ausgebildete Krank- heit heilt oder günstig beeinflusst, auch den Ausbruch derselben verhindern muss.

Nach unseren 1) und von zahlreichen anderen Ärzten 2) in- zwischen gemachten weiteren Erfahrungen scheint es mir aber, dass es in der Tat gelingt, mit einem hohen Grade von Sicher- heit verdächtige und verschmutzte Wunden vor der Infektion zu schützen. Besonders haben wir diese Überzeugung dadurch ge- wonnen, dass wir frische Wunden, die die Bedingungen der prima intentio nicht in sich trugen, weil sie gequetscht und verunreinigt waren, und die wir deshalb früher nie zu schliessen gewagt hätten, nähten und prima intentio eintreten sahen. Als Beispiel diene folgender Fall:

55. Ein 31 jähriger Arbeiter wollte am 9. II. 1906 einen mit Blecliplatten beladenen Wagen durch Eingreifen in die Radspeichen vorwärts schieben. Plötzlich ging der Wagen vorwärts und drückte die linke Hand gegen die Blechplatten.

Der Verletzte begab sich sofort in die Klinik. Der Rücken der schmutzstarrenden Hand war wie von einem Kammrade zerfetzt. Im all- gemeinen handelte es sich um 4 parallel laufende, durch schmale Haut- brücken getrennte, teils gerissene, teils geschnittene Wunden. Die Wun- den waren stark verunreinigt, die Metakarpalknochen teilweise gesplittert, das Köpfchen des dritten so stark, dass die Trümmer herausgezogen werden mussten. Die Strecksehnen des 2., 3. und 4. Fingers waren durch trennt.

Die Wunden wurden vom sichtbaren Schmutz nach Möglichkeit ge- reinigt tmd mit Subümatlösixng ausgespült. Die zerfetzten Enden der Strecksehnen des 2., 3. und 4. Fingers wurden mit Katgut genäht imd die Hautwunden, so gut es ging, diirch zahlreiche Nähte geschlossen. Nur 2 etwa pfenniggrosse Stellen mussten offen bleiben, weil dort soviel Haut weggerissen war, dass die Ränder sich nicht vereinigen Hessen.

Für 2 Stxmden wiu?de ein Druckverband angelegt, dieser dann durch einen lockeren Verband ersetzt und Stauungshyperämie eingeleitet, die sehr heftig auftrat, so dass der Verband mit seröser Flüssigkeit durchtränkt wurde und mehrmals gewechselt werden musste.

1) Vergl, Joseph, Über die frühzeitige und prophylaktische Wirkixag der Stauungshyperämie auf infizierte Wunden. Münchner med. W. 1906. Nr. 38.

2) Vergl. \mter anderem: Verhandlungen des 35. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, Nordmann 1. c,; Hoffa, Die BehandlTong von Unfallschäden usw. Münchner med. W. 1906. Nr. 44.

23*

356 Spezieller Teil.

Am 17. II. wurden die Nähte entfernt. Die Wtmden waren bis auf die beiden kleinen offenen Stellen per primam intentionem geheilt. Ins- besondere waren die Sehnen gut verwachsen.

Ich bemerke noch, dass dem Manne prophylaktisch Tetanusantitoxin eingespritzt wurde. Dies tixn wir bei allen stark gequetschten und ver- unreinigten Wunden.

Dieses Verfahren hat uns bei ähnhchen Fällen häufig gute Dienste geleistet, ebenso wie bei schweren komphzierten Knochen- brüchen. Vor allem haben wir uns nicht gescheut, nach Ope- rationen an infizierten Körperteilen gleich die Wunde durch Naht locker zu schhessen. Wir konnten dann unter Stauungs- hyperämie eine Art von prima intentio herbeiführen, die den Heilungsverlauf ganz erhebHch abkürzte und eine bessere Funk- tion der erkrankten Körperteüe erzielte. Die erwähnte Arbeit Joseph's aus der hiesigen Khnik gibt dafür eine Anzahl Bei- spiele. Die prophylaktische Stauungshyperämie ist deshalb be- rufen, in der Chirurgie eine grosse Rolle zu spielen. Sie macht die Chirurgie noch ein Stück weiter konservativ und wird be- sonders die Folgen von Betriebsunfällen durch Verhinderung der Infektion, Vermeiden grösserer chirurgischer Eingriffe und die Möglichkeit, frühzeitig die Naht zu gebrauchen, erheblich mil- dern. Es war mir eine Genugtuung, neuhch von dem Vor- sitzenden einer grossen Berufsgenossenschaft zu hören, dass sich die Tätigkeit der Ärzte, welche Stauungshjrperämie in diesem Sinne anwenden, für die Kasse der Genossenschaft in angenehmer und für die betroffenen Arbeiter in nützlicher Weise bemerkbar mache.

Habs^) berichtet, dass die prophylaktische Stauung auf die Entwicklung einer Lues sich ohne jeden Einfluss zeigte: Ein Arzt verletzte sich gelegentlich einer Operation einer entzündeten Phimose eines Syphilitischen. Habs wandte sofort dagegen Dauerstauung an. Trotzdem entwickelte sich am Orte der Ver- letzung eine Initialsklerose, an die sich eine schwere allgemeine Lues anschloss, während die Eiterung vermieden wurde.

Eine weitere interessante Erfahrung verdanke ich einer privaten Mitteiluug Habs': Trotz prophylaktischer Stauung ent- wickelte sich im Anschluss an eine schwere Verletzung des Beines ein Tetanus. Ähnliche Erfahrungen machte ich in Greifswald,

1) Verhandliingen des 35. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie I. S. 221.

Prophylakt. Behandl. frischer infektionsverd. Wund. m. hyperäm. Mitteln. 357

WO Tetanus nicht selten vorkam, mit der Stauungsliyperämie bei ganz frischen Tetanusfällen. Sobald sich die allerersten Er- scheinungen einstellten, wurde Stauungshyperämie neben Tetanus- antitoxin angewandt mit durchweg schlechtem Erfolge. Auch die Kopf Stauung, die ich mehrmals anwandte, um auf das ver- giftete Zentralnervensystem einzuwirken, erwies sich als gänzlich nutzlos .

Ich habe deshalb meine alte Gewohnheit beibehalten, stets bei infektionsverdächtigen Wunden trotz prophylaktischer Dauer- stauung auch prophylaktisch Tetanusantitoxin anzuwenden.

Im Zusammenhange mit diesen Erfahrungen stehen Versuche, die ich unternommen habe, die aseptische Wundbehandlung abzu- ändern. Es wäre ja unglaublich töricht von einem Chirurgen, wenn er ihre glänzenden Leistungen in Frage stellen wollte. Aber trotz aller Asepsis sind wir immer noch nicht so weit, dass wir die prima intentio aller Wunden, die sich für die Naht eignen, mit Sicher- heit verbürgen können. Wie häufig kommt es zum Beispiel noch vor, dass Seidenfäden sich ausstossen, oder eine im grossen und ganzen per primam intentionem geheilte Wunde kleine Fehler (Nahteiterungen, Fisteln) zeigt. Da liegt es nahe zu versuchen, hier gewissermassen das Prä venire zu spielen und durch eins der unzähligen uns zu Gebote stehenden Reizmittel, die ja nebenbei noch meist Antiseptika sind, die Wunde in einen entzündlichen Zustand zu versetzen, der eine Infektion im Keime erstickt.

Es kommt hinzu, dass die Wundheilung im gewissen Sinne ein entzündlicher Vorgang ist. Es erscheint deshalb vielleicht nicht ratsam, alle Reize von der Wunde fernzuhalten. In letzterer Beziehung haben unsere Versuche ein sehr eindeutiges Resultat ergeben. Ich konnte durchgehends feststellen, dass die Narben viel schneller sich festigten und dauerhafter wurden als bei reizlos aseptisch behandelten Wunden.

In ersterer Beziehung dagegen hat sich das Verfahren nicht bewährt. Ich habe es bei etwa 500 grösseren Wunden, die an- nähernd die Bedingungen für eine prima intentio in sich trugen, angewandt, konnte aber keinen Vorteil gegenüber der rein asep- tischen Behandlung nachweisen. Ich habe alle möglichen Reiz- mittel, natürhch in starker Verdünnung, benutzt. Am brauch- barsten erwies sich das gemeinste und beliebteste, das Jod. Aber auch bei seiner Anwendung machte ich die Erfahrung, dass nicht selten sich eine milde Späteiterung einstellte. Die Wunde schien

358 Spezieller Teil.

nach der üblichen Zeit per primam verheilt. Dann aber ent- wickelte sich langsam und unter ganz geringen Entzündungs- erscheinungen ein Abscess, aus dem sich häufig Seidenfäden ausstiessen. Schröpf köpfe brachten diese Eiterungen durchgehends schnell zur Heilung.

Behandlung akuter Entzündungen und akuter Eite- rungen am KojDfe mit einer um den Hals gelegten

Stauungsbinde ^).

Die Kopf Stauung wird in der Regel 18 22 Stunden täglich angewandt. Auch hier werden natürlich hin und wieder Ausnahmen gemacht und wird dem Fall entsprechend individualisiert. Tritt z. B. zu starkes Ödem auf, oder ist den Leuten anfangs die Binde unangenehm, so werden längere Stauungspausen einge- schoben. Die Binde hegt im allgemeinen richtig, wenn das Gesicht etwas geschwollen und gedunsen aussieht. An entzündeten Stellen tritt auch hier ein rotes feuriges Ödem ein, aber während an den Gliedmassen häufig diese Röte bis an die Binde herangeht, bleibt sie am Kopf auf den Ort der Erkrankung und ihre unmittelbare Umgebung beschränkt. Nur wenn gleichzeitig ausgedehnte akute Drüsenentzündungen am Halse bestehen, treten ausgebreitete Ent- zündungserscheinungen auf.

Im allgemeinen soU eine gewisse ödematöse Schwellung bei der Kopfstauung rasch bis an den Bindenrand heranreichen, aber in der Stärke des Ödems bestehen sehr erhebliche Unterschiede. Fälle, in denen die Weichteile des Halses in Gestalt ödematöser Säcke über die Binde herabhängen, wechseln mit solchen, wo die erwähnte Gedunsenheit des Gesichts das einzige Zeichen der serösen Durchtränkung ist. Während es nun bei den Gliedmassen häufig geraume Zeit dauert, ehe das durch die Stauungsbinde her- vorgerufene Ödem durch Hochlagerung wieder gänzlich ver-

1) Wer sich für die diirch die Stauiongshyperämie veränderten Druckver- hältnisse im Gehirn interessiert, findet sie ausführlich beschrieben lond graphisch dargestellt in: Bier, Über den Einfluss künstlich erzeugter Hyperämie des Gehirns und künstlich erhöhten Hirndrucks avd Epilepsie, Chorea \and gewisse Formen von Kopfschmerzen. Mitteilungen aus den Grenzgebieten. VII. Bd. IL u. III. Heft. 1900.

Behandl. akut. Entzünd. u. Eiterungen am Kopfe m. einer um d. Hals usw. 359

schwindet, geht dies bei den vortrefflichen Zirkulationsverhält- nissen, die der Kopf aufweist, sehr viel schneller. Schon wenige Stunden, nachdem die Binde entfernt ist, haben die Leute wieder ihr gewöhnliches Aussehen.

In demselben Grade wie das Leiden sich bessert, verkürzt man die Stauungsperioden, darf aber nicht zu früh damit beginnen, weil sonst leicht Rezidive eintreten.

Auf den ersten Blick scheint es ein abenteuerlicher Vorschlag zu sein, am Kopfe starke Stauungshyperämie durch ein um den Hals gelegtes Band zu erzeugen und dieses etwa 20 22 Stunden an derselben Stelle sitzen zu lassen. Ein Wechsel der Schnür- stelle am Halse ist nicht wohl möghch, weil das Band immer unterhalb des Kehlkopfes sitzen soll; denn oberhalb ist es nicht gut anzubringen, und gerade auf dem Kehlkopfe macht es lästige Druckerscheinungen. Man bedenke aber, dass, wieder wegen der vortrefflichen Gefässversorgung des Kopfes, sich hier viel leichter eine kräftige Stauungshyperämie erzeugen lässt, als an den Glied- massen. Man bedarf deshalb nicht mehrerer um den Hals ge- legter Bindengänge, sondern es genügt hier das einfache im all- gemeinen Teile beschriebene BaumwoU-Gummiband, das man am besten mit einer einfachen Lage einer Mullbinde unterfüttert. Drohen trotzdem bei empfindlicher Haut geringe Druckerschei- nungen aufzutreten, so wird sie durch Abwaschungen mit Spiritus oder Kampferspiritus abgehärtet. Hin und wieder haben wir wohl ganz unbedeutende Exkoriationen gesehen, die wir mit Zinkoxyd puderten und mit etwas Watte bedeckten; dabei aber wandten wir die Binde ruhig weiter an. Das Gummiband kann man auch durch einige Gänge einer fest um den Hals gewickelten Flanell - binde ersetzen. Sie ist aber unpraktisch, weil sie von dem Kranken als Avarm empfunden wird und viel mehr Platz wegnimmt, als das schmale Gummiband, das, besonders bei der häufig gleichzeitig mit der Grundkrankheit vorhandenen sekundären Drüsenschwellung, tief am Halse angelegt werden muss.

Auch am Kopfe ist die hervorstechendste Wirkung der Stau- ungshyperämie die Stillung etwa vorhandener Schmerzen. Auch hier bewährte sie sich bei schmerzhaften Krankheiten geradezu als Beruhigungs- und Schlafmittel. Ferner sahen wir mehrere Male, dass der infolge der Entzündung in Zwangsstellung steif gehaltene Kopf schon nach 24 Stunden wieder beweglich wurde.

Das Stauungsband ist natürlich zuerst dem Menschen nicht

360 Spezieller Teil.

angenehm. Es macht ihm das Gefühl der Beengung am Halse. Doch gewöhnen die Leute sich bald daran. Wirkhche Beschwerden soll das Band niemals hervorrufen, schon wenn die Kranken über Druck und Schwere im Kopfe klagen, soll es etwas gelockert werden. Der Anfänger sollte die Kopfstauung zuerst bei Erwach- senen in Angriff nehmen, damit er sich nach ihren Angaben rich- ten kann. Erst wenn er hier das Verfahren erlernt hat und die objektiven Veränderungen zu deuten weiss, sollte er zur Behand- lung der Kinder übergehen.

Bei Eiterungen wirkt die Stauungsbinde am Kopf genau wie an den Gliedern, wovon bei den einzelnen Fällen die Rede sein wird. Ich kann hier nur im allgemeinen sagen, dass das, was wir von den Ghedmassen beschrieben haben, für die Kopf Stauung in erhöhtem Masse gilt. Die entzündlichen Schwellungen wachsen hier fast auf das Doppelte an und, gehen trotz der weiteren An- wendung der Binde allmähhch zur Norm zurück, sobald die Krank- heit sich bessert und ausheilt. Auch die Eiterungen verhielten sich ganz ähnhch. Wir sahen den akuten heissen Abscess selten chronisch werden und verschwinden und fanden, dass kleine Ein- schnitte genügend waren, um ihn zu beseitigen.

Ich erwähne aber auch hier, dass die Grösse des Schnittes durchaus keine hervorragende praktische prinzipielle Bedeutung haben soll. Die Bedeutung des gänzlichen Unterlassens des Ein- schnittes liegt vielmehr auf theoretischem Gebiete. Praktisch viel wichtiger ist es, auch bei den Abscessen des Kopfes von Tampo- nade und Drainage abzusehen. Der Eiter wird einfach durch Druck und Ausspülung entfernt. In einer Reihe von Fällen haben wir auch mit günstigem Erfolge die noch zu schildernde Absaugung mit dem Schröpfkopf vorgenommen.

Ich habe die Kopf Stauung schon in früheren Jahren mannig- fach verwandt. Von akut entzündlichen Erkrankungen habe ich früher nur akute Cerebrospinal -Meningitis und Erysipel damit be- handelt. Seit reichlich 3 Jahren aber habe ich das Mittel bei fast sämtUchen in der hiesigen Klinik und im Johannishospital beobach- teten Entzündungen und Eiterungen am Kopf, Gesicht und oberen Teil des Halses grundsätzlich zur Anwendung gebracht i). Ich besehreibe das Verfahren eingehender für die wichtigen

1) Vgl. Keppler, Die Behandliing entzündlicher Erkrankungen von Kopf und Gesicht mit Stauungshyperämie. Münchner med. Wochenschrift 1905. Nr. 45, 46, 47.

Behandl. akut. Entzünd. u. Eitervingen am Kopfe ni. einer um d. Hals usw. 361

Akuten Eiterungen des Mittelohres und. ihre Komplikationen^).

Wir haben sämtliche Fälle von Ohreiterungen, die uns zur Ver- fügung standen, mit Stauungshyperämie behandelt, einerlei ob sie im akuten oder chronischen Stadium kamen und einerlei, ob sie Komplikationen aufwiesen oder nicht. Naturgemäss kommen die letzteren Fälle dem Chirurgen am häufigsten zu Gesicht. So sahen wir nur einen FaU von Mittelohrentzündung, der keine Kompli- kation aufwies. Aber gerade die komplizierte Erkrankung des Schläfenbeins musste nach unsern Erfahrungen über ähnlich patho- logische Prozesse an den Gliedmassen ein sehr geeignetes Feld für unsere Behandlung bieten. Wenn wir die akute und chronische Osteomyelitis unter Stauungshyperämie nicht selten ausheilen sahen, so war dasselbe zu erwarten bei den Eiterungen des Schläfenbeines, da die hier in Betracht kommende kleinere Knochenfläche, die weit geringere Neigung zur Sequesterbildung und die vortreffliche Ge- fässversorgung des Kopfes, die eine wirksame Hyperämie leicht herstellen lässt, einen guten Erfolg versprechen.

Was die spezielle Behandlung der Mittelohreiterung anlangt, so erwähne ich noch folgendes: Kommt der Kranke bereits mit einer Perforation des Trommelfells, die genügenden Abfluss des Eiters gewährt, zu uns, so wird kein weiterer Eingriff vorgenommen. Ist die Öffnung ungenügend, so wird sie erweitert oder nötigen- falls wird noch eine neue angelegt. Ist es aber überhaupt noch nicht zu einer Perforation gekommen, so schreitet man zur Para- zentese, sobald nur eine verdächtige Vorwölbung oder Verfärbung des TrommeKells Eiterverhaltung vermuten lässt. Und was für die Eiteransammlung in der Trommelhöhle gilt, gilt in demselben Masse von den Abscessen des Warzenfortsatzes. Wo hier der Verdacht einer Eiterung vorhegt, soll man einschneiden. Wo wir in unseren Fällen, die mit Kopf Stauung behandelt wurden, nicht nach dem entwickelten Grundsatze verfahren sind, haben wir ihn ledighch dem Studium der Methode zum Opfer gebracht. Wenn wir auch dabei im allgemeinen nicht schlecht gefahren sind, so ist es uns doch niemals eingefallen, diese abwartende Stellung zum prak- tischen Prinzip zu machen.

Auch über die Grösse des Schnittes möchten wir zurzeit noch

1) Alle behandelten Fälle sind von Eschweiler mit verfolgt und einer sorgfältigen spezialistischen BeobachtiTng unterzogen worden.

362 Spezieller Teil.

keine endgültigen Regeln aufstellen. Im allgemeinen glauben wir kleine Schnitte empfehlen zu können, nur wo es sich um tiefer ge- legene vereiterte Drüsenmetastasen handelt, sind grosse Schnitte zuweilen nicht zu umgehen.

Ich werde nunmehr an der Hand einiger der geeignetsten Fälle die Einzelheiten unserer Methode zeigen. Ich glaube mich dabei auf die folgende Auswahl von akuten Fällen beschränken zu können, insofern die hier geübte Behandlung in all ihren Einzelheiten auch für die chronischen Formen der Mastoiditis zutrifft.

56. Ein zehnjähriges Mädchen erkrankte vor 4 Wochen an heftigen Schmerzen im hnken Ohre, die erst zwei Tage später nach Eintreten eines serös-eitrigen Ohrenfhisses allmählich nachliessen. Da die Eiterung aus dem Olire aber in iinverminderter Stärke fortbesteht imd überdies seit einigen Tagen über heftige Schmerzen in dem benachbarten Schädelknochen geklagt wird, wird die Kranke am 18. Februar 1905 der Klinik zugeführt. Der Kopf wird nach der linken Seite geneigt gehalten und kann nur unter Sclimerzen aus dieser Stellung herausgebracht werden. Die obere Gehör- gangswand zeigt diffuse Schwellung und Senkung. Das Trommelfell ist stark geschwollen und gerötet und lässt in der unteren Hälfte eine punkt- förmige Perforation erkennen, aus der reichlich schleimig-eitrige Flüssig- keit hervorquillt. Die Weichteile über dem Warzenfortsatz sind in weiterer Ausdehnung ödematös geschwollen und gerötet, Fluktuation ist aber nicht mit Sicherheit nachzuweisen.

Bei Druck auf die entzündeten Partien wird lebhaftes Schmerzgefühl geäussert. Die Temperatiu* beträgt bei Achselmessvmg 37,9°.

Die Behandlung besclii'änkt sich auf die Anwendung einer 22 stündigen Stauungshyperämie. Schon nach 2 Tagen hat die Partie über dem Warzen- fortsatz ihre Druckempfindlichkeit fast völlig verloren, ohne dass sich ihr entzündetes Aussehen wesentlich geändert hätte. Die Schwellung ist viel- mehr unter der Stauung noch deutlicher geworden, Fluktuation ist aber auch jetzt noch nicht mit absoluter Sicherheit nachzuweisen. Der Ge- hörgang wird durch tägliches Austupfen von seinem eitrigen Inhalt befreit und durch einen sterilen Gazebausch abgeschlossen.

Unter täghch fortgesetzter Stauung ist die Schmer zhaftigkeit am 25. Februar bereits völlig gewichen. Auch Rötung und Schwellung über dem Warzenteile haben sich unter der liegenden Binde zurückgebildet, so dass sich der Processus wieder von normaler Haut bedeckt zeigt. Die anfangs reichliche Eiterentleerung aus dem Ohre ist in merklicher Ab- nahme begriffen. Die Temperatur ist seit einigen Tagen vollends zur Norm ziirückgekehrt.

Ära 4. März hat die Ohreiterung völlig aufgehört ; da auch der Warzen- fortsatz keinerlei krankhafte Erscheinungen mehr darbietet, wird die Stauung von diesem Tage ab weggelassen.

Am 8. März wird Patientin geheilt entlassen. Das Trommelfell ist abgeblasst, so dass der Hammerfortsatz wieder deutlich sichtbar ist. Der

Behandl. akut. Entzünd. u. Eiterungen am Kopfe m. einer um d. Hals usw. 363

Sitz der Perforation ist nicht mehr zu entdecken. Das Hörvermögen ist ungestört.

57. Ein 31 jähriger Arbeiter erkrankte vor 5 Wochen an heftigen Schmerzen im linken Ohre, die mit höheren Fiebersteigerungen einher- gingen. Die entzündlichen Erscheinungen wichen erst, als einige Tage später die Entleerung eines reichlichen dünnflüssigen Eiters aus dem kranken Ohre erfolgte. Da die Eiterung in unverminderter Stärke fort- besteht, und sich ausserdem seit etwa 14 Tagen bohrende Schmerzen in dem benachbarten Warzenfortsatz eingestellt haben, sucht der Kranke am 15. Mai 1904 klinische Hilfe auf. Die Gegend des linken Ohres ist derart geschwollen, dass schon von weitem eine deutliche Asymmetrie des Kopfes sichtbar ist. Das Unke Ohr steht stark vom Kopfe ab ; die Gegend hinter demselben ist in über handtellergrosser Ausdehnung ödematös ge- schwollen und feurig gerötet. Die Rötung ist auf Druck ausserordentlich schmerzhaft, Fluktuation ist aber mit Sicherheit nicht nachweisbar. Der unke äussere Gehörgang ist mit einem dicken, übelriechenden Eiter aus- gefüllt. Nach Wegtupfen desselben zeigt sich eine ausgesprochene Schwel- lung und Senkixng der oberen Gehörgangs wand.

Das Trommelfell ist in ganzer Ausdehnung gerötet und geschwollen und lässt in der unteren Hälfte eine grössere Perforation erkennen. Das Hörvermögen ist linkerseits völlig a\if gehoben. Die Temperatur beträgt bei Achselmessung 37,6. Die Behandlrmg bleibt auch in diesem Falle auf die Anwendung einer 12 stündigen Stauungshyperämie beschränkt. Als augen- fälligste Wirkung ist auch hier wieder eine rasche Abnahme der Schmerzen zu beobachten. Schon wenige Tage nach eingeleiteter Behandlung ist die Druckempfindlichkeit über dem Warzenfortsatz völlig gewichen, ohne dass die objektiven Veränderungen zunächst eine günstige Beeinflussung er- kennen Hessen. Die entzündhchen Erscheiniingen haben vielmehr noch an Stärke zugenommen, so dass der Ausgang in Eiterung kaum mehr zweifelhaft sein kann. Wir beabsichtigten, den hier offenbar vorhandenen Abscess von selbst durchbrechen zu lassen, aber er bildete sich unter fort- gesetzter Stauungshyperämie schnell wieder zurück. Am 25. Mai sind Rötung und Schwellung völlig geschwunden, und der Warzenfortsatz zeigt sich wieder von normalen Weichteilen bedeckt. Die Absonderung aus dem Ohre ist entschieden spärlicher geworden; das Trommelfell ist im ganzen abgeschwollen, in der ixnteren Hälfte ist aber noch die Perforation sicht- bar, aus der von Zeit zu Zeit etwas Eiter hervorquillt. Nachdem in den nächsten Tagen auch die Eiterung aus dem Ohre zum Stillstand gekommen ist, kann der Kranke am 13. Juni mit völlig normalem Befunde beschwerde- frei nach Hause entlassen werden. Der Trommelfellbefund ist normal, der Sitz der alten Perforation ist nicht mehr zu entdecken. Das Hörver- mögen ist ungestört.

Vorstehender Entlassungsbefund konnte bei einer Nachuntersuchung im Dezember 1904 in allen Punkten bestätigt werden.

Wir haben vorstehend zwei Fälle akuter Mastoiditis kennen gelernt, die wir ohne Einschnitt lediglich mit Stauungshyperämie heilen konnten. Ob wir mit frühzeitig ausgeführter Spaltung viel-

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leicht noch früher zum Ziele gekommen wären, muss ausserordent- lich zweifelhaft erscheinen; nichtsdestoweniger möchten wir aber auch an dieser Stelle wieder die möglischst frühzeitige Spaltung etwaiger Abscesse als die Regel hinstellen. Ich lasse nach- stehend 3 weitere Fälle akuter Mastoiditis folgen, in denen wir die Stauung durch gleichzeitig ausgeführte Einschnitte ergänzt haben.

58. Ein 18 jähriger, blass und elend aussehender junger Mann wird am 25. JuH 1904 in die Klinik aufgenommen. Er gibt an, schon seit einer Reihe von Wochen an Ausfluss aus dem linken Ohre zu leiden; seit 14 Tagen soll Schwelliong mid Sclimerzhaftigkeit in der Gegend des Warzenfortsatzes hinzugetreten sein. Aus dem linken Gehörgange entleert sich eine reichliche Menge grauen, übelriechenden Eiters. Die Gegend hinter dem linken Olir ist in über handtellergrosser Ausdehnimg stark ge- rötet und geschwollen; sie bietet in ilirem ganzen Bereiche deutliche Fluktuation dar und ist spontan sowohl als auch ganz besonders auf Druck ausserordentlich schmerzhaft. Die Spiegeluntersuchung zeigt das Trommel- fell gerötet und geschwollen, in seinem unteren liinteren Quadranten ist auf der Höhe einer zitzenartigen Vorwölbung eine rundliche Perforation sichtbar. Flüstersprache wird auf 1 m wahrgenommen. Die Temperatur beträgt bei Achselmessung 38,6". Es wird sofort unter Sc hl ei eh' scher Lokalanästhesie aui die Schwellung hinter dem Ohre eingegangen; aus dem ca. 4 cm langen Einsclinitt strömt eine Menge stinkenden Eiters her- vor. Nach Ausdrücken desselben sieht man nicht nur den Warzenfortsatz selbst, sondern beinahe auch die ganze Schläfenbeinschuppe von ihrem Periost entblösst frei zutage liegen. Eine Ivnochenfistel ist nicht zu be- obachten. Die Wunde wird, ohne zu tamponieren, lediglich mit einem lockeren sterilen Schutzvei'bande bedeckt. Zwei Stiinden später wird zur 22 stündigen Stauung am Halse geschritten; es war in diesem Falle eine ausserordentliche Schwellung des ganzen Gesichts zu beobachten. Dieselbe war beispielsweise in der Augengegend so stark entwickelt, dass die Lid- spalte fast gänzlich diirch das ödem verschlossen war. Dementsprechend sahen wir auch in diesem Falle einen auffallend raschen Erfolg eintreten. Nachdem die serös-eitrige Sekretion aus der Operationswunde in den ersten beiden Tagen noch ziemlich reichlich gewesen, hat sie in der Folge sehr rasch abgenommen und hörte bereits am 1. August vollständig auf; auch bei Druck trat kaum noch Sekret aus der Schnittöffmuig hervor. Warzen- fortsatz und Schläfenbeinschuppe sind ziemlich unempfindlich auf Druck geworden; in gleicher Weise ist auch eine Abnalime der Ohreiterimg fest- zvistellen. Die Besserung macht in der Folge derartige Fortschritte, dass der Kranke bereits am 17. August völlig geheilt zur Entlassimg kommt. Die Operationswunde ist völlig vernarbt. Die Eiterung aus dem Ohre hat seit einer Woche völlig aufgehört, imd der Sitz der kleinen Perforation im Trommelfell ist nicht mehr aufzufinden. Flüstersprache wird auf 6 m wahrgenommen. Die Stauiing wurde im vorliegenden Falle bis zum Ent- lassungstage beibehalten.

Der vorstehende Befund konnte bei einer im Dezember 1904 vor-

Behandl. akut. Entzünd. u. Eiterungen am Kopfe m. einer um d. Hals usw. 365

genoramenen Nachunterstichiing gleichfalls in allen Punkten bestätigt werden.

Nachdem wir in den bisher gebrachten Fällen lediglich Verlauf und Beeinflussung der gewöhnlichen Mastoiditis kennen gelernt haben, möchte ich weiterhin noch über 2 Fälle von sogenannter Bezold'scher Erkrankung berichten. Man versteht bekannter- massen darunter jene Form der Mastoiditis, die durch einen Durch- bruch gegen die Incisura mastoidea charakterisiert ist. Die Ge- f ährüchkeit des Leidens dürfte durch die anatomischen Verhältnisse ohne weiteres erklärt sein. Bei dem tiefen Sitz der Durchbruch- stelle medianwärts von einer dicken Muskellage, in unmittelbarer Nähe der lockeren Bindegewebslager des Halses wird der Eiter nur selten den Weg nach aussen finden, es besteht vielmehr die Gefahr, dass sich eine Senkung zwischen den tiefen Halsmuskeln, vor allem längs den Scheiden der grossen Gefässe ausbreitet. Solchen Komplikationen wird man natürlich so früh als möglich entgegentreten müssen. Wir werden sehen, wie sich die Ver- hältnisse bei gleichzeitiger Anwendung der Stauungshyperämie ge- stalten.

59. Ein 8 jähriger Knabe wird am 4. August 1904 in die Klinik aufgenommen. Er leidet nach Aussage der Eltern bereits seit Wochen an Ausfluss aus dem linken Ohre. In den letzten Tagen soll eine Schwelliing an der gleichnamigen Halsseite aufgetreten sein. Aus dem linken Gehörgang entleert sich eine reichliche Menge dünnflüssigen stinkenden Eiters. Die Gehörgangswände zeigen sich gerötet und ge- schwollen. Im lünteren unteren Quadranten des stark geröteten Trommel- fells ist eine kleine punktförmige Perforation sichtbar. Der ganze Warzen- fortsatz ist auf Druck ausserordentlich empfindlich, ohne dass seine Be- deckungen — von einer gewissen ödematösen Schwellung abgesehen stärkere Entzündungserscheinungen darböten. ISTth' nach der Spitze des Processus liin sind die Weichteilbedeckungen stärker gerötet vmd ausser- ordentlich druckempfindlich. Diese entzündlich veränderte Stelle geht nach unten zu in eine fast hülmereigrosse harte Infiltration über, die von ge- röteter Haut bedeckt ist und in der Tiefe deutlich Flxiktuation erkennen lässt. Die Temperatur beträgt bei Achselmessung 38,2°.

Von einer täglichen Reinigung des äusseren Gehörgangs abgesehen, bleibt die Behandliing bis zum 6. August auf die Anwendung einer 22 stündigen Stauimg beschränkt. Die Eiterung aus dem Ohre ist trotz der erst zweitägigen Behandlungsdauer schon entschieden geringer ge- worden. Dabei hat sie ihren üblen Geruch fast völlig verloren. Von der ursprünglichen Druckempfindlichkeit des Warzenfortsatzes ist nichts mehr nachzuweisen; auch ist die Temperatur zur Norm zurückgekehrt, obschon der Abscess bisher unberührt geblieben ist. Da aber die Fluktuation immer deutlicher geworden ist, wird am 6. August der Abscess durch

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einen 4 cm langen Schnitt gespalten. Es entleert sich aus der Tiefe, vom vorderen Rande des Kopfnickers herkommend, eine reichliche Menge dickflüssigen Eiters, in dem mikroskopisch wie kulturell Staphylokokken nach"weisbar sind. Die SchnittT\ainde wird mit einem lockeren Schutzver- bande bedeckt, auf Tamponade wird trotz der tiefen Lage des Abscesses verzichtet; 2 Stunden nach der Operation wird von neuem 22 stündige Stauungshyperämie eingeleitet.

Nachdem sich in den ersten beiden Tagen nach der Operation noch ziemlich reichlich Eiter aus der Wmide entleert hat, ist in der Folgezeit ein rasches Aufhören der Eiterimg zu beobachten. xAm 20. August ist die Wim.de bereits fest vernarbt, und die Infiltration der Weichteile ist völlig zin-ückgegangen. Die Absonderung aus dem Ohre hat gleichfalls seit längerer Zeit aufgehört, und die Spiegeluntersuchiing lässt kerne krank- haften Veränderungen mehr erkennen. Patient wird gesund in die Heimat entlassen.

60. Ein 17 jähriger junger Mann will zuerst vor 3 Wochen eitrigen Ausfluss aus dem rechten Ohr bemerkt haben. Vierzelm Tage später stellte sich Tuiter fieberhaften Begleiterscheimxngen eine schmerzhafte Schwellung hinter dem Olire ein, die allmählich an Umfang zunahm. Der Ivranke sucht daher am 2. Februar 1904 die Klinik auf. Das rechte Ohr ist stark vom Kopfe abgedrängt, die Weichteilbedeck\angen des Warzen- fortsatzes zeigen starke Rötung und Schwellung und gehen nach unten zu in eine derbe, etwa 12 cm lange und 11 cm breite Infiltration über, die auf Druck ausserordentlich empfindlich ist. Die Geschwulst ist in ganzer Ausdehnung von geröteter Haut bedeckt und lässt in der Tiefe deutliche Fluktuation erkennen. Aus dem rechten Gehörgange entleert sich eine reichliche Menge serös-eitriger Flüssigkeit. Die Spiegeluntersuchung zeigt eine grössere senkrecht gestellte Perforation des im ganzen stark ge- röteten Trommelfells.

Es wird mit einem fast 12 cm langen, in der Richtimg des Kopf- nickers verlaufenden Schnitt auf die oben beschriebene Schwellung ein- gegangen; beim tieferen Eindringen entleert sich eine reichliche Menge dickflüssigen Eiters, in dem mikroskopisch wie kulturell Streptokokken nachweisbar sind. Man kommt in eine über hühnereigrosse Wundhöhle, die nach hinten bis unter den Sternocleido hinreicht und nach vorn fast bis zur Mitte des Halses liinzieht; die Eiterhöhle wird sorgfältig ausge- tupft, eine Menge nekrotischer Gewebsfetzen werden aber unberührt ge- lassen. Nachdem die Blutung durch Kompression gestillt ist, wird die Sclinittwimde durch drei Silberdrahtnähte locker zur Vereinigung gebracht und ein aseptischer Schutzverband angelegt. Zwei Stunden später wird zu einer 15 stündigen Halsstauung geschritten. Die Eiterung, die in den ersten Tagen nach der Operation noch ziemlich reichlich gewesen ist, ist schon nach einwöchentlicher Behandlung auf ein sehr geringes Mass zurück- gegangen; an die Stelle des anfangs dicken, rahmigen Eiters ist ein dünn- flüssiges seröses Sekret getreten, das bei Druck in massiger Menge zwischen den Rändern der Schnittwunde hervorquillt. Der Warzenfortsatz ist wieder von normalen Weichteilen bedeckt und nicht mehr druckempfindlich. Auch die eigentliche Geschwulst an der Seite des Halses bietet kaum noch ein

Beliandl. akut. Entzünd. u. Eiterungen am Kopfe m. einer um d. Hals usw. 337

entzündliches Aussehen dar; Rötvmg und Schwellung, die in den ersten Tagen der Stauung noch beträchtlich zugenommen, sind jetzt fast völlig zurückgegangen, ohne dass die Binde inzwischen weggelassen wäre. Die Eiterung aus dem Ohre selbst ist in merklicher Abnahme begriffen ; Rötung und Schwellimg- der Gehörgangswände, die in den ersten Tagen der Stauimg jeden Einblick unmöglich gemacht hatten, sind nxir noch unbe- deutend, so dass der zentrale Teil des Gehörganges samt dem Troiximelfell wieder sichtbar ist. Das letztere ist zum Teil mit Eioithelschuppen be- deckt und lässt noch die Perforation erkennen, aus der bei längerem Zu- sehen immer noch etwas Sekret hervorquillt. Unter fortgesetzter Stauungs- behandlung kann Patient bereits am 9. März geheilt entlassen werden. Der Spiegelbefund ist normal, an der rechten Halsseite ist eine ca. 10 cm lange, auffallend dunkelblau gefärbte, solide Narbe sichtbar.

Die im Dezember 1904 vorgenommene spezialistische Untersuchung ergibt folgendes:

In der unteren Hälfte des Trommelfells ist eine kleine Narbe sicht- bar; Sekretion besteht nicht mehr; das Hörvermögen ist ungestört.

Neuerdings haben wir einen dritten Fall von Bezold' scher Mastoiditis durch Stauungshjrperämie schnell zur Heilung gebracht.

Der einzige Fall von akuter Mittelohrentzündung mit Be- teiligung des Warzenfortsatzes, den wir ohne Erfolg mit Stauungs- hyperämie behandelten, betrifft eine 37 jährige Dame, aus der Praxis des Herrn Kollegen Brockhoff, zu der ich konsultiert wurde:

61. Vor sechs Jaliren war der Dame wegen Eiterung die linke Ober- kieferhöhle von der Alveole aus angebohrt Tind die linke Keilbeinhöhle und die Siebbeinzellen nach Resektion der mittleren Muschel geöffnet. Die Eiterung besteht immer noch fort, deshalb werden Oberkiefer- und Keil- beinhöhle noch täglich ausgesj)ritzt.

Im Oktober 1905 erkrankte die Dame im Anschlüsse an Influenza beiderseits an akuter Mittelohrentzündimg. Am 19. Oktober bot sich fol- gender Zustand: Beiderseits war der hintere obere Quadrant des Trommel- fells zitzenförmig vorgewölbt. An der Spitze der Vorbuchtimgen befand sich je eine Öffnung, aus der Eiter quoll. Die Tronamelfelle waren gleich- massig gerötet, die Warzenfortsätze druckempfindlich, ihr Periost aber nicht geschwollen.

Der Ausfluss wurde in den nächsten Tagen so reichlich, dass die Gehörgänge alle 2 3 Stunden (auch nachts) ausgetupft werden mussten. Die Warzenfortsätze blieben druckempfindlich. Die Kranke klagte über stechende Schmerzen in der Tiefe der Ohren. Am 5. November stellte sich eine sehr quälende, über den ganzen Körper verbreitete Urticaria ein, die 14 Tage anhielt. Am 19. November wurde eine geringe Senkung der oberen Gehörgangswände bemerkt.

Vom 20. November bis 6. Dezember wvirde eine Stauungsbinde an- gelegt, in den ersten Tagen 22, dann 10 12 Stunden tägHch. Hyperämie und Schwellimg traten in erwünschter Form auf. Der Ausfluss wurde darauf sofort dünnflüssiger, nahm aber an Menge nicht ab. Da auch

368 Spezieller Teil.

der Druckschmerz über den Warzenfortsätzen sich nicht besserte und die hintere obere Wand des Gehörgangs sich so stark senkte, dass dieser spaltförmig verengt wurde, so wurde am 6. Dezember die Stauungshyperämie ausgesetzt und am 11. Dezember operiert.

Auf der rechten Seite quoll nach Abhebelung des Periostes aus dem Winkel zwischen äusserer und liinterer Gehörgangswand reichlich Eiter. Der Warzenfortsatz war in Fünfpfennigstückgrösse nekrotisch, aber noch nicht abgestossen. Nach Wegmeisselung der CorticaHs, die äusserst hart war, erwies sich der ganze Warzenfortsatz als zerstört und von einem grossen, bis zur Spitze reichenden Eiter- und Granulationsherd einge- nommen.

Der zelHge Bau reichte selir hoch hinauf und weit in die obere Gehör- gangswand hinein. Die Zellen waren mit Granulationen durchsetzt. Die Wand des Sinus war in 2^ cm Länge und 1 ein Breite durch Granu- lationsauflagerungen verdickt, war also in dieser Ausdehnung von Eiter umspült gewesen. Im äusseren Abschnitte der hinteren Gehörgangswand befand sich ein Loch.

Auf der linken Seite fanden sich ähnliche Verhältnisse, nur war die Höhle im Warzenfortsatze noch grösser als rechts. Auch hier reichte der zellige Bau hoch Innauf.

Der kranke Knochen wurde auf beiden Seiten gründlich entfernt. Der Wundverlauf war gut. In 8 Wochen waren die Operationswunden vernarbt.

Die Rekonvaleszenz wxu'de noch durch eine akute hämorrhagische Nephritis gestört.

Wer sich häufiger mit der Auf meisselung von Warzenfortsätzen beschäftigt hat, weiss, wie mannigfaltig die pathologischen Verhält- nisse sind, die ihm gerade auf diesem Gebiete entgegentreten, und die Operation wird ihm nur in einem Teil der Fälle den Befund Uefern, den er nach Lage der Dinge anzutreffen erwartete. Auch dem Erfahrensten kann hier nur zu leicht ein Irrtum in der Dia- gnose begegnen : er findet beispielsweise alle Zeichen, die auf einen Abscess des Warzenfortsatzes hindeuten, und wenn er an die Auf- meisselung herantritt, ist keine Spur von Eiteransammlung zu ent- decken; und ein anderes Mal wieder finden sich Knochenfisteln oder gar ausgedehnte Sequesterbildungen in Fällen, wo das Leiden erst nach Wochen zählt und wo ausser einer unbedeutenden Weich - teilschwellung keinerlei Zeichen auf diese vorgeschrittenen Zer- störungen hinwiesen. Bei dieser Schwierigkeit in der Diagnose verbietet es sich von selbst, den äusseren Befund zu einem be- stimmten Rückschluss auf die pathologisch-anatomischen Verhält- nisse im Innern zu verwerten ; wir würden damit um so weniger über Vermutungen hinauskommen, als wir bei unsern meist kleinen Inzi-

Behandl. akut. Entzünd. u. Eiterungen am Kopfe m. einer um d. Hals usw. 369

sionen in der Mehrzahl der Fälle überhaupt nur einen sehr geringen Teil der Knochenoberfläche zu Gesicht bekamen. Soweit die Be- sichtigung des Knochens trotzdem Anhaltspunkte von Belang ge- boten, ist das in den betreffenden Krankenberichten eigens erwähnt worden, in den übrigen Fällen dürfte der jedesmahge Spiegelbefund eine hinreichende Beurteilung ermöglichen. Jedenfalls wird der- jenige, welcher die genaueren Krankenberichte verfolgt, die kürzhch von Keppleri) gegeben sind, sich im grossen und ganzen ein Bild von unseren Fällen machen können, und er wird vor allem den Gesamteindruck gewinnen, dass alle Übergänge von den mehr leichten bis zu den schwersten Fällen unter unserem Materiale ver- treten sind.

Wir dürfen diese Besprechung nicht beschliessen, ohne wenig- stens in aller Kürze auf die kleinen Schnitte einzugehen, die wir zur Entleerung des Eiters gemacht haben; es ist das um so mehr geboten, als schon früher ähnliche Inzisionen allein zu thera- peutischen Zwecken gemacht sind und sich unter dem Namen des ,, Wilde' sehen Schnittes" lange Zeit hindurch eines grossen Ansehens erfreut haben. Der Ruf dieser einfachen Inzisionen hat sich aber längst als übertrieben herausgestellt. Deshalb ist der kleine Eingriff von den meisten Operateuren überhaupt wieder auf- gegeben worden, und wenn er auch heute von Zeit zu Zeit immer wieder einmal als vortrefflich empfohlen wird, *so handelt es sich meist um Fälle , deren Charakter keineswegs klargestellt ist . Körner lässt es in seinem bekannten Buche über die eitrigen Erkrankungen des Schläfenbeins jedenfalls sehr zweifelhaft erscheinen, ob über- haupt je die Heilung einer akuten Knocheneinschmelzung durch den Wilde'schen Schnitt zu erreichen sei; er glaubt an seine Wirkung höchstens bei der Mastoiditis kleiner Kinder; bei diesen braucht es sich aber keineswegs um eine Vereiterung des Knochens selbst zu handeln, in der Mehrzahl der Fälle haben wir es hier mit dem eigentlichen Antrumempyem zu tun, das durch die noch of f ene Fissura mastoidea-squamosa durchbrechen und eine Knochen- erkrankung vortäuschen kann. Hier ersetzt der Wilde'sche Schnitt eben nichts anderes, als den Spontandurchbruch durch die Haut und kann ebenso wie dieser zur Heilung führen. Wo aber Heilungen durch den Wilde'schen Schnitt bei Erwachsenen berichtet werden,

1) Keppler, Die Behandlung eitriger Ohrerkrankungen mit Stauungs- hyperämie. Zeitschr. f. Ohrenheilkunde. L. Band. III. Heft. 1905. Bier, Hyperämie als Heilmittel. 24

370 Spezieller Teil.

da glaubt Körner den Beweis vermissen zu müssen, dass in Wirk- lichkeit eine Knocheneinschmelzung vorgelegen hat, er lässt höch- stens ein resorptionsfähiges Exsudat innerhalb der unversehrten Knochenzellen gelten, hält es aber nicht einmal für ausgeschlossen, dass es sich um gröbere diagnostische Irrtümer (subkutane Abscesse, Periostitis, vereiterte Lymphdrüsen bei Gehörgangsfurunkeln) ge- handelt hat. Es soll aber nicht unerwähnt bleiben, dass andere Autoren auch ausgesprochene Abscessbildungen im Warzenfortsatze nach dem Wilde'schen Schnitte zurückgehen sahen; es sind das aber ausserordentliche Seltenheiten, die nach Ansicht von Politzer eben nichts anderes besagen, als dass unter Umständen einmal auch Einschmelzungsprozesse im Warzenfortsatze ohne operative Massnahmen heilen können ; für die heilende Wirkung des Schnittes scheinen sie ihm keinesfalls beweisend. Es kommt hinzu, dass unsere kleinen Inzisionen eigentlich überhaupt nicht mit dem Wilde'schen Schnitte zu vergleichen sind, insofern dieser sehr viel ausgedehnter ist und angeblich vor allem durch Blutentziehung wirken soll, eine Bedingung, die bei unsern einfachen Einstichen überhaupt nicht erfüllt war. Wir haben unsere Einschnitte nur ausgeführt, um einem Weiterschreiten der Eiterung zu begegnen, und glauben ihnen lediglich diejenige Bedeutung zusprechen zu müssen, die auch denselben Eingriffen bei den Abscessen der Glied- massen zukommt. '

Wenn wir mit vorstehenden Ausführungen die Bedeutung der Schnitte getroffen haben, so ist damit die ausschlaggebende Wirkung der Hyperämie schon höchst wahrscheinlich gemacht, bewiesen wird sie vollends durch diejenigen Fälle unzweideutiger Mastoiditis, in denen wir ohne jeden Eingriff einzig und allein mit der Stauungs- behandlung zum Ziele gelangten.

Unsere Beobachtungen bei eitrigen Mittelohrerkrankungen stützen sich bis jetzt auf 28 Fälle; 17 davon kamen im akuten Stadium zu uns, während der Rest bereits dem chronischen Stadium angehörte. Nun ist ja die Unterscheidung zwischen akuten und chronischen Ohreiterungen ziemhch willkürlich und eine scharfe Grönze, da die eine in die andere übergeht, nicht zu ziehen. Wir haben alle Fälle, die 2 Monate bestanden und keine hochgradigen Erscheinungen von Entzündung zeigten, zu den chronischen, alle kürzere Zeit bestehenden und hochgradig entzündlichen zu den akuten gerechnet.

Mit einer einzigen Ausnahme waren sämtliche Fälle, akute

Behandl. akut. Entzünd. u. Eiterungen am Kopfe m. einer vim d. Hals usw. 37]^

wie chronische, mit einer BeteiHgung des Warzenfortsatzes kom- pHziert.

Wenn wir uns aber schon von vornherein sagen mussten, dass diese KompUkationen eigenthch keine schlechten Aussichten für die Ausheilung bieten konnten, so fanden diese theoretischen Er- wägungen in den von uns erzielten Resultaten nur eine Stütze.

Beteiligung oder Nichtbeteiligung des Warzenfo tsatzes sind in keinem Falle für den Ausgang bestimmend gewesen. Bestimmt wurde der Ausgang vielmehr lediglich durch das Stadium, in welchem der Kranke zu uns kam. Von den 17 Fällen von akuter Ma- stoiditis, welche wir beobachteten, sind 16 in einer wohl ausser- ordentlich günstigen Durchschnittszeit von 3 Wochen zur Aus- heilung gekommen und zwar mit einer Ausnahme mit voller Hörfunktion. Hier aber glaubte der Ohrenarzt (Eschweiler) mit Sicherheit feststellen zu können, dass die Herabminderung der Hörfähigkeit (der Kranke konnte Flüstersprache immerhin noch auf 4 m wahrnehmen) durch ein altes Labyrinthleiden bedingt sei.

Alle diese Fälle mit Ausnahme des Falles 61, zu dem ich konsultiert war, waren uns zur Aufmeisselung überwiessen. Das ist ja natürlich, denn zu anderen Zwecken schickt der Arzt keine Ohrenkranke in chirurgische Khniken. Sie entsprachen dann auch sämtlich den Indikationen, die man für die genannte Operation zu verlangen pflegt.

Von den chronischen Fällen heilten 2 unter Stauungshyperämie ohne Einschnitte mit voller Hörfunktion aus. Bei dem einem von diesen beiden handelte es sich um eine rezidivierende Mastoiditis nach früherer Aufmeisselung, bei dem andern um chronische Mittel - ohreiterung mit Polypenbildung (das war unser einziger Fall, der nicht mit Mastoiditis kompliziert war). Der Polyp ging anfangs unter Stauungshyperämie bis auf die Hälfte seines Umfangs zurück, blieb aber dann unbeeinflusst und wurde mit der Schlinge entfernt. Beide Fälle beweisen also gar nichts, weil der erste wahrscheinlich auch ohne Stauungshyperämie bei blosser Ruhe zurückgegangen und der zweite vielleicht auch nach Entfernung des Polypen von selbst geheilt wäre.

Von den 9 übrig bleibenden Fällen lagen in einem, da die Krankheit bereits 11 Monate, alt und nach Scharlach entstanden war, grosse Sequester, in drei anderen Cholesteatome vor. Es be- darf wohl keiner genaueren Auseinandersetzung, dass diese 4 Fälle ohne Operation nicht heilen konnten. Die Hyperämie wurde ledig -

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372 Spezieller Teil.

lieh angewandt, weil die richtige Diagnose sich anfangs nicht stellen Hess. Erst aus dem Ausbleiben jeden Erfolges durch Stauungs- hyperämie schlössen wir auf das Vorhandensein der erwähnten Komplikationen .

Es bleiben noch 5 Fälle, darunter zwei, wo die chronische Mastoiditis zurückging und nach wiederholt ausgeführter spezia- listischer Nachuntersuchung geheilt geblieben ist, die Mittelohr- eiterung dagegen blieb bestehen. Allerdings wurden uns diese Kinder, um solche handelt es sich hier, zu früh, vor Abschluss der Behandlung fortgeholt, und wir konnten es nicht erreichen, dass sie wieder aufgenommen wurden. Immerhin ist es wahrschein- lich, dass wir bei neuer Behandlung (Stauungshyperämie, Spülen, gute hygienische Verhältnisse) diese jetzt unkomplizierte Mittelohr - eiterung noch zur Ausheilung bringen würden. Leider hat es uns an weiteren Fällen gefehlt, um über diese Dinge ein sicheres Urteil zu gewinnen.

Zwei weitere Fälle wären vielleicht nach dieser Richtung hin zu verwerten gewesen; in dem einen von ihnen konnte aber aus äussern Gründen kein längerer Versuch mit der Stauungsbehand- lung gemacht werden, während in dem andern die Anamnese zu einem frühzeitigen operativen Eingriff verleitete ; der Knabe hatte vor Wochen Scharlach durchgemacht, und damit war das Vor- handensein eines Sequesters wahrscheinlich. Es sei hier noch eigens auf die Eigentümlichkeiten des Operationsbefundes aufmerk- sam gemacht; der Knochen erschien nach länger fortgesetzter Stauung ausserordentlich blutreich, und in einigen Fällen, speziell bei den Cholesteatomen, war eine auffallend scharfe Abgrenzung der erkrankten Teile zu beobachten. Vor allem aber haben wir den Eindruck gewonnen, dass die Nachbehandlung eine entschiedene Ab- kürzung durch die voraufgegangene Hjrperämisierung erfahren hat.

Der letzte Fall von chronischer Mastoiditis, der durch einen Hirnabscess kompliziert war, starb. Sein Verlauf war folgender:

62. Ein 20 jähriger Steinbrucharbeiter litt seit seiner Kindheit an zeit- weilig auftretender rechtsseitiger Ohreiterung, die in den letzten Jahren ausser einer leichten Schwerhörigkeit keine Erscheinungen inachte. Ana 6. II. 1906 erkrankte er plötzHch unter Fieber mit heftigen Schmerzen im rechten Olxre und heftigen Kopfschmerzen, die in den nächsten Tagen unter Besse- nmg des Allgemeinbefindens ziu'ückgingen. Da am Morgen des 11. II. eine neue Verschlechterung des Zustandes mit Mattigkeitsgefühl eintrat und zweimal Erbrechen erfolgte, Hess der Kranke sich abends in die chirurgische Klinik aufnelimen. Bei der Aufnalune klagte er über Übel- keit und Kopfschmerzen, die er nicht genau lokalisieren konnte.

Behandl. akut. Entziind. u. Eiterungen am Kopfe m. einer iim d. Hals usw. 373

Am 12. II. bot der Kranke folgenden Befund: Aus dem rechten Ohre des blass aussehenden Mannes entleerte sich in reichlicher Menge grauer stinkender Eiter. Der zugehörige Warzenfortsatz war druckempfindlich, zeigte aber sonst keine Entzündungserscheinungen.

Bei der Spiegeluntersuchung fand man den ganzen äusseren Gehör- gang gerötet und verschwollen, das Trommelfell, das nur in geringer Aus- dehnung sichtbar war, ebenfalls stark entzündet.

Wegen Übelkeit und Kopfschmerzen wurde die Möglichkeit eines Hirnabscesses erwogen, indessen, da alle sonstigen Symptome des Hirn- abscesses fehlten, die Wahrscheinlichkeitsdiagnose gestellt, dass es sich um ein altes Cholesteatom handele. Vom 12. II. ab wurde zunächst eine 22 stündige Stauungshyperämie eingeleitet.

Darauf fiel die erhöhte Temperatm* ab, der Kranke war am nächsten Tage gänzlich beschwerdefrei \and hielt sich den ganzen Tag über ausser- halb des Bettes auf. Der lokale Befund und der stinkende Ausfluss blieben unverändert.

Dieser günstige Zu- iiiT 1-2 r^ u 1.5 16 17 18 19

stand hielt an bis zum '^^ Morgen des 17. II. Der Kranke hatte annähernd normaleTemperatur und ging den ganzen Tag über umher. Ain Morgen des 1 7. II- trat eine auffallen- de Verschlimmerung des Zustandes ein. Der Kran- ke sah verfallen aus, war schwer besinnlich und klagte über heftigen , nicht genau zu lokali- sierenden Kopfschmerz. Die Temperatur war nor- mal, der Puls zeigte 63 Schläge in der Minute.

Obwohl keinerlei Symptome eines Hirn- abscesses vorlagen, wur- de einige Stunden nach Eintritt der beschriebenen Erscheinungen zur Ope- ration geschritten.

Der Warzenfortsatz war stark sklerosiert und ohne Hohlraum, das Mittel- olir mit eitrigen Granulationen ausgefüllt. Der Sinus war unverändert. Nach Eröffnung der mittleren Schädelgrube wurde aus dem Schläfenlappen des Gehirns ein grosser Abscess entleert. Es ergossen sich 20 ccm stinkender grüner Eiter. Der Abscess wurde breit eröffnet und ein Drain- rohr eingelegt.

Am 19. II. starb der Kranke imter hoher Temperatursteigerung.

Die Sektion ergab eine walnussgrosse gut eröffnete und völlig ent- leerte Abscesshöhle im Schläfenlappen, sonst keinerlei pathologische Ver- änderungen. Den Verlauf der Temperatur gibt Tafel XVI an.

Tafel XVI.

374 Spezieller Teil.

Ich glaube nicht, dass man in diesem Falle die Diagnose Hirn- abscess früher hätte stellen können und dass die Operation zu rechter Zeit ausgeführt ist. Während der ganzen Zeit der Be- obachtung bis zur Operation ging der Puls nicht unter 60 Schläge in der Minute herunter. Auch sonst deutete, ausser den Kopf- schmerzen und einmaligen Erbrechen, nichts auf Hirnabscess. Es kam hinzu, dass die Stauungsh3rperämie, die bis zur Operation 5 Tage lang unterhalten wurde, sofort alle Beschwerden beseitigte, so dass der Kranke sich vollkommen gesund fühlte, aufstand und herumging.

Wie Isemer dagegen behaupten kann, dass dieser Fall ein trauriges Beispiel dafür liefere, wie die Stauungshyperämie schwere Komplikationen verdecke, und dass der Kranke durch eine einige Tage früher ausgeführte Aufmeisselung möglicher- weise gerettet wäre, ist mir unverständlich.

Auf eine genaue Wiedergabe der übrigen chronischen Fälle glaube ich verzichten zu können, da die Technik der Behandlung keinerlei Abweichung von der für die akuten Fälle beschriebenen aufweist. Wer sich im übrigen speziell für die in Frage stehen- den Erkrankungen interessiert, sei auf die erwähnten Arbeiten meines Assistenten Dr. Keppler hingewiesen, dessen Ausführungen ich hier im allgemeinen folge.

Alles in allem sind die bisher bei chronischen Fällen erzielten Resultate keineswegs sehr ermutigend, und wir wissen nicht, ob wir schon jetzt zu einer Nachprüfung auf diesem Gebiete raten sollen; wir selbst werden natürlich unsere Erfahrungen auch nach dieser Richtung hin zu mehren suchen; dazu drängen uns schon die günstigen Erfolge, die wir bei der chronischen Osteomyelitis an den Gliedmassen erzielten. Die Resultate, welche wir dort erreicht haben, müssen uns von vornherein bestimmte Fälle chronischer Mastoiditis als geeignet für die Stauungsbehandlung erscheinen lassen. Es sind das eben jene Fälle, bei denen sich keine Sequester, sondern lediglich Abscess- oder besser noch Granulationshöhlen im Innern des Knochens vorfinden.

Dass wir für die Fälle von akuter Mastoiditis die Stauungs- behandlung aufs wärmste empfehlen können, ist angesichts unserer glänzenden Erfolge nur natürlich ; wer auf diesem Gebiete nach den von uns gegebenen Regeln verfährt, der wird gleich uns Resultate aufzuweisen haben, die wahrscheinlich in nichts hinter denen zurück- stehen, die bisher nur mit Hammer und Meissel erreichbar schienen.

Behandl. akut. Entzünd. u. Eiterungen am Kopfe m. einer um d. Hals usw. 375

Wieder aber ist uns die Hauptsache an unserem Verfahren die vortreffliche Funktion, mit der wir die Ohrenleiden in allen akuten Fällen zur Heilung brachten. Es dürfte dies der grösste Vorzug vor der operativen Behandlung sein, bei der das Hörorgan nicht selten leidet.

Ob bei unkomplizierter Ohreiterung die Stauungshyperämie dieselben Erfolge erreichen wird, können wir nicht beurteilen, da unsere Fälle bis auf einen chronischen sämtlich mit Mastoiditis kompliziert waren.

Ich habe die neuen Fälle von Mastoiditis, die im letzten Jahre in den mir unterstellten beiden Krankenhäusern beobachtet wurden, nicht mit angeführt, weil sie nicht von uns, sondern selbständig von Eschweiler beobachtet und behandelt sind, der selbst darüber berichten wird. Nur einen Todesfall werde ich in einem späteren Kapitel beschreiben, in dem von den Misserfolgen die Rede sein soll.

Von den Ohrenärzten hatten sich beim Erscheinen der vorigen Auflage ausführlicher ausser Eschweiler, der unsere Fälle mit beobachtet und behandelt hat, nur Heine und Stenger über die Behandlung der Ohreiterungen und ihrer Komplikationen durch Hyperämie geäussert. H e i n e i) konnte von 1 9 Fällen 9 gänzlich heilen.

Bei 2 ist die Mastoiditis zurückgegangen, die Ohreiterung aber geblieben; 8 sind operiert. Die Fälle sind wesentlich un- günstiger verlaufen als unsere. Ich glaube wohl, dass Heine bessere Erfolge bekommen hätte, wenn er die genaue Wiedergabe unserer nunmehr seit fast 3 Jahren behandelten Fälle abgewartet hätte. Er hat sich durch Erscheinungen zur Operation verleiten lassen, die wir als Grund für dieselbe nicht ansehen. Er operierte einen Fall von Bezold' scher Mastoiditis schon nach 2 Tagen, weil er anfangs glaubte, dass es zu bedenklich sei, diese Form der Mastoi- ditis mit der Stauungshyperämie zu behandeln. Ferner operierte er schon, wenn sich kurze Zeit nach Beginn der Behandlung keine Besserung zeigte. Wir haben aber in einem unserer Fälle erlebt, dass die akute Ohreiterung und Mastoiditis 4 5 Wochen ohne besondere Besserung durch unser Verfahren blieb und dann doch noch sehr vollständig ausheilte.

1) Heine, Über die Behandlung der akuten eitrigen Mittelohrentzündi.mg inittels Stauungshyperämie nach Bier. Vortrag gehalten auf dem Kongress der deutschen Gesellschaft für Otiatrie. 1905, und: Berliner klinische Wochen- schrift 1905. Nr. 28.

376 Spezieller Teil.

Als zweiter hat Stenger^) seine Beobachtungen bekannt gegeben.

Von Interesse sind sie dadurch, dass er die mit Mastoiditis kompHzierten Ohreiterungen mit Saugapparaten behandelt hat. Er machte in den subperiostalen Abscess einen 2 3 cm langen Schnitt und hob das Periost bis zum äusseren Gehörgange ab. Fand er eine Fistel, so erweiterte er sie mit dem scharfen Löffel, fand er keine, so machte er mit einem feinen Meissel ein Loch bis in das Antrum mastoideum, beziehungsweise in eine mit ihm in Ver- bindung stehende Zelle. In diese Knochenöffnung legt er locker einen Gazestreifen und stülpt einen Schröpfkopf über, der sich mit Blut, Eiter und Serum füllt. Der Schröpfkopf wurde erst nach drei Stunden entfernt, falls er sich nicht schon vorher voll gesogen hatte. St eng er erzielte mit diesem Verfahren in 7 Fällen einen guten und schnellen Erfolg.

Gegen Stenger's Behandlung lässt sich einwenden, dass sie keinen viel kleineren Eingriff darstellt, als wenn man den ganzen Warzenfortsatz in alter Weise aufmeisselt. Übrigens glaube ich, dass Stenger's Eingriff eine grössere Berechtigung erhält, wenn man ihn statt in Narkose unter Lokalanästhesie ausführt. Ich habe mich früher, als ich noch sehr häufig Ohroperationen aus- führte, mehrfach überzeugt, dass man die Aufmeisselung des Warzenfortsatzes, ja sogar die Ausräumung des Mittelohres, unter Schleich'scher Infiltrationsanästhesie wobei man das Periost gut infütrieren muss leidlich ausführen lässt. Viel mehr wird dies bei dem kleineren Eingriff Stenger's möglich sein.

Neuerdings habenIIaslauer2),Fleischmann^) und Isemer^) sich im ganzen recht absprechend über ihre Erfahrungen mit Stauungshyperämie bei Ohreiterungen geäussert. Ich verweise in dieser Beziehung auf Eschweiler's demnächst erscheinende Arbeit.

Mit einer gewissen Leidenschaft ist das Thema ,, Stauungs- hyperämie bei Ohrenkrankheiten" auf der letzten Otologenver-

1) Stenger, Die Bier'sche Stauung bei akuten Ohreiterimgen. Deutsche med. Wochensclir. 1906. Nr. 6.

2) Haslauer, Die Stauungshyperämie bei der Behandlung von Ohreite- rungen. Münchener med. Wochenschr. 1906. Nr. 34.

3) Fleischmann, Über die Behandlung eitriger Mittelohrerlo-ankungen mit Bier'scher Stauungshyperämie. Monatsschrift für Ohrenheilkunde 1906. Nr. 5.

4) Isemer, Klinische Erfalirungen mit der Stauungshyperämie nach Bier bei der Behandliing der Otitis media. Archiv für Ohrenlieilkunde . 69. Band.

Behandl. akut. Entzünd. u. Eiterungen am Kopfe m. einer um d. Hals usw. 377

Sammlung^) in Wien verdammt worden. Mit nicht misszuver- stehender Deuthchkeit ist dort und anderswo davon gesprochen worden, dass die bisher erreichten Erfolge von „nicht Sachver- ständigen" gemacht sind.

Beim Lesen dieser und anderer Auslassungen von Otologen habe ich wenigstens die reine Freude gehabt, eine vortreffliche Prognose gestellt zu haben. Als wir iinsere Fälle behandelten, habe ich meinem Assistenten Keppler, der das einschlägige Material zu bearbeiten hatte, mehrfach gesagt: ,,Sie sollen niemals selbständig den Befund aufnelimen, und niemals selbständig Diagnose und Indikation stellen, ferner nicht die jedesmaligen Nachuntersuchungen allein machen, alles soll Eschweiler kontrollieren. Ich bin überzeugt, sonst werden uns die Otologen später sagen: was- ver- steht so ein gewöhnlicher Chirurg von Ohren? Der hat ein Ekzem der Ohr- muschel oder einen Furiinkel des äusseren Gehörganges für eine Mastoiditis acuta gehalten."

Diese Vorhersage ist trotz Eschweiler's Mitwirkung glänzend ein- getroffen. Am weitesten ging auf der Wiener Versammlung Alexander. Kurz, grob und hochmütig erklärt er: ,,Es scheint mir, dass es (er meint die Stauungshyperämie) von Leuten gemacht wird, die von der Sache nichts verstehen." Ich selbst nehme ja den ,, Nicht-Sachverständigen" und Ignoranten ruhig auf mich. Ich bin Schlimmeres gewohnt. Galt doch meine ganze Lehre von der Hyperämie in der Chirurgie anfangs, gerade bei ,, Autoritäten" \md Sachverständigen, vielfach als eine Art von Schwindel, weil man dort auch, Mne jetzt die Otologen, ,, durchaus negative Resultate" hatte. Aber gegen den otologischen Spezi alkollegen Eschweiler ist ein solches Verfahren zum mindesten sehr unhöflich.

Nun gebe ich ja zu, dass die Stauungshyperämie nicht gegen alle Fälle von Ohreiterungen passt, und ich beabsichtige ebenso- wenig hier, wie in der Chirurgie die operative Behandlung ab- zuschaffen. Aber, dass die Stauungshyperämie ein vortreffliches Mittel gegen die meisten akuten derartigen Fälle ist, das halte ich aufrecht. Soviel Beobachtungsgabe besitze ich denn doch noch, um das beurteilen zu können, obwohl ich kein spezialistisch gebildeter Ohrenarzt bin. Und wenn das richtig ist, so muss die Stauungshyperämie weiter geprüft werden, selbst auf die Ge- fahr hin, dass sie hier und da einmal Unheil anrichten könnte. Solche neue Mittel führen ja erfahrungsgemäss durch Erfolge und Misserfolge immer zu einer Verschärfung der Diagnosen- und Indikationsstellung. Sollte das nicht auch hier möglich sein?

Höchst verdächtig für die angewandte Technik ist mir, dass mehrere Ohrenärzte die schmerzstillende Wirkung der Stauungs-

1) Verhandlungen der Deutschen otologischen Gesellschaft. Verlag von Gustav Fischer. Jena 1906. S. 26.

378 Spezieller Teil.

h3rperäniie nicht haben bestätigen können, die wir mit 2 Aus- nahmen immer beobachtet haben. Von den Chirurgen zweifelt heute wohl niemand, der das Verfahren geprüft hat, daran, dass dies Mittel den Entzündungsschmerz in wunderbarer Weise stiUt. Und die Otologen haben doch wohl nicht etwa eine eigene Ent- zündung ?

Alles in allem bedarf die Behandlung der Mittelohrent- zündungen mit Hyperämie noch sehr der gründlichen Bearbeitung, besonders auch der vorurteilslosen Prüfung von selten der Ohren- ärzte. Sehr viele Fragen sind hier noch zu erledigen; es ist vor allem zu untersuchen, ob die Ohrentzündungen verschiedener Ätio- logie gleich gut durch die Stauungshyperämie beeinflusst werden, ob sich das Verfahren auch für chronische Fälle eignet, was wir an dem geringen uns zur Verfügung stehenden Material noch nicht haben entscheiden können, ob Sinusthrombosen und Hirn- abscesse uns besondere Vorsicht auferlegen, und ob die Behand- lung mit der Stauungsbinde oder mit Saugapparaten vorzuziehen ist. Wir selbst haben uns bisher auf die erstere beschränkt, um erst genügende Erfahrungen zu sammeln.

Vor allem, das ist nicht genug zu betonen, bedarf es auch bei den prognostisch guten akuten Fällen einer sehr sorgfältigen Technik und mehr noch einer sehr gewissenhaften Überwachung.

Dass unsere akuten mit Mastoiditis komplizierten Fälle bis auf einen alle heilten, ist besonders das Verdienst meines Assisten- ten Dr. Keppler, der die Bindenstauung mit ganz besonderem Geschick und Sorgfalt ausführt.

Augenkrankheiten.

Es liegt natürlich nahe, die Stauungshyperämie auch gegen Augenkrankheiten entzündlicher Art zur Anwendung zu bringen. Ich habe nur einmal eine wirkliche Augenkrankheit (den Fall stellte mir Herr Geheimrat misch gütigst zur Verfügung), und zwar eine schon weit vorgeschrittene sympathische Ophthalmie, die auf dem 2. Auge schon zu einer fast vollständigen Erblindung geführt hatte, mit Stauungshyperämie behandelt. Sie blieb, wie zu erwarten war, ohne jeden Einfluss. Ich hielt es für nicht un- wahrscheinlich, dass wir im Beginn bei derartigen Fällen mit dem Verfahren gute Erfolge erreichen würden. Sollte sich dagegen die weiter unten zu erörternde Annahme mehrerer Augenärzte be-

Behandl. akut. Entzünd. u. Eiterungen am Kopfe m. einer um d. Hals usw. 379

Wahrheiten, dass weder die Halsstauung noch die Saugapparate eine erhebhche Hyperämie des inneren Auges, auch bei der Ent- zündung, hervorbringen, so wären diese Versuche aussichtslos. Als Beispiele von akuter Dakryocystitis, die wir mit Erfolg dem Verfahren unterzogen haben, mögen folgende beide Fälle dienen.

63. Ein 3 jähriges Kind wird am 12. Juli 1904 in fieberhaftem Zu- stande (38°) der Klinik zugeführt; die Mutter will zuerst vor 8 Tagen in der Gegend des rechten Auges eine schmerzhafte Schwellung bemerkt haben, die in der Folge rasch an Umfang zugenommen hat. An der Innenseite des rechten Auges genau dem Sitze des Tränensackes ent- sprechend — ist eine fast haselnussgrosse ausserordentlich schmerzhafte Anschwellung sichtbar; dieselbe ist von entzündlich geröteter, stark ver- dünnter Haut bedeckt und lässt deutliche Fluktuation erkennen. Bei Druck sieht man Eiter aus dem Tränenpunkte hervorquellen. Auch die der entzündeten Tränensackgegend benachbarte Haut der Wange ist in grösserer Ausdehnung gerötet und ödematös geschwollen. Das Auge selbst ist gleichfalls in einen erhöhten Reizzustand versetzt: es zeigt Tränen- träufeln und Injektion der konjunktivalen Gefässe; die Cornea ist aber glatt, spiegelnd und glänzend. Der Eitersack wird sogleich durch einen kleinen Einstich eröffnet und durch Ausdrücken nach Möglichkeit von seinem Inhalte befreit; 2 Stunden später wird zu einer 22 stündigen Stauung am Halse gesehritten. Unter der bezeichneten Behandlung ist eine rasche Besserung des gesamten Zustandes zu beobachten. Schon nach wenigen Tagen ist eine totale Eintrocknung des Eiterherdes eingetreten; Rötung und Schwellung sind nach einer anfänglichen Steigerung fast gänzlich ge- schwunden, und Druck auf die anfänglich äusserst eiupfindliche Gegend des Tränensackes wird nicht mehr als schmerzhaft empfunden. Am 18. Juli ist die kleine Stichöffnung vernarbt, und beim völUgen Fehlen der ent- zündlichen Erscheinungen wird die Binde fortgelassen. Wenige Tage später ist die Entlassung möglich. An der Stelle des kleinen Schnittes ist nur noch mit Mühe eine feine stichförmige Narbe zu entdecken; sonstige Störungen, speziell Tränenträufeln, bestehen nicht mehr.

64. Ein 66jähriger Mann will schon seit einer Reihe von Jahren an Tränenträufeln gelitten haben. Mitte April 1905 stellten sich plötzlich heftige Schmerzen ein, und im Verlauf von 3 Stunden war eine starke Schwellung in der Innenseite des linken Auges entstanden. Dabei zeigt sich eine auffallende Störung des Allgemeinbefindens, Patient ist benommen und hat wiederholt erbrochen. Die Temperatur ist unter häufigen Schüttel- frösten auf 39,7° angestiegen. Bei der Schwere der Erkrankung wird noch spät abends vom Hausarzt klinische Hilfe nachgesucht. Wir finden den Patienten in dem eben beschriebenen Zustande vor. Die linke Tränen- sackgegend ist beträchtlich vorgewölbt; sie ist von geröteter Haut bedeckt und auf Druck äusserst empfindlich ; dabei ist deutliche Fluktuation nach- weisbar. Auch die benachbarte Haut der Lider und der Wange ist weit- hin in den Entzündungsprozess mit hineingezogen; die Augenlider sind linkerseits derart ödematös geschwollen, dass das Auge gänzlich ver- deckt ist; beiiTL Auseinanderziehen der Augenlider ist auch eine chemo-

380 Spezieller Teil.

tische Abhebung der Conjunctiva bulbi et palpebr. zu beobachten. Trotz der Schwere der Erscheinungen glaubten wir uns einstweilen auf die Anwendung einer 22 stündigen Dauerstauiuig beschränken zu sollen; dieselbe wird spät abends 10 Uhr zum ersten Male eingeleitet. Schon am nächsten Morgen ist das Bild ein wesentlich anderes geworden. Patient gibt an, dass nach Anlegen der Binde sehr bald ein starker Eiterabfluss nach dem Auge erfolgt sei und sich die Sclimerzhaftigkeit damit rasch verloren habe. Er will den grössten Teil der Nacht schlafend verbracht haben. In vollem Einklang mit dem subjektiven Wohlbefinden ist auch eine bedeutende Besserung der objektiven Erscheinungen eingetreten. Ent- zündliche Rötung Tond Schwellung sind fast gänzlich geschwimden, und von der abends zuvor deutlichen Flul^tuation ist nichts mehr nachzuweisen, ohne dass irgendwo eine Spontanperforation nachzuweisen wäre; selbst stärkerer Druck auf die Gegend des Tränensackes wird kaum noch schmerz- haft empfunden. Die Augenlider sind fast gänzlich abgeschwollen, so dass die Bulbi wieder frei zutage liegen. Die Temperatiu- ist auf 37,6° zurück- gegangen.

Wir haben unsere Behandlung nur noch 2 Tage lang fortzusetzen brauchen, um den Kranken völlig geheilt entlassen zu können. Von der Erkrankung ist lediglich das schon früher bestandene Tränenträufeln zu- rückgeblieben, wir haben daher die Erweiterung des Tränennasenganges in Vorschlag gebracht.

Eine Anzahl von Augenärzten hat sich in letzter Zeit mit der Behandlung von Augenkrankheiten durch Stauungshyperämie beschäftigt. Renner^) glaubt bei Keratitis parenchymatosa eine erhebliche Besserung des Leidens erzielt zu haben; sonst ist er noch nicht zu einem endgültigen Urteil über den Wert des Mittels bei Augenkrankheiten gekommen.

Über ausgedehntere Erfahrungen berichtet Hoppe^). Er fand, dass bei Beobachtung der erforderlichen Vorsichtsmass- regeln dem erkrankten Auge von der Kopfstauung keinerlei Nach- teile erwachsen. Er gibt den verständigen Rat, bei geringfügigen oder durch einfachere Mittel leicht heilbaren Augenkrankheiten von der Stauung abzusehen, sie dagegen bei schweren anderer Behandlung trotzenden Krankheiten ohne Bedenken zu versuchen. Er hatte bei einer Anzahl von entzündlichen Augenkrankheiten gute Erfolge mit der Stauungsbinde, insbesondere konnte er ihre schmerzstillende Wirkung am Auge genau wie an anderen Körperteilen feststellen.

1) Renner, Über Bier'sche Stauungshyperämie bei Augenkrankheiten. Münchener med. Wochensclir. 1906. Nr. 2.

2) Hoppe, Einwirkung der Stauungshyperämie als sog. Kopf Stauung (nach Bier) auf das normale Auge und den Verlauf gewisser Augenkrankheiten. Klinische Monatsblätter für Augenheilkunde. 44. Jahrgang. 1906. S. 389.

Behandl. akut. Entzünd. u. Eiterungen am Kopfe m. einer mii d. Hals usw. ßg]^

Sehr bemerkenswert ist Hoppe 's Beobachtung, dass die massvolle Kopf Stauung sich bis in die Hüllen des Augapfels und, wenn auch wohl nur in stark abgeschwächtem Grade, bis in das Augeninnere fortsetzt, dass dagegen eine starke Steige- rung der Kopfstauung die orbitale Blutfülle nicht weiter erhöht, sondern sie etwas herabsetzt.

Sehr ausgedehnte Tierexperimente über den Einfiuss der Stauungshyperämie, besonders auf das innere Auge, machte Wessely^). Er stellte fest, dass weder Bindenstauung noch Saugnäpfe eine erhebliche Hyperämie desselben hervorbrächten.

Ich halte Wessely 's Experimente keineswegs für streng- be- weisend. Um die Hyperämie im Innern des Auges nachzuweisen, bediente er sich des folgenden Mittels: Er hatte gefunden, dass bei Hyperämie der Binnengefässe des Auges, die er durch subkon- junktivale Injektion von Kochsalzlösungen hervorrief, diese Ge- fässe Eiweisskörper in vermehrter Menge durchlassen und zwar genau proportional der Stärcke der Hyperämie. Verursachte er nun die stärkste Stauungshyperämie des Auges, so nahm die Durchlässigkeit der Binnengefässe für Eiweiss gar nicht oder nur unbedeutend zu. Daraus schliesst Wessely weiter, dass eine Hyperämie des inneren Auges nicht stattgefunden habe.

Ich halte es für möglich, aber durchaus nicht für sicher, dass dieser Schluss richtig ist. Meiner Meinung nach erreicht man durch subkonjunktivale Injektionen eine Entzündung, also mehr als blosse Hyperämie. Zwischen dem Exsudat der Ent- zündung und dem Transsudat der Stauung besteht aber ein ganz gewaltiger Unterschied.

Zugestanden aber, dass tatsächlich die Stauungshyperämie sich beim gesunden Auge nicht auf das Innere erstrecke, so ist damit noch keineswegs der Beweis geliefert, dass dies nicht beim kranken, insbesondere beim entzündeten Auge, zutrifft. Denn auch an anderen Körperteilen, z. B. an den Beinen gewisser Menschen ist in gesundem Zustande eine Stauungshyperämie sehr schwer zu erzeugen, sind sie aber entzündet, so gelingt es spielend und mit ganz geringer Abschnürung.

Von Wichtigkeit ist noch der Nachweis Wessely 's, dass eine bedrohliche Drucksteigerung im Inneren des Auges durch das Anlegen einer Stauungsbinde um den Hals nicht eintritt.

1) Verhandlungen der Berliner ixiedizinischen Gesellschaft (5. XII. 06.), Berliner klinische Wochenschr. 1906. Nr. 51. S. 1634.

382 Spezieller Teil.

Auf der vorjährigen Ophthalmologenversammlung in Heidel- berg wurde im Anschluss an den Vortrag Wessely's auch die Frage, inwieweit die Stauungsh3^erämie in der Augenheilkunde i) zu brauchen sei, und über die Einwirkung der Stauung auf das innere Auge eingehend erörtert. Die Meinungen gingen sehr aus- einander, so dass sich ein sicheres Urteil nicht fällen lässt.

Mir scheint aber, dass gerade die Augenheilkunde schon seit langem von hyperämisierenden Mitteln, die am Auge besonders gut anzubringen sind, meist unbewusst, Gebrauch macht.

Ich bemerke, dass schon früher ein Augenarzt Kauffmann^) sich abwechselnd der Luft Verdünnung und -Verdichtung bedient hat, um eine Art Massage am Auge auszuführen. Er bediente sich dazu eines ganz ähnlichen Näpfchens, wie solcbe neuerdings zur Hyperämisierung des Auges angegeben sind.

Akute Cerebrospinal-Meningitis.

Wie schon mehrmals erwähnt, habe ich die Kopfstauung in einer ganzen Reihe von Fällen von Cerebrospinal-Meningitis tuber- kulöser und eitriger Art angewandt. Der einzige Fall, in dem die Stauungsbinde zu einem vollen Erfolg führte, ist der folgende.

65. Bei einem 15jährigen Knaben wurde am 26. Juli 1905 wegen eines Cholesteatoms des Kuppelraumes des Ohres die Radikaloperation ausgeführt. Nachdem die ersten beiden Tage ohne Zwischenfall verlaufen, war in der dritten Nacht mit einem Male eine auffallende Verschlimmeriing des ganzen Zustandes zu beobachten. Patient schreit während des Schlafes häufig auf, es stellt sich wiederholt Erbrechen ein und früh morgens ist die Tem- peratur bei einer Pulsfrequenz von 140 auf 39,4° in die Höhe gegangen. Dabei liegt der Kranke benommen da. N\ar auf energisches Anreden tritt er mit der Klage über heftigen Kopfschmerz hervor ; die Bulbi stehen un- koordiniert, und es fällt ein deutlicher Unterschied der Pupillenweite in die Augen. Der Kopf wird steif nach hinten übergehalten, und es ist eine ausgesprochene Hyperästhesie vorhanden. Die tamponierte Wundhöhle zeigt ein reaktionsloses Aussehen. Es wird sofort zu einer 22 stündigen Stauungshyperämie am Hals geschritten. In Übereinstimmung mit 'onseren sonstigen Beobachtungen sehen wir auch hier wieder eine rasche Abnahme der Schmerzen eintreten, und Hand in Hand mit dieser subjektiven Besserung ist ein schnelles Schwinden der objektiven KJrankheitssymptome zu beobachten.

1) Bericht der 33. Versammlung der ophthalmologischen Gesellschaft. Verlag von Bergmann, Wiesbaden 1907. S. 143.

2) Kauffmann, Über die Anwendung einer Luft- und Wassermassage am Auge. Wochenschrift für Therapie und Hygiene des Auges. Jahrgang V. Nr. 22.

Behandl. akut. Entzünd. u. Eiteriangen am Kopfe m. einer um d. Hals usw. 383

Nachdem die Temperatur (vergl. Tafel XVII) bereits am ersten Abend von ihrer Höhe heruntergegangen, ist sie am nächsten Morgen wieder zTir Norm herabgesixnken. Das Erbrechen hat avif gehört, die Bulbi stehen wieder koordiniert bei gleicher Weite der Pupillen imd von einer Hyper- ästhesie der Haut ist nichts mehr nachzuweisen. Die Kopfschmerzen sind nach eintägiger Behandlung fast völlig geschwunden. In den nächsten

26VII 27 28 29 30 31 lVIir2 3 4 5

Tafel XVII.

Tagen war noch ein 2 maliger, abendlicher Temperaturanstieg zu beobachten, ohne dass sich eine Erklärung dafür hätte finden lassen. Seit dem 4. August hielt sich die Temperatur ständig in normalen Grenzen, und es ist keinerlei Störiing des Wohlbefindens wieder eingetreten.

Leider ist in diesem Falle versäumt worden, die Lumbalpunktion zu machen. Doch war der Fall derartig charakteristisch, dass an der Diagnose kein Zweifel obwalten kann.

Auch in den ungünstig verlaufenden Fällen konnten wir regel- mässig eine bedeutende Besserung des subjektiven Befindens nach- weisen.

Die kürzlich wütende Epidemie von Cerebrospinal-Meningitis hätte eine vortreffliche Gelegenheit abgegeben, den Einfluss der Stauungshyperämie auf diese Krankheit zu prüfen. Es ist mir nicht bekannt, ob jemand das Verfahren dabei angewandt hat.

Möglicherweise beruht auch der günstige Erfolg der Lumbal- punktion bei akuter Meningitis zum grossen Teil auf der dadurch hervorgerufenen Hyperämie. Denn die Entleerung des Liquor cere- brospinalis schafft "natürlich ebenso eine Hyperämie der Hirnhaut, wie die Entleerung des ascitischen und pleuritischen Exsudates eine solche des Bauchfells und der Pleura hervorbringt.

Man könnte deshalb Kopfstauung und Lumbalpunktion vielleicht mit Nutzen vereinigen.

Akute Parotitis.

Zweimal war ich in der Lage, akute Parotitis, die nach Bauchoperationen entstand, mit Stauungshyperämie zu behandeln.

384 Spezieller Teil.

66. Bei einem 19jälirigen jixngen Mann wurde am 5. Juli 1905 wegen Ileus, verursacht durch ausgedehnte Verwachsungen, die Laparotomie notwendig. 2 Tage später klagt Patient über ziehende Schmerzen auf beiden Seiten des Gesichtes. Die Temperatur geht abends auf 39,4° in die Höhe, imd über Nacht war das typische Bild der doppelseitigen akuten Parotitis entstanden. Nach Einleitung einer 22 stüadigen Stauvingshyperämie können wir auch liier wieder ein schnelles Nachlassen der äusserst heftigen Beschwerden konstatieren. Da aber in den nächsten Tagen kein deutlicher Rückgang der Entzündxingserscheinungen zu beobachten war, entschlossen wir uns in diesem Falle zu einem frühzeitigen Einstich auf beiden Seiten, obwohl die Fluktuation noch keineswegs deutlich war. Es entleerte sich avd beiden Seiten eine Menge Eiter. Bei fortgesetzter Stauung waren beide Abscesse innerhalb 14 Tagen völlig ausgeheilt. Man sieht niir noch atif beiden Seiten je eine kleine Narbe, die von den erwähnten Einstichen herrühren.

Ein anderer gleichartiger Fall ist unter Nr. 21 beschrieben. Weil wir hier mit der Spaltung der Abscesse zögerten, brachen dieselben in den äusseren Gehörgang durch. Es empfiehlt sich aber, lieber in solchen Fällen frühzeitig durch einen Stich zu öffnen, sobald auch nur der leiseste Verdacht auf einen Abscess vorHegt, es ist sonst Gefahr vorhanden, dass derselbe, statt wie in dem unter Nr. 21 erwähnten Falle vor, hinter dem Trommelfell durchbricht und eine Mittelohreiterung hervorruft.

Akute Lymphadenitis.

Im folgenden Falle bestand anfangs Zweifel, ob es sich nicht auch um ein Parotitis handelte. Der weitere Verlauf aber zeigte deutlich, dass eine sekundäre Lymphdrüseninfektion vorlag.

67. Ein 27jähriger Klempner leidet seit 2% Jahren an einer Eiterung der Nebenhöhlen der Nase, die mit ständigem Kopfschmerz und Eiterausfluss aus der Nase einlierging ; er ist im ganzen 4 mal, zuletzt nach Killian operiert worden, ohne dass eine merkliche Besserung der subjektiven wie objektiven Beschwerden erfolgt wäre.

Nach der 2. Operation trat plötzlich Aphasie mit Hemiplegie der ganzen rechten Körperhälfte auf. Der Kranke war 3 Monate lang völlig gelähmt, und auch heute ist noch eine deutliche Schwäche der rechten Körper- hälfte vorhanden, desgleichen machen sich von Zeit zu Zeit immer noch Sprachstörungen bemerkbar. Ende Februar 1905 erkrankte Patient dann unter fieberhaften Begleiterscheinungen an einer schmerzhaften Schwellvmg in der rechten Ohrgegend, die am 4. März die Aiifnahme in die Klinik nötig machte. Es fällt sofort eine deutliche Verbreiterung der rechten Gesichtshälfte in die Augen; vor dem rechten Ohre findet sich eine nur leicht erhabene rundliche Geschwulst von etwa 5 cm Durchmesser. Die-

Behandl. akut. Entzünd. u. Eiterungen am Kopfe m. einer um d. Hals usw. 335

selbe ist von entzündlich geröteter ödematöser Haut bedeckt und bei Druck ausserordentlich schmerzhaft. Fluktuation ist nicht mit Sicherheit nachweisbar. Die Geschwulst geht nach der Submentalgegend zu in eine etwa faustgrosse, diffuse Schwellung über, die bei ausserordentlicher Druck- empfindlichkeit gleichfalls von entzündlich geröteter Haut bedeckt ist. Irgend welche Einzelheiten sind in der steinhart infiltrierten Partie nicht durchzufühlen. Die Untersuchung des Ohres ergibt normale Verhältnisse ; aus der Nase entleert sich reichlicher dünnflüssiger, mit Blut vermischter Eiter. Die Behandlung bleibt auf eine 22 stündige Stauungshyperäraie be- schränkt. Wir sehen auch hier wieder eine rasche Besserung der sub- jektiven Beschwerden eintreten, ohne dass sich sogleich auch eine günstige Beeinflussung der objektiven Symptome gezeigt hätte. Die unter dem 14. März gemachten Aufzeichnungen lassen sogar anfangs eine schein,bare Verschlimmeriuig des ursprünglichen Zustandes erkennen, der eitrige Aus- fluss aus der Nase ist zwar schon bedeutend geringer geworden, aber die entzündlichen Schwellungen sind fast auf das Doppelte des ursprünglichen Umfanges angewachsen. Dabei ist jetzt deutliche Fluktuation nachweisbar. Trotz der unverändert beibehaltenen Dauerstatiung war bald auch ein ständiges Kleinerwerden der entzündlichen Schwellungen zu beobachten. Dabei geht die anfangs diffuse, brettharte Infiltration in der Submentalgegend in einen deutlich abgrenzbaren Tumor über, den man jetzt unschwer als ein Paket geschwollener Lymphdrüsen ansprechen kann. Am 27. März wird Patient geheilt nach Hause entlassen: der eitrige Ausfluss aus der Nase hat völlig aufgehört, und von der über faustgrossen Schwellung ist nur eine etwa taubeneigrosse Lymphdrüse in der Submentalgegend übrig ge- blieben. Bei einer im Juli vorgenommenen Nachuntersuchung findet sich eine leichte Schwellimg in der Parotisgegend als das einzige Zeichen, welches noch an die voraufgegangene Erkrankung erinnert.

Parulis.

Mit sehr guten Erfolgen haben wir schwere Fälle von Parulis mit der Stauungsbinde behandelt, wofür ich hier 2 Beispiele gebe.

68. Ein 12 jähriges Mädchen erkrankte vor 1 Woche an heftigen Zahnschmerzen; einige Tage später trat unter fieberhaften Begleiterschei- niingen eine Schwellung der rechten Unterkiefergegend hinzu, die in der Folge rasch an Umfang zunahm und am 18. August 1904 die Aufnahme in die Klinik nötig machte. Die Weichteilbedeckungen der rechten Unter- kieferhälfte sind in ganzer Ausdehnung ausserordentlich stark geschwollen rnid bei Druck äusserst empfindlich; die Haut zeigt ein entzündlich ge- rötetes Aussehen, imd in der Tiefe ist deutliche Fliiktuation nachweisbar. Die Zahnreihen sind krampfhaft aufeinandergepresst und können niir wenig voneinander entfernt werden, immerhin ist aber mit Hilfe der Heister' sehen Sperre eine Besichtigimg des Mundinnern möglich. Das Zahnfleisch der rechten Unterkiefergegend ist grauweisslich verfärbt, und es besteht starker Foetor ex ore; der letzte Prämolarzahn, sowie die beiden Molar- zähne der rechten Unterkieferhälfte sind deutlich gelockert, der Praemolaris erweist sich ausserdem als stark kariös.

Bier, Hyperämie als Heilmittel. 25

386 Spezieller Teil.

Die Temperatur beträgt bei Achselmessung am Morgen 38°. Es wird im Ätherrausch mit einem längs des Unterkieferrandes geführten ca 2 cm langen Einschnitt auf die Höhe der stark hühnereigrossen Schwellung eingegangen. Es entleert sich eine reichliche Menge dickflüssigen, übel- riechenden Eiters, in dem mikroskopisch wie kulturell Staphylokokken nach- weisbar sind. Der Eiter wird nach Mögliclxkeit ausgedrückt, woraixf die Wunde ohne Tamponade lediglich mit einem sterilen Schutzverbande be- deckt wird. Der Unter kief er knochen lag in grösserer Ausdelinung von seinem Periost entblösst frei zutage. Zum Schluss wird der kranke Prämolarzahn ausgezogen. Zwei Stunden nach der Operation wird Stau- ungshyperämie am Halse eingeleitet. Unter der 22 stündigen Dauerstauung ist innerhalb weniger Tage ein völliges Austrocknen der grossen Wiind- höhle eingetreten; am 21. August ist die Schnittwunde bereits verklebt, und auch bei Druck tritt kein Eiter mehr zwischen ihren Rändern hervor. Die entzündliche Rötung und Schwellung ist nach einer kurzen Steigerung fast völlig zurückgegangen tuid ist auf Druck nicht mehr empfindlich. Die Temperatur bewegt sich wieder in normalen Grenzen. Schon am 24. August kann Patientin geheilt nach Hause entlassen werden. An Stelle der Inzisions- wunde ist eine 1 Y^ cm lange, frische Narbe zu sehen, und der Unterkiefer- knochen fühlt sich immer noch verdickt an. Andere Zeichen der über- standenen Erkrankung bestehen nicht mehr.

69. Ein 41jäln:'iger Tagelöhner erkrankte vor 14 Tagen plötzlich an heftigen Schmerzen in der linken Kiefergegend, ohne dass es ihm möglich gewesen wäre, einen bestimmten Zahn verantwortlich zu machen. Wenige Tage nach Einsetzen der Beschwerden machte sich eine schmerzhafte Schwell\ing der linken Wange und Unterkiefergegend bemerkbar, so dass ein öffnen des Mundes von Tag zu Tag beschwerlicher wiorde. Da schliess- lich auch fieberhafte Erscheinungen hinzutraten, suchte Patient am 24. Juli 1904 kUnische Hilfe nach. Die linke Wange und Unterkiefergegend ist stark geschwollen und gerötet. Die Anschwelliing ist ausserordentlich druck- empfindlich und lässt deutliche Fluktuation erkennen. Das unke Auge ist durch die ödematös geschwollenen Lider völlig verdeckt, beim Auseinander- ziehen derselben zeigt sich die Conjunctiva bulbi chemotisch abgehoben. Die Zalinreihen sind krampfhaft aufeinandergepresst mid können aktiv so gut wie gar nicht voneinander entfernt werden ; auch mit Hilfe des Heister' sehen Instruments ist nur eine ungenügende Öffnung des Mundes möglich; die Gebilde der Mundhöhle können deshalb zunächst nicht besichtigt werden. Die Temperatur beträgt abends bei Achselmessung 38,4°.

Unter Schleich' scher Infiltrationsanästhesie wird mit einem et-wa 5 cm langen Schnitt auf die entzündliche Schwellung eingegangen; es ent- leert sich sehr bald eine Menge reichlichen Eiters, in dem mikroskopisch wie kulturell Staphylokokken gefunden werden. Der eingeführte Finger ge- langt nach oben hin in eine grosse Abscesshöhle, in welcher Oberkiefer und benachbartes Jochbein in grösserer Ausdehnung von ihrem Periost ent- blösst frei zutage liegen. Nachdem der Eiter möglichst ausgedrückt ist, wird die Wunde lediglich durch einen sterilen Schutzverband abge- schlossen. Ziom Schluss wird noch der Mund mit Hilfe des Heister'schen Instruments geöffnet; der hinterste obere Backzahn linkerseits ist stark

Behandl. akut. Entzünd. vi. Eiterungen am Kopfe ni. einer um d. Hals usw. 337

kariös und gelockert, weshalb er entfernt wird. Zwei Stunden nach der Operation wird eine 22 stündige Stauungshyperämie am Halse ein- geleitet.

Schon nach 2tägiger Behandlung sind die Beschwerden des Kranken völlig geschwunden, und diesem subjektiven Wohlbefinden entspricht ein auffallend schnelles Z\xrückgehen der objektiven Symptome. Die Temperattu- ist zur Norm zurückgekehrt, und die entzündliche Schwellung ist nach an- fänglicher kiu"zer Steigerimg fast gänzlich zurückgegangen ; erstaunlich ist aber vor allem die ausserordentliche Beeinflussung der Eiterung: trotz der über hühnereigrossen Abscesshöhle zeigt sich der Verband nur von einer massigen Menge Eiters dvirchtränkt, und auch bei Druck tritt nur wenig Sekret aus der Operationswimde hervor.

Unter der fortgesetzten 22 stündigen Stauung hört die Eiterung am 4. Juli völlig auf, und auch von einer Schwellung des Gesichts ist kaum noch etwas zu bemerken. Die Stauungsdauer wird deshalb herabgemindert. Am 11. Juli kann Patient geheilt entlassen werden; die Operationswunde ist seit mehreren Tagen geschlossen, an ihrer Stelle ist eine fast strich- förmige 4 cm lange Narbe zu sehen. Die linke Gesichtshälfte zeigt noch eine ganz geringfügige Schwellung, von Druckempfindlichkeit ist nichts mehr nachzuweisen.

Wir haben zahlreiche Fälle von schwerer akuter Periostitis bzw. Osteomyelitis der Kiefer mit der Stauungsbinde behandelt. Sie liefen, wenn sie frühzeitig in Behandlung kamen, ausnahmslos sehr schnell ab, und kein einziger führte zur Nekrose des Knochens. Es scheint mir das immerhin bemerkenswert; denn es waren alles wegen der Schwere der Krankheitserscheinungen in die Klinik aufgenommene Fälle, bei deneii es in der Regel nicht ohne Se- c{uester abzugehen pflegt. In einer ganzen Reihe von leichteren Fällen haben wir ambulant die gleich noch zu beschreibende Saug- behandlung angewandt. Diese guten Erfolge bei Parulis sind von Bardenheuer^) bestätigt.

Behandlung von Schleimhauterkrankungen des Mundes und der oberen Luftwege.

Henle^) empfiehlt, den akuten Schnupfen mit Stauungshyper- ämie zu behandeln. Er erzielte in 5 unter 6 Fällen einen vollen und schnellen Erfolg. Der eine Misserfolg erklärte sich daraus,

1) Verhandkuigen der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. 35. Kongress. 1906. S. 235.

2) Henle, Zur Behandkuig des akuten Schnupfens. Deutsche med. Wochenschr. 1905. Nr. 6.

25*

388 Spezieller Teil.

dass das Leiden mehr chronisch war, und dass die Behandlung nur ungenügend durchgeführt werden konnte.

Ich vermochte Henle's Beobachtungen an mir selbst zu be- stätigen, als ich im Laufe des vorletzten Winters von einem Schnupfen heimgesucht wurde, den ich mittels der Stauungsbinde in 24 Stunden vertrieb, während sonst die Krankheit bei mir Wochen zu dauern pflegt. Müller^) teilt einen sehr hartnäckigen Fall von Heuschnupf en mit, der durch Kopfstauung sehr schnell geheilt wurde. Dagegen berichtet Hoppe^), dass er von demselben Mittel bei einem Heu- katarrh der Nase und der Bindehäute der Augen keinen Erfolg sah.

Von grosser Wichtigkeit scheinen mir die Versuche Hoch- haus'^) zu sein, die Diphtherie durch eine um den Hals gelegte Stauungsbinde zu behandeln. In 36 so behandelten Fällen von Diph- therie sah er, ,,dass die Erfolge gegenüber denen, welche wir nach den jetzt üblichen mit Diphtherieserum erzielten, soviel bessere waren, dass er die Anwendung der Stauungshyperämie nur emp- fehlen kann, zumal wesentliche Nachteile sich nicht dabei gezeigt haben". Hochhaus sah, dass die Beläge sich schneller abstiessen, die Diphtherie nicht in den Kehlkopf hinabstieg und dass Kompli- kationen seltener waren. Es muss hinzugefügt werden, dass Hoch- haus sich für verpflichtet hielt, in den schweren Fällen noch Heilserum einzuspritzen. Deshalb sind die Versuche nicht rein. Bei Angina waren Hochhaus' Erfolge nicht so günstig. Er konnte in der Mehrzahl der Fälle nur eine subjektive Besserung fest- stellen. Dieselbe Beobachtung machten wir selbst schon vor längerer Zeit, weshalb wir das Verfahren wieder aufgaben.

Pry m^) empfiehlt, gegen akute Tonsilliten Saugapparate nach demselben Prinzip anzuwenden, wie wir sie bei entzündlichen Krankheiten äusserer Körperteile gebrauchen. Er konstruierte für diesen Zweck eigene Saugapparate.

1) Müller, Über die Anwendung der Bier'schen Staiuuagshyperämie gegen Heuschnupfen. Therapeutische Monatshefte 1906. S. 444.

2) Hoppe, Einwh'kimg der Stauungshyperämie als sogenannte Kopf- stauung (nach Bier) auf das normale Auge usw. Klinische Monatsblätter für Augenheilkunde. 44. Jahrg. 1906.

3) Hochhaus, Über die Behandlung akuter Halsaffektionen mittels Stauungshyperämie. Therapie der Gegenwart. Oktober 1905.

4) Prym, Über die Behandhmg der entzündlichen Erkrankiingen der Tonsillen mittels Saugapparaten. Münchner med. Wochenschr. 1905. Nr. 48.

Kann die Stauungshyperämie bei akuten Entzünd. und Eiterungen usw. 389

Es dürfte sich für die Spezialisten der Halskrankheiten vielleicht empfehlen, meinen eine Reihe von Jahren zurückliegenden Versuch wieder aufzunehmen, die Tuberkulose des Kehlkopfes mit einer unterhalb desselben angelegten Stauungsbinde zu behandeln. Ich habe nur einmal Gelegenheit dazu gehabt. Die Behandlungsdauer war zu kurz, um von Erfolg zu sein, und der Kranke kam mir aus den Augen.

Kann die Stauungshyperämie bei akuten Entzün- dungen und Eiterungen gefährlich werden? Kontraindikationen.

Wer im Banne der Antiphlogose steckt, wird unwillkürlich fragen: Kann denn die Stauungshyperämie bei akuten Ent- zündungen, die doch an sich schon häufig zu schwersten Kreislauf- störungen führen, nicht schädlich wirken, kann sie nicht vielleicht sogar zum Brande der befallenen Körperteile führen? Ich muss gestehen, dass ich diese Furcht selbst gehabt habe und deshalb noch in der ersten Auflage dieses Buches, als ich zum zweiten Male über die Behandlung phlegmonöser Erkrankungen mit Stau- ungshyperämie schrieb, mich folgendermassen äusserte: ,,Ich be- merke aber ganz ausdrücklich, dass ich keinem Arzte zur Nach- ahmung auf diesem Gebiete rate, der sich nicht bereits die grösste Erfahrung in der Handhabung der Stauungshyperämie bei anderen Krankheiten angeeignet hat, und dass sich auch dann nur ganz beginnende Fälle für das Verfahren eignen. Ich bin überzeugt, dass man bei schon weiter vorgeschrittenen akuten Phlegmonen der Weichteile das grösste Unheil mit dem Mittel anrichten könnte. Ist doch hier die Zirkulationsstörung an sich häufig so gross, dass Brand der ergriffenen Teile droht, und deshalb Beseitigung der Blutstockung, aber nicht Vermehrung derselben angezeigt ist."

Nun gebe ich zwar zu, dass es in der Tat derartige Ent- zündungen gibt, aber sie sind doch offenbar ausserordentlich selten, und nicht die Kreislaufstörung, sondern die die Entzündung er- regende Schädlichkeit (im wesentlichen Bakteriengifte) töten die Gewebe ab, wie ich das im allgemeinen Teile schon begründet habe. Dass man nichtsdestoweniger bei Entzündungen mit sehr erheblicher Blutstockung lieber die Stauungshyperämie unterlasse,

390 Spezieller Teil.

wenigstens bevor eine grössere Erfahrung gesammelt ist, ist be- sonders den in der Methode Ungeübten anzuraten. Jedenfalls soll man bei derartigen Entzündungen möglichst ausgiebig etwa vor- handene Abscesse spalten. Nun habe ich unter den vielen Fällen von vorgeschrittener akuter Eiterung, welche ich mit Stauungs- hyperämie behandelt habe, nicht einen einzigen Fall gesehen, wo das Mittel einen wirklichen und dauernden Schaden angerichtet hätte, und nur einen einzigen, wo es an den Gliedern nicht ver- tragen wurde.

70. In diesem Falle handelte es sich um ein seit 3 Wochen be- stehendes schweres periostales Knochen- und Sehnenscheidenpanaritium des Daumens, das auswärts mit Spaltung behandelt worden war, bei einem 69jährigen Fabrikarbeiter. Der Mann wurde am 28. April 1904 ins Johannishospital aufgenommen, und am 29. April wru-de ein neuer Schnitt gemacht, ein Sequester aus dem Grundgliede des Daumens und nekrotische Sehnen wurden entfernt. An diese Operation schloss sich eine heftige akute Entzündung von brandigem Charakter an. Dagegen wurde am 4. Mai 8 Stunden, am 5. und 6. Mai 10 Stunden Stauungshyperämie verwandt. Die Schmerzen des Kranken wurden darunter stärker, so dass er die Ent- fernung der Binde wünschte. Da auch die entzündlichen Erscheinungen eher zu- als abgenommen hatten, wurde seinem Wunsche Folge gegeben. Die später vorgenommene Exartikulation des Daumens mit dem Metakarpus zeigte, dass an diesem Gliede nichts zu erhalten war. Neben Knochen- und Sehnennekrosen waren auch noch die Gelenke vereitert.

Eine schnell vorübergehende Schädlichkeit sah ich 2 mal bei der Behandlung von Eiterungen mit Stauungshyperämie, nach- dem diese beinahe schon ausgeheilt waren, eintreten. Beide Fälle verliefen fast ganz gleichartig ; ich will den einen davon schidern :

■:!^L^_— £■— Lif ^^^ unter 34 beschriebene Mann, der wegen

Vereiteriing des rechten Ellbogengelenks mit Stau- ixngshyperämie behandelt wurde, bekam am 21. Ja- nuar 1904 plötzlich unter Fiebersteigerung eine lebhafte Röte des ganzen rechten Oberarms, die wie ein Erysipel aussah, als das kranke Gelenk schon so gut wie ausgeheilt war. Die Stauungsbinde wurde entfernt und der Arm hochgelagert, woravif die Röte binnen 2 Tagen spurlos verschwand. Ob die in der Tafel X VIII . nebenstehenden Fiebertafel verzeichnete Temperatur-

steigei'ung vom Arm oder einer gleichzeitig bestehen- den leichten Angina herrührte, ist vingewiss (Taf. XVIII).

Es handelte sich in diesen beiden Fällen offenbar nicht um regelrechte Erysipele. Dazu war die Röte von vornherein über

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Kann die Stauungshyperämie bei akuten Entzünd. und Eiterungen usw. 391

ein viel zu grosses Gebiet verbreitet, sie schritt nicht weiter fort und verschwand zu schnell wieder.

Die meisten Ärzte haben deshalb grosse Bedenken gegen die Stauungshyperämie, weil sie sich von der freilich durch die Lehr- bücher aller allgemeinen und speziellen Gebiete der Medizin sattsam verbreiteten irrigen Ansicht nicht frei machen können, dass dies Verfahren eine Ernährungsstörung bedeute. Die richtig gehandhabte Stauungshyperämie ist aber keine Verschlechterung, sondern eine Verbesserung der Ernährung, wie folgender Fall beweist:

71. Ein 61 jähriger Bauer zog sich am 13. Oktober 1904 durch einen Fall eine Verletzung vor der linken Kniescheibe zu. Am 1. November stellten sich unter Schüttelfrost heftige Schmerzen in der Gegend des linken Kniegelenks ein.

Am 3. November wurde der Kranke aufgenommen. Das ganze linke Bein war ausserordentlich stark geschwollen, und zwar besonders die Gegend des Kniegelenks. Dies war rasend schmerzhaft und sehr prall durch einen Erguss ausgefüllt. Die Probepunktion des Gelenks förderte Eiter zutage, der Streptokokken enthielt. Am Oberschenkel bestand eine ausgebreitete Ly mphangitis .

Der Mann befand sich in sehr elendem und heruntergekommenem Zu- stand und fieberte hoch. Ich hielt das Leiden für eine Vereiterung des Kniegelenks und die gewaltige Schwellung des ganzen Beines für kollaterale Schwellung und ödem, hervorgerufen durch die Kniegelenkseiterung, und leitete deshalb Stauungshyperämie ein. Auch hier trat ganz augen- fällig ihre schnelle Wirkung aui die Schmer zhaftigkeit ein. Das Gelenk, bei dessen Berührung der Kranke vor der Anlegung der Binde laut aufschrie, konnte am nächsten Tage schon passiv ohne wesentliche Schmerzen bewegt werden. Auch nahm der Erguss im Gelenke sehr schnell ab. Dagegen zeigte es sich, dass die starke entzündliche Schwellung des Beines doch etwas anderes bedeutete. Es lag ein ausgedehntes Erysipel vor, das schnell bis zu der Höhe der Darmbeinschaufel auf den Ruinpf fortschritt, zur Bildung eitergefüllter Blasen und umschriebener Hautgangrän führte. Sehr auffallend war, dass alle Erscheinungen des Erysipels oberhalb der Binde weit ausgesprochener waren als unterhalb derselben. Am 8. November ging der Kranke septisch zugrunde.

Die anatomische Diagnose lautete:

Erysipel des linken Beines mit partieller Gangrän der Haut. Ver- eiterung des linken Kniegelenks. Intermuskuläre Phlegmone, partielle Gangrän der Muskeln. Trübe Schwellung der Nieren; beginnende Nephritis septica. Bronchitis. Alte Pleuritis.

Höchst auffallend war der Befund am linken Bein. Ich lasse den be- treffenden Teil vom Sektionsprotokoll des pathologischen Instituts wörtlich folgen (Ich bemerke vorweg, dass die iixi Protokoll erwähnte Schnürfurche von der Gummibinde herrührte, die bis zum Tode 22 Stunden täglich ge- tragen war. Da oberhalb der Binde zahlreiche Eiterblasen vorhanden waren,

392 Spezieller Teil.

so musste sie in der letzten Zeit immer an derselben Stelle getragen werden ; deshalb hatte sie natürlich in dem beträchtlichen ödem eine Furche zurückgelassen. )

„Etwas oberhalb der Mitte des linken Oberschenkels findet sich eine deutliche Schnüi'furche. Durch einen Schnitt längs der Femoralgefässe, dann der Saphena folgend, wird Haut und ünterhautzellgewebe und Mus- kulatur teilweise bis auf den Knochen gespalten. Aus dem eröffneten Kniegelenke, sowie aus der Bursa semimembranosa entleerte sich dicker gelber Eiter. Die Synovialis des Kniegelenks ist dunkelrot. Aus dem Unterhautzellgewebe und dem intermuskulären Gewebe des Oberschenkels fliesst sehr trübe Flüssigkeit aus, und zwar erscheint die Trübung der- selben oberhalb der genannten Schnürfurche erheblicher als unterhalb. Die Muskulatur des Oberschenkels ist zum Teil (Qviadriceps, Sartorius, Adductores) graugelblich gefärbt. Und zwar bildet die Schnürfurche auch hierfür eine Intensitätsgtenze. Oberhalb derselben ist der Quadriceps und Sartorius gelbgrau und fast ganz erweicht, so dass sich mit dem Messer- rücken Teile der Muskulatur abstreifen lassen, unterhalb der Schnürfurche hat die Muskulatur desselben Muskels, wie der benachbarten ihre rote Farbe in bedeutend höherem Masse behalten, wie auch die Form und Konsistenz der einzelnen Muskeifäsern noch bedeutend mehr der Norm ents]Dricht. Die Grenze dieses Unterschieds in dem Verhalten der Muskvi- latur, selbst in demselben Muskel, fällt mit der auf der Haut sichtbaren Schnürfm^che genau zusammen und ist eine ziemlich scharfe."

Ich gebe auch den im hiesigen pathologischen Institut gemachten mikroskopischen Befund wieder:

,,Die Muskulatur war oberhalb, zentralwärts von der Schnürfurche, fast total, unterhalb derselben teilweise nekrotisch. Die Erscheinungen des Kernzerfalles gingen dabei oberhalb der Schnürfurche reichlich weiter als unterhalb derselben. Oberhalb der Schnürfurche erschienen die Muskel- fasern stark verbreitert, formlos, ohne Quer- und Längsstreifen, zu scholligen Klumpen aneinandergedrückt, zwischen sich Reihen von zerfallenen und schlecht färbbaren Kernen lassend. Die Bezirke von nicht nekrotischen Muskelfasern sind verhältnismässig klein. Um die nekrotischen Bezirke und in denselben finden sich grosse Mengen von Leukocyten, besonders in der Umgebung der Gefässe, die erweitert und mit Leukocyten wie voll- gepfropft erscheinen. Hier und da sieht man weisse Blutkörperchen in der Diapedese begriffen. Ebenso finden sich auch Erythrocyten in reichlicher Menge in der Umgebung der Gefässe und im intramuskulären Bindegewebe. An einigen Stellen der oberhalb der Schnürfurche entnommenen Präparate ist die Muskulatur gänzlich in von Bindegewebe durchzogene Massen von kleinsten nekrotischen Fragmenten und Körnchen verwandelt, die mit grossen Mengen von Leukocyten durchsetzt sind. Hier finden sich auch Kokken- haufen in beträchtlicher Masse.

Dagegen ist unterhalb der Schnürfurche im grossen und ganzen die Muskulatur in bedeutenderem Masse von Erythrocyten durchsetzt. Die Gefässe erscheinen allgemein weiter als oben, die Leukocyteninfiltration ist nur in beschränkten Abschnitten erheblich. Die Nekrose ist bei weitem nicht so beträchtlich wie oberhalb der Schnürfurche, vielmelir auf einige

Kann die Stauungshyperämie bei akuten Entzünd. und Eiterungen usw. 393

kleinere Herde beschränkt. Und hier erreicht sie niclit die Totalität wie oberhalb der Schnürfurche. Während oberhalb der Schnürfurche die Quer- streifung der Muskelfasern nur an einigen Stellen noch bemerkbar ist, zeigen dieselbe unterhalb der Schnürfurche noch bei weitem die meisten Fasern."

Es handelte sich um eine schwere Streptokokkeninfektion, welche Kniegelenk, Zwischenmuskelräume und Haut des Beines ergriffen hatte. Was schon an der Haut zu sehen war, zeigte die Muskulatur noch viel auffälliger. Als der Schnitt durch die Weichteile des Beines geführt war, fiel allen Zuschauern der Sek- tion sofort der gewaltige Unterschied auf: Unterhalb der Schnür- furche, haarscharf mit ihr abschneidend, fast normal aussehende Muskulatur, oberhalb, ohne weiteres erkennbar weitgehendste Nekrose.

Nun glaube ich allerdings, dass hier nicht sowohl die bessere Ernährung, welche die Stauungsh5rperämie herbeiführte, die vom Brande bedrohten Gewebe gerettet hat, als vielmehr in erster Linie die Schädigung der Bakterien und ihrer Gifte durch das Mittel. Immerhin aber ist der zweifellose Beweis geliefert, dass die richtig ausgeführte Stauungshyperämie keine Ernährungsstörung bedeutet. Freilich, hätten wir die Binde zu straff angezogen, so wäre wohl das Gegenteil eingetreten, und akuter Brand des ganzen unterhalb der Binde gelegenen Gliedabschnittes die Folge der Abschnürung gewesen.

Zunächst will ich den wichtigsten Einwand, der gegen die Stauungshyperämie bei entzündlichen Erkrankungen meiner An- sicht nach erhoben ist, zu entkräften versuchen. Lexer^) sagt von ihr: ,,In leichten Fällen wird sie nie versagen, in schweren Fällen voraussichtlich stets, in mittelschweren in ihrer Wirkung zweifelhaft sein." Wäre dies wirklich der Fall, so behielte zwar das Mittel immerhin noch eine grosse theoretische Wichtigkeit für die Beurteilung entzündlicher Prozesse, weil es mit allerlei Vorurteilen aufräumt, aber sein praktischer Wert wäre gleich Null. Ich glaube aber nicht, dass man sich bei dieser Be- hauptung Lexer's ernsthaft lange aufzuhalten braucht. Ich will ganz abgehen von der inneren Unwahre cheinlichkeit einer solchen schematischen Einteilung. Man lese nur die in diesem Buche beschriebenen mit Erfolg behandelten sehr schweren Fälle, man

1) Lexer, Zur Behandlung akuter Entzündungen mittels Stauungs- hyperämie. Münchner med. W. 1906. Nr. 14.

394 Spezieller Teil.

lese ferner die Diskussion über die Stauungshyperämie auf dem Chirurgenkongresse des Jahres 1906^). Ganz ausdrückhch ist dort von den verschiedensten Rednern (Habs, Croce, Stich, ßardenheuer) hervorgehoben worden, dass gerade bei den schweren akuten Entzündungen sich die Stauungshyperämie vortrefflich bewährt hat. Dasselbe berichten zahlreiche andere Mitteilungen.

Wenn Lex er seine Ansichten auch mit den Sehne nscheiden- phlegmonen bekräftigt, indem er sagt: ,,Sie (die Sehnen) können wie die Scheide nekrotisch werden und müssen dann, damit die Fisteleiterung zum Abschluss kommt, nachträglich entfernt werden," so wählt er doch eigentlich das schlechteste Beispiel, das er finden kann. Gewiss können die Sehnen auch unter Stauungshyperämie nekrotisch werden, aber wie selten ist dies gegen früher. Man sehe sich doch einmal das Kapitel über Sehnenscheidenphlegmonen in diesem Buche an und lese die Berichte anderer Ärzte, die fast übereinstimmend berichten, dass hier durch die Stauungshyperämie gänzlich im günstigsten Sinne Wandel geschaffen ist, und die teilweise noch bessere Erfolge melden als ich. (,, Wahrhaft glänzend sind die Erfolge der Stauungs- und Saugbehandlung bei den Sehnenscheidenphleg- monen, und wenn die Methode nichts mehr leistete als dies, so würde sie verdienen, nicht vergessen zu werden." Bardenheuer auf dem 35. deutschen Chirurgenkongresse.)

Bisher aber haben wir doch die V förmigen Sehnenscheiden- eiterungen und die der Kleinfingersehnenscheiden zu den schwersten und gefurchtesten Phlegmonen gerechnet. Auch bei diesen aber hat sich die Stauungshyperämie glänzend bewährt.

Lex er meint, dass durch die Auflösung der Bakterien eine grosse Menge von Endotoxinen frei werde, die die Gewebe aufs heftigste schädigen. Ich verstehe nicht genug von Bakteriologie, um über die Endotoxine und ihre Wirkung ein Urteil abgeben zu können, aber das kann ich behaupten, dass ich die schreck- liche Wirkung der Endotoxine, die Lex er so sehr fürchtet, trotz einer reichlichen Erfahrung nicht gesehen habe.

Ähnlich verhält es sich mit der von Lex er behaupteten raschen Einschmelzung entzündlicher Infiltrate und schneller Weiterverbreitung der Eiterung. Ich habe sie nie in der Weise,

1) Verhandlungen des 35. Kongresses der D. Ges. für Chirurgie. 1906. I. S. 220—266.

Kann die Stautingshyperäniie bei akuten Entzünd. und Eiterungen usw. 395

wie sie Lexer beschreibt, gesehen. Lexer hat mich vollständig mißverstanden, wenn er behauptet, ich hinge an dem Prinzip der kleinen Schnitte. Wo habe ich das jemals behauptet? Ich mache nur in der Regel kleine Schnitte, weil ich mit Zuhilfe- nahme der Stauungshyperämie, ebenso wie zahlreiche andere Ärzte, völlig damit auskomme und bleibe dabei, bis ich un- günstige Erfahrungen damit machen sollte. Schreitet eine Eiterung schnell fort, so soll man natürlich grosse Schnitte machen. Ich halte es sogar für einen schlimmen Kunstfehler, einen Abscess unter Stauungshyperämie gross werden zu lassen. Die Diagnope eines halbwegs grcsseren Abcesses ist auch unter Stauungshyperämie immer zu stellen. Meines Erachtens liegt die Indikation für die Schnittführung sehr einfach: Man soll stets versuchen mit kleinen Schnitten auszukommen, wo grosse die Funktion stören würden, also vor allem bei Sehnenscheiden- und Gelenkeiterungen. Bei den meisten anderen Fällen ist die Grösse des Schnittes von untergeordneter Bedeutung. Wer dort mit kleinen nicht auskommt, mache ruhig grosse.

Allerdings der Meinung Lexer's, dass die entzündlichen In- filtrate schon vor der Stauung angeschnitten werden müssen, um die Toxine herauszuschwemmen, kann ich mich nicht an- schliessen. Einen ähnlichen Vorschlag machte mir schon vor längerer Zeit Klapp und er hat diesen Gedanken auch bei einer grösseren Anzahl von Tuberkulosen in der hiesigen Poliklinik praktisch ausgeführt. Er schnitt die tuberkulösen Granulations- herde an und versuchte mit Saugapparaten die Toxine daraus zu entleeren und gleichzeitig die Granulationen zu hyperämi- sieren. Ich bin ihm darin nicht gefolgt. Viel mehr verspreche ich mir von den ersten Versuchen, die ich bei Abscessen anstellte, welche ich mit Stauungshyperämie behandelte: Ich schnitt sie sehr weit auf, entleerte gründlich den Eiter und schloss die grosse Wunde durch einige Silberdrahtnähte mit sehr weiten Lücken.

Lexer warnt noch vor vielen anderen Dingen, z. B. vor Bewegung entzündeter Glieder, Ausdrücken des Eiters^), An- wendung der Stauungshyperämie bei Lymphangitis, weil dabei

1) Ich bemerke auch hier wieder, dass alle diese Eingriffe so schonend gemacht werden sollen, dass der Kranke keine nennenswerten Beschwerden dabei hat. Mir scheint, dass meine Vorschriften zum Teil so aufgefasst sind, als liesse ich die vereiterten Sehnen Gymnastik treiben.

396 Spezieller Teil.

alles Mögliche seiner Ansicht nach entstehen kann. Er erklärt: ,,Was aber möglicherweise verhängnisvolle Folgen hat, muss aus einer Behandlung ausgeschlossen bleiben!" Meiner Ansicht nach ist mit der Befolgung dieses Prinzipes fast jeder therapeutische Fortschritt in der Medizin und besonders in der Chirurgie aus- geschlossen, Was kann nicht alles schädliche Folgen haben, besonders nach Ansicht auf bestimmte Lehrmeinungen ein- geschworener Fachleute! Ich behaupte wohl nicht zu viel, wenn ich sage, die erdrückende Mehrzahl der Ärzte würde vor einigen Jahren auf die Frage, ob die Stauungshyperämie bei Ent- zündungen auch schaden könne, geantwortet haben, sie könne nur schaden.

Ich verlasse mich lieber auf Erfahrungen, die mit grosser Vorsicht angestellt wurden, und lasse mich von diesen leiten, und nicht von dem, was ich mir theoretisch vorstelle. Damit will ich nicht bestreiten, dass Theorien immer die besten Pfad- finder für Tatsachen sind.

Ich habe es für nötig gehalten, auf die Ausführungen Lexer's näher einzugehen. Denn seine Ansichten sind ganz wesent- lich bestimmt durch theoretisch bakteriologische Vorstellungen. Ich habe aber öfter die Erfahrung gemacht, dass diese von unserer heutigen Ärztewelt so hoch bewertet werden, dass klare klinische Erfahrungen davor in den Hintergrund treten müssen. Ich verweise hier auf das, was ich bei den Tripper- gelenken gesagt habe. Jedes beliebige Serum führt sich spielend ein, wofern es nur eine ,, wissenschaftlich bakteriologische Grund- lage" hat, aber gegen das einfachste, durch klinische Erfahrung erprobte Mittel sträubt man sich aufs äusserste.

Von den Kontraindikationen, die man gegen die Stauungs- hyperämie bei akuten Entzündungen aufgestellt hat, erwähne ich zuerst die

Streptokokkeninfektionen.

Ich selbst habe mehrfach erklärt, dass ich bei der Seltenheit der Streptomykose in Bonn keine grosse Erfahrungen über diesen Gegenstand habe. Inzwischen haben sich diese aber gemehrt und besonders ist auch von anderer Seite über hierher gehörige Beobachtungen berichtet worden.

Beim Erysipel sind, wie ich schon in dem Kapitel über

Kann die Stauungshyperämie bei akuten Entzünd. und Eiterungen usw. 397

dessen Behandlung mitteilte, die Ansichten der Ärzte sehr ver- schieden über den Wert der Stauungshyperämie.

Inzwischen aber sind von v. Brunni), Habs^), Heller^) und mehreren anderen zweifellose Erysipele beschrieben, die an akut entzündeten Gliedern, die unter Stauungshyperämie standen, auftraten.

V. Brunn beobachtete unter 65 Fällen von akuter Eiterung, die er mit Stauungsh3rperämie behandelte, 6 Fälle von Erysipel, Habs unter 70 ausgewählten meist schweren Fällen einen. Ich selbst sah ebenfalls zwei echte Erysipele unter der Stauungs- behandlung :

72. Ein 16jäliriger junger Mann wurde am 22. XI. 1905 mit einer schweren rezidivierenden Osteomyelitis der linken Tibia in das Johannis- liospital avifgenommen. Es wurde ein Abscess, der Staphylokokken, und, später ein zweiter, der Staphylokokken und Streptokokken enthielt, dTjrch einen kleinen Schnitt gespalten und das Leiden mit Stauungshyperämie be- handelt. Am 5. XII. entstand unter dieser Behandlimg ein Erysipel am Fusse, das allmählich bis aiif den Oberschenkel fortscliritt, ohne die Stauungsbinde, die weiter verwandt wurde, zu erreichen. Am 10. XII. war das Erysipel unter fortgesetzter Stauungshyperämie erloschen. Ich entleerte später aus der Tibia durch Aufmeisselung einen grossen und einen kleineren Knochenabscess.

Ein zweiter Fall von Erysipel, der bei einer schweren Pyäiuie unter Stauungshyperämie auftrat, ist unter Nr. 74 beschrieben.

Dieses sind die beiden einzigen wahren Erysipel , die ich unter vielen Hunderten Fällen von akuter Eiterung und wohl ebensovielen von akuter Entzündung, die ich mit der Stauungsbinde behandelt habe, erlebte.

Übrigens sind sämtliche beobachtete Erysipele günstig abge- laufen.

Es besteht nach diesen Beobachtungen kein Zweifel, dass die Stauungshyperämie ein frisches Erysipel nicht zu verhüten imstande ist, ja es scheint, nach den v. Brunn'schen Fällen, dass es den Aus- bruch dieser Krankheit sogar erheblich befördert; denn v. Brunn sah in fast 10 Proz. seiner Fälle Erysipel auftreten. Zunächst liegt

1) V. Brunn, Über die Stautuigsbehandlung bei akuten Entzündungen nach den bisherigen Erfahrungen der v. Bruns'schen Klinik. Beiträge zur klinischen Chirurgie. 46. Bd. 3. Heft.

2) Habs, Erfahrungen mit Bier'scher Stauungshyperämie bei akuten Eiterungen. Wiener klin. Rvmdschau 1905. Nr. 46.

3) Verhandlungen des 35. Kongresses der Deutschen Ges. für Chirurgie. I. S, 247.

398 Spezieller Teil.

da die Vermutung nahe, dass die Stauungshyperämie bei ätio- logisch verschiedenen Fällen verschieden wirkt. Meine eigenen Erfahrungen beziehen sich ja meist auf die Staphylomykose. Der günstige Einfluss der Stauungshyperämie auf diese Krankheit ist ganz unverkennbar. Dasselbe gilt für die gonorrhoischen Meta- stasen und auch für die Knochenmetastasen des Typhus, von denen ich zwei Fälle prompt unter dem Mittel zurückgehen sah. Nun wäre ja möglich, dass unsere und Hochhaus' Fälle von Erysipel, die, wie ich oben geschildert habe, durch Stauungshyperämie an- scheinend sehr günstig beeinflusst wurden, nicht wegen, sondern trotz dieses Mittels, so gut verlaufen wären, und dass dieses wohl die Infektionen mit Staphylokokken, Typhusbazillen und Gono- kokken heile, gegen die Streptomykose dagegen unwirksam sei. Gegen diese Anschauung aber sprechen mit grosser Deutlichkeit eine Reihe unserer Beobachtungen, so der Fall 26, wo es ge- lang, einen heissen, durch Streptokokken erzeugten Abscess kalt zu machen; der Fall 71, wo wir die schwere, durch dieselben Krank- heitserreger hervorgerufene Gangrän aufs augenfälligste gerade nur so Aveit beschränken und verhüten konnten, als die Wirkung der Stauungsbinde reichte, und mehrere Fälle schnell ausheilender, mit Mastoiditis komplizierter Mittelohreiterungen, bei denen gleich- falls Streptokokken gefunden wurden. In neuerer Zeit haben wir noch folgende 4 Fälle von Streptomykose unter Stauungshyperämie schnell und völlig heilen sehen: eine Osteomyelitis des Ober- schenkelknochens; sie heilte ohne Nekrose; drei Sehnenscheiden- phlegmonen, darunter eine schwere, die ebenfalls sämtlich ohne Nekrose heilten. In einer Reihe von Fällen, die aufgebrochen waren, fanden sich Staphylo- und Streptokokken. Diese Fälle, die mit eröffneten Abscessen in Behandlung kamen, sind natürlich nicht zu verwerten.

Auch von anderer Seite sind zahlreiche Streptomykosen be- schrieben, die unter Stauungshyperämie heilten. Ich glaube des- halb, dass im Prinzip die Hyperämie der Streptomykose gegenüber keine andere Rolle spielt als bei anderen Infektionen auch, und dass in den Fällen, wo unter der Stauungsbinde ein Erysipel auftrat, irgend ein bisher noch nicht erkannter Fehler in der Technik des Verfahrens gemacht ist. Ich werde in dieser Ansicht bestärkt durch meine früheren Erfahrungen, die ich bei aufgebrochenen Tuberkulosen sammelte. Ich habe in dem Kapitel ,, Behandlung der Tuberkulose" erwähnt, dass ich im Jahre 1893 erschreckend

Kann die Stauungshyperämie bei akuten Entzünd. und Eiterungen usw. 399

häufig unter der Stauungsbinde schwere akute Infektionen und besonders Erysipel auftreten sah. Ich erkannte bald, dass daran lediglich eine verkehrte Technik schuld war, nämlich zu lange fort- gesetzte und zu starke, chronische Ödeme hervorrufende Stauung. Sobald ich die Technik änderte, habe ich bei tuberkulösen Glie- dern, trotz der gewaltigen Anzahl von Fällen, die ich behandelte, seit dem Jahre 1894 nicht ein einziges Erysipel mehr gesehen.

Wenn ich allerdings gefragt werde, welches der technische Fehler ist, so muss ich einstweilen darauf die Antwort schuldig bleiben. Wahrscheinlich ist auch hier, wie früher bei den von mir behandelten tuberkulösen Gliedern, die zu alte und verbrauchte Odemflüssigkeit verantwortlich zu machen. Wissen wir doch längst aus zahlreichen Erfahrungen, dass diese den Ausbruch eines Ery- sipels ausserordentlich fördert.

Auch der Umstand, dass ein Beobachter unter der geringen Anzahl von 65 Fällen ungefähr doppelt so viele Erysipele be- obachtete als alle anderen zusammen, die sich über die Behandlung mit Stauungshyperämie geäussert haben, an einem vielmal grösseren Materiale, spricht dafür, dass die Eigenart der Technik dabei eine grosse Rolle spielt.

Man muss eben bedenken, dass die ganze Behandlung noch so jung ist, als dass die Technik unmöglich genügend ausgebildet sein könnte.

Dagegen wirkt die Stauungshyperämie nach Sick^) ,, geradezu deletär bei den schweren subkutanen Streptokokkenphlegmonen". Er beobachtete dabei verschiedene Fälle, wo ausgedehnte Gangrän der Haut eintrat.

Ähnliche Erfahrungen machte Nordmann •^) bei Fascien- phlegmonen, die durch Streptokokken hervorgerufen waren. Nordmann glaubt, dass sich diese Misserfolge aus den ungün- stigen Ernährungs Verhältnissen der Fascien erklären, da sich an diesen eine stärkere Hyperämie überhaupt nicht erzeugen lasse. Er meint, dass in seinen Fällen die Stauungshyperämie nicht gerade geschadet habe, dass aber frühzeitige ausgedehnte Ein- schnitte schneller zum Ziele geführt hätten.

1) Verhandlungen des 35. Kongresses der Deutschen Ges. für Chirurgie. S. 226.

2) Nordmann, Erfahrungen über Stauungshyperämie bei aliuten Ent- zündungen. Med. Künik 1906. Nr. 29.

400 Spezieller Teil.

Diabetes.

Von mehreren Seiten ist davor gewarnt, die Stauungsbinde bei Diabetes anzuwenden. Die veröffentlichten Fälle sind so ein- wandsfrei, dass man hier vor dem Mittel warnen muss, oder doch nur mit äusserster Vorsicht es anwenden darf, obwohl auch gün- stige Beobachtungen vorliegen. Ich werde in einem späteren Kapitel, in dem von der Behandlung der diabetischen Gangrän mit Hyperämie die Rede ist, darauf zurückkommen.

Blutungen.

Mehrmals bin ich auch gefragt worden, ob die Stauungs- hyperämie nicht die Gefahr der Nachblutungen aus Wunden, Geschwüren und Fisteln vermehre. Diese Frage kann ich nach meiner Erfahrung durchaus verneinen. Ich habe unter den vielen behandelten Fällen nur in einem Nachblutungen gesehen. Es handelte sich um eine schwere V-förmige septische Sehnenscheiden- phlegmone der Hand bei einem Arbeiter, der im ganzen zweimal eine massige Blutung aus einer Schnittwunde, die wir angelegt hatten, bekam. Die Blutung stand beide Male, sobald die Stau- ungsbinde entfernt und durch einen Kompressivverband für einige Stunden ersetzt war. Im übrigen wurde die Stauungshyperämie ruhig beibehalten und führte zu einem glänzenden Erfolge. Sie erhielt nicht nur die Sehnen am Leben, sondern stellte auch die Funktion der Hand im vollen Umfange wieder her.

Blutungen aus septischen Wunden sind aber auch ohne Stau- ungshjrperämie nichts Seltenes.

Abscesse und Decubitus an der Stelle, wo die Binde

gelegen.

Leser 1) hat über einen Fall berichtet, in dem die Stauungs- binde Schaden angerichtet hat. Es handelte sich um pyämische Metastasen in einem Fuss- und einem Schultergelenke bei dem- selben Menschen. Die Pyämie ging aus von eiternden Kopfwunden. Leser behandelte beide Gelenke mit Stauungsbinden, musste sie

1) Leser, Über eine Beobachtung im Gefolge der Bier'schen Stauungs- hyperämie bei akut eitrigen Prozessen. Zentralblatt für Chirurgie 1905. Nr. 17. S. 470.

Kann die Stauungshyperämie bei akuten Entzünd. und Eiterungen visw. 401

aber bald, weil starke Schmerzen genau an den Schnürstellen auf- traten, abnehmen. In der Folgezeit entwickelte sich nun an beiden Stellen, genau da, wo die Binden gesessen hatten, Abscesse. Einen ganz ähnlichen Fall beschreibt Stich^). Leser nimmt an, dass die Binden die gedrückten Gewebe geschädigt und damit einen Locus minoris resistentiae verursacht hätten, an dem im Blute kreisende Organismen sich ansiedeln konnten.

Die Erklärung Leser' s ist sehr einleuchtend, und es ist nach dieser Beobachtung geboten, in ähnlichen Fällen Vorsicht walten zu lassen. Aber so sehr gross scheint mir die Gefahr doch nicht zu sein; denn ausser Leser und Stich haben weder ich noch andere in einer stattlichen Reihe von schweren akuten Allgemein- infektionen, bei denen wir Stauungsbinden verwandten, etwas Derartiges gesehen, und dass es bei der schwersten Allgemein- infektion nicht einzutreten braucht, beweist der noch zu schildernde Fall 74, wo an den verschiedensten Körperstellen Stauungsbinden angelegt waren.

Die einzige, vorübergehende, ernstere Schädlichkeit erlebten wir, abgesehen von den beiden beschriebenenen Erysipelen, im Fall 16, wo eine akute Osteomyelitis des Oberarmes vorlag mit Vereiterung des Schultergelenks, und zwar infolge eines klaren technischen Fehlers. Hier entstand durch den stauenden Schlauch ein Dekubitus der Achselhöhle, welcher sehr lange Zeit zur Heilung beanspruchte. Glücklicherweise verdarb er uns den Erfolg nicht, weil es sich hier um einen Fall handelte, wo die Stauungshyperämie sehr schnell die Infektion und ihre Folgen unterdrückte. Leider stösst die Stauungshyperämie am Schultergelenk auf Schwierigkeiten, die bei akuten Vereiterungen desselben natürlich besonders gross sind. Ich glaube aber, dass wir, durch jenen Fall gewarnt, nicht wieder etwas Derartiges erleben werden. Man braucht ja den stauenden Schlauch nur öfter einmal für kurze Zeit abzunehmen, um den Dekubitus zu vermeiden.

Venenthrombose.

Habs^) sah einen Fall, wo im Anschluss an eine aseptische Schussverletzung des Kniegelenks mit Venenthrombose eine Lungenentzündung auftrat, die er als embolische auffassen musste.

1) Verhandkmgen des 35. Kongresses der Detitschen Ges. für Chirurgie I. S. 228.

2) Ebenda. S. 220.

Bier, Hyperämie als Heilmittel. 26

402 Spezieller Teil.

Es wäre demnach Venenthrombose eine Indikation gegen Stauungs- hyperämie. Ich werde noch mitteilen, das dasselbe für die Heiss- luftbehandlung bei frischer Thrombose gilt.

Heller!) behandelte ein gangränöses Erysipel des Armes mit sehr gutem Erfolge mit Stauungshyperämie. Die Sektion des an Lungenentzündung verstorbenen Mannes wies nach, dass sämtliche Armvenen an der Stelle, wo die Binde gelegen hatte, thrombosiert waren.

Robbers 2) behandelte eine schwere Pneumokokkeninfektion der Hand kurze Zeit mit Stauungshyperämie. Es trat Gangrän der Hand ein, so dass der Vorderarm exartikuliert werden musste. Die Gefässe des letzteren waren thrombosiert. Robbers lässt es dahingestellt bleiben, ob die Pneumokokkeninfektion oder die Stauungsbinde die Gangrän verursacht habe. Schon vor dem An- legen der Binde bestand eine mächtige Schwellung.

Todesfälle, die wir bei Kranken erlebten, bei denen Stauungshyperämie angewandt wurde.

Von besonderer Wichtigkeit ist es, die Todesfälle, die unter oder nach der Behandlung mit Stauungshyperämie auftraten, genau daraufhin zu prüfen, ob das angewandte Mittel daran schuld ist. Ich will deshalb alle die betreffenden Todesfälle, die ich erlebte, genau mitteilen. Dies sind ausser dem beschriebenen Falle 7 1 folgende Fälle.

73. Ein 14 jähriger Knecht erkrankte am 15. April 1904 vinter Schüttel- frost und heftigen Schmerzen im rechten Unterschenkel. Er fing bald an zu delirieren und zeigte Bewusstseinsstörungen. Am 24. April 1904 wurde er aufgenommen. Er führte wirre Reden und antwortete nicht auf Fragen. Atmung und Puls waren aufs äusserste beschleunigt, die Temperatur (Achsel- höhlenmessung) bewegte sich zwischen 39° und 40°. Der rechte Unter- schenkel war enorm geschwollen, gerötet und ödematös. Es war ausgedehnte Fluktuation zu fühlen. Im Ätherrausche wm-de am oberen und miteren Ende des Schienbeins ein Schnitt von je 2 cm Länge geführt. Es entleerte sich massenhafter fetttropfenhaltiger Eiter, der Staphylokokken enthielt. Der Eiter wurde durch Spüking mit physiologischer Kochsalzlösung nach Mög- lichkeit entleert. Es wurde Stauungshyperämie eingeleitet. Der Zustand des benachbarten Gelenks war wegen der kolossalen ödematösen Schwellung nicht zu beurteilen. Vorübergehend besserte sich der Zustand insofern, als der Kranke klarer wurde, Fragen verstand und sie beantwortete, dann fiel er in seine alte Benommenheit zurück. Es wurden noch das vereiterte

1) Verhandlungen des 35. Kongresses der Deutsehen Gesellschaft für Chirurgie. I. S. 248.

2) Robbers, Pneumokokken- oder Stauungsgangrän. Deutsche med. Wochenschr. 1906. Nr. 16.

Kann die Stauungshyperämie bei akuten Entzünd. und Eiterungen usw. 403

Fussgelenk und Kniegelenk des rechten Beines punktiert und ausgewaschen, das ganz vom Periost entblösste Schienbein in ganzer Länge aufgemeisselt und schliesslich der rechte Oberschenkel amputiert. Am 2. Mai starb der Kranke. Die Sektion ergab embolische Eiterherde in Lungen und Nieren, Hepatisation des Unterlai3pens der rechten Lunge, Vereiterung des rechten Sterno-Klavikulargelenks und beginnende Mediastinitis anterior.

Zweifellos war der Mensch bereits septisch und pyämisch, als er eingeliefert wurde. Am besten hätten wir ihn gar nicht be- handelt, oder allenfalls sofort amputiert.

74. Ein 1^/2 jähriges Kind erkrankte im Anschluss an eine Brandblase an einer schweren Sepsis.

Es wurde am 17. Juli 1906 in die chirurgische Klinik aufgenommen. Es war ein blasses, sonst kräftiges Kind mit trockener Zunge, borkigen Lippen und hektisch gerötetem Gesichte. Im Vordergrunde der Erschei- nungen standen ein starker Meteorismus imd profvise Durchfälle, die so stark waren, dass das Kind ständig im Kote lag. Die Temperatur bewegte sich zwischen 40 imd 41° (Achselmessung).

Vor der rechten Tibia fanden sich unterhalb der Tuberositas alle Zeichen einer heftigen Entzündung. Die Diagnose lautete: Osteomyelitis tibiae acuta, allgemeine Sepsis.

Ein Einschnitt von 3 cm Länge in die entzündete Partie entleerte nur etwa einen Teelöffel dünnen blutigen Eiter, ^ viel weniger als wir er- warteten. Der Eiter enthielt Streptokokken. Das unter dem Abscess liegende Schienbein war in der Ausdehnung eines Pfennigstückes vom Periost entblösst. Es wurde Stauungshyperämie eingeleitet. Die Durch- fälle dauerten an.

Am 23. VII. bildete sich unter der Stauungsbinde am rechten Fusse ein Erysipel, das rasch bis auf den Rumpf fortschritt. Da der Eiterungs- prozess in der Tibia inzwischen ziemlich abgelaufen war, und das Erysipel die Binde überschritten hatte, wurde die Stauungshyjjerämie am 25. VII. ausgesetzt. Am 3. VIII. war das Erysipel erloschen.

Am 5. VIII. stellten sich die ersten Erscheinungen einer Thrombose beider Venae iliacae ein. Es kam der Reihe nach zvi folgenden metastatischen Eitervm^gen : im Mittelohr, im rechten Ellbogengelenke, im rechten Schulter- gelenke, im rechten Auge (Iritis). Die Gelenke wurden mit kleinem Schnitte eröffnet und an beiden sowie am Kopfe wurde Stauungshyperämie eingeleitet.

Am 17. VIII. starb das Kind. Die Sektion ergab: Thrombose der Vena Cava und beider Venae iliacae. In den letzteren war der Thrombus eitrig zerfallen. Eitrige Metastasen im rechten Schulter-, Ellbogen- und Hüft- gelenke, an den Rippen, in den Lungen, in der Pleura, im Herzfleisch. Eitrige Iritis.

Die rechte Tibia war an der vorderen Fläche in der Ausdehnung von 1^/2 Fingerglied vom Periost entblösst. Der Knochen wurde der Länge nach durchsägt, es fand sich diu'chaus gesundes Mark. Die Wunde an der Tibia war im besten Zustande

Das Mittelohr wvirde nicht freigelegt.

Die Sektion stellte fest, dass unsere Diagnose Osteomyelitis falsch war. Der Herd am Schienbein, den wir gespalten hatten,

26*

404 Spezieller Teil.

war nichts als eine subperiostale kleine Metastase gewesen, die auch nach unseren alten Regeln durch einen 3 cm langen Schnitt mehr als genügend gespalten war. Sonst hätte man sagen können, wir hätten die Aufmeisselung der Markhöhle versäumt, und damit vielleicht den Tod verschuldet. Es handelte sich hier von vorn- herein um eine schwere Allgemeininfektion. Dass das Kind sie einen Monat lang ausliielt, ist zu verwundern.

Auch mit der Thrombose der Vena cava und beider Venae iliacae hat das angewandte Mittel nichts zu tun, denn ihre ersten Erscheinungen traten erst 11 Tage nach Aussetzen der Stauungs- hyperämie am Beine ein.

75. Ein 49jähriger Mann zog sich vor 8 Tagen eine Wunde am rechten Zeigefinger zu, die er nicht beachtete. Am 25. V. 1905 schwoll der rechte Arm plötzlich stark an, es zeigten sich rote Streifen an der Haut, die Gegend des Ellbogens und der Achselhöhle schmerzte. Er wiirde deshalb am 26. V. in die Klinik aufgenommen.

Der ganze rechte Arm war ödematös geschwollen und fühlte sich heiss an. Die sehr dick angeschwollenen Finger standen in Beugestellung und waren wenig beweglich. Am Zeigefinger befand sich eine kleine, fast verheilte granulierende Wunde. Kubital- imd Axillardrüsen waren ge- v-'6 27 28 schwollen und schmerzhaft. In der Haut des Armes waren

breite gerötete lymphangitische Stränge. Der Mann machte einen schwer kranken Eindruck und war so aufgeregt, dass ihm Morphium eingespritzt werden musste. Am rech- ten Arme wurde möglichst hoch oben eine Stauungsbinde angelegt, die (27. V.) eine selir starke Rötung und Schwel- lung und 3 Blasen hervorrief. Das Allgemeinbefinden Taf 1 XTX ^^^^ besser, und der Kranke hatte seine Schmerzen verloren. Am 28. V. wurde das Allgemeinbefinden wieder schlechter. An der Streckseite des Armes hatten sich 8 neue, mit Serum gefüllte Blasen gebildet. Des Abends war der Ivranke wieder sehr aufgeregt und starb des Nachts ganz plötzlich.

Leider steht im Sektionsprotokoll nur: ,, Anatomische Diagnose: Aorten- stenose, Herzhypertrophie, Narben der Niere, Phlegmone am i'echten Ober- arme." Ich bin deshalb gezwungen, den genaueren Sektionsbefund aus dem Gedächtnisse nachzuholen, der aber zutreffend sein dürfte, da mehrere Ärzte, die an der Sektion teilnahmen, ihn richtig befimden haben.

Beim Einschneiden in den stark geschwollenen Oberarm tritt überall stark sulzig infiltriertes Unterhavitzellgewebe zutage, das in der Gegend der grossen Lymphstränge von einzelnen kleinen Eiterherden dm'chsetzt ist. Der grösste, etwa linsengrosse Herd findet sich dicht oberhalb des Ellbogengelenkes. Eine Thrombosierung von Gefässen findet sich im Bereiche des ganzen Armes und besonders an der Stelle, an welcher die Binde gelegen hat, nicht vor.

Ausserdem fand sich bei der Sektion eine schwere Aortenstenose (das Lumen war nur federkieldick) und starke Hypertrophie des linken Ventrikels.

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Kann die Stauungshyperämie bei akuten Entzünd. und Eiterungen usw. 405

Die Sektion zeigte, dass nicht etwa die Spaltung eines Abscesses versäumt war; denn die vorhandenen kleinen Abscesse waren so geringfügig, dass sie niemals während des Lebens aufge- funden wären, und im günstigsten Falle ihre Spaltung nichts ge- nützt hätte. Die schwere Aortenstenose erklärt den plötzlichen Tod bei der akuten Infektionskrankheit.

76. Ein 134 Jahre altes Kind wiirde schwer krank am 11. VII. 1905 in die Klinik mit einer Phlegmone am rechten inneren Augenwinkel ein- geliefert, die gespalten wTirde; im Anschluss daran wurde es mit einer Stauungsbinde, die um den Hals gelegt wurde, behandelt. Am 16. VII. stellten sich nach vorübergehender Besserung Krampfanfälle und andere Hirnerscheinungen ein. Die Stauungsbinde wurde deshalb abgelegt. ' Am 21. VII. starb das Kind.

Die Sektion ergab: Im rechten Stirnhirn ein über hühnereigrosser Tumor, der zentral cystisch erweicht ist und peripher aus einem grau- weissen, ziemlich festen Gewebe besteht. Dieses Tumorgewebe ist gegen die zentrale Cyste hin vielfach nekrotisch erweicht, z. T. breiig. Der Tumor setzt sich gegen die Gehirnsubstanz nicht sehr scharf ab. Er wölbt sich in das Vorderhorn des linken Seitenventrikels etwas knollig vor. Er setzt sich ferner nach vorn und hinten auf das Siebbein und durch dasselbe in die Nasenhöhle fort als eine vorwiegend breiige, zerfetzte Geschwulstmasse. In die Orbita geht er nicht hinein. Beiderseits starker Hydrocephalus. Anatomische Diagnose: Gliom des Stirnhirnes.

Die Hirngeschwulst hatte bei Lebzeiten keinerlei Erscheinungen gemacht, die ihre Diagnose hätte stellen lassen, was ja bei ihrem Sitz und dem zarten Alter des Kindes wohl verständlich ist. Die erweichte und vereiterte Geschwulst war nach aussen durchge- brochen und hatte den Eindruck einer schweren Gesichtsphlegmone gemacht. Dass die einige Tage angewandte Stauungshyperämie mit dem tödlichen Ausgange nichts zu tun hat, brauche ich wohl nicht auseinanderzusetzen.

Auch der Tod des unter Nr. 62 beschriebenen Falles von Hirnabscess ist nicht auf die Anwendung der Stauungsbinde zurück- zuführen. Sie ist im ganzen nur 5 Tage bis zur operativen Eröff- nung des Abscesses getragen worden. Es war kein einziges halb- wegs sicheres Zeichen für einen Hirnabscess vorhanden. Es kam hinzu, dass die Stauungshyperämie die Beschwerden des Kranken dermassen linderte, dass ein Arzt, der zu jener Zeit zur Operation geschritten wäre, sich wohl mit der AuvSräumung des Mittelohres begnügt und schwerlich den Schläfenlappen des Gehirns frei- gelegt und eröffnet hätte. Schliesslich ist der Hirnabscess ver- hältnismässig frühzeitig, sobald verdächtige Symptome auftraten, eröffnet worden. Die Sektion ergab auch nichts, was darauf hin-

406 Spezieller Teil.

gedeutet hätte, dass das angewandte Mittel einen Schaden an- gerichtet hätte, insbesondere weder Meningitis noch Durchbruch in den Ventrikel.

77. Ein 1 Jahr altes Kind wurde am 20. I. 1905 wegen eingeklemmter Hernie aufgenommen und operiert. Es hatte als Nebenbefund eine chronische eitrige Entzündung beider Mittelohren, die nach Angabe der Eltern schon bald nach der Geburt aufgetreten sein sollte. Die Mittel- ohreiterung wurde mit Stauungshyperämie behandelt. Das Kind erkrankte an Pneumonie und wiu-de deshalb in die medizinische Klinik verlegt, wo es später verstarb. Die am 13. III. 1905 ausgefülirte Sektion ergab eine doppelseitige katarrhalische Pneumonie als Todesursache.

Auch hier hatte der tödliche Ausgang weder mit der an- gewandten Stauungshyperämie noch auch mit dem Mittelohrleiden etwas zu tun.

78. Am 30. IV. 1906 wurde ein 45 jähriger Arbeiter schwer krank in die chirurgische Klinik aufgenommen. Eine genaue Anamnese ist bei der starken Benommenheit des Kranken nicht zu erheben. Er gibt schliesslich an, dass er seit 4 Tagen heftige Schmerzen im rechten Ohre habe.

Da kein Ausfluss aus diesem Ohre bestand und das Trommelfell stark gerötet war, wurde sofort die Parazentese gemacht, die reichlichen Eiter entleerte. Am folgenden Tage \^airde folgender Befund erhoben : Der Kranke macht einen heruntergekommenen und schwer kranken Eindruck. Beide Trommelfelle sind stark gerötet und geschwollen, aber nirgends vorgewölbt. Aus der Parazenteseöffnung im rechten Trommelfell entleert sich stinkendes serös-eitriges Sekret. Im linken Trommelfell sieht man eine kleine zentral gelegene Öffnung. Beim Ausspritzen des Ohres fliesst reichlich Spülwasser in den Nasenrachenraum. Auffallend war das im Verhältnis zum Befunde sehr stark herabgesetzte Hörvermögen. An den Warzenfortsätzen fand sich nichts Krankhaftes.

Über den Liuigen fand man die Erscheinungen eines sehr verbreiteten trockenen Katarrhs, an den Lippen Herpes. Die Temperatur betrug 40°.

Es wnrde Kopfstauung eingeleitet, die vom Kranken schlecht ver- tragen wurde; sie musste häufig abgenommen werden und wurde nach 4 Tagen entfernt. Die Behandlung beschränkte sich auf Ausspülen der nur noch wenig eiternden Ohren. Lungen- xuid Ohrbefund änderten sich nicht, die Temperatur blieb hoch, im Vordergriinde stand eine grosse all- gemeine Abgeschlagenheit.

Da keinerlei Erscheinimgen von Meningitis, Sinusthrombose oder Hirnabscess bestanden, so glaubten wir, dass es sich um eine otogene Sepsis oder Miliartuberkulose handelte. Auch wiu-de an die Möglichkeit einer zentralen Pneumonie gedacht. Der hinzvigezogene interne Kollege konnte sie nicht nachweisen, hielt sie aber für möglicli.

Am 7. V. starb der Kranke. Die Dura war stark gespannt imd durch- scheinend, die Pia stark getrübt und durchscheinend, das Tentorium mit reichlicheiTi fibrinösen gelblichgrünen Exsudat bedeckt.

Der rechte Siniis transversus war mit grünlichem, schmutzigeni, weichem Material gefüllt, das an der Wand festhaftete. Sinus longitudinaUs und

Kann die Stauungshyperämie bei akuten Entzünd. und Eiterungen usw. 407

transversus waren frei. Nach Abhebung der Dura zeigte sich der Knochen an der tinteren Hälfte des Felsenbeines graugrünlich und gelblich verfärbt. In den Zellen des Processus mastoideus und im Mittelohr fand sich ein hellgelber puriformer Brei, es bestand ausgedehnte Bronchitis.

Dieser Fall hat uns wegen der Diagnosenstellung sehr viel Kopfzerbrechen verursacht. Da alle Symptome einer Meningitis wie eines Hirnabscesses fehlten, stellten wir wegen des schweren Allgemeinzustandes schliesslich unter Mithilfe von Eschweiler die Diagnose, dass es sich entweder um eine otogene Sepsis oder um eine Miliartuberkulose, ausgehend von einer tuberkulösen Er- krankung des Felsenbeines, handle. Deshalb erhofften wir auch keine Besserung von einer Operation und unterliessen sie auch, als die Stauungshyperämie bereits ausgesetzt war.

Dann habe ich noch aus dem Gedächtnis kurz über einen Todesfall zu berichten, der mir in Greifswald vor 6 oder 7 Jahren vorkam.

79. Ein älterer Mann wurde mit einer schlimmen Infektion eines ganzen Armes und mit dem Zeichen schwerer Sepsis eingeliefert. Ich leitete Stauungshyperämie ein. Der Mann starb, an Sepsis. Ich habe leider die Krankengeschichte nicht erhalten können und weiss die Einzelheiten nicht mehr genau. Nur so viel weiss ich, dass die Stauungshyperämie nur ein Versuch bei einem verlorenen Falle war und an seinem Tode, wie die Sektion ergab, keine Schuld hatte.

So bin ich denn in der glücklichen Lage, versichern zu können, dass ich bei den akuten Entzündungen und Eiterungen, abgesehen von den noch nicht klar zu beurteilenden Erysipelen, unter unseren Fällen nicht einen einzigen erlebt habe, wo die Stauungshyperämie bei akuten Entzündungen einen ernstlichen Schaden angerichtet, oder gar mit einiger Wahrscheinlichkeit den Tod eines Menschen verursacht hätte. Dass das so bleiben wird, will ich nicht behaupten. Es ist nicht einmal wahrscheinlich. Denn bei jeder neuen Behandlungsmethode muss man Lehrgeld bezahlen, und ohne gänzlichen Verlust von Ge- sundheit oder Leben sind auch die grössten und bedeutendsten Heilmethoden niemals eingeführt worden. Wieviel Fälle von Kar- bolvergiftung hat nicht z. B. die 'Antisepsis verschuldet! Ja, man braucht nicht einmal an solch grosse bahnbrechende Mittel zu denken. Dasselbe gilt für die Technik fast jeder einzelnen Operations- methode ; wieviel Opfer an Gliedern und Leben hat nicht ein schein- bar so einfaches Verfahren, wie die Einrenkung des kongenital luxierten Hüftgelenks es darstellt, gekostet, ehe es bis auf die jetzt erreichte relative Gefahrlosigkeit gebracht wurde.

408 Spezieller Teil.

Man glaube deshalb ja nicht, wie ich nochmals betone, dass nach Einführung der Stauungshyperämie die Todesfälle an septischen Infektionen aufhören werden, und bedenke, dass bei lebensgefährlichen Eiterungen der Wert des Lebens hoch über dem des befallenen Gliedes steht. Wenn ich deshalb den Versuch gemacht habe, mit Rücksicht auf eine bessere Funktion Eiterungen mit kleinen Schnitten zu behandeln, so fällt diese Rücksicht fort, sobald die Eiterung das Leben in Gefahr bringt. Hier soll man ausgiebig spalten, und, wenn es nötig ist, auch rechtzeitig ampu- tieren. Freilich, wann man bei diesen Zuständen die Amputation ausführen soll, ist nicht nur Sache der Ansicht und der Erfahrung des einzelnen Chirurgen, sondern sogar des Temperaments. Ich persönlich habe einen ausgesprochenen Widerwillen gegen alle chirurgischen Eingriffe, die den Menschen verstümmeln und ver- hässlichen, und bin deshalb in Fällen, wo diese Gefahr vorliegt, aufs äusserste konservativ.

Abbrechen soll man die Stauungshyperämie bei den Fällen schwerster Pyämie, bei denen der schwere Allgemeinzustand sich nicht bessert oder sogar noch verschlimmert, namentlich wenn das Glied trotz richtiger Technik keine ordentliche Stauungsreak- tion gibt.

Behandlung akuter Entzündungen und Eiterungen mit Schröpf köpfen und ähnlichen Saugapparaten.

Schröpfköpfe und Saugapparate, die ich sonst zum Hyperämi- sieren sehr häufig gebrauchte, habe ich bei akut entzündlichen Krankheiten fast nur beim Furunkel vor mehreren Jahren in Kiel und Greifswald angewandt. Ich beabsichtigte dabei nicht nur Hyperämie hervorzurufen, sondern auch den Eiter und die nekro- tischen Pfropfe durch die verdünnte Luft herauszusaugen, was aus- gezeichnet gelang. Besonders hat Til mann in der Greif swalder Poliklinik auf meine Anregung hin damit ausgedehnte Versuche gemacht. Doch war er mit den Resultaten nicht sonderlich zu- frieden. Er fand die Apparate zu schmerzhaft für den Kranken und die erzeugte Hyperämie zu energisch. Die Erfahrungen Tilmann's haben mich damals veranlasst, diese Behandlung des Furunkels wieder aufzugeben. In neuerer Zeit aber hat Klapp dieses Verfahren in der hiesigen chirurgischen Pohklinik wieder

Behandl. akuter Entzündungen und Eiterungen mit Schröpfköpfen usw. 4Q9

aufgenommen, hat es auf alle möglichen Entzündungen und Eite- rungen ausgedehnt und die Technik vortrefflich ausgebildet, so dass er ausgezeichnete Resultate auf diesem Gebiete aufweisen konnte. Nach Klapp's Vorschriften werden die Schröpfköpfe bei akuten örtlichen Entzündungen und Eiterungen täglich % Stunde angelegt. Während dieser Sitzung gestaltet sich die Anwendung so, dass das Saugglas etwa 5 Minuten auf der Entzündungsstelle sitzen bleibt und dann für etwa 3 Minuten abgesetzt wird.

Klapp gibt den Rat, bei Furunkeln, Karbunkeln und ähnlichen infektiösen Eiterungen den Herd und seine Umgebung während des Saugens in grosser Ausdehnung dick mit Fett zu bestreichen, um eine Aussaat der Bakterien und Infektion der benachbarten Haar- balge zu verhüten. Aus demselben Grunde wird vor und nach dem Saugen die ganze in Betracht kommende Gegend sorgfältig mit Benzin gereinigt.

Die Gläser dürfen bei akuten Entzündungen nur mit schwacher Luft Verdünnung angesetzt werden. Nur so ist es möglich, unnötige Schmerzen zu vermeiden und die richtige Form der Hyperämie zu erreichen.

Die lokalen akuten Entzündungen, welche bisher dem Saug- verfahren mit Erfolg unterworfen wurden, sind: Furunkel, Kar- bunkel, Bubonen, akute Abscesse, Mastitis, Infiltrationen, infizierte frische und ältere Wunden, Granulationsstellen, deren Granu- lationen nicht frischrot waren, Insektenstiche, Panaritien, Parony- chien, Mundbodenphlegmonen usf., in sehr grosser Anzahl.

Bei Infiltrationen, verschmutzten frischen und infizierten alten Wunden, Panaritien und überhaupt allen Leiden, wo nur Entzün- dung, nicht aber ein Abscess bestand, wurde ausschliesslich die Saugbehandlung in der beschriebenen Weise verwandt.

Alle Abscesse wurden, am besten unter Chloräthylspray, ge- öffnet.

Die Heilungsdauer ist ungleich kürzer als bei unseren alten Methoden. Furunkel heilen gewöhnlich in 5, Karbunkel in 10 bis 15 Tagen, ohne dass ausser der Saugbehandlung etwas anderes an ihnen getan wäre, als dass die Kuppen über den einzelnen Pfropfen mit der Pinzette oder mit einem Scherenschlage abgenommen wären.

Furunkelabscesse wurden durch einen kleinen Schnitt eröffnet. Insbesondere soll dies bei den häufigen Schweissdrüsenabscessen der Achselhöhle geschehen und der Eiter gleich durch den Schröpf - kopf gut abgesogen werden.

J.2Q Spezieller Teil.

Diabetische Furiinkel und Karbimkel bessern sich nach un- seren Erfahrungen ebenfaUs unter dieser Behandlung schnell und gut. Sie heilen allerdings etwas langsamer, und zuweilen zieht sich die Behandlung in die Länge, weil sich fortwährend neue bilden.

Grube^). dem bei der Eigenart seiner ausgedehnten Praxis in Xeuenalu" ein grosses Material von diabetischen Furunkeln und Karbunkehi zur Verfügung steht, äussert sich sehr gimstig über die Behandlung mit Saugapparaten. Er sagt: ,,Ich kann niu- hervorheben, dass das Verfahren gegenüber dem früheren viele Vorzüge hat, die hauptsächhch darin bestehen, dass es sehr viel schonender ist, schneller zur Heilung führt und, in schweren Fällen angewandt, eher vor dem Auftreten von Koma zu schützen schemt." Über sehr gute Erfolge beim diabetischen Karbunkel berichtet auch Croce-). Dagegen warnt Collej'^), Diabetiker mit Stauungsbinden und Saugapparaten zu behandeln. Von 2 schweren Diabetikern erzeugte bei dem einen die Bindenstauung Gangrän der Haut, bei dem andern vergrösserte sich die Haut- gangrän, wegen der die Stauungsbinde angelegt war, rapide. Die Behandlung von Karbunkeln mit der Saugglocke erzeugte bei dem einen einen grossen Abscess mit Hautgangrän, bei dem andern einen dem Rande der Glocke entsprechenden gangränösen Ring.

Diese Erfahrungen Colleys mahnen zur Vorsicht trotz der von anderer Seite erzielten sehr günstigen Resultate. Jedenfalls sollte man bei diabetischen Karbunkeln die Luftverdünnung nicht zu weit treiben.

Wie schnell ein schwerer Karbunkel unter der Saugbehandlung heilen kann, möge der folgende sehr günstig verlaufende Fall zeigen, der in der hiesigen KHnik behandelt wurde.

SO. Am 28. III. 1905 wiu'de ein öSjäliriger Mann ixiit einem handteller- grossen Karbunkel über der rechten Darmbeinschaufel aufgenommen. Der Karbiuikel war teils mit zahlreichen Eiterpusteln bedeckt, teils schon mit nekrotischen Pfropfen durclisetzt. Die Umgebung des Karbunkels war in grosser Ausdelmung bläulich verfärbt. Die noch uneröffneten Pusteln wurden mit einer Schere des deckenden Häutchens beraubt, eine grosse

1) Grube, Die Anwendung der Hj-peräniie nach Bier bei einigen Er- krankungen der Diabetiker. Müncliner med. Woehenschr. 1906. Nr. 29.

2) Verhandlungen des 35. Kongresses der Deutsehen Ges. für Cliirurgie I. S. 224.

3) Co Hey, Beobachtungen und Betraehti_uigen über die Behandlmig akut eitriger Prozesse mit Bier'scher Statiungslij-perämie. Münchner med. W. 1906. Xr. 8.

Beliandl. akuter Entzündungen und Eiterungen mit Schröpfköpfen usw. ^l\

Saugglocke wurde umgestülpt und in Tätigkeit gesetzt. Dabei strömte der Eiter aus den zahlreichen Löchern wie aus einer Giesskanne heraiis. Schon am 4. IV. hatte die Eiterung aufgehört. Da aber unter der Haut deut- lich Fluktuation zu fühlen war, so wiu'de, in der Annahme, dass ein sub- kutaner Abscess vorläge, ein Einstich gemacht. Mit der Saugglocke liess sich aber nur etwas dunkles flüssiges Blut entleeren, das keine Neigung zvim Gerinnen zeigte.

Am 8. IV. wurde der Ki^anke geheilt entlassen.

Der schwere Karbunkel heilte also in elf Tagen. Zufälliger- weise bot derselbe Kranke ein vorzügliches Vergleichsobjekt für die Güte der verschiedenen Behandlungsmethoden. 8 Wochen vor der Aufnahme war ihm ein ähnlicher Karbunkel am Rücken ge- spalten, der bei der Entlassung noch nicht verheilt war. Dagegen heilen die gefährlichen Gesichtsfurunkel nach unserer Er- fahrung viel besser unter der am Halse angelegten Stau- ungsbinde als mit Schröpfköpfen.

Subkutane und periosteale Panaritien werden, wenn man nicht vorzieht, sie mit der Stauungsbinde zu behandeln, in dem in Fig. 19

Fig. 19.

abgebildeten Saugglase hyperämisiert, das Klapp konstruierte. Es steht eine verkleinerte Ausgabe unserer grossen Saugapparate dar. Dies Fingerglas ist der Form des Fingers nachgebildet, trägt eine grosse Öffnung für den Finger und_eine kleine für die Luft- verdünnung.

Der luftdichte Abschluss wird mit einem seiner Kuppe be- raubten Fingerling aus Gummi hergestellt. Man hat es dann ganz in der Hand, je nach der Dicke des entzündhch geschwollenen Fingers einen mehr oder weniger weiten Fingerhng zu nehmen und die Öffnung im letzteren gross oder klein zu gestalten. Die Luft- verdünnung geschieht mit einem Gummiball, der im zusammen- gedrückten Zustande angeschlossen wird. Der Wechsel des Luft- drucks wird wie beschrieben ausgeführt. Die Patienten können

412 Spezieller Teil.

das selbst besorgen, indem sie den Gummiball abwechselnd sich füllen lassen und ihn nach einiger Zeit wieder zusammendrücken.

Mit gutem Erfolge hat Klapp Zahnfisteln mit dem Schröpf - köpf behandelt. Ist der kariöse Zahn entfernt und liegt kein Se- quester des Kiefers vor, so heilen die Fisteln ausnahmslos schnell und, was von grosser Wichtigkeit ist, ohne Entstellungen zu hinter- lassen, was man von den von selbst heilenden Zahnfisteln nicht sagen kann. Denn diese verursachen oft tief eingezogene, mit den Knochen verwachsene und sehr hässliche Narben. Deshalb war es ja auch bei den Chirurgen üblich, die Fisteln zu exstirpieren und die Wunde zu nähen. Der Schröpfkopf aber zieht die Fistel und ihre Umgebung förmhch heraus und verhindert so die einge- zogene Narbe. Die guten Erfolge bei Zahnfisteln sind von zahn- ärztlicher Seite bestätigt!).

Vortreff hch hat sich uns und anderen (Frommer, Lossen, Käfer usw.) die Behandlung von allen möglichen, nach Opera- tionen zurückgebliebenen Fisteln bewährt, besonders wenn sie von Fadeneiterungen herrühren. Die Fäden heilen dann noch nach- träghch ein, oder der Schröpfkopf saugt sie allmählich heraus.

Die Saugbehandlung hat bei den akuten Eiterungen zwei sehr grosse Vorteile vor der Bindenstauung:

1. entfernt sie auf das gründlichste den Eiter und schafft eine wirksame, offenbar in vieler Beziehung andere Hyper- ämie ;

2. dürfte sie auch in der Hand des Ungeschickten und Un- geübten gefahrlos sein, was man von der Bindenstauung nicht behaupten kann.

Freilich, falsch anwenden kann man die Schröpfköpfe auch. Das geht schon daraus hervor, dass unsere eigenen ersten Versuche keine besonders glänzenden Erfolge zeitigten. Es sei deshalb hier nochmals gesagt : Die Saugapparate sollen bei akuten Entzündungen sanft angewandt werden und sollen weder Schmerzen noch grössere Blutungen hervorrufen. Die Luft soll nur soweit in ihnen ver- dünnt werden, dass sie haften bleiben, während bei den tuber- kulösen Erkrankungen eine stärkere Luftverdünnung erlaubt und sogar nützlich ist. In der Poliklinik wissen die Patienten sehr bald, welcher Arzt die Schröpfköpfe richtig, d. h. sanft und schonend, und welcher sie falsch, d. h. derb und mit harter Hand aufsetzt.

1) J. Witzel, Die Bier'sche Stauung iind deren Anwendung als Heilmittel in der Zahnheilkunde. Zahnärztliche Rundschau. 14. Jahrg. Nr. 19, 20, 21, 22.

Behandl. akuter Entzündungen und Eiterungen mit Schröpfköpfen usw. 433

Vor allem ist es bei Abscessen nicht mit der blossen Eiter- absaugung getan, es gehört zur Heilung die langdauernde und sorgfältige Hyperämisierung. Das geht schon daraus hervor, dass die vereinzelten Versuche der alten Medizin, den Eiter mit Schröpf - köpfen abzusaugen, keine Nachahmung gefunden haben, und dass sich daraus niemals eine anerkannte Behandlungsmethode gebildet hat. Man findet nur kurze Bemerkungen, dass der eine oder der andere Arzt sich der Schröpf köpfe bei Abscessen bedient habe. So liest man bei Nicolaus Florentinusi) bei der Beschreibung der Bubonen die Bemerkung, dass ausser Behandlung mit Pflastern, Umschlägen und anderen Mitteln auch die ,,extractio puris cum incisione et suctione, i. e. cum ventosis et cum eis, qui trahunt pus post sectionem et apertionem" in Betracht kommt.

Ich beschreibe als Paradigma für das Saugverfahren die Be- handlung der akuten puerperalen Mastitis. Es eignet sich für alle Stadien dieser Erkrankung, für die beginnenden Entzündungen und ausgebildeten Abscesse sowohl, wie für alte, eiternde Fisteln und narbige Verhärtungen.

Bei der Mastitis legt man eine Saugglocke (Fig. 11g und h) an, deren Durchmesser etwa 2 4 cm kleiner ist als der der Brustdrüse. Die Glocke darf einen geraden Rand haben; besser ist es, wenn dieselbe der Form der Brustwand entsprechend ausgeschnitten ist. Die Kranke drückt den Apparat selbst gegen die Brust und hält ihn während der ganzen Sitzung. Wird die Luft durch eine Saug- spritze oder einen Gummiball in der Glocke verdünnt, so sieht man, wie die Brustdrüse mehr und mehr hineingezogen wird. Sie verfärbt sich bläuhch rot und füllt sich strotzend mit Blut. Die Hautvenen schwellen an. Die Kranke hat schliesslich das Gefühl, ,,als wolle die Brust platzen". Weiter soll die Luft Verdünnung nicht getrieben werden. Der ganze Eingriff soll durchaus schmerzlos verlaufen.

In frischen Fällen entleeren sich aus der Warze in einer Sitzung etwa 30—60 ccm Milch, aus Abscessen und Fisteln zuerst reichlich Blut und Eiter, am Schluss der Sitzung eine blutig-seröse Flüssigkeit.

Die gestaute Milch soll gründlich beseitigt werden. Saugt die grosse Glocke sie nicht genügend ab, so benutzt man ausserdem noch den bekannten kleinen Milchsauger. Um die Milch besser auszusaugen, bedient man sich zweckmässig der in Fig. 11g

1) Gurlt, Geschichte der Chirurgie. Berhn 1898. I. Band. S. 823.

414 Spezieller Teil.

abgebildeten längeren Glocke mit geringerem Durchmesser. Wird die Brustdrüse in die Glocke hineingesogen, so wird sie dadurch seitlich komprimiert und die Milch so herausgepresst.

Auch bei der Mastitis tritt die schmerzstillende Wirkung der Hyperämie in augenfälligster Weise hervor. Frauen, die wegen heftiger Schmerzen vorher keine Nachtruhe fanden, schlafen nach der ersten Sitzung ungestört die ganze Nacht durch. Verschwinden die Schmerzen nicht, so ist regelmässig noch ein Abscess vor- handen, der der Eröffnung harrt. Das Ausbleiben der Schmerz- linderung ist in dieser Beziehung geradezu von diagnostischer Be- deutung. Der umgekehrte Schluss ist nicht zulässig; denn zuweilen verliefen unter der Saugbehandlung vorhandene oder entstehende Abscesse ohne Schmerzen.

Abscesse werden stets geöffnet und zwar, wie schon für andere Eiterungen beschrieben, nur durch einen Einstich von ^ 1 cm Länge unter Chloräthylspray. Jeder neue Abscess wird auf gleiche Weise behandelt. Die kleinen Einschnitte sind von besonderer Bedeutung, weil gerade bei der Brustdrüse Narben und Verlust an Drüsengewebe zu vermeiden sind. Der Eiter muss jedesmal sehr gründlich abgesogen werden. Zu- weilen ist es zweckmässig, hier neben der grossen Glocke noch den gewöhnlichen Schröpf köpf zu benutzen, der häufig den Eiter viel besser und gründlicher entfernt. Hat dies kleine und lokal wirkende Instrument das Hindernis für die Entleerung entfernt, so fördert gleich nachher die grosse Saugglocke wieder reichlich Eiter zutage. Das muss in jedem einzelnen Falle ausprobiert werden.

Vor jeder neuen Sitzung muss man sich überzeugen, dass die angelegte Stichöffnung nicht verlegt ist. Krusten, die sie ver- schliessen, werden mit der Pincette oder der Knopfsonde, tiefere Hindernisse durch eine in die Abscesshöhle vorsichtig eingeführte schlanke Kornzange beseitigt. Stichi) beobachtete mehrmals, dass trotz dieser Massnahmen der Eiter beim Saugen nicht abfloss. Dagegen ergoss sich sofort ein Strom von Eiter, wenn er ein feines Drainrohr einführte und dann die Glocke überstülpte. Er rät in solchen Fällen, wo offenbar eine lebhafte Granulationswucherung eine Art von Ventilverschluss verursacht hat, für einige Tage ein

1) Stich, Zur Behandlung akuter Entzündungen mittels Stauungshyper- ämie. Berl. kl. W. 1905. Nr. 49 u. 50.

Behandl. akuter Entzündungen und Eiterungen mit Schröpfköpfen usw. 415

kleines Drainrohr einzulegen. Wir haben diesen Rat bewährt gefunden.

Durch neu entstandene Abscesse soll man sich nicht verleiten lassen, die Behandlung vorzeitig aufzugeben und grosse und ver- stümmelnde Operationen an ihre Stelle treten zu lassen. Wir haben Heilungen ohne alle Entstellung gesehen in Fällen, wo wir 8 10 Abscesse hintereinander mit kleinem Schnitt eröffnet haben.

In der ersten Zeit wird die Saugglocke täglich y^ Stunden lang so angewandt, dass immer nur 5 Minuten h3rperämisiert, dann eine Pause von 3 Minuten eingeschoben, dann wieder 5 Minuten hyperämisiert wird usw. Ist die Absonderung aus Fisteln und Schnittöffnungen spärlich und serös geworden, so werden auch die Sitzungen dementsprechend verkürzt und seltener vorgenommen.

In der Zwischenzeit zwischen 2 Sitzungen wird die Brustdrüse durch einen aseptischen Verband geschützt.

Die Saugbehandlung der Mastitis erfüllt alle Forderungen, die man an eine ideale Behandlung stellen kann. Sie saugt den Eiter und die Milch ab und hyperämisiert in sehr wirksamer Weise. Sie stillt dadurch die Schmerzen, unterdrückt die Infektion, löst alte Verhärtungen und bringt sie zur Resorption. Sie führt regelmässig zur vollen Wiederherstellung der Brustdrüse und unterscheidet sich dadurch sehr wesentlich von der meist üblichen chirurgischen Behandlung, deren kosmetische und funk- tionelle Erfolge sehr schlecht sind. Denn diese beanspruchte eine lange Heilungsdauer und führte zu starker narbiger Schrumpfung der Drüse, die ihre Funktion aufs schwerste schädigte, sie hässlich und ausserdem noch für die Entstehung eines Carcinoms empfäng- lich machte.

Nicht minder übertrifft das Saugverfahren die alte Behandlung mit Kataplasmen und kleinen Einschnitten, weil sie eine viel wirk- samere Form der Hyperämie erzeugt, die Eiterung beschränkt, an- statt sie zu vermehren, und für gründliche Entfernung des Eiters sorgt. Auch hier ist also aufs schönste dem Grundsatze genügt, der uns bei allen unseren hyperämisierenden Verfahren leitete: Möglichste Vermeidung jeder Verstümmelung und Ver- hässlichung, möglichste Wiederherstellung der Funktion mit möglichst kleinen und möglichst wenig quälenden Eingriffen.

Es ist übrigens interessant, dass, wie es scheint, auch diese Behandlung der Mastitis einen Vorläufer in der Volksmedizin hat.

416 Spezieller Teil.

Ein russischer Kollege, der hier an der Klinik weilte, um die Be- handlung mit hjrperämisierenden Mitteln zu sehen, erzählte, dass in einigen Gegenden Südrusslands an Mastitis erkrankte Weiber sich ganz im Beginne der Erkrankung grosse Töpfe über die Brust stülpen, in denen sich etwas brennendes Petroleum befindet, und dass sie von der .Wirksamkeit dieses grossen Schröpfkopfes sehr überzeugt sind.

Ich gebe zum Schluss einige Beispiele von verschiedenen Formen der Mastitis puerperalis und ihrer Behandlung mit der Saugglocke und beginne mit 2 Fällen, in denen das Verfahren eine beginnende Mastitis zur Rückbildung brachte.

81. Ein 26jäliriges Dienstmädchen kain am 2. März 1905 in die Be- handlung mit der Angabe, dass sie am 23. Juni 1904 geboren und seitdem das Kind mit der linken Brust gestillt habe.

In der Nacht vom 1. auf 2. März bekam sie starke Schmerzen in der linken Brust, so dass sie keinen Schlaf fand. Die Beschwerden steigerten sich in den nächsten Tagen, und es traten Kopfschmerzen und Fieber- erseheinungen auf. Es fand sich eine sehr starke Vergrösserung der linken Brust, die überall selir schmerzhaft war. In ihrer luiteren Hälfte fand sich ein Infiltrat. Die Haut war darüber gerötet.

Am 3. März wurde mit der Saugbehandlimg begonnen. Es entleerten sich 30 ccm Milch, die Sclimerzen gingen darauf zurück und stellten sich naclimittags 4 Uhr wieder ein, nachdem sie auf Befehl ihrer Dienstherrschaft wieder gearbeitet, z. B. Fenster geputzt hatte.

Deshalb erfolgte am 4. März die Avifnahme in die Klinik, wo die Saug- behandlung fortgesetzt wurde. Es entleerte sich dabei unter gleichzeitiger Benutzung der gewöhnlich gebräuchlichen Milchpumpe, eine grosse Menge Milch. Die Schmerzhaftigkeit Hess daraufhin sehr nach, die Brustdrüse verkleinerte sich, vom Infiltrate war mu' noch wenig zu merken. Am 5. März war die linke Brustdrüse völlig weich, nirgends mehr druckempfind licli und auf die Grösse der rechten zurückgegangen. Die Saugbehandlung wurde noch einige Tage fortgesetzt.

82. Am 9. Februar 1905 kam eine Kranke der hiesigen Frauenklinik, die vor 9 Tagen geboren hatte und deren Wochenbett bisher normal verlaufen war, in Behandlung. Sie hatte am Abend vorher Schmerzen in der linken Brust bekommen. In ihrer unteren Hälfte fand sich ein erhebliches, avif Druck empfindliches Infiltrat.

Die sofort aufgenommene Saugbehandlung beseitigte die ganze Krank- heit in zwei Tagen; am 11. Februar wurde die Kranke geheilt entlassen.

Die meisten Fälle, die wir beobachteten, waren bereits absce- diert oder abscedierten während der Behandlung.

83. Eine 23jährige Frau bekam im unmittelbaren Anschluss an eine Geburt eine linksseitige akute Mastitis. Am 9. Mai 1905 wui'de sie aiif- genommen. Die linke Brustdrüse erschien etwa dopjoelt so gross als die

Behandl. akuter Entzündungen und Eiterungen mit Schröpfköpfen usw. 4^7

rechte luid war sein- verhärtet. Im imteren inneren Quadranten fühlte man undeutliche Fluktuation. Die Drüse wurde einer Saugbehandlung unterzogen. Danach war am folgenden Tage die Fluktuation sehr viel deutlicher ge- worden. An der betreffenden Stelle wurde ein 1 cm langer Einstich gemacht, wobei sich im Strahl etwa ^ Liter Eiter entleerte. Bei der Anwendung der Saugglocke floss weiter eine reichliche Menge mit Blut gemischten Eiters ab. Die Stichöffnung verschloss sich mehrmals durch Blutgerinnsel iind Schorfe, so dass sie gewöhnlich erst durch eine eingeführte Kornzange wieder geöffnet werden musste. Am 11. Mai ^vurde noch ein zweiter Abscess gespalten. Am 17. Mai kamt beim Saugen kein Eiter mehr. Die Brustdrüse war weich und nirgends mehr druckempfindlich. Die Frau wurde in ambulante Be- handlung entlassen. Am 19. Mai hatte sich nochmals unter dem noch nicht verheilten Einstich Eiter angesammelt, so dass die Öffnung nochmals mit der Kornzange hergestellt werden musste. Die Glocke sog dünnflüssigen Eiter an. Am 28. Mai wurde die Frau geheilt entlassen. Die Brustdrüse war weich und völlig schmerzlos.

84. Ein 25 jähriges Dienstraädchen erkrankte im Anschluss an eine Geburt an einer linksseitigen akuten Mastitis. Sie wurde am 3. Mai 1905 in die Chirurgische Klinik aufgenommen. Die linke Brustdrüse war in der Tinteren Hälfte stark geschwollen, gerötet, schmerzhaft und verhärtet. Das Mädchen machte einen schwerkranken Eindruck. Die Körpertemperatm" war stark erhöht. Der Puls betrug 120 Schläge.. Es wurde zunächst die Saugbehandlung eingeleitet. Die Kranke fühlte sich danach erleichtert. Das Allgemeinbefinden besserte sich imd die Temperatixr sank. Am 6. Mai stellte sich aber eine höhere Fiebersteigerung ein, und es war deutlich Fluktuation zu fülilen. Der Abscess wurde durch einen Stich geöffnet, es entleerte sich reichlich dicker Eiter. Die Saugbehandlung wurde fortgesetzt. Auch liier verschloss sich die Stichöffnung zuweilen, so dass sie mit der Knopfsonde geöffnet werden musste. Am 24. Mai wurde die Kranke geheilt entlassen. Die Brustdrüse war überall weich und nirgends druckempfindlich. Die vom Einstich herrührende Narbe war kaum zu sehen.'

Tafel XX zeigt den Verlauf der Temperattir.

Der folgende Fall beweist, dass sich auch alte und verschleppte Fälle noch mit Erfolg mit der Saugglocke behandeln lassen:

85. Eine Frau erkrankte wenige Tage, nachdem sie ein Kind geboren, an einer rechtsseitigen Älastitis. Nach Ölinnschlägen brach ein Abscess auf der Innenseite der Brustwarze durch. Vor 4 Wochen wurden in einem Krankenhause Ein- schnitte in die Brust gemacht, und die Frau wurde nach dreiwöchentlichem Krankenlager von dort ungeheilt entlassen.

Am 6. März 1905 kam sie in die Behandlung der hiesigen Poliklinik. Die rechte Brust fand sich in folgendem Zustande: Im äusseren oberen Qua- dranten ist die Brust stark vorgewölbt und derb anzufühlen wie eine bösartige Geschwulst. In der Brust sind drei radiär gestellte, bis 8 cm lange Tafel XX.

Bier, Hyperämie als Heilmittel. 27

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^IQ Spezieller Teil.

und 3 cixi breite schlecht granulierende Schnittwunden sichtbar. Die Haut um die Warze ist stark verdünnt, diese selbst fast verstrichen. Die Kranke hatte lebhafte Schmerzen und war appetitlos.

Die Krankheit besserte sich unter Saugbehandlung sehr schnell. Die Schmerzen verschwanden schon nach der ersten Sitzung, um am 20. März nach einer starken Anstrengung noch einmal wiederzukehren, gleichzeitig waren die zwei der schon fast verheilten Schnittwunden Avieder auf- gebrochen und entleerten dicken Eiter. Am 16. Mai waren alle Wunden verheilt und die früher steinharte Brust, bis auf eine Verhärtung im Bereiche der Operationsnarben, überall weich und unempfindlich geworden.

Die Vortrefflichkeit der Saugbehandlung der Mastitis ist mit verschwindenden Ausnahmen allgemein anerkannt.

Ich erwähnte schon im allgemeinen Teile, dass mehrere Ohren- ärztei), Sondermann, Spiess und Muck, in letzter Zeit das Saugverfahren in der Absicht, damit gleichzeitig zu hyperämisieren und Sekrete abzusaugen, bei Krankheiten der Ohren, der Nase und ihrer Nebenhöhlen angewandt haben und über gute Erfolge be- richten. Ich selbst habe keine Erfahrungen über die betreffende Behandlung bei diesen Krankheiten, da ich das mir seit 214 Jahren in dieser Beziehung zur Verfügung stehende nicht allzu reichliche Material lediglich benutzt habe, um die Bindenstauung daran zu studieren. In der vorigen Auflage schrieb ich noch: ,,Es liegt ja nahe, auch bei Erkrankungen des Auges die Bindenstauung durch den viel bequemeren Saugapparat zu ersetzen. Aber da müsste man, bei der» Feinheit und Zartheit des zu behandelnden Organes mit grösster Vorsicht vorgehen. Wenn man über das gesunde Auge einen grossen Schröpfkopf stülpt und die Luft in ihm stark verdünnt, so empfindet man ein sehr unangenehmes Gefühl." Inzwischen ist die Technik der Saughyperämie am Auge von Augenärzten sehr gut ausgebildet worden, so dass ihrer Anwendung am Auge nichts mehr im Wege steht. Die ausführlichsten Unter- suchungen über diesen Gegenstand stammen von Hoppe^). Er fand, dass ein negativer Druck von 20 40 mm Quecksilber bei Krankheiten des Auges angezeigt ist. Überschreitet man diese Grenzen nicht, so ist der ganze Vorgang des Saugens durchaus

1) Siehe diese Abhandlung S. 82 11. 8.3.

2) Hoppe, Über den Einfluss der Saugliyperämie auf das gesmide Auge und den Verlauf gewisser Augenkrankheiten. Münchner med. Wochensehr. 190G. Nr. 40.

Kurzer Rückblick nach meinen vind anderer Ärzte Erfahrungen usw. 419

nicht unangenehm für das behandelte Auge. Hoppe ver- bindet Glocke und Ball des Saugapparates durch einen dick- wandigen Gummischlauch, von dem eine Abzweigung zu einem Quecksilbermanometer führt, welcher den jeweiligen negativen Druck in der Saugglocke anzeigt. Ein solches Manometer, das ich beim Auge, Avegen seiner Feinheit für sehr angebracht halte, dürfte bei anderen Körperteilen, wo man es auch empfohlen hat, überflüssig und zu kompliziert sein.

Einen ganz ähnlichen Apparat wie Hoppe empfahl ungefähr zu derselben Zeit Hesse^). Auch er arbeitet mit einem Saugnapf, dessen Ränder der anatomischen Form der Umgebung des Auges entsprechend ausgeschnitten und mit einem Manometer verbunden sind. Auch Hesse hält einen etwa gleichen negativen Druck wie Hoppe (20 50 mm Quecksilber) für nötig.

Nach Hesse's Angaben nehmen, abweichend von den schon erwähnten Angaben Wessely's, wenigstens bei offener Lidspalte, neben den oberflächlichen auch die tiefen Gefässe des Auges an der Erweiterung teil.

Sowohl Hesse wie Hoppe hatten gute Erfolge bei der Be- handlung von Augenkrankheiten mit Saugapparaten.

Kurzer Rückblick nach meinen und anderer Ärzte Erfahrungen bei akuten Eiterungen.

Noch vor 11/2 Jahren standen wir mit unseren Erfahrungen über die Stauungshyperämie bei akuten Eiterungen und Ent- zündungen fast völlig allein da. Inzwischen ist aber über diesen Gegenstand eine ausserordentlich reichliche Literatur entstanden. Die hauptsächlichsten Arbeiten gebe ich in der Fussnote*) an, soweit sie sich nicht auf spezielle Kapitel beziehen und dort schon

1) Hesse, Die Stauungshyperämie im Dienste der Augenheilkunde. Central- blatt für praktische Augenheilkunde 1906. Juniheft.

*) 1. Arnsperger, Erfahrungen mit Bier'scher Stauung bei akuten Eite- rungen. Münch. med. W. 1905. Nr. 51.

2. V. Brunn, Über die Stauungsbehandlung bei akuten Entzündungen nach den bisherigen Erfahrungen der v. Brvins'schen Klinik. Beiträge zur kl. Chirurgie. Bd. 45. S. 845.

3. Danielssen, Über die Bedeutung der Bier'schen Stauungsbehandlung

27*

420 Spezieller Teil.

erwähnt sind, oder noch erwähnt werden. Auf Vollständigkeit macht diese Literatur über sieht keinen Anspruch. Vor allem mache ich auf die Verhandlungen des 35. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie aufmerksam, auf dem zahlreiche Redner ihre Erfahrungen mitgeteilt haben.

Im grossen und ganzen sind die erwähnten Ärzte zu ähnlichen Resultaten gekommen wie wir. Nur sehr wenige sprechen sich ungünstig über die Wirkung der Stauungshyperämie aus. Unter ihnen ist besonders Lex er zu erwähnen, über dessen Einwände ich schon ausführlich berichtet habe. In erster Linie sind für die Güte des Verfahrens ja entscheidend die Sehnenscheiden- phlegmonen. Darin stimmen nun fast alle Berichte überein,

akuter Entzündungen für die chirvirgische Poliklinik und den praktischen Arzt. Münch. med. W. 1905. Nr. 48.

4. Derlin, Beitrag zur Behandlving akuter Eiterungen mit Bier'scher Stauungshyperämie. Münch. med. W. 1905. Nr. 29.

5. Habs, Erfahrungen mit Bier'scher Stauungshyperämie bei akuten Eiterungen. Wiener klinische Rundschau. 1905. Nr. 46.

6. van Lier, Behandling van akute Ontstekeningen. Nederlandsch Tijd- schrift voor Geneeskunde 1905. II. Tl. Nr. 24.

7. Lossen, Bier'sche Stauungshyperämie bei Sehnenscheidenphlegmonen. Münch. med. W. 1905. Nr. 39. S. 1878.

8. Ranzi, Über die Behandlung akuter Eiterungen mit Stauungshyperämie. Wiener kl. W. 1906. Nr. 4.

9. Hempel, Die Bier'sche Stauungshyperämie und ihre Anwendungs- weise bei akuten Eiterungsprozessen. Deutsche med. W. 1905. S. 1858.

10. Stich, zur Behandlung akuter Entzündungen mittels Stauimgshyperämie. Berliner kl. W. 1905. Nr. 49 u. 50.

11. Volk, Zur Therapie der entzündlichen Leistendrüsen. Wiener med. Presse. 1905. S. 2322.

12. Guth, Die Behandlung entzündlicher Erlo-anliungen mit Saugapparaten in der Praxis. Prager med. W. 31. Band. Nr. 3. 1906.

13. Colley, Beobachtungen und Betrachtungen über die Behandlung akut eitriger Prozesse mit Bier'scher Stauungshyperämie. Münchner med. W. 1906. Nr. 6.

14. Herhold, Anwendung der Stauungshyperämie bei akut eitrigen Pro- zessen im Garnisonlazarett Altena. Münch. med. W. 1906. Nr. 6.

15. Frommer, Über die Bier'sche Stauung mit besonderer Berück- sichtigung der postoperativen Behandlung und der Altersgangrän. Wiener klinische W. 1906. Nr. 8.

16. Jerusalem, Bier'sche Stau- und Saugbehandlung in der Kassenpraxis. Wiener klinische Rundschau. 1906. Nr. 25.

17. Nordmann, Erfahrungen über Stauungshyperämie bei akuten Ent- zündungen. Medizinische Klinik. 1906. Nr. 29.

Kurzer Rückblick nach meinen und anderer Ärzte Erfalu'ungen usw. 42 1

dass man einen sehr hohen Prozentsatz der Sehnen, deren Scheiden regelrecht vereitert waren , durch die Stauungs- hyperämie lebendig und, was viel wichtiger ist, funktionstüchtig erhält. Einige Ärzte stellen Betrachtungen darüber an, ob sie nicht hier und da bei schon eitrigen Sehnenscheidenphlegmonen durch unser altes Verfahren gerade so gute oder bessere Resultate erzielt hätten. An die richte ich die Frage: Haben Sie denn über- haupt es jemals gesehen, dass eine in Eiter gebadete Sehne bei schon tagelang bestehender Phlegmone lebendig und funktions- tüchtig blieb ? Ich habe es bei so vorgeschrittenen Phlegmonen nie gesehen, bei den ganz beginnenden habe ich es hier und da er- lebt, besonders wenn die Infizierten Ärzte waren, die sehr früh zur

18. Grube, Die Anwendung der Hyperämie nach Bier bei einigen Er- Icrankungen der Diabetiker. Münch. med. W. 1906. Nr. 29.

19. Enderlen, Behandlung des Furunkels, Karbunkels und der Phlegmone. Deutsche med. W. 1906. Nr. 42.

20. Lindenstein, Erfahrungen mit der Bier'schen Stauung. Münchner med. W. 1906. Nr. 38.

21. Heller, Beobachtungen bei der Behandlung entzündlicher Prozesse mit der Bier'schen Stauung. Med. Klinik 1906. Nr. 22.

22. Rubritius, Über die Behandlung akuter Entzündungen mit Stauungs- hyperämie. Beiträge zur klin. Chirurgie 1906. 48. Band. 2 H.

23. Catheart, On Biers' treatment of acute inflammation etc. Scotish medical and surgical Journal. April 1906.

24. Polini, Stasi alla Bier. Gazetta internationale di Medicina. 1906. Nr. 84. Daselbst eine genaue Übersicht der italienischen Literatur.

25. Beer, The therapeutic value of artificial localized hyperämia etc. Medical Record. 1906. 25. August.

26. Hoppe, Die Behandlung von Unfallschäden und deren Folgen durch den Chirurgen. Med. Klinik. 1906. Nr. 44.

27. Bonheim, Über die Behandlung akuter Entzündungen durch Hyperämie nach Bier. Hamburger ärztlicher Verein. Münchner med. W. 1906. Nr. 18.

28. Engländer, Eitrige Brustdrüsenentzündvmg bei einer Stillenden usw. Centralblatt füi* Gynäkologie 1906. Nr. 16.

29. LTllmann, Über Stauungs- und Saugtherapie usw. Berliner kl. W. 1906. Nr. 18 und 19.

30. V. Pezold, Furunkelbehandlung mittels Bier'scher Saugapparate. Deutsche militärärztliche Zeitschrift. 1906. Nr. 6.

31. Breuer, The Bier treatment by Hyperaemia. Medical Record. 1906. 24. Februar.

32. Lexer, Zixr Behandlung akuter Entzündungen mit Stauungshyperämie. Münchner med. W. 1906. Nr. 14.

33. Bestelmeyer, Erfahrungen über die Behandlung akut entzündlicher Prozesse iTiit Stauungshyperämie nach Bier. Münchner n:ied. W. 1906. Nr. 14.

34. Manninger, Die Heilung lokaler Infektionen mittels Hyperämie. Würz- biorger Abhandlungen. VI. Band, 6. Heft 1906.

422 Spezieller Teil.

Operation kamen und mit grosser Energie nachher Übungen vor- nahmen, um die verwachsene Sehne wieder beweghch zu machen.

Von einigen . Kollegen bin ich gefragt worden, ob nicht viel- leicht mehr das Unterlassen der Tamponade, als die Stauungs- hyperämie die bedrohte Sehne gerettet hätte. Diese Frage kann ich aus einer reichlichen Erfahrung verneinen. Ich habe früher eine geraume Zeit lang statt der grossen, die ganze infizierte Seh- nenscheide spaltenden Schnitte eine Anzahl kleiner angewandt, die an den Fingern ausserdem noch seitlich angelegt wurden. Ich tamponierte nicht oder legte höchstens hier und da einen kleinen Gazestreifen ein und liess täglich langdauernde Handbäder nehmen. Aber bei den wirklich entwickelten Phlegmonen, bei denen die Stauungshyperämie noch weit über die Hälfte der Sehnen erhält, wurden sie regelmässig nekrotisch.

Dasselbe geschieht, wenn diese Phlegmonen, wie das bei den Laien üblich ist, mit Wärmemitteln behandelt, im übrigen aber nur mit kleinen Schnitten eröffnet werden oder von selbst durch- brechen. Sie ,, heilen" so zuweilen ebenso gut oder noch besser aus, als sie der Chirurg mit langen Schnitten und dem ganzen Apparate der Antiphlogose ,, heilt", aber auch hier zieht man später als ,,Wurm" die abgestorbenen Sehnen aus den Fisteln. Die durch Wärme erzeugte Hyperämie ist eben, wie ich schon mehrfach ent- wickelt habe, für frische akute Entzündungen nicht die richtige Form und der natürhchen Stauungshyperämie nicht im entfernte- sten gewachsen.

3.5. Th orbecke, Die Behandlung der puerperalen Mastitis mit Stauungfi- hyperämie. Med. Ivlinik. 1900. Nr. 37 und 38.

36. Lämmerhirt, Die Behandlung mit Stauungshyperämie nach Bier in der Hand des praktischen Arztes. Med. Ivlinik. 1906. Nr. 15.

37. König, Über Stauungsl ehandlung der Epididymitis gonorrhoica. Med. I^inik. 1906. Nr. 24.

38. Böhme, Kurzer Bericht über durch Bier' sehe Staiiung mit Saug- glocken bei Bubonen etc. erzielte Erfolge. Centralblatt für die Kranldieiten der Harn- und Sexualorgane. 1906. 17. Band. 7. Heft.

39. Bum und Ulimann auf dena gemeinschaftlichen Kongress d. deutschen balneologischen Ges. usw. Wiener kl. W. 1906. Nr. 14, 15, 16.

40. Laccetti, Dua casi di flemmone etc. Gazetta internazionale di medicina. 1906. No. 88.

41. Stiass ny , Ein Beitrag zur Prophylaxe und Therapie der Mastitis. Gynä- kologische Rundschau. 1907.

42. Verhandlungen des 35. Kongresses der Deutschen Ges. für Chirurgie, I. 1906. S. 220—226.

Kurzer Rückblick nach meinen und anderer Ärzte Erfahrungen usw. 423

Über 4 schwere Vereiterungen des Kniegelenks (darunter 3 traumatische) berichtet Habs. Sie alle heilten durch Stauungs- hyperämie mit voller Funktion aus. Sie sind an Beweiskraft durch- aus meinen oben geschilderten Fällen von Vereiterungen grosser Gelenke an die Seite zu stellen. Auch von anderen sind gute Erfolge bei Gelenkeiterungen berichtet.

Sehr verschieden waren die Erfolge der Berichterstatter bei der akuten Osteomyelitis, genau wie bei unseren Fällen. Offenbar kommt es bei dieser Krankheit neben der mehr oder weniger grossen Virulenz der Krankheitserreger vor allem auf eine sehr frühzeitige Behandlung an.

Auch mit der Behandlung akuter Eiterungen durch Schröpf- köpfe hatten andere Ärzte, die sie anwandten, ganz ähnliche Er- folge wie wir.

Durchweg bestätigt ist auch meine Behauptung, dass die Hyperämie den Entzündungsschmerz stillt und nicht, wie man all- gemein behauptete, ihn hervorruft ; ebenso von mehreren Seiten, dass eine richtig ausgeführte Stauungshyperämie keine Verschlech- terung, sondern eine Verbesserung der Ernährung bedeutet.

Ich glaube deshalb die alte und bisher gänzlich unentschiedene Streitfrage, ob die Entzündung ein nützlicher oder ein schädlicher Vorgang sei^), durch ein einfaches praktisches Experiment im ersteren Sinne entschieden zu haben. Und das ist erst einmal die Hauptsache. Ich halte es deshalb auch für kleinlich, wenn man

1) Seit der jetzt mehr und mehr diu'ch dringenden Anerkenmuig der Wirkung der Stauungshyperämie bei Entzündungen besinnen sich eine ganze Reihe kluger Leute darauf, dass sie eigentlich schon lange gewusst haben, dass die Entzün- dung etwas Nützliches sei, während sie, als ich in dieser Beziehung noch ein Prediger in der Wüste war, schwiegen. Von Ärzten der verschiedensten Rich- tungen (Allo- vmd Homöopathen, Natiorärzten etc.) habe ich Zuschriften in diesem Sinne bekommen. Als ob das etwas Neues wäre! Genau wie beim Fieber hat man sich auch bei der Entzündiuig in dieser Beziehung hin und her gestritten. Es ist ja doch ganz natürlich, dass weiterblickende Ärzte und Laien einem so ele- mentaren Natuxvorgange, wie ihn die Entzündimg darstellt, ihre ganze Auf- merksamkeit zuwandten und ihn von den verschiedensten Seiten betrachteten. Die Frage ist deshalb auch uralt. Welcher prinzipielle Unterschied besteht denn dazwischen, wenn der Natiu-mensch den bösen Geist, der seiner Ansicht nach in den Körper gefahren war, dm-ch die Entzündung und das Fieber aus- treiben lässt, oder wir Bakterien, Gifte und andere Schädlichkeiten? Feind vmd Verteidiger haben den jeweiligen AnschauLUigen entsprechend gewechselt und sind vielfach miteinander verwechselt. Aber es ist viel leichter, eine Streitfrage aufzustellen, als sie zu lösen.

424 Spezieller Teil.

die Frage aufwirft und weitläufig erörtert, ob man eine oder die andere entzündliche Krankheit besser mit Stauungshyperämie oder mit dem alten Verfahren behandelt hätte. Das ist gar nicht der Kernpunkt der Sache, sondern es kommt darauf an, ob. das Prinzip richtig ist.

Es ist ja selbstverständlich, dass man auf dem so überaus grossen Gebiete, das der hyperämisierenden Behandlung zufällt, nicht gleich überall glänzende Erfolge erwarten darf, um so mehr, als ich doch bis vor kurzem mit meinen Schülern in dieser Beziehung fast ganz allein dagestanden habe. Der einzelne Mensch und die ein- zelne Schule geben sich bald aus und bleiben stehen. Es bedarf der Erfahrungen und der Mitarbeit vieler, um den Fortschritt zu verbürgen. Dieser ist von einer Verbesserung der Indikations- stellung und von einer Verbesserung der Technik zu erwarten. Ich halte es gar nicht für unmöglich, dass man, um die Hyperämie bei Entzündungen zu verstärken, nicht sogar noch einfachere und brauchbarere Mittel findet, als die Stauungsbinde und den Saug- apparat.

Vorderhand halte ich sie allerdings für die besten Mittel. Aber auch diese zu beherrschen, ist nicht so einfach. Ich habe seit der Zeit, dass ich die Stauungsbinde anwende, es mindestens zwanzigmal erlebt, dass vortreffliche Ärzte an Kranken, die ich von ihnen in Behandlung bekam, das Verfahren so verkehrt aus- geführt hatten, wie nur irgend möglich. Man macht eben immer wieder die alte Erfahrung, dass scheinbar einfache Dinge sehr schwer erlernt werden. Dafür gibt es genug Beispiele. Man denke nur an die Antisepsis. Sehr viele haben es in ihrem Leben nicht gelernt, sich richtig die Hände zu waschen. Berücksichtigt man dabei, dass durchgreifende Neuerungen bei zahlreichen, in Schul- meinungen befangenen Leuten auf prinzipiellen Widerstand stossen und ihnen höchst unsympathisch und unbequem sind, so versteht man viele Misserfolge.

Für eine wirklich erspriessliche Behandlung der akuten ent- zündlichen Krankheit müssen zwei Vorbedingungen erfüllt werden : Einmal müssen wir sie sehr frühzeitig in Behandlung bekom- men, wie ich das an den verschiedensten Stellen dieses Buches schon betont habe. Diese Forderung muss sich durchführen lassen. Wir erziehen das Publikum dazu, sich bei akuter Appendicitis in den ersten 24 Stunden operieren zu lassen, sollte es da der ver- einigten Einwirkung der Ärzte nicht gelingen, es zu erziehen, sich

Behandlung nicht infektiöser Krankheiten mit Hyperämie. 425

bei akuten Entzündungen noch früher zu melden, um sich nicht operieren zu lassen?

Dann muss man sich, da es sich bei unserer Behandlung nicht um eine Schablone handelt, selbst um die Fälle bekümmern oder sie einem Assistenten in die Hände geben, der Lust und Liebe zur Sache und vor allem Erfahrung und Gewissenhaftigkeit besitzt. (Es ist vielfach Mode geworden, die ,, septischen Fälle" dem jüngsten und unerfahrensten Assistenten anzuvertrauen.) Sonst wird man nichts erreichen, als ein an und für sich gutes Verfahren in Ver- ruf zu bringen.

Die Hyperämiebehandlung hat ein merkwürdiges Schicksal gehabt. Zuerst erkannte man die aktive Hyperämie an, die passive wurde totgeschwiegen. Erst seit dem vorletzten Chirurgenkongresse, wo ich das Verfahren der Stauungshyperämie einer grösseren An- zahl von Fachgenossen zeigte, hat man angefangen, sich damit zu beschäftigen, obwohl ich eigentlich damals nur wenig prinzipiell Neues gesagt habe, was ich nicht geraume Zeit vorher schon ausge- sprochen hätte. Nun aber nimmt man sich ihrer mit einem unge- meinen Eifer an. Da liegt die Gefahr nahe, dass man wieder die anderen Formen der Hyperämie gänzlich vernachlässigt. Die Ge- fahr ist um so grösser, als für sehr viele unserer bakteriologisch geschulten Ärzte eigentlich nur noch Infektionskrankheiten ,, inter- essant" sind. Ich möchte aber nicht, dass aus dem weiten allge- meinen System der Hyperämiebehandlung ein einzelnes Kapitel herausgerissen und einseitig gepflegt wird. Die Hyperämie ist eben kein spezialistisches, sondern ein allgemein physiologisches, die Selbstheilung unterstützendes Mittel. Wir sollen lernen, das heilende Blut nach unseren Wünschen je nach Bedarf zu lenken, einmal es abzudämmen, um die Gewebe mit seinen Bestandteilen zu überschwemmen, ein anderes Mal es im lebhaften Strome durch- zujagen, um sie zu reinigen und auszuwaschen.

Behandlung nicht infektiöser Krankheiten mit

Hyperämie.

Bei der Behandlung nicht infektiöser Krankheiten steht im Vordergrunde die aktive Hyperämie, die durch heisse Luft erzeugt wird, wenn man auch viele derselben ebensogut, einige noch besser mit Stauungshyperämie behandelt.

426 Spezieller Teil.

Ich kann mich hier wesentHch kürzer fassen, als bei der Be- handhing der lokalen Infektionskrankheiten, Denn die Heissluft- behandlung ist allgemein anerkannt und bedarf kaum noch der besonderen Empfehlung, ja sie gehört jetzt zu den Modemitteln; es gibt nur wenige Krankheiten, bei denen man sie nicht wenigstens einmal versucht hätte. Ihre Technik ist ferner ganz ausserordent- lich einfach, so dass man ausser bei Gefühlslähmungen bei einiger Aufmerksamkeit kaum einen erheblichen Schaden damit anrichten kann. Ebenso ist die Technik der auch bei nicht infektiösen Krank- heiten häufig mit Nutzen zu verwendenden Stauungshyperämie hier sehr viel einfacher und, was die Hauptsache ist, ungefährlicher. Bei der Behandlung der Infektionskrankheiten dagegen liegen die Ver- hältnisse wesentlich anders. Man hat sich reichlich ein Jahrzehnt lang um die Stauungsbehandlung kaum gekümmert, sie gehörte zu den Behandlungsmethoden, die in den Augen der meisten meiner Fach- genossen ,, selbstverständlich" und ,, natürlich" nichts taugten. Die Nachprüfung von ihrer Seite ergab denn auch, wenn sie überhaupt vorgenommen wurde, ,, natürlich" dementsprechende Resultate, und die Erfolge, über die ich berichtete, waren Phantastereien oder sogar Schwindel. Ich habe deshalb in der theoretischen und prak- tischen Ausarbeitung dieser Methode mit meinen Schülern fast ganz allein dagestanden. Wenn sich nun in letzter Zeit hier auch ein sehr wesentlicher Umschwung bemerkbar macht, so hielt ich es doch für notwendig, alle in Betracht kommenden Einzelheiten der Behandlung mit Stauungshyperämie sehr gründHch auseinander- zusetzen und meine Behauptungen mit ausführlichen Kranken- geschichten zu belegen. Es war dies um so wichtiger, als die Technik der Stauungshyperämie lange nicht so einfach und so schablonenhaft ist, als die der Heissluftbehandlung, und ein Un- wissender und Ungeschickter auf diesem Gebiete nicht nur nichts erreicht, sondern sogar grosses Unheil anrichten kann.

Da alles dieses bei der Behandlung der gleich zu schildernden Leiden nicht in Betracht kommt, glaube ich in der folgenden Dar- stellung fast ganz auf Krankengeschichten verzichten und mich auf die Mitteilung der Tatsachen beschränken zu können, zumal ich der aktiven Hyperämie im allgemeinen Teile einen grossen Platz eingeräumt habe. Auch dies war notwendig, weil man sich über die Wirkung dieses Mittels falsche Vorstellungen und schwer ausrottbare Vorurteile gebildet hatte, so dass ich in seiner theo- retischen Erklärung auch lange Zeit ganz allein gestanden habe.

Behandl. der chron. Versteifungen insbes. der Gelenkversteifungen. 427

Behandlung der chronischen Versteifungen insbesondere der Gelenk Versteifungen.

Sehr überzeugend sind die Erfolge, welche die Behandlung mit Hyperämie, aktiver wie passiver, bei allen möglichen Gelenkver- steifungen, mögen sie nun die Folge von chronischem Gelenk- rheumatismus, Arthritis deformans, von Verletzungen oder akuten, besonders gonorrhoischen Entzündungen sein. In erster Linie ist bei diesen Leiden die aktive durch heisse Luft erzeugte Hyper- ämie am Platze, aber wir werden bei der Besprechung der einzel- nen Krankheiten sehen, dass auch die Stauungshyperämie und unsere Saugapparate hier häufig mit grossem Nutzen angewandt werden 1).

Chronischer Gelenkrheumatismus.

Die günstige Wirkung der heissen Luft auf den chronischen Gelenkrheumatismus ist trotz der, wie wir noch sehen werden, recht bescheidenen Erfolge so allgemein anerkannt, dass es gänzlich überflüssig ist, dafür Belege aus der schon reichlich angeschwollenen Literatur vorzubringen.

Man wendet den Heissluftapparat bei den einzelnen versteiften Gelenken in der Regel 1 Stunde täglich an. Sind sehr viele Ge- lenke erkrankt, so kann man sie natürlich nicht alle lokal mit Hitze behandeln, das würde viel zu angreifend für den Kranken sein. Man wählt die schlimmsten Gelenke aus und behandelt diese. Dabei ist, wie ich schon im allgemeinen Teile erwähnte, von mehreren Beobachtern festgestellt, dass auch die nicht behandelten Gelenke sich gleichzeitig mitbesserten. Die Erklärung für diese Erscheinung habe ich schon gegeben.

Wieviel Gelenke wir bei Rheumatismus täglich mit heisser Luft behandeln dürfen, richtet sich durchaus nach dem Kräfte- zustande. Bei sehr kräftigen an chronischem Rheumatismus aller Gelenke der 4 Glieder erkrankten Personen kann man beispiels-

1) Langemak (Über Jute-Fliess-Verbände. Münchner med. Woch. 1904. Nr. 43) empfiehlt zur Hyperämisierung versteifter Gelenke neuerdings Jute- Fliess-Verbände. Dieselben wurden von Gocht auf d. Kongress d. Deutschen Gesellschaft für orthopädische Chirurgie 1904 sehr gelobt.

428 Spezieller Teil.

weise folgendermassen verfahren: Des Morgens wird jedes Bein in einem Heissluftkasten, der das ganze Glied bis zur Mitte des Oberschenkels einschliesst, je eine halbe Stunde, des Nachmittags jeder Arm bis zum Schultergelenk in einem anderen Kasten in gleicher Weise behandelt. Man wartet ab, ob die nicht be- handelten Hüft-, Schulter- und Wirbelsäulengelenke sich nicht von selbst mitbessern. Ist dies nicht der Fall, so wechselt man ab, man behandelt an einem Tage die genannten Gelenke, wie erwähnt, und am folgenden nimmt man Hüft- und Schultergelenke vor. Für die erkrankte Wirbelsäule benutzt man am besten eine der be- schriebenen Heissluftduschen.

Diese zweistündige Behandlung sehr ausgedehnter Körperteile ist aber in höchstem Masse angreifend für den Rheumatiker, und nur ganz kräftige Naturen halten sie auf die Dauer aus. Ich habe mehrere Leute gesehen , die durch eine so energische Be- handlung in höchstem Grade körperlich heruntergekommen und nervös geworden waren. Man wird sich deshalb in der Regel täglich auf wenige Gelenke beschränken und abwechseln müssen, wenn man es nicht vorzieht, die Heissluftbehandlung mit anderen weniger angreifenden hyperämisierenden Verfahren zu verbinden. Darauf habe ich schon öfter hingewiesen.

Sind nur wenige Gelenke erkrankt oder, was häufiger vor- kommt, nur ein oder wenige Gelenke so hochgradig, dass sie dem Kranken Beschwerden machen, während die übrigen zwar auch nicht gesund, aber doch beschwerdefrei sind, so behandele ich gewöhnlich ein Gelenk täghch 1 Stunde im Heissluftkasten, aber auch hier richte ich mich ganz nach dem Kräftezustande des Kran- ken. Ist er sehr schwächlich, so begnüge ich mich mit einer halb- stündigen Sitzung.

Sobald die Heissluftbehandlung einige Wochen oder Monate dauernd durchgeführt ist, mache ich eine Pause von 1 4 Wochen. Während dieser Zeit werden die kranken Gelenke mit Priess- nitz'schen Umschlägen, die des Nachts getragen werden, behandelt, wenn ich nicht andere, stärker hjrperämisierende Mittel anwende.

Ich ermahne auch hier wieder die Ärzte, die chronischen Rheumatismus behandeln, die Stauungshyperämie nicht zu ver- gessen, die ich schon ebensolange wie die heisse Luft gegen diese Krankheit verwende. Sie gibt besonders bei den akuten Anfällen, denen der chronische Rheumatiker zuweilen ausgesetzt ist, und bei den kleinen Gelenken, besonders bei Ellbogen-, Hand- und

Behandl. der chron. Versteifungen insbes. der Gelenkversteifungen. 429

Fingergelenken sehr häufig weit bessere Resultate, als die Heiss- luftbehandlung. Beim Kniegelenk habe ich wenig Erfolge von der Stauungshyperämie gesehen, hauptsächlich wohl, weil in diesem Gelenke bei Rheumatikern die Hyperämie meist schwer zu erreichen ist. Dagegen sind die Erfolge bei den Fussgelenken wieder besser.

Die Stauungsbinde wird 10 22 Stunden täglich getragen. Ein- oder besser zweimal täglich wird das Ödem durch Massage und Hochlagerung entfernt. Es handelt sich hier weniger um eine kunstgerechte Massage, als um ein einfaches Wegstreichen des Ödems. Ich halte dies für nötig, weil die Stauungshyperämie nur die Versteifungen löst, aber nicht resorbiert. An Hand und Vorder- arm kann man sich vorteilhaft zur Beseitigung des Ödems der Quecksilbermassage nach Hofmeisteri) bedienen. Dabei taucht der Kranke Hand und Vorderarm in langsamem Rhythmus tief in einen mit Quecksilber gefüllten Eisenzylinder. Das Quecksilber übt einen starken und sanften Druck auf das Glied aus und be- seitigt das Ödem sehr schnell. Das Verfahren ist sehr gut und wird, wie mir scheint, viel weniger angewandt, als es verdient. Ich kann H of meist er's günstige Erfahrungen durchaus bestätigen. Übrigens stehe ich nicht an, auch dieses Mittel zu den stark hyperämisierenden zu zählen. Denn durch die plötzliche Be- seitigung des Ödems werden die Gefässe vom Druck entlastet und erweitert, besonders aber macht der starke Druck des Quecksilbers bei jedem tiefen Eintauchen den peripheren Teil des Gliedes vorübergehend blutleer. Dieser Blutleere folgt alsdann jedesmal die reaktive Hj^erämie.

Die Stauungsh3rperämie, die man gegen den chronischen Rheumatismus verwendet, rnuss so stark sein, dass ein deutliches Ödem der Glieder auftritt, sonst nützt sie wenig.

Die Stauungshyperämie hat vor der Heissluftbehandlung den grossen Vorzug, dass sie an den Kräftezustand des Kranken gar keine Anforderungen stellt. Ihre Wirkung fällt beim chronischen Rheumatismus häufig nicht sofort in die Augen, sondern erst nach Wochen. Sie ist deshalb nicht so bestechend wie die Heissluft- behandlung, von der die Kranken häufig schon nach der ersten Sitzung angeben, dass das Glied geschmeidiger und schmerzloser

1) Hofmeister, Ein neues Massageverfahren. Beiträge zur klinischen Chirurgie. 36. Band. 2. Heft. 1902.

430 Spezieller Teil.

ist. Aber es ist vielleicht kein Zufall, dass ich gerade meine besten Dauererfolge beim chronischen Rheumatismus vor- wiegend mit Stauungshyperämie erzielt habe, die mit grosser Konse- quenz jahrelang allerdings immer mit eingeschobenen Pausen fortgesetzt wurde.

Beim schweren chronischen Rheumatismus zahlreicher Gelenke verfahre ich praktisch meist in folgender Weise: Knie-, Hüft- und Schultergelenke werden mit heisser Luft, Ellbogen-, Hand- und Fingergelenke, häufig auch die Fussgelenke mit Stauungshj^erämie und gleichzeitigem, täglich zweimal wiederholtem Wegstreichen des Ödems behandelt. Der Gebrauch der der Hjrperämie unterworfenen Gliedmassen wird dadurch nicht im mindesten beschränkt.

Will man sich von der Besserung der Funktion der mit Stauungshyperämie behandelten Gelenke überzeugen, so muss man natürlich erst das Ödem vollständig abziehen lassen. Denn ödematöse Glieder sind an sich steif und ungelenk.

Auch unsere Saugapparate sind zuweilen mit Nutzen beim chronischen Gelenkrheumatismus zu verwenden, besonders wenn schwere Versteifungen vorliegen. Indessen soll man allzu gewalt- same Bewegungen beim chronischen Gelenkrheumatismus auch in dem milde wirkenden Saugapparat vermeiden; denn die rheuma- tischen Gelenke werden, wie ich verschiedentlich beobachtet habe, durch allzu eingreifende Mobilisierungsversuche gewöhnlich ver- schlimmert.

Ich selbst habe gewaltsame Streckungen und Beugungen der- selben in Narkose niemals vorgenommen, habe aber verschiedene Fälle gesehen, wo dies von anderer Seite geschehen war, und wo die übelsten Verschlimmerungen danach gekommen waren. Ich lege deshalb Gewicht darauf, dass auch die Mobilisierung chronisch rheumatischer Gelenke ausserordentlich schonend und allmählich erfolgt. Auch vor der langen Ruhigstellung derartiger Gelenke möchte ich auf das dringendste warnen. Sie ist gewöhnlich von einer Verschlimmerung und einer verminderten Gebrauchsfähigkeit der Glieder gefolgt. Ich sehe darauf, dass der Rheumatiker wo- möglich nicht vom Gebrauch seiner Glieder und insbesondere vom Gehen abkommt, und versuche deshalb, auch wenn er sehr schwer versteift ist, ihn nach Möglichkeit wieder auf die Beine zu bringen, indem ich ihn zuerst am Gehstuhl, später auf Krücken sich bewegen lasse.

Behandl. der chron. Versteifungen insbes. der Gelenkversteifungen. 4g \

Im Gegensatz zu meinen obenerwähnten Beobachtungen hat Neumanni) empfohlen, zu Ankylosen neigende Gelenke, auch die mit Arthritis deformans behafteten, in Narkose gewaltsam zu bewegen und sie sofort einer hyperämisierenden Be- handlung auszusetzen. Ich gehe wohl nicht fehl, wenn ich an- nehme, dass Neu mann hier zur Arthritis deformans zählt, was ich zum chronischen Gelenkrheumatismus zu rechnen gewohnt bin, dass wir also dieselbe Gelenkversteifung im Auge haben. Neu mann umgibt die gewaltsam bewegten Gelenke sofort, noch während der Kranke sich in Narkose befindet, mit einem Fango -Umschlag, dann mit einem Spirituswickel, der alle paar Stunden gewechselt wird, und schon am Nachmittage des ersten Tages werden die schmerz- haften und geschwollenen Gelenke im Heissluftapparate behandelt. Neben dieser Behandlung werden möglichst bald passive Bewe- gungen vorgenommen. N e u m ann berichtet über sehr gute Erfolge, die er mit diesem Verfahren erzielte. Ich selbst habe keine Er- fahrung darüber.

Ich hätte mich noch kurz über die Erfolge der hyperämi- sierenden Behandlung bei chronischem Gelenkrheumatismus aus- zusprechen.

Mit einer Statistik kann ich leider nicht aufwarten. Ich muss mich deshalb begnügen, den Allgemeineindruck, den ich von dieser Behandlung bekommen habe, kurz mitzuteilen. Ich habe eine sehr reichliche Erfahrung über diese Krankheit, weil ich, ich möchte sagen, das Unglück gehabt habe, in den Ruf eines Spezialisten für die Behandlung des chronischen Gelenkrheumatismus zu kommen, und deshalb vielfach, besonders von Privatpatienten aufgesucht bin, die die allerverschiedensten Behandlungsmethoden ohne Erfolg durchprobiert hatten. Ich muss leider bekennen, dass im allge- meinen auch bei unserer Behandlung die Erfolge höchst massig waren. Ich habe eigentlich nur 3 Fälle von ziemlich schwerem chronischen Rheumatismus gesehen, die annähernd geheilt sind. In der ersten Auflage dieses Buches berichtete ich, dass ich nur eine wirkliche Heilung erlebt hätte. Nach genauer Nachforschung muss ich auch diese Behauptung zurücknehmen. Die Kranke hält sich für vollständig geheilt, nach Auskunft des Arztes aber handelt es

1) Neumann, Das ,,brisenient force" und seine Nachbehandlung mit Thermotherapie. Ärztliche Mitteilungen aus und für Baden. 58. Jahrgang. Nr. 2. 1904.

_j.32 Spezieller Teil.

sich nicht um eine vollständige Heilung im anatomischen Sinne, sondern nur um ein vollständiges Befreitsein von Beschwerden. Die betreffende Dame, die an einem schweren chronischen Rheu- matismus litt, hat durch jalu"elange hyperämisierende Behandlung den vollen Gebrauch ihrer Glieder wieder erlangt. Sie kann z. B. ungehindert Berge steigen, während sie früher nur mit Hilfe von Stöcken sich mühsam fortschleppen konnte. Über 2 ähnhche Re- sultate bei Leuten, die ebenfalls unsere Behandlung jahrelang durchgeführt haben, ist mir neuhch berichtet. Es ist bemerkens- wert, dass diese 3 Patienten sehr schwer erkrankt waren, im jugend- hchen Alter (20 30 Jahren) standen, und dass der Erfolg vor allen Dingen durch Stauungshyperämie erzielt ist.

Trotz der im ganzen jämmerhchen Erfolge scheint aber immer- hin che hjrperämisierende Behandlung von allen noch che beste für den chronischen Gelenkrheumatismus zu sein, und fast regel- mässig ist wenigstens eine bedeutende Besserung des Leidens und besonders der subjektiven Beschwerden zu erzielen. So habe ich denn auch oft gesehen, dass Kranke, denen die Behandlung zu lang- weilig wurde und die sie deshalb abbrachen, später gezwungen wurden, darauf zurückzukommen, weil sie sich überzeugt hatten, dass andere Behandlungsmethoden noch viel weniger leisten.

Arthritis deformans.

Ich will hier nicht darauf eingehen, den Unterschied zwischen chronischem Rheumatismus und Arthritis deformans zu begründen. Ich muss sagen, dass es mir in den meisten Fällen nicht gelingt, beide Krankheiten scharf zu unterscheiden. Ich habe mir redhche Mühe gegeben, mich durch das Studium der Literatur über diese Gelenkerkrankungen zu belehren, bin aber dadurch nicht viel klüger geworden. Es herrscht hier ein unglaubhcher Wirrwarr, und es scheint mir in vielen Fällen Geschmackssache zu sein, was man unter Arthritis deformans und was unter chronischem Gelenkrheumatismus verstehen will. Ich bekomme Fälle von zweifelloser Arthritis deformans selten zu sehen. Ich glaube auch sie mit ähnlichen Erfolgen wie dem chronischen Gelenkrheumatis- mus der hyperämisierenden Behandlung unterworfen zu haben.

Von anderer Seite wird behauptet, dass die Arthritis deformans sich viel weniger für Heissluft- und Stauungsbehandlung eigne als

Behandl. der chron. Versteifungen insbes. der Gelenkversteifungen. 433

der chronische Rheumatismus (H a b s, B um, Laqueur, v. Leyden und Lazarus in ihren schon erwähnten Arbeiten).

Traumatisch versteifte Gelenke.

Viel bessere Heilerfolge als bei den genannten Krankheiten erzielt man bei den traumatisch versteiften Gelenken. Auch sie haben wir besonders der Heissluftbehandlung unterworfen. Die Technik ist genau dieselbe, wie ich sie beim chronischen Gelenk- rheumatismus geschildert habe, nur kann man hier gewöhnlicli, da es sich meist um ein Gelenk und kräftige Personen handelt, mit einer einstündigen Heissluftbehandlung täglich beginnen. Bei dem traumatisch versteiften Gelenk fällt meist sofort besonders die sub- jektive Besserung in die Augen. Die Kranken behaupten, dass sie die Schmerzen schnell verlieren und die Beweglichkeit bedeutend zunimmt.

Auch beim traumatisch versteiften Gelenk kann man mit Vorteil die Stauungsbinde anwenden. Nachdem ich schon früher durch Saugapparate günstige Erfolge dabei erzielt hatte, führte mein früherer Assistent, Stabsarzt Dr. Blecheri), dieselbe Behandlung auch für die traumatischen Gelenkversteifungen ein, die ich für die rheumatischen bereits übte. Ich verweise auch mit Bezug auf die Stauungsbehandlung dieser Leiden auf die beim chronischen Ge- lenkrheumatismus empfohlene völlig gleiche Technik.

Sudeck 2) hat diese Beobachtungen Blecher's bestätigt. Sudeck ist der Ansicht, dass die Versteifungen der Gelenke nach Entzündungen und Verletzungen von der von ihm festgestellten Knochenatrophie, die damit verbunden ist, abhängen, und glaubt, dass die Stauungshyperämie durch Vermehrung der Knochen- neubildung wirke.

Diese Ansicht ist sehr einseitig ; denn unter anderem atrophieren nach jenen Krankheiten auch die Knochen, aber sie leiden durch- aus nicht allein, denn die Weichteile sind auch atrophisch. Nun habe ich schon mehrfach erwähnt, dass bei der hyperämisierenden Behandlung auch die Weichteilatrophie sich bessert. Es ist deshalb

1) Blech er, ÜVjer den Einfluss der künstlichen Blutstauung auf Gelenk- steifigkeiten nach Trauma und längerer Imniobilisation. Deutsehe Zeitselirift für Chirurgie. 60. Band.

2) 1. c.

Bier, Hyperämie als Heilmittel. 28

434 Spezieller Teil.

durchaus willkürlich, hier die Knochenatrophie als die schuldige Ursache, mit deren Verschwinden auch die Versteifung sich bessere, in den Vordergrund zu schieben. Denn ich habe Versteifungen sehr schlimmer Art sich unter hyperämisierender Behandlung bessern sehen, die im Röntgenbilde nicht Atrophie, sondern Hypertrophie des Knochens zeigten, vor allem aber auch Versteifungen, welche offenbar rein die Weichteile betrafen, so bei Sehnen- und Haut- narben, welche durch Panaritien entstanden waren. Ferner habe ich, wie schon erwähnt, knotige Verdickungen der Sehnen infolge von gonorrhoischen Entzündungen unter Hyperämie verschwinden sehen.

Ich lege deshalb nach wie vor grosses Gewicht auch auf die auflösende Wirkung der Hyperämie, welche wir, wie schon erwähnt, mehrfach direkt haben beobachten können. Dass daneben unbe- dingt noch andere Dinge wirksam sind, habe ich nie bezweifelt. So habe ich schon mehrfach erwähnt, dass ich glaube, dass die seröse Durchtränkung und Quellung geschrumpfter Weichteile dabei eine Rolle spielt, und vor allem die grosse mit der Hyperämie verbundene Schmerzlinderung. Sonst wäre es gar nicht zu verstehen, dass steife Gelenke schon, nachdem sie eine Stunde hyperämisiert sind, viel beweglicher sein können. Dass daneben auch die rein passive Ernährung des Knochens eine Rolle spielen kann, will ich nicht bezweifeln. Von allen in Betracht kommenden Dingen ist dies aber am wenigsten bewiesen. Dass Atrophien nach Beseitigung der Krankheitsursache schnell verschwinden, ist nicht wunderbarer, als dass sie durch den Ausbruch der Krankheit mit unglaublicher Schnelligkeit entstehen. Wir kennen aber die Gründe weder für das eine, noch für das andere.

Besonders wirksam sind bei traumatischen Gelenkversteifungen die im allgemeinen Teil beschriebenen orthopädischen Saugappa- rate, und zwar unter ihnen in erster Reihe der technisch am besten ausgebildete Handapparat für Versteifungen der Finger und des Handgelenks. Der Apparat darf bei diesen Leiden sehr energisch angewandt werden, und wir haben mit ihm die besten Erfolge erzielt. Ich verweise auf die im allgemeinen Teil genau beschriebene Technik.

Übrigens ist unsere Behandlung nicht nur bei Versteifungen, sondern auch bei allen möglichen anderen Folgezuständen von Gelenkverletzungen im höchsten Grade wirksam. Ich nenne hier die so ausserordentlich häufigen mannigfaltigen Veränderungen

Behandl. der chron. Versteifungen insbes. der Gelenkversteifungen. 4:35

und Beschwerden, die nach Verletzungen der Gelenke und besonders des Kniegelenkes zurückbleiben, z. B. die so gemeine Gonitis crepi- tans. Ich habe die letztere in einer sehr grossen Anzahl von Fällen zwar nicht geheilt, aber doch so gebessert, dass die Beschwerden vollständig verschwanden oder doch wenigstens sehr erheblich ge- mildert wurden. Ich behandele die Gonitis crepitans in erster Linie mit heisser Luft, in zweiter Linie mit dem hyperämisierenden Saugapparate. Die Behandlung mit der Stauungsbinde hat mir keine besonderen Erfolge gegeben, wie überhaupt das Kniegelenk aus mir nicht recht erkenntlichen Gründen sich für die Behandlung mit Stauungshyperämie am allerwenigsten eignet.

Ich habe noch kurz der ebenfalls recht häufigen Beschwerden, besonders des Kniegelenks, zu erwähnen, die nach Verletzungen zurückbleiben und die ausser einer vielleicht geringen Atrophie keinerlei objektiven Befund bieten. Den eine Unfallrente suchen- den Arbeiter pflegt man in solchen Fällen abzuweisen. Bei Leuten, die kein Interesse daran haben, Beschwerden zu heucheln oder zu übertreiben, behilft man sich mit der Verlegenheitsdiagnose Neurose, Meniskusverletzung oder etwas Ähnlichem. Ich habe gerade in letzter Zeit besonders bei Offizieren, Landwirten und Sports - leuten ausserordentlich häufig solche Fälle gesehen und wage kein Urteil darüber abzugeben, um was es sich hier eigentlich handelt. Glücklicherweise sind diese Fälle meist auch ohne Diagnose mit sehr guten Erfolgen mit hyperämisierenden Mitteln und zwar vor allen Dingen mit heisser Luft und allmählich gesteigertem Gebrauch des kranken Gelenks zu behandeln. Ich lege auf den Gebrauch grosses Gewicht, weil ich der Ansicht bin, dass die Krankheit dieser Leute, die von einem Arzte zum andern laufen, häufig durch die Behandlung unterhalten wird. Überall werden ihnen Ruhe und Schonung, Bettliegen, fixierende Verbände, Kom- pression und Gummistrumpf, zuweilen auch Operationen angeraten. Durch diese Massregeln wird die Schwäche vermehrt und den Leuten das Vertrauen zu ihren Gliedern genommen.

Mit ähnlichen Erfolgen wie bei Versteifungen der Gelenke be- nutzt man auch die hyperämisierende Behandlung bei solchen der Weichteile, vorausgesetzt, dass es sich nicht um alte und starre Narben handelt.

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436 Spezieller Teil.

Gonorrhoische Gelenkversteifungen.

Leider sieht man heutzutage noch sehr häufig die schwersten Versteifungen der Gelenke nach Gonorrhoe. Es kommt dies vor allem daher, dass die Ärzte in frischen Fällen die von mir schon seit 13 Jahren empfohlene hyperämisierende Behandlung, ins- besondere die Stauungshyperämie, nicht anwenden, und dassdies Ver- fahren bis vor kurzem in Lehrbüchern und Abhandlungen besonders auch von solchen Autoren, die den Ruf ganz spezieller Kenntnis dieser Krankheit gemessen, vollständig ignoriert wurde. Es wurde vor allen Dingen die Ruhigstellung dieser Gelenke empfohlen, das sicherste Mittel, um sie zur Versteifung zu bringen. Ich hoffe, dass hier Wandel geschaffen wird, wenn die Ärzte erst einmal gelernt haben, bei akuten Fällen die Stauungshyperämie anzu- wenden, und, wie ich es empfohlen habe, entweder gar nicht oder nur vorübergehend die Gelenke feststellen und statt dessen früh- zeitig Bewegungen mit ihnen vornehmen. Auch bei der gonor- rhoischen Versteifung erzielt man ähnlich wie bei der traumatischen weit bessere Erfolge als bei der durch chronischen Rheumatismus und Arthritis deformans bedingten. Zu verwenden sind alle Formen der Hyperämie, besonders aber die aktive, durch heisse Luft er- zeugte, die, wie ich schon erwähnte, nur bei den akuten und sub- akuten Fällen durch die Stauungshyperämie weit übertroffen wird.

Behandlung der Skoliose.

Hierher gehört auch die von Klapp eingeführte Behandlung der Skoliose mit heisser Luft. Denn schliesshch besteht kein grund- sätzlicher Unterschied zwischen einem versteiften Gelenke und seinen die Knochen und die Weichteile betreffenden Folgezuständen und der Skoliose. Auch bei ihr verlangen wir, dass die angewandte Be- handlung zunächst die Steifigkeit beseitigt. Dies tut nun die Heiss- luftbehandlung der Skoliose in der Tat in hervorragendem Masse, wie uns eine reichliche Erfahrung gelehrt hat. Nicht nur konnten die behandelnden Ärzte objektiv eine grössere Beweglichkeit der Sko- liose feststellen, sondern ganz allgemein gaben die behandelten Kinder an, wenn man sie fragte (ohne etwas in sie hineinzu- examinieren), wie sie sich nach der Heissluftbehandlung befänden.

Behandlving frischer subkutaner Verletzungen. 437

dass sie sich geschmeidiger fühlten. Ich glaube, dass diese Be- handlung bei der Skoliose der Massage nicht nur gleichkommt, sondern sie sogar übertrifft. Es kommt hinzu, dass es bei dem Massenbetrieb in den Kliniken gar nicht möglich ist, die Massage gründlich in jedem einzelnen Falle auszuüben. In der chirurgi- schen Klinik in Bonn werden in der letzten Zeit täglich 60 und mehr Kranke mit Skoliose behandelt. Obwohl dafür ausser dem Auf- sicht führenden Assistenten 2 Turnlehrerinnen und eine Masseuse zur Verfügung stehen, so ist es doch unmöglich, da dasselbe Per- sonal noch für die anderen orthopädischen Fälle gebraucht werden muss, jeden einzelnen Fall genügend und richtig zu massieren, während ja die Turnübungen sich sehr wohl in grösseren Abtei- lungen vornehmen lassen. Ähnlich wird es wohl in anderen Kli- niken sein, wo häufig noch ein geringeres Ärzte- und Gymnasten- personal vorhanden ist. Angeblich wird alles massiert, es kann aber unmögHch gründlich gemacht werden. Unter solchen Um- ständen erscheint es mir wichtig, ein Ersatzmittel zur Verfügung zu haben, welches gestattet, mit sehr geringer Bedienung eine grössere Anzahl Skoliotischer auf einmal zu behandeln.

Da ein verhältnismässig grosser Körperteil der Hitze aus- gesetzt wird, so dauert die Behandlung nur 20 Minuten. Eine längere Ausdehnung würde zu angreifend sein. Unmittelbar nach der Sitzung beginnen die Turnübungen, die in leichten billigen Turnanzügen und in einem geräumigen und gut gelüfteten Saale stattfinden.

Übrigens ist die Heissluftbehandlung hier nur eine Unter- stützung der in erster Linie in Betracht kommenden gymnastischen Übungen.

Behandlung frischer subkutaner Verletzungen.

Ich glaube die Behandlung frischer Verletzungen mit aktiver Hyperämie sie kommt hier hauptsächlich in Betracht am besten an der Hand einiger Knochenbrüche (des Radius und der Malleolen) schildern zu können.

Der frische Radiusbruch wird zunächst, wenn es nötig ist in

_J.;]f^ Spezieller Teil.

Narkose oder unter Schleich'sclier Infiltrations-Anästhesiei), rücksichtslos reponiert. Zeigt das gleich darauf aufgenommene Röntgenbild, dass die Enden noch nicht gut aneinanderstehen, so wird die Reposition so lange fortgesetzt, bis die richtige Stellung erreicht ist. Nach dem Vorgange von F. Petersen wird der Radius- bruch nicht geschient, sondern einfach in eine Mitella gelagert. Die gut reponierten Knochenenden pflegen sich so zu verzahnen, dass ein fester Verband in der Regel unnötig ist. Schon am ersten Tage wird Hand und Vorderarm für eine Stunde in einen Heiss- luftkasten gebracht, und dieses Verfahren täglich wiederholt. Diese Behandlung ist ausserordentlich wirksam. Sie nimmt sehr bald die Schmerzen und gestattet dem Kranken, gleich Bewegungen im Handgelenk und in den Fingergelenken ohne Beschwerden vorzu- nehmen.

Die Malleolenfraktur wird ebenfalls, immer unter Kontrolle des Röntgenbildes, rücksichtslos in Narkose oder unter Rücken- marksanästhesie reponiert, bis die Enden gut aneinander stehen. Dann wird ein Gehgipsverband nach Krause angelegt. Nachdem derselbe 10 Tage gelegen hat, wird er in eine vordere und eine hintere Schale zerschnitten und Fuss und Unterschenkel werden täglich der Heissluftbehandlung unterworfen. Nach 10 Tagen ist die Festigkeit des Bruches schon so weit gediehen, dass eine Ver- schiebung der Knochenenden nicht mehr zu befürchten ist. Im Heissluftkasten werden, falls der Kranke bei der Lagerung auf den gepolsterten Halbschalen unserer Apparate noch Beschwerden emp- findet, was selten der Fall ist, alle Bequemlichkeiten für das ver- letzte Glied angebracht. Während der Behandlung bewegt der Kranke aktiv das Fussgelenk; das schmerzstillende Verfahren er- laubt ihm dies. Nach jeder Sitzung werden die Halbschalen aus Gips wieder angelegt und mit einer Binde festgewickelt.

In gleicher Weise werden Verletzungen der Weichteile, die zu grösseren Blutergüssen führen, mit ausgezeichneten Erfolgen im Heissluftkasten behandelt; vor allem nenne ich hier die frischen Distorsionen der Gelenke.

Die heisse Luft wirkt bei allen diesen Verletzungen wohl haupt- sächlich durch Lösung und schnelle Resorption der Gewebstrüm- mer und besonders der Blutergüsse, die, wie ich schon im allge-

1) Vorausgesetzt, dass man die unmittelbare Umgebung der Knochen und des Periosts gut infiltriert, lässfc sich der Radiusbruch unter Schleich'scher Anästhesie sehr wohl schmerzlos reponieren.

Behandlung frischer subkutaner Verletzungen. 489

meinen Teil auseinandersetzte, bei Epiphysenbrüchen und bei Weichteilverletzungen schädlich sind. Meines Erachtens ist die aktive Hyperämie durch heisse Luft hier ein der Massage minde- stens ebenbürtiges, wahrscheinlich sogar ihr weit überlegenes Mittel. Die erstere hat ferner den Vorzug, dass sie unendlich viel schonender und angenehmer für den Verletzten und technisch viel leichter auszuführen ist als die letztere. Ich empfehle deshalb die Heissluftbehandlung angelegentlichst für derartige Leiden.

Bei Blutergüssen in die Weichteile habe ich auch langdauernde Stauungshyperämie in Verbindung mit Massage, wie mir scheint, mit grossem Vorteile angewandt. Das gestaute Blut löst die Er- güsse, und die Massage bringt sie zur Resorption. Die Heissluft- behandlung schien 7nir aber schon deshalb besser, weil sie viel einfacher ist.

In neuerer Zeit ist die Stauungshyperämie aber von Wessel^) auch gegen alle möglichen frischen subkutanen Verletzungen auf Grund einer ausgedehnten Erfahrung sehr angelegentlich emp- fohlen worden. Wessel erwähnt besonders das sehr schnelle Schwinden des traumatischen Schmerzes, -was auch wir hier, wie bei anderen schmerzhaften Leiden, bestätigen können. Er sah ferner, dass allerlei Blutergüsse, besonders auch solche in die Ge- lenke, sehr schnell resorbiert werden, dass keine Versteifung und keine Muskel- und Knochenatrophien eintreten, wenn er Stauungs- hyperämie anwandte. Er glaubt deshalb, dass das Verfahren das beste Mittel gegen Verletzungen ist, einschliesslich der frischen Frakturen, von denen er eine grössere Anzahl mit vortrefflichem Erfolge behandelte.

Wessel empfiehlt bei grossen Blutergüssen nicht sofort nach der Verletzung die Stauungshyperämie einzuleiten, um nicht die Blutung zu vermehren, sondern vorher einige Tage Kompression anzuwenden.

Schon vor Wessel hatten Momburg und Deutschländer Stauungshyperämie bei frischen Knochenbrüchen angewandt.

Momburg 2) behandelte damit eine grosse Anzahl von

1) Wessel, Om den Bier'ske Stasehyperaemibehandling og dens Anvendelse saerlig ved traumatiske Lidelser. Hospitalstidende 1906.

2) Momburg, Über Stauungshyperämie bei der Behandlung der Fuss- geschwulst. Freie Vereinigung der Chirurgen Berlins, 144. Sitzung vom 9. Juni 1905. Centralblatt für Chirurgie. 1905. Nr. 6, S. 152 und Deutsche militärärzthche Zeitschrift. 1904, Heft 1.

440 Spezieller Teil.

Frakturen und von Periostitis der Metatarsen (sog. Fussgeschwulst der Soldaten). Er kürzte die Behandlungsdauer mit diesem Mittel ganz erheblich ab. Rezidive, die bei der alten Behandlung sehr häufig waren, kamen höchst selten vor.

Deutschländer ^) berichtet über eine Anzahl frischer Frak- turen, die zum Teil zu orthopädischen Zwecken operativ hergestellt waren, die er mit Stauungshyperämie behandelte. Auch er fand, dass dies Mittel die Heilung des Knochenbruches wesentlich ab- kürzt, die Schmerzhaftigkeit herabsetzt, die Callusbildung be- schleunigt und Gelenkversteifungen verhindert.

Diese günstigen Beobachtungen machen weitere Versuche mit Stauungshyperämie bei frischen Verletzungen wünschenswert. Ich selbst habe über die Leistungsfähigkeit dieses Mittels bei frischen Frakturen keine, bei anderen frischen Verletzungen da- gegen reichliche Erfahrung. Ich konnte mich bei letzteren nicht überzeugen, dass die Stauungshyperämie der einfacher anzuwen- denden heissen Luft überlegen sei.

Hyperämie als resorbierendes Mittel.

Es ist in den meisten Fällen schwer zu sagen, welche Eigen- schaft der Hyperämie die Heilung oder Besserung hervorruft. Meist dürfte sie durch verschiedene ihr im allgemeinen Teil zugeschriebene Einflüsse wirken. Bei den folgenden Krankheiten spielt indessen wohl die Steigerung der Resorption die Hauptrolle. Nach den Ausführungen im allgemeinen Teil ist es klar, dass für diesen Zweck der Resorption hauptsächlich die aktive Hyperämie in Betracht kommt.

Behandlung der Ödeme.

Neben den Gelenkversteifungen waren Ödeme des verschieden- sten Ursprungs die Krankheitserscheinungen, bei denen ich zuerst heisse Luft mit Erfolg angewandt habe. Ich machte zuerst die

1) Deutscliländer, Über die Anwendung der Stauungshyperämie bei orthopädischen Operationen. Zeitschrift für ärztliche Fortbildung. 1906. Nr. 9 mid Die Behandlung der Knochenbrüche mit Stauungshyperämie. Zentralblatt für Chirurgie. 1906. Nr. 12.

Hyperämie als resorbierendes Mittel. .\ | |

Beobachtung, dass die durch die Stauungshyperämie künstlich her- vorgerufene ödematöse Schwellung unter gleichzeitiger Heissluft- behandlung schnell verschwand. Vor allem aber benutzte ich die letztere zur Beseitigung der nach frischgeheilten Frakturen ganz regelmässig auftretenden Ödeme. Das Mittel ist hier, wie ich aus reichlicher Erfahrung versichern kann, ganz hervorragend wirksam, viel wirksamer als Massage, Kaltwasserbehandlung, Einwicklungen und orthopädische Mittel. Es beseitigt ferner ganz vortrefflich die nach Frakturen zurückbleibenden subjektiven Beschwerden, die Schmerzhaftigkeit und Steifigkeit der Gelenke, die Schwere und Müdigkeit der Glieder. Ich kann deshalb die Heissluftbehandlung für diese Leiden aufs angelegentlichste empfehlen. Die Technik bietet keinerlei Besonderheiten.

Behandlung von Gelenkergüssen.

Die Heissluftbehandlung hat sich gut bewährt zur Resorption von Gelenkergüssen. Klappt) und Schaffer^) haben über die in der Greif swalder Klinik damit gemachten Erfahrungen, die damals 60 Fälle betrafen, berichtet. Seitdem sind von uns eine ganze Reihe von Gelenkergüssen auf dieselbe Weise behandelt und zwar mit sehr befriedigenden Erfolgen. Wiedmann^) berichtet über eine grössere Anzahl (30) Fälle, die Martin in Cöln behandelte. Hier ergab die Heissluftbehandlung in 80% volle Heilung. Aller- dings gelingt es durchaus nicht immer, den Gelenkerguss zum Ver- schwinden zu bringen oder seine Wiederkehr zu verhüten. Ich halte aber dieses Mittel für eins der besten, das wir besitzen. Sein grosser Vorteil besteht darin, dass das kranke Gelenk nicht fest- gestellt und dem Patienten erlaubt wird, Bewegungen mit demselben auszuführen. Ja wir haben sogar mehrere Fälle von chronischem Kniegelenkshydrops mit Erfolg ambulant behandelt. Das Vermeiden der Feststellung der Gelenke scheint mir insofern einen grossen Vorteil zu bieten, als man häufig sieht, dass Ergüsse, die bei fest- gestellten Gelenken verschwunden waren, sofort wieder auftreten, wenn man den Kranken Bewegungen machen oder aufstehen lässt.

1) Klapp, Die Behandliing von Gelenkergüssen mit heisser Luft. Münch. med. Wochenschr. 1900.

2) Schaffer, derselbe Titel. Inaug.-Diss. Greifswald 1902.

3) Wiedmann, Ein Beitrag zur Lehre von der Behandhuig des trauma- tischen Kniegelenksergusses. Inaug.-Diss. Bonn 1904.

U2

Spezieller Teil.

Ebenso wie wässerige kann man blutige Gelenkergüsse mit gutem Erfolge mit heisser Luft behandeln. Wir sehen auch hier, wie in den meisten Fällen, in denen die hyperämisierende Be- handlung wirksam ist, dass das schnelle Schwinden der Schmerzen und Beschwerden immer das hervorragendste und beste Zeichen ist.

Für die Gelenkergüsse, die durch akute Infektionen hervorge- bracht werden, eignet sich dagegen wieder viel besser die Stauungs- hyperämie. Man sieht darunter oft die prallsten Ergüsse in wenigen Tagen verschwinden.

Behandlung der Elephantiasis.

Ich habe die Heissluftbehandlung bei der Elephantiasis mit sehr wechselnden Erfolgen angewandt. In der ersten Auflage be- richtete ich über folgenden sehr günstig verlaufenden Fall.

86. Eine 28jährige Frau bemerkte vor 18 Jahren, dass am äusseren Knöchel des linken Fusses eine Schwellung auftrat, die sich allmählich vergrösserte und verbreiterte und besonders nach mehreren Geburten schnell zunalim. Am 3. Juli 1900 wurde sie mit einer ungeheuren Elej)hantiasis des ganzen linken Beines und beginnender Elephantiasis des rechten Unter- schenkels aufgenommen. Das linke Bein wairde vom 4. 28. Juli täglich 1 Stunde lang im Heissluf tkasten, der das ganze Glied einschloss, behandelt. Wie stark das Bein gewesen ist und welchen Erfolg die Heissluftbehandlung hatte, geht aus folgenden Messungen hervor:

Der Umfang des Gliedes betrug

am 3. Juli 67,5 cm

Unterhalb der Leistenbeuge Mitte des Oberschenkels . . Oberhalb der Kniescheibe . Unterhalb der Kniescheibe

Mitte der Wade

Knöchel

Lisfranc'sches Gelenk . .

67,0 67,5 53,0 49,5 34,0 28,5

am 28. Juli

Abnahme

56,0 cm

11,5 cm

60,0

7,0

51,0

16,5

42,0

11,0

42,0

7,5

29,5

4,5

25,5

3,0

Während der Behandlung verlor die Frau 9^ Pfund an Gewicht. Das Bein war gegen früher kaum wieder zu erkennen. Die Kranke be- kam einen Heissluftapparat mit nach Hause. Ob und mit welchem Er- folge sie ihn verwandt hat, ist unbekannt.

Ich will indessen nicht verschweigen, dass seitdem zwei weitere Fälle von Elephantiasis behandelt, aber durch die Heissluftbe- handlung nur vorübergehend gebessert wurden. Solange die Kran- ken lagen oder sich nur wenig bewegten, war ihr Erfolg ganz un- verkennbar, sobald sie aber ihren kranken Gliedern grössere An-

Beliaiidlung der Keloido. 44/)

strengungen zumuteten, trat die Schwellung wieder in alter Weise auf. Ich verfüge nicht über Erfahrung genug, um ein endgültiges Urteil über den Wert des Mittels bei der Elephantiasis abgeben zu können.

Auch sonst habe ich die aktive Hyperämie bei den verschieden- sten Krankheiten in Anwendung gezogen, wo eine Resorption von Ödemen und Exsudaten erwünscht erschien. Vor allem benutze ich sie auch, um die Ödeme und Infiltrationen der Haut bei Varicen und Beingeschwüren zu beseitigen. Davon soll in einem der nächsten Kapitel die Rede sein.

Behandlung der Keloide.

Auf Anregung des Herrn Kollegen Thomas in Cöln, der mir mitteilte, dass er bei Keloiden sehr gute Erfahrung mit der Stau- ungshypeTämie gemacht habe, wandten wir auch mehrfach dies Mittel bei Keloiden mit ausgezeichnetem Erfolge an. Da bei unseren Fällen die kranken Stellen am Halse und am Rumpfe sassen, so wurden Saugapparate angewandt. Folgender Fall möge als Bei- spiel dienen.

87. Eine 44jährige Fravi kam im Juni 1906 in die chirurgische Klinik mit der Angabe, sie habe sich am 24. VI. 1905, also vor einem Jahre, bei der Explosion einer Spiritusmaschine ausgedehnte Brandwunden an Gesicht, Hals, Brust und Armen zugezogen.

Es fanden sich an der rechten Halsseite ein 14 cm langes, brandrotes Keloid mit starker Wulstung, weitere 4 5 cm breite bis zu 13 cm lange, bandartige und ebenfalls stark gewulstete und hochgerötete Keloide auf der Aussenseite der rechten Mamma, multiple kleinere Keloide mit dem- selben Charakter auf der Brust- und Rückenseite. Das grösste Keloid fand sich auf der Innenseite des rechten Oberarms mit den Durchmessen;! 14 : 11 cm. Alle Keloide waren sehr schmerzhaft, die Frau fand Tag und Nacht vor Jucken, Brennen und Schmerzen keine Ruhe und war deshalb in ihrem Allgemeinzustand stark hei'untergekommen.

Alle Keloide wurden nun in Saugbehandlung genommen. Es war oft nicht leicht, für die multiplen Keloide entsprechende Gläser zu finden. Wenn die Gläser sassen, sah die Frau wie mit Gläsern gespickt aus.

Schon nach den ersten Sitzungen Hessen die Schmerzen nach, das Jucken xmd Brennen hörte auf und sie fand wieder Ruhe. Allmählich blassten die Keloide ab und verloren an Wulstung.

444 Spezieller Teil.

Am 15. I. 1907, also ein halbes Jahr nach Beginn der Behandhing boten die sämtlichen Keloide ein gänzlich anderes Bild. Sie waren blass, weich und abgeflacht. Die Frau ist dauernd gänzlich frei von Beschwerden.

Einen ganz ähnlichen Fall von Keloid behandelte Wessel^). Aus einer Schnittwunde am Finger entwickelte sich ein bohnen- grosses Keloid. Dies war rotbraun verfärbt und so schmerzhaft, dass die Kranke nachts nicht schlafen konnte. Wessel behandelte das Keloid mit einer Stauungsbinde. Schon nach 2 Tagen waren die Schmerzen, nach 22 Tagen das ganze Keloid verschwunden.

Hierher gehört auch wohl die Beobachtung Heidenhain's^), der aus Wunden, die unter Stauungshyperämie geheilt waren, sehr weiche Narben entstehen sah.

Bei der grossen Hartnäckigkeit der Keloide sind weitere Ver- suche mit Stauungshyperämie sehr wünschenswert.

Behandlung der Tendovaginitis crepitans.

Ich will in dieser Auflage der Tendovaginitis crepitans ein besonderes Kapitel widmen, weil wir in nunmehr 64 Fällen mit hyperämisierender Behandlung Erfolge gehabt haben, die unsere früheren besonders, was die Schnelligkeit der Heilung anlangte, bedeutend übertrafen. Wir haben beide Formen der Hyperämie mit Nutzen angewandt, aktive und passive, glauben aber mit der letzteren bessere und schnellere Erfolge erzielt zu haben. Das Knarren und die Schmerzen verschwinden nach wenigen Tagen, um nicht wiederzukehren.

Die Technik bietet nichts Besonderes. Man kann ruhig, nach- dem man das richtige Liegen der Stauungsbinde festgestellt hat, den Kranken ambulant behandeln, da Gefahren wie bei akuten zur Eiterung führenden Entzündungen hier nicht bestehen. Die gute Wirkung hyperämisierender Behandlung der Tendovaginitis crepitans ist auch von anderer Seite hervorgehoben worden.

1) Wessel, Om den Bier'ske Stasehyperaemibehandling og dens Anven- delse saerlig trauinatiske Lidelser. Hospitalstidende. 1906.

2) Heidenhain, Verhandlungen des 35. Kongresses der Deutschen Ges. für Chirvu-gie I. S. 237.

Behandlung von Hautkrankheiten. Behandlung von Neuralgien usw. 445

Behandlung von Hautkrankheiten.

Der Hautkrankheiten gedenke ich kurz, um zu weiteren Ver- suchen auf diesem Gebiete anzuregen. Ich habe eine Reihe von Hautkrankheiten mit sehr gutem Erfolge mit hyperämisierenden Mitteln behandelt, unter anderen solche, an denen schon hervor- ragende Spezialisten sich vergeblich abgemüht hatten, zum Bei- spiel: zahlreiche akute und chronische Ekzeme. Für die ersteren hat sich die passive, für die letzteren die aktive und passive Hyper- ämie bewährt.

Eine äusserst hartnäckige Akne des Gesichtes, die eine junge Dame sehr entstellte, verschwand nach erfolglosen Versuchen mit Saugapparaten, nach konsequnet angewandter Kopf Stauung.

Eine exotische Nagelkrankheit, die nach sachkundiger An- sicht auf mykotischer Grundlage beruhen sollte und lange ver- geblich behandelt war, besserte sich schnell unter Heissluft- behandlung.

Ritter sah Psoriasisf lecke unter Heissluftbehandlung ver- schwinden.

Colleyi) beobachtete, dass Ekzeme sehr gut unter Stauungs- hyperämie heilten, und glaubt, dass das Mittel auf diesem Ge- biete schöne Erfolge zeitigen werde.

Von spezialistischer Seite hat sich bisher meines Wissens niemand über dies Gebiet geäussert.

Behandlung von Neuralgien und sonstigen Schmerzen durch Hyperämie.

Ich habe an den verschiedensten Stellen dieses Buches aus- führlich auseinandergesetzt, dass von allen Wirkungen, welche die Hyperämie ausübt, die schmerzstillende wohl die sinnfälligste ist. So hat sie sich denn auch bei verschiedenen schmerzhaften Er- krankungen ohne nachweisbare anatomische Veränderungen, besonders bei Neuralgien, wirksam erwiesen. Bei den letz- teren ist die aktive Hyperämie offenbar ein weitaus besseres Mittel als die passive. Ich habe jene, ebenso wie viele andere

1) Colley, Beobachtungen und Betrachtungen über die Behandlung akut- eitriger Prozesse mit Bier'scher Stauungshyperämie. Münchner med. W. 190G. Nr.6.

_J.J.ß Spezieller Teil.

Ärzte, mit Erfolg gebraucht gegen zahlreiche Fälle von Lumbago, Ischias und Trigeminusneuralgie. Lumbago und Ischias behandele ich in der Regel in dem in Figur 4 dargestellten Becken- heissluftkasten, wobei der Kranke auf dem Bauche liegt und ihm der Apparat übergestülpt wird, oder für unbeholfene Kranke den auf S. 37 beschriebenen, von C. Eschbaum hergestellten stuhl - förmigen Apparat. Dass man bei Lumbago auf Becken- und Lendengegend einwirken muss, ist selbstverständlich, aber auch bei Fällen von Ichias hat sich der beschriebene Beckenkasten im all- gemeinen weit wirksamer erwiesen als Apparate, welche das ganze Bein bis an die Hüfte einschliessen.

Trigeminusneuralgie haben wir auf sehr einfache Weise be- handelt. Wir liessen die heisse Luft aus unserem, auf Seite 48 beschriebenen und abgebildeten Apparate gegen die kranke Ge- sichtshälfte strömen. Wer eine elektrische Heissluftdusche nach Frey oder Hahn zur Verfügung hat, wird diese lieber anwenden, weil der Kranke nicht durch die Verbrennungsprodukte des Spiritus und des Gases belästigt wird.

Übrigens lasse ich in der letzten Zeit die Neuralgien des Trigeminus und Ischiadicus hauptsächlich mit der von Frey empfohlenen Heissluftmassage behandeln.

Es ist mir gelungen, noch eine ganze Reihe von Trigeminus- neuralgien, bei denen alle möglichen anderen Mittel erschöpft, und die deshalb der Klinik zur Operation überwiesen waren, allein mit heisser Luft oder der noch wirksameren Heissluftmassage ohne jeden operativen Eingriff zur Heilung zu bringen. Will man durch Hitze allein einen günstigen Erfolg erzielen, so muss man häufig sie sehr energisch einwirken lassen, unter Umständen bis zu einer Verbrennung 1. Grades.

Gegen Trigeminusneuralgie habe ich auch die Stauungshjrper- ämie angewandt, die, wie ich schon beschrieben habe, durch ein am Halse angebrachtes Gummiband hervorgerufen wurde, aber keinen Erfolg damit erzielt. In 2 Fällen, wo die passive Hyper- ämie versagte, führte die aktive noch zum Ziele.

Dagegen haben wir die Stauungshyperämie mit gutem Erfolge gebraucht bei allerlei Arten von Kopfschmerzen, besonders bei anämischen. Sie wirkt aber auch günstig bei Kopfschmerzen aus sonstigen Ursachen, auch wenn sie durch eitrige oder tuberkulöse Meningitis verursacht wurden.

Mich wundert, dass diese Wirkung der Hyperämie nicht

Hyperämisierende Behandl. v. Krankheiten des Zentralnervensystems usw. 44-7

schon mehr ausgenutzt ist. Nur Neu^) hat vor kurzem darüber berichtet. Er sagt: „Bei Kopfschmerzen, nervösen wie anämischen, Hess mich die Stauungshyperämie eigentHch niemals im Stich." Ich muss Neu darin beipf hebten, dass man das Stauungsband bei Kopfschmerzen nicht allzu fest anziehen soll.

Hyperämisierende Behandlung von Krankheiten des Zentrahiervensystems insbesondere des Gehirns.^)

Dieses Kapitel hat wesentlich den Zweck, Psychiater und Neu- rologen anzuregen, Versuche mit der hyperämisierenden Behand- lung von Krankheiten des Zentralnervensystems anzustellen. Ich glaube wohl, dass man auf diesem Gebiete, das wissenschaftlich ebenso interessant, wie arm an wirklichen Heilmitteln ist, vielleicht durch künstliche Hyperämie recht gute Resultate erzielen könnte. Ich habe den Anfang schon vor einer Reihe von Jahren gemacht und verweise auf meine damals veröffentlichte Arbeit 2).

Es fragt sich, welche Form der Hyperämie man bei Gehirn- leiden anwenden soll. Ich glaube, dass bei dem heutigen Stande der Technik am wirksamsten die um den Hals gelegte Gummibinde sein wird. Ob Schmieden's oben beschriebener grosser Saug- apparat hier brauchbar ist, muß die Erfahrung zeigen. Vielleicht sind auch einfache Saugglocken zu verwerten, die man auf das Schädeldach setzt. Den Einwand, dass Saugapparate nicht durch den knöchernen Schädel hindurch auf das Gehirn wirken könnten, lasse ich nicht gelten. Ich wiederhole hier, was ich schon öfter betont habe, dass diese Saugwirkung offenbar bis in grosse Tiefen hyperämisierend wirkt. Immerhin ist das noch reine Versuchs - Sache.

1) Neu, Über die Anwendung künstlich erzeugter Hyperämie des Gehirns bei Geisteslirankheiten. Psychiatrisch-Neurologische Wochenschr. 1906. Nr. 15.

2) Unter den folgenden Krankheiten sind vielleicht auch Infektionskrank- heiten mitbegrif f en ; von der Chorea z. B. wissen wir nicht, ob sie nicht eine In- fektionskrankheit darstellt.

3) Bier, Über den Einfluss künstlich erzeugter Hyperämie des Gehirns und künstlich erzeugten Hirndrucks auf Epilepsie, Chorea vmd gewisse Formen von Kopfschmerzen. Mitteilungen aus den Grenzgebieten. 7. Band. II. u. III. Heft. 1900.

448 Spezieller Teil.

Über aktive Hjrperämie des Gehirns durch Hitze und vor allem durch heisse Luft habe ich keine Erfahrung. Auch das ist noch reine Versuchssache.

Ich habe bisher in erster Linie günstige Erfolge von der Hals- stauung bei der Chorea minor gesehen. Ich behandelte im ganzen 5 Fälle. Bei einigen war der Erfolg unverkennbar. Folgende sind meine beiden am günstigsten verlaufenen Fälle:

88. Ein Tjäliriger Bauernsohn wvirde am 18. April 1899 wegen einer Einpyemfistel in die chirurgische Klinik zu Greifswald aufgenommen. Es war ein blasser, abgemagerter Knabe, der infolge einer Lungenentzündung ein Empyem davongetragen hatte, das auswärts mit Resektion einer Rip2:)e behandelt war. Da die Fistel sich nicht schliessen wollte vmd dauernd eine etwa faustgrosse Höhle bestand, wurden am 3. Mai die 3 die Höhle deckenden Rippenabsclinitte entfernt. Operation und Wundheilung verliefen normal.

Am 16. Mai wurde der Knabe unruhig und appetitlos, am 29. Mai zeigten sich die Erscheinungen der Chorea minor. Der Kranke machte unkoordinierte Bewegungen mit Händen und Füssen und schnitt Grimassen. Der Schlaf blieb gut. In den nächsten Tagen entwickelte sich eine sehr schwere Chorea. Der Befund am 7. Juni lautet: Der Knabe zeigt die äusserste Unruhe. Neben den gewöhnlichen choreatischen Bewegungen wirft er den ganzen Oberkörper hin und her, schleudert die Beine umher und ist gänzlich unfähig ein Glied zu gebrauchen, so dass er ge- füttert werden muss. Auch die Augenmuskeln sind von Krankheit er- griffen. Des Nachts schläft der Knabe kaum und schreit häufig auf. Er muss Tag und Nacht bewacht werden.

Für den Ausbruch der Krankheit Hess sich keine Ursache finden, insonderheit bestand weder ein Gelenkrheumatismus noch ein Herzfehler. Vom 10. bis 15. Juni schlief der Knabe überhaupt nicht mehr. Nur mit der grössten Mülie Hessen sich ihm geringe Speisen einlöffeln. Er war gänzlich unfähig zu sprechen und machte auf Fragen erfolglose Versiiche zu antworten. Es blieb bei einem unverständlichen Lallen. Der Knabe war infolgedessen aufs äusserste verfallen.

Bei diesem Zustande wiuxle dem Knaben am 15. Juni eine Stauungs- binde tun den Hals gelegt, welche er naorgens und nachmittags je 2 Stunden trug. Sie wiu"de sehr gut vertragen und brachte eine starke venöse Hyper- ämie hervor. Danach nahm die Unrulie sichtlich ab, und der Knabe schlief am Tage 2 Stunden. Des Nachts stellte sich dagegen die alte Unruhe wieder ein, und der Knabe schlief nicht.

Seit dem 16. Juni wurde die Stauungsbinde dauernd getragen. Der Kranke schlief danach im Laufe des Tages imd der Nacht mit grossen Unterbrechungen 5% Stunden, die Bewegungen wurden ruhiger, doch war die Sprache noch gänzlich unverständlich.

Das Leiden besserte sich alsdann sehr schnell. Schlaf, Appetit und Sprache kehrten wieder. Am 21. Juni lag der Knabe, wenn er sich un- beobachtet glaubte, fast gänzlich ruhig, antwortete verständlich auf Fragen und konnte seine Hände wieder gebrauchen.

Hyperämisierende Behandl. v. Krankheiten des Zentralnervensystems usw. 449

Seit dem 23. Juni traten choreatische Bewegungen, wenn der Knabe ruhig lag, überhaupt nicht mehr auf. Der Knabe konnte feste Speisen selbständig geniessen, nur Flüssigkeiten vergoss er noch etwas, wenn er sie zum Munde führen wollte. In der Folgezeit trat noch Muskelunruhe avif beim Versuche, Gegenstände zu fassen, und bei seelischen Erregungen (z. B. Verbandwechsel). Seit dem 12. Juli war die Krankheit vollständig erloschen.

Der interne Kollege, den ich damals zu diesem Falle konsultierte, erklärte ihn für sehr schwer und hielt sogar die Prognose qvioad vitam für bedenklich.

89. Ein 12jähriger Knabe machte anfangs November eine schwere Endokarditis durch. Ende November stellten sich leichte choreatische Be- wegungen im Gesicht und im rechten Bein ein, die dauernd zunahmen.

Am 14. I. 1906 kam der Knabe, nachdem er innerliche Kuren ohne Er- folg versucht hatte, in meine Behandlung im hiesigen Johannishospitale. Der Kranke hatte eine avisgesprochene, wesentlich auf die rechte Seite bescliränkte Chorea. Beim Gehen schleuderte und drehte er das rechte Bein vmter starker Streckung nach auswärts und machte dabei lebhafte schleudernde Bewegungen mit dem rechten Arm und der rechten Hand. Mit der rechten Gesichtshälfte schnitt er Grimassen. Ähnlich verhielt er sich beim Liegen im Bett. Nur war hier, wenn plötzlich der Arzt ins Zimmer trat, die Unrulie noch grösser und allgemeiner. Der Knabe schnellte mit dem ganzen Körper in die Höhe, und beim Niederlegen drehte er sich un- geschickt auf die Seite. Er sprach übereilt, etwas abgebrochen, aber deut- lich. Er bietet nebenbei alle Zeichen der Mitralinsufficienz.

Der Knabe konnte nicht gut einschlafen. Der Schlaf war unruhig und tinterbrochen.

Am 14. I. wurde eine Stauungsbinde am Halse angelegt und 22 Stvmden getragen. Sie brachte eine beträchtliche Hyperämie des Kopfes hervor.

Der Kranke schlief sofort viel besser. Die Zuckungen hatten aixi andern Tage an Häiifigkeit und Stärke bedeutend nachgelassen. Die 22 stündige Stauung wurde fortgesetzt. Schon am 18. I. waren die chorea- tischen Bewegungen gänzlich verschwunden. Am 19. I. stand der Knabe auf. Von der Krankheit war keine Spxu* mehr vorhanden. Der Sicher- heit halber wurde die Stauungshyperämie noch fortgesetzt. Vom 19. I. bis 26. I. noch während der Nacht, von da ab bis zxwa 2. II. noch eine Stunde täglich angewandt. Die hartnäckige Chorea, die bisher stets an Stärke zugenommen hatte, heilte also unter Staxumgshyperämie in 3 bis 4 Tagen vollkommen aus.

Ich will aber nicht verschweigen, dass die übrigen 3 Fälle nicht so günstig verliefen. Einer von ihnen scheidet aus, weil nur noch Spuren der Chorea beim Beginn der Behandlung bestanden und ich den Verlauf der Krankheit nicht zu Ende beobachten konnte. Von den beiden übrigen schweren Fällen von Chorea kam der eine 5 Tage nach Ausbruch der Krankheit in Behandlung. Er heilte in 30 weiteren Tagen unter der Behandlung mit Stauungsbinde voll-

Bier, Hyperämie als Heilmittel. 29

450 Spezieller Teil.

kommen aus. Das kann man immerhin noch als einen guten Erfolg bezeichnen, um so mehr als der sofortige beruhigende Einfluss des Mittels sehr überzeugend war. Im letzten Falle dagegen scheint die Stauungshyperämie zu versagen. Es handelt sich um einen Knaben, den ich jetzt schon 5 Wochen mit Stauungshyperämie be- handele, ohne dass er sich weiter gebessert hätte, als nach einfacher Bettruhe auch zu erwarten gewesen wäre. Bei einem Falle von Hun- tington'scher Chorea, den ich seit längerer Zeit behandele, ist die Wirkung zweifelhaft. Die Eltern halten den Knaben für ganz wesentlich gebessert, seine Erzieherin leugnet jeglichen Einfluss. (Briefliche Mitteilung.) Ich behandelte noch folgenden Fall von symptomatischer Chorea, hervorgerufen durch Hirntuberkel, der, wie zu erwarten war, ungünstig verlief.

90. Eine 13jährige Kutscherstochter wurde am 4. April 1900 wegen Tuberkulose des linken Fersenbeines aufgenommen.

Am 14. Mai fiel bei dem Mädchen ein eigentümlich starrer Blick, Ängstlichkeit und Unruhe bei dem Verbandwechsel auf, wobei un- willkürlich der Stuhl abging. Die Nächte vorher war der Schlaf schon un- ruhig. In der Nacht vom 14. zum 15. Mai warf sich die Kranke lebhaft hin und her und schlief wenig. Am 15. Mai zeigte sich eine deutliche auf die linke Ivörperhälfte beschränkte Chorea. Es wurde eine Stauungs- binde am Halse angelegt. Danach gingen die Bewegungen zurück, der Schlaf wurde ruhiger. Seit dem 18. Mai traten Zuckungen nur noch beim Verbandwechsel auf, und der Schlaf war ganz ruhig. Es fiel avif, dass seit dem 7. Mai sich Temperatursteigerungen einstellten.

Seit dem 21. Mai fingen die choreatischen Bewegungen wieder an. Die Temperatur stieg höher und bewegte sich zwischen 38° und 39°. Die Kranke verfiel schnell und starb am 13. Juni. Die Sektion ergab: Tuberkulose des linken Fersenbeines, der Liuigen und des Darmes (die beiden letzten ohne alle Erscheinungen verlaufen) und zahlreiche Tuberkel des Gehii'ns.

Alles in allem glaube ich, dass unsere Erfolge bei der Chorea immerhin derartige sind, dass man zu weiteren Versuchen auf diesem Gebiete raten kann.

Auch gegen Epilepsie habe ich die Kopf Stauung in 11 Fällen verwandt. Ich habe in meiner oben erwähnten Abhandlung schon 10 Fälle beschrieben, konnte aber nur über vorübergehende nicht sehr bedeutende Besserungen in einigen Fällen berichten. Neuer- dings aber habe ich einen elften Fall behandelt, der eine so ent- schiedene Besserung zeigt, dass er mich ermuntert hat, neue Ver- suche anzustellen, von denen ich mir allerdings nicht allzuviel ver- spreche. Immerhin sind auch geringe und vorübergehende Besse- rungen bei einer so trostlosen Krankheit auch schon etwas wert.

Hyperämisierende Behancll. v. Krankheiten des Zentralnervensystems usw. 45]^

91. Ein 55 jähriger Architekt, der aus gesunder Familie stammt, er- litt die verschiedensten Kopfverletzungen. In seinem Gewerbe wurde er mehrmals durch herabstürzende Ziegelsteine oberflächlich am behaarten Kopfe verwundet. Einmal erhielt er einen heftigen Stockschlag über den Kopf. Im Jahre 1890 wiui-de er aus nächster Nähe mit einem Revolver in die rechte Jochbeingegend geschossen. Die Kugel wurde nicht entfernt. Die Wunde heilte schnell. 1 1^2 Jahre später traten, zunächst nächtlich, epileptische Krämpfe auf. Der Kranke stiess einen Schrei aus, hatte Schaum vor dem Munde, knirschte mit den Zähnen, wurde bewusstlos und verletzte sich öfters. Die KrämjDfe kamen plötzlich und hatten tonischen Charakter. Beginn derselben an einem bestimmten Körperteile wurde nie beobachtet. Ausserdem litt der Kranke an sehr zahlreichen Schwindelanfällen. So zog sich die Krankheit mit geringen Schwankvmgen hin, bis seit 6 Monaten sich das Leiden entschieden verschlimmerte. Die Schwindel- und Krampf- anfälle vermehrten sich, imd der Mann fiel häufig auf der Strasse hin. Er wurde sehr vergesslich, vernachlässigte sein Geschäft, machte Tagesausflüge, von denen er nachher nichts mehr v^usste, war abwechselnd sehr unrvihig und schlafsüchtig und hatte fast ständig Kopfschmerzen.

Am 16. I. 1906 wLU-de er in das hiesige Johannishospital aufgenom- iTien. Er ist ein hagerer, bis auf sein Kopfleiden gesunder Mann. Der behaarte Kopf ist mit mehreren Hautnarben bedeckt, die nichts Besonderes bieten. Vom Einschuss vor dem rechten Ohre ist kaum etwas zu sehen. Am Zu.ngenrande befinden sich Narben. Das llöntgenbild zeigt, dass die Kugel dicht unterhalb der Schädelkapsel unmittelbar vor der Wirbelsäule liegt. Einige Splitter des Geschosses sitzen näher der Oberfläche. Die Untersuchung des Nervensystems ergab nichts Nennenswertes.

Am 17. I. hatte der Kranke mehrere Schwindelanfälle nach einer un- ruhigen Nacht. In der darauffolgenden Nacht ebenfalls mehrere Schwindel- und einen Krampfanfall.

Da das Geschoss für eine operative Entfernung sehr ungünstig sass, so wurde von einem blutigen Eingriffe abgesehen, zumal derselbe, selbst wenn er technisch gut gelungen wäre, wohl kavim an dem Leiden etwas geändert hätte. Ich legte dem Kranken deshalb am Abend des 19. I. zu- nächst probeweise für 3 Stunden eine stauende Halsbinde an. Der Kranke hatte eine ruhige Nacht. Vom 20. I. ab bis zum 28. L, dem Tage der Entlassung, wau'de die Stauungsbinde 8 10 Stunden täglich getragen. Der Kranke hatte in der ganzen Zeit weder Krampfanfälle noch Kojjfschmerzen, an 5 Tagen keinen, an 3 Tagen je einen und an einem Tage 2 leichte Schwindelanfälle.

Wer sich näher für die Beobachtungen interessiert, die ich bei Anwendung der Kopfstauung bei Epilepsie machte, möge sie in meiner erwähnten Arbeit in den ,, Grenzgebieten" nachlesen. Von Psychiatern hat Neu^) diese Versuche nachgeprüft, aber

1) Neu, Über die Anwendung künstlich erzeugter venöser Hyperämie des Gehirns bei Geisteskrankheiten. Psychiatrisch-Neurologische Wochenschr. 1906. Nr. 15 und Die Zirkulations- und Druckverhältnisse im Gehirn nach Einleitung- künstlich erzetigter Hyperämie des Kopfes. Neurologisches Centralblatt 1907.

29*

452 Spezieller Teil.

ebenso wie ich weder Besserungen von Bedeutung noch VerschUm- merungen dabei gesehen.

Ich bin aber der Ansicht, dass es auch sonst in psychiatrischen KKniken noch Fälle genug gibt, bei denen man mit Aussicht auf Erfolg das hyperämisierende Verfahren versuchen könnte. Ich denke hier in erster Linie einerseits an Zustände von nervöser und geistiger Aufregung jeder Art und andererseits an Melancholie. Im wesentlichen wird es sich ja hier nur um eine günstige sympto- matische Beeinflussung handeln können, da eine wirkliche Heilung so tief in der Konstitution des Kranken liegender Fehler, wie sie die gemeine Epilepsie und gewisse Formen der Melancholie dar- stellen, wohl kaum zu hoffen ist. Ich habe vor 7 Jahren vergeblich versucht, mir bekannte Psychiater für solche Versuche mit Kopf- stauung zu interessieren. Allerdings begegnete man damals noch der Stauungshyperämie und besonders der des Kopfes fast all- gemein mit grossem Misstrauen oder mit offenbarem Hohne. Neu hat sich seit kurzem der Sache angenommen. Er be- stätigt, wie schon erwähnt, meine Beobachtungen über die hervor- ragende Besserung von Kopfschmerzen durch die Stauungsbinde.

Auch melancholische Zustände schienen Neu eine Besserung durch Stauung zu erfahren, dagegen sah er keinen Erfolg bei ma- nischen und depressiven Zuständen.

Die Psychiater erinnere ich daran, dass sie unbewusst bei dem früher vielfach verbreiteten ,, ableitenden Verfahren" bei zahlreichen Hirnkrankheiten Hyperämie angewandt haben. Besonders gilt dies von der sehr energischen Ätzung der Kopfhaut mit Tartarus stibia- tus-Salbe, ein Verfahren, das man wegen seiner Roheit (häufig wurde dabei der Knochen nekrotisch) fast gänzlich verlassen hat. Wahrscheinlich erreicht die unschädlichere Stauungsbinde den- selben Zweck nicht nur einfacher, sondern auch viel wirksamer.

Von verschiedenen Seiten sind hyperämisierende Verfahren gegen die Seekrankheit versucht worden. Schon vor mehreren Jahren erzählte mir ein Kollege, dass er die Kopf Stauung dagegen mit Erfolg angewandt habe. In neuerer Zeit habe ich dasselbe von einem amerikanischen Arzte gehört. Durch die Presse ging vor einiger Zeit die Nachricht, dass der Reisende Eugen Wolff heisse Kopfkompressen gegen die Seekrankheit verwandt hat. Ein kom- plizierter, auf demselben Prinzip beruhender elektrisch angeheizter Apparat wird von dem Kunstmaler Kappmeier aus Capri empfohlen.

Hyperämisierende Behandl. v. Krankheiten des Zentralnervensystems usw. 45.']

Ich selbst habe kein Urteil über die Wirksamkeit dieser Mittel bei Seekrankheit.

Auch das Rückenmark zu hyperämisieren dürfte nicht un- möglich sein. Höchst wahrscheinlich wird die aktive Hyperämie durch auf die Aussenf lache des Rückens angebrachte Wärmemittel, die ja bei Krankheiten der Wirbellsäule, wie mich zahlreiche Er- fahrungen gelehrt haben, bis zur Tiefe der Wirbelkörper dringt, auch das Rückenmark mitbetreffen.

Dasselbe dürfte für die passive Hyperämie der Saugapparate gelten. Wenigstens habe ich sie vor einer Reihe von Jahren mit ganz augenscheinlichem Erfolge gegen schmerzhafte Spondyliten angewandt. Neuerdings habe ich diese Versuche mit besseren Apparaten und gleichen Resultaten wieder aufgenommen. Die Kranken versichern übereinstimmend, dass die Schmerzen sofort nach der Anwendung der Apparate gemildert oder verschwunden sind. Wahrscheinlich werden sie also auch auf das Rückenmark einwirken.

Zweifellos schaffen wir eine vorübergehende Hyperämie des Rückenmarks und wohl auch des Gehirns durch die Quincke'sche Lumbalpunktion, wenn wir grosse Mengen Flüssigkeiten ablassen, in demselben Sinne, wie die Entleerung eines Ascites Hyperämie der Bauchorgane, die des pleuritischen Exsudates Hyperämie der Pleura und der Lungen hervorruft.

Die Stauungshyperämie des Kopfes durch ein um den Hals gelegtes Gummiband wirkt offenbar sehr stark auf die Saftströmung im Rückenmark und in seiner Umgebung (Liquor cerebrospinalis) ein. Wie ich in der erwähnten Arbeit in den Grenzgebieten be- schrieben habe, erzeugt die Kopfstauung eine dauernde Vermeh- rung des Stromes des Liquor cerebralis nach dem Rückenmark hin und führt dort zu einer dauernden Druckerhöhung.

Alle diese Dinge bedürfen noch der genaueren Untersuchung.

Wahrscheinlich hat man in früheren Zeiten auch schon das Rückenmark durch die beliebten ,, ableitenden" Mittel, Ferrum candens, Fontanellen, Haarseile, die man in der Gegend der Wirbelsäule anbrachte, unbewusst hyperämisiert.

In erster Linie käme eine hyperämisierende Behandlung des Rückenmarks in Betracht bei der ganz frischen Poliomyelitis acuta.

454 Spezieller Teil.

Anwendung heisser Luft bei Gefässkrankheiten.

Ein alter Streit dreht sich darum, ob die Erweiterung der Ge- fässe, welche nach künsthcher Blutleere, Hitze und ähnlichen Ein- wirkungen vorkommt, als Lähmung oder Erregung der Gefässnerven bzw. der Gefässe zu deuten sei.

Für die reaktive Hyperämie nach künstlicher Blutleere, wo die erstere Auffassung ganz unbestritten galt, glaube ich über- zeugend nachgewiesen zu haben, dass es sich dort keineswegs um eine Lähmung handelt. Aus Analogie schliesse ich, dass es sich nach der Wärmeeinwirkung, solange keine Verbrennung vorliegt, geradeso verhält. Ist aber diese Erweiterung durch Hitze ein aktiver Vorgang, so haben wir ein Mittel in der Hand, ähnlich wie durch starke Kälteeinwirkung, einen mächtigen Reiz auf die Ge- fässe auszuüben.

Dies geschieht ja auch schon lange bei einer Menge von hydrotherapeutischen Behandlungen. Ich glaube aber, dass auch auf diesem Gebiete die Einwirkung sehr heisser Luft das weitaus wirksamste Mittel ist. So sah ich darunter häufig bei Zirkulations- störungen nach Frakturen nicht nur das Ödem, sondern auch die Blaufärbung der Haut viel schneller schwinden, als nach irgend einem anderen Mittel. Aus diesem Grunde habe ich die heisse Luft besonders gebraucht zur

Behandlung der Varicen und ihrer Folgezustände.

Mir scheint, dass die Varicen an sich durch lange Zeit fort- gesetzte Heissluftbehandlung verkleinert und gebessert werden. Vor allem aber ist das Verfahren angezeigt bei den unangenehmen Folge - zuständen der Varicen, z. B. der Thrombose.

Ganz frische Thrombosen habe ich niemals mit heisser Luft behandelt, ich wartete einige Zeit ab, bis die sie begleitenden Ent- zündungserscheinungen abgeklungen waren und die Thrombose nicht weiter fortschritt, oder gar schon in der Rückbildung begriffen war. Dann wandte ich für 1 Stunde täglich die Heissluftbehand- lung an.

Dagegen widerrate ich dringend, dieses Mittel bei Throm- bosen tieferer Venen, z. B. der Vena femoralis, vor Ablauf von 6 Monaten nach Eintritt der Gerinnung anzuwenden. Ich erlebte es, dass ein Mann, der mehrere Monate vorher an Thrombose der

Anwendung heisser Luft bei Gefässkranklieiten. 455

Vena femoralis erkrankt war, schon längst wieder herumging und nur an Ödem und Blaufärbung des betreffenden Gliedes litt, unter Heissluftbehandlung eine Embolie der Arteria pulmonalis bekam und plötzlich verstarb.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass die mächtige Blutzirkulation, die die Heissluftbehandlung verursacht, den schon festen Thrombus wieder erweicht und losgerissen hat. Bei den oberflächlichen Haut- venen aber ist die Gefahr der Embolie, wie schon andere Er- fahrungen gezeigt haben, ausserordentlich gering. Deshalb habe ich mich auch nie gescheut, bei dieser Krankheit entstehende Thromben durch die aktive Hyperämie zur Lösung und zur Resorption zu bringen. Bei älteren Thrombosen der Vena femoralis ist dagegen die Heissluftbehandlung ein ganz vortreffliches Mittel. Ich habe eine ganze Reihe schwerer Fälle damit schnell und nachhaltig gebessert.

Neben den Thromben sind es die Infiltrationen und vor allem die Ödeme der Haut, die durch die Heissluftbehandlung meist sehr schnell vertrieben werden. Ich kann auf Grund einer sehr reichen Erfahrung deshalb das Verfahren für Varicen und ihre Folge - zustände angelegentlich empfehlen. Ich habe besonders in der Privatpraxis Leuten wieder zum ungehinderten Gebrauch ihrer Beine verholfen, die jahrelang invalide waren. Gleichzeitig be- stehende Geschwüre sind kein Grund gegen diese Behandlung.

Dieselben Erfolge erzielte ich bei einer eigentümlichen und unangenehmen Gefässkrankheit der Beine, die ich in Pommern häufig sah, die zu Beingeschwüren und zu Ekzemen führt, und die man zu den varikösen Erkrankungen zählt. Zwar finden sich die grossen Venen dabei nur wenig erweitert, aber beim Stehen tritt sofort eine starke Blaufärbung und venöse Stauung in der Haut der Unterschenkel auf, die zu all den bekannten Erscheinungen führt, die schwere Varicen nach sich ziehen.

Wahrscheinhch handelt es sich hier um eine Erkrankung der kleinen Venen und wahrscheinlich sogar der Kapillaren.

Auch in diesen hartnäckigen Fällen hat uns die heisse Luft ausgezeichnete Dienste getan.

Behandlung drohender oder ausgesprochener seniler und diabetischer Gangrän.

In mehreren Fällen habe ich diabetische und arteriosklerotische Gefässkrankheiten des Fusses und des Unterschenkels, die zu Brand des Gliedes zu führen drohten, d. h. sich kalt anfühlten.

4-56 Spezieller Teil.

blau gefärbt und ödematös geschwollen waren und hier und da schon verdächtige schwarze Flecken zeigten, mit heisser Luft be- handelt und ganz regelmässig einen bedeutenden Rückgang der be- drohlichen Erscheinungen gesehen, so dass die befallenen Glieder wieder gebrauchsfähig wurden. Natürlich muss man hier die äusserste Vorsicht walten lassen, um bei der darnieder liegenden Zirkulation keine Verbrennungen zu erzeugen. Die Gefahr ist um so grösser, als die Sensibilität der Haut bei den in Rede stehenden Krankheiten gewöhnlich aufs äusserste herabgesetzt ist. Ich habe immer mit sehr geringen Hitzegraden angefangen und bin nicht über 90 Grad gestiegen. Hatte der Kranke die geringsten Un- bequemlichkeiten, so wurde die Temperatur sofort herabgesetzt. Auch soll man in diesen Fällen die Heissluftbehandlung nur dann anwenden, wenn man sie entweder selbst überwacht, oder ein sehr zuverlässiges Personal zur Verfügung hat. Intelligente Kranke finden allerdings den Hitzegrad, den sie ertragen können, sehr bald selbst heraus, so dass man ihnen die weitere Behandlung über- lassen kann. Niemals soll man auch in solchen Fällen verabsäumen, sich von der Sensibilität der Haut zu überzeugen. Ist sie er- heblich herabgesetzt, so soll man vorsichtig mit ganz kurzen Sitzungen (von 10 Minuten) beginnen und erst allmählich bis zu einer Stunde steigen.

Merkwürdigerweise macht man bei diesen schweren Gefäss- erkrankungen die Erfahrung, dass die heisse Luft, trotz der sehr behinderten Zirkulation, Schweissabsonderung und der Farbe nach zu urteilen, eine hochgradige arterielle Hyperämie hervorbringt.

Ich glaube, dass bei den in Rede stehenden Krankheiten die Hyperämie auf zwei verschiedene Weisen wirkt. Einmal löst wahr- scheinlich der lebhafte Blutstrom die krankhaften Wucherungen der Intima und bringt sie zur Resorption, dann aber werden die Gefässe durch den heftigen Reiz der grossen Hitze in hervor- ragender Weise geübt.

Jedenfalls scheint mir die heisse Luft eins der vornehmsten Mittel zu sein, krankhafte und versagende Gefässe zu üben (eine Art Gymnastik der Gefässe). Man braucht dabei nicht lediglich an die Arterien und Venen zu denken. Ich glaube, in meiner mehr- fach erwähnten Arbeit über die Entstehung des Kollateralkreislaufs nachgewiesen zu haben, dass bei der Hyperämie, die durch Er- weiterung der Gefässe entsteht, die Kapillaren ganz hervorragend beteiligt sind.

Anwendung heisser Luft bei Gefässkrankheiten. 457

Ich bin überhaupt der Ansicht, dass Kapillarerkrankungen viel häufiger sind und eine viel grössere Rolle spielen, als man denkt. Wir kennen Endothelerkrankungen im Herzen, in den Arterien und in den Venen. Da aber das Gefässendothel ein einziges zu- sammenhängendes Rohr bildet, das in den Kapillaren am ausge- dehntesten ist und dort auch, weil die eigentliche Arbeit des Blutes erst in den Kapillaren beginnt, am meisten angestrengt wird, so ist es eine einfache Forderung der Logik, anzunehmen, dass auch dieser Teil des Endothelrohres von Krankheiten ergriffen wird. Ich könnte mit Beobachtungen aufwarten, die solche Erkrankungen sehr wahrscheinHch machen, will es aber unterlassen, weil es nicht zu unserem Thema gehört.

Übrigens habe ich einen Fall von schon entwickelter und zwei von diabetischer Gangrän mit der Stauungsbinde behandelt. Einer von den letzteren litt an einer fortschreitenden Phlegmone, aus- gehend von Sehnen- und Knochennekrosen am Fuss; er starb im Coma diabeticum, bevor man ein Urteil über die Wirkung des Mittels fällen konnte. Die beiden übrigen Fälle verliefen günstig. Die unbedeutende Gangrän, die einmal eine kleine Zehe, ein- mal die Haut der Ferse betraf, demarkierte sich schnell. Einen Schaden habe ich nicht von dem Mittel gesehen. Wie ich schon bemerkte, warnen dagegen Colleyi) und Habs 2) vor der An- wendung der Stauungsbinde bei Diabetikern. Co Hey behandelte zwei schwere Diabetiker wegen Gangrän mit der Stauungsbinde. Bei dem einen erzeugte der geringste Bindendruck Gangrän der Haut, der andere vertrug zwar leidlich die Binde, aber die peri- phere Hautgangrän vergrösserte sich rapide.

Habs sah eine eben beginnende diabetische Gangrän, die er mit Stauungshyperämie behandelte, einen foudroyanten Verlauf nehmen.

Dagegen berichten Körte^) und Rubritius^) über günstige

1) Colley, Beobachtungen und Betrachtungen über die Behandlung akut- eitriger Prozesse mit Bier'scher Stauungshyperämie. Münchner med. Wochenschr. 190G. Nr. 6.

2) Habs, Verhandltmgen des 35. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie L S. 220.

3) Verhandlungen des 35. Kongresses der Deutschen Ges. für Chirurgie I. S. 221.

4) Rubritius, Die Behandlung akuter Entzündungen mit Stauungshyper- ämie. Beiträge zior klinischen Chirurgie. 48. Band, 2. Heft.

^58 Spezieller Teil.

Erfolge, die sie mit der Stauungsbinde bei diabetischer Gangrän erzielten.

Wie man sieht, sind also die Ansichten auf diesem Gebiete noch sehr widersprechend. Da aber Ärzte, die das Stauungs- verfahren sehr gut beherrschen, so schlechte Erfahrungen damit gemacht haben, ist mindestens die grösste Vorsicht notwendig; man sollte die Stauungsbinde bei solchen Versuchen höchstens stundenweise anwenden und muss oft mit der Schnürstelle wechseln.

Wie es scheint, sind dagegen nachteilige Wirkungen der Stau- ungsbinde bei der senilen Gangrän bisher nicht beobachtet worden. Habs teilt mit, dass er bei vielen an Arteriosklerose leidenden Menschen Stauungshyperämie anwendete, ohne einen Nachteil davon zu sehen, und dass bei 4 Fällen von Altersgangrän, die er mit der Stauungsbinde behandelte, die Gangrän nicht weiter f ort- schritt, sondern sich demarkierte.

Auch Fromm eri) erzielte bei 4 Fällen seniler Gangrän gute Erfolge mit Stauungshyperämie. Er fand, dass unter dieser Be- handlung sehr schnell die Schmerzen schwanden, die Bewegungs- fähigkeit der Glieder wieder eintrat, die Geschwüre sich reinigten und nekrotische Teile sich abstiessen.

Behandlung der Erfrierungen.

Ritter 2) hat gegen Erfrierungen die heisse Luft empfohlen. Nach seiner Ansicht ist die nach Kälteeinwirkung auftretende Hyperämie nicht etwas Schädliches, sondern sie unterstützt im Gegenteil die Regeneration der durch die Kälte geschädigten Zellen. Denn bei jeder Erfrierung, auch der 1. Grades, tritt, wie die Epidermisabschilferung zeigt, und wie ausserdem durch mikro-

1) Frommer, Über die Bier'sche Stauung mit besonderer Berücksich- tigung der postoperativen Behandlung und der Altersgangrän. Wiener klin. Wochenschr. 1906. Nr. 8.

2) Ritter, Die Behandlung der Erfrierungen. Deutsche - Zeitschrift für Chirurgie. Bd. 58, und: Weitere Erfahrungen über die Behandlung der Er- frierungen mit künstlicher Hyperämie. Corresponclenzblatt des Ärzte-Vereins des Reg. -Bez. Stralsund, und:

Hanusa, Über die Behandlung lokaler Erfrierungen mit passiver und aktiver Hyperämie.

Behaiidlung der Ei-frierungeii. 45V)

skopisclie Beobachtungen festgestellt ist, eine Schädigung und eine gewisse Nekrose der Zellen ein. Ritter erzielte die besten Erfolge mit heisser Luft. Dieselbe beseitigt bald die bekannten, unangenehmen subjektiven Erscheinungen der Erfrierung, beson- ders das Jucken, und bringt Frostbeulen und Geschwüre, ebenso wie die Blaufärbung der erkrankten Glieder in kurzer Zeit zur Heilung.

Man könnte wegen der Beseitigung der Blaufärbung versucht sein, die Wirkungen heisser Luft im Sinne der im vorigen Kaj)itel behandelten Gefässübung zu erklären. Aber Ritter wies nach, dass auch die passive, durch eine Stauungsbinde erzeugte Hyper- ämie ebenfalls sehr wohltätig auf die Heilung der Erfrierung ein- wirkt. Es dürfte also Ritter's Ansicht zutreffend sein, dass es sich hier mehr um eine Beförderung der Regeneration der durch die Kälte geschädigten Zellen handelt.

Ritter machte seine ersten Versuche in der damals unter meiner Leitung stehenden Greif swalder chirurgischen Klinik. Ich habe mich selbst von seinen ausgezeichneten Erfolgen überzeugt und kann die vortreffliche Wirkung der heissen Luft auf Er- frierungen aus späterer eigener Erfahrung nur bestätigen.

Die Technik der Heissluftbehandlung bei Erfrierungen bietet nichts Besonderes.

Die Heissluftbehandlung hat eine sehr grosse Verbreitung ge- wonnen. Ausser bei den genannten den Chirurgen in erster Linie angehenden Krankheiten hat man sie z. B. angewandt bei gynä- kologischen Leiden (para- und perimetritischen Exsudaten, an- deren chronischen Entzündungen, Bauchdeckenfisteln), bei Haut-, Augen-, Ohren-, Nasen- und inneren Krankheiten. Es würde zu weit führen, dies alles aufzuzählen, zumal mir naturgemäss auf diesen Gebieten die nötige Erfahrung fehlt. Ich kann aber zu meiner Befriedigung feststellen, dass man fast ausnahmslos die von mir im allgemeinen Teile der heissen Luft zugeschriebenen und ursprünglich im wesentlichen an chirurgischen Leiden be- obachteten Wirkungen vollauf bestätigt hat.

Ich habe noch lange nicht alle Leiden aufgeführt, gegen die wir selbst heisse Luft verwandt haben (z. B. die Behandlung der kontrakten Plattfüsse). Um aber ein Beispiel davon zu geben,

460 Spezieller Teil.

in welcher Vielseitigkeit unser Mittel zu verwenden ist, führe ich die Anzahl der in einem Monate in den mir unterstellten Krankenhäusern verabreichten Heissluftbäder und Heissluft- duschen an:

Sie betrugen in der chirurgischen Klinik und Poliklinik 850 und im Johannishospital 271, d. h. also in einem Monate über 1100.

Weitaus die meisten Heissluftbäder wurden ambulant ver- abreicht. Aus dem bedeutenden uns zuströmenden Kranken- materiale geht wohl am besten die grosse Popularität und daraus wieder die Wirksamkeit des Verfahrens hervor.

Vor allem aber ist es durch dieses Heilverfahren dem prak- tischen Arzt ermöglicht, eine grosse Anzahl von Leiden, die er früher den mediko-mechanischen Instituten zuwies, oder deren Träger aus eigenem Antriebe den Spezialisten aufsuchten, selbst zu behandeln. Denn, wie gesagt, die Technik der Heissluft- behandlung und der dazu gehörige Apparat ist ungemein einfach, und was spezialistischer Eifer daran kompliziert hat, ist, wenn nicht überflüssig, doch mindestens unwesentlich. Aus diesem Grunde glaube ich auch, dass trotz aller Vervollkommnungen die nach dem Prinzipe meiner ursprünglichen Kästen hergestellten ein- fachen Apparate sobald nicht aus der Praxis verschwinden werden.

Schluss.

Ich hoffe, dass es mir gelungen ist, die Grundzüge einer Lehre von der Wirkung und Anwendung der Hj^erämie zu entwerfen, welche so gut wissenschaftlich begründet ist, wie irgend eine andere unserer modernen Heilmethoden, und welche den Vorzug hat, dass sie einfach und logisch ist. Mir scheint, dass es auch genügend ausgereifte Ansichten und Beobachtungen sind, welche ich vorge- bracht habe; denn ich beschäftige mich mit diesen Dingen seit nunmehr 15 Jahren und habe eine sehr grosse Anzahl von Krank- heitsfällen mit Hyperämie behandelt, so dass den meisten meiner Beobachtungen eine ausserordentlich reiche Erfahrung zugrunde liegt.

Ich glaube, dass die praktische Anwendung der Hyperämie die allgemeinste und umfassendste Heilmethode darstellt, die es gibt; denn ich wüsste kein einziges Mittel, welches in gleicher Viel-

Schluss. ^.ß]^

seitigkeit bei den mannigfaltigsten Krankheiten mit Erfolg zu gebrauchen wäre. Ich habe ja in dieser Arbeit schon so viele ver- schiedene Leiden beschrieben, die ich mit hyperämisierenden Mitteln behandelt habe, dass es manchem scheinen dürfte, ich sei darin viel zu weit gegangen. Ich bin auch überzeugt, dass eine reichlichere Erfahrung mich zwingen wird, meine Ansichten noch vielfach zu ändern und manches von dem, was ich in diesem Buche gesagt und empfohlen habe, zurückzunehmen. Es wäre wunder- bar, wenn es anders wäre. Andererseits aber glaube ich, dass ein Mittel, dessen sich die Natur in so überreichem Masse zur Beseiti- gung aller möglichen Schädigungen bedient, eine noch viel aus- gedehntere Verwendung gestattet.

Ferner glaube ich überzeugend dargetan zu haben, dass man unbewusst viel länger, als es eine Geschichte gibt, von hyper- ämisierenden Mitteln reichlich Gebrauch gemacht hat, und dass in vielen alten Volksmitteln, die man leichtherzig über Bord geworfen hat, weil man sich ihre Wirkung nicht erklären konnte, doch ein guter Kern steckt i).

1) ,,Die Geschichte zeigt, dass die Anschauungen der Späteren immer wieder auf Punkte zurückkommen, welche die frühere Beobachtung schon er- ledigt zu haben glaubte." Virchow in seiner Vorrede zu „Gesammelte Ab- handlungen zur wissenschaftlichen Medizin". Hamm 1862.

Nauienverzeielmis.

Alexander 377. Amitin, Sarah 22. Arndt 249. Arnsperger 300, 419. Asher 167. Avierbach 194, 196. Aiispitz 63, 65, 66.

Bachmann 241.

BalU 27.

Bamberger 204, 205, 253.

Bardenheuer 234, 339,348, 387, 394.

Barry 174.

Banmgarten, v. 140, 141, 142, 146, 147, 352.

Bätimler 20.

Beck 220.

Beer 421.

Behring, v. 145, 155.

Bell 84.

Berger 191.

Berginann, v. 202.

Bernai'd, Claude 172.

Bering 47.

Bestelmeyer 421.

Bezold 365, 375.

Bidder 208.

Bie 126.

Bier 16, 20, 24, 32, 40, 41, 43, 65, 73, 74, 76, 81, 102, 127, 158, 177, 211, 235, 245, 254, 292, 301, 353, 358, 447.

Billroth 182.

Blatin 85.

Blecher 433.

Böhme 422.

Bonheim 421.

Bonnard 91.

Bonnet 228.

Bordet 245.

Braam Houckgeest 21.

Braun 175.

Brehmer 240, 247.

Breuer 421.

Broca 203.

Brockhoff 367.

Brown-Siquard 23, 209.

Brunn, v. 141, 397. 419.

Bruns 59.

Buchner 7, 121, 143, 144,

158, 183, 217, 245. Bvim 135, 219, 321, 422,

433. Bm-n-Murdoch 341. Burwinkel 254. Busch 122.

Catheart 421.

Chabbas 130.

Chretien 31.

Chvosteck 79, 80.

Clado 32, 33, 156.

Cohn 213.

Cohnheim 66; 129, 131,

163, 209, 213. Cohnstein 166. CoUey 141, 410, 420, 445,

457 ff. Cooper 174. Cornet 144.

Croce 339, 348, 393, 410. Czylharz 175, 176, 177.

Damascelli 218. Danielsen 299, 339, 491. Danilewski 222, 223, 224.

Darwin 2, 3, 8, 12. Dehio 246, 247. Derlin 420. Dettweiler 240. Deutschländer 439. Dittrich 241. Donath 175, 176, 177. Dumreicher, v. 57 60,

216. Dusch, V. 253.

Eckhardt 222. Ehrlich 8. Emminghaus 129, 130,

131. Enderlen 421. Engländer 421. Erpenbeck 92. Eschbaum 33, 37, 41, 42,

48, 83, 85, 86, 101. 106,

416. Eschweiler 361, 371, 3 7 5£f.,

407. Esmarch, v.l6, 43, 66, 154,

169, 176, 270, 286.

318. Eulenburg 84, 85, 192,

196. Evens u. Pistor 89. E versmann 88. Ewald 24, 27. Eymann 253.

Farre 252. ricinus 90, 93, 94. Einsen 126, 127, 292. Fischer 205. Fleischmann 376. Florentinus, Nicolaus 413.

Namenverzeichnis.

463

Fodor, V. 143. Forchhammer 126. Franck, Fran^ois 20 22,

115. Fränkel 105, 106. Frerichs 252. Friedländer 245. Frey 46, 47, 49, 446. Frommer 294, 412, 420,

458. Frömmelt 253. Fuchs 124.

Oalenus 111. Garre 266. Gerdeck 303. Göbel 244. Gocht 427.

Goldscheider 193, 243. Goltz 24, 27. Gonitschewsky 131. Grawitz 78, 80. Grawitz, P. 200, 201. Grube 410, 421. Grünhagen 130. Gurlt 85, 413. Guth 78, 420. Guyot 226.

Habs 276, 295, 321 ff.,

353, 356, 393, 397, 401,

420ff., 433, 457. Haffter 118. Hahn 47, 416. Halm 47, 243. Hamburger 145, 146, 150,

166, 217. Hanvisa 458. Harvey 57. Haslauer 376. Hebra 124. Heidenhain 129, 165, 166,

441. Heile 186, 187, 244. Heine 375. Heineke 186, 244. Heinz 121. Helferich 60, 198, 202, 206,

207, 210, 211, 214, 216.

Heller, A. 144.

Heller 348, 354, 397, 402,

421. Hempel 420. Henle 77, 276, 387. Herhold 420. Herz 149, 150. Hesse 419. Hessing 268. Heyde 140, 142. Hiebel 150. Hildebrandt 173. Hilzinger 41. Hippokrates 93, 111. Hirsch 321 ff. Hitzig 195, 204. Hochhaus 354, 388, 398. Hoffa 355. Hoffheinz 29. Hofmann 147, 281. Hofixieister 429. Hornberger 154, 159. Hoppe 380, 388, 418,^421. Hunter 6, 198, 209. Huntington 450.

Isemer 374, 376. Israel 204.

Jakob 243.

Jakoby 292.

Janet 125.

Jankowsky 129.

Jerusalem 299, 339, 420.

Johnson 80.

Joseph, E. 141, 147, 152,

294, 355. Joseph 178, 220. Jourdan 91. Junod89— 94, 115.

Käfer 412. Kant 3, 4. Kappmeier 453. Kapsammer 218. Kauffmann 382. Kellog 46.

Keppler 320, 360, 369, 374.

Kiefer-Kornfeld 40.

Kirchhoff 276.

Klapp 22, 40, 43, 81, 85,

105, 106, 108, 109, 167,

168,170—175, 266, 278,

280, 281, 286, 289 ff.,

395, 408 ff., 441. Kleine 177. Kjioxley Sibley 43. Koch 160. Kohlhardt 80, 81, 176,

177. Kolster 236. König 315, 422. Körner 369. Körte 457. Kossa, V. 172. Köster 15. Kothe 150. Kozlowski 78. Krause 28, 34, 38, 39, 51,

204, 438. lixeM, V. 246. I&ies, V. 27. Kryger, v. 254. Kuhn 89, 128, 254,

293. Küster 352.

Laccetti 422. Lahmann 240. Lamarck 8.

Lamberger 45, 46, 53. Lämmerhirt 422. Landerer 242, 243. Landois 78, 183, 245. Langemak 427. Langenbeck, v. 202, 205. L angmann 176. Laqueur 142, 321, 433. Lassar 132. Laurie 190. Lazarus 78, 146, 322ff.,

433. Leber 6, 130, 183, 198. Lebert 253. Legros 209. Leichtenstern 23. Leo 293.

464

Namenverzeichnis .

Lesage 192, 196.

Leser 400.

Lexer, v. 52.

Leuwer 83.

Lewaschew 23.

Lexer 147, 178, 393ff.,

420. Lej^den, v. 78, 146, 254,

322ff., 433. Liebernieister 11, 18. Liek 224, 225, 399. Lier, van 420. Lindemann 45. Lindenstein 339, 347, 421. Link 293. Litten 213. Lommel 25. Lossen 412, 420. Louis 252. Löwenhardt 157. Löwy 243. Luchsinger 172. Ludwig 128, 129, 165. Luxemburg 321.

Ulagendie 93. Maninger 276, 421. Marchand 6. Marcuse 41. Martüi 25, 68, 441. Masskow 193. Matthes 23, 24, 114, 246. Meissner 150. Meltzer 176. Mendelsohn 20, 28, 51. Mensonides 1 30. Menzer 322.

Metschnikoff 7, 146, 217. Middeldorpf 191, 192. Mikulicz 243, 276. Moll 199. Mombvirg 439. Moser 187. Muck 82, 88, 418. Müller 388. Munck 167. Muscatello 168, 218.

Nasse 218.

Natimaim 112, 113, 116. Neu 447, 451. Neumann 6, 431. Nicoladoni 57, 58, 60, 204,

216. Nicolai 213. Niehaus 354. Nordmann 347, 348, 355,

399, 420. Nötzel 139, 140, 144, 150,

151, 259, 352.

Ollier 203, 205. Oppenheim 196. Orlow 165, 166. Örtel 240. Örtel-Bonn 303. Otto 254.

Paget 190, 198, 202. Pare, Ambroise 57, 216. Paschen 150. Pasehutin 128, 129. Payr 354. Pekelharing 130. Penzo 204, 209, 219, 220,

225, 226. Perthes 83. Petersen 438. Pezold, V. 421. Pflüger 7, 249. Pick 25. Pietrowski 24. Pistor, Evens u. 89. Plaskuda 56, 112, 244. Polini 421. PoUtzer 370. Preyer 161. Pribram 46.

Prießnitz 126, 251, 428. Prym 88, 388. Pugliese 131, 132.

Quervin 266. Quincke 33, 453.

Ranzi 339, 420. Ravidnitz 98. Rautenberg 18, 29.

Recklinghausen, v. 165,

166, 168. Redlich 194, 195, 196. Reineboth 80, 81. Reitler 39, 51. Renner 380. Ribbert 7.

Richter 144, 242, 243. Riedel 263. Ritter 67, 135, 174, 226,

227, 445, 458. Riva-Rocci 77. Robbers 402. Rogowicz 129, 130. Rokitansky 252, 253. Roth 39, 40. Rotter 348. Roux 209, 212. Rübe 85, 86. Rubritius 421, 457. Rudolph 88. Rühle 253. Rust 122.

Sachs 2, 6.

Salzwedel 121.

Sämisch 378.

Samuel 66, 115, 119, 218,

220, 223, 224. Sarjeant 43. Sassetzky 172. Schaff er 441. Schede 116. Schiff 209.

Schleich 135, 178, 439. Schlikoff 154. Schmieden 110, 447. Schneider 203. Schrakamp 7. Schramm 126. Schreiber 18, 29, 30, 39,

41, 49. Schroth 241. Schüller 23, 113, 114, 116,

207, 208, 210, 214. Schviltze 253. Schulz 248, 249. Schwalbe 271. Schweninger 240.

Namenverzeichnis.

465

Schwering 123. Senftleben 222. Sick 352, 354. Siemerling 196. Sinitzin 221, 222, 223,

224. Snellen 221, 223, 224. Sommer 150. Sondermann 82, 418. Spieß 82, 418. Sprengel 3. Spronk 150. Stalherm 253. Stanley 202. Starling 166. Stenger 375ff. Stiassny 422. Stich 295, 339, 348, 393,

401, 414, 420. Stirling 209. Stricker 66. Strohmeyer 204. Sudeck 104, 184, 331, 433. Sulzer 168.

Tallermann 20, 30, 34, 43—45, 56, 157.

Talma 213.

Taylor 48.

Thiem 156.

Thomas (Köln) 181, 443.

Thomas 59, 60, 216, 234.

Thomsa 131.

Thorbecke 422.

Tiling, V. 321.

Tilmann 261, 408.

Tillmanns 321.

Tomasche wski 78.

Traube 253.

Travers 252.

Tyndall 156.

Ulimann 158, 160, 227,

421. Unverricht 86, 136, 137.

Virchow 209, 212, 221,

239, 461. Voit 167.

Volk 420. ' ^

Volkmann 179. Vulpian 209.

Walsh 30, 31.

Wassermann 293. Weber, O. 221, 223, 224. Wechsberg 117, 118. Wegner 168. Weigert 227, 229, 233. Welander 160. Weiss 84. Wessel 439, 444. Wessely 119, 120, 142,

143, 381. Westenhöfer 254. Widal 119, 143. Wiedmann 441. - Wilde 369. Wilson 39, 157. Winternitz 23, 24, 80, 114,

240. Witzel, J. 412 Wolff, Evigen 452. Wolff 128.

Wölfler 169, 170, 171, 354. Wolter 122.

Ziegler 3, 199. Zülzer 116, 118, 123. Zuntz 196.

Bier, Hyperämie als Heilmittel.

30

Inhaltsverzeichnis.

Ableitung s. Derivans. A bscesse, Keimfreiwerden dvirch Hy- perämie 143, 147, 306.

kalte unter künstlicher Stauungs- hyperämie 2o5ff., 265ff.

heisse bei künsthcher Stauungs- hyperämie 256 ff., Umwandlung in kalte 305.

Schröpfkopfbehandkmg 263, 409.

Verschwinden unter Stauungsbe- handlung 306.

Abschnürung ii. Resorption 177.

Abschwäch ung, der Bakterien durch Hyperämie 139ff., 158, 178, 217, 243 ff.

Abtötung der Bakterien durch Hype- rämie s. Abschwächung.

Abwehrvorrichtungen des Körpers 7, 140, 294.

Versagen derselben 9. Adaption der Knochenbruchenden

234. Aderlass u. Chlorose 216.

u. Blutverbesserung 241. Adstringentien als Hyperämiemittel

124.

Aetherrausch 310, 331.

Agglutinine 119, 143, 245.

Akne u. Saugbehandlung 445.

Akromegalie 190.

Albuminurie 79, nach Transfusion 246.

Albumosen 243, 246.

xA.lexine 7, 144.

Alkaligehalt des Blutes u. Stauungs- hyperämie 145.

Alkoholverband, Salzwedels 121, 158.

Allgemeinbehandlung 240ff.

Allgemeinerscheinungen b. Heiss- luftbehandlung 52 ff., bei An wen - dving Jimodscher Stiefel 91.

Allgemeinnarkose 310.

Amputation tuberkulöser Glieder 263, 265.

Amyloidentartung ii. konservative Behandlung 265.

Anämie u. Hautreizmittel 116ff., 121.

u. Resorption 175, 178.

u. Kopfschmerzen 416. Aneurysma u. Knochenverlängerung

204. Angiektasie u. Knochenverlängerung

204. Angiom u. Haarwachstum 198. Anpassung 8. Antikörper 7, 142ff. Antiphlogisten 6, 56, 152—156, 294,

299, 339, 422. Antisepsis 155, 424. Antiseptica 264. Antistreptokokkenser um 322. Apparate zur Druckregulation 78.

zur Gelenkmobilisation 102 ff.

Heissluft 32 ff.

Henle'scher 77.

zur Hyperämisierung des KopfesllO.

Junod's 89ff.

Muck's für die Nase 82.

Pendel 105.

Saug- z. Hj^perämisieren 94ff., 104. '■ entlastende bei Tuberkulose 267.

Hessing'sche 268. Appendicitis, Resorption d. Abscesse

307.

Appetit, vermelirter nach Trans- fusion 245.

Arthritis deformans 136, 431 ff.

Inhaltsverzeichnis.

467

A r z n e i ni i 1 1 e 1 w i r k u n g 2 4 8 ff .

Assimilation 183, 185.

Antr uniempyem 369.

Atmosphärendruck in Saugappa- raten 86, 90, 94, 99, lOOff., 104.

Atrophie der Knochen 104, 433.

Augenkrankheiten u. Stauungsbe- handlung 378ff.. 418.

Ausschabung u. Sekundärinfektion 265 ff.

Schädlichkeit derselben 281. Autodigestion 181. Autolyse 181, 186.

Badekuren 242. Baktericidie des Blutes 142.

und Alkaligehalt des Blutes 145. Bakterien, Stoff Wechselprodukte u.

Stauungshyperämie 144, 314.

-proteine 246.

-gifte u. Knochennekrose b. Osteo- myelitis 347.

u. Stauungsbehandlung 393 ff. Balneotherapie 23.

Bamb Visstäbe als Schröpfköpfe 84.

Bauchoperation u. Nucleinsäure 243.

Beeinflussung, günstige, verschie- dener Krankheiten durch Blut- injektion 246.

BehandKmg, alte Methoden 112.

poliklinische der Tuberkulosen 268.

ambulante der Tuberkulose diu-ch den praktischen Arzt 269.

Beugesehnenscheiden Phlegmo- nen s. Sehnenscheidenphlegmonen.

Beugung versteifter Gelenke 102.

Beweglichkeit entzündeter Gelenke u. Stauungshyperämie 156, 300, 315, 325.

Bezolds Erkrankung 365, 375.

Bindegewebsnarben, Bildung der- selben u. Stauungshyperämie 217.

Neubildung u. Stauungshyperämie 144.

Vermehrimg u. Staiiung 201, u. chro- nische Entzündung 202, u. Blut- erguss 235.

Binden der Glieder 56. 93. Bindenstauung, Technik 249, 254 ff..

s. auch Stau ungs binde u. Stauungs- hyperämie.

bei akuten Entzündungen u. Eite- rungen der Glieder 293 ff.

u. Decubitus 75, 400. Biologie 2.

Blut, Baktericidie desselben 142, 144, 243 ff.

im Entzündungsherd 142.

als Kühlstrom 17, 25ff., 185.

schlechtes 13.

Alkalescenz u. Ernährung 145.

-bahn u. Lymphstrom 119.

-druck u. Hyperämie 121.

-einspritzung 235, 246.

-erguss u. Entzündvmg 229, 352, u. Knochenbruch 233 ff., u. Binde- gewebsneubildung 235, als Zellen- nahrung 235, u. Heissluftbehand- kmg 439.

-gefässe u. Resorption 165 ff.

-gerinnsei u. Hyperämie 180.

-ki-eislauf 111, 159.

-leere, künstliche 65 ff., 73, 159, u. Re- sorption 142, 144, u. Entgiftung 176, 177, anstatt Stauungshyperämie 270.

-neubildung u. Aderlass 216.

-Strom von Frosch u. Fledermaus 112, im Organismus 86.

-Verbesserung 238ff., 241.

-Verteilung a. d. Leiche 137.

-Zersetzung 52, 78, 81. Blutungen 54, durch Diapedese 66,

diorch Saugapparate 94, 98 ff., unter Hyperämiebehandlung 400.

Bogenlicht, Finsen's 127.

Brand 75, der Zehen nach Stauungs- hyperämie 270.

Brei als Hyperämie mittel 17.

Brutöfen, Guyot's 226.

B üb o n e n u. Schröpf köpf behandlung 409.

Cellularpathologie 239ff.

Gentralnervensystem u. Hautreize 113.

Cerebrospinal-Meningitis u. Stau- ungsbehandlung 382.

Chloräthylspray 310.

30*

468

Inhaltsverzeichnis.

Chlorose u. Aderlass 216.

Cholesteatome u. Kopfstauung .371.

Chorea 74, 448ff., Huntington'sche 450.

Coxitis, Behandlung mit Saugappa- raten 88.,

Dacryocystitis 74, u. Stauimgsbe-

handlimg 379. Dampf, warmer 90. Darwinsche Lehre 2 ff., 12. Deassimilation 183. Decongestion 20ff., 136. Decubitus 75, u. Bindenstauung 400. Degeneration der Muskeln 193. Demarkation, beschleunigt durch

Heissluftbehandlimg 158, 251, 311,

457. Derivans 22, 120ff., 127, 136ff., 244,

452.

Saugglas als 83, 91 ff.

chemische 86, lllff. Derivation 116, 118, 154. Diabetes u.Hyperämiebehandlung 400,

410, 455.

Differentialluftthermometer 150.

Diphtherie u. Stauungsbehandhmg 388.

Dreiwegehahn 88.

Druckpumpe mit Schwungrad 110.

Druckverband, Volkmann's 179.

Drüsenepithel u. Stauungshyperämie 198ff.

entzündungen u. Stauungshyperämie

256, 289, u. Schröpfkopfbehandlung 290.

Durchspül ving, Gewebs- m. Ödem- flüssigkeit 147.

Dusche, Heisshift-, Kaltluft- 47, 446.

Einspritzung vonBlut in Gewebe 235. Eisbeutel als Hyperämiemittel 154. Eiter, Schröpfköpfe zum Ansaugen des

Eiters 82 ff. Eiter ungu. Stauungshyperämie 7 6, 1 5 1 .

akute u. Bindenstauung 293 ff., 301, 309.

akute und ilxre chirurgische Behand- kmg 309 ff.

progrediente 394.

Erfalirungen bei akuten E. 4 19 ff. Ei weiss im Urin bei Stauiuig 81.

-zimahme im Karamerwasser 119.

-zerfall bei Transfusion 245. Ekzeme, akute, bei akuten Gelenk- tuberkulosen 276.

u. Hyperämiebehandlung 445. Elektrizität als Hyperämiemittel 17,

126. Elektromotor an Saugapparaten 82. Elektrotherm 46. Elektrothermogen 47. Elephantiasis 179, 202, ii. Heiss-

luftbehandlung 442. Ellbogengelenk, Mobilisationsappa-

rat 107.

Heilung des tuberkulösen 275. Embryotrophe 228, 235ff. Endotoxine 178, 394ff. Entgiftung u, künstlicher Blutleere

176ff. Entziehungskuren 241. Entzündung als nützlicher Vorgang

6, 148, 423.

akute am Kopf 74.

akute durch chemische Reizmittel 115, 124ff.

durch Verbrühung 115, 118.

Ausbleiben derselben als Reflex- wirkung 115.

Lymphstrom 129.

u. Stauungshyperämie 153 ff., 156, 293 ff.

u. Stromverlangsamung 153 ff., 159, 164.

u. Arbeitseinstellung 161.

u. Gewebseinschmelzung 181 ff., 230.

u, Regeneration 163, 230.

durch Bluteinspritzung 235, 246.

akute, durch Zimtsäure 242ff.

akute, u. Infektionskrankheiten 245.

akute, bei Anwendung künstlicher Stauungshyperämie 256, 293 ff.

u. Stauungsbehandlung, s. d. Entzündungsherde u. Stauungs-

hj'-perämie 217.

reize, künstliche, n. Knochenwachs- tum 205 ff.

Inhaltsverzeichnis.

469

Enzyme 144, 183ff., 186, 244. Epididy mitis, akute gonorrh., u.

Stauungshyperämie 74. Epilepsie 450ff. Epispastica lllff. Epithel Wachstum u. venöse Stauung

197 ff. Erbrechen 4. Erfrierung u. künstliche Hyperämie

226ff., 458. Ernährung 241, u. Hyperämie 185.

Störung derselben bei künstlicher Stauungshyperämie 137 ff., 147, 153, 391 ff.

Erregung, reflektorische, der Hirn-

gef ässe 113. Erweichung, Knochen- 104ff. Erysipel bei künstlicher Stauung

(Tuberkulose) 76, 151, 256ff., 398.

u. Lupus 127.

u. Stauungsbehandhuig 353, 397. Exerzier knochen u. Bluterguss 234. Existenzfähigkeit 12. Exsudate, perimetritische und Heiss-

luftbehandlung 459.

Fascienphlegmonen u. Stauungs- behandlung 399.

Fermentwirkung 181.

Fernwirkung der Hautreize 115ff., 244.

der Entzündung 118 ff. Ferrum candens 453. Fettinfiltration der Muskeln 193,

196. Fieber als natiü-liches Heilmittel 5, 245.

-verlauf u. Stauiingshyperämie 155, 178, 312ff.

künstliches 245 ff.

Finger, schnellender, u. Hyperämie- behandlung 180.

Fingergelenke, Stauungsbehandhing akut vereiterter 330.

Fisteln, Stauungsbehandlung bei F. des Hodens 74.

Saugebehandlung derselben 264, 280, 411.

Flächenberührung, verminderte, bei Gelenken 135.

Fledermaus, Blutstrom bei ders. 112.

Fleischnahrung u. Bhitalkalescenz.

Folgezustände akuter Infektionen u. Heissluftbehandlung 251, 311.

Fontanellen 124, 244, 453.

Frakturen, komplizierte u, fehlender Bluterguss 234, u. Heissluftbehand- lung 437 ff.

Frosch, Blutstrom bei demselben 112.

Frühoperation bei Osteomyelitis u. Stauiongsbehandlung 348.

Funktion, gvite, u. konservative Be- handlung 272 ff.

Furunkel behandlung durch Saug- glocken 87 ff., 280, 408 ff.

des Gesichts u. Stauungsbehandlung 411.

Fussgelenk, Apparat zur Mobilisation des versteiften F. 106.

Tuberkulose des F. 261, 268, u. Aus- heilung 275.

Fussgeschwulst u. Stauungsbehand- lung 440.

Galvanoskop u. Hauttemperatur- messung 150.

Gangrän, senile u. diabetische 455.

Gefahren bei der Stauungsbehand- lung 389 ff.

Gef ässkrankheiten u. Hyperämie- behandlung 454 ff.

Gef ässneubildung durch Schröpf - kopfbehandlung 282.

Gehirnkrankheiten u. Hyperämie- behandlung 447 ff.

Gelenkerkrankungen 47, 149.

rheumatisch versteifte G. 104 ff., traumatisch versteifte G. 104ff., 433.

Gelenkrheumatismus 20, 149, 427, u. Stauungsbehandlung 323.

-entzündungen. akute 157.

-Versteifungen 135, 138, u. Hyper- ämiebehandlung 180, 251, 311, 319, u. Heissluftbehandkmg 427 ff. 436 (Gonorrhoe), u. Röntgenlicht 187.

-wuchervmgen u, Hyperämie 180,

-tuberkulöse, Behandlung derselben 251 ff., in verschiedenen Lebens- altern 265, u. hochakute Entzündung

470

Inhaltsverzeichnis.

derselben vuiter Stauungsbehandking 276.

-tripper u. StaiiungsbehandhingS 1 5f f . -Vereiterungen u. Stauungsbehand- lung 324 ff.

-erguss u. Heissluftbehandlung 441. Gesichtsfurunkel u. Stauungsbe- handlung 411.

Gewebsresorption 165ff.

Gichtanfall, akuter, u. Stauungsbe- handlung 352.

Gif twirkungu. Konzentration 178.

Gipsverbände u. Stauungsbehandlung 257.

Glüheisen als Derivans 122 ff., 244.

Glühlichtbäder 127.

Gonitis crepitans 435.

Gonorrhoe 134, 149, 157ff., 161, 180.

gonorrhoische Gelenke u. Stauvings- behandlung 315 ff., u. Heissluftbe- handlung 436.

Granulation 54, 256, 264, 278ff.

durch Heissluft beschleurügte Gr.- Bildung 158, 311.

Granulatio nsgewebe u. Schröpfkopf 281 ff.

Haarseile 124, 453.

Haar wachs tum u. venöse Stauung

195 ff. Hämatvirie 119.

nach Transfusion 246. Hämoglobinurie 79, 81. Hämolyse 119, 143. Hämolysine 245. Hämospasie 90ff., 94, 115. Handgelenk, Apparat zur Mobili- sation vertiefter H. 102ff., 109.

Handgelenktuberkulose 261, 267, 271ff., u. Ausheilung 275.

Handsaugpumpe 110.

Handtuchverband 297.

Hatitkrankheiten u. Hyperämiebe- handlung 445.

Hautquecksilber thermometer 149.

Hautreizmittel 112ff., 116.

chemische 111 ff.

u. Lokalwirk^mg 116, 121, u. Fern- wirkung 1 1 5 ff .

Hautspannung 98.

temperatm- 50, 62, 65, 98, 118.

149ff.. 192. Heilfieber 245. Heilserum u. Hyperämie 323. Heilung bei Tuberkulose 275. Heilungsvorgänge, natürliche 4, 7,

14, 148, 308.

u. Stauungshyperämie 162. Heilungsdauer der Tuberkulosen

u. Stauungsbehandlung 278.

Heilwirkung der Hitze durch Blut- strombeschleunigung 28, 127, 425, durch Schweissverluste 28.

Heissluf tapparate 20, 32ff., Knie 35, Fuss 35, Schulter 36. Becken 36, fixierte Skoliosen 43, Rücken 37.

Universalapparate 40.

elektrische 45.

Heissl uftbäder, Einfhiss, lokaler u. allgemeiner 30, 49, auf Puls und At- mung 51, auf Hauttemperatur 50, auf Blutkreislauf 54.

u. Verbrennungen 51 ff.

u. Hautverfärbungen 52.

u. Schwächezustände 53.

u. giftige Verbrennungsprodukte 53.

Anwendungsdauer 54. Heissluftbehandlung, Erfrierungen

227, 458.

Folgen akuter Infektionskrankheiten 251, 311.

Blutergüsse zur Resorptionsbeförde- rung 352.

chron. Gelenkrheumatismus 427 ff.

Gelenkversteifungen 432 ff.

Skoliose 436.

frischer subkutaner Verletzungen 437 ff.

Ödeme 440, Gelenkergüsse 441, Ele- phantiasis 442, Hautkrankheiten 445, Gefässerkrankungen, Gangrän 454.

Heissluftdusche 46, 48, 416.

u. Entzündung 160, 352.

u. Tuberkulose 156 ff. Heissluftmassage 47, 416. Heizquelle 33, Bedienung 38. Modi- fikationen 38 ff.

Inhaltsverzeichnis.

471

Herzfehler u. Lungentuberkulose 252ff.

Herzklopfen u. Heissluf tbehandlung 53.

Herztätigkeit u. Hautreize 112.

Heuschnupfen u. Stauungsbehand- lung 388.

Hirnabscess 374.

Hochlagerung u. Resorption 173.

Hodentuberkulose 257, 287.

Humoralpathologie 239ff.

Hustenanfall 4.

Hydrämie u. Lymphstrom 129.

Hydrops tuberculosus u. Jodoform- glyzerin 266.

Hydrotherapie 23, 99.

Hygiene, allgemeine 241.

Hygrom, tuberkulöses u. Stauungs- behandlung 288 ff., u. Schröpf kopf- behandlung 289.

Hyperämie (s. a. Stauungshyper- ämie) bei Lebenserscheinungen 13.

funktionelle 14, 228.

künstliche Erzeugung derselben 15.

chemische luid physikalische Eigen- schaften 14.

reaktive 16, 24, 26, 67, 100, 118, 222, 454.

u. Resorption 170.

durch Miiskeltätigkeit 17.

durch chemische Mittel 17, lllff.

durch Wärme 17, 24.

durch heisses Wasser 19.

ohne Vermittlung des Nervensystems 23 ff.

Temperaturoptimum 29.

Fernwirkung derselben 31.

als Schmerzstillungsmittel 88, 120, 134ff., 155, 184, 249, 423.

gemischte 88, 101.

u. Seitendruck 114.

durch innere Mittel 125 ff.

u. Infektionskrankheiten 136, 147 ff.

u. bakterientötende Wirkung 139 ff., 158.

durch Eisbeutel 154.

u. Resorption 164 ff., 438.

u. Schweissabsonderung 185.

u. Heilserum 323.

aktive 5.

Erzeugung derselben 16.

funktionelle u. Infektionskrank-

heiten 161, U.Hypertrophie 189.

Begriff derselben 162 ff.

u. Resorption 164 ff., \i. Beschleu- nigung derselben 171 ff.

u. auflösende Wirkving 179 ff., 434. u. Wachsttmi 208 ff.

u. Regeneration 21 6 ff.

passive, Erzeugung derselben 15,

55, u. Gefahren 80, Technik 75 ff. (s. a. Stauungshyperämie).

bei Knochenbrüchen 56ff., 225.

durch die Stauungsbinde 60,

leichte H. 61, starke H. 63.

u. Tiefenwirkung 65, 116ff.

u. Tuberkulosebehandlung 70,

251 ff.

u. Anwendungsdauer bei Tuber-

kulose 70.

Stauungsbehandlung am Arm 68,

^ Schulter 71, Bein 73, Kopf 73, Hoden 74.

u. Derivation lllff.

u. Schweissabsonderung 185.

durch Schröpfköpfe, s. diese. Hyperleukocytose 243ff. Hypertrophie u. Hyperämie 189.

entzündliche 227, 233.

funktionelle 229.

Übungsh. 229.

Immunität 7, 252ff.

Immunisierung 119, 142ff.

Impftuberkulose und ihre Ver- hütung 280.

Incision bei Sehnenscheidenphlegmo- nen 309, 311, 331, 339.

Induration, cyanotische 199.

braune 201.

Infektion wachsender Körperteile 161.

künstliche 243 ff. Infektionserreger 7.

-krankheiten 58, 238., u. Stau- ungshyperänaie 152 ff., 250 ff.

-gefahr offener Tuberkulosen 266. I nf iltr atio ne n u.Schröpfkopfbehand-

lung 409.

472

Inhaltsverzeichnis.

Injektion, intravenöse u. künstUche

Entzündung 243 ff. Insektenstiche u. Schröpfkopfbe-

handlixng 409. Jodoformglyzerin u. kalte Abscesse

256ff., 266, u. Spina ventosa 286. Jodtinktur 111. Ischias 416.

Kalkarbeiter u. Tuberkulose 145. Kallusbildung 57, u. Stauungshyper- ämie 206 ff., 216, 219.

u. Nervendurchschneidung 21 8 ff, Kältereiz 20. Kaltluftdusche 26. Kammerwasserb.Entzündimgenll9.

u. Blutdruck 130.

u. Hyperämie 142. Kapellaren 99, Erkrankungen 457. Kapselbazillen, Friedländer's, vi.

Milzbrandinfektion 245.

Karbunkel, Saugbehandlung 280,410.

Kataplasmen 160, 251.

Keloide 181, u. Schröpfkopfbehandlung 443.

Keratitis u. Stauungsbehandhmg 380.

Klimawechsel 242.

Kniegelenk, Apparate zur Mobili- sation desselben 107 ff.

piierperale Entzündung desselben u. Stauvmgsbehandlung 324.

Erkrankungen unbekannten Cha- rakters 435.

Knochenabscess u. Stauungsbehand-

l-ang 351. Knochenbruch u. Hyperämie 225.

u. Bluterguss 233. Knochenneiibildung 185. Knochentuberkulose u. Schroth-

sche Kur 241.

u. Stauungsbehandlxong 288.

u. operative Entfernung 289. Knochennekrose 347. Kollateralkreislauf Uff., 99, 159. Kompensationsstörung 15ff. Kompressen 160. Kongestion 136.

Kontrakturen, Behandlung m. Saug- apparaten 104, 109.

nach Gelenkerkrankvuig 268.

der Muskeln 138. Konzentration u. Giftwirkung 178. Kopf, Apparat zum Hyperämisieren

HO.

-schmerzen 134, anämische 416.

-Stauung 358 ff. Krampfadern u. grosse Saugapparate

93.

Krankheitssymptome als Lebens- erscheinungen 11.

Kreislauf bei Behandig. mit Junod's Stiefeln 91.

-Verbesserung 227.

-Störungen unter Stauung 153, künst- liche Kreislaufstörungen in d. Niere 213.

Kühlstrom, Blut als 17, 25ff., 185. Kulturvölker u. Schröpfköpfe 82, 89. Kürbis als Schröpf köpf 84.

Lebenserscheinungen 5, 12.

tätigkeit 249.

Leber, Stauungs- 200 ff. Leukocyten, Ansammlung derselben u. Stauimgshyperämie 143, 146, 250.

u. Gewebsauf lösung 181 ff. Leukocytose 242ff. Leukotaxis 187, 243ff. Lichtbehandlung 126ff.

bäder 242.

Lokalanästhesie u. Resorption 175.

bei kleinen Operationen 264, 310. Lokalwirk VI ng der Hautreizmittel

116. Luft, heisse, zur Wärmeerzeugung 17, 19 ff.

-temperatur u. Erträglichkeitsgrenze 17.

-dusche 47.

-Verdünnung zum Eiteransaugen 82, durch Hitze 84, durch Saugkraft 84, 89, 91, 96 ff., 102, durch Kautschuk- ballon 85.

-druck, äusserer, bei grossen Saug- apparaten 96, s. a. Atmosphären- druck.

-druck u. Orthopädie 101.

-kissen in Saugapparaten 104.

Inhaltsverzeichnis.

^73

bäder 242.

.Lumbago u. Schröpf köpfe 136, u.

Heissluftbehandlung 416. Lumbalpunktion 453. Lungen, Stauungs- 200 ff.

-tuberkulöse u. Schröpfkopfbehand- lung 88, u. Transfusion 246, u. Pulmonalstenose 252 ff., schwere Lungentuberkulose u. konservatives Verfahren 265, u. Hyperämiebehand- lung 292ff., unter Kuhn' scher Saug- maske 293.

Lupus u. Lichtbehandlung 126 ff.

u. Stauungsbehandlung 288.

u. Erysipel u. Transfusion 127.

u. Albumosen 246.

u. Saugbehandlung 291 ff. Lymphadenitis 296, u. Stauungs- behandlung 384.

Lymphangitis 296.

Lymphe 130, Gerinnungsfähigkeit 131.

Lymphoides Gewebe vi. Röntgen-

^ Ucht 186 ff. Lymphstauung 75, 202. Lymphstrom u. Blutdruck 128.

u. Hyperämiemittel 128.

VI. Nervendiu-chschneidung 128 ff.

u. Temperaturerhöhung 129.

u. Stau\ingshyperämie 131.

u. Entzündimg 132.

u. Resorption 165 ff.

Manometer an Juno d's Stiefeln 90, 93,

in grossen Saugapparaten 104. Massage als Hyperämiemittel 17, am

Auge 382. Mastitis 161, u. Saugbehandlung 413. Mastoiditis 74, u. Kopfstauung 362,

Bezold's Erkrankung 365. Melancholie u. Stauungsbeh. 452. Milchsäure, Verminderung der Blut-

alkalescenz 145. Milchzucker, Resorptionsversuche

167 ff. Milz, Stammgs- 198 ff. Milzbrandu. Stauungsbehandlung 352. Milzbrandbakterien u. Hyperämie

139ff., u. BlutalkaU 145. Mittelohreiterung 74.

akute u. Kopf Stauung 361 ff.

u. akute Mastoiditis 362.

chronische u. Kopf Stauung 372.

u. Schröpf köpf behandlung 376. Mobilisation versteifter Gelenke 101.

Apparate zur 102 ff. Moor als Hyperämiemittel 17. Moxen 124. Mundbodenphlegmonen u.Schröpf-

kopfbehandlung 409. Muskelatrophie 76, 190.

-kontraktiu-en 138.

-gewebe u. venöse Stauung 196ff.

-degeneration 193.

-hypertrophie 194 ff.

-Pseudohypertrophie 190ff.

-Zuckungen 191 ff.

-Steifigkeit 64.

Narbenerweichung u. Hyperämie 181, 198.

Nase, Ivrankheiten d. 82, Saugbehand- lung derselben 83, 87 ff.

Naturheilkunde 240, 423.

-Völker, Schröpfköpfe bei diesen 82, 84, 92.

Nebenhöhlen der Nase, Saugbehand- lung 82. Nekrose u. Stauungshyperämie 154, 3 12.

u. Entzündungsreiz 202.

bei Sehnenscheidenphlegmonen 338.

bei Osteomyelitis 342 ff. Neuralgie 134, 136, 415. Neuritis u. Stauungsbehandking 321. Niere, Stauungs- 200 ff.

künstliche Kreislaufstörungen in der- selben 213.

Nucleinsävire 243.

Ödem 61, 71, 76, 110, 117, 130, 135, 151, 156.

u. Seitendruck 114, u. Heissluftbe- handlvmg 249, 312, 440.

Stauungs- u. seine bakterientötende Kraft 141, 145, 151, 178, 183.

Bakterienfreiheit des entzündlichen 152.

Ödematisierung und verlangsamte Resorption 178.

174

Inhaltsverzeichnis.

Ofen, Clado's 32.

Ohnnaachtenbei Heisshif t behandlnng 53, bei Behandkmg mit Junod's Stiefel 91 ff.

Ohrenerkrankung s. Mittelohr 418.

Operationswunden u. Stauungsbe- handlung 303.

Orthopädie mittels Luftdruck 101.

Osmose 177, 236.

Osteomyelitis, akute 161, u. Stau- \mgsbehandlung 308, 341 ff., 423, u. Frühoperation 348, rezidivierende 349 ff., u. miliare Abscesse 351.

Otitis s. Mittelohr.

O xydationsvorgänge 230ff.

Panaritien u. Stauiongsbehandlung 307, u. Schröpfkopfbehandlung 409, u. Sehnenscheidenphlegmonen 339.

Parästhesien u. Stauungsbehandhuig 258, 268.

Paronychien u. Schröpf köpf behand- lung 409.

Parotitis acuta u. Stauiingsbehand- lung 383.

Par ulis 74, u. Stauungsbehandlung 385.

Peritonitis u. Röntgenstrahlen 187.

Perkussionb.Knochenbrüchen59,234.

Pflanzennahrung u. Blutalkalescenz 145.

Phagocytose u. venöse Stauimg 146, 236.

Phlegmonen u. Stauungsbehandlung 307, 399, s. a. Sehnenseheidenphleg- mone.

Phlogosin u. vermehrtes Haarwachs- tum 198.

Pilocarpin 243.

Plattfüsse, kontrakte u. Heissluft- behandlung 459.

Pleuraempyem u. Behandlung mit Saugapparaten 83.

Pleuritis 86.

u. Schröpfkopfbehandlung 136.

Erguss bei PL u. Punktion 126. Pneumokokken Infektion 402. Poliomyelitis acuta 453. Pollutionen u. künstliche Hoden- stauung 199.

Pol y therm 40.

Praxis, ärztliche 250.

Priessnitz' Umschlag 126, 251.

Pronation, Apparate zur Ausführung derselben 105 ff.

Pseudarthrosen 56, 234.

Pseudohypertrophie der Muskeln 190, 193, 196.

Psoriasis u. Hyperämiebehandlg. 445.

Pulmonalstenose u. Lungentuber- kulose 252 ff.

Puls bei Behandig. mit Junod's Stiefel 90.

Punktion, günstiger Einf luss der P. auf Bauchfelltuberkulose.

u. Plevu-itis als Hyperämiewirkung 126.

bei osteomyelitischen Abscessen 342 ff., 350.

Purinbasen 187. Pustulantia 111. Pyridinbasen 53.

Quecksilbermanometer 77. Q viecksilber massage 429.

R a c h e n k r a n k h e i t e n u. Schröpf kopf-

behandlung 82. Reagenzglasversuche 142ff. Reaktionsvorgang 68, 148.

Ausbleiben desselben 149. Recidive bei geheilten Tviberkulosen

275. Reflexerregbarkeit bei muskulö.ser

Pseudohypertrophie 1 9 1 ff . Regeneration u. Entzündung 103,

227, 233.

u. Stauungshyperämie 216ff., 220,

225, 232. Reiskörperchen 288. Reitknochen 234. Reize 232ff., 249.

Reizmittel, chemische u. Regeneration

226, 333.

chemische u. mechanische R. u. Ivnochenwaehstum 203 ff., 233.

Resektion tuberkulöser Glieder 263,

265. Resorption u. Schweissverlust 20 f.

Inhaltsverzeichnis.

475

u. Heisskift 31, 164, 352.

verlangsamte, durch Saugglocken 83, 88.

u. Hyperämie 120, 155.

u. Entzündung 160.

u. Beeinflussung ders. 169 ff.

u. Hochlagerung 173.

u. Stauungshyperämie 173 ff.

u. Anämie 175, 178.

u. Abschnürixng 177.

u. Lymphstrom 179. Resorptionsversuche 166ff.

-nachweis durch Milchzucker 167 ff. -Vorgänge 165 ff.

Revulsion20ff.,91ff., lllff., 124,244. Resultate, verschiedene, bei Staviungs-

behandlung 298. Rheumatismus 98. 136, s. Gelenk- rheumatismus.

VI. Schroth'sche Kur 241. Riesenwuchs 189.

R ö n t g e n 1 i c h t u . Stauungshyperämie 127.

u. lymphoides Gewebe 186 ff.

u. Gelenkversteifungen 187.

u. Leukocytose 244. Rtibefacientia 111. Rückenmarksanästhesie 310. Rüekgratsver krümmung u. Lun- gentuberkulose 252ff.

Ruhigstellung krankerGelenke 266 ff . 325.

Säfte, schlechte 13, 112. Sandbad, heisses 17, 19.

u. Gewichtsverlust 28.

Sauerstoff Verarmung 100.

Saugapparate, Behandlung mit den- selben 85ff., für die Nase 82, Pleura- empyem 83.

mit Gummiballon 85, mit Spritze 84,

grosse S. 89ff., 104, 115, 282, zum Hyperämisieren 94 ff., ztir Behand- lung des Handgelenkes 102ff., 109, des Fussgelenkes 106, des Knie- gelenkes 107, 109, des Ellenbogen- gelenkes 107, 109, der Spina ventosa 286.

u. akvite Infektion 282.

u. chronisches Ödem 285 ff.

bei Lungentuberkiuo.se 293. Saugbehandlung s. Schröpfkopf. Saugen mit dem Munde 84, 92.

als Schmerzstillungsmittel 136. Saugmaske, Kuhn'sche 293. Saug pumpe, grosse, mit Schwungrad

110. Saugspritze, Geschichtliches 84.

Junod's 90.

Schlamm als Hyperämiemittel 17. Schlangenbissu. Abschnürung 1 7 7 ff . Schlauch, Henle'scher 297-. Schmerzen u. Stauungshyperämie 258.

u. Saugapparate 104, u. Hyperämie 120.

S c h m e r z s t i 1 1 u n g als Hyperämiewir- kung 120, 299. 323ff.

thermische 136.

Schnupfen v;. Stauungsbehandlung

387. Schornstein, Quincke's 33. Schröpfkopf (s. a. Saugapparate),

Hj'^perämie diirch denselben 81, 86,

127. 164.

aus Metall vxnd Glas 85.

-formen 87 ff.

VI. Behandlung vergifteter Wun- den 174 ff.

u. Sequester 263.

u. Abscesse 264.

Technik 278ff., 281, 291, 408ff.

Reinigung 279.

u. Granulationsgewebe 281.

u. Gefässneubildung 282.

-behandlung u. Drüsenentzündungen 290.

VI. Lupus 291.

infizierterOperationswunden 305,

352.

u. Furunkel 352, 408 ff.

u. Karbunkel 352, 410.

infektionsverdächtiger frischer

Wunden 354 ff.

von Ohreiterungen 376.

von Eiterungen u. Entzündungen

408 ff.

bei Ohren- u. Augenkrankheiten

476

Inhaltsverzeichnis.

418, Keloiden 443, Akne 445,

Spondylitis 453. Schröpfstiefel Junod's 89. Schroth'sche Kur 241. Schuhform des Schröpf kopfes 82. Schultertuberkulose 257. Schüttelfrost u. Transfusion 245. Schutzkräfte der Blutbestandteile

143. Schweisssekretion 29, 185.

u. Teniperaturoptimiim 29.

-Verdunstung 18, 100.

-Verlust u. Resorption 28 ff. Schwitzbett Quincke's 33. Secrete, Ansaugen diirch Schröpf- köpfe 82.

Seebäder u. Tuberkulose 242. Seekrankheit 452. Sehnenscheidenphlegnionen 138,

u. Stauungsbehandlung 307, 330ff.,

394.

tuberkulöse ii. Stauungsbehandlung 288. u. Eröffnimg durch kleine Schnitte 309, 311, 331, 420 ff.

Seitenkettentheorie 8. Sekundärinfektion u. Ausschabvmg

265. Senfteig 111, 127.

u. Blutkreislauf 113, u. Hämaturie 118.

Sensibilität bei Pseudohypertrophie

der Muskeln 191 ff. Sequesterausstossung 262 ff.

-einheihing bei Osteomyelitis acuta 346.

Serumbehandlung 143 (subcut.), 242.

Skoliose u. Heissluftbehandlung 436.

Sondierung 265.

Sonnenbäder 242.

Spermin 243.

Spina ventosa, Behandlung mit

grossen Saugapparaten 286. Spitzf ussstellung 268. Spondylitisbehandlung mit Schröpf-

köpfen 88, 453. Staphylokokken u. Hyperämie

140. Stauung, kalte 68, weisse 75, 133.

venöse, u. Kiiochenwachstum 195 ff.

Stauvingsbinde 68, 127, s. a. Binden- stauung u. Stauungshyperämie.

u. Resorption 173 ff.

u. Tuber kulinreaktion 174. Stauungshyperämie 16, 56ff., 164,

184.

Technik 69ff., 75, 137, 249, 258, 261, 263, 264, 269, 270, 277, 288, 294, 300, 318, 358 (Kopfstauung).

bei Knochenbrüchen 56.

mit Junod's Stiefel 93.

dm-ch Schröpf köpfe 83, 86.

U.Erysipel. 7 6, 151, 256.

u. Ernährungsstörvmgen 137, 139, 146ff., 232.

u. bakterientötendeM^irkungT40, 146.

u. Blutalkaligehalt 145.

u. Nekrosen 154.

u. Resorption 173ff., 314, 352.

u. Fieberverlauf 178, 312ff.

u. Ernähnmg 184, 188ff.

u. Stickstoff ausscheidung 187.

u. Epithelialgewebe 197 ff.

u. Muskelhypertrophie 197 ff.

u. Haarwachstum 197 ff.

u. secernierendes Drüsengewebe 1 98f f .

u. Milchsekretion 199.

u. Entzündungsherde 217.

u. Kallusbildung 216, 219.

u. Erfrierungen 227.

u. Tuberkulosebehandlung 251 ff.

u. heisse Abscesse 256, 305.

u. kalte Abscesse255ff.,265ff.,277ff.

VI. Sepsis 257.

u. Zehenbrand 270.

als konservatives Verfahren 277.

bei akuten Entzündungen und Eite- riingen an den Gliedern 293 ff.

u. Neiu-itis 321.

u. akuter Gelenkrhevimatismus 323.

u. Erysipel 353.

bei frischen infektionsverdächtigen Wunden 354.

bei Lues u. Tetanus 356.

bei akuten Eiterungen des Mittel- ohrs 361 ff.

bei Augenkrankheiten 378.

bei akuter Cerebrospinal-Meningitis 382.

Inhaltsverzeichnis .

47^

bei akuter Parotitis 383.

bei akuter Lymphadenitis 384.

bei Parulis 385 ff.

bei Schnupfen (Heu-) 387.

bei Diphtherie 388.

bei TonsiUiten 388.

GefährUchkeit 389ff.

Kontraindikationen, angebl. 396ff.

Todesfälle 402.

bei clironischem Gelenkrheumatis- niixs 428.

bei traumatischen Versteifvingen 433.

bei frischen Verletzungen 439, Ten- dovaginitis crepitans 444, Haut- krankheiten 445, Neuralgien 410, Gehirnkrankheiten 447.

Stauungslunge 200 ff., arterielle Hy- perämie derselben 15.

Stauungsödem 141, 145, 151.

Sterilisation, diskontinuierliche 156.

Stickstoffausscheidung ii. Stau- ungshyperämie 187.

Stiefel, Junod's 89.

Stoffwechselprodukte, bakterielle, u. Stauungshyperämie 144.

Streckung versteifter Gelenke 103 ff.

Streckverband u. Stauungshyper- ämiebehandlung 257, 268.

Streptokokken u. Stauungshyper- ämie 139, 393 ff., 396.

Stromverlangsamung u. Entzün- dung 153 ff., 164, u. Hyperämie 250.

Supination, Apparate z\xc 105 ff.

Suppurantia 111.

Syphilis 242, u. Stauungsbehandlung 356.

Tamponade, Schädlichkeit derselben 264, 281, 311, 331, 422.

Technik der Bindenstauung s. Stau- ungshyperämie .

der Schröpfkopfbehandlung s. d. Teleologe, der Ai'zt als Iff. Teleologie Iff.

anthropocentrische Iff. Temperatur, Höhe der ertragenen

17 ff.

Toleranzgrenze 30.

u. Resorption 172.

-messung mit thermoelektrischen Nadeln 121.

-erhöhung u. Lymphstrom 129,

u. künstliche Infektion 245.

-Optimum 29.

der Haut nach Heissluftbehandlung 50, bei Stauung 62, 65, in Saug- apparaten 98, bei Entzündung 118.

u. Hautreize 118.

-erniedrigung (lokale) u. Stauungs- behandlung 257, u. allgem. Tempe- raturerniedrigung 312 ff.

Tendovaginitis crepitans 444. Tenotomie u. Bluterguss 236. Tetanus u. Stauungsbehandlung 356. Thermometer zur Hautteiuperatur-

messung 149 ff. Thermophore 17, 19, 251. Thränenstrom 4. Thrombosen. Hypertrophie 193ff.

u. Hyperämiebehandlung 454. Tiefenwirkung der chemischenHaut-

reizmittel 116ff., 120.

des Glüheisens 122 ff. Tierhörner als Schröpf köpfe 84. Tonsillen u. Schröpf köpf behandlung

88. Tonsillitis u. Stauungsbehandlung

380. Toxine der Tuberkulosen 395. Transpiration in Junod's Stiefel 90. Transfusion 79, 81, 183, Tierblut-Tr.

245 ff.

u. Lupus 127. Trigeminusneuralgie 416. Trippergelenke u. Stauungsbehand- lung 3 15 ff., s. a. Gonorrhoe.

Trommelstockfinger 204ff. Tuberkulinwirkung 144.

-reaktion u. Stauungshyperämie 174.

Tuberkulose 149, des Hodens 74, 257, 287.

Infektionsgefahr offener T. 266.

u. Kalkarbeiter 145.

u. chronisches Ödem 258, 285.

der Gelenke 70.

u. Erysipel 76, 151, 2ö6ff., 398.

478

Inhaltsverzeichnis.

u. Heisshiftbehandking 156.

des Schlütergelenks 257, 272.

des Fiissgelenks 261, 272.

des Handgelenks 261, 267 271.

der Sehnenscheiden 288.

des Ellenbogengelenks 272.

des Ivniegelenks 272.

der Ivnochen 288.

der Haut 288.

der Drüsen 288.

Typhvis, gegen T. immunisierte Tiere 119.

-agglutinine 143.

Übelkeiten bei Behandl. m. Junod's

Stiefel 91. Unterdrück im saugenden Schröpf -

köpf 86. Uterinmilch 236.

Vakuumkessel 110.

Variation der Arten 12.

Varicen 77, 454.

Vasomotorenlähmvmg u. Lymph- strom 129.

Venenthrombose u. Hypertrophie 190 ff.

bei Stauungsbehandltuig 401.

u. Heissluftbehandlung 454.

Ventousen 89.

Verbandtechnik bei der Stauungs- hyperämie 257, 264, 281, 297. 311, 325.

Verbrennung 27, 30, 51.

Verbrühen 115, 118.

Verla ngsamung des Blutstromes bei Entzündtmg 153 ff., 159.

Vesicantia 111.

Versteifungen s. Gelenkerkrank- ungen, Apparate zur Mobilisation versteifter Gelenke 102 ff.

tuberkulöse Gelenke 105.

chronische, der Gelenke 135, 138.

nach Infektionskrankheiten 155, u. Heissluftbehandlung 251, 311.

u. Rulügstellung 267, 318.

II. Heissluftbehandhuig 427 ff.

Vitalisten 12.

Volksmedizin 240, 250, 415, haut- reizende Mittel in derselben 111.

Volumsvermehrung der Glieder d. Hitze 22.

Wachstum u. Stauungshj^perämie

189ff. Wärme als Hyperämiemittel 17 ff., 86,

160. gefühl 89.

-reize 20.

Wasser, heisses, als Hyperämiemittel 19, 251.

als Hautreiz 114, 249. Wasserärzte 22.

Was s erb ad, heisses, als Hyperämie- mittel 261.

Wasserheilkunde 20, 54, 114, 162.

Wechseldusche, schottische 47.

Wilde' scher Schnitt 369 ff.

Wundbehandlung, aseptische mit reizenden Mitteln 357.

Wunden, Behandlung infizierter W. mit Heissluft 158, mit dem Schröpf- kopf 305, frischer infektionsverdäch- tiger mit hyperämisierenden Mitteln 355 ff.

Wundheilung 8ff.

Zahnfisteln u. Schröpf köpf behand-

lung 411. Zentralnervensystem u. Narkotika

161.

u. Kopfstauung bei Tetanus 357.

Krankheiten desselben u. Hyper- ämiebehandlung 447 ff.

Zimtsäure 144, 242. Zirkulationsstörung 99, 144, 151, 155, u. Eingeweide 199 ff.

-Veränderung 148.

unter Stauungshyperämie 258.

bei grossen Abscessen 309. Zweckmässigkeit 2ff., 12, 149. Zylinder, Junod's 90.

Spamersche Buchdruckerei in Leipzig-R.

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